Auf unsres Erdenlebens halbem Wege
Fand ich in einem finstern Wald mich wieder,
Denn ich war abgeirrt vom graden Stege.
Der Tag entwich, das Dunkel nahm gemeinsam
Den Lebewesen auf der weiten Erde
All ihre Mühsal; ich nur rüstet einsam
»DURCH MICH GEHT'S EIN ZUR STADT DER JAMMERKLAGEN,
DURCH MICH GEHT'S EIN ZU QUALEN EWIGER DAUER,
DURCH MICH GEHT'S EIN ZU DER VERDAMMNIS PLAGEN.
Den tiefen Schlaf im Haupt zersprengt' ein Krachen,
So schwer, daß plötzlich ich zusammenschreckte,
Wie solche tun, die durch Gewalt erwachen.
So ging's hinab vom ersten Kreis zum zweiten,
Bei engeren Raum noch größre Pein umringend,
Die bis zum Heulen quält die Maledeiten.
Als kaum mir das Bewußtsein wiederkehrte,
Geschwunden durch Erbarmen mit den beiden,
Das mir mit Kümmernis das Herz versehrte
»Pape Satan, pape Satan aleppe ...«,
Ließ Plutus seine rauhe Stimme plärren;
Doch daß ich mich mit böser Furcht nicht schleppe
Nun weiter! Längst bevor wir noch im Schwenken
Dem Fuß des hohen Turmes nahgekommen,
Fühlt' unser Auge sich zur Zinne lenken
Durch Blässe, die die Angst mir aufgestrichen,
Als ich den Führer sah in meiner Nähe,
Ist seine ungewohnte rasch gewichen.
Nun mußten wir auf schmalen Steg uns drücken,
Beengt von Folterungen und Umwallung,
Der Meister vorn, ich hinter seinem Rücken.
An eines hohen Abhangs oberen Saume,
Wo sich zum Kreis die Felsentrümmer biegen,
Gelangten wir zu einem grausern Raume.
Zerklüftet war, wo's niederging, die Stätte
Und weiter zeigte sich noch eine Schranke
So graus, daß jedem Blick geschaudert hätte.
Noch war nicht Nessus jenseits am Gestade,
Da schlichen, wir uns durch Gehöldenach vorne,
Wo nirgends auch die Spur von einem Pfade.
Aus Heimatliebe hab ich aufgesammelt
Die losen Blätter und sie ihm gegeben,
Der schließlich nur noch heiser hat gestammelt.
Nun trägt uns einer von den harten Dämmen.
Der Rauch des Bächleins qualmt in dem Bereiche,
Dem Wasser und dem Wall die Glut zu hemmen.
Schon war ich, wo von fern ich hört ein Lärmen
Von Wassern, die zum nächsten Kreis sich gossen,
Als brummte dort Gesumm von Bienenschwärmen
»Sieh da das Untier mit dem spitzen Schwanze,
Das Berge übersteigt, das Wehr und Wälle
Zerbricht und mit Gestank erfüllt das Ganze!«
Ein Ort ist in der Hölle, Malebolge,
Der, ganz aus Stein, von Felsen eingereiht ist,
Und Eisenfarbe hat die ganze Folge.
O Simon Magus, o verworfne Innung,
Die ihr die Dinge Gottes frech entwendet,
Und was sich nur mit edeler Gesinnung
Von neuer Strafe gilt es jetzt zu dichten,
Um Stoff zu leihn dem zwanzigsten Gesange
Des ersten Lieds: von den verrenkten Wichten.
So kamen wir von Steg zu Steg und sprachen
Von anderm, das mein Lied nicht fest will halten,
Bis wir am Kulm die Wandrung unterbrachen
Oft sah ich Reiterei im Abmarsch ziehen,
Zum Sturmlauf rücken oder paradieren,
Und Rettung suchen manchmal auch im Fliehen;
Wir gingen schweigend, einsam, unbegleitet,
Der vor, der andre nach, wie wohl zuweilen
Ein Minderbruder hinterm andern schreitet.
