Dante findet sich, schlafbefangen, vom rechten Wege verirrt, in einem schrecklichen, finstern Walde, strebt im Mondlicht hervor, gelangt an den Fuß einer Höhe, die von den Strahlen der aufgehenden Sonne beleuchtet ist, ruht und will die Steile hinanklimmen, Schritt vor Schritt sicher fußend; aber ein Pardel vertritt ihm den Weg und weicht nicht vor seinen Augen, die Schau eines Löwen erschreckt ihn und der Anblick einer gierigen Wölfin nimmt ihm die Hoffnung emporzukommen. Als er endlich zur Tiefe zurücktritt, steht Virgil's Schatten vor seinen Augen. Er ruft ihn um Hülfe an. Virgil antwortet, ihn zu ermuthigen: die Wölfin werde dereinst einem schnellen Hund erliegen, und erbietet sich, ihn auf anderem Wege, durch Hölle und Fegefeuer zu retten, wo er die Seelen der Verdammten und der sich Läuternden schauen solle. Verlange ihn dann, höher zu den Seligen emporzusteigen, so werde eine Seele, dessen würdiger, ihn geleiten, denn Gott wolle nicht, daß man durch Virgil zu seinem Anschauen gelange. Dante willigt in Virgil's Erbieten und folgt ihm.
Es wird Abend. Dante flicht eine Anrufung der Musen ein und erzählt, wie er, alle menschlichen Bestrebungen durch Dunkel gehemmt sehend, gezweifelt, ob seine Kraft hinreiche, lebend das Jenseit zu durchwandeln. Indem er zu Virgil sagt: daß wohl dem Aeneas und Paulus so Außerordentliches gewährt worden, - jenem, damit er das römische Reich nach Anchises Rath gründe, diesem, damit er dem Glauben Kräftigung bringe, deutet unser Dichter an, daß er bei seiner poetischen Wanderung ebenfalls das römische Reich weltlich und geistlich in's Auge fasse. - Virgil (die Einsicht) heißt ihn den Kleinmuth ablegen, nennt sein Unternehmen ein würdiges, und erzählt ihm: wie Beatrice in die Vorhölle hinabgekommen, von einer hehren Frau im Himmel durch den Mund der heiligen Lucia berufen, Dante zu retten, und wie Beatrice es sei, die ihn, den Virgil, zu seinem Beistand heraufgesendet. - In diesen drei Frauen werden drei göttliche Gnaden symbolisirt: die zuvorkommende, die erleuchtende und die vollführende. Die erste, die zuvorkommende, ist Maria. Die erleuchtende Gnade wird unter dem Bilde der heiligen Lucia gefaßt, deren Namen von lux (Licht) kommt; die man auch um Heilung der leiblichen Augen anfleht. Die dritte Gnade aber ist die vollführende, vorgebildet in B eatricen (der Beseligerin). In ihr erhöht Dante das Bild seine Jugendgeliebten, der frühverschiedenen Florentinerin Beatrice Portinari, zum Bilde der beseligenden Gotteslehre, von der im Buch der Weisheit Cap. 8 V. 2 gesagt wird: "Ich habe sie mir erwählt von Jugend an und gedachte sie mir zur Braut zu nehmen und ward Liebhaber ihrer Schöne." - Vernehmend, daß drei heilige Frauen im Himmel Sorge für ihn tragen, beschließt Dante neu ermuthigt die schwere Wanderung, und folgt Virgil von Neuem auf dem Wege. - Betrachtung und Schilderung der Ewigkeit ist dem noch lebenden Dichter nur möglich, wenn seine menschliche Einsicht (unter Beistand des Himmels, der Musen und der erfindenden Kunst) der göttlichen Lehre gehorcht. Wirklich folgt das Gedicht mit seinen Schilderungen des Jenseits fast überall den Vorstellungen der Bibel, der Heiligen, und der alten Weisen und Dichter. Der ausführliche Schilderer des jenseits, Virgil, schreitet dem Dichter sichtbar voran, auch als Sänger und Prophet des römischen Weltreiches.
Die beiden Dichter gelangen zum Thor der Hölle. Dante liest die Inschrift und erschrickt. Virgil aber spricht ihm als ein dort Erfahrner Muth zu und führt ihn ein. Die Luft dainnen ist finster, ohne Gestirn, Wehklagen erhallen. Dante weint und erfährt von Virgil, daß hier der Wohnplatz der thatenlosen, feigen Seelen sei und jener Engel, welche unentschieden blieben, als Lucifer sich gegen Gott empört. Sie sind mit ewigem Dunkel gestraft und irren in dem ungeheuren Kreise umher wie Sand vom Wirbelwinde gejagt. Dante sieht eine Fahne, welche, des Ruhens unwürdig, ewig flüchtet, dieser rennet eine unendliche Schaar feiger Seelen nach, in ewiger Angst, verfolgt von Wespenschwärmen. Es wird von ihnen gesagt, daß sie nie lebend waren (Hölle 1, 27). Hierauf gelangen die Dichter an den Acheron, wo der greise Charon die Seelen der Bösen überschifft. Er weiset Dante zurück, weil sein Bot nicht fähig ist einen irdischen Leib zu tragen und treibt mit dem Ruder die Seelen in den Kahn, der beständig herüber und hinüber fährt. Virgil sagt zu Dante: hier fahre nie eine gute Seele hinüber; weshalb Charon ihm die Ueberfahrt verweigert habe. Daraus wird deutlich, daß Dante im ersten Gesange die große Sündhaftigkeit betrachtet. Nun geschieht ein Wunder: die Erde sendet Sturm aus, der purpurrothes Licht aufblitzen macht. Dante fällt zu Boden, gleich Einem, der in Schlaf sinkt.
Dante, vermöge eines Wunders (vergl. Hölle 1,11 und Fegef. 9,10-63) im Schlaf über den Acheron entrückt, findet sich am Rande des Höllenschlundes, geweckt vom Donner der Klagen, die aus dem finstern Abgrunde so heraufhallen, daß selbst Virgil vor Mitleid erbleicht. Hinabsteigend gelangen sie in den Aufenthalt der ungetauften unschuldigen Kinder und tugendhaften Heiden (also auch Virgils), in die Vorhölle. Zuerst, im weitesten dunkleren Umkreise derselben, begegnen sie unzähligen Seelen unberühmter Heiden jedes Alters und Geschlechtes, deren Menge Dante, gewiß nicht ohne Bezug auf den Wald im ersten Gesange, einen Wald von Geistern nennt. Keine Klage hallt dort, nur Seufzen, und Virgil sagt, daß unerfülltes Sehnen ihre einzige Qual sei. - Dante läßt sich Christi Höllenfahrt und die Erlösung der Erzväter von ihm Erzählen und so, zu Stärkung seines Glaubens, in der Hölle selbst bestätigen. In dem Kreise, weiter nach innen schreitend, sieht er eine Lichtglorie die Heroen von den Unberühmten scheiden, eine Begnadigung Gottes um ihres edlen Ruhmes willen. Der innere Rand ihres Kreises erhebt sich um den tieferen Höllenabgrund als ein grünendes Gebirge, wie von dem Lichtglanz, so auch von sieben Mauern und einem schönen Bächlein umzogen und beschirmt, Alles überwölbt von den Finsternissen, die rings auf den Seelen der Unberühmten ruhen. Nun erschallt eine Stimme aus der Glorie, welche gebeut den wiederkehrenden, erhabnen Dichter (Virgil) ehrenvoll zu empfangen. Homer, Horaz, Ovid und Lucan kommen dahergewandelt, begrüßen den Nahenden und nehmen Dante in ihre Schaar auf, welche vereint, die Dichtkunst selbst vorbildend, über den Bach, der nur die geringeren bang seufzenden Geister abhält, wie festen Boden schreitet, durch die Pforten der sieben aristotelischen Tugenden, denn diese bedeuten jene Mauern, zu den ewig begrünten Höhen der Heroen. Von den Heroen nennt Dante vor allen solche, die auf Aeneas Vaterstadt Troja und das von ihm begründete römische Reich Bezug haben. Besonders tritt Cäsar als Vorbild des Kaiserthums glänzend hervor, gerüstet und mit Falkenaugen. Ueber allen Heroen gewahrt unser Dichter endlich, als er das Haupt noch mehr erhebt, den von den edelsten Weltweisen und Gelehrten umgebnen Meister Aller die da wissen, den Aristoteles. Er ehrt ihn, sicher, daß man ihn dennoch ewig erkennen werde, damit - daß er ihn nicht mit Namen nennt, zugleich in ihm aller Wissenschaft Summe vorbildend, welche die Menscheit zu erreichen vermocht, ohne christichen Glauben. Nachdem er so die Heroen und Weltweisn in ihrer unterirdischen Glorie geschaut, trennt sich Dante von den andern Dichtern und geht mit Virgil über das grünende Gebirge hinab in den dunkeln Abgrund.
Hinabgestiegen in den zweiten Höllenkreis, erblickt Dante, in dem richtenden Minos verkörpert, das erwachende Bewußtsein der Schuld. Dieser bestimmt die Strafen der nahenden Seelen. Jemehr die Sünder sich von der Sünde umstricken ließen, je öfter umwindet sich Minos mit seinem Schweif, je tiefere Kreise nehmen sie auf. Minos warnet, sein Amt einen Augenblick ruhen lassend, Dante sehr bedeutsam, sich vom weiten Eingange der Hölle nicht täuschen zu lassen. Virgil aber sagt ihm dagegen: Dantes Wanderung sei im Himmel beschlossen, und schreitet mit seinem Schützling vorüber. Die Luft ist finster und der ewig kreisende Sturm sinnlicher Liebe jagt dort die ruhelosen, nun entkörperten Schaaren derer umher, welche die Vernunft dem sinnlichen Triebe unterordneten. Die Führerin derselben ist Semiramis, die in ihren Gesetzen jedes Gelüstes Befriedigung gestattete. Virgil zeigt dem Dichter viele berühmte Seelen der Helden, welche der sinnlichen Liebe erlagen. Dante aber, tief bewegt von dem Anblick, begehrt mit zween der Schatten zu sprechen, die innig zusammen schweben, ruft sie an, und spricht mit ihnen. Sie empfinden auf das innigste den Antheil, den er an ihnen nimmt, und erzählen ihm den Ausgang und, auf sein Begehren, aber noch viel trauriger, den Anfang ihrer Liebe. Der Antheil, den Beide noch an einander nehmen, erschüttert unsern Dichter so tief, daß er wie ein Entseelter hinsinkt. Die beiden Schatten sind Paolo Malatesta da Rimini und dessen Schwägerin Franceska, Tochter des Guido da Polenta
Der kunstvolle Dichter verschweigt, wie er sich aus seinem Schmerz erhoben, wie er sinnend weiter geschritten und stellt sich sogleich, mit wieder aufgethanem Sinne umherschauend, im dritten Höllenkreise dar. Hier stürzt beständig Hagel, Schnee und Gußregen herab, die Erde zu stinkendem Wust umwandelnd, worin die Schlemmer ewig liegen, wie sie im Leben oft genug gelegen. Sie können sich (s. V. 94) aus dem Wust nicht mehr erheben und wenden sich nur hin und her, mit einer Seite die andre schirmend: ein wahres Bild von der Schlemmer Streben nach nur augenblicklicher Abhülfe, die ihnen doch keinen Frieden und kein dauerndes Behagen schafft. In dem Dämon Cerberus ist ihre irdische Gier verkörpert, die sich nun hier gegen die körperlosen, leeren Seelen wendet und sie schüttelt und zerreißt. Wüthend springt Cerberus gegen die Dichter an; aber Virgil wirft ihm mit vollen Händen in die drei Rachen Erdschlamm, womit er sich sättigt und beruhigt. Nun schreiten sie über die Nichtigkeit der am Boden liegenden Schatten hin, deren einer, ein Florentiner und guter Politiker, Namens Ciacco, sich noch einmal halb erhebt, und, auf Dantes Befragen, einiges vom künftigen Schicksal der Stadt Florenz, prophezeit. Dante frägt ihn nach andern berühmten Florentinern und erfährt, daß er sie in tieferen Höllenkreisen antreffen werde. Ciacco bittet ihn hierauf, seiner in der Welt zu gedenken, und sinkt auf immer in den Schlamm zurück. Die Dichter aber gehn weiter, einiges vom zukünftigen Leben nach der leiblichen Auferstehung besprechend, und gelangen endlich zur innern Gränze des dritten Kreises, wo sie in den tieferen, vierten hinabsteigen und den Dämon der Schätze, Plutus, den großen Feind der Menschheit antreffen.
Plutus, der altheidnische Gott der Reichthümer, erhebt sich wider die Wandernden, wolfartig dämonisirt, mit drohendem Geprahle; sinkt aber nichtig zusammen, als Virgil ihn an des prachtstolzen Lucifer Sturz erinnert. Nun gelangen sie ungehindert in den vierten Kreis hinab. Hier sehen sie schwere Lasten mit Geheul wälzen, hin und her, von den Seelen derer, denen das Erraffen oder Vergeuden der irdischen Schätze den Frieden nahm, "der Anfang ist und Urgrund jeder Wonne" (s. Hölle 1/58 u. 78). Wie Lucifers Schönheit, wie Plutus Geprahl schwindet jenseits die nichtige Freude am glänzenden Reichthum, er wird nun, vor dem erwachten Bewußtsein der nur daran gewöhnten Seele, ein dunkler Klump, eine häßliche Last, von welcher sie sich nicht mehr losmachen kann, womit sie sich nun alle Ewigkeit hindurch fortplagt, ruhelos und friedlos. Geizige und Verschwender wälzen sich hier in geschiednen Halbkreisen die Lasten zu, stoßen auf einander und werfen sich gegenseitig ihr nichtiges Treiben vor; nur um wieder umzukehren, wieder aufeinander zu stoßen und sich wieder zu fragen: warum sie halten und warum sie rollen? Dante glaubt einige der Seelen zu erkennen, Virgil aber sagt ihm, er täusche sich: weil sie das göttliche Leben gänzlich verkannt haben und nur im Staube gewühlt, seien sie als Seelen unkenntlich und dunkel von Schmutz. Der Dichter Gespräch wendet sich nun auf die Vertheilerin irdischer Güter, auf Fortuna. Dante will sie, die allgemeine Ansicht in sich vorbildend, als ein dämonisches Wesen, mit Klauen betrachten; Virgil aber schilt in ihm die Thorheit der Sterblichen und sagt ihm: Fortuna, von Gott zur Bewegerin der irdischen Schimmer bestellt, rolle, gleich den andern Lichtmächten des Himmels (s. Paradies 2/127), menschlicher Einsicht unerreichbar, ihre wechselnde Sphäre, selig erhaben über dem Schelten sich selbst trügender Sterblicher. Hierauf gelangen die Wanderer, den Kreis durchschneidend, zu einem Quell, der, den Zorn vorbildend, überkocht. Seinem Abflusse folgend, kommen sie in den fünften Kreis, wo das Wasser den heißen Sumpf Styx bildend. Hierein finden sie die zornerfüllten Seelen versenkt, die sich einander ewig stoßen und mit Zähnen zerreißen. Sie fühlen nun durch Andre, wie lästig sie Andern geworden. Tief unter ihnen im Grundschlamm sind, die sich selbst das sonnenheitre Leben durch faule Grämelei getrübt. Ihr trauriges Bewußtsein umgiebt sie nun in Gestalt faulen Schlammes. Die Dichter aber umwandeln einen großen Bogen des schmutzigen Sees, bis sie zuletzt am Fuße eines Thurmes anlangen.
Hölle - Gesang 08
Auf dem Thurm erschienen zwei Feuerzeichen, dem ein drittes fern über dem Sumpf antwortet und schneller als ein Pfeil, kommt der zornige Tempelverwüster Flegias, der Fährmann des Orts, in einem Boot herüber, mit grimmiger Anrede. Virgils Antwort bewältigt ihn. Die Dichter steigen ein und fahren über. Da klammert sich der zornige Geist des Florentiners Filippo Argenti an das Schiff. Virgil stößt ihn zurück. Dante schilt seinen Abscheu gegen den tobenden Sünder heraus, und Virgil umarmt seinen Schüler dafür. Argenti wird nun von den andern Zornigen angerufen, fast zerrissen, und wendet zuletzt seine Zähne gegen sich selbst. Hierauf nahen sich die Schiffenden der Stadt des Dis (Satan, Luzifer), mit tiefen Gräben und eisernen Mauern, worin das göttliche Licht der Liebe und Wahrheit, das die Guten im Paradiese beseligt und die Büßenden im Fegefeuer läutert, den Feinden Gottes und denen die ewig unreines Bewußtsein haben zur flammenden Qual wird. Die Dichter steigen am Thore aus; aber eine Schaar von mehr als tausend gefallnen Engeln droht von da herab. Virgil geht zu ihnen, sie wollen ihn (die irdische Erkenntniß) behalten, Dante soll allein zurückgehen. Letzterer erschrickt darüber; Virgil aber sagt ihm: er werde ihn nicht verlassen und theilt Jenen den Willen Gottes heimlich mit: - Da schließen sie auch ihm das Thor, und zürnend kehrt er zurück, zu Dante sagend: daß dieser Trotz nicht neu sei, bald aber komme ein Mächtiger, durch den das Thor ihnen offen stehen werde.
Virgil spricht, den himmlischen Boten sehnlichst erwartend, mit sich selbst. Dante nimmt Befürchtungen aus seinen Reden und fragt: ob wohl je ein Bewohner der Vorhölle in die tiefere hinabsteige? Virgil sagt ihm, es geschehe selten, doch sei er selbst, beschworen von der Zauberin Erichtho, schon einmal in dem tiefsten Höllenkreis gewesen; alles sei ihm bekannt, er möge daher getrost sein. Indem erblickt Dante auf der Zinne des ehernen Turms drei sich selbst zerfleischende Höllenfurien, Bilder der Verzweiflung, welche die Gorgo Medusa herbeirufen ihn zu versteinern. Virgil heißt ihn, sich vor dieser verhüllen und abwenden, und schirmt ihn noch mit seinen Händen. In dem schlangenumwundenen versteinernden Haupt des Wesens, welches den Tempel der Pallas, der Weisheit, geschändet, ist die Sünde aus dem Geist, der im Haupte wohnt, vorgebildet. Die Mauer, davor die Dichter stehen und welche die ganze tiefere Hölle umkreist, umschließt nähmlich keine Seelen, die, natürlichem Triebe folgend, sündigten; sondern allein solche, welche die Kraft des Geistes geschändet, indem sie dieselbe auf widernatürliches gewandt. In dem furchtbaren versteinernden Blick der Medusa ist die, göttliches Leben tötende, Macht geistiger Sünde ausgedrückt, wogegen Abwenden und das Umfangen tieferer Kenntnis, in Virgil vorgebildet, schirmt. Hierauf erscheint, gleich einem Sturmwind nahend, der himmlische Bote mit einer Rute. Alle Sünder im Sumpf und die bösen Engel und Erscheinungen auf dem Tore fliehen. Die Pforte geht auf, der Himmlische schilt die Gottlosen und schwebt zurück: die Dichter aber treten ein. Da stellt sich die Stadt innen als ein Gefilde voll offener, glühender Gräber dar, worin die Ketzer leiden. Das Licht der Wahrheit, welches ihnen zeigt, dass es ein göttliches Leben gebe, dessen sie nun nicht mehr fähig sind, peinigt sie in Gestalt ewiger Flammen und macht ihre Grüfte glühen. Der Sarg, d. h. der von ihnen behauptete Tod der Seele, ist ihre Qual.
Die Dichter wandeln zwischen den Mauern und den Gräbern, Dante begehrt, da er die Deckel offen sieht, die Begrabenen zu schauen. Virgil sagt ihm, die Gräber würden hier über den Sündern, die Seele und Leib zugleich gestorben glauben, am jüngsten Tage, wenn sie ihre Leiber wieder empfangen, gänzlich geschlossen. Indem vernimmt Dante, aus einer der Grabstätten, eine ihn anrufende Stimme. Virgil führt ihn näher. Farinata, der stolze Ghibelline, hat sich erhoben, und sagt Dante, dass er dessen Vorfahren oft aus der Stadt vertrieben. Dante entgegnet ihm, dass sie immer wiedergekehrt seien, welche Kunst hingegen Farinatas Anhang nicht wohl gelernt habe. Da erhebt sich neben Farinata ein anderer Schatten Cavalcante Cavalcanti, der nach seinem Sohn Guido späht und fragt, ob er, als Dantes Freund, nicht mitgekommen, durch gleiche Hoheit des Geistes? Aus Dantes Antwort schließt er fälschlich, dass Guido gestorben, und sinkt schmerzlich zurück, da Dante seinen Irrtum nicht sogleich begreift und berichtigt. Der starre Farinata aber nimmt, um jenen unbekümmert, das Gespräch wieder aus, sagend: das Unglück der Seinen schmerze ihn mehr als sein glühend Lager; dann weissagt er Dante gleiches Unglück der Verbannung und fragt: warum die Seinen in Florenz so hart gerichtet würden? Dante wirft die Schuld aus Farinatas Sieg an der Arbia und jener erwidert, dass er nicht ungereizt Blut vergossen, doch der Einzige gewesen sei, der sich der schon beschlossenen Zerstörung von Florenz widersetzt. Noch er fährt Dante von ihm, dass die Schatten der hierher Verdammten, die Gegenwart nicht erkennten, wohl aber die ferne Zukunft dämmern sähen, bis die Gräber dereinst gänzlich und damit ihre Kenntnisse verschlossen würden. Dante bittet ihn nun aus Mitleid, dem hingesunknen Cavalcante zu sagen: dass sein Sohn noch lebe. Virgil ermahnt seinen betrübten Schüler, der Weissagung Farinatas zu gedenken, sagt ihm aber tröstend: von BGeatrice werde er den eigentlichen Weg zum wahren, göttlichen Leben erfahren. Hierauf wenden sie sich links nach der Mitte, einem Tale zu, daraus übler Geruch emporsteigt.
Wo der Kreis der Irrlehrer und ihrer Anhänger an den der Gewalttätigen stößt, finden die Fortwandelnden ein Grabmal, dessen Inschrift sagt: es bewahre den Papst Anastasius. Damit wird nicht allein angedeutet: dass ein Papst ein Irrlehrer sein könne, sondern zugleich: dass Irrlehre bei Mächtigen nicht fern von Gewalttat stehe. Die Dichter schreiten langsam, um sich erst an den Stank zu gewöhnen, der von dem Blutstrom in der Tiefe heraufsteigt. Auf Dantes Bitte benutzt Virgil diese Zeit, ihn über die Ordnung der Höllenkreise zu belehren und sagt ihm: außerhalb der eisernen Mauer, in den bereits durchschrittenen Kreisen litten die Unenthaltsamen, welche sich natürlichen Trieben überlassen; innerhalb der Mauer aber, im nächsten tieferen Höllenkreise, die, welche sich, unnätürlichen Trieben nachgebend, entmenscht und vertiert haben: sie teilten sich ein in die Gewalttätigen gegen den Nächsten, gegen sich selbst und gegen Gott. Tiefer darunter seien dann die Betrüger und ganz zuunterst die lieblosen Verräter, die an den ihnen Vetrauenden und somit am meisten an Liebe und Wahrheit gevrefelt. Zuletzt erklärt Virgil, auf Dantes Befragen, noch, warum die Wucherer mit zu den Gewalttätern gegen Gott gerechnet sind, und ermahnt seinen Schüler, da schon der Morgen herannahe, zum Weitergehen.
Als Symbol der Vertierten oder Gewalttätigen gegen den Nächsten, sich und Gott, tritt den Dichtern, am Eingange in den ersten Kreis der tieferen Hölle, das, durch naturwidrigen Trieb entstandene Halbtier, der Minotaurus entgegen. Virgil erinnert ihn an seinen Untergang durch Thesus, und das ehemals menschenverschlingende Ungeheuer fällt sich selbst an, in unmächtiger Schattenwut, so dass die Dichter Zeit behalten, die furchtbare Zertrümmerung dieses Randes hinabzuklimmen. Die Steine regen sich unter Dantes Füßen und er erfährt, dass dieses Ufer des heißen Blutstroms, worin die Gewalttätigen am Nächsten leiden, bei Christi Verscheiden so zertrümmert. (Hier ließt man zwischen den Zeilen: "weil an ihm Gewalt verübt worden".) Das Blut ihrer Erschlagenen tritt hier vor der Sünder Bewusstsein, mehr oder minder hoch und heiß sprudelnd wie aus frischen Wunden. Centauren, die Bilder raschvertilgender Wut, umjagen beständig die Sünder, drohend mit Geschossen. Nessus hält die Dichter an; Virgil aber sagt: er werde Chiron Rede stehen, und bittet diesen, seinen Auftrag erzählend, um einen Geleiter, der auch Dante über die Furt trage; da er noch nicht wie die Seelen auf der Luft wandeln könne. Der weise Chiron, hier das Insichgehen der Sünder vorbildend, welches übereilter Tat folgt, gebeut Nessus ihren Willen zu tun. Dieser geleitet sie also und trägt Dante, wo der Strom seichter und seichter wird, über die Furt. Auf dem Wege zeigt er ihnen in dem Blute leidende Tyrannen: Alexander, Dionys, Azzolin und Obizzo von Esti; dann, seitwärts einsam, den Schatten Guidos von Montfort, der in der Kirche mordete und nicht genannt, nur bezeichnet wird. Außer diesen nennt er ihnen, als die da seufzen, wo der Strom wieder tiefer wird: Attila, Pyrrhus von Epirus, Sextus Pompejus, Rinier von Corneto und Rinier Pazza. Hierauf veerlässt der die Dichter, nach Erfüllung seines Auftrages, am inneren Rande des Blutstroms und sprengt durch die Furt zurück.
Über den Blutstrom gelangt, betritt Dante den zweiten Kreis der Gewalttätigen, den Wald der in wildes Dorngestrüpp verwandelten Selbstmörder, den Aufenthalt der missgestalteten Unglücksvögel, der Harpyen. Er hört mneschliche Wehklagen, sieht aber niemanden, der sie ausstößt. Da heißt ihn Virgil einen Zweig abbrechen. Als er ihm gehorcht, blutet der verletzte Stamm und fängt an zu schelten, erzählt aber, auf Virgils freundlichen Zuspruch, dass er, der Vertraute Friedrich des Zweiten, Pietro delle Vigne, sich selbst entleibt habe, als man ihn fälschlich des Verrates an seinem Herrn beschuldigt. Er bittet seinen Namen von dem Schlage der Missgunst wieder aufzurichten und gibt weitere Kunde von dem Zustande in diesem Kreise. Wenn die Seele, düsteren Unglücksgedanken Raum gebend, verwildert und sich selbst gewaltsam von ihrem Leibe trennt, bleibt die Trennung in ihrer Vorstellung ewig. Im Gefühl ihrer Unwürdigkeit fällt die an Gott verweifelte, Menschengestalt verlierend, dem Zufall anheimgegeben, eine Lebensstufe tiefer und wird ein hässlich verkrüppeltes Dorngewächs, in dessen Gezweige die zu trüben Vorstellungen, welche sie zum Frevel getrieben, in Gestalt der scheußlichen Harpyen ewig nisten. Sie vermag sich ihrer nun nicht mehr zu erwehren und hat keine andere Lebensäußerung als Klage, wenn sie an ihr nagen und zehren. Selbst am jüngsten Tage holt sie ihren Leib nur, damit er sie, an ihrem Gezweig aufgehangen, beständig ihres Frevels gemahne. Den Leib zu bewohnen, achtet sie sich selbst nicht würdig. - Während Dante dies von dem blutenden Stamme vernimmt: brechen, vor schwarzen Hündinnen (ewig jagenden Sorgen) fliehend, zwei menschlichgestaltete Schatten verwüstend durch das Dickicht. Der Vordere, Lano, ein Verschwender, welcher, in Sorgen verzweifelnd, den Tod im Gefecht gesucht, ruft, noch jenseits geängstet, den Tod an, aber vergeblich: die Seele stirbt nicht. Der andere, Jakopo von Sant Andrea, kam, nach Vergeudung seines Gutes, in Verzweiflung um: deshalb sieht ihn hier der Dichter von den schwarzen Hündinnen (den Sorgen), als er sich atemlos in einem Busche verbirgt, ergreifen und zerfleischen und zerstückt davontragen. Der dabei verletzte Busch klagt und bittet Dante, seine zerstreuten Blätter wieder um ihn zu sammeln, gibt einen abergläubigen Grund, künftigen Kriegsunglückes der Stadt Florenz, an, und schließt mit der Nachricht: dass er sich das eigene Haus zum Galgen gemacht: indem er sich darin erhenkt.
Dante sammelt die zerstreuten Blätter um den klagenden Stamm und betritt den dritten Kreis der Gewaltthätigen, wo die Gewaltthätigen gegen Gott Strafe leiden. Das Licht göttlicher Liebe und Wahrheit, welches die Heiligen beseligt, die sich Bessernden läutert, selbst die guten Heiden in der Vorhölle noch heiter umstrahlt, sahen wir schon den Läugnern der Unsterblichkeit zur Qual werden; doch traf es dort nur die Grüfte derselben, die Sinnbilder des ewigen Todes, den sie gelehrt; - aber dem Bewußtsein derer, die sich unmittelbar an Gott versündigt, wird es zur unmittelbaren Qual, und der Dichter sieht es hier nicht als einiges Licht, sondern in Gestalt zerrissner, sengender Feuerflocken auf die Schuldigen herabfallen, die entweder durch tolle Läuterung, oder widernatürliche Entweihung der Liebe, oder durch Wucher gewaltthätig wider Gott handelten. Die erste Schaar, die der Lästerer, liegt zu Boden geschmettert auf ödem fruchtlosen Sandgefilde, noch immer ohmächtig trotzend, und nicht eigentlich die Flammenerscheinung Gottes; sondern ihr eigner Trotz dagegen, ist ihre Qual. Diesen tiefen Gedanken sehn wir an Kapaneus vorgebildet, mit welchem Virgil spricht. - Die zweite Schaar, welche die Liebe entweiht hat, ist in ewiger Flucht vor den reinen Flammen, die nur den ewig Unreinen Brandmale sengen, während die sich wieder zu Gott Wendenden selbst der Heide Virgil, wie die selige Beatrice davon nicht verletzt werden. - Die dritte Schaar, die der Wucherer, krümmt sich in sich zusammen, hält die eitle nun leere Geldtasche noch immer fest und strebt vergebens sich die Gedanken an Gottes Güte abzuwehren, welche sie brennend überfallen; weil sie an ihr gefrevelt. Nachdem die Dichter immer am Walde hingehend, an deer ersten Schaar vorüber sind, gelangen sie zu einem blutrothen Bach: Virgil sagt: derselbe sei merkwürdiger als alles bisher Erblickte, und erklärt seinem Schüler die Entstehung der Höllenflüsse, die eigentlich immer derselbe Sündenstrom sind. Er hat seinen Ursprung aus der Zeiten Verderbniß, die in dem aus Gold, Silber, Kupfer, Eisen und Thon geformten und zersprungnen Bilde eines Greises versinnlicht wird, fließt nicht ins Meer, sondern in den Abgrund, zuerst den traurigen Acheron dann den heißen Styx, dann tiefer den von Blut kochenden Phlegeton, zuletzt aber um den Dis, von dem alle Trauer kommt, den durch diesen erstarrenden Cocytus bildend. Dante frägt nach dem Lethe, Virgil aber sagt ihm: der sei nicht in der Hölle, sondern jenseits, außerhalb, wo bessere Seelen sich nach vollbrachter Buße waschen. Hierauf durchschneiden sie den Kreis, am versteinerten Ufer des Baches hinwandelnd. Ueber demselben erlischt natürlich das göttliche Flammen, eben weil der Strom der verdunkelnde Sündenstrom ist: wo er sich zuletzt als Cocytus sammelt schwindet auch elle Wärme.