Zu jener Zeit im jugendlichen Jahre,
Wenn schon die Nächte bald dem Tage gleichen
Und Sol im Wassermann erfrischt die Haare
Da ließ der Dieb als Abschluß seiner Schelten,
Die Feige stechend, beide Fäuste ragen
Und rief dazu: »Da nimm, Gott, dir soll's gelten!«
Heil dir, Florenz, daß deine Größe spreitet
So über Meer wie Land die starken Schwingen,
Und selbst die Hölle deinen Ruf verbreitet!
Schon stand die Flamme still und aufgerichtet,
Weil sie nicht weiter sprach, und sucht' das Weite,
Vom süßen Dichter ferner nicht verpflichtet
Wer könnte, selbst in ungebundner Rede,
Mehrmals erzählend, all das Blut beschreiben,
Das ich hier sah, die Wunden all und jede?
Vom vielen Volk und den verschiednen Peinen
War ich benommen, daß sich meine Augen
Nach Ruhe sehnten, um sich auszuweinen.
Als wegen Semeles ans Volk von Theben
Den Unmut Juno auszulassen trachtet',
Wovon sie mehrmals den Beweis gegeben
Dieselbe Zunge, die mich erst verwundet,
Daß sie den Wangen Farbe aufgetragen,
Gab mir das Mittel auch, dran ich gesundet.
Hätt ich den Vers, den widerborstigen, rauhen,
Wie er dem düstern Loche angemessen,
Auf dem sich alle andern Felsen bauen
Der Sünder hob den Mund vom grausen Mahle
Und wischt' ihn an des Hinterkopfes Haaren
Dann rein, dem er zuvor zernagt die Schale
»Vexilla regis prodeunt, es rücken
Des Höllenkönigs Banner vor, und sehen
Mußt du nach vorn, soll ihn zu schaun dir glücken.«

Das Fegefeuer

Nun mag mein Geistesboot die Segel brassen,
Um durch weit beßre Fluten vorzudringen,
Seit es so böse See zurückgelassen!
Fegefeuer - Gesang 02
Schon naht' die Sonne sich dem Horizonte,
Wo, unterm Meridianzenit gebreitet,
Jerusalem im letzten Strahl sich sonnte
Obgleich die andern, vom Verweis gepeinigt,
Sich jäh zerstreuten über das Gebreite,
Zum Berg hin, wo Gerechtigkeit uns reinigt
Wenn unsre Seele bei Genuß, bei Schmerzen,
Die irgendeine Fähigkeit empfindet,
Sich dieser zugewandt mit ganzem Herzen
Die Schatten waren hinter mir, und steigend
Trat ich schon wieder in des Führers Spuren,
Als einer, mit dem Finger auf mich zeigend
Wenn sich die Würfler von dem Spiel entfernen,
Bleibt der Verlierer sitzen, ist verdrossen
Und wiederholt die Würfe, um zu lernen.
Nachdem die zwei mit sittsam frohem Neigen
Wohl dreimal, viermal sich umschlungen hatten,
Trat jetzt Sordell zurück und brach das Schweigen:
Die Stunde war's, die Heimweh kommt erneuern
Dem Seemann, ihn erweicht im Herzensgrunde
Am Tag, wo er lebwohl gesagt den Teuern
Schon zeigt' Tithonos' Gattin, des ergrauten,
In weiß sich auf des Orients Balkone,
Entwichen aus den Armen ihres Trauten
Des Tores Schwelle war nun überschritten,
Von dem sich falsche Liebe ließ entwöhnen,
Weil Krummes grade wird nach ihren Sitten.
»O Vater unser, in den Himmeln wohnend,
Nicht dort beschränkt, doch in erhöhter Weise
Den Urgeschöpfen dort mit Liebe lohnend
Gepaart wie Ochsen, unterm Joch gebogen,
Ging's fort mit dem Geladnen Seit an Seite,
Solang 's gefiel dem teuern Pädagogen.
Wir waren an dem Endpunkt nun der Treppe,
Woselbst zum zweitenmal ist eingeschnitten
Der Berg, der läutert wer hinauf sich schleppe.
Wer ist es, der, bevor der Tod ihm Flügel
Verlieh, die Augen öffnend nach Behagen
Und wieder schließend, streift um unsern Hügel?