Der Sündenstrom verhüllt sich wider die göttlichen Flammen in finsteren Qualm. Auf einem seiner nur schwachen Dämme wandern die Dichter dahin und erblicken nun die Seelen derer, die sich mit widernatürlicher Unzucht befleckt. Gleichsam lichtscheu fliehen diese Unreinen die reinen göttlichen Flammen. Nicht in dem Licht, in ihnen selbst in dem sündhaften Boden, auf dem sie wandeln, ist ihre Qual (s. Hölle 14,73), der Feuerregen besteht aus Teilen göttlichen Lichtes, höllische Flammen gibt es bei Dante nicht. Das Böse ist bei ihm dunkel und leidet vom göttlichen, himmlischen Licht nur, weil es ihm ewig entgegensteht. Im ersten Buche Moses 19,24 heißt es ausdrücklich: "Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen von dem Herrn, vom Himmel herab auf Sodom und Gomorrha." Dieses himmlische Feuer vom Herrn peinigt nach Epistel Judae 7 Sodom ewiglich, und Dante hat diese Vorstellungen in sein großes Ganze verwebt. Die widernatürlich Unkeuschen trotzen dem göttlichen Lichte nicht wie die Lästerer, sie ertragen wie Adam nach dem Sündenfall das Nahen Gottes nicht, sie fliehen, als schämten sie sich ihrer Sünde, und wagen nicht stehen zu bleiben. Dieser Zustand ist trefflich geschildert an einem der Sünder, Dantes ehemaligen Lehrer, Brunetto Latini, der ihm entgegenkommt, nicht stehen bleiben will, aber umkehrt und eine Zeitlang mit ihm wandelt. Derselbe schilt die Sitten der Florentiner, ermahnt Dante, sich davon zu säubern, ermutigt ihn zu seinem Werke und sagt ihm endlich gar, dass seine dereinstige Verbannung aus Florenz zu seinem Seelenheil gereichen werde: alles Charakterzüge, die beweisen, dass Dante diesen Sündern erwachte Furcht vor der Gottheit und teilweise Erkenntnis des Göttlichen beilegt, Brunetto Latini nennt ihm noch einige der hier leidenden Sünder, worunter viele Jugendlehrer, und eilt sodann, seine Schar wieder einzuholen.
Die Wandernden vernehmen nun schon das Brausen des zu dem Kreise der Trügenden hinabstürzenden Sündenstromes. Da trennen sich drei der vorüberfliehenden Schatten von der Schar der Übrigen und bitten Dante stehen zu bleiben. Er tut es, nach dem Virgil gesagt: dass sie, ihren Fehl ausgenommen, ehrenwerte Männer seien.Sie fassen sich alle drei bei den Händen und laufen so im Kreise umher, da sie nicht wagen, still zu stehen. Dante erfährt, dass zwei der Schatten von jenen sind, wonach der Ciacco gefragt (Hölle 6,79), nämlich Tegghiajo Aldobrandi und Jakopo Rusticucci; der dritte aber ist Guidoguerra. Alle sind Florentiner und Dante bezeigt ihnen als Staatsmännern solche Achtung, dass er sagt, er würde unter sie hinabgesprungen sein, wäre die Glut nicht gewesen. Rusticucci fragt den Dichter: ob noch Großmut und Edelsinn in Florenz herrschen? Dante aber ruft aus: dass das neue Volk, das vom Land und aus der Fremde in die Stadt gezogen, und plötzlich erworbener Reichtum Florenz stolz und übermütig gemacht, worüber es bereits zu weinen habe. Die drei Florentiner bekräftigen das Treffende seines Ausrufs, lösen ihr Rad auf und eilen ihrer Schar nach. Weiterhin gelangt Dante, wo der Sündenstrom tosend in den Abgrund stürzt. Virgil will seinem Schüler nun das Bild des Trugs in aller Anschaulichkeit aus dem Abgrunde herauf erscheinen lassen, was nicht geschehen kann, wenn Dante sich nicht aller List entäußert: er heißt ihn deshalb das Symbol der List, den Strick abnehmen, womit er noch umwunden ist und womit er einst den Panter, d. h. das sinnliche Vergnügen, listig erhaschen wollen. Dante gibt ihn als ein verwickeltes Knäuel an Virgil und dieser schleudert es in den Abgrund. Da erhebt sich nach und nach aus der dunklen Tiefe das ganze scheußliche Bild des Truges von Dantes Auge. Wir findes es zu Anfang des siebzehnten Gesanges vollständig geschildert.
Der dreileibige Gerion des Altertums, der, schändlichen Verrat übend, die Fremden seinen Stieren vorwarf, bis Herkules ihn dreimal getötet, erscheint hier, poetisch umgestaltet, als Bild des Truges, mit ehrlichen Mannes Antlitz, mit nach Katzenart in Haar verborgenen Klauen und mit rätselhaft buntem, geringeltem und geschildetem Schlangenkleide, dessen Schwanz nach Skorpionenart in eine spitze Gabel endigt. Sein Benehmen ist seinem Sinn gemäß: er landet vorsichtig nur mit dem Leibe und, auf Fang lauernd, schaukelt er seinen Schweif, die alles durchbohrende, hinterlistige Waffe in der Luft. Als die Dichter zu ihm hinabgehen, gewahrt Dante auf einem Vorpsurnge des glühenden Sandfeldes, gegen den Abrund des Betrugs hin, die Seelen der Wucherer sitzen, die, zu ewiger Erinnerung, ihren Geldsäckel vor der Brust hängen haben, darauf noch das Wappen, das sie geschändet. Ihre Sünde hängt ihnen ewig an und sie krümmen sich in sich zusammen, wenn die Gedanken an Gott, an dem sie sich versündigt, sie in Gestalt sengender Feuerflocken überfallen. Sie sprechen höhnend von noch Lebenden, die ihren Adel durch Wucher schänden, und Dante verweilt nicht lange bei diesen Unkenntlichen; sondern eilt zu Virgil, welcher bereits die Schultern des gefälligen Truges erstiegen. Nicht ohne große Furcht, klimmt Dante zu ihm hinauf; aber Virgil (die Einsicht) schirmt ihn gegen den drohenden Schweif des Ungeheuers, indem er sich zwischen denselben und seinen Schüler setzt. So fliegen sie in mannigfachen Kreisen hinunter, zu dem nach und nach deutlicher erdämmernden Abgrund, wo Gerion sie, dem zum Cocyt hinabstürzenden Sündenstrom zur Linken, niedersetzt und unwillig, dass er Virgil (der Einsicht) halben, keinen Trug vollführen können, von dannen eilt, wie ein geschnellter Pfeil.
Dante hat, auf Gerion hinabschwebend, den ganzen tieferen Höllenraum erblickt und schildert ihn nun im Allgemeinen als einen tiefabstürzenden Kessel, dessen Rand zehn Klüfte ringförmig umgeben, überbrückt von mächtigen Felsen. Diese zehn Klüfte, Übelbulgen genannt, nehmen die Trügenden auf; aber der tiefere, brunnenartige Kessel die Verräter und den Lucifer oder Dis, im Eise des Cocytus, er reicht bis zur Mitte der Erde, die zugleich des Weltalls Mitte ist. Die Dichter gelangen nun zur ersten der Klüfte (Bulgen), wo gehörnte Dämonen, ihnen gleichsam die von denselben Betrogenen vor die Seele bringend, Kuppler und Verführer geißelnd vor sich hertreiben. In sinnreicher Ordnung laufen die Kuppler und Verführer einander entgegen. Von den ersten gegen die Dichter kommenden erkennt Dante den Bologneser und Guelfen Caccianimico, welcher beschämt das Antlitz bergen will, ihm aber zuletzt erzählt, dass er seine Schwester, die schöne Ghisola veredet, sich dem Marchese Obizzo von Esti zu ergeben. Nachdem er noch vernommen, dass der Ort von Bolognesern wimmle, beschreitet Dante die erste Felsbrücke, von welcher sie nun den Durchzug der Verführer betrachten. Entgegen kommt ihnen nun Jason, der hier als Verführer der Hysipyle und Medea büßt; aber selbst in dieser Schande sein königliches Aussehen bewahrt. Hierauf gelangt Dante zur zweiten Bulge, die so tief und eng ist, dass man nur von der Höhe ihrer Überbrückung in sie hinabschauen kann. In deren Tiefe sieht er die Schmeichler, vor deren unreines Bewusstsein, was sie an Menschen gelobt, nun geradezu in Gestalt ihres Kotes tritt, in welchem sie sich ganz versunken erscheinen. Der eine, Alessio Interminei von Lucca, schlägt sich, als Dante ihn trotz des Schmutzes erkennt, verzweifelnd und sich selbst Vorwürfe machend, an das leere Haupt. Nachdem Virgil seinem Schüler noch die schmeichelnde Buhlerin Thais, in gleichem Unflat gezeigt, eilen sie von der alle Sinne beleidigenden Kluft hinweg.
Angekommen über der dritten Bulge, sieht Dante die Seelen, welche sich der Sünde Simons des Zauberers schuldig gemacht d. h. um irdischen Gewinnes willen geistliche Ämter erstrebt oder Handel damit getrieben. Ihre Strafe besteht darin, daß sie mit Haupt und Leib tief in den Boden gesenkt sind, aus dem allein die Füße ragen. Das göttliche Licht der reinen Lehre, das sie gleichsam mit Füßen getreten, wandelt nun, nachdem ihr Gewissen erwacht ist, in sinnlicher Gestalt von Flammen, hin und her auf ihren Sohlen, während sie sich selbst ganz in das Irdische gesenkt erkennen. Sie wissen, daß sie immer tiefer einsinken: die Nachfolgenden fallen dem Bewußtsein der Vorgänger immer mit zur Last; weil ein Mißbrauch andre nach sich zieht. Die Reihenfolge der so zur Tiefe hinabsinkenden, kirchlichen Sünder erinnert an das Hinabfließen des Sündenstromes, der die allgemeine Verderbnis darstellt (siehe Hölle 13). - Die Tiefe dieser Kluft ist so entsetzlich, daß Dante nur von der Erkenntnis selbst, von Virgil, hinabgetgragen, den Sündern naht. Er spricht mit dem Papst Nicolaus V., der ihn anfänglich für Papst Bonifazius hält, seine Sünden erzählt und viele, noch ärgere Nachfolger nennt, die ihn in die Tiefe hinabdrücken werden. Unser Dichter läßt sich gegen denselben kräftig über die Entweihung der päpstlichen Würde durch Anraffen von Schätzen aus, wozu Hölle 1 V. 97 u. w. trefflich stimmt. Virgil (Einsicht) hört ihm zufrieden zu, und trägt ihn dann wieder aus diesem verderblichen Abgrund empor, bis auf die steile Brücke, die über die folgende, die vierte Bulge führt.
Von der Brücke, wohinauf Virgil ihn getragen, sieht Dante in der vierten Bulge die Seelen, welche frevelhaft die Erkenntniß der Zukunft erstrebt: sie sind damit gestraft, daß ihr Antlitz sammt dem Leibe, bis an die Hüfte, gänzlich nach rückwärts umgekehrt ist, so daß sie nicht vermögend sind nach vorwärts zu schauen. Sie wollten auf Erden das Geheimniß Gottes, die Zukunft, welche die Heiligen glaubensvoll in Gott schauen, durch frevelhafte Mittel erspähen. Ihr erwachtes Bewußtsein nennt sie daher jenseits dieser Gnade so unwürdig, daß sie sich, gleichsam ewig beschämt zurückwenden und ihren Frevel beweinen. Ihr Zug ist so langsam wie der einer Litanei, wodurch ihr trauriges Nachsinnen noch mehr hervorgehoben wird. Dante weint vor Mitleid; aber Virgil schilt diesen Antheil Sünde an der Gerechtigkeit Gottes, und zeigt ihm unter den Vorübergehenden zuerst den Zeichendeuter Amphiaraus, bei welchem, im obigen Sinne bedeutsam, Minos (das erwachte Bewußtsein der Schuld) erwähnt wird: dann den Tiresias von Theben und den hetrurischen Aruns: ferner Tiresias Tochter Manto, bei welcher der alte Dichter der Entstehung seiner Vaterstad Mantua, ausführlich gedenkt. Nachdem er noch Eurypilus, Michael Scotus, Guido Bonnati und Asdente erwähnt und der Zauberinnen gedacht, treibt er Dante zum Forteilen an: indem der Mond schon sinke. Hierauf verlassen sie diese Brücke und wandern zur folgenden. Vgl. Matth. 17, 16; Luc. 9, 41 und Weish. 1, 3.
Die Wandernden betreten die folgende Brücke, von deren Höhe Dante in die fünfte, sehr dunkle Bulge hinabschaut. Hier sind die bestechlichen Amtleute gestraft. Wie, vor das Bewußtsein der Gewaltthätigen am Nächsten, das Blut der Erschlagenen tritt (Hölle 12), umgiebt die Seelen dieser Sünder das Bewußtsein ihres unreinen Thuns, in Gestalt einer ihnen ewig anhaftenden, unreinen, dunklen Masse: wollen sie auftauchen, so erscheinen ihnen alle ihre Sünden (wie den Gewaltthätigen Hölle 12 die Centauren), vorgebildet in einer Schaar gräßlicher Dämonen und stoßen sie desto zerrissener und tiefer in ihren ewigen Zustand zurück. Zuerst sieht Dante nicht die Sünder, nur die sie bedeckende schwarze Masse. Indem er da hinabstarrt, bringt ein Dämon einen Rathsherrn aus Lucca, wirft ihn in die Tiefe und eilt zurück, noch Andre aus jener Stadt zu holen. Die, nicht ohne Sinn, hinterlistig unter der Brücke versteckten Dämonen (seine Sünden), ergreifen den Hinabgeworfenen mit Hacken und drücken ihn in den zähen Pechbrei hinab. Virgil giebt Dante den Rath, sich vorsichtig hinter einer Klippe zu bergen, und geht vollends über die Brücke, mit den Dämonen zu reden. Sie stürzen wüthend auf Virgil ein; der aber sagt: er wolle mit Einem von ihnen sprechen. Da tritt Uebelschwanz (Hölle 17, V. 1) trotzig hervor, läßt aber den Haken sinken und gebietet den Andern Ruhe, als Virgil ihm sagt, die Wandrung sei im Himmel beschlossen. Dante tritt nun auch hinzu; da will der Dämon Wirrwarr ihn, mit Bewilligung der Andern, zerfleischen; Uebelschwanz aber gebeut ihm Ruhe und bietet, mit hinterlistiger Gefälligkeit, den Wandernden eine Schaar der Seinigen zum Geleit an, fälschlich vorgebend: die Brücke über die nächste Bulge sei nur hier gestürzt, weiterhin sei noch eine unversehrt. Zu diesem Geleit ruft er zehn Dämonen auf, zu Aller Anführer aber, sehr sinnvoll, den ehrwürdigen Wirrebart, der ihnen hierauf mit einer so vertrackten Pfeife vorangeht, daß die Vertracktheit und Gemeinheit der hier bestraften Sünder kräftig genug gespiegelt erscheint. - Die Dichter folgen, Dante nicht ohne Furcht, dem verdächtigen Geleite.
Die Dichter gehn am Rande der Kluft hin, im Geleit der Dämonen, deren Gehaben sich nun, gemäß ihren Namen, dramatisch entwickelt. Wo der Anführer, der ehrwürdige Wirrbart erscheint, tauchen die Sünder, welche sich Delphinen gleich gelüftet, ängstlich nieder; Dämon Kratzenhund aber bemerkt einen, der hervorsieht und hakt ihn am Kopf an. Alle schreien: Dämon Rotherboßt solle ihn augenblicklich zerfleischen! Auf Dantes Bitte befrägt Virgil den Gequälten: wer er sei? Eben offenbart er sich als Navarresen, und König Thibauts bestechlichen Diener, als ihn Dämon Schindsau mit seinem Eberzahn reißt. Nun zerrt ihn der ehrwürdige Wirrebart zu sich, aus der Gewalt der Andern und hält ihn, als Obman grausamgefällig, mit der Gabel, damit Virgil mehr von ihm vernehmen könne. Als er eben mehr hier befindliche Sardinier nennen will, kann Dämon Gierbrand sich nicht halten und hakt ihm einen Fetzen vom Arme und Dämon Giftbrache will ihn heimlich zwicken, als Wiirebarts Zorn Alle stillt. Der so gleichsam von seinen eignen Verbrechen gequälte Sünder erzählt nun: daß ihm nachbarlich zwei Sardinier in der Pein seien: Fra Gomita und Herr Michael Zanche. Er fürchtet sich aber plötzlich vor dem Dämon Firlefanz, doch als dieser durch Wirrebarts Drohn gestillt ist, verspricht er den Dichtern an seiner Statt sieben Tusker und Lombarden, mit einem Pfiff aus dem Pech zu locken, falls die schreckenden Dämonen einen Augenblick zurücktreten wollten. Dämon Klaffhund ahnt hierin seine Absicht zu entschlüpfen und macht Einwendung. Nun gesteht der schlaue Sünder schändlich zu handeln, indem er seine Genossen in Noth bringen wolle. Dieses Wort aber lockt grade den schadenfrohen Dämon Andreducker, die übrigen zum Zurücktreten zu bereden; dabei aber droht er dem Sünder ihn selbst bis über das Pech zu verfolgen, wenn er die Freiheit zum Entspringen benütze. Die Dämonen treten zurück. Der Navarese ersieht sich den Augenblick und entschlüpft unter das Pech; Andreducker, ihm nachgeschwungen, erreicht ihn nicht und schwebt erzürnt empor, wird aber von dem ruchlosen Dämon Gnadentreten angefallen und stürzt mit diesem kämpfend in das Pech, dessen göttliche Glut sogleich Frieden stiftet. Die gottlosen Dämonen vermögen sich nicht zu erheben, da sendet Wirrebart trauernd die Uebrigen hinab, sie mit Haken hervorzuziehen. In dieser Beschäftigung werden sie von den Dichtern verlassen.
Die Dichter wandeln unbegleitet weiter. Dante fürchtet, die wegen ihnen beleidigten Dämonen möchten ihnen nachjagen. Virgil sinnt auf Rettung und als die Dämonen herangestürmt kommen, umfaßt er seinen Schützling und giebt sich mit ihm dem Abhange der nächsten Bulge hin. Den Dämonen ist die Gewalt benommen, ihnen zu folgen (sie bilden nur die Sünden ihres Kreises vor): Die Geretteten aber betreten den Abgrund der getünchten Heuchler. Diese schreiten, gleichsam in frommer Prozession, langsam einher, in Mönchskutten, die, außen vergoldet blenden, innen aber von Blei sind und schwer auf ihnen lasten. Während die wahrhaft Heiligen, von allem Irdischen entäußert, in den freien Himmel schweben, empfinden die Seelen der Scheinheiligen jenseits, daß das Blei irdischen Sinnes sie zu Boden zieht; daß sie nur "getünchte Gräber" sind, daß ihre Hülle nur von außen der heiligen gleicht, während innen trauriges Elend wohnt. - Dante spricht mit einem der Sünder, Fra Catalano aus Florenz, und will eben dessen Thun schelten, als er Kaiphas gekreuzigt am Boden sieht: weil seine Sünde offenbar geworden, ist er nackend und muß die andern Heuchler über sich hinschreiten lassen: er hatte (s. Ev. Joh. Cap. 11 V. 50) den Rath gegeben, einen Menschen (Christum) für das Volk zu opfern, nun straft ihn sein Bewußtsein, Minos, damit, daß er Vieler Last empfindet. Gleiche Strafe leiden die Theilhaber jenes Rathes. Virgil befragt nun den Bruder Catalano um einen Ausweg aus dieser Kluft, und erfährt von ihm, daß alle Brücken über dieselbe eingestürzt seien, wolle er ihr entkommen, so möge er versuchen, auf den Trümmern der nächsten Brücke hinauszuklimmen. Virgil, erkennend wie Dämon Uebelschwanz ihn belogen (Hölle 21 V. 106) eilt zürnend, dem gegebenen Rath nachzukommen und Dante folgt ihm.
Dante, betrübt von der Stimmung Virgils, wird durch dessen sanftes Anschaun wieder getröstet und gelangt mit seiner Hülfe, wiewohl mühsam, auf den Trümmern der zerschellten Brücke, wieder aus der Kluft der Heuchler, auf die Brücke der nächsten Bulge. Da er von dort aus nicht deutlich entnehmen kann, was darin vorgeht, steigen sie am Rande jenseits hinab. Nun sieht Dante die Strafe der Diebe. Ihr Bewußtsein (Minos) straft dieselben mit dem Anblick ihrer Sünden, in Gestalt schleichender und überfallender Schlange, denen sie vergeblich zu entfliehen trachten: wie sie auf Erden das Eigenthum raubten und verwirrten, rauben und verwirren ihnen die Schlangen ihr letzes Eigenthum, ihre menschliche Gestalt. Zuerst sieht Dante den Kirchenräuber Vanni Fucci aus Pistoja, vom Biß einer feurigen Schlange, zu Asche zerfallen, welcher Vorgang an die feurigen Schlangen erinnert, womit Gott die widersetzlichen Israeliten strafte (4. Buch Mos. Cap. 21 V. 6). Die Asche Vanni Fuccis sammelt sich wieder und seine Gestalt erneuet sich. Als sich Dante wundert, ihn, der so viel offne Mordthaten begangen, in dieser Bulge zu finden, gesteht er beschämt, daß er Kirchengefäße gestohlen, für welchen Frevel man Andre gehenkt habe. Damit Dante sich nicht freue ihn hier zu sehn, sagt er ihm das Unglück der Weißen in Picenerfelde voraus.
Kaum wieder zu seiner Gestalt gelangt, beginnt der Kirchenräuber Gott zu lästern, wird aber von den Gedanken an seine Sünden, von den Schlangen, so bewältigt, daß er nicht weiter sprechen kann und endlich flüchtet. Ihm nach jagt der Centaur Cakus, welcher, mit Bezug auf die Centauren des 12. Gesanges, Mord und Diebstahl zugleich vorbildet, daher grade hier gegen den Mörder und Dieb Fucci sehr sinnreich auftritt: auf seinem Rücken liegt der göttliche Drache, der die, dem Gericht Gottes Trotzenden, welche nicht fliehen, mit Flammen überschüttet (Hölle 15 V. 37). Nun sieht Dante wie einer der Sünder, von einem Andern, der zur Schlange geworden, plötzlich angefallen wird, so daß er mit ihm zusammenfließend eine Ungestalt, ein Bild des verwirrten letzen Eigenthums darstellt. Auf einen andern Dieb fährt eine andere Schlange los, verwundet ihn am Nabel und fällt vor ihm zu Boden. Nun sieht Dante, wie die Schlange sich in den Menschen und der Mensch in die Schlange verwandelt, und ein jedes mit der Gestalt des Andern davon zieht. Deutlich ist darin die Idee versinnlicht, daß die Diebe gar nichts Eignes haben, indem sie sich des Fremden anmaßen. Ihr Thun ist hier wie bei den Zornigen (Hölle 7 V. 112) ihre Strafe, recht im Sinne Salomons, welcher (B. d. Weisheit Cap. 11 V. 17), bei Gelegenheit der Schlangenplage Egyptens, sagt: die Egypter seien mit Schlangen gestraft worden: weil sie Schlangen angebetet: "denn womit Einer sündigt, damit wird er geplaget." - Die Verwandelten fliehn von dannen.
Nachdem er der Stadt Florenz (die so arge Bürger ernährt, wie die fünf, Hölle 24 unde 25 erwähnten Diebe) schweres Unglück vorhergesagt, erzählt Dante wie er zur achten Bulge gelangt, worin die bösen Rathgeber von einzelnen Flammen hinweggestohlen umherwandeln. Der Sinn dieser Strafe ist: Wer Andern bösen Rath giebt, versündigt sich an dem Licht, das ihm Gott vor Andern gegeben hat: er entführt es, er stiehlt es Gott. Dieses Gott entwendete Licht wird jenseits vor der Sünder erwachten Bewußtsein (Minos) brennende Qual. Die heiligen Rathgeber wie Elias (V. 35) wenden ihr Licht Gott zu, fahren daher in demselben, Gott verbunden, in den Himmel; die bösen Rathgeber aber begleitet das Gott entwandte Licht in die Hölle hinab, und jemehr sie dessen entwandt, desto größer ist ihre Qual. Sie werden davon nach des Dichters Ausdruck hinweggestohlen, im Sinn der heil. Schrift (B. d. Weisheit Cap. 11 V. 17): "womit einer sündigt, damit wird er geplagt." Diese geistigen Diebe sehen wir hier ganz entrückt: während wir die Diebe am äußern Eigenthum nur ihres letzten äußern Eigenthums, ihrer Gestalt beraubt sahen (Hölle 24 und 25). - Unter den Lichtern des Abgrunds erblickt unser Dichter eine Doppelflamme, und bittet Virgil zu warten, bis sie herankäme. Letzterer sagt ihm, daß darin Ulysses und Diomedes, die vereint durch bösen Rath gesündigt, vereint Qual litten, auch mit Bezug auf das römische Riech, für den Diebstahl am Palladium. Auf Virgils Befragung erzählt die größere Spitze der Flamme, Ulysses, wie er durch eigne Schuld verloren gegangen, indem er seine Genossen irre geführt, bis über die Säulen des Herkules hinaus, und, göttlichen Willen zuwider, an den Fegefeuerberge auf der jenseitigen Halbkugel landen wollen: da habe Gottes Wirbelsturm sein Schiff ergriffen und versenkt. Ulysses steht hier als potenzirtes Bild irreführenden Rathes. (Zu vergleichen ist über die Strafe Jerem. 23 wo es V. 29 heißt: "Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der Herr ... darum siehe, ich will an die Propheten, ... die mein Wort stehlen einer dem andern ... und verführen mein Volk mit ihren Lügen und losen Theildingen." Hiezu stimmt das heidnische Bild vom Stehlen des Weisheitsymboles, des Palladiums; auch wird in derselben Schriftstelle V. 19 der Wirbelwind erwähnt, der über die Irreführenden kommen soll.)
Die Flamme des Ulysses schweigt und geht, von Virgil entlassen, weiter. Eine andre, den Grafen Guido von Montefeltro bergend, kommt heran und fragt Virgil: ob Krieg in der Romagna sei? Virgil heißt Dante reden und dieser schildert in wenigen, kräftigen Zügen den Zustand jenes Landes. Hierauf erzählt Guido, der Meinung, Dante könne nie zur Oberwelt zurückkehren, den schändlichen Rathschlag, den er dem Pabst Bonifacius gegeben, Penestrino zu stürzen: dann wie Franziskus und einer der schwarzen Cherubinen dieses Kreises sich um seine Seele gestritten und letzterer gesiegt habe: so daß er, Guido, nun von Minos, jenes Rathes wegen, zum Diebesfeuer verdammt sei. Die schwarzen Cherubinen waren einst die leuchtendsten Engel: sie wollten aber mit Lucifer das göttliche Licht entwenden; der Dichter setzt sie deshalb als Symbole des Lichtentwendens dem Höllenkreise vor, dessen Seelen, des Lichtdiebstahles wegen, im entwandten Licht Pein leiden. Die Flamme Guidos geht hinweg, die Dichter aber wandern zur neunten Bulge. Zu bemerken ist noch, daß hier die schwarzen Cherubinen der achten Bulge der Hölle vorstehn, wie wir die leuchtenden Cherubinen im achten Kreise des Himmels finden werden.
Dante erblickt nun in der neunten Bulge die Seelen derer, die Zwiespalt unter den Menschen gestiftet. Vor ihr, bei Minos erwachtes, Bewußtsein tritt nun ihre Sünde in dämonischer Gestalt, ihr Innerstes zu zerfleischen; mit dem Schwert der Zwietracht die Einigkeit engverbundner Teile zerstörend. Wenn sie ihren verhängnissvollen Kreis durchschritten, werden die kaum geheilten Wunden von ihrer Sünde die sie in ihrer ganzen Scheußlichkeit erblicken, wieder aufgerissen, so daß sie nie wieder eins werden. Unstreitig hat der Dichter hier den Gegensatz von 1. Kor. 12 V. 13 u. w. ausdrücken wollen, wo Paulus sagt, die Menschheit solle in Liebe einig sein und wie eines Leibes Glieder zusammenwirken. - Zuerst tritt vor die Betrachtenden Mahomet, der das einige Wachstum der Religion der Liebe gestört. Sein ganzer Leib ist zertrennt vom Kinn bis zum Steiß, die Größe seine Wunde ist der Größe der Trennung analog, die er stiftete. Was bei ihm noch zusammenhält, das Haupt, ist bei Ali vollends gespalten, weil dieser wiederum des Mahometanismus Einheit zerstört. Mahomet heißt Dante dem Sektierer Fra Dolcin sagen: er solle sich auf Hungersnot gefasst machen, die ihm den Sieg entreißen werde. Hierauf treten politische Unruhstifter auf. Pier da Medicina weissagt, Malatestino werde die Herren Guido von Cassaro und Angiolello von Cagnano freundlich einladen, aber verräterisch ins Meer werfen lassen: dann reißt er des Curio Mund auf: ... dem Stifter der römischen Unruhen, der Cäsar antrieb den Rubicon zu übersteigen, ist die kecke Zunge herausgeschnitten. Auch der Florentiner Mosca stellt sich nun dar (vergl. Hölle 6 V. 80), die abgehauenen Hände erhebend, klagt sich dieser Mann der Tat an, die Zwietracht in Tuscien gesäet zu haben. "Deinem Geschlecht zum Verderben" sagte Dante und betrübt ihn dadurch noch tiefer. Endlich hält Bertram von Bornio sein vom Rumpfe getrenntes Haupt den Dichtern entgegen und erzählt, wie er Vater und Sohn entzweit und dafür zur Vergeltung die Strafe leide, daß sein Hirn von seinem Ursprung im Rückenmark getrennt sei.
Dante kann sich von der gräßlichen Schau der neunten Bulge nicht sogleich trennen, weil er noch eines Verwandten Schatten, den von Geri del Bello sucht. Virgil sagt ihm: er sei bereits vorüber und habe Dante mit dem Finger gedroht; was Dante nun darauf deutet, daß sein Tod von den Verwandten noch ungerächt sei. - Hierauf gelangen die Wandernden zur letzten Bulge, zur zehnten, worin sie die Fälscher in unreiner Luft mit unzähligen Krankheiten gestraft finden. Es erfüllt sich hier der Fluch, der (s. d. 5 B. Mos. Cap. 28) über die, welche das Gesetz nicht halten, unter andern also ergeht: "Der Herr wird dich schlagen mit Schwulst, Fieber, Hitze, Brunst, Dürre, giftiger Luft ... mit Grind und Krätze, Wahnsinn, Blindheit und Rasen des Herzens ... und wirst auf deinen Wegen kein Glück haben und wirst Gewalt und Unrecht leiden müssen dein Lebelang und Niemand wird dir helfen" u. s. f. - Wie die Fälscher der Metalle, der Rede und der Person, Ungehöriges in Alles mischten, erscheinen sie sich nun ganz von materieller Unreinigkeit und geistiger Krankheit erfüllt. Der falsche Sinn ihres Thuns, der ihnen Schaden brachte, wird hier in zween Fälschern der Person, in Myrrhas und Schicchis rasenden Geistern vorgebildet, welche die Uebrigen sinnlos in der entsetzlichen Kluft hin und her schleppen (s. Hölle 30 V. 25). Zuerst spricht Dante mit Albero da Siena, der, im Sinn obigen Fluches, auf Erden ungerechter Weise verbrannt worden; aber hier schädlicher Alchymie wegen leidet, zusammen mit dem gleichartigen Sienesen Capocchio, der an ihm lehnet. Das Unreine ihres Thuns tritt vor ihr Bewußtsein in sinnlicher Gestalt von Krätze, von der sie sich ewig nicht befreien können. Da sie Metalle fälschten, ist ihre Seelenkrankheit materieller vorgebildet, als z. B. bei den Fälschern der Rede, die wir im folgenden Gesange mit hitzigem Fieber gestraft sehn (s. Hölle 30 V. 99). Capocchio, der in Siena verbrannt worden, ergreift die Gelegenheit, Schlimmes von dieser Stadt zu sagen.
Dante sieht nunmehr zween rasende Geister heranstürmen, die ihm von dem Aretiner Griffolino, als Schicchis und Myrrhas Seelen bezeichnet werden (über ihre Bedeutung s. d. Inh. v. Ges. 29). Myrrha, welche frevelhafte Liebe zum Verbrechen trieb, jagt vorüber, Schicchi aber, den irdischer Gewinn verlockt, packt den aus gleichem Motiv gesündigt habenden Capocchio an der Kehle, und schleift ihn von dannen. Nun erblickt Dante einen Wassersüchtigen am Boden; dieser bittet ihn sein, des Meister Adams Elend zu betrachten, der auf Erden Alles vollauf hatte, nun aber (wie der reiche Mann Luc. 16 V. 24) vergeblich nach einem Tröpflein Wasser schmachtet. Die Erinnerung an die schöne Gegend, in welcher er so schändlich gesündigt, mehrt seine Qual, der gewonnene falsche Reichthum ist zerronnen, seine Seele verschmachet, indem sie von unreinem Stoffe scheinbar wohlgenährt ist. Neben demselben erblickt Dante zween andere Seelen in hitzigem Fieber liegen: auf sein Befragen bezeichnet Meister Adam sie ihm als Wortverfälscher, die eine als Potiphars verläumderisches Weib, die andere als Sinon, welcher die Trojer durch Lüge verleitet, das hölzerne Pferd in die Stadt zu ziehen. (Das Irrereden im hitzigen Fieder vergleicht sich der Lüge). - Sinon erzürnt, sich von Meister Adam als schlecht bezeichnet zu hören, schlägt ihn auf seinen Wanst, welches von Jenem durch einen Faustschlag in's Gesicht erwiedert wird, worauf sich ein Zank entspinnt, worin beide sich ihre Sünden vorwerfen. Dante wird von Virgil gescholten, daß er dort so lange zuhört, und geht beschämt mit ihm von dannen.
Virgil hat den Dichter über seine Beschämung beruhigt. Sie wandeln nun nach dem Rande des mittleren Höllenschlundes. Eine düstere Dämmerung waltet hier. Der furchtbare Schall eines Hornes dringt zu Dantes Ohr. Er späht vorwärts und glaubt eine Menge Thürme den Rand des Abgrundes umragen zu sehen: Virgil aber sagt ihm: es seien Riesen, die mit dem halben Leib in dem Brunnen stünden. Nach und nach erblickt Dante sie wirklich und preist die Natur, daß sie nicht mehr solche Wesen schafft, wo sich der Geist mit ungeheurer Körperkraft zu bösem Thun verbindet. Die Riesen, welche sich mit Verrath und Gewalt an Gott versündigt haben, umgeben billig, halbhineingesenkt, den tiefsten Abgrund der Hölle, zugleich die furchtbare, erst jenseits gefesselte Gewalt des Verrathes überhaupt andeutend. Die Größe hier bestrafter Verbrechen wird gewissermaßen auch körperlich vorgebildet. - Zuerst stellt sich Nimrod, der Erbauer des Thurms zu Babel, dar, der wirren Lautes in unverständlicher Sprache seufzet. Virgil sagt, er klage sich selbst an, und ruft ihm zu: er solle lieber mit dem Horn blasen, als so wirre Sprache herausstoßen. Dann sagt er zu Dante: der Uebermuth desselben habe veranlaßt, daß man nun mehr als eine Sprache auf Erden habe. Nun gelangen die Wandernden zu dem mit Ketten fünfmal umwundenen Ephyaltes. Dante verlangt darauf auch den Briaseus zu sehen, Virgil aber sagt ihm: er sei fern von da, und führt ihn, während Ephyaltes seine Ketten schüttelt, zu Antäus, der ungefesselt ist. Auf Virgils Zureden ergreift der Riese ihn, der Dante umfasset, und setzt so beide in den Abgrund hinab. Nach Hiob 26 V. 5 seufzen die Riesen unter den Wassern (der Sündflut); Dante stellt sie an den Rand des Sündenstromes, welcher zu Eis erstarrt die ärgsten Sünder bedeckt (s. Hölle 34 V. 10-12 u. d. Anm.)
Die Musen werden um Beistand angerufen, der Höllenschilderung Schlußstein zu setzen; denn die Dichter betreten, dem Mittelpunkt der Erde nahend, den letzten Abgrund. Dieser nimmt den herniederrinnenden Sündenstrom auf (s. Hölle XIV V. 112 u. d. Anm.), der hier als Cocytussee von göttlicher Liebesglut widerstrebender, satanischer, lichtloser Kälte zu Eis erstarrend, die darein versenkten Verräther ewig fesselt. Hierhin drücken alle Lasten, hier ist, am entferntesten von Gott der furchtbarste Sündenzwang. Während die Seeligen in Gottes Nähe, ledig aller Last, in der endlosesten, lichtesten Freiheit schweben, gelöst in flammender Liebe zu Gott und seiner Schöpfung, ist hier die finsterste Finsterniß, die engste Enge, die kälteste Kälte, der abgeschlossenste Egoismus, mit all' seinem Haß, mit all' seiner gottentfernten, gottlosen Qual. Vier Abtheilungen hat der starre Cocytussee: die äußere, Caina, nimmt die Verräther an Verwandten auf, die zweite, Antenora, die Vaterlandsverräther, die dritte, Ptolemäa, die an Gastfreunden, die letzte, innerste, Giudecca, die an Wohlthätern und Gott. - Dante betritt zuerst die nach dem Brudermörder Cain benannte Caina (s. Hölle V V. 107) und sieht hier die Schatten noch so weit dem Eis entragen, als der Mensch vor Scham erröthet. Alle beugen, ewig beschämt, das Antlitz nieder und weinen: hier ist »in der äußersten Finsterniß Heulen und Zähnklappen.«. Die Thränen erstarren vor der Sünder Augen. Zween Brüder, die sich verrathen und getödtet, sind so dicht an einander gefroren, daß ihre Locken sich mischen. Als Dante sie anredet, heben sie die Häupter und wollen ihn anschaun, aber frierende Thränen schließen ihre Augen: in Wuth darüber stoßen sie sich wie Böcke; denn es ist nicht Liebe, es ist Haß, der den Einen ewig dicht vor die Phantasie des Andern stellt. Ein andrer Verräther, Camiccion dei Pazzi, verräth, daß sie aus dem Geschlecht der Alberti da Mangone stammen, und nennt ihm dazu noch den Sassol Mascheroni, welcher dicht vor ihm steht. Hierauf betritt Dante die zweite Abtheilung, die nach dem Troianer Antenor benannte Antenora. Hier stößt er den Landesverräther Bocca, ohne es zu wollen, mit dem Fuß an's Haupt. Als dieser ihn ausschilt, nimmt er ihn bei den Haaren und will ihn zwingen, sich zu nennen Da verräth ein anderer Landesverräther dessen Namen. Bocca rächt sich dafür, indem er wieder Jenen nennt und noch viele Andre, die hier Strafe leiden. Endlich erblickt Dante Zween in ein Loch gefroren, davon der Eine des Andern Haupt benagt, und befragt den Nagenden, was ihn zu solchem viehischen Hassen treibe? versprechend: er wolle die Schande des Gehaßten auf Erden ausbreiten, dafern seine Zunge nicht verdorre. - Die Liebenden (s. Hölle V V. 77 u. w.) beschwor Dante bei ihrer Liebe, den Verräther bewegt er durch Antheil an seinem Hasse.
Der Sünder erhebt sein Haupt von dem grausen Mahle, giebt sich als Graf Ugolino, den Benagten aber als den Erzbischof Ruggieri zu erkennen, erzählt dann, wie dieser ihn sammt Söhnen und Enkeln verrätherisch gefangen, in einen Thurm sperren und verhungern lassen. Nach vollendeter Erzählung nimmt er das benagte Haupt wieder in die Zähne. Der Sinn der Gruppe ist dieser: Ruggieri's Phantasie muß demselben, nach erwachtem Bewußtsein, beständig das Bild des hungernden Ugolino nahe bringen: so wie Jener ewig den Gehaßten vor sich sieht und keine andere Empfindung mehr kennt, als Rachegefühl und Haß, ausgenommen während der Erzählung, wo sich seine Phantasie einen Augenblick der Vergangenheit zuwendet. Schwieg doch auch, Hölle V V. 77 u. w., der heftige Sturm so lange Franzeska früherer Zeiten gedachte; aber wie der Sturm sinnlicher Liebe jene wieder ergreift und fortführt, zwingt diesen Lieblosen wieder der Hunger des Hasses, Jenen von neuem und ewig zu zernagen. - Nach einer gegen Pisa ausgesprochenen Verwünschung geht Dante weiter und betritt die dritte Abtheilung, die Ptolemäa, so benannt nach dem Ptolemäus, welcher seine Gastfreunde verrätherisch umgebracht (s. B. I d. Maccab. Cap. 16). Die Sünder sind hier überrückgebeugt: von den Augenhöhlen aufgefangen. gerinnen ihre Thränen erst zu Eisklumpen, dann, ohne Ausweg, dringen sie gänzlich in's Innere. Wer den Freund verräth, beleidigt sein eigenes Innerste, der Freund ist gleichsam ein Theil seines Herzens. Der Schmerz um solche That muß also mehr in das Herz dringen, als irgend ein anderer. Dante wundert sich, hier, wo alle göttliche Wärme entzogen ist, noch eine Luftbewegung zu fühlen. Virgil sagt ihm: er werde bald sehen, wer das Wehen errege. Indeß bittet ihn ein hier gestrafter Freundesverräther, ihm das Eis von den Augen zu lösen, damit er seine Qual einmal ausweinen möge. Er antwortet ihm: er solle sich ihm nennen, und thue er (Dante) nicht seinen Willen, so müsse er (Dante) bis zum Grunde des Eises gehen. Der Verräther, nicht wissend, daß Dante letzteres ohnedies thun werde, legt seine Rede thörigerweise für ein günstiges Versprechen aus und giebt sich als die Seele Alberigos zu erkennen, zusetzend: wie es droben um seinen Leib stehe, ob er schon gestorben, wisse er nicht; denn solchen Vorrang habe die Ptolemäa, daß die Seele sobald sie Verrath begehe, sogleich in den Cocytus stürze: ein Dämon fahre dann statt ihrer in den Leib und regiere ihn so lange, bis seine Zeit gänzlich abgelaufen. Diese Darstellung bezieht sich auf Joh. XIII V. 27, wo es von Judas heißt: »Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn.« Der Sinn aber ist der: Sobald die Seele den Freund verräth, ist all ihre Liebe entwichen, sie ist im starren Eise des ewigen Hasses, sie hat ihr Leben und alle ihre Lust verloren, sie ist lebendig todt und all ihr Thun ein gänzlich böses. - Dante geht hinweg, ohne dem Freundesverräther das Eis abzunehmen: solche That wäre ein thöriger Eingriff in die ewige Nothwendigkeit und Gerechtigkeit.
Der Höllensturm, den wir zuerst das Meer der Zeitlichkeit bewegen, dann vor dem göttlichen Blitzen und dem himmlischen Gesandten zurückweichen sahen (s. d. Anmerk. z. Hölle I V. V. 22-24 und III V. 133-134 und IX V. 64-72), weht den Dichter nun mächtiger an; aber er nimmt Virgil, die menschliche Einsicht, zum Schirm, und geht ihm muthig entgegen, dahin über Schatten, welche gänzlich von Eis umschlossen sind. Nun stellt die Einsicht, Virgil, ihn vor sich hin, damit er im Anblick der besiegten Bosheit erstarke, und zeigt ihm das Prinzip alles Bösen in dem gestürzten Luzifer. Wie sinnreich ist dieser gedacht! Je mehr er strebt sich auf nächtigen Fittigen zu erheben, je fester kerkert er sich ein; denn der Sündenstrom, den er erzeugt (s. d. Anm. z. Hölle XIV V. 112), kehrt zu ihm zurück und erstarrt vom Wehen seiner Flügel zu todtem Eis; ein Gegensatz des seligen Stroms, der von Gott ausgeht und das Weltau belebt (s. Porad. XXX V. 61). Wie schön Luzifer einst in Gottes Nähe war, so häßlich ist er nun durch sein Gottverlassen. Zum haarigen Scheusal verthiert ragt er aus dem Mittelpunkt der Welt und der Schwere in das Amphitheater der Höllenkreise empor; ein riesiges Symbol des unreinsten Bewußtseins. In seinen drei Rachen zernagt er je einen Sünder und der Quälende weint, selbst größere Qual leidend, darüber hin aus drei vereinten Angesichtern, ein unseliges Gegenbild zu dem Dreifachseligen! Gottes Weisheit leuchtet ihm nicht, der Gedanke an die göttliche Allmacht ist ihm brennende Qual, und der heiligen Wärme göttlicher Liebe hat er sich entzogen, so leidet er alle Qualen seines dreitheiligen Reiches: Finsterniß, Brand und Frost (s. Hölle III V. 87). Aus dem schwarzen Antlitz weint seine sinnliche Thorheit, aus dem glutrothen seine vermessene Gewaltthätigkeit, aus dem bleichen sein liebloser Trug. Diesen drei falschen Trieben entsprechen die drei Stürme, die von seinen Fittigen ausgehen, zugleich die drei Thiere des ersten Gesanges: der bethörende Panther, der drohende Löwe und, als Mutter des Truges, die gierende Wölfin. Virgil erklärt seinem Schüler nun, wer die drei in Luzifers Rachen geplagten Sünder sind. Der Vordere, Judas, der Verräther an Christus seinem göttlichen Wohlthäter und dem Reich Gottes, ist mit dem Haupt, das er Gott hätte zuwenden sollen, im glühenden Rachen Luzifers und wird am innerlichsten zerfleischt. Die andern Beiden frevelten am weltlichen römischen Reich, indem sie an dessen Oberhaupt, Cäsar, ihrem menschlichen Wohlthäter Verrath begangen: deshalb hängen sie mit dem Haupt hervor, aus dem schwarzen Rachen der leidenschaftliche Brutus, aus dem bleichen der kalt überlegende Cassius. Nachdem nun Dante alles dieses geschaut und die falsche Furcht abgelegt, da er die Ohnmacht des Bösen vor Gott erkannt, steigt Virgil mit ihm an der haarigen Seite Lucifers in den Mittelpunkt des Eises, der Erde und der Welt hinab und wendet sich dort mit ihm, plötzlich nach jenseits keuchend emporsteigend, indem er während der Umkehr sagt: Auf solcher Stiege müsse man sich von so großem Unheil entfernen, d. h. nur gänzliche Umkehr vermag uns von der Sünde zu befreien. Als sie jenseits des Mittelpunktes so hoch emporgestiegen, als sie diesseits in das Eis hinabgestiegen, sieht Dante mit Verwunderung Luzifers Füße dem Eis entragen. Sie ruhen nun etwas in einer tiefdunklen Kluft. Virgil erklärt ihm, welchen Punkt sie durchgangen, und sagt ihm, daß Luzifer bei seinem Sturz vom Himmel die Mitte der Welt durchbohrt habe, die Erde sei auf der südlichen Halbkugel vor Entsetzen unter das Meer gewichen und auf unserer Halbkugel hervorgetreten, die Höhe Golgatha, Sion bildend; jenseits zurücksprühend habe sie sich als Fegefeuerberg erhoben. So giebt es Rettung für Lebende wie für reuig Gestorbene. An einem Bache, der von jenseits (die abgewaschenen Sünden herniederführend) herabgeht, klimmen sie nun mühsam empor, bis sie durch eine runde Oeffnung (vermuthlich vom Sturz Luzifers gebildet) den Himmel wieder erblicken und emporsteigen zum Wiedersehn der Sterne. Es ist sinnreich, daß sie da hinausschreiten, wo die Sünde (Dis) in die Erde hineingekommen. Es ist ferner sinnreich, daß da eine lange, finstere Leere ist, die nur nach dem Schall des klagenden Baches durchwandert wird, bis endlich der Himmel wieder erscheint: denn der Anfang der Reue ist ein finsterer Schmerz, bis beharrliches Streben uns daraus zur Klarheit erhebt, und ein Licht, ein ermuthigender Stern aufdämmert (s. Fegef. 1 V. 19).

Das Fegefeuer

Dante, das Grausen der Hölle hinter sich lassend, beginnt erheitert von dem zweiten Reiche zu singen, wo die Seele sich läutert und des Himmels würdig wird. Gleichsam stolz vor Wonne, ruft er Calliope an, sich für ihn etwas zu erheben und seinen Gesang mit siegreichem Schlage zu begleiten. Hierauf singt er das selige Gefühl, nach der düstern Finsterniß der Hölle, den blauen Himmel wiederzuschauen und reinere Luft zu athmen. Es ist Morgen, Dante steht mit Virgil auf der andern Seite der Erde, auf der Insel des Fegefeuers. Wie im ersten Gesang der Hölle aus dem Thal, welches dem hohen Meer verglichen wird, eine heiligende Gnadenhöhe fur die Lebenden ragte, so erhebt sich hier eine gleiche für die reuig Gestorbenen aus den bewegten irdischen Wassern. Es ist im geistigen Verstande ganz eine und dieselbe Höhe. Ihr Gipfel trägt hier, wie dort, die durch Adams Ungehorsam verlorne Glückseligkeit. Hier, wie dort, ist sie den Ungehorsamen unerklimmbarer Fels. Aber sie ist hier der Zeitlichkeit entrückt, und dem Dichter leuchtet jetzt nicht mehr der kalte Mond, sondern der Stern der Liebe schimmert ihm entgegen und macht den ganzen Orient lachend. Nach Süden gewandt, erblickt Dante noch vier andre tugendstrahlende Gestirne, die unsrer Halbkugel verborgen sind: zum Nordpol gekehrt, sieht er den Wagen, unsern irdischen Leitstern, versunken, und vor ihm steht, bestrahlt von den vier heiligen Lichtern, ein würdiger Greis, Cato von Utika, der, als Sinnbild des freien Entschlusses, die Knechtschaft der Sünde zu verlassen, den Fuß des Fegefeuerberges hütet (vergl. Fegef. XXI V. 62). Derselbe erstaunt, daß die Ankommenden, göttlicher Satzung entgegen, gewagt, dem Höllenschlunde zu entsteigen. Virgil heißt seinen Schützling sich neigen, sagend: wie eine himmlische Frau ihm befohlen, denselben so zu geleiten, und bittet Cato bei der Liebe zu seinem Weibe Marzia, die in der Vorhölle seiner noch sehnsüchtig gedenke, sie ziehn zu lassen. Cato sagt: daß Letzteres ihn hier nicht mehr bestimmen könne, daß aber das Erstere genüge. Cato ist demnach der freie Entschluß, Gottes Satzungen zu erfüllen. Er gebietet nun Virgil, der bessern Einsicht, den Dichter nach dem Gestade des Meeres hinabzuführen, ihn zu reinigen und mit nachgiebigen Binsen zu gürten; da es unwürdig sei, mit dem Staub der Hölle und ungeweiht vor einen Boten Gottes zu treten; dann sollten sie den leichtesten Aufgang am Berge suchen (als Gegensatz der widerstreben den Steile im ersten Ges. d. Hölle, welche der falsche Weg des Hochmuths ist) und die Sonne zum Führer nehmen. Virgil befolgt Alles, geleitet Dante in der Morgendämmerung hinab zum Ufer, wäscht ihn mit dem Thau der Blumen und gürtet ihn mit einer Binse, die er in der Brandung pflückt: wunderbar erneut sich die Pflanze, wo er sie abgebrochen. Die geistigen Gaben mindern sich nicht, sie vervielfältigen sich durch Schenkung (vergl. Fegef. XV V. 44-75).
Die Morgenröthe wird heller; die Dichter aber weilen noch nachdenklich am Strande. Da erschimmert am fernen Meereshorizont ein rothes Licht, welches heller und heller naht und endlich als ein Engel göttlicher Gnade erkannt wird, der eine Schaar bußwilliger Seelen vom römischen Ufer daher bringt in einem Schiff ohne Segel, allein durch die ewigen Fittige des Engels bewegt. Auf Virgil's Geheiß beugt Dante seine Kniee: der himmlische Glanz macht ihn die Augen senken. Die geretteten Seelen singen den 113 Psalm von dem Ausgang der Kinder Israel aus Egypten, welcher die zu hoffende Erlösung aus der Knechtschaft der Sünde in die Freiheit der ewigen Seligkeit bedeutet (s. in d. Abhandl. den Brief an Can gr. della Scala u. vergl. dam. Jes. XXX mit Bezug auf die Anm. z. Hölle I V. 62). Der Engel macht ihnen das Zeichen der Erlösung durch das heilige Kreuz, und die Seelen, die, vor ihrem Scheiden aus dem Körper, Gottes Barmherzigkeit angerufen und zur Läuterung kommen sollen, betreten das Ufer. Der Engel eilt zum Strande von Ostia zurück, um andre Seelen zu holen. Nun taget es: die Dichter werden von den Angekommenen um den Weg zum Berge befragt, antworten aber, daß sie selbst hier unbekannt seien. Voll Erstaunen umringen die Seelen den noch lebenden Dante: eine tritt hervor, und er erkennt in ihr seinen Freund, den trefflichen Sänger Gasella. Dreimal will Dante das Schattenbild des Freundes umarmen, aber die Arme kehren leer nach seiner Brust. Er beruhigt sich endlich auf Gasella's freundliches Zusprechen und fragt ihn: warum er erst so spät ankomme, da er doch vor längerer Zeit gestorben? Er antwortet: er ergebe sich ganz in den göttlichen Willen des Engels, der ihm die Ueberfahrt geweigert, bis er ihn, der Gnade des heiligen Jubeljahres theilhaftig, am Tiberstrande willig eingenommen. Dante bittet nun den Casella, ihn wie vormals mit lieblichem Gesange zu erquicken, und Guseuu beginnt die Canzone Dante's, worin er die Beglückung durch spekulative Philosophie besingt (s. in d. Abhandl. den Auszug aus d. Convito). Alle lauschen, sanft befriedigt, dem süßen Gesange. Da erscheint wiederum der Greis Cato (das Sinnbild des freien Entschlusses) und schilt die Seelen, die sich dem nicht fördernden Sinnen hingeben, statt glaubensthätig ihrem Heil nachzugehen, und schnellen Entschlusses eilen sie nach dem Berge, die Dichter mit ihnen. (Nach jener Canzone wendet sich der Dichter im Convito zum thätigen Lehren, da ihm die Philosophie, zu vielen Forschens wegen, zürnt.)
Die schnelle Flucht hat die Eilenden zerstreut. Dante schließt sich wieder an Virgil, der sich selbst, der Weile halben, Vorwürfe macht. Als sie, dem Berge nahend, gelassener wandeln, glaubt sich Dante plötzlich von Virgil verlassen, weil er den Sonnenschein nur von seines eignen Körpers Schatten unterbrochen sieht, und wendet sich zweifelnd. Virgil tadelt sein Mißtrauen und sagt ihm, daß abgeschiedene Seelen so wenig den Strahl aufhielten, als die durchsichtigen Himmelssphären; sein Leib, in dem er Schatten geworfen, liege in Neapel begraben. Er nimmt dann, wohl mit Bezug auf das zu Ende des vorigen Gesanges gesungene Lob der Philosophie, Gelegenheit von der Beschränktheit menschlicher Forschungen zu reden und von der Nothwendigkeit der Erscheinung Christi. Er, welcher letztere, wie wir Fegef. XXII V. 70 erfahren, vorausgesagt, ist dennoch nicht zum reinen Glauben erwacht, sondern nur Menschlichem nachgegangen; deshalb versinkt er hier am Fuße des heiligen Berges in Schwermuth. Steil und unzugänglich ragt der Fels in den Himmel hinauf. Vergeblich sinnt Virgil auf Mittel empor zu kommen. Dante zeigt ihm eine Schaar nahender Seelen; er befragt sie um den Aufgang zum Berge; aber sie weilen schüchtern in Verwunderung, einen Lebenden zu erblicken. Auf Virgil's Versicherung, daß er nicht freventlich und ohne himmlischen Rathschluß hier sei, tritt eine Seele aus der Schaar der übrigen hervor: es ist König Manfred, welcher erzählt: er habe sich trotz seiner Sünden in seiner Todesstunde noch zu dem gewendet, der gern verzeiht, zu Gott; der Kirchenbann, in dem er gestorben, beschränke die Barmherzigkeit Gottes nicht: nur müsse man das Dreißigfache der Zeit, die man darin verharrt, am Fuße des Fegefeuerberges weilen; weiter reiche der menschliche Fluch nicht. Hierauf ersucht Manfred den Dichter, dies seiner Tochter Constanze zu erzählen, damit sie für ihn bete; reines Gebet habe große Macht, die Zeit solcher Verweisung abzukürzen.
Fegefeuer - Gesang 04
Die Sonne ist schon hoch gestiegen, ohne daß Dante es bemerkt: so hat er sich im Gehen in das Anschauen und Anhören Manfred's vertieft. Da rufen ihm die Seelen zu und zeigen ihm den Aufgang, der ohne die Fittige der Sehnsucht und das Geleit menschlicher Einsicht, welche Hoffnung und Licht gewährt, nicht zu erklimmen ist. Virgil klimmt deshalb voran und Dante folgt ihm in dem engen Schluftweg, auf Füßen und Händen. So erreichen sie den ersten Absturz. Der Weg der Buße ist bei Christi Sühnungstod entstanden. Da bebte die Erde von göttlicher Liebe und der steile Fels der Aergerniß that sich den Reuigen auf, während er (s. Hölle XXI V. 114 u. d. Anm.) auf die Heuchler und Gewaltthätigen stürzte zum Zeichen, daß für diese keine Gnade ist. Dahin gehört auch Hölle V V. 34. Als Dante, des Weges halben verlegen, Virgil befragt, sagt dieser ihm: Nur keinen Schritt hinunter! (vergl. Hölle l V. 36) und spornt den Ermattenden an, den nächsten Vorsprung zu erklimmen, von welchem der ganze Berg umgürtet ist. Angekommen zurückblickend, staunt Dante, die Sonne auf der Nordseite zu sehen. Virgil erklärt ihm dies als ganz natürlich: indem sie sich südlich des Aequators befänden. und die Sonne sich in unserm Frühling mehr und mehr dem Norden nähert. Nun defragt Dante Virgil, wie hoch sie am Berg zu steigen hätten? und er antwortet ihm: er wisse nur, daß auf demselben das Steigen je höher je leichter werde, finde er es dann so leicht, wie das Hinabgleiten eines Schiffes auf dem Flusse, dann sei der Gipfel erreicht (s. Fegef. XXVII V. 130-132, XXX V. 83 u. 84 u. d. Anm.). Der schöne Sinn der Darstellung ist dieser: daß Tugend, je mehr wir sie üben, je leichter wird und endlich mühlos, wenn wir vollkommen in der Liebe sind. Die Mühlosigkeit bildet hier den Gegensatz zu dem beschwerlichen Weg Hölle I V. 5, welchen Dante betrat, abgewichen von der ersten Liebe, zu welcher er erst Fegefeuer XXVII V. 36 u. w. sich läuternd wieder zurückkehren soll. Den Weg der Erfahrung und Besserung, welchen der Sünder machen muß, ist lang und beschwerlich, der Weg des kindlichen Glaubens, in Liebe zur göttlichen Lehre, zu Beatricen, ist kurz (s. Hölle II V. 102). Während die Dichter vom Steigen reden, ruft eine Stimme: »Ihr werdet vielleicht noch erst weilen müssen?« und Dante erblickt hinter einem Stein (der Hinderung) eine Schaar fauler Seelen, unter welchen er den Florentiner Belaqua erkennt und ihn befragt: warum er auch hier so müßig weile? Da antwortet ihm der Träge: Hier müsse man so lange weilen, als man auf Erden mit Reue gezögert, dann erst werde man zur Buße zugelassen, im Fall Gebete guter Menschen die Zeit nicht abkürzten. Da treibt Virgil den Dichter zu neuer Eile, indem er selbst dereits voranklimmt.
Dante, hinter Virgil emporklimmend, sieht sich nach den Schatten um, die, seines Körpers halben, mit den Fingern auf ihn weisen und flüstern; aber sein Lehrer verweist ihm dies nichtige Aufmerken. Beschämt erröthend folgt er seinem Führer. Da zieht eine neue Schaar von Seelen quer über ihren Pfad, singend das Miserere, des lebenden Dante gewahrend aber geht ihr Gesang in ein staunendes Oh! aus. Zween Seelen kommen nun aus der Schaar hervor, und als Virgil sie über Dante's Zustand unterrichtet, und sie die Kunde von dem noch Lebenden den Uebrigen gebracht, kommen Alle daher und bestürmen Dante mit Flehen, daß er die Ihren, die noch leben, zu Fürbitten für sie ermahne. Virgil erlaubt ihm, doch stets im Aufklimmen, sie anzuhören und diese Barmherzigkeit zu üben. Da vernimmt er, daß alle diese Seelen gewaltsamen Todes gestorben und sich erst in der letzten Stunde plötzlich erleuchtet zu Gott gewendet, und erbittet sich ihre Aufträge an die Lebenden. Zuerst flehet ihn nun Jacopo da Cassero an, die Leute in Fano zu Fürbitten zu ermahnen, damit er zur Läuterung eingehen möge, und erzählt sein blutiges Ende. Hierauf naht mit ähnlichem Flehn die Seele Buonconte's. Dante befrägt sie, wo ihr Leib hingekommen, da man ihn auf Erden nicht gefunden? Sie antwortet: der Böse habe, einen Wolkenbruch erregend, ihr irdisch Theil von dem geshwollenen Strom Archian hinrollen und mit Stromschutt bedecken lassen, das Kreuz auflösend, das er im Sterben mit seinen Armen gemacht. Zuletzt naht die Seele Pia's, und bittet, ihrer zu gedenken. Dieser Gesang stellt im Ganzen die tugendhaft-christliche Theilnahme an unsern Nächsten der leeren und nutzlosen gegenüber, und Virgil's Ermahnung, dabei immer fortzuschreiten, lehrt zugleich, daß der Mensch an Andern nicht so viel Theil nehmen müsse, daß er sein eignes Heil darüber versäume.