Soviel des Wegs bis nach der dritten Stunde
Seit Tagesanbeginn die Sphäre macht,
Die gleich dem Kinde spielt in steter Runde
Kein Dunst der Hölle, keine Nacht, durchfunkelt
Am Himmelstrich von keinem der Planeten,
Von dichtestem Gewölke noch verdunkelt
Wenn jemals im Gebirg ein Nebelbrauen
Dich, Leser, überfiel, so daß dich deuchte,
Dem Maulwurf gleich, durch eine Haut zu schauen
Der hohe Lehrer setzt' dem Wort ein Ende
Und sah mich an, als sollt mein Blick ihm sagen,
Ob ich zufrieden sei mit seiner Spende.
Zur Zeit, wo nicht imstand die Tagesgluten,
─ Weil Erde, oft Saturn, sie überwindet ─
Zu lindern mehr des Mondes kalte Fluten
Schwer kämpft das Wollen gegen beßres Wollen;
Drum gegen Wunsch zog, seinem Wunsch willfahrend,
Den Schwamm ich aus dem Wasser, den nicht vollen.
Zum angebornen Durst, der mich verzehrte,
Den nur das Wasser löscht, nach dessen Gnade
Die Frau aus Samaria einst begehrte
Schon war der Engel hinter uns geblieben,
Der uns zum sechsten Gürtel hatt gewiesen,
Ein weitres Mal mir tilgend von den sieben
Als ich die Augen unverwandt ließ stieren
Ins grüne Laub, wie Menschen, die da pflegen
Mit Vogelfang ihr Leben zu verlieren
Das Reden hemmte nicht das Gehn, das Gehen
Nicht das Gespräch; wir plauderten und strichen
Schnell wie ein Schiff, wenn gute Winde wehen.
Die Tageszeit gestattete kein Säumen:
Die Sonne mußte schon den Mittagsbogen
Dem Stier, die Nacht dem Skorpione räumen.
Indem wir einer hintern andern gingen
Am Saume, warnte mich der Meister immer:
»Gib acht; laß meinen Rat dir Nutzen bringen!«
Wie, wenn ihr erster Strahl am jungen Tage
Dort zittert, wo ihr Schöpfer ist verblutet,
Der Ebro unterm Sternbild liegt der Wage
Voll Sehnsucht, zu durchforschen, drum und drinnen,
Den Gotteswald, der, dichtbelaubt und lebend,
Den neuen Tag verschleiert' meinen Sinnen
Gleichwie von liebeseligem Weibe trat da
Zu ihrem Wort der Sang, um auszuklingen:
»Beati, quorum tecta sunt peccata«.
Sobald des ersten Himmels Siebenstern,
Der Untergang und Aufgang niemals kannte,
Dem andre Trübung, als durch Sünde, fern
»O, der du jenseit stehst des heiligen Flusses«,
Fühlt ich auf mich des Wortes Spitze kehren,
Des Schneide schon genug gab des Verdrusses.
Den Durst zu stillen, von den zehen Jahren,
Ließ ich die Augen so mit Spannung stieren,
Daß ausgelöscht die andern Sinne waren.
»Deus, venerunt gentes«, also fingen
Die Fraun, bald drei, bald vier, mit süßem Klange,
Doch weinend an, den Wechselpsalm zu singen.

Paradies

Die Glorie dessen, der bewegt das Ganze,
Durchdringt das Weltall, doch sie ist entglommen
In stärkerm hier, und dort in schwächerm Glanze.
O ihr, die ihr, von Hörbegier verleitet,
In eurem schwanken, allzu kleinen Kahne
Gefolgt seid meinem Schiff, das singend gleitet
So ließ die Sonne, die mit Liebesregung
Mich früh erwärmt, das Antlitz holder Kenntnis
Nun strahlen durch Beweis und Widerlegung.
Und hätt ein freier Mensch von zwei Gerichten
Die Wahl, die, gleich entfernt, ihn gleich verlocken,
Vor Hunger sterbend, würd er doch verzichten.
Wenn ich dir hier in Liebesflammen funkle,
Wie sie die Erde nimmer wird vermuten,
So daß ich deiner Augen Kraft verdunkle
Seit Konstantin den Aar entgegenführte
Dem Himmelslauf, mit dem er war gezogen,
Dem Ahnherrn folgend, der Lavinia kürte
»Osanna, sanctus Deus Sabaoth,
Superillustrans tua claritate
Felices ignes horum malachoth.«
Einst glaubt' die Welt mit falschem Ideale,
Daß, sich im dritten Epizykel drehend,
Die schöne Kypris tolle Liebe strahle.