Wie der Gewinner im Würfelspiel umdrängt wird, umdrängt den Dichter die Menge der Seelen, die gewaltsamen Tod erlitten. Er nennt von ihnen den Aretiner Benincasa, den Federigo Novello von Battifoli, den Guido degli Scornigiani, den Grafen Orso und den Peter della Broccia. Endlich, frei geworden von dem Zudrange, befragt Dante seinen Führer: wie denn beten den Beschluß des Himmels beugen könne, da er doch in der Aeneis das Gegentheil behaupte. Hierauf entgegnet ihm Virgil, daß beten den Beschluß ja nicht beuge, wenn Liebe das in einem Nu erfülle, weshalb diese Seelen hier so lange Zeit harren müßten; überdies habe damals, als er jenes geschrieben, Gebet nicht geholfen, weil es Gott abtrünnig war (s. Hölle I V. 72); doch räth er ihm, bei dem Zweifel nicht zu weilen, bis Beatrice es ihm heiße, die er auf dem Gipfel des Berges schauen werde. Beatrice's Namen hörend treibt Dante mit erneutem Eifer selbst Virgilen zum Weitergehen, da der Berg schon schatte. Virgil aber sagt ihm: so schnell sei er nicht zu ersteigen: die Sonne werde noch erst wieder aufgehen, bevor er den Gipfel erreiche. Nun erblicken sie eine einsame würdige Seele, die sie an sich vorübergehen läßt und nur nach ihnen blickt, wie ein ruhender Löwe. Virgil befragt sie nach dem Aufweg, wird aber selbst von ihr vor der Antwort um seine Herkunft befragt. Als er mit Mantua beginnt, giebt sich die Seele freudig als den Mantuaner Dichter Sordello zu erkennen, und freudig stürzen sich beide in die Arme. Dante nimmt hier Gelegenheit, dieser rührenden Innigkeit zweier Landsleute die wilde störrige Uneinigkeit seines Vaterlandes gegenüber zu stellen, wo Bürger Bürger anfeinden, die mit ihnen von einer Mauer umschlossen werden, wo das Volk, sich wild hervordrängend, an Kaisers Statt herrschen will. Zugleich werden die Kaiser Rudolph von Habsburg und Albrecht, die sich habsüchtig bereichert, statt des Reiches in Italien zu sorgen, bitter getadelt, und grimmiges Schelten ergeht über den unstät herrschenden Pöbel von Florenz, welches Schelten stark an das der Propheten über Israel erinnert. In diesem Gesange stellt Dante seine Liebe zu Beatrice neben die zu seinem Vaterlande; beider Eifer ist gleich heftig. Der geistliche und politische Grund seiner Dichtung tritt auch hier klar hervor.
Nach mehrfachen Umarmungen giebt Virgil, von Sordell befragt, sich zu erkennen. Sordell erstaunt, in ihm den hohen Dichter zu erblicken und bezeigt ihm seine Verehrung. Auf Begehren erzählt ihm Virgil: wie er der Schau der Erkenntnißsonne verlustig gegangen, nun aber von Himmelskraft bewegt, die Vorhölle verlassen und hierhergelangt sei, und fügt daran den Wunsch, den Ort der rechten Läuterung zu erfahren. Sordell entgegnet ihm: der Tag neige sich bereits, und nach dem Sinken der Sonne vermöge man nicht am Berg emporzusteigen; nur umher und hinabzuwandeln stehe den Seelen frei; er rathe ihnen daher. einen schönen Ruheplatz aufzusuchen und daselbst den neuen Tag zu erwarten. So geleitet er sie, auf einem Vorsprunge des Bergs, an den Hang eines nach außen geöffneten Thales, wo die Seelen derer ruhen, die im Sorgen irdischer Herrschaft das Himmelreich verabsäumt. Zu ihrer Beschämung blüht das ganze Thal von natürlichen Blumen, die mit ihrer duftenden Pracht alle andere Herrlichkeit übertreffen und dennoch ein vergänglich Ding sind, wie Christus in der Bergpredigt sagt (s. Matth. VI V. 28 u. w.). Anzudeuten, daß sie sich nun von den irdischen Reichen zum himmlischen wenden wollen, singen die Seelen den der Himmelskönigin Maria heiligen Abendgesang »Salve Maria«, Sordell aber räth den Wandernden, nicht sogleich hinabzugehn, sondern die unten Ruhenden erst von dem höhern Standpunkt zu betrachten, so lange die Sonne der Erkenntniß noch etwas leuchte. Hierauf zeigt er ihnen den Kaiser Rudolph von Habsburg, welchen er der Vernachlässigung Italiens anklagt, dann den König Ottokar von Böhmen, ferner Philipp III. von Frankreich, Heinrich III. von Navarra, Peter III. von Arragonien und dessen Sohn, endlich Heinrich III. von England und tiefer unten den Markgrafen Wilhelm von Montserrat. Trotz des heiligen Gesanges erscheinen sie alle noch von Sorgen um ihre Reiche gedrückt und ihrer Fehler gedenkend, ja Rudolph von Habsburg ist so vertieft darin, daß er sogar nicht mitsingt. Sonst scheinen sie nach dem Rang zu sitzen, da Kaiser Rudolph den höchsten Platz einnimmt. Das Thal bedeutet hier wiederum wie Hölle I die Zeitlichkeit, in der die Seelen befangen sind; doch nicht die wirkliche, sondern bloß das Gedenken derselben (wie auch der Sturm Fegef. XXV V. 113 nicht der wirkliche falsche Trieb sein soll, sondern nur die Erinnerung daran.)
Die Stunde ist herangekommen, wo den Schiffer, der das wankende Meer befährt, das Heimweh ergreift, und der sehnsüchtige Pilger trauert, daß es nachtet. Eine der Seelen erhebt und wendet sich in Hoffnung des morgen wiederkehrenden Lichtes, den Hymnus te lucis ante terminum anstimmend, womit jene Seelen, wie die Gläubigen diesseits, Gott um Bewahrung vor nächtlichen Schrecken und Anfechtungen anflehen. Dieses Gebet wird erhört. Am Berg herab kommen zween Engel. Ihre Fittige und ihr Gewand haben die Farbe der Hoffnung: die feurigen Schwerdter, welche sie tragen, haben die Spitzen gestumpft; denn diese Engel sind die Boten gottlichen Erbarmens; sie kommen von dem Schooß Maria's und stellen sich rechts und links an den Eingang des Thales, es vor der Schlange der Versuchung zu schirmen, die, wie Sordell sagt, bald erscheinen soll. Nun gehen die drei Dichter hinab in das Thal, und Dante findet daselbst zuerst den edlen Richter Nino, welcher erstaunt ist, ihn zu sehen, und ihn nach herzlichen Begrüßungen bittet, seine Tochter Johanna aufzufordern, daß sie für sein Heil bete, da seine hinterlassene Wittwe sich von Neuem vermählt habe und seiner vergessen: so vergänglich sei die irdische Liebe! - Nun blickt Dante zum Himmel, die Sterne Glaube, Liebe und Hoffnung anstaunend, welche an die Stelle der andern Fegef. I V. 23 erwähnten vier Tugendgestirne am Südpol aufgestiegen sind und den ganzen Himmel erhellen. In der Erdennacht gewähren uns diese Sterne noch Trost, wenn schon die andern: Mäßigkeit, Stärke, Gerechtigkeit und Weisheit verschwunden sind. - Es ist Nacht und die Schlange der Versuchung kommt gleißend und sich putzend heran; aber die Engel schweben hinab und schon vor dem Rauschen ihrer Fittige weicht das Ungethüm zurück. - Nun wendet sich der edle Gurrado Malaspini in Sorgen um sein Haus zu Dante und erfährt von ihm, daß der alte Ruhm davon noch nicht gewichen sei. Erfreut hievon, prophezeiht er dem Dichter: sein eben ausgesprochenes Lob werde sich bald an ihm selbst bestätigen, womit auf die gastfreundliche Aufnahme hingedeutet ist, welche der Dichter im Jahr 1307 bei Marzello Malaspini erfuhr, obgleich er von der Gegenparthei war.
In dem Thal, wo die des Lichtes harrenden Seelen von den Engeln himmlischen Erbarmens vor dem Versucher beschirmt werden, hat sich der Dichter geduldig niedergelassen, gleichfalls das göttliche Licht erwartend. - Im Osten erhebt sich nun ein Schimmer; aber es ist nicht das Morgenroth, es ist die Dämmerung des aufsteigenden Mondes, die ihm nun in dem kalten Zeichen des schädlichen Skorpions erscheint. Von dem unvollkommenen Mondlicht erwartet Dante keine weitere Hülfe (s. d. Anm. z. Hölle I V. 15 u. 17), sondern giebt sich als Sterblicher leiblicher Ruhe hin: der göttlichen Hut trauend und getröstet von den drei Sternen Glaube, Liebe und Hoffnung, entschlummert er auf den Blumen, die alle irdische Pracht beschämen. Aber in der heiligen Morgenstunde, wo die Seele im ausgeruhten Leide freier waltet, und entäußert mühvollen Sinnens fast göttlich erkennt, sieht er im Traum einen Adler über sich kreisen, der auf ihn herabschießt und ihn zum göttlichen Licht emporträgt, dessen Brand den noch Ungeläuterten schmerzlich trifft (vergl. d. Anm. z. Hölle VIII V. 73 und d. Inh. z. Fegef. XXVII und Parad. XXXIII V. 76-81), so daß er, erwacht, sich mit Schrecken an anderm Ort erblickt, und gewahrt, daß es schon zwei Stunden Tag sei. Virgil, die bessere Einsicht, steht vor ihm und sagt: die heilige Lucia, die erleuchtende Gnade Gottes sei es, die ihn im neuen Tage aus dem tiefen Thal emporgetragen: er, Virgil, sei ihren Schritten gefolgt, und ehe sie verschwunden, habe sie ihm noch den Eingang zur Läuterung gezeigt: hier sei derselbe, wo der steile Fels (der Aergerniß) allein getheilt erscheine (das Erbarmen Gottes hat ihn zertheilt, als die Felsen zerrissen bei des Erlösers Tode (s. Hölle XII V. 37-43 u. d. Anm.). - Nun rafft sich Dante empor und erblickt, Virgilen folgend, wo er zuerst nur einen Felsenspalt sah, eine Thür: drei Stufen führen zu ihr, auf der Schwelle aber sitzt als Huter ein Engel mit blitzendem Schwerdt. Man erkennt darin denselben, den Gott nach Adams Vertreibung zum Hüter des Paradieses bestellt, und muß den sinnreichen Dichter bewundern, der ihn vom Paradies an die Pforte der Buße herabgerückt erblickt. Der Engel wehrt den Kommenden, bis Virgil sagt: die erleuchtende Gnade Gottes habe sie an die Pforte geleitet. Nun erst nähert sich Dante den drei Stufen: in der untersten spiegelt er sich, wie er ist: sie deutet die Selbsterkenntniß an, die zweite von zerrissenem dunklen Gestein deutet die Folge der Selbsterkenntniß, die Zerknirschung an; die dritte, roth wie spritzendes Blut, ist wohl auf die Selbstgeißelung des Reuigen zu deuten. Der Sitz des Engels ist ein diamantner Fels, festes, furchtloses Vertrauen andeutend nach Ezech. III V. 9. - Dante wird von Virgil's (der Einsicht) gutem Willen die drei Stufen hinangeführt, giebt sich drei Schläge an die Brust, und wirft sich vor dem Engel nieder, ihn um Oeffnung der Thür anflehend. Da zeichnet ihm der Engel mit der Spitze des Schwerdtes sieben P an die Stirne, die sieben Sünden (peccata) anzudeuten, wozu er als Adamssohn geneigt ist, und sagt ihm: er solle sich drinnen davon reinigen. Nun holt der Engel zween Schlüssel, einen goldnen und einen silbernen, aus seinem Gewande hervor, welches die Farbe der Asche hat und der Erde, die man zu frischer Aussaat umsticht, und öffnet die Thür zuerst mit dem silbernen, dann mit dem goldnen Schlüssel, sprechend: der zweite (das Urtheilen) öffne nicht, wenn der erste (das Prüfen) nicht des Schlosses Knoten gelöst. Er habe beide von Petrus empfangen, der ihm anempfohlen habe, eher im Oeffnen, als im Schließen zu irren, dafern sich die Seelen ihm nur zu Füßen würfen, d. h.: sich der göttlichen Gnade unterthänig bezeigten. Noch warnt der Engel die Kommenden, nach ihrem Eintritt nicht zurück zu schauen, und thut nun die Thür auf, die, zu selten gebraucht, mächtig erdröhnt. Aber ihr Dröhnen klingt wie Orgelton, in dem der eintretende Dante Te deum laudamus zu hören glaubt. Dieser Lobgesang umfaßt alle Herrlichkeit des alten und neuen Bundes, und klingt ihn mit Fug hier an, wo sich die Thür aufthut, die Christus selbst ist, welcher Joh. X V. 7 sagt: »Ich bin die Thür zu den Schafen.« Das ganze Christenthum geht auf vor dem dichtenden Geiste.Sehr wichtig ist es, alle diese Vorgänge mit denen im ersten Gesang der Hölle zu vergleichen, wo der Dichter sich aufmacht, ehe die Sonne bis in die Tiefe herableuchtet, weshalb erChristus den ebnen Wegverfehlt und anChristus den Felsgelangt, wogegen er hier mit besserer Einsicht das Licht ruhig erwartet, und so von der göttlichen erleuchtenden Gnade zuChristus der Thürgebracht wird, welche sich den verirrten Schafen aufthut, die auf dem Pfade der Buße zuChristus dem ebnen Wegzurückkehren wollen (s. d. Anm. z. Hölle I V. 3 und Fegef XXVII V. 132). Hierher gehört auch Ps. 126, wo es heißt: »Vergeblich steht ihr auf vor Tage ... den Geliebten giebafer im Schlafe.«
Durch die Pforte gewallt, hört der Dichter sie hinter sich verschließen, wagt aber nicht, sich danach umzuschauen. Zuerst klimmen sie nun nach dem Absturz, wo der Stolz gebüßt wird. Der Pfad geht nicht grad empor, sondern zickzack, hin und her: andeutend, wie irr der Stolze geht. Virgil's Warnung vor Anstoßen deutet auf gefährliche Verstöße wider Gott, der den Stolzen ein Stein des Anstoßes ist (vergl. Fegef XII V. 115 u. d. Anm.), bis sie sich schmiegen lernen. Endlich gelangen sie auf den Versprung, welcher den Berg ringformig umgiebt. Die Steile ist längs dieses Umganges mit Demuthbildern geschmückt. Zuerst sieht Dante Maria's Demuth bei der Verkündigung, zum Zeichen, daß die Gott ergebenste Demuth die innigste Vereinigung mit ihm herbeiführt. Weiter ist Konig David zu schauen: wie er im Reigen einherzieht vor der Bundeslade, vor der Welt minder als ein König und doch mehr bei Gott. Die weltliche Abigail, seine Frau, schaut verdrossen diesen Zug an. Hierauf folgt ein anderes Bild, die Milde des Kaisers Trajan gegen die traurige Mutter darstellend, weshalb er durch Gregor's Gebet erlöst worden. Die Bilder sind von Gott selbst, ein über alle Begriffe belebtes Wunderwerk: heilige und weltliche Geschichte wird in ihnen ewiges Symbol und Gotteszeichen. Dante trennt sich nicht von ihrem Anschaun, bis ihm Virgil eine Schaar büßender Seelen zeigt, die unter mächtigen Steinlasten mühsam und langsam einherschreiten. Jeder trägt hier den auf ihn gefallenen Stein der Aergerniß mit sich umher. Dante ermahnt die Sterblichen, die Irrwege des Hochmuths zu vermeiden, da die Seele sonst eine irdische Last mit in das Jenseits nimmt, wie ein verkruppelter Schmetterling mit der Schale der Verpuppung belastet umherkriecht, statt zu fliegen. Der Fels der Aergerniß ist das Symbol der Macht Gottes, welche die Irdischen irdisch beschränkt und beugt.
Die belasteten Seelen beten das Vaterunser: die letzte Bitte nicht für sie, die wider Versuchung bewahrt sind (s. Fegef. VIII V, 95 u. w.), sondern für die Lebenden: und Dante nimmt Gelegenheit, Letztere zu ermahnen, für die Todten gleichthätig zu sein, dem schonen lebendigen Glauben huldigend, daß Liebe über das Grab hinaus wirke. Virgil befragt, da Dante noch mit Adamsfleisch behaftet ist, die Seelen um den leichtesten Aufgang, und wird eingeladen, mit ihnen zu kommen: rechter Hand sei ein Aufgang Lebenden erklimmbar. Die redende Seele giebt sich als Omberto de Santafiore zu erkennen, welcher denAhnenstolz,der ihm Haß und Tod zugezogen, hier abbüßt. Als Dante sich neigt, ihm zuzuhören, giebt sich eine andere Seele als Oderisi den Miniaturmaler zu erkennen, welcher hier denKünstlerstolzabbüßt und Gelegenheit nimmt, von der Nichtigkeit des Ruhmes in Künsten zu reden, wobei Dante reuig eignen Stolzes gedenkt. Vor Oderisi büßt derkriegstolzeSalvani: und als Dante sich verwundert, ihn schon hier zu finden, erfährt er, daß eine einzige liebevolle Demuththat ihm die Zeit des Harrens so abgekürzt. Dreierlei Arten von Stolz erscheinen demnach in den hier Büßenden genugsam repräsentirt.
Dante, der eignen Hochmuths gedenkt, geht reuig gebeugt neben der beladnen Seele einher, so lange die Einsicht (Virgil) es zuläßt; aber als diese ihm sagt: es sei genug, und ihn zum Vorwärtsschreiten antreibt, eilt er aufgerichtet weiter: das Versinken in Reue ist zu nichts nütze, wenn wir nicht weiterstreben. - Nun fordert die Einsicht (Virgil) den Dichter auf, sich der Betrachtung des Fußpfades hinzugeben, welcher die Bahn des Stolzes ist. Da sieht er sie mit Bildern gefällten Hochmuthes überkleidet. Zuerst zeigt ihm Luzifer's und Briareus gestürzte Vermessenheit, daß keine Macht im Himmel noch auf Erden sich wider Gottes Macht erheben kann: an Nimrod's Bild sieht er den Stolz auf eitles Menschenwerk, an Niobe's den auf Nachkommen zernichtet: in Saul den Konigsstolz, in Arachne den Künstlerstolz erliegen: in Roboam den Tyrannenhochmuth, die Eitelkeit auf weltlichen Schmuck in Eriphylen bestraft, menschliches Vermessen wider Gott in Sanherib: des Eroberers Stolz in Eyrus, den auf Kriegsheere in Holofernes, den auf Mauern in Troia fallen, und schilt die Menschen, daß sie nicht erkennen, mit welchen Warnungszeichen Gott den Weg des Stolzes geschmücket, auf dem sie wandeln, ohne ihn zu betrachten. Nachdem Dante letzteres genugsam gethan, fordert die Einsicht (Virgil) ihn auf, dem höheren Pfade zu nahen, wohin ein Engel die Kommenden einladet, beklagend, daß so Wenige seiner Ladung folgend, den Weg des Stolzes verlassen. Als sie vom Engel geführt sich wenden, in dem vom göttlichen Erbarmen getheilten Fels der Aergerniß emporzuwallen, hören sie singen: »Selig sind die geistlich arm sind,« und wir werden sehen, daß nun auf allen Umgängen des Berges Worte Jesu aus der Bergpredigt tönen; allein bei den Trägen nicht. Im Emporsteigen hat der Engel dem Dichter eins der P (s. Fegef. IX V. 112-114) von der Stirn geweht, und er wundert sich, daß er nun so leicht emporsteigt: da sagt ihm die Einsicht (Virgil) den Grund davon, und daß, je mehr er sich durch Betrachtung von Sünden reinige, je leichter steigen werde. Die Hinderung schwindet hier, welche Gott den Sündern entgegenstellt, von denen es Galater VI V. 15 heißt: Jeder wird seine Last tragen; und Jac. IV V. 5: Gott widersteht den Hoffärtigen, den Demüthigen giebt er Gnade: seid Gott unterthan und widerstehet dem Teufel, so flieht er euch.
Auf minderbeschwerlichem Wege gelangen die Wanderer auf den zweiten, schon kleineren Umgang, wo die hindernde Steile des göttlichen Berges schon an Umfang abnimmt. Sie erscheint ohne Bild; der Fußboden schwarzgelb. Da wendet sich die bessere Einsicht (Virgil) rechtshin und bittet die Sonne himmlischer Erkenntniß um Führung. Von den himmlischen Strahlen geleitet, vernehmen sie nun Stimmen: zuerst das Wort Maria's, womit sie der Gäste bei der Hochzeit zu Kanaan liebreich gesorgt: dann den Namen des freundschaftlichen Orestes, zuletzt Christi Wort: »Liebet die euch Böses thaten!« - Auf Befragen erfährt nun Dante, daß hier die neidischen Seelen büßen und diese heiligen Worte sie zu Gastfreundlichkeit, Freundschaft und christlicher Feindesliebe antreiben: er werde bald andere Stimmen vernehmen, womit Gott sie vor Neid warnt. Die Lockungen nennt die Einsicht die von Liebe geschwungene Geißel, die Warnungsstimmen den Zügel. Die Stimmen vertreten hier die sichtbaren Zeichen Gottes im vorigen Umgang. Nun erst stellen sich die büßenden Seelen der Neidischen dar; geduldig lehnen alle in Bußkleidern an der göttlichen Zuflucht, Einer stützt nun liebend den Andern, nach dem Spruch Galat. VI V. 2: »Einer trage des Andern Last, so erfüllet ihr das Gesetz Christi.« Die Augen, welche sich der Liebe abgewandt und neidisch auf Andrer Glück geblickt, sind nun schmerzlich geschlossen mit der Gerechtigkeit ehernem Faden: ihr Thränen erinnert an Sir. XXXI V. 15: »Was ist schalkhafter erschaffen als das (neidische) Auge; darum vergießt es beim Sehen Thränen über das ganze Gesicht hinab.« - Dante geht längs der Schaar der Büßenden hin, Virgil ihm zur Rechten am äußern Rande, damit sein Schüler nicht herabstürze. Auf Dante's Frage, ob eine Seele aus Latium hier sei? antwortet eine der büßenden: hier seien alle Bürger einer wahren Stadt (des wahren Roms, des wahren Sion), aber sie selbst habe als Erdenpilgerin in Siena gelebt, Sapia geheißen und büße hier, weil sie sich gefreut, ihre Mitbürger in die Flucht schlagen zu sehen. Ihre Reue wäre nicht hinlänglich gewesen, sie hierher zu fördern, hätte nicht der fromme Einsiedler Pier Pettinagno ihrer im Gebet gedacht. Sie klagt sich eigner Unweisheit an. Zugleich wundert sie sich, daß Dante noch athmet und frei umherwandelt. Darauf sagt er ihr: er werde dereinst nur wenig hier zu büßen haben, eher drunten im Kreise der Hochmüthigen. Er lebe noch und werde von Einem geleitet, der eben nicht spreche. Hierauf bittet ihn Alagia, die Ihrigen zum Gebet für sie zu ermahnen und weissagt am Schluß den Sienesen, die aus neidischer Eitelkeit eine Seemacht werden wollen, das Verunglücken ihrer Flotte.
Zwei der büßenden Seelen, mit Staunen vernehmend, daß Dante noch lebe, befragen ihn um seinen Namen; bescheiden entgegnet er: derselbe sei noch nicht weit erklungen, und sagt nur: er komme von dem unruhigen Fluß, der am Falterone entspringt. Eine der Seelen (Rinieri de Calboli) wundert sich, daß er den Namen des Flusses gleichsam schaudernd verschweigt; da sagt die andre (Guido del Duca): der Name Arno verdiene unterzugehn, so verthiertes Volk wohne jetzt an seinen Ufern, und vergleicht die Casentiner, mit Bezug auf die Grafen Guidi, wilden Schweinen, die Aretiner zähnefletschenden Kläffern, die Florentiner gierigen Wölfen, endlich die Pisaner arglistigen Füchsen; prophezeiht sodann, daß Rinier's Neffe Florenz dereinst sehr entvölkern werde, die ganze Romagna sei voll giftigen Gestrüppes, d. h. gottloser Menschen (vergl. d. Anm. z. Hölle I V. 2). Dann klagt er über den sittlichen Verfall vieler altadeligen Häuser, denkt mit Trauern des guten Lizio, Arrigo Manardi's, Pier Traversaro's, Guido di Carpigna's, und daß nun ein Schmid (Lambertazzi) sich in die Reihe der Adeligen erhoben und ein Bernardo del Fosco ein edles Geschlecht erzeuge: noch klagt er um Guido da Prata, Ugolin d' Azzo, die Geschlechter Federigo Tignoso's, Traversara's und die Anastagii und die einst so schönen nun verfallenden Sitten ihrer Häuser. Er wünscht, daß die Stadt Brettinoro vergehe, nun all' die Guten weggeflohen, nicht unredlich zu handeln; nennt den Bagnacavalla glücklich, daß er nicht wieder zeugt, und den Gastrocaro und Conio unglücklich, daß sie so schlechte Erben in die Welt setzen, ja er sagt zuletzt: Ugolin da Fantolin's Ehre stehe sicher weil er unfähig sei zu zeugen; doch hier bricht er ab, sich tadelnd, daß er sich den Sorgen um die Erde so hingegeben, da er doch Andres zu beweinen und zu büßen habe, und ermahnt Dante, weiter zu gehen: schweigend gehorcht dieser. Da vernimmt er urplötzlich das Wort Kains: Mich tödtet wer mich findet!« - es ist der Verzweiflungsruf des ersten Neidischen. Dann ertönt gleich einem Donner des neidischen Aglauros Stimme: »Ich bin zu Stein geworden!« - Von Virgil (der Einsicht) erfährt Dante, diese Rufe seien der vom Bösen abschreckende Zügel, wie die Ladungen zum Tisch der Liebe die Geißel waren, die zur Besserung antreibt (s. Fegef. XIII V. 28-42 u. d. Anm.).
Der Umgang des Berges wendet sich rascher als früher: die Dichter wallen schon westwärts, und die Sonne scheint in ihr Gesicht: da tritt ein neuer Glanz hinzu, es ist der Engel, der zum neuen, minder steilen Aufgang einladet. Hinter ihnen ertönen nun als Gesang die Worte der Bergpredigt: »Selig sind die Barmherzigen!« und »Freue dich, der du siegest.« - Von Dante befragt, erklärt Virgil im Gehen eine Rede jener Neid-büßenden Seele, Guido's (s. Fegef. XIV V. 86-87), indem er der neiderregenden irdischen Güter Unterschied von den himmlischen entwickelt, bei welchen letzteren kein Ausschluß der Genossenschaft ist, da sie sich bei dem Vertheilen unter Viele sogar vermehren; darum würde die Bängniß des Neides aus den Menschen verschwinden, wenn ihre Sehnsucht von Liebe zum Himmel gelenkt würde; Beatrice werde ihm alles Dies dereinst noch mehr erhellen. Hierauf betritt Dante hocherfreut den neuen Umgang. Da erscheinen ihm innere Visionen: zuerst ein Tempel mit vielem Volk erfüllt, am Eingange Maria, welche sanftmüthig zu dem zwölfjährigen Jesus spricht: »Mein Sohn, warum hast du uns das gethan, mit Schmerzen haben ich und dein Vater dich gesucht!« - Dann erscheint Pisistrat's Sanftmuth, als dessen Gattin Rache verlangte für einen Kuß, den ein Jüngling ihrer Tochter gegeben, endlich die Sanftmuth des heiligen Stephanus, womit er Gott um Vergebung für die Feinde anflehte, während jene Wüthenden ihn steinigten. Als Dante sich von der Schau der göttlichen Gesichte wieder sammelt, bringt Virgil (die Einsicht) ihn vollends zum thätigen Bewußtsein, sprechend: Was ist dir? Du gehst ja wie ein Schlummernder oder Trunkner: diese Gesichte erscheinen dir nur, dich nach dem Quell alles Seelenfriedens hinzulocken: tritt wiederum kräftig auf die Füße, d. h.: bloßes Versenken in Anschauungen ist nicht hinreichend, zur Seligkeit zu gelangen, der Glaube muß lebendig und thätig sein. Nun wandeln die Dichter, in den Abend hinspähend, weiter: da erhebt sich, ihnen entgegen, ein finstrer Rauch: es ist der Rauch des Zornes Gottes, der auf diesem Umgange die Zornigen läutert, die mit jenen Stimmen der Sanftmuth zur Besserung gelockt werden. Der Rauch verhüllt hier den Berg, wie einst den Sinai, auf den sich Gott mit Feuer und Rauch niederließ (s. II B. Mos. XIX); dem analog sinden wir Gottes läuternde Flamme weiter oben (s. Fegef. XXV V. 112), die verkörperte Gotterscheinung aber auf dem Gipfel (s. Fegef. XXIX V. 108 u. w.). - Hierher gehört auch Ps. XVII V. 9 u. w.: »Es stieg Rauch auf inSeinemZorn ... und Dunkel war unterSeinenFüßen undErsetzte Finsterniß ringsher zuSeinemVersteck, rings umSichher zuSeinemGezelt« ... Auch im II B. der Kön. XXII V. 8 u. w. heißt es: DennErzürnte über sie, es stieg Rauch aus seiner Nase u. w.
Der Rauch, den Zorn Gottes, der die Zornmüthigen trifft, vorbildend, umgiebt die Wandernden mit einer Nacht, finstrer als alle andere Nächte und dunkler als das Dunkel der Hölle; so daß sie die Augen schließen müssen. Virgil aber sagt zu seinem Schüler: er möge sich nicht von ihm, von der Einsicht, trennen lassen. Hier ist ihm letztere besonders nothig, um vor dem Zorn Gottes nicht in Verzweiflung und ewigen Tod zu fallen. Seinem Führer folgend, vernimmt er Stimmen, welche einträchtiglich das Lamm Gottes, das alle Verschuldungen auf sich nimmt, um Erbarmen anflehen, und so die Schlinge lösen, womit Zornmuth sie bestrickt hat. Eine der Seelen fragt den noch lebenden Dante: wer er sei? Virgil räth ihm zur Antwort, und ermahnt ihn, zugleich nach dem Wege zu fragen. Dante thut es. Jene Seele räth ihm geradeaus zu wallen, erbietet sich ihm zum Geleiter, so weit sie gehen dürfe, und giebt sich als die Seele des Venetianers Marco zu erkennen, welcher auf Erden (obwohl hinsichtlich des Zornes sündigend) nach dem höchsten Gut gestrebt, wonach die Welt jetzt wenig trachte. Da befragt ihn Dante um den Grund dieser Verderbtheit, den Mancher dem Himmel, Mancher der Welt Schuld giebt: worauf Marco von der Freiheit der menschlichen Seele spricht, welcher in der Offenbarung ein Licht gegeben ist, Recht und Unrecht zu erkennen, zugleich natürliche Liebe zum Schöpfer: giebt sie sich nun, vom Reiz der Gegenwart verlockt (s. Hölle I V. 41-43 u. d. Anm.), falschem Triebe hin, so trägt sie selbst die Schuld, wenn sie in die Knechtschaft der Sünde geräth, statt, den Geboten Gottes gehorchend, die höhere Freiheit zu erlangen, geführt von der Einsicht, welche den Thurm der wahren Stadt, Christum, im Auge behält. Die Gebote seien vorhanden; aber Niemand befolge sie: der Pabst selbst trachte nach Irdischem: darum begehre seine Heerde auch nicht nach Höherem. Schlechte Führung, nicht Natur habe die Welt verderbt. Hirtenstab und Schwerdt in einer Hand mache, daß sich das Eine nicht vor dem Andern scheue und es werde finster auf der Welt, weil der Pabst, sich die weltliche Herrschaft anmaßend, den Glanz des Kaisers verdunkelt habe. Es habe besser um die Welt gestanden, ehe Kaiser Friedrich mit dem Pabst zu Streite gekommen. Die Anmaßung beider Herrschaften habe die Kirche in den Schmutz gebracht. Da erkennet Dante, warum der Stamm Levi von dem Erbe ausgeschlossen worden (s. Josua XIII V. 14). Marco nennt ihm drei treffliche Männer, die noch leben: den Currado del Palazzo, den Guido von Castello und Gerhard den Guten, den er mit dessen Tochter Gaja näher bezeichnet. Hierauf nimmt Marco Abschied, weil der Ranch bereits durchsichtiger scheine, und er noch nicht daraus hervorgehen dürfe (vergl. Hölle XV V. 115-118): er fühlt sich noch nicht würdig, Gottes Licht zu schauen.
Nach und nach erschimmert den Wanderern wiederum die Sonne (der Erkenntniß), und hervortretend aus der Wolke (des göttlichen Zürnens) sehen sie das Licht von den Tiefen bereits verschwinden. Da erscheinen Dante durch göttliche Eingebung Gesichte schrecklichendender Wuth. Zuerst sieht er die Rache Philomelen's, die an dem unschuldigen Itys genommen ward, dann Hamann's übelendenden Zorn gegen das Volk Gottes, zuletzt die verzweifelte Heftigkeit der Amata, welche sich selbst vernichtete. Diese Bilder zerstieben vor dem himmlischen Glanz des Engels, dem sie indessen genaht sind. Derselbe ladet sie zu dem neuen Aufgang, weht sie mit den Fittigen an, und spricht Jesu Worte aus der Bergpredigt: »Selig seid ihr Friedfertigen, die ihr ohn' argen Zorn seid!« - Nun steigen sie empor und erreichen, eben als die Sonne sinkt, den neuen Umgang; ermüdet weilt Dante und, keine Seele schauend, fragt er Virgil: welche Sünde hier gebüßt werde? Da antwortet dieser: die allzu lässige Liebe, und sagt ihm dazu: wie alle Sünde aus Liebe entstehe, sobald man entweder den Schaden des Nächsten liebe, oder zu lässig liebe oder seine Liebe zu sehr Gütern zuwendet, welche nicht die wahre Seligkeit bringen. Den Schaden des Nächsten liebe derStolze,um bei Anderer Fall zu steigen; derNeidische,um an Glück oder Ruhm nicht nachzustehen; derZornige,um sich gerächt zu sehen: zu lässig in der Liebe seien dieUnthätigen.Alle diese büßen in den bereits betretenen Kreisen des Berges; über denselben aber in dreien Kreisen diejenigen, welche in der Liebe zu den vergänglichen Gütern unmäßig gewesen (dieGeizigen,dieSchlemmerund dieWollüstigen).«
Virgil kommt Dante's Wunsch nach und belehrt ihn weiter über das Wesen der Liebe, sagend: sie entstehe durch Anregung von außen, welche Neigung und Sehnsucht erzeugt, des geliebten Gegenstandes froh zu werden. Da meint Dante: so wäre ja die Seele nicht zurechnungsfähig, sie möge sich nun guter oder böser Liebe hingeben, worauf Virgil erwiedert: dem Menschen sei Vernunft als Hüterin verliehen und Freiheit in der Wahl, wodurch er allerdings zurechnungsfähig werde und Lohn oder Strafe verdienen könne. Ueber das Weitere wird Dante an Beatrice's dereinstige Belehrung verwiesen. Mitternacht naht heran, der Mond geht auf; aber er hat schon so abgenommen, daß er sich nur wie ein rothglühender Kessel aus den Dünsten der Erde erhebt. Es ist sinnreich, daß das Mondlicht, welches die Philosophie bedeutet, dem Dichter immer geringer, unvollkommener und gleichsam unzureichender erscheint, je höher er in christlichen Anschauungen emporsteigt: dennoch will ihm jetzt Virgil's Erklärung der Liebe fast wieder so genügen, wie der Gesang Fegef. II V. 112-117; und er will stillstehend fast einschlummern, da weckt ihn wie dort Cato, hier aus dieser allzufrühen Beruhigung wieder höchst sinnreich - eine Schaar büßender Seelen, die in vollem Laufe daherkommt und selbst bei Nacht nicht ruht, nachzuholen, was sie einst auf dem Wege zu Gott versäumt hat. - Zwei Seelen rufen weinend vor allen aus: »Maria lief eilig über das Gebirge, Cäsar ließ Massilia und flog nach Spanien!« und alle folgen den aneifernden Worten, rufend: schnell, schnell! daß die Zeit nicht verloren gehe durch zu wenig Liebe! Hierauf eilt Virgil, die Seelen um den neuen Aufgang zu befragen: da antwortet eine derselben: folgt uns nach! giebt sich als Abt von St. Zeno aus Verona zu erkennen, beklagt dasselbe Kloster, welches den an Leib und Seele mißgebornen Sohn Albert's della Scala zum Abt bekommen, und fliegt eilig vorüber. Da folgen zwei Seelen den Uebrigen nach und bringen, zum Abschrecken von der Trägheit, in Erinnerung: wie die Kinder Israel, welchen der Weg in das gelobte Land zu mühvoll dünkte, gestorben, ohne es zu erblicken, und wie ruhmlos die Gefährten des Aeneas umgekommen, welche bei dem alten Acestes in Sicilien verblieben. So hat Gott bei Heiden und bei dem heiligen Volk Zeichen gethan, zu zeigen, wie fern Trägheit vom göttlichen, wie vom weltlichen Reich sein solle. - Die Menge fliegt vorüber, ein neuer Gedanke steigt in Dante's Seele empor, aus dem sich immer wieder neue entwickeln, bis er, gleichsam in Entzückung gerathend, die leiblichen Augen schließt.
Ueber die Wärme, womit die himmlische Erkenntnißsonne den Wanderer umgeben hatte, siegt noch einmal die sonneverbergende Erde und die Zeit, und im kalten Mondlicht der Philosophie taucht vor dem noch Sinnlichen ein sich stets verschönerndes Trugbild auf, welches bei Aufgang der Sonne wieder schwindet. Jenes Trugbild bedeutet die täuschende Welt. Sie erscheint dem schon etwas belehrten Dichter zuerst als ein fahles, hinfälliges, krüppelhaftes Weib, kurz höchst unvollkommen; allein, als nun die Wärme himmlischer Erkenntniß in ihm nachläßt, wird das erst häßliche Weib vor seinen Augen schöner und schöner, ja seine Augen sind es recht eigentlich, welche die Hinfällige wieder beleben und mehr und mehr mit allen ersinnlichen Reizen schmücken, bis sie ihn zuletzt als Sirene verlockend ansingt. Er ist nahe daran, sich dem Trugbild hinzugeben, aber mit Aufgang der Sonne steht urplötzlich eine himmlische Frau, die Wahrheit neben ihm und fragt Virgil: wer jenes Weib sei? Virgil aber (die bessere Einsicht) blickt die Wahrheit scharf: an da zerreißt diese das täuschende Gewand der Welt und zeigt sie in all' ihrer Scheuslichkeit: von dem Stank, der von der Enthüllten ausgeht, erwacht Dante. Virgil ermuntert ihn vollends, und eifert ihn an, den neuen Aufgang zu suchen. Alle Umgänge des Berges sind bereits wieder erfüllt von den Strahlen der himmlischen Erkenntnißsonne: in ihrem Licht gelangen die Wandernden zu dem Engel, der sie zur höheren Stiege ladet, mit den heiligen Worten Jesu aus der Bergpredigt: »Selig sind die da Leid tragen (die Geduldigen), denn sie sollen einst davon befreit und getröstet werden!« - Als sie nun höher gestiegen und Dante noch immer seinem Traum nachsinnt, sagt Virgil zu ihm: Sahst du die uralte Zauberin(die Welt), deren Täuschungen in den drei Kreisen über uns (von den Geizigen, Schlemmern und Wollüstigen) beweint werden,und wie man sich von ihr (durch Anschauen der Wahrheit) befreit? - Auf den fünften Umgang gelangt, sehen sie nun die Buße derer, welche ihre Augen von dem göttlichen Reichthum abgewandt und dem irdischen zugewandt haben. »Meine Seele klebt am Staube!« seufzen sie, mit dem Angesicht am Boden liegend, nahe dem äußern Rande des Umgangs, entfernt von der göttlichen Felswand. Gottliche Gerechtigkeit achtet sie noch unwerth Gott zu schauen und fesselt sie Gott abgewandt an den Boden: so lange es Gott gefällt, bleiben sie in dieser Buße. - Dies erfahren die Wanderer auf Befragen von dem hier büßenden Pabste Adrian V, der ihnen sagt: keine Buße des Berges sei schwerer als diese: erst als er die höchste Staffel erstiegen und Pabst geworden, habe er die Nichtigkeit des Irdischen erkannt, und büße nun für früheren Geiz. Er wehrt dem Dichter, sich vor ihm zu neigen, sprechend: hier sind wir alle Brüder, und zu gleicher Würde bestimmt. Hierauf bittet er, seine Buße durch längeres Weilen nicht aufzuhalten, und erwähnt, auf Dante's Anerbieten, auf Erden etwas für ihn zu thun, daß er daselbst noch eine Nichte habe, mit Namen Alagia und von guter Art, dafern sie die bösen Verwandten nicht etwa noch verdürben.
Dante trennt sich fast ungern von dem Gespräch mit Pabst Adrian V, und geht mit seinem Begleiter dicht an der göttlichen Felswand hin, während die Büßenden hier davon abgewendet, dem äußern Rande zuliegen. Da er eben mit einem geizig gewesenen Pabst gesprochen, gedenkt er der gierigen Wölfin, die ihm im Walde erschien, und wünscht, daß ihr Vertilger (ein den göttlichen Dingen nachtrachtender, zeitlich armer Pabst) bald erscheinen möge (vergl. Hölle I V. 105 u. d. Anm.). Indem sie weiter gehen, ruft eine Seele Worte, die an Maria's Dürftigkeit erinnern, an die Geburt des Heilands in der armen Krippe, an Fabricius tugendhafte Armuth, und an des heiligen Nikolaus Milde, der seine Schätze hingab, arme Mägdlein vor Verführung zur Sünde zu wahren. Dante, von den weisen Worten erfreut, befragt die rufende Seele, reichen Lohn von Fürbitte versprechend: wer sie sei und warum sie allein rufe? Uneigennützig aber erwiedert ihm die Seele: nicht um der Fürbitte willen, sondern der Gnade Gottes wegen, die an dem Fragenden sichtbar sei, wolle sie antworten: sie sei die Seele Hugo Capet's, von welchem die Könige Frankreichs stammen, deren Gewaltthaten die Welt verfinstern. Darauf erzählt sie, wie sie mächtig geworden, wie das provenzalische Erbe ihren Nachkommen die Schaam genommen, daß sie immer eigennütziger um sich gegriffen, Ponthieu, Normandie und Gascogne genommen, ferner wie Carl von Anjou Neapel weggerafft, zur Buße dann den jungen Conradin geschlachtet und den heiligen Thomas von Aquino zum Himmel gesandt habe: bald aber werde ein anderer Carl (der von Valois) kommen, bewehrt mit Judas Lanze, Zwiespalt in Florenz anrichten, sich aber nichts gewinnen als Schande. Ein andrer Carl (der Zweite von Sizilien) werde seine Tochter verhandeln, ja er sehe schon im Geist die Krieger Philipp's des Schönen in Alagna einziehen, und Ghristum von Neuem gefangen nehmen, verspotten und kreuzigen, in der Person seines Nachfolgers (Bonifazius VIII): sehr wünscht er, daß die Rache Gottes sich nicht mehr lange verbergen möge. Hierauf sagt er dem Dichter: Maria, die einzige Braut des heiligen Geistes, werde hier allen Bitten vorangesetzt, so lange der Tag währe: bei Nacht aber werde, zu abschreckender Erinnerung, der Habsucht Pygmalions erwähnt, der Thorheit des Midas, dann des Frevlers Achan, Saphira's und ihres Gatten und des Tempel-beraubenden Heliodorus Gedächtniß erneuert: endlich wälze der ganze Berg des gräulichen Polymnestor Namen in Schande, zuletzt aber werde Crassus ausgerufen, dessen Goldgier so schrecklich geendet. Bald rufe einer laut, bald leise, je nachdem ihn der Eifer treibe: es habe sich nun eben ereignet, daß er allein laut geworden. - Schon von der sprechenden Seele hinweggegangen, fühlt Dante unter sich den Berg erbeben, als stürze etwas hinab: und rings um den Berg vernimmt: er »Ehre sei Gott in der Höhe!« Von Virgil ermuthigt, harrt er, bis das Zittern aufhört, und geht weiter mit ihm, brennend von Begier, dieses Ereignisses Grund zu erfahren.
Nach Belehrung dürstend, folgt Dante seinem Führer; da erscheint urplötzlich hinter ihnen (wie der erstandne Christus den Jüngren auf dem Wege erschien) eine Seele, die nach vollbrachter Buße vom Boden erstanden ist, und sie nun mit dem Gruße des Friedens anspricht. Virgil erwiedert diesen Gruß, beklagend, daß er selbst jenes Friedens nicht theilhaftig werden könne, und fragt, Dante's geheimem Wunsch nachkommend, den Schatten: warum der Berg vorhin gebebt und alle Seelen »Ehre sei Gott in der Höhe!« gerufen? - Da erfahren sie, daß dies jedesmal geschehe, wenn der Himmel etwas, das aus ihm stamme (nämlich eine Seele, die ihre Buße vollendet), wieder in sich aufnehme. Wie bei Christi Auferstehung (s. Matth. XXVIII V. 2) die Erde bebte, so bebt hier der Berg, wenn Christus in einer Seele wieder ersteht, und die Bande des ew'gen Todes von ihr herabfallen (s. Fegef. XX V. 127); wie bei Christi Geburt tönt es wieder: »Ehre sei Gott in der Höhe!« denn Christus ist wiederum neu geboren in der Seele, die wieder rein ist wie ein Kind. Von ihrer Reinigkeit zeugt der Wille, der sich nach vollendeter Buße frei fühlt: bis dahin hält ihn der den Menschen eingeborne göttliche Gerechtigkeitstrieb, das Gewissen, mit unlösbaren Fesseln in der Buße (s. Fegef XVI V. 141-144, XIX V. 123-126, XXVI V. 13-15). Es ist derselbe Trieb, der während des Sündigens vom Bösen abmahnt, derselbe, der die ohne Reue Gestorbenen über den Acheron zum bösen Bewußtsein bringt (s. Hölle III V. 124-127, V V. 4 u. d. Anm.). Hier bittet Virgil die zum ewigen Leben erstandene Seele, zu sagen: wer sie sei? Da giebt sie sich als Seele des römischen Dichters Statius zu erkennen, sagend: daß sie Virgil's Aeneis all' ihre Kunst verdankt, und spricht feurig den Wunsch aus zur Zeit Virgil's gelebt zu haben: da lächelt Dante, Virgil winkt ihm zu schweigen; aber Statius bittet, ihn ihm zu sagen, warum er gelächelt, und erfährt, nach Virgil's Erlaubniß, von Dante, daß er den Dichter der Aeneis vor sich sehe. Begeistert will er nun dessen Füße umschlingen; aber Virgil (die Einsicht) hält ihn davon ab, ihn erinnernd, daß sie jetzt nur Schatten seien. - Diese eingeflochtene Scene dient, ohne sonstige Beziehung, zum Preise Virgil's und bereitet das schöne Gespräch vor, welches uns der folgende Gesang bietet.
Ein Engel geleitet die drei Wanderer an den Aufgang zum sechsten Kreise der Läuterung, und während er unserm Dichter ein P von der Stirn weht, rufen die Seelen der Büßenden»Beati«und»Sitio«,welche Worte Bezug haben auf die der Bergpredigt: »Selig sind die da hungert nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden« (s. Matth. V V. 6), zugleich auf das Fegef. XXII V. 64-69) Angedeutete. - Nunmehr folgt Dante mit weniger Mühe als je den geschwinden Geistern der zween altrömischen Dichter, die Stufen empor. Virgil erwiedert in freundlichen Worten des Statius Zuneigung, und äußert nur sein Erstaunen, daß in seiner Dichterseele Geiz entstanden? worauf Statius ihm lächelnd entgegnet: das Gegentheil von Geiz, Verschwendung sei seine Sünde gewesen: dieselbe werde hier mit dem Geiz in gleichem Kreise abgebüßt (wie Hölle VII). Eine Stelle in Virgil's Aeneis habe ihn von diesem Fehler entfernt: Virgil sei es, der ihn den Weg zum Parnaß geführt, ja endlich durch eine in der Aeneis enthaltene Prophezeihung gar zum christlichen Glauben, da diese Weissagung mit der durch die Apostel verbreiteten Lehre so überzeugend zusammengestimmt. Virgil fragt hierauf, wie Statius, wenn er ein Ghrist gewesen, doch heidnische Dichtungen habe schreiben können. Da antwortet Statius: er sei aus Furcht ein heimlicher Christ geblieben; weshalb er in dem Kreise der Lässigen dreihundert Jahre büßen mussen. Mit Antheil erkundigt sich Statius nun nach dem Schicksal der übrigen alten Poeten, und erfährt von Virgil, daß sie sämmtlich in der Vorhölle seien, mit vielen von Statius besungenen Heroen. Unter diesen Gesprächen sind die Wanderer zum sechsten Umgang gelangt, undwenden sich,auf Virgil's Vorschlag,in nun schon gewohnter Weise nach der rechten Seite,noch zuversichtlicher gemacht durch Statius Zustimmung. Dante belauscht, hinter den beiden Dichterseelen wandelnd und Vieles lernend, ihre holden Gespräche (vergl. Hölle IV V. 103-105); plötzlich aber werden diese durch den Anblick eines herrlichen Fruchtbaumes unterbrochen, der sich inmitten des Weges darstellt. Von der göttlichen Felswand geht ein Sprühen lebendigen Wassers aus, welches die Zweige benetzt und erquickt: dieselben sind am Wipfel umher breiter als unten, also grade umgekehrt wie bei den irdischen Bäumen. Alles dieses deutet auf den Baum des ewigen Lebens, der (s. d. I B. Mos. III V. 22-24) im Garten Eden steht; aber hier symbolisch erscheint, wie Fegef. XXIV V. 115-118 der Baum der Erkenntniß. Die Zweige des Baumes verbreiten sich je mehr, je höher sie hervorsprießen, was sie den Himmeln vergleicht, die, je höher sie über der Erde kreisen, je größer und weiter werden; wohingegen die Kreise der Hölle je tiefer, je enger sind. Mit der zunehmenden Größe der Zweige mehren sich auch die Früchte; denn in der Gottesnähe nehmen die geistigen Genüsse zu. Den Seelen, die in irdischen Genüssen geschwelgt haben, entziehen sich hier zur Buße die ewigen: darum ruft auch eine Stimme aus den Zweigen: »diese Speise wird euch fehlen!« und sagt: Maria habe mit ihrer Bitte bei der Hochzeit zu Ganaan nicht Schwelgerei befördern, sondern das Fest vollkommen und ehrenvoll machen wollen: dann rühmt sie der alten Römerinnen und des goldnen Weltalters Genügsamkeit, und stellt Johannes den Täufer als Muster dieser Tugend auf.
Dante starrt, am Baum der ewigen Seligkeit weilend, in das geheimnißbergende Laub. Da mahnt ihn Virgil (die Einsicht) von vergeblichem Forschen ab, und wieder folgt der Lenksame den Schritten der beiden alten Dichter, deren weise Gespräche ihm den Weg mühlos schaffen. Nun kommt hinter ihnen eine Schaar Seelen, welche hier ihre Schwelgerei abbüßen; abgezehrt von Sehnsucht nach den himmlischen Genüssen, deren sie sich durch Schwelgen in den irdischen unwürdig gemacht, singen sie aus dem Bußpsalm die Stelle, worin Gott gebeten wird, den Mund, der vormals gesündigt, zu seinem Lobe zu heiligen. Indem die Schaar der Seelen vorbeieilt, gewahrt eine derselben, daß Dante noch lebt, und ruft staunend: o welch' auserwählte Gnade ist das! - An der Stimme erkennt Dante seinen ehemaligen Freund Forese, mit welchem er sonst die sinnlichen Freuden des Lebens genossen, und erfährt im Zwiegespräch mit ihm, daß Gott dem Baum und dem Wasser hier so große Macht verleihe, daß die Seelen durch Sehnsucht danach so abgezehrt werden; aber sie kehren den Berg umlaufend immer wieder zu dem göttlichen Baume zurück, mit demselben Verlangen der ewigen Gerechtigkeit zu genügen, welches Christum bis an die Grenze menschlichen Verzagens ausdulden ließ, als er uns mit seinem Herzblut erlöset. Dante wundert sich, die Seele Forese's schon so weit oben am Berge zu finden, und erfährt, daß dessen Gattin Nella ihn durch ihr frommes Gebet und lautes Weinen so weit erlöst habe. Forese lobt ihre Züchtigkeit um so mehr, als er die übrigen Florentinerinnen unzüchtig findet, wofür, wie er meint, die Strafe nicht ausbleiben, nein, bald erscheinen werde. Auf Begehren sagt ihm Dante hierauf, wer die beiden ihn begleitenden Schatten sind.
Die durch Sehnsucht nach entzogner Himmelsspeise abgezehrten Schatten staunen den noch lebenden Dante mit ihren hohlen Augen an. Im Gespräch mit Forese erkundigt er sich, im Gehen, nach dessen Schwester Piccarda, und erfährt, daß der Himmel sie aufgenommen. Dann nennt ihm Forese auf sein Bitten die merkwürdigsten der hier büßenden Seelen: den Dichter Bonagiunto von Lucca, den Pabst Martin IV, den Ubaldino degli Ubaldini della Pila, den Erzbischof Bonifazius von Ravenna, und keiner nimmt es übel, da genannt zu werden. Dante bemerkt, daß Bonagiunt mit ihm reden möchte, vernimmt, daß er etwas wie Gentucca murmelt, und spricht ihn darum selbst an. Da sagt ihm Bonagiunt voraus: ein schönes Mädchen, Namens Gentucca, werde ihm dereinst das sonst sehr bescholtene Lucca werth machen, und freut sich, den Dichter vor sich zu sehen, der einen neuen Styl in die Liebeslieder eingeführt habe. Da sagt Dante: er schreibe nur nieder, was Liebe ihm in die Feder sage, und erklärt damit dem einst zu sehr künstelnden Dichter Bonagiunt vollkommen, warum die älteren Liebesdichter mit ihren Verkünstelungen nicht so Schönes leisten konnten. Bonagiunt, die eignen Fehler einsehend, schweigt, und entfernt sich, froh der gewonnenen Einsicht: man sieht, er ist über den Kreis des Stolzes hinaus. Aus der vorübereilenden Schaar der Seelen bleibt Forese noch einen Augenblick zurück, Dante fragend: wann sie sich wohl wiedersehen würden? - Später, als ich es wünsche, sagt Dante, und beginnt seine Vaterstadt zu beklagen. Da sagt ihm Forese, der, welcher die meiste Schuld an deren Elend trage, Corso Donati, werde von seinem eigenen Rosse in die Hölle geschleift werden, und eilt sodann den büßenden Seelen nach. Dante wandelt allein hinter Virgil und Statius einher, und erblickt einen zweiten Baum mit lockenden Früchten, nach welchen die Seelen, Kindern gleich, die Hände strecken; aber von einer Stimme im Gezweig verwarnt, ruhiger weiter ziehen. Es ist der Baum des untersagten Genusses, ein Abzweig des Baumes, von welchem die lüsterne Eva genascht. Die Stimme, die aus dem Baum hervortönt, schreckt die Seelen durch Beispiele bestrafter Lüsternheit von dieser Sünde zurück, während die des andern Baumes Vorbilder der Mäßigkeit nannte, und die Früchte desselben Sehnsucht nach der höheren Seligkeit erregten. Auch die drei nahenden Dichter werden vom Baum des verbotnen Genusses hinweggewiesen, und dicht an der göttlichen Felswand hinwandelnd, vernehmen sie von Eva's Sünde, von der übelendenden Unmäßigkeit der Centauren, und den durch Vollerei untüchtig gewordenen Gefährten Gideons. - Nun aber ladet der Gnadenengel, der zum siebenten Umgang geleitet, die Kommenden zum Emporgehn ein, sprechend: Hier sei der Weg für die, welche den Frieden suchten. Der Engel leuchtet heller als geschmolzenes Glas oder Metall, und der geblendete Dante folgt den Dichtern nur nach dem Gehör, der Engel aber weht ihm das sechste P von der Stirn, und er athmet wie Maienluft und wie Duft himmlischer Speise. Da hört er noch mit Bezug auf die im Inhalt zu Fegefeuer XXII erwähnten Worte der Bergpredigt: »Selig sind, die nur nach so viel begierig sind, als gerecht ist.« -
Fegefeuer - Gesang 25
Die Wanderer beeilen sich, die Stiege zum siebenten Kreise hinanzuklimmen, da schon zwei Stunden seit Mittag vorüber sind. Schüchtern wagt Dante zu fragen, wie es möglich sei, daß Seelen abzehrten, da sie doch keiner Nahrung mehr bedürften. Da bittet Virgil den Statius, dies seinem Schüler zu erklären, und Statius beginnt nun die Entstehung des Menschen aus dem Blute des Erzeugers zu schildern, welches im Herzen bildende Kraft erhält, und dann im Leibe des Weibes die Frucht gestaltet und belebt: sei das Hirn vollkommen ausgebildet, so hauche der erste Beweger des Weltalls, wie bei Adams Schöpfung, himmlischen Odem, wodurch sich die einige Seele des Menschen bildet, die alle thätige Kraft an sich zieht und zuletzt bei dem Tode des Menschen mit sich nimmt, wenn sie den Leib verläßt. Dann wirkt die bildende Kraft noch immer fort und gestaltet ringsher die Luft zu einem Scheinleib, der ihr folgt, wie die Flamme getragnem Feuer, und ihre Empfindungen alle sichtbar darstellt, wie eben hier das Schmachten nach versagter himmlischer Nahrung.
Nicht ohne Bezug auf sein früheres Abirren mit dem Panther (der ihn Hölle I V. 31-48 in die zitternde Luft brachte), wird Dante hier von Virgil (der bessern Einsicht) oftmals ermahnt, wohl Acht zu geben, daß er hier nicht (wieder) irre, da man von dem schmalen Rande leicht hinabsturzen könne, und spricht den Wunsch aus, daß sein Ermuthigen (welches ihn aus dem angstvollen Thale bis hier heraufgebracht) ihm nun gedeihen möge. Es dient Dante nun zu mehrer Sicherung, daß die leitende Sonne der Erkenntniß seine rechte, dem Abgrund zugekehrte, Schulter bestrahlt. Da macht der Schatten seines Körpers die Flamme brennender erscheinen, was von tiefer Bedeutung ist, wenn man bedenkt, daß das Licht, welches ein zwischengestellter Körper raubt, das der Erkenntniß ist. Ohne das Licht der Erkenntniß erscheint die Qual freilich größer. Die Seelen in der Flamme verwundern sich über Dante's Schattenwerfen, sprechen darüber unter einander, nahen ihm so viel als möglich, hüten sich aber wohl, die Flamme des reinen Triebes zu verlassen. Eine der Seelen bittet, ihnen das Wunder zu erklären. Als Dante dies eben thun will, kommt eine Schaar der andern entgegen: die Begegnenden küssen sich in der einigen Flamme mit dem reinen Kuß einiger Bruderliebe; verwünschen dabei, die eine Schaar Sodom und Gomorrha, die andre Schaar das Laster der Pasiphae: dann eilen beide ihren Weg dahin; aber die Seelen, welche früher mit Dante zu reden begehrt, nahen wieder, und er giebt ihnen nach Wunsch Auskunft über sein Emporwallen zu Gott, bittet sie dagegen aber, ihm zu sagen, wer sie und jene andre Schaar seien? Er beschwört sie darum bei dem von reinerLiebeerfüllten weiten Himmel, und erfährt, daß die fremde Schaar an sich Cäsar's und Sodom's Sünde beweinen, sie selbst aber mit den Andern die hermaphrodisische; alle Seelen dort zu nennen, sei unmöglich (vergl. Hölle XV V. 103-105); sie selbst aber sei die Seele Guido Guinicelli's. - Dante erschrickt, diesen Namen hier zu hören, blickt aber die büßende Seele so traurig und liebevoll an, daß sie ihn befragt, warum er das thue? Da sagt Dante: Guido's unsterblicher Liebesreime wegen (denn Guido Guinicelli wird als Vater der mittelalterlichen Liebespoesie betrachtet). Hierauf zeigt Guido auf eine Seele, die vor ihm in der Flamme geht, und sagt: Jener sei ein besserer Schmid der Muttersprache, bittet Dante, im Himmel ein Vaterunser für ihn zu sprechen, und entschwindet, dem Andern Raum zu lassen, in die Glut, wie ein Fisch in das Wasser, worin er lebt. Nun giebt sich, auf Dante's Bitte, die andere Seele als den provenzalischen Dichter Arnald zu erkennen, sprechend: er singe hier weinend seine begangene Thorheit, erwarte jedoch baldige Erlösung, bittet Dante, seiner zur gehörigen Zeit fürbittend zu gedenken, und birgt sich. wie der Andere, in der läuternden Flamme.
Die Sonne geht auf für die Stätte, wo Christus die Welt erlöst hat: als die Wanderer in das eifernde Liebesfeuer eingehen sollen, wo mit Er tauft(s. Luc. III V. 16). »Selig sind, die reines Herzens sind«, und: »weiter vermag man hier nicht zu gehen, außer durch die Flamme!« ruft ihnen ein Engel entgegen, der an dem stürmischen Rande steht. Da sinkt Dante mit gefalteten Händen zu Boden und starrt in das Feuer, fürchtend, leiblich verbrennen zu müssen: aber die Einsicht (Virgil) ermuthigt ihn, sprechend: sie werde ihn hier in Gottes Nähe nicht verlassen; hier könne wohl Pein sein, aber nicht Tod; wolle er den Zipfel des Gewandes hineinhalten, so werde er gewahren, daß das Feuer kein materielles, körperzehrendes sei (dies erinnert an den Busch, den Moses durch Gottes Nähe in Flammen stehen und doch nicht versengt sah). Noch geht Dante nicht in die heiligende Liebesglut ein, sondern bleibt störrig davor, selbst wider sein Gewissen, bis die Einsicht ihm sagt: nur diese Flamme scheide ihn von Beatricen! Da erwacht die erste, reine, jugendliche Neigung zu dieser,zur göttlichen Lehre,mit allen ihren Beseligungen wieder in der Erinnerung des Mannes, und weich und kindlich gehorsam folgt er der Einsicht in die heiligende Flamme, die nicht das Sinnliche zerstört, nein, nur alles Fremde, Störende mit schmerzlich eifernder Gewalt aus der Seele nagt und läuternd tilgt, bis diese wieder fähig wird, der unschuldigen Paradieseswonne zu genießen, deren Keiner theilhaftig sein kann, der nicht wieder wird wie ein Kind, nach Christi Spruch: »Wer das Reich Gottes nicht annimmt als ein Kind, der wird nicht hineinkommen« (s. Luc. XVIII V. 17). -Das Geheimniß des ganzen Gedichtes liegt in dieser Stelle, und bedeutsam und tief ist der Zug von Dante's Störrigkeit, die selbst seinem Gewissen nicht weicht, bis die Gnadenerscheinung Beatricens vor seine Erinnerung tritt; da verläßt er den Sturm der falschen Liebe und tritt in die läuternde Flamme der wahren, und über Sion geht die Sonne auf.- Die Glut der Flamme ist unermeßlich, aber die Einsicht spricht dem noch sterblichen Wanderer beständig von der beseligenden Beatrice; von jenseits tönt eine leitende Stimme, und als die drei Dichter die Flammen durchschritten, empfängt ein zweiter Engel sie, sprechend: »Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.« - Dies sind Christi Worte, die er am jüngsten Tage zu denen sprechen wird, welche die Werke barmherziger Liebe geübt. - Auf des Engels Rath steigen die Wanderer weiter empor, so lange die Sonne noch leuchtet: als aber das Dunkel eintritt, lagern sie sich, Jeder auf eine der Stufen, Dante ruht inmitten beider Dichter, von ihnen gehütet und umschlossen von den göttlichen Felswänden, welche hier wieder»grotta«,Zuflucht genannt werden. Ueber der Kluft erscheinen die Sterne ihm größer und heller als jemals, und nachdenklich versinkt er in Schlummer. Da erscheint dem Geläuterten ein heiliges Traumgesicht: er sieht ein Weib auf einer Au lustwandeln und sich geschäftig einen Kranz winden, singend: sie sei Lea und schmücke sich, sich in ihrem Spiegel zu gefallen, während ihre Schwester Rahel ihre Augen nie von ihrem Spiegel abwende: der Spiegel aber ist Gott, Lea die Werkthätigkeit, welche sich mit lebendigen Blumen, d. h. Werken, schmückt, Gott zu gefallen; dagegen ist Rahel die Wonne der Gottesbetrachtung. Heilige Werkthätigkeit und Gottesbetrachtung bilden zusammen das wahre Paradiesesleben: die Vereinigung beider erscheint dem erwachten Dante später in der blumenpflückenden und Gottes Wunderwerke besingenden Mathilde (s. Fegef. XXVIII V. 37 u. w.). Jetzt steigt die neue Sonne empor, Dante springt auf, die beiden Dichter schon erstanden schauend; Virgil aber beflügelt seine Füße durch die Worte: daß der vielgesuchte süße Apfel der Wonne heute seine Wünsche stillen werde, und sagt ihm, als die letzte Stufe erreicht ist: er habe nun die ewige Feuerpein der Hölle und hier die geschaut, welche nur eine Zeit lang quäle: weiter vermöge Virgil nicht zu spähen noch menschliche Lehre zu geleiten: frei von engen Wegen und Mühen. solle er nun seinen geläuterten Willen zum Führer nehmen, und nach Lust im Paradiesesgarten umherwandeln oder ruhen, während die Augen der himmlischen Lehrerin, die ihm den Virgil zu Hilfe gesandt, naheten: er sei nun frei und ein König und Bischof über sich selbst. -Dante hat emporgewallt auf den Pfaden der Buße, den Fels der Aergerniß unter seinen Füßen; aus der ägyptischen Sündenknechtschaft ist er betrachtend gelangt zu dem Reich der Freiheit, wo mit uns Christus befreit hat(s. Galat. V V. I).