Nachdem dein Karl mir so Belehrung zollte,
Klemenza schön, begann er zu entrollen
Den Trug, den sein Geschlecht erfahren sollte.
Hinschauend auf den Sohn mit jener Liebe,
Die ewiglich enthaucht wird von den zweien,
Schuf geistiges und räumliches Getriebe
O sinnlos Sorgen du der Menschenherde,
Wie lendenlahm sind deine Syllogismen:
Sie wenden deinen Flügelschlag zur Erde!
Sobald das benedeite Flammenwehen
Das letzte Wort der Rede ließ verklingen,
Begann das heilige Mühlrad sich zu drehen.
Paradies - Gesang 13
Nun denke sich, wer deutlich möchte schauen,
Was ich hier sah ─ und bei der Unterrichtung
Halt er das Bild, als wär's in Fels gehauen ─
Nach innen wallt vom Rand, zum Rand von innen
Das Wasser, je nachdem's in runder Schale
Den Stoß empfängt von draußen oder drinnen.
Der hilfbereite Wille, dem die Liebe,
Die nach dem Rechten hinstrebt, immer eigen,
Wie die Begierde dem verkehrten Triebe
O du armseliger Adel unsres Blutes,
Wenn du die Menschen rühmen machst auf Erden,
Wo unsre Neigung doch voll kranken Mutes
Wie jener ward zu Klymene getrieben,
Gehörter Schmach Gewißheit zu bekommen,
Nach dem die Väter spröd den Söhnen blieben
Schon weidete der selige Geist beiseit sich
An seinem Wort, wie ich das meine schmeckte,
Und durch das Süße milderte das Leid sich.
So sah, die Schwingen breit, das Bild ich prangen,
Zu dem sich in beseligtem Genießen
Die Seelen glückerfüllt zusammenschwangen.
Sinkt, die das Weltall zündet allenthalben,
Auf unsrer Hemisphäre tiefer immer,
Daß überall der Tag beginnt zu falben
Schon hing mein Aug und Sinn am Antlitz wieder
Der Führerin, und was ich anders dachte,
Das alles schlug mir dieser Anblick nieder.
Ich wandte mich, vom Schrecken schwer getroffen,
Zu meiner Führerin, gleich einem Kinde,
Das Hilfe sucht, wo es zumeist darf hoffen.
Dem Vogel gleich, der übers Nest gestreckt liegt
Im trauten Laub, die Kleinen zu betreuen,
Solang uns alles von der Nacht verdeckt liegt
Ihr Gäste, auserwählt zum großen Mahle
Des benedeiten Lamms, das euch mit Speise
Das Sehnen stillt aus Immervoller Schale
Geschieht noch meinem heiligen Lied die Ehrung
─ Dem Erd und Himmel ihre Hand geliehen
Und das seit Jahren Ursach meiner Zehrung ─
Als bang ich meine Blindheit überdachte,
Kam aus dem Flammenblitz, der mich geblendet,
Hervor ein Odem, der mich horchen machte.
Dem Vater, Sohn und .Heiligen Geist durchrauschte
Das Paradies ein Gloria so mächtig,
Daß ich berauscht ward, wie dem Schmelz ich lauschte.
So hatte mir des Menschenelends Wahrheit
In unsrer Zeit zu zeigen unternommen
Sie, die den Geist mir hob zur Himmelsklarheit.
Solang es dauert, wenn Latonas Sprossen,
Dem Widder und der Wage untergeben,
Zugleich vom Horizonte sind umschlossen
Sechstausend Meilen mag die Mittagstunde
Von uns entfernt erglühn, und die Beschattung
Senkt diese Welt schon fast zum flachen Grunde
Mithin wie eine weiße Rose baute
Die heilige Heerschar sich hinauf die Stiegen,
Die durch sein Blut dem Christus angetraute.
Ganz hingegeben seinem seligen Horte,
Hat williglich des Lehramts sich beflissen
Jetzt der Beschauer mit dem heiligen Worte
O Jungfrau-Mutter, Tochter deines Sohnes,
Gering und hoch, wie's keine Kreatur ward,
Du vorbestimmter Schluß des ewigen Thrones

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