Dante betritt, mit Lust umherspähend, den göttlichen dichten Hain des irdischen Paradieses. Eine stete Luft weht hier und beugt sanft die Wipfel, welche lieblich mitklingen in den Gesang der Vögel, die den Morgen begrüßen. Die Bewegung der Luft geht aber gerade von der Sonne aus. Als Dante so weit vorgeschritten ist, daß er nicht mehr sehen kann, wo er eingegangen ist, hemmt ihn ein Bach, welcher weder von Sonne noch Mond beschienen, dunkel und überaus klar nach links hinströmt. Staunend späht Dante über ihn hin, die Mannigfaltigkeit der Paradiesespflanzen betrachtend; da erblickt er über dem Bach eine schöne Frau, welche Blumen pflückt und die Herrlichkeit der Werke Gottes mit Gesang preiset. Die Frau heißt, wie wir Fegef XXXIII V. 119 von Beatricen erfahren, Mathilde, und bedeutet, Lea's Werkthätigkeit mit der Betrachtung Gottes vereinend, das wahre paradiesische Leben, welches, selig in heiligem Thun und Schauen, des Bösen vergessen und nur des Guten gedenken macht (s. Fegef. XXXI V. 91-105 u. d. Anm. u. Fegef. XXXIII V. 121-145). Dante zürnt dem Bach, der ihn von der schönen Frau (dem paradiesischen Leben) trennt, und vergleicht ihn dem stürmischen Hellespont, welcher den Leander von seiner Geliebten schied. Auf sein Bitten kommt die schöne Frau lächelnd daher und sagt: sie sei so heiter, weil sie mit dem XCI Psalm die Herrlichkeit der Werke Gottes preise, und sammelt während des Redens immer mehr farbige Blumen. Sie löst auch Dante's Zweifel den ihm der Wind und der Bach erregt haben, ihm sagend: die Bewegung der Luft sei keine Störung, sondern sie sei der stete, geordnete Trieb, den die ewige Himmelsbewegung erzeuge, sie sei es, welche den Samen der von selbst sprossenden Paradiesespflanzen über die Erde streue. (Dies ist der heilige, belebende Trieb, welcher dem unheiligen, unstet tödtenden Sturm des Lucifer entgegensteht, dessen letzter Andeutung Dante entfloh, als er in die reinigende Flamme trat). Auch der Bach komme aus stetem, unerschöpflichem Quell, der, so viel abströmt, vom Willen Gottes wieder empfange. Nach links (zur Hölle) hinströmend heiße er Lethe, und nehme die glückstörende Erinnerung der begangenen Sünden, rechtshin strömend aber heiße er Eunoe, und bringe das erfreuende Gedächtniß aller guten Thaten wieder: dies sei Nektar, dies sei der Ort, den die Dichter, welche vom goldnen Alter sangen, auf dem Parnaß erträumt haben. Hier waren die ersten Stammältern der Menschheit einst unschuldig selig. Dante blickt hierauf die Dichter an, sieht, daß sie erfreut lächeln, und wendet seine Augen wieder der schönen Frau zu. Zur Scligkeit des Paradieses fehlt ihm das Vergessen seiner begangenen Fehler, denn noch hat er aus dem Lethe nicht getrunken.
Nach dem Schluß ihrer Rede fährt Mathilde fort zu singen: »Selig, deren Sünden bedecket sind!« Hiemit wird nicht, wie Einige meinen, Dante begrüßt; nein, sie singt vielmehr ihre eigne Seligkeit: der sündenbedeckende Strom Lethe ist es ja, welcher den Dichter noch von ihr, von dem wahren Paradiesesleben scheidet. Sie wandelt nun am Ufer in der Richtung, wo der Strom herquillt: ihrem gemäßigten Schritt, der noch auf der Erde, also bald im Dunkel, bald im Licht ist, folgt Dante mit gleichgemäßigtem Schritt am andern Rande: da wenden sich beide Ufer und die Wandernden mit ihnen gen Aufgang, gen die heilige Himmelsgegend, und Mathilde spricht zu dem gelassen wandelnden Dante: »Nun sieh, und höre!« Da erfüllt sich das Wort: »Wer glaubt, hat nicht zu eilen.«Dante hat hier nicht mühsam nach Licht zu klimmen, wie Hölle I auf dem falschen Wege; die wahren Lichter, die sieben Gnadengaben des heiligen Geist es bewegen sich von selbst dem ruhig Wandelnden entgegen,nicht wie vorüberfliehendes Blitzen, nein, stets heller und heller erstrahlend, und immer vernehmlicher ertönt ihm das Lob Gottes. Hier ruft Dante die Musen an, daß sie ihm schildern helfen, was er dort geschaut. Erst glüht die Luft unter den grünen Zweigen, und eine süße Melodie durchrinnt den ganzen Paradieseshain. Weiterhin wähnt er sieben goldne Bäume zu schauen; aber näher gekommen, erkennt er sieben Leuchter, auf denen sieben Flammen brennen, leuchtender als der volle Mond (die Philosophie).Da wendet sich Dante erstaunt zur menschlichen Einsicht (zu Virgil), aber auch diese vermag hier nur zu staunen: die Wunder des Glaubens sind unbegreiflich: die sie den Gnadengaben des heiligen Geistes: die Gabe der Weisheit, des Verstandes, des Rathes, der Stärke, der Wissenschaft, der Gottseligkeit und der Furcht des Herrn aber kann unsere Einsicht nicht erstreben, nur kindlich rein empfangen.Nun vernimmt Dante deutlich den Gesang als Gottes Lob und vertieft sich ganz in das Anschauen der heiligen Lichter; aber Mathilde sagt ihm: er solle sich doch auch umschauen nach dem, was hinter den Lichtern daherkomme. Da sieht er vier und zwanzig weißgekleidete Herren denselben als ihren Führern folgen; aber noch am Strom hinwandelnd, sieht er seine linke Seite (die falsche) darin gespiegelt: d. h. er gedenkt seiner Fehler, daß er früher (s. Hölle I) zu ungeduldig forschte, und bleibt, um nun besser zu schauen, zum Strand gewendet, stehen, und erwartet die Ankunft der göttlichen Gnadenlichter, welche in der Luft sieben regenbogenfarbige Streifen hinterlassen, welche auf die sieben Sakramente, auf das der Taufe, der Firmung, des Altars, der Buße, der letzten Oelung, der Priesterweihe und der Ehe zu deuten sind: denn diese haben ihren Ursprung aus dem heiligen Geist. Die beiden äußersten Farbenstreifen haben einen Raum von zehn Schritten zwischen sich, was auf die zehn Gebote deutet. Die vier und zwanzig nachfolgenden Herren aber versinnlichen die 24 Bücher des alten Testamentes, welche von den Gnadengaben des heiligen Geistes überstrahlt sind. Zum Zeichen ihrer Reinheit sind sie weiß gekleidet, und mit Lilien bekrönet. Sie singen das Lob Maria's, anzudeuten, daß sie die Verkünder der Geburt des Heilands sind. Als diese vor Dante vorübergegangen sind, kommen die vier mystischen Thiere, welche die 4 Evangelien bedeuten, jedes mit sechs Fittigen daher und mit Sturm, Gewölk und Feuer; ihre Fittige sind mit scharfsehenden Augen bedeckt, grüne Zweige bekränzen sie. Mitten zwischen den Thieren aber kommt der Wagen der Kirche, welcher von einem Greifen gezogen wird, dessen gespannte Flügel durch die Streifen des bunten Lichtes unabsehbar zum Himmel aufragen, gleichgewogen und gemessen, ohne einem derselben (der sieben Sacramente) zu nahe zu thun; der Greif aber bedeutet Christum: so weit er Vogel ist, d. h. himmlischer Natur, ist er lautres Gold; wo er dann Löwe ist, d. h. irdischer Natur, ist er weiß und roth, was auf seine Unbeflecktheit und sein unschuldig für uns vergossenes Blut zu deuten ist, auch nach dem Wort der Kirche im Hohenliede: »Mein Geliebter ist weiß und roth!« - In Christus ward das Himmlische mit dem Irdischen vollkommen vereinigt: er ist der wahre Lenker und Führer des Kirchenwagens: diesem zur Rechten tanzen die drei christlichen Tugenden ihren heiligen Reigen: bald führt ihn die feuerfarbene Liebe, bald der lilienreine Glaube, und die grüne Hoffnung folgt (wie sinnreich!) bald der einen, bald dem andern. Zur Linken aber schlingen die vier sittlichen Tugenden, den Wagen begleitend, ihren Reigen: Klugheit, Mäßigkeit, Gerechtigkeit und Starkmüthigkeit. Die Klugheit mit drei Augen (die auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und auf den dreieinigen Gott deuten) führt diesen Tanz. Hinter dem Wagen aber folgt Lucas, als Verfasser der Apostelgeschichte, und Paulus mit dem Schwerdt, als Verfasser der Episteln; hinter Beiden aber Jacobus, Petrus, Johannes und Judas, gleichfalls als Verfasser von Episteln; den Schluß macht Johannes, der, als Verfasser der Offenbarung, schlummernd, doch Mächtiges im Traume schauend, einherschreitet. Diese letzten sieben sind mit rothen Rosen bekränzt, zum Zeichen des Märtyrerthums. Als der Wagen dem Dichter gegenüber angelangt ist, erhallt ein Donner, und Alles scheint auf göttliches Gebot still zu stehen, damit Dante es betrachten könne: und dies ist nicht zu kühn von dem Dichter; denn ist in den heiligen Büchern der geoffenbarten Schrift nicht allen Menschen dieses Alles gegeben? Steht es nicht immer still vor uns, damit wir es betrachten sollen?
Als das leitende Siebengestirn der sieben heiligen Geistesgaben nun stillsteht, wendet sich die ganze heilige Schaar nach dem Wagen der Kirche, als nach der friedebringenden Mitte. Einer aus derselben aber, der Sänger des Hohenliedes, Salomo, ruft die Kirche an, wie er geschrieben: »Komm, Braut von Libanon!« Als er dreimal so gerufen, und die Andern nach ihm, erheben sich auf dem göttlichen Wagen hundert Engel des ewigen Lebens, die Worte rufend, welche bei Christi Einzug in Jerusalem aus dem Munde des Volkes kamen: »Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn!« Sinnvoll ertönt dieser Ruf hier, wo das Christenthum mit all' seiner ursprünglichen Herrlichkeit auftritt, welche den Dichter erst halb verständlich anklang, als er durch die Thür des göttlichen Erbarmens ging (s. d. Inh. z. Fegef. IX u. V 139-145). Hierauf streuen die Engel einen Blumenregen, in welchem die Braut vom Libanon, die himmlische, seligmachende Lehre erscheint, mit dem Oelzweig des Friedens und der Weisheit den weißen Schleier des Glaubens bekränzt, unter hoffnunggrünem Mantel das Flammenkleid der Liebe tragend. Eh' er sie noch recht mit Augen schaut, ergreift ihre geheimwirkende Kraft den Dichter mit derselben Macht, wie vormals, da er noch ein Jüngling war, und sie in der lebenden Beatrice verkörpert sah: er will das mächtige Gefühl Virgilen mittheilen, und wendet sich zu ihm: da ist Virgil geheimnißvoll verschwunden, zum Zeichen, daß menschliche Einsicht vor den Wundern des Glaubens schwindet, daß wir die göttliche Lehre nicht begreifen können, wie anderes Wissen, sondern allein kindlich annehmen mit reinem Herzen; deshalb verweist es die heilige Lehre sogleich dem Dichter, daß er über Virgil's Verschwinden weint, sagt ihm: er habe über ganz Andres zu weinen, und beginnt nun, ihm milde, doch strenge Vorwürfe zu machen, daß er ihr untreu geworden und andern trügerischen Glücksphantomen nachgegangen, welche nicht erfüllen, was sie versprechen; womit sie auf die Periode in Dante's Leben hindeutet, wo er sein Heil nicht in den göttlichen Offenbarungen der Schrift, sondern in der Philosophie und im politischen Leben gesucht. - Sieh', spricht sie zu ihm: ich bin Beatrice (die seligmachende), hast du es endlich für gut befunden, zu dem Berg zu kommen, und wußtest du nicht schon, daß hier der Mensch selig ist (der gläubige Schuldlose steht immer auf dieser sel'gen Höhe, sobald er die Lehren der heiligen Schrift betrachtet)? - Da neigt Dante beschämt das Antlitz, und es nicht ertragend, sich so im Strome zu schauen, wendet er die Blicke in das Gras zu seinen Füßen. Nun singen die Engel den auf Gott hoffenden und um Rettung flehenden dreißigsten Psalm bis dahin, wo es heißt: »Du hast angesehen mein Elend und aus den Nöthen errettet meine Seele: und mich nicht verschlossen in die Hände des Feindes, auf weiten (freien) Raum gestellt meine Füße!« - Dante ist nämlich, wie schon im Inh. z. Fegef. XXVII gesagt worden, im Reich der Freiheit angekommen; die Erinnerung seiner Fehler ist es allein noch, welche ihm das schuldlose Glück raubt. Das fürbittende Mitleid, welches sich im Gesang der Engel kund giebt, die himmlische Theilnahme siegt nun über den Starrsinn Dante's, und er duldet weinend und seufzend mit echter Reue das Schelten der gottlichen Lehre, welche, zu den Engeln gcwendet, sagt: sie habe ihn, einst auf Erden in Beatricen verkörpert, zu dem wahren Weg (welcher Christus ist) geleitet und ein neues Leben in ihm erweckt, worin er alles Guten fähig war; aber sobald sie jene irdische Hülle verlassen, sei er auf falschen Wegen trügerischen Glücksphantomen gefolgt, und sei nur um so mehr verwildert, als gute Kraft in ihm war. Selbst ihre Eingebungen in Schlaf und Wachen hätten nichts gefruchtet, bis es ihn endlich gerettet, als ihm auf ihre Bitte Virgil (die Einsicht) die Erfüllung der Gerechtigkeit Gottes an den Bösen jenseits gezeigt und ihn wieder hier herauf zu dem wahren Weg gebracht: Unrecht wäre es, wenn er, im Lethe trinkend, seiner Sünden vergäße, bevor er sie herzlich bereut und beweint habe!
Beatrice fordert dem Dichter, bevor er des Lethe trinken darf, das Selbstgeständniß seiner Schuld ab; gebrochnen Lautes kommt es von seinen Lippen. Da fragt sie ihn weiter, welche Hindernisse er angetroffen, daß er ihr nicht gefolgt. Nun gesteht er: wie die Zeitlichkeit ihn geirrt mit ihrer falschen Lust, sobald Beatrice die irdische Hülle der Portinari verlassen; worauf Beatrice erwiedert: die Vergänglichkeit ihrer irdischen Schönheit hätte ihm die Unzuverlässigkeit der irdischen Dinge desto eindringlilicher zeigen, und ihn dem Unvergänglichen zuwenden sollen: er möge nun seinen Bart erheben und sie anschauen. Beschämt, daß er, als ein schon bärtiger Mann, sich so verirren können, blickt Dante empor, sieht die Engelfeier nunmehr ruhen; aber die überirdische Schönheit Beatrice's, welche nur auf den Greifen, auf Christum, hinblickt, erfüllt ihn mit solcher Reue, daß alle andern Lockungen auf Erden ihm immer verhaßter werden, und er, von reuiger Selbsterkenntniß überwältigt, zu Boden sinkt. Als er wieder zu sich kommt, sieht er über sich Mathilde, die, auf der Oberfläche des Lethe wallend, ihm zuruft: »Fasse mich, fasse mich!« Da ergreift er sie (das wahre Paradiesesleben), sie zieht ihn durch die Fluth, während die Engel singen: »Besprenge mich mit Hyssop, so werde ich gereinigt«, was auf das sündenabwaschende Blut Christi deutet, und nahe am seligen Ufer taucht sie ihn nieder, damit er des Stromes trinke, und all' seiner Sünden vergesse. Aus dem Strom empor führt ihn Mathilde dann ein in den Reigen der vier sittlichen Tugenden, die ihn mit ihren Armen umfangen, und ihm sagen: hier seien sie Nymphen und am Himmel (leitende) Sterne (s. Fegef. I V. 23). Sie führen ihn vor Beatrice's Augen; aber für das holde Licht darin (Christus) sagen sie ihm, würden ihn die andern drei, die christlichen Tugenden: Glaube, Liebe, Hoffnung stärken. Stillstehend an der Brust des Greifen, sieht er nun desselben Bild in Beatrice's Augen gespiegelt, und hald in des Löwen Art, bald nach Adlerweise geregt; während der Greif selbst, beide Naturen vereinigend, stillsteht. Dieses Wunder deutet darauf, daß die göttliche Lehre uns in der Schrift beide Naturen Christi, bald die menschliche, bald die himmlische, als thätig zeigt, während beide doch in vollkommener Vereinigung waren. Da ditten die drei christlichen Tugenden Beatricen, dem Dichter nun ihre zweite Schönheit, ihren holdselig lehrenden Mund zu enthüllen, und, als sie nun die das Wort Gottes tönenden Lippen im Reich der Freiheit entschleiert, stimmt der ganze Himmel harmonirend ein: hier schweigt die Sonne der Erkenntniß dem Dichter nicht mehr, wie in der Kluft des Verzagens (s. Hölle I V. 60), hier tönt ihn die Harmonie aller Sphären an, denn die menschlichen und göttlichen Werke Christi gehen ihm in den Augen, die Worte aber in dem Munde der heiligen Lehre auf: das sind ihre zwo Schönheiten: sie zu singen, verzagt der Dichter.
Nach zehnjährigem Abwenden von der göttlichen Lehre haftet Dante's Auge nun zu starr an ihr. Mit bloßem Schauen aber ist nichts gethan; deshalb wenden die christlichen Tugenden sein Antlitz der thätigen Bewegung zu, die nun anhebt, indem der Zug, der voranging, nun wieder den sieben Leuchtern folgt, und rechts umwendend nach Morgen zurückwandelt, von wo er herkam. Jedes Paar macht seine Schwenkung, sobald das frühere vorüber ist, und als der Wagen mit Beatricen sich gleichfalls wendet,folgt Dantemit Statius und Mathilde dem rechten Rade, welches die kürzeste Schwenkung, machtdem Greifen nach.Dies ist ein Bild der thätigen Nachfolge Christi. Deraufgehen den Sonne der Erkenntnißentgegen führt der Greif (Christus) den Wagen, aber nicht zu ihr erhebt sich sein Flug, vielmehr bebt keine Feder an seinen Fittigen, und demüthig bleibt er, der irdischen Natur gemäß, stehenam Baum der Erkenntniß,der höher als alle andern Bäume, zum Himmel ragt. Da steigt die göttliche Lehre (Beatrice) auf die Erde herab, und die himmlische Schaar umgiebt den Baum, AdamsUngehorsambeklagend, durch welchen die Zweige dürr geworden; aher den Greifen selig preisend, dafern er gehorsam des Baumes nicht bräche, weil dieses seinem menschlichen Theil übel bekäme. Da läßt das himmlisch-irdische Wesen den Baum ungeschädigt, und spricht:»So bewahrt man den Samen alles Rechten!«Dann bindet es mit seinem (göttlichen) Schnabel die Deichsel des Wagens an den Baum, von dessen Holz sie gezimmert ist, und siehe, der durch Adams Schuld dürre Baum des Ungehorsams und des Todes wird zum Baum des Gehorsams und des Lebens, indem er von Neuem erblüht mit der Blutfarbe Christi, des Gottmenschen, der Gott gehorsam war bis in den Tod, und uns dadurch das ewige Leben wiedergewann. Diese heilige Wandlung des Baumes wird von den Umstehenden in einem Hymnus gefeiert, welchen der noch sterbliche Dichter nicht fassen kann, so daß ihn ein Schlummer überfällt, wie einst die Jünger bei der Verklärung; aber wie diese von Christi Todten-erweckendem Wort erwachten, erwacht Dante von dem Ruf: »Steh' auf, was thust du?« Und wie die Jünger nun Moses und Elias nicht mehr sahen, sieht Dante den Greifen und sein Gefolge nicht mehr; aber Mathilde steht bei ihm, und sagt ihmder Greif seimit den Andern unter noch heiligerem Liedegen Himmel gefahren,und habe Beatrice, die göttliche Lehre, als Hüterin des Wagens zurückgelassen: dort sitze sie auf der Wurzel des heiligen Baumes, umgeben von den sieben Tugenden, welche die sieben Gnadenlichter des heiligen Geistes in den Händen halten, sicher vor Nord- und Südsturm. Nun wendet sich Beatrice zu Dante, und sagt ihm: er werde zwar nur kurze Zeit im irdischen Paradiese (d. h. im Gott-gehorsamen irdischen Leben) weilen, selig an der Seite der wahren reinen Lehre, allein dereinst ewig mit ihr in dem himmlischen Rom wohnen, in der heiligen Stadt, wo Ghristus Mitbürger ist:zum Heil des römischen Reiches aber, wo es jetzt so übel hergehe, solle er die Geschichte niederschreiben, die er nun schauen werde.Da geht die ganze Geschichte der Kirche, seit Christus, in großartigen Bildern an ihm vorüber. Zuerst sieht er den römischen Adler am Baum der Erkenntniß gewaltsam herabfahren, Blätter, Blüthen und Rinde herabschmettern, und den Wagen der Kirche mit Hieben seines Schnabels erschüttern, wie ein Schiff im Sturme.Dies deutet auf die Verfolgungen des Christenthums durch die römischen Kaiser, welche nach Christi Himmelfahrt begannen.Nachdem der Wagen der Kirche diesen harten Straus bestanden, schwingt ein Fuchs sich hinein; wird aber von Beatricen vertrieben.Dies deutet auf Ketzereien, welche sich in die junge Kirche einschleichen wollten, aber von ihr(auf den Concilien)ausgestoßen wurden.Nun kommt der römische Adler friedlich herab und läßt viel seines Gefieders (womit er fliegen sollte) im Wagen zurück.Dies deutet auf die Schenkung zeitlicher Güter, welche Kaiser Constantin der Kirche gemacht.Nun kommt der alte Drache, der Satan, welcher einst Eoen zur Lüsternheit verleitet hatte, wieder aus der Erde hervor, reißt den heiligen Boden des Wagens hinweg und entführt ihn fröhlich des Raubes: da wird der erst heilige Wagen unheilig, und nimmt die geschenkten Federn so an, daß sie wie Unkraut wuchern auf seinen Ueberbleibseln undihn in das bekannte Ungeheuer mit sieben Häuptern und zehn Hörnern verwandeln.Letzteres bedeutet, nach katholischer Auslegung von Offenb. Joh. XVII, das heidnische römische Reich mit den sieben Hügeln; aberhier, wo es aus dem entheiligten Wagen der Kirche entsteht, bedeutet es offenbarden durch Constantin's irdische Schenkung und Einwirkung des Satans entstandenen gleichsam heidnischen Kirchenstaat.Auf diesem Ungeheuer thront statt der heiligen Lehre, die auf dem Wagen saß, eine freche Hure, die ein Riese buhlerisch küßt und eifersüchtig schlägt, als sie den Dichter anblickt; ja zuletzt reißt der Riese sie sammt dem Ungeheuer gänzlich los von dem Baume, und führt beide wild von dannen; der Dichter aber nimmt gegen ihn den heiligen Wald zum Schilde.Die Hure bedeutet,nach der Offenbarung,die entartete Herrschaft Roms;hier hat sich derselben ein Riese bemächtigt;dieser Riese ist niemand anders, als das weltlich-gewaltige Pabstthum;denn der wahre Gatte der eigentlichen Roma ist, nach Fegef. VI V. 112, der römische Kaiser, der Pabst aber soll nach Christi Beispiel Bräutigam der heiligen Lehre sein; wendet er sich von dieser ab, so wird er ein Buhler, wie der Riese hier V. 155 genannt wird. Das weltlich-gewaltige Pabstthum geißelt die entartete Roma, sobald sie ihren Blick einem Ghibellinen zugewendet; denn es fürchtet sich, daß sie ihm könne geraubt werden (s. V. 151), ja es zerreißt endlich gänzlich das Band des Gehorsams gegen Gott, womit Christus den nur mit geistlichem Reichthum beladenen Kirchenwagen an den Baum des Gehorsams, der Erkenntniß und des ewigen Lebens band, und führt das nun misgestaltete Unding alles wild hinab von der seligen Höhe. Der Dichter aber schützt sich mit dem Haine, der um die wahre Lehre blüht, die nicht verloren, nur von den Menschen verlassen ist.
Die sieben um die göttliche Lehre versammelten Tugenden beklagen die Zerstörung des Kirchenwagens, den Psalm 78 singend, welcher die Zerstörung des Tempels durch die Heiden betrauert (womit wieder das eben regierende Pabstthum als Heidenthum bezeichnet ist). Die Tugenden vergießen Thränen, und Beatrice wandelt sich vor Schmerz wie Maria am Kreuz, aber auf einmal richtet sie sich auf undruft im heiligen Eifer, wie Feuer entbrennend: »Ueber ein Klein es werdet ihr mich nicht sehen«,und dann:»wiederum über ein Kleines werdet ihr mich sehen!«d. h.: die göttliche Lehre wird zwar jetzt eine Zeit nicht auf Erden gesehen werden, bald aber wird sie in ihrer Herrschaft wieder sichtbar erscheinen.Dies deutet offenbar auf eine zu erwartende Kirchenverbesserung;wie diese in's Werk gesetzt werden soll, wird weiter unten in Räthseln angedeutet. Beatrice ladet nun Dante ein, ihr zu folgen und sie zu fragen. Dante erwiedert, nun blöder im Forschen: Sie werde wohl selbst lehren, was ihm heilsam wäre. Da sagt ihm Beatrice: der Wagen der Kirche sei jetzt vernichtet; aber Gottes Strafe über die Schuldigen werde nicht säumen: der römische Reichsadler, der seine Schwungfedern an den Wagen verschwendet, wodurch dieser Unthier und Beute geworden, werde nicht allezeit ohne Erben bleiben; denn die Gestirne würden einem neuen Kaiser bald günstige Zeit gewähren,ohne Widerstanddas verlassene Reich einzunehmen: da ein DXV (einDomini Xristi Vicarius,ein Statthalter Christi), gesandt von Gott, kommen werde, der die Hure und den Riesen tödten, d. h. der Sündhaftigkeit Roms und dem weltlichherrschenden Pabstthum ein Ende machen werde. Spreche sie in Räthseln zu ihm, so würden die Thaten ihm diese bald enthüllen, ohne Schaden, weder an Heerden noch an Saaten.Dies deutet offenbar auf eine friedliche Ausgleichung durch einen uneigennützigen Pabst,der nach Christi Rath dem Kaiser (das Reich) was des Kaisers ist, zurückgäbe, und Gott die Ehre und den Gehorsam, der ihm zukommt, indem er, die Mißbräuche abschaffend, den Wagen der Kirche wieder herstellte und, Christus nachfolgend, wieder anbände an den Baum des Gehorsams, der Erkenntniß und des ewigen Lebens. - Weiter spricht Beatrice zu Dante: er solle dieses Alles den Sterblichen verkünden und dazu, wie er den Baum zum zweitenmale berauben sah, als der Adler daran herabschmetterte. Wer ihn beraube wie Adam, oder ihn schädige wie der Aar, beleidige Gott durch Lästerung in der That. Adam habe mehr als fünftausend Jahre dafür gebüßt in Pein und Sehnsucht, bis Christus die Sunde auf sich genommen und ihn erlöst. Nicht ohne Grund seien des Baumes Aeste unten schwach und oben an dem Wipfel immer breiter und stärker, er würde diesen Grund schon an den großen Folgenmoralischerkennen; wenn nicht (philosophische) Eitelkeit und (sinnliche) Lust seine Einsicht versteinert und verdunkelt hätten. Nun solle er wenigstens die Bilder dieser Dinge mit sich nehmen, wie ein Pilger den Palmzweig aus dem heiligen Lande. Dante sagt: er trage diese Bilder fest in sich geprägt, wie den Abdruck eines Siegels, fragt aber zugleich, warum ihre Rede so hoch über seiner Einsicht schwebe, daß er sie nicht fassen könne? Da sagt ihm Beatrice:dieß geschieht, damit du sehest, wie schwach die Lehre sei, der du gefolgt (die Philosophie), und daß eure menschlichen Wege von Gottes Wegen so weit entfernt sind, als der höchste Himmel von der Erde.Als nun Dante sich seines vormaligen Abirrens von Gottes Weg und Beatrice's Lehre nicht mehr entsinnen kann, sagt sie ihm: dies sei ein Zeichen, daß es nicht gut war; sonst würden Lethe's Wellen ihn der Erinnerung daran nicht beraubt haben, von nun an aber werde sie selbst so deutlich zu ihm sprechen, als es nöthig sei für seinen noch schwachen geistigen Blick. - Jetzt nimmt die Sonne der Erkenntniß, auf Dante stärker herableuchtend, den Mittagskreis ein, und die sieben Tugenden bleiben mit den sieben Geistesgaben an einem schattigen Dunkel stehen, wo zwei Bäche einem klaren Quell entströmen, aber beide nach verschiedenen Seiten abfließen, der eineLethe,gegen Abend, der andereEunoe,gegen Morgen. Dante, erstaunt, fragt: was dies für Wasser seien, die, Einem Quell entsteigend, sich dennoch trennen. Da sagt Beatrice, er solle Mathilde bitten, ihm dies zu erklären; aber Mathilde sagt: sie habe ihm dies enthüllt, und Lethe werde ihm das Gedächtniß dafür nicht genommen haben (s. Fegef. XXVIII V. 121). »Nun so gieb ihm von Eunoe zu trinken!« sagt Beatrice. Da führt Mathilde Dante und Statius zu der Quelle, welche das Gedächtniß für die guten Thaten wiedergiebt; und die Dichter trinken: aber die Süßigkeit dieses erquickenden Trankes zu schildern, findet der Dichter keinen Raum mehr in seinem geordneten Liede, und sagt nur, daß er wie eine an allen Zweigen erneute Pflanze von der heiligen Welle zurückgekehrt sei, rein und bereit zum Aufflug nach den Sternen. Was jedoch den Erklärer betrifft, so ist er der Meinung, der Dichter habe bei dem Quell an den Gnadenquell Christi gedacht, der unsere Sünden hinnimmt und uns beseligt, wie Paulus Korinth. I Kap X V. 4 von den Israeliten sagt: »sie tranken aber aus dem geistigen Felsen, der ihnen folgte, undder Felsen war Christus.«Sahen wir doch schon in den beiden symbolischen Höhen, welche Dante auf Erden annimmt (Sion und den Fegefeuerberg), Christum als göttlichen Felsen der Aergerniß, des Anstoßes für die Bösen, aber auch der Erhebung für die Reinen, welche den Gnadenweg wandeln, der für sie bereitet ist in Christus dem Felsen, so quillt denn hier aus der Brust dieses Felsen der Gnadenborn, der Sünde tilgt und neues Leben giebt, den alten Adam austreibend und den neuen schaffend, welcher fähig ist des Auffluges in den Himmel.

Das Paradies

Der Dichter ruft den Apollo an, ihm jetzt höchste, wahrste Kraft zu verleihen, nun er beginne, die Schau des Himmels zu besingen, der am meisten des göttlichen Lichtes empfängt. Ein Gipfel poetischer Erhebung (der irdische) genügt ihm nicht zu diesem Gesange, er muß dazu den zweiten betreten, der in das himmlische Paradies hineinragt. - Schon war ihm das Himmelslicht der Erkenntnissonne in der günstigsten Constellation aufgegangen, die sieben Tugenden leuchteten ihm vor mit den sieben heiligen Geistesgaben, als er aus der Eunoe trank; nun ist aber die Sonne in den Meridian getreten und die ganze Hälfte der Erdkugel erleuchtet worauf Dante steht, hebt Beatrice, zur Linken gewandt, den Blick empor, fester in die Sonne schauend, als je ein Adler. Da ist ihm, als ob Tag zu Tage käme, als ob der Schöpfer der Welt eine zweite Sonne geschaffen. In dieser Vorahnung der Engelsonne (s. Parad. X V. 53) sinkt sein Auge zu Beatricen herab, die nach den ewigen Kreisen emporblickt. Jetzt wird er der menschlichen Natur durch den heiligen Liebes-Geist entrückt, während ihn die Harmonien des sonnentflammten Himmels sehnsuchtregend anklingen. Diesen Zustand vermag er nicht zu singen. Beatrice kommt den Fragen des Staunenden zuvor, ihm sagend: er stehe nicht mehr auf der Erde, und als er nun fragt: wie es geschehen könne, daß er den ihn ringsumflammenden Aether überfliege? antwortet sie ihm: der reine Trieb zu Gott trage ihn nun empor; wenn er jetzt, nachdem er vom falschen Trieb geläutert sei, nicht aufschwebte, würde dies so unnatürlich sein, als wenn ein Strom nicht abwärts flöße, oder lebendig Feuer träg am Boden läge und nicht emporflammte. Wie einfach und wahr ist hier der Gedanke ausgedrückt, daß die reine Seele sich natürlicher Weise zu Gott erheben und ihm nahen muß, weil ihre Gott-entflammte Sehnsucht, ihr reiner Trieb, die Glut des heiligen Geistes selbst sie emporträgt, und sie nichts mehr stört und hindert. (Wie sehr kontrastirt hiemit Hölle I V. 28 u. w. das mühsame und vom falschen Triebe gestörte eigenwillige Klettern an der göttlichen Steile!) - Beatrice wendet, nach solcher Belehrung, den Blick zurück zum Himmel.
Nunmehr bittet der Dichter alle Zuhörer, welche sich nie sehnsüchtig am Himmelsbrot, d. h. am Worte Gottes gelabt, ihn zu verlassen, da sie ihm nicht mehr folgen könnten: das Schiff seines Gesanges segle von Weisheit getrieben, vom Lichtgott und den neun himmlischen Musen geleitet, durch unbefahrnes Meer, ihm könnten nur die folgen, welche sich zeitig mit Himmelsspeise genährt, die hier niemals sättige; diese wenigen werde hier größeres Staunen ergreifen als die Argonauten, welche den Jason mit flammenhauchenden Stieren pflügen sahn. - Dante schaut auf seine Führerin, die göttliche Lehre, die emporblickt. Plötzlich umgiebt ihn wie ein glänzendes Gewölk, und Beatrice fordert ihn zum Dank gegen Gott auf, der ihn in die Sphäre des Mondes gebracht. Das Wunder, daß der Dichter mit seinem Körper in dem himmlischen Körper war, soll Sehnsucht regen, Christum zu schaun, der in sich Himmlisches mit unsrer Natur verbunden. Im Himmel werden wir alles Dieses erfahren, nicht durch mühsame Schlüsse, sondern offenbar wie das, was bereits hier als wahr einleuchtet. Nun frägt Dante, woher die dunkeln Flecken des Mondes entstünden, die man auf Erden sehe, und erfährt, daß sie nicht, wie er gemeint, durch dichte und dünne Stellen des Mondes entstünden. Hiebei macht Beatrice den rechten Gebrauch der Philosophie, indem sie seinen Irrthum durch logische Schlüsse wiederlegt (»meiden das Böse ist Verstand«): dann aber giebt sie ihm himmlische Belehrung und sagt ihm: im Himmel seien die Ursachen der Erscheinungen mannigfaltiger, als er es denken könne: Gottes strahlende Weisheit präge sich vermannigfaltigt aus in den belebten Himmelssphären, mehr oder minder, je nachdem die gemischte Natur derselben mehr oder weniger empfänglich dafür sei, und so daß die obern immer den untern von dem verleihen, was sie von oben empfangen. Die göttliche Natur strahle aus ihren gemischten Kräften verschieden hervor, wie Wonne aus lebendigem Augensterne. Sie sei ja Urbildungskraft und schaffe nach ihrer Huld Trübes und Helles. - Gott hat den Mond (die Philosophie) eben nicht so hell erschaffen wollen, als die Sonne (die göttliche Erleuchtung und Offenbarung).
Dante richtet sich auf, zu gestehn, daß er sich geirrt habe, und daß er nun belehrt sei; da erscheinen ihm plötzlich eine Menge Gesichter, die er für gespiegelte hält, indem sie durchsichtig erscheinen; er wendet sich deshalb zurück, die wirklichen zu schauen. Da lächelt Beatrice und sagt ihm, er irre sich, wiederum auf irdische Schlüsse bauend: diese Gestalten seien nicht Spiegelbilder, sondern Seelen, in diese unvollkommne Sphära gebannt, weil sie, der Gewalt nachgebend, ihr Gelübde nicht vollkommen erfüllt hätten. Der Mond ist ja mit seinen Flecken ein Bild unvollkommner Weisheit; höchst sinnreich erscheinen deshalb hier diejenigen Seelen welche, durch Sophismen überredet, fehlten; es ist ein Sophismus, zu meinen, man müsse irdischer Gewalt nachgeben, da doch Spr. X V. 29 geschrieben steht: »Der Weg des Herrn ist die Stärke des Arglosen; aber Schrecken für die, so Böses thun. Der Gerechte wanket nicht in Ewigkeit.« - Dante vernimmt ferner von Beatrice, daß diese Seelen jetzt auch nicht mehr wankten und wichen von Gottes Licht, und wendet sich an die frohbewegteste derselben mit der Bitte, ihm mit der Kunde ihres Namens und des Zustandes dieser Seelen zu genügen. Da giebt sich die Seele als Piccarda, Forese's Schwester zu erkennen, und bestätigt Beatrice's Wort, daß hier die Seelen derer erschienen, die ihre Gelübde nicht ganz erfüllt hätten; dennoch seien sie selig auf dieser untern Stufe, weil ihr Wille sich ganz in den Willen Gottes füge. Dies erinnert an Christi Wort (s. Matth. XI V. 29 und 30): »Nehmt mein Joch auf Euch und lernet von mir, denn ich bin sanft und demüthig von Herzen: so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele, denn mein Joch ist sanft und meine Bürde ist leicht.« Piccarda erzählt auf des Dichters Frage, wie man sie mit Gewalt aus dem Kloster der heiligen Clara, wo sie Profeß gethan, in die böse Welt zurückgeführt habe; Gleiches sei auch mit der Seele neben ihr, der Kaiserin Constanza geschehn, dieselbe habe indeß in ihrem Herzen beständig die Liebe zum Schleier bewahrt. Hierauf scheidet Piccarda, Maria, das Vorbild der Keuschheit, preisend, und der Dichter vermag ihr mit dem Auge nicht mehr zu folgen, womit hier zugleich angedeutet ist, daß er ihren Worten auch geistig nicht ganz folgen könne.
Piccarda's Rede hat den Dichter in zwei frommen Zweifeln bestrickt. Er wünscht die Lösung beider so sehnsüchtig, daß er nicht weiß, über welchen er Beatricen zuerst befragen soll? Die Sehnsucht und das Bangen dieses Zustandes wird in drei sinnreichen Bildern geschildert. Endlich kommt Beatrice seiner Frage zuvor und nennt ihm selbst seine Zweifel. Er hält es nämlich erstens für ungerecht, daß die an den Nonnen von Andern verübte Gewaltthat ihre Seligkeit mindere und hängt zweitens, noch immer zu viel philosophirend, an der Meinung des Timäus bei Plato, welcher sagt: die Seelen gingen von bestimmten Sternen aus und kehrten dahin wieder zurück. Bezugs der letztern Ansicht sagt Beatrice, ihm daß alle heil'gen Seelen derselbe Himmel umfasse; diese seien ihm nur hier erschienen, ihm sinnlich ihre niedrere Seligkeitsstufe anzudeuten, da zu sinnlichen Menschen nur in Sinnbildern gesprochen werden könne, weshalb auch die Schrift Gott Hände und Füße beilege, und die Kirche den Engeln menschliche Gestalt, und es doch anders meine. Der Fehler Timäus sei es eben, daß er seine Worte nicht sinnbildlich meine, sondern wirklich. Dergleichen Ansicht habe die Abgötterei mit den Gestirnen erzeugt. Was den ersten Zweifel betreffe, seien die Nonnen nicht schuldlos: wäre ihr Wille vollkommen gewesen, so würden sie nicht der Gewalt gewichen, sondern bis in den Tod treu bestanden sein wie Laurentius auf dem Rost und Mucius Scavola vor Porsenna. Diesem vollkommnen Willen sei Constanza zwar, wie Piccarda sagte, im Herzen treu geblieben; in der That aber habe sie andrem irdischen Willen zu viel Raum gelassen, und damit Tadel und eine mindre Stufe der Seligkeit erworben. Daß ihm ihr Schicksal irriger Weise ungerecht erscheine, sei übrigens kein Zeichen ketzerischer Bosheit, sondern vielmehr ein Zeichen des Glaubens, daß Gott gerecht sein müsse. Hierdurch erquickt und ermuthigt frägt Dante getrost, ob man im Himmel wohl solchem Fehlen am Gelübde genügen könne? Hiebei blickt er Beatricen an, senkt aber, von ihrem Glanze geblendet, demüthig die Augen, und erwartet ihre Belehrung, die sie im folgenden Gesange ertheilt.
Beatrice (die heilige Lehre) sagt dem Dichter: er solle nicht staunen, wenn sie, je höher sie sich mit ihm in Anschauungen erhebe, je höher im Feuer des heiligen Geistes (der Liebe) erglühe. Dies sei natürliche Folge, und auch er werde schon von diesem Licht bestrahlt. Alles was auf Erden verlocke, sei ein von hier durchleuchtender aber mißverstandner Schimmer dieses Liebeslichtes. Hierauf sagt sie ihm, in Bezug auf seine Frage im vorigen Gesange: bei einem Gelübde seien zwei Dinge nothwendig, erstens, der Vertrag mit Gott, wovon selbst die Kirche nie entbinden könne, zweitens aber der Gegenstand des Gelübdes: letzterer könne allerdings, mit Erlaubniß der Kirche, vertauscht werden; dafür genügen aber könne man nur, wenn das Ersatzopfer größer sei als das vertauschte. Da nun bei Klostergelübden die Freiheit des Willens Gott geopfert wird, und diese Freiheit schon der höchste Schatz des Menschen ist, welchen Ersatz kann man dann noch bieten, wenn solch ein Gelübde gebrochen worden? Ein wahres Gelübde ist das, welches mit Gottes Willen übereinstimmt, es erfüllen ist Tugend; dagegen ist die Erfüllung eines thörigen mit Gottes Willen nicht übereinstimmenden Gelübdes Sünde; Beispiele solcher Versündigung sind Jephtha und Agamemnon. Dem Gott der Weisheit und Liebe diene man nicht, wenn man Thöriges gelobe und halte, rathe Jemand dazu, so solle ein Christ nicht blindlings folgen, wie ein albernes Schaf, sondern sich Raths erholen im alten und neuen Testament und bei dem Priester, um nicht zuletzt selbst vom Juden verlacht zu werden. - Nach solcher Belehrung tauchen wieder neue Fragen in dem Dichter auf; doch schweigt er, da Beatrice sich wieder dem Himmel zuwendet, und mit ihm, so schnell wie ein Pfeil, dessen Sehne noch zittert, während er schon in das Ziel schlägt, in höherer Sphäre in dem Planeten Merkur ankommt, seiner zitternden Sehnsucht gleichsam voraneilend. Der schwachleuchtende Planet wird durch Beatrice's Nahen viel heller, und, wie Fische im Wasser, kommen mehr als tausend Schimmer heran, hoffend, der Dichter werde ihre Liebe mehren. Einer derselben bietet ihm, dafern er sie verlange, Belehrung an, sprechend, diese Geister seien alle vom Licht des heiligen Geistes erleuchtet, was Beatrice bestätigt. Nun sagt Dante zu der Seele, die gesprochen: er sehe wohl ihre Liebe und ihren Glanz, wisse aber nicht, wer sie sei, und warum sie hier in dem Planeten erscheine, der fast immer von andrer Schimmer überstrahlt werde? Da wird die gefragte Seele von Liebe heller und heller und giebt, ganz verhüllt in strahlendes Licht, die Antwort, welche der folgende Gesang singt.
Das redende Licht giebt sich als die Seele Kaiser Justinian's zu erkennen, und sagt: daß sie durch den Pabst Agapitus den Glauben an die zwei Naturen Christi gewonnen, und sodann von Gott inspirirt worden sei, aus dem römischen Recht Unmaß und Mangel zu verbannen. Sie habe mit ganzem Eifer das große Werk des Gesetzbuches vollführen können, weil sie dem Feldherrn Belisar die Führung der Kriege vertrauen durfte. Das ungerechte Verfahren der Ghibellinen und Guelfen veranlaßt den großen kaiserlichen Rechtsfreund von der römischen Herrschaft zu sprechen, die von Gott geordnet sei und sich von ihrem Ursprunge an siegreich erwiesen habe, bis Rom den Adler, das Zeichen der Herrschaft, freiwillig an Cäsar gegeben. So sei das Kaiserthum gegründet nahe der Zeit, wo Gott die Welt durch sein Vorbild auch geistig läutern wollen. Unrecht also hätten die, welche dem Adler trotzten, und unrecht die, welche ihn mit Gewalt an sich reißen wollten, da er freiwillig verliehen werden müsse. Die Verräther an Cäsar am Kaiserthume büßten in der tiefsten Hölle: Gott selbst habe es verherrlicht, indem er es zweimal als Werkzeug seiner Strafe gebraucht: erstlich zu Bestrafung aller menschlichen Sünden durch Christi Kreuzigung unter Tiber, zweitens durch die Zerstörung Jerusalems unter Titus, wodurch das Unrecht, welches die Juden an Christus geübt, gerächt worden. Frankreich solle demnach nicht glauben, daß die Lilien sich je über den Adler stellen könnten, das römische Reich habe schon stärkere Feinde besiegt. Nach so großartiger Symbolisirung der römischen Geschichte sagt Justinianus dem Dichter: Hier in dem Planet Mercur erschienen ihm die Seelen, welche im thátigen Leben guter Ehre und gutem Ruhme nachgetrachtet, es sei daher natürlich, daß nicht so viel Licht auf sie strahle, als wenn sie sich ganz der lebendigen Liebe zugewandt; das Bewußtsein, daß dies gerecht sei, sei indeß schon Seligkeit; die Seelen ordneten sich stufenweise wie verschiedne Stimmen zu einem mannigfachen, großen, harmonischen Chore: in dem einen Lichte neben ihm sei der edle Romeo, der Raimondo Berlinghieri's Güter so trefflich verwaltet habe, daß er ihm drei Könige zu Eidamen gewonnen.
Die Alles überleuchtende Gottesklarheit (s. Offenb. Joh. XXI V. 23) mit Hosianna preisend, wendet sich die Seele Justinian's wieder ihrem Sterne zu, und entschwindet mit den andern Seelenflammen, durch den Lauf desselben plötzlich in die Ferne gerückt. Dem Dichter sind bei Justinian's Worten (s. Parad. VI V. 90-93) zwei Bedenken gekommen: wenn die Kreuzigung Christi, wie Justinian gesagt hat, von Gott gerechter Weise zu Bestrafung der menschlichen Sündhaftigkeit verhängt war, begreift Dante nicht, wie sie wiederum mit Fug und Recht an den Juden durch Titus gerächt werden konnte? Sein andres Bedenken ist, warum Gott gerade seinen Sohn kreuzigen lassen, und die Menschen nicht auf andre Art erretten wollen? - Da kommt Beatrice wiederum den Fragen des Schüchternen zuvor, und sagt ihm: In Betracht der Sünde, die durch Adam in die Welt gekommen, und an Christi menschlicher Natur um Erfüllung der Gerechtigkeit willen durch Vergießung seines Blutes gerächt werden mußte, war die Kreuzigung gerecht, von Gott aus, von den Juden aus aber das größte Unrecht, Ansehens der göttlichen Person Christi, an der sie sich vergriffen. Dieses Unrecht ward durch Titus gerächt, als er Jerusalem zerstörte. In Betreff des zweiten Bedenkens sagt Beatrice weiter: Gott gehorsam verbunden sei der Mensch gut gewesen wie alle von Gott geschaffnen Dinge; aber nachdem durch Verführung der Schlange Adam ungehorsam, somit Gott abwendig und mit allem seinem Stamm unvollkommen geworden sei, die Menschheit nur auf zwei Wegen zu retten gewesen. Entweder hätte der Mensch von selber demüthig werden und seinen Ungehorsam wieder abbüßen müssen, oder Gott mußte ihm von freien Stücken verzeihen. Da nun der Mensch, vermöge des ihm durch Adam anhaftenden Ungehorsams, nicht von selbst demüthig werden und abbüßen konnte, gab Gott dem Menschen Christus zum Vorbilde der Demuth und des Gehorsams bis in den Tod, und verzieh zugleich denen, welche Christi Beispiele folgen würden. So hat er zur Erlösung der Menschheit nicht einen Weg allein erwählt, sondern viel reichlicher schenkend, beide vereinigt: dem menschlichen und dem göttlichen Christus folgend kann nun der Mensch genug thun, und Gott verzeiht. Daß Beatrice alles Geschaffne gut nennt, scheint der Vergänglichkeit der irdischen Dinge zu widersprechen; aber sie sagt, ihr Ausspruch beziehe sich nur auf das wirklich Geschaffne, die Engel, die Himmel und den Stoff aller Dinge: diese seien gut und ewig. Die Gestaltung des Stoffes aber sei Folge der Gestirnstellungen, so auch das Leben der Thiere und der Pflanzen, also wandelbar. Anders verhalte es sich mit dem Leben des Menschen; dieses sei ein Hauch Gottes und ewig; er werde demnach am jüngsten Tage wieder auferstehn, und der ewige Stoff, aus dem der Leib bestand, sich wieder zu nun unvergänglichem Leibe gestalten.
An dem zunehmenden Glanze Beatricens gewahrt der Dichter, daß er sich plötzlich in höhern Stern, in den der Venus entrückt befinde, dem die Heiden fälschlich die irdische thörige Liebesregung zuschrieben und ihm irrthümlich Opfer brachten. Dieser Irrthum der Heiden bildet hier zugleich den frühern Irrthum der hier erscheinenden Seelen vor, welche vordem der irdischen Liebe auch allzuviel gehuldigt. Schneller als Sturmmind kommen sie heran, anzudeuten, daß sie dem Sturme der irdischen Licbe entfliehen konnten und entflohen sind, und sie werden in dem Stern himmlischer Liebe wie Funken in der Flamme unterschieden, oder wie Stimme im Gesange mehr und minder hell nach dem Maß ihrer göttlichen Anschauungen. Das am meisten genahte Licht erbietet sich, Dante's Fragen zu beantworten, sagend auch diese ganze Hosianna singende Schaar sei dazu bereit. Alle folgeten der Bewegung der Himmelsfürsten welche er einst angerufen, im Convito singend: Die ihr erkennend regt den dritten Himmel. - Nachdem Dante Beatricens Einwilligung in ihrem Blick erkannt, fragt er das redende Licht inbrünstig: wer sie seien? Da wird das gefragte Licht vor Wonne, ihm zu genügen, heller und größer, und giebt sich als Karl Martell, den König von Ungarn, Dante's Freund zu erkennen, sprechend, daß manches Unheil, was jetzt geschehe, nicht geschehen würde, wenn er noch auf Erden geblieben wäre; dann hätte auch Dante seiner Freundschaft erst recht froh werden sollen. Dann tadelt er die böse Herrschaft, welche Sizilien empört hat, auch das geizige Schalten seines Bruders Robert, der von so freigebigem Vater entsprossen. Auf die Frage Dante's aber, wie von gutem Vater böse Kinder entstehen könnten, antwortet Karl Martell: Alles sei verbedacht im ewigen Rathe, die Geschopfe mit all ihrer Wohlfahrt. Die Väter wurden immer ihnen gleiche Söhne zeugen, wenn Gott nicht durch den Einfluß der Gestirne bei Erschaffung der Seelen andre Grundanlagen hervorbringen ließe, die Mannigfaltigkeit zu bewirken, welche zur Bildung des Staates nothwendig sei. - Zu dieser Mannigfaltigkeit der Grundanlagen treten dann noch die Veränderungen, welche Fortuna hervorbringe; doch entstehe viel Böses daraus, daß die Menschen auf jene Grundanlagen nicht genugsam achteten, und die zu Priestern machten, welche zum Kriege bestimmt seien, aber die, welche predigen sollten, zu Königen machten. Darum sei die Welt eben so uus dem Gleise gekommen. Dies wird nicht ohne Bezug auf die gewaltthätigen Päbste gesagt.
Karl Martell prophezeiht dem Dichter noch, was das Geschlecht der Provenzalen für Verräthereien erleiden, und was darauf für Strafe folgen werde, verbietet ihm aber, das Vorhergesagte zu verkünden, und wendet sich wieder Gott zu. Da schwebt ein andres Licht heran, und Beatrice gewährt dem Dichter, mit demselben zu reden. Darin ist die einst üppige Cunizza, die Schwester des Ezelino da Romano, welche gesteht, daß sie auf Erden von der irdischen Liebe beherrscht worden, und deshalb auf diesem Stern erscheine. Sie ist nicht mehr von Reue gequält, sondern hat sich, wie Gott ihr, verzichen, worüber der Pöbel wohl staunen möchte, wie sie selbst sagt. Neben ihr zeigt sie Dante die Seele des Dichters Folco von Marseille, erhebt dessen Ruhm und schilt dagegen das unrühmliche Thun des Trevisaner Volkes, dafür es, besonders aber die Stadt Padua Unheil erleben werde. Hierauf wendet sie sich in ihren Kreis zurück. Nun wird das andre Licht vor Freude heller und heller (wie die Schatten in der Hölle vor Leid dunkler werden), und Dante frägt ungeduldig, warum es seinen Wunsch noch nicht erfülle und mit ihm spreche? Hierauf giebt sich Folco weiter zu erkennen und erzählt, wie er in seiner Jugend der irdischen Liebe ergeben gewesen, was er indeß nicht mehr betraure, sondern vielmehr der Weltordnung froh sei, die zuletzt die irdische Liebe in die himmlische verklärt habe. Neben ihm strahle das Liebeslicht der Rahab, welche Christus, als er die Altvordern aus der Vorhölle erlöst, von allen Seelen zuerst aus seinem Triumphzug hier zurückgelassen habe als Siegespalme: denn sie habe, obwohl sie eine Buhlerin war, das Reich Gottes wirksam befördert; dagegen vergesse dies der an der Kirche ehebrecherische Pabst gänzlich, und trachte nur nach Weltlichem. Die vom Teufel gegründete Stadt Florenz schlage die Floren, welche alle Welt verführten und die Priester zu gierigen Wölfen machten, so daß man statt der Bibel und der Kirchenväter nur die Decretalen des Pabstes studire. Bald aber werde dem Ehebruch an der Kirche ein Ende gemacht werden. (Ueber das Wie? s. Fegef. XXXIII. Inhalt.)
Dante preiset Gottes große Weltordnung an der Sonnenbahn, durch deren Wechsel die Jahreszeiten entstehen, und die Bewohner der Erde erhalten werden. Dies ist ihm der Eingang, nun er beschreibt, wie er, so schnell als ein Gedanke entsteht, in der Sonne angelangt, wo Beatrice durch sich selbst leuchtender wird. In der Sonne unterscheidet man die Dinge nicht nach Farbe (d. h. nicht nach täuschendem Schein), sondern nach ihrer wirklichen Lichtkraft (nach ihrem wahren Werth), was unmöglich zu schildern sei, aber ersehnt werden solle. - In der Sonne ist die vierte Genossenschaft von Seelen, bestehend aus den heiligen Theologen: Beatrice aber sagt zum Dichter: er solle der Engelsonne, Gott danken, daß er ihn in diese sichtbare entrückt habe. Da vertieft sich Dante so inbrünstig in den Gedanken an Gott, daß er fast Beatricens vergißt. Sie freut sich dessen, lenkt aber endlich seine Aufmerksamkeit wieder auf die ihn umgebenden Seelen, die sie, die göttliche Lehre, als ein Kranz von Lichtern umgebend, dreimal lobsingend umkreisen. Aus dem nächsten Licht spricht eine selige Seele zu Dante, es sei unmöglich, einem Durste, wie der seinige sei, den himmlischen Trank zu versagen, und nennt sich ihm als Thomas von Aquino; neben ihm zeigt er ihm den großen Meister Albertus von Köln; weiterhin den Ordner geistlichen und weltlichen Rechtes, Gratianus; ferner den bescheidnen, doch großen Theologen Petrus Lombardus, genannt Magister Sententiarum; ferner den unvergleichlichen Salomo, und neben diesem den heiligen Dionysius Areopagita, der von der Natur der Engel geschrieben, dann den wackern Paulus Drosius, der mit seinen sieben Geschichtsbüchern die Kirche gegen heidnische Anfeindungen vertheidigt hat, weiterhin zeigt Thomas von Aquino dem Dichter das Licht des Severinus Boethius, der das Buch vom Trost der Weisheit geschrieben; ferner den spanischen Bischof Isidorus, den Engländer Beda, der Doctor venerabilis genannt ward, und den scharfsichtigen Mönch Ricciardo, zuletzt den Dialektiker und Logiker Sigieri aus Paris. Hierauf beginnt wiederum der Sang und das Kreisen dieser heiligen Seelen, so geordnet und lieblich, wie die Räder einer kunstvollen Uhr in einander greifen und gleichmäßig ziehn und treiben, wenn ihre Glocke tönt, um die gottgeweihte Seele zu bräutlichem Morgenlied zu wecken. Alles deutet auf die göttliche Harmonie in den Bestrebungen dieser großen Theologen; da giebt es nicht Widersprechendes, Alles stimmt zusammen, die Seelen zur Vereinigung mit Gott zu erwecken. Wie sinnreich war es darum von dem Dichter, diesen Gesang mit dem Preise der göttlichen Weltordnung zu beginnen, und die wechselnde und doch geregelte Bahn zu loben, welche die Sonne, das Licht der göttlichen Erkenntniß, wandelt. In ihrem Wechsel sind zugleich die mannigfachen Standpuncte vorgebildet, welche die verschiednen Theologen zu Erleuchtung der Christenheit genommen haben. Hier ist das VII., VIII. und IX. Kapitel des Buches der Weisheit nachzulesen.
Mit dem Ausdruck des seligen Gefühls, durch die göttliche Lehre (Beatrice) über alle irdischen Sorgen emporgehoben zu sein, beginnt dieser Gesang, Die heiligen Lichter stehn nun still in ihrem Kreise wie flammende Kerzen auf dem Altare Gottes, aber das Licht des heiligen Thomas, in Gott schauend, daß Dante nicht Alles gefaßt habe, was es zu ihm gesprochen, beginnt zwei dem Dichter dunkle Stellen zu erläutern, davon die eine sich auf Salomo's Weisheit, die andre auf das Abirren der Heerde Christi vom wahren Wege bezog. Der wahre Weg ist Christus (s. Hölle I V. 3 u. d. Anm.), wer sich der Sorge für Irdisches zuwendet, kommt von dem wahren Weg ab. Deshalb er zählt nun der heilige Thomas von Aquino mit tiefer Bedeutung für das ganze Gedicht: wie Gott einst die wankende Christenheit gerettet durch Sendung zweier Männer, welche mit heiligem Eifer den ersten Rath Christi befolgten, den irdischen Gütern entsagten und nur nach den himmlischen trachteten, der eine, Franziscus, mehr der Liebe, der andre, Domenicus, mehr der Weisheit erfassend, beide aber mit göttlicher Kraft gerüstet. Aehnliche Rettung der Christenheit durch freiwillige Armuth und Eifer nach Weisheit, Liebe und göttlicher Kraft wird im ersten Gesange der Hölle von der menschlichen Einsicht vorher gesagt (s. Hölle I V. 101 u. w. u. d. Anm.); denn man konnte vernünftiger Weise schließen, daß der allgemeinen Verderbniß abgeholfen werden könne, wenn das Oberhaupt der Kirche den ersten Rath Christi befolgte, das Irdische aufgäbe und dem Himmlischen nachtrachtete. - In herrlichen Worten schildert der heilige Thomas von Aquino nunmehr das Leben des heiligen Franziscus von Assisi, den Zug der freiwilligen Armuth bedeutsam preisend, indem er sagt. daß Christus mit ihr an's Kreutz gestiegen sei, das Zeitliche für das Ewige verlassend, daß aber seit Christus Niemand wieder die Armuth so geliebt, als Franziscus, welcher dafür auch gewürdiget worden, am Felsen von Alvernia die Wundenmale des Herrn als letztes Siegel seiner Heiligkeit zu empfangen. Noch im Sterben habe Franziscus seinen Nachfolgern seine geliebte Armuth empfohlen. Nachdem Thomas die Folgen von Franziscus Wirken erzählt, sagt er: der heilige Domenicus, der andere Retter, sei diesem gleich an Werth; aber die jetzigen Jünger des Domenicus wichen sehr von seiner Bahn. In den Tadel dieser Mönche seines Ordens schließt der heilige Thomas symbolisch den Tadel der ganzen Christenheit ein, welche zu sehr nach irdischen Gütern, zu wenig nach himmlischen trachtet: worauf auch der Anfang des Gesanges zielt.
Den Kreis der heiligen Lichter, den Dante früher (s. Parad. X V. 139-148) einer lieblich weckenden Uhr verglichen, vergleicht er nun sehr sinnreich einem Mühlrad, das wiederum zu kreisen beginnt, anzudeuten, daß von den heiligen Lehrern himmlische Frucht gemahlen und genießbar gemacht wird, wie man Weizen zu Brod bereitet. Und wie ein Regenbogen aus und um den andern entsteht, wie das Echo einer Stimme ringsher zurückhallt, umgiebt nun schon ein zweites Rad von zwölf neuen Lichtern das erste mit gleichem Trieb und gleichem Sange. So mehrt sich um die heilige Lehre die himmlische Wonne, und als Liebesecho des Lobes, welches Thomas über Franziscus ergossen, tönt aus dem zweiten Kreise das Lob des heiligen Domenicus zurück, aus dem Munde des Franziscaners Bonaventura. Wie schon ist zugleich die himmlische Unpartheilichkeit, mit welcher hier ein Orden den andern preist; weil alle wahren Orden gleiches Ziel haben, - das göttliche Leben. Nachdem Bonaventura das Wirken des heiligen Domenicus erhoben, stellt er ihn wiederum dem heiligen Franziscus gleich, und wie Thomas die späteren Dominicaner tadelte, tadelt er den Wandel der heutigen Franziscaner. Sinnreich tritt hier der heiligen Männer Strenge gegen die eignen Orden hervor, während sie an den fremden nur was herrlich ist, preisen. Der Gesang schließt damit, daß Bonaventura die Gefährten nennt, die mit ihm gekommen, angelockt von der lieblichen Rede des heiligen Thomas von Aquino: es sind die Seelen andrer heiliger Lehrer, des Illuminat, des Augustinus, die sich auch durch freiwillige Armuth Gott zum Freunde gemacht: ferner Ugo du Sanoittore, Pietro Mangiadore, Pietro Ispano der Prophet, Nathan, Chrysostomus, Anselmus, Donatus, Raban und der Abt Giovachino. So erscheinen alle Fächer göttlicher Lehre genügend vertreten.
Die Herrlichkeit und den Glanz der zween ihn umringenden Kreise von Heiligen zu schildern, sagt der Dichter: wenn man sich fünfzehn der hellsten Sterne mit neun der hellsten, die unsern Polarstern umkreisen, zu zwei Kränzen verbunden denke, so gebe dies erst einen schwachen Schatten von dem, was sich ihm dort gezeigt. - Nachdem jene heil'gen Lichter das Lob ihres Polarsterns, des dreieinigen Gottes und seine Verbindung mit der menschlichen Natur gesungen, wenden sie sich zu Beatricen und dem Dichter, und das Licht des heiligen Thomas beginnt Dante's Bedenken hinsichtlich Salomo's zu heben, von dem Parad. X V. 112-114 gesagt worden: »So viel zu schauen, sei kein Zweiter aufgestanden.« Dante hält nämlich den Adam als unmittelbar von Gott erschaffen, und den Gottmenschen Christus für die Weisesten, welche die Erde getragen. Thomas lobt diese Ansicht und sagt: das unmittelbar von Gott Erschaffne und Erzeugte müsse am meisten seines Lichtes haben, und Alles überstrahlen, was sonst die Natur hervorbringen könne, deren Bildungen oft gehindert würden, so daß das Göttliche sich darin nicht rein auspräge. Salomo sei keinesweges der weiseste der Menschen gewesen, wohl aber der weiseste unter den Königen: als er sich von Gott, da er wählen durfte, nicht die niedere Schulweisheit erfleht, sondern die wahre Königsweisheit; in der Erkenntniß dieser, in ihrer Schau habe er alle andern Könige übertroffen, deren es wohl viele gebe, doch selten gute. Hierauf schließt der heilige Thomas mit einer Warnung vor zu leichtsinnigem Zugeben oder Verneinen: dergleichen unweises Treiben bringe viel Verkehrtheit in die Welt. Als warnende Beispiele werden genannt: Parmenides, welcher geglaubt, die Sonne bestehe aus Hitze und Kälte, Melissus, der alle Bewegung für scheinbar hielt, Brissus, welcher die Quadratur des Zirkels gefunden zu haben glaubte, Sabellus und Arius, welche durch ihr leichtsinniges Annehmen und Verwerfen das Antlitz der Schrift verzerrten, womit sie sich zu den wahren Lehrern verhielten, wie Schwerter zu ebnen reinen Spiegeln, worin das Gespiegelte nicht entstellt wird. Voreiliges Urtheil ist trügerisch. Manches Ding sieht schlimm aus und bessert sich. Manches ist gut und verschlimmert sich; darum soll man nicht sogleich das Urtheil Gottes zu durchschauen glauben, sieht man den Einen stehlen, den Andern opfern: der Gefallne kann sich erheben, der Stehende fallen. Sinnreich schließt sich der Tadel der Unweisheit an das Lob der wahren Weisheit, und die mannigfaltigen Verstandesirrthümer der Menschen erscheinen mit den erwähnten Personen reich genug charakterisirt.
Nachdem das Licht des heiligen Kreises seine Rede geendet, beginnt Beatrice zu demselben zu sprechen: Dieses Gespräch scheint dem Dichter der Bewegung zu gleichen, die Wasser in einem runden Gefäß annimmt, jenachdem man es bald außen anrührt und nach der Mitte wallen macht, bald mitten anrührt und nach außen kreisen lässet. Das Sinnreiche des Gleichnisses tritt hervor, wenn man daran denkt, daß Beatrice, die himmlische Weisheit, hier die Mitte einnimmt, der Kreis der heiligen Lehrer aber gleichsam den Rand des Gefäßes bildet. So wallt das göttliche Wort (unter dem Symbol des sehnsuchtstillenden Wassers) bald von den Lehrern zur Weisheit hin, bald breitet es sich, von ihr bewegt, wie Ringe im Wasser zu den Lehrern hin, und der Dichter wird, neben der Lehrerin stehend, von den hin- und zurückfließenden Wallungen erfrischt und erquickt, was er Vers 25-27 so lieblich ausdrückt. Das ganze Bild ist unübertrefflich. - Beatrice sagt: dem Dichter thue noch mehr zu wissen Noth, wenn er es auch weder mit Stimme noch Gedanken ausgedrückt habe, der Geister einer möge ihm sagen, ob das Licht, was ihre Seelen umgiebt, sie ewig umkleiden, und ob es sie dann nicht blenden werde, wenn sie nach dem jüngsten Tage ihre Leiber wieder bewohnten. - Da antwortet eine liebliche Stimme aus dem innern Kreise: Das Licht werde über ihnen noch wachsen, da es sich mehre über ihrer Inbrunst, so viel als Gott derselben gewähre, darum werde auch ihr Schauen wachsen und wieder die Inbrunst mehren und ihr Leuchten. Ihr Leib werde demnach einst heller strahlen, wie jetzt ihre Seele, und auch mächtig und vollkommen sein, das Licht und die Schau zu ertragen. Alle Seelen der zween umgebenden Kreise betheuern dies Wort mit einem feurigen »Amen!« worin sich ihre Schnsucht nach den auf Erden verlassnen Leibern kund giebt, wohl auch nach dem Wiedersehn von lieben Verwandten und Freunden. - Da erschimmert eine ahnungsvolle Helle rings um den äußern Kreis, und Dante glaubt eine Unzahl neuer Seelen zu erblicken, wird aber von dieser Schau geblendet, bis sich sein Blick wieder stärkt. Das Fortwirken der Lehre ist hiemit als unendlich angedeutet. Nun aber nimmt er an dem hellern Lichte wahr, er sei in den Planeten Mars erhoben, und bringt Gott das Opfer seines Dankes dar. Vor ihm erschimmert in der Tiefe der neuen Sphäre, wie von den Sternen der Milchstraße gebildet, ein mächtiges Kreuz, von welchem Christus herabstrahlt. Wie Stäubchen sich in der Sonne regen, sieht er an diesem Kreuz Lichter (Seelen) auf- und niederschweben, und hört sie einen Lobgesang anstimmen, der ihn entzückt, obwohl er nichts der Worte vernimmt als: »stehe auf und siege!« - Er gesteht, daß ihn bis dahin nichts so entzückt habe, dies aber sei keine Untreue an Beatricen gewesen, denn die Wonne steigere sich, je höher die Seele dringe; und er hatte im Mars seine Lehrerin noch nicht angeblickt, die nun noch viel schöner geworden, wie es der folgende Gesang V. 32-36 ausdrückt.
Aus mittheilender Liebe, welche das Gegentheil der begehrlichen falschen ist, schweigen die an dem Kreuz leuchtenden Seelen, damit Dante Gelegenheit und Lust zu schenken, sie zu befragen. Liebreich senkt sich, gleich einem fallenden Stern, ein's der Lichter am Kreuze herab, und begrüßt den Dichter als seinen Nachkommen mit freudigem Staunen über die Gnade Gottes, welche ihm des Himmels Thür schon bei Lebzeiten eröffne. Da wendet sich Dante fragenden Blickes an Beatrice, sie aber strahlt ihm freudige Gewährung zu, so daß er, von der Fülle solcher Huld umgeben, schon seine höchste Begnadung und Beseligung erstrebt vermeint. Nun fährt der liebliche Geist fort zu sprechen, aber vor Entzücken in so hoher Himmelssprache, daß Dante davon nichts faßt, bis die Sprache der menschlichen wieder näher kommt und er vernimmt, wie der Geist dem dreieinigen Gotte dankt, daß er seinen Saamen so hoher Gnade gewürdigt. Liebreich ermuthigt der selige Geist nun den Dichter, seinen Wünschen Stimme zu geben, und sein Verlangen in Worten auszusprechen; obwohl er bereits in Gott schaue, was ihn bewege, und die Antwort schon bestimmt sei. Nochmals blickt Dante in Beatricens Auge, und da ihm Beifall zustrahlt, sagt er dem Geist bescheidnen, doch herzlichen Dank für den väterlichen Empfang, und bittet ihn um Nennung seines Namens. Da giebt sich derselbe als den Vater von Dante's stolzem Urgroßvater zu erkennen, schildert die einfachen edlen Sitten der damaligen florentinischen Bürgerschaft, und preist sich selig, in so herrlicher Zeit geboren worden zu sein. In dem schönen alten Taufhause habe er bei der Taufe den Namen Cacciaguida erhalten; zum Ritter aber sei er durch Kaiser Konrad geschlagen worden, als er mit ihm ausgezogen wider die Ungläubigen, welche sich, durch Schuld des Pabstes, des heiligen Landes anmaßten. Dort sei er für den Glauben streitend gefallen, und aus der Marter in diesen Frieden gekommen. In der Gestalt Cacciaguida's vereinigt Dante Alles, was er sich unter einem Ghibellinen in höchster Bedeutung denkt. Ein Liebhaber traulichen Bürgerfriedens, ein treuer Unterthan des rechtmäßigen Kaisers, fällt er im frommen Kampfe gegen das Unheilige, welches eingedrungen ist in das Heilige. In Cacciaguida's Gestalt haben wir ein einfaches und vollkommnes Spiegelbild von Dante', religiöser politischer und häuslicher Gesinnung.
Der Dichter sagt, wie er sich nicht wundre, wenn Leute auf Erden sich ihrer edlen Abstammung rühmen, da er selbst im Himmel stolz darauf gewesen: hieran knüpft er indeß die treffende Bemerkung, daß der Werth derselben gar bald abnehme, wenn ihn der Nachfolgenden Tugenden nicht beständig vermehrten. Der edle Ahnherr erscheint nur als ein dem Herzen näherstehendes Vorbild, was desto dringender zu allen Tugenden mahnt. - Jetzt redet er den seligen Geist an mit dem schlichten »Ihr« der alten Zeit, sein Entzücken reißt ihn so hin, daß er nun auch die Vorältern Cacciaguida's erforschen will; aber die Erfüllung dieses unnützlichen Wunsches, vor dem wohl auch Beatrice's Lächeln V 13-15 warnt, verweigert Cacciaguida, sagend: es möge ihm genügen zu erfahren, welches Stadttheil von Florenz sie bewohnt, weiter zu forschen zieme nicht. Wie schön begegnet hier Cacciaguida der Sucht vieler Adligen, ihren Stammbaum in alte Zeiten hinauf fortzusetzen. wo uns alle Geschichte verläßt. Dagegen erfüllt er desto reichlicher einen andern geziemenden Wunsch Dante's, welcher das Allgemeine betrifft, dem sich die Familien nur als Glieder einordnen, ihm sagend: daß die Bevölkerung von Florenz damals nur das Fünftheil der jetzigen betragen habe, daß dafür aber der Stamm der Bürger noch rein von hergelaufenem Gesindel gewesen sei, und leitet das Unglück von Florenz zum Theil davon her, daß es durch Aufnahme von fremder Bevölkerung schlechte Sitten in seine Ringmauer gebracht habe. Eine große Menge gemischten Volkes sei nicht so thatkräftig, als ein kleines Volk mit angestammter reiner Sitte. So ein reiner Stamm seien die damaligen Florentiner gewesen; daß Alles nicht mehr so sei, werde ihn bei der Vergänglichkeit aller menschlichen Dinge nicht staunen machen, aber damals hätten treffliche Geschlechter gelebt, einfach, schlicht, ohne Neid und Mißgunst, einträchtiglich und traulich umschlossen von einer Ringmauer. Die berühmtesten derselben vergleicht er mit denen, die jetzt ihre Stelle einnehmen, und beklagt den, durch Buondelmonte's Untreue an seiner Braut, eingedrungenen Unfrieden, der das heitere ruhige Glück der edlen Stadt vernichtet habe.
Von Beatrice ermuthigt, bittet der Dichter seinen Ahnherrn Gacciaguida, über die ihm in der Hölle am Fegefeuerberg und im Himmel so drohend prophezeihte Zukunft um Aufschluß; da ein Pfeil, den man kommen sehe, minder hart treffe, auch damit er selbst wie ein wohlzugehauener Quaderstein fest liege, und den Stößen des Schicksals widerstehe. Da sagt Cacciaguida: die zukünftige Zeit liege, ohne darum Zwang zu leiden, schon abgebildet in dem Blicke Gottes, worin er sie schaue: Florenz, das sehe er, werde, von Rom zur Untreue am Kaiser verleitet, den Dichter stiefmütterlich ausstoßen: der Ruf der Schuld werde dem beleidigten Theil folgen, aber Wahrheit dereinst die Frevel rächen. Vorher werde Dante jedoch schmecken, was es heiße, verbannt sein, fremdes Brod essen und fremde Treppen auf- und niedersteigen; mehr aber werde ihm die schändliche Gesellschaft seiner Mitverbannten wehthun, von denen er sich zu seiner Ehre dereinst scheide. Seine erste Zuflucht werde bei dem großen Herzog Alboin della Scala in Verona sein. Dieser werde ihn großmüthig aufnehmen: dort werde er dessen neunjährigen Bruder Can della Scala schaun, welcher, unter dem Gestirn des Mars geboren, dereinst herrliche Thaten vollbringe, vielen Gewaltthätigen den Raub aus den Zähnen reiße und den Beraubten zurückgebe. Der Dichter solle die, die ihn selbst berauben, nicht beneiden: ihre Bestrafung werde er weit überleben. Hierauf sagt Dante: er fürchte durch Verkündung dessen, was er in der Hölle, am Fegefeuerberg und im Himmel vernommen, Manchem bitter zu werden, und sich am Ende so aller Zufluchten zu berauben; andrerseits fürchte er wiederum, bei den künftigen Geschlechtern nicht fortzuleben, wenn er feige die Wahrheit verschweige. Auf dieses Bedenken sagt ihm Cacciaguida: er solle sich nicht scheuen, die Wahrheit zu verkünden, die er vernommen: habe sie auch für Manchen bittern Geschmack, so werde sie, zuletzt wohlverdauet, zu lebendiger Nahrung. Er solle mit seiner Rede nur immer die Gipfel berühren. In Hölle, Fegefeuer und Paradies seien ihm deshalb nur berühmte Seelen erschienen, damit er von unberühmten schweige; nur was in die Augen falle, überzeuge die Hörer. In mächtigen Zügen tritt aus diesem Gesange Dante's feste Stellung in seiner Zeit, und die schlagende Hoheit seiner Dichtung hervor. Bedeutsam, auch für die kämpfende Zeit, ist es, daß er diese Festigkeit und Tapferkeit im Gestirn des Mars gewinnt.
Cacciaguida schweigt, selig im göttlichen Wort; aber des sterblichen Dichters Wonne wird durch Gedanken an die verkündete trübe Zukunft mehr und mehr gemindert. Da tröstet ihn Beatrice, sprechend: sie (die himmlische Weisheit) sei ja immer bei Gott, der von ungerechtem Leid entlaste. Auf dieses Wort wendet er sich der liebenden Führerin zu, und der Abglanz Gottes, der von ihrem Antlitz zurückstrahlt, schafft ihm volles Genügen, bis sie ihn darauf aufmerksam macht, daß nicht in ihren Augen allein Paradies sei. So wieder Cacciaguida zugewendet, erfährt er von demselben, daß die vom Kreuz herableuchtenden Seelen alle für das heilige Reich fechtend, großen Kriegsruhm erworben, ehe der Himmel sie aufgenommen. Als er ihm nun die Namen Josua, Maccabäus, Karl der Große, Orlando, Guiglielmo, Rinoardo und Gottfried von Bouillon nennt, regen sich die denselben entsprechenden Flammen wie Blitze, wie wirbelnde Kreisel und wie Falken, in demselben Augenblick, als die Zunge ihren Namen bildet: wodurch angedeutet ist, daß bei solchen thatkräftigen Seelen Wort und That eins ist. Nun mischt sich auch Cacciaguida, mächtig singend, in die vielbewegte Schaar, und Dante seiner, die linke, böse Seite behütenden Führerin zugewandt, forscht in ihrem Auge nach seiner Pflicht. Da erscheint ihm die Geliebte schöner als alles je Geschaute, und wie in Uebung der Tugend sich die Kräfte mehren, sieht er den Himmel um sich her erweitert, und wie eine Wange lichter wird, wenn ihr Erröthen flieht, wird Beatrice heller, da sie mit dem Dichter aus dem blutgetrübten Gestirne des Mars in den reineren Planeten Jupiter einschwebt, welcher darüber erhaben seine Bahn rollt, als Licht der herrschenden Gerechtigkeit. Die hier im Liebeslicht webenden Seelen bilden, wie Vogelschwärme flatternd, mit ihren wechselnden Flügen, bald geregt, bald innehaltend, Schriftzüge, welche zusammen die Worte Salomonis (s. Weisheit I, 1.) ausdrücken: Diligte justitiam qui judicatis terram, d. h.: »Habt lieb die Gerechtigkeit, ihr, die ihr die Erde richtet.« - Dann wandelt sich das letzte m durch Hochfliegen aller jener Seelen, mit dem Haupte beginnend, in das Bild eines leuchtenden Adlers, - das Zeichen der herrschenden Macht. Wie sinnreich ist es, daß dieser aus jener Schrift entsteht, welche die Liebe zur Gerechtigkeit lehrt! So erscheint die Kraft, welche das Gestirn des Jupiter ausströmt, durch die Schwärme seiner Seligen in Schrift und Bild reichlich ausgesprochen, und sinnvoll schließt der Gesang mit einem Anruf der hier webenden Himmelsheerschaar: sie solle bei Gott fürbitten, daß er auf Erden zum Rechten schaue; denn das Oberhaupt der Kirche habe über dem Johannes, der auf den florentiner Goldgulden geprägt sei, Petrus und Paulus vergessen, den Menschenfischer und den Polarstern: so bösem Beispiele folgend, sei die ganze Christenheit vom Wege der Gerechtigkeit abgeirrt.
Die in dem Bilde des Adlers, dem Zeichen der göttlich herrschenden Weisheit und Gerechtigkeit, selig verbundnen Seelen vereinigen ihre Stimmen nun alle in eine, die, aus dem heiligen Schnabel vortönend, von der ganzen Schaar derselben in der Person der Einheit spricht, sagend, daß sie ihrer Gerechtigkeit und Heiligkeit wegen in diese Glorie erhöht sei. Hierauf bittet Dante, ihm einen Zweifel zu stillen, der ihn seit lange quäle: es ist der: warum gerechten Heiden die Seligkeit verschlossen bleibe, was er mit Gottes Gerechtigkeit nicht wohl vereinigen könne; denn Heiden, welchen keine Gelegenheit zu Taufe und christlicher Belehrung gegeben sei, hätten diesen Mangel doch nicht verschuldet. Da schlägt der Adler, das Sinnbild der himmlischen Gerechtigkeit, vor Begier ihm zu antworten, sich mit den Fittigen, wird herrlicher und herrlicher, und spricht von der Unergründlichkeit des Rathschlusses Gottes, und wie der Geist des Menschen ein zu kleines Gefäß zur Aufnahme der unendlichen Gedanken des höchsten Gutes sei: hier müsse der Glaube genügen, daß das höchste Gut ja durch kein ander Gut von sich, der höchsten Gerechtigkeit hinweggelockt werden könne, wie irdische Wesen; denn es sei ja der Schöpfer aller Güter. Nicht ohne Bezug auf die geordnete Bewegung des Alls kreiset nun der Adler himmlischer Gerechtigkeit über dem Haupt des entzückten Dichters und spricht weiter: daß Niemand in dies selige Reich gelangen könne, als durch Christus (s. d. Anm. z. Hölle I V. 3), Auch in Heiden kann eine Vorahnung göttlichen Lebens sein, die sie für die Gnade innerer Offenbarungen befähigt, wenn sie dieses heiligende Wesen auch nicht mit dem Namen Christus bezeichnen, wenn ihnen auch die Offenbarungen nicht äußerlich durch Schrift und Lehre geworden (s. Parad. XX V. 67-72 u. 118-129). Gewiß ist der Unterschied zwischen Namenchristen und wirklichen Christen nie schöner dargethan worden, als im gegenwärtigen und folgenden Gesang. Hier schließt der Adler seine Rede damit, daß er sagt: Am jüngsten Tage werde das Buch des Gedächtnisses Gottes aufgethan liegen, worin sich nichts verändere: dort werde man die ungerechten Thaten der bösen Obrigkeiten verzeichnet sehen, und der Könige, die sich mit ihren Grenzen nicht genügen lassen, und dadurch Unheil über das eigne Land und die fremden bringen. Die Oberhäupter, die hier als ungerecht angedeutet werden, sind Kaiser Albrecht, Philipp der Schöne von Frankreich, Robert Bruce von Schottland, Eduard der Erste von England, Ferdinand der Vierte von Spanien, Wenzeslaus von Böhmen, Karl der Lahme von Neapel, Friedrich von Sicilien, Jakob von Majorca, Jakob von Arragonien, Dionysius von Portugal, Hakon von Norwegen, und Heinrich der Zweite von Cypern. Ueber die tiefsinnige Wahl aller Bilder dieses Gesanges s. d. Anm.
Wie die Sterne schimmern, sodald die Sonne niedergegangen, ertönen, als der Schnabel schweigt, dem Dichter wieder die Gesänge aller Seelen, die im Symbol der Gerechtigkeit Christi, im Adler, selig sind, aber als sie schweigen, durchrinnt den Hals des Adlers ein Getön wie eines von hohem Gipfel ungehindert herabmurmelnden Stromes, und gestaltet sich im Schnabel zu Worten, wie sie das Herz des Dichters ersehnt. War im vorigen Gesange die Einstimmigkeit der Seelen geschildert, so ist hier in dem Getön die Alle ungehemmt durchrinnende himmlische Seligkeit angedeutet, und der Schnabel, das Getön zu Worten gestaltend, bezeichnet nun die sein Haupt schmückenden Seelen und die Wonne, die sie erworben. In seinem Augapfel erglänzt die Flamme König David's, des dichtenden Sehers, des Geleiters der Bundeslade, der nun ganz erkennt, wie der Himmel ihn darum begeistert habe, weil er so weise war, das Rechte zu wollen. Fünf leuchtende Seelen bilden die Braue des Adlers: die nächste am Schnabel ist die des gerechten Kaisers Trajan, die Erfahrung hat des bittern, von Christus fernen Lebens, und des ihm nahen, süßen. Das zweite Licht der Braue ist Ezechias, der in der Mitte seiner Jahre an den Pforten der Hölle war, aber seiner Reue halben Aufschub des Todes gewann, so daß ihm endlich seine bitterste Bitterkeit zum Frieden geworden, wie unsrem Dichter (s. Hölle I V. 1 u. 7 u. d. Anm.). Hierauf folgt das Licht Kaiser Constantin's, der hier selig ist seines guten Willens halben, während die Welt noch zerrüttet ist durch seine thörige Schenkung Rom's an den Pabst und die Verlegung des kaiserlichen Sitzes nach Byzanz. Das vierte Licht in der Braue ist König Wilhelm der Gute von Sizilien, aber das fünfte Ripheus, der Gerechteste der Troianer. - Da erstaunt Dante, hier zween Heiden, Trajan und Ripheus, in so hoher Glorie zu finden; aber der Adler belehrt ihn, sprechend: Gott sei von so großmüthiger Güte, daß er sich von inbrünstiger Liebe und lebendiger Hoffnung bewegen lasse. Jene Beiden seien nicht als Heiden gestorben, sondern als Christen. Dem inbrünstigen Flehn des heiligen Gregors habe Gott gewährt, daß der gerechte Kaiser Trajan, der erst als Heide gestorben, aus der Hölle in seinen Leib zurückkehren und die Taufe empfangen durfte, so daß er zum zweiten Male sterbend als Christ in den Himmel einziehn konnte. Der andre Heide Ripheus aber sei durch unergründliche Gnade Gottes so inspiriret worden, daß er das Heidenthum abgeworfen, an das göttliche gerechte Leben geglaubt, es geliebt und darauf gehofft habe: so seien ihm Glaube, Liebe, Hoffnung statt der Taufe gewesen, lange bevor Johannes taufte: so sei er ein Christ gewesen, obgleich er den Namen Christi nicht gekannt. Gottes Gnadenwahl sei unergründlich, und daß die hier seligen Seelen sie nicht ganz ergründen könnten, sei nur süßere Seligkeit, indem so ihr Heil immer wachse. - Wie Parad. XVIII V. 34-48 regen die Seelen, welche genannt werden, sich liebentbrennend in ihren Flammen.
Dante blickt seine Führerin an, aber sie lächelt nicht, sie sagt ihm vielmehr: da sie immer herrlicher werde, je höher sie mit ihm emporschwebe, würde der Blitz ihres Lächelns ihn jetzt in Asche verwandeln, wie der Anblick Jupiters einst Semele gethan, als sie ihn in aller Majestät schauen wollen. Indem Beatrice dies sagt, hat sie mit ihm schon die siebente Sphäre, die des Saturn, betreten welcher ein reiner Krystall genannt wird. Dieser nach dem Beherrscher des goldnen Weltalters benannte Planet erweckt, vom Himmelslöwen (Christus) erwärmt, die Menschen zu genügsamem Leben und friedlicher Seligkeit in Betrachtung Gottes. Hier erscheinen dem Dichter die Seelen heiliger Männer, welche der Welt entsagt und in göttlicher Beschaulichkeit ihre Seligkeit gesucht. Darum sieht er hier auch die Jakobsleiter mit allen Stufen sehnsüchtiger Betrachtung bis in den höchsten Himmel hineinragen: wer die niedre Welt verläßt, findet die Stufen, die ihn zu Gott führen, nachdem Christus (der Himmelslöwe) in ihm das saturnische goldne Alter erneut hat. - Die Lichter der hier erscheinenden Seelen schweben in verschiednen Ordnungen die Leiter auf und nieder; treffen aber an bestimmter Stufe alle zusammen, womit angedeutet ist, daß sie aus verschiednen Orden sind, aber im Aufgeben der Welt für den Himmel alle zusammenstimmen. Eins dieser Lichter bleibt vor Dante stehn, und mit Beatrice's Erlaubniß fragt er dasselbe: warum es sich ihm genähert, und warum in dieser Sphäre kein Lobgesang ertöne? - Da antwortet das Licht: vor ihm, dem Sterblichen, schweige der Gesang aus demselben Grunde, aus welchem Beatrice vorhin das Lächeln gemieden (Dante hat noch nicht der Welt entsagt, er ist so vollkommner Wonne nicht fähig, sie würde ihn vernichten): der Grund, warum das Licht ihn zu grüßen nahte, war allein Gottes Wille. Als nun Dante weiter forscht und den Grund wissen will, warum Gott grade dieses Licht dazu erwählt habe, wirbelt es in himmlischer Entzückung und antwortet: dies sei im Rathe Gottes tief verborgen, und er solle die Sterblichen von diesem vergeblichen Forschen abmahnen, da selbst der vollkommenste Seraph nicht bis in dieses Geheimniß dringen könne. Hier athmet Alles gänzliche Ergebung in den Willen Gottes. Da beschränkt sich Dante allein darauf, das Licht zu fragen, wer es sei, und es giebt sich ihm als der heilige Pier Damiano zu erkennen, der am Berge Catria gewohnt, zufrieden mit oelbereiteten Speisen, glückselig in heiligen Betrachtungen, von welchem einfachen Glück die heutigen Geistlichen gänzlich abgekommen seien. Hierauf beginnt er die Weltlichkeit derselben zu schelten, und viele heilige Flammen sammeln sich um ihn, und erheben ein so mächtiges Eifergeschrei über die Sittenverderbniß der Kirche, daß Dante, vor dem gewaltigen Getöse desselben, den Inhalt nicht fassen kann.
Dante wendet sich, von dem mächtigen Ruf bewältigt, zu Beatrice, die ihn wieder beruhigt, sprechend: hier im Himmel geschehe, was geschehe, nur aus gerechtem Eifer: an seinem Schreck aber könne er ermessen, wie ihn das Singen und ihr Lächeln (s. Parad. XXI V. 4-12 u. 61-63) erschüttert haben würde, wenn es nicht unterblieben wäre. Hätte er den Ruf verstehn können, so würde er daraus erkannt haben, daß die himmlischen Strafgerichte nicht säumen, sondern über die Schuldigen noch bei seinen Lebzeiten hereinbrechen würden (damit wird auf die Mißhandlung des Pabstes in Anagni, auf die Versetzung des päbstlichen Stuhles nach Avignon und andre Demüthigungen der üppigen Curie hingedeutet, welche der Dichter noch erlebt hat). - Hierauf wendet sich Dante, auf Beatricens Geheiß, zu Betrachtung der übrigen Flammen, und sieht hundert Feuergloben, deren einer dem Schüchternen sagt: wenn Dante wüßte, welche Liebe hier wohne, würde er seine Wünsche schon kundgethan haben, damit er aber keine Zeit versäume, wolle er ihm seine unausgesprochnen Fragen beantworten. Nun erzählt ihm der selige Geist, wie er auf Erden das Heidenthum vertrieben, und das Kloster am Monte Cassino erbaut, wodurch er sich als der heilige Benedict zu erkennen giebt. Unter seinen Gefährten, die alle beschauliche Männer waren, nennt er die Heiligen Maccario und Romualdo. Als nun Dante liebend fragt, ob er Benedict's Antlitz nicht schauen könne, wird ihm gesagt: erst droben im höchsten Himmel, wo sich alle Wünsche erfüllen: dort sei Alles vollkommen und unbeschränkt (es ist das Reich der Freiheit, zu dem uns Christus berufen hat): dorthin reiche die Leiter, die dem Patriarch Jakob (und in ihm allen Menschen) ihre höchste Stufe darbot. (Es ist die Leiter heiliger Sehnsucht, die nicht eher endet, als wo sich alle Wünsche erfüllen). Und doch sind die Menschen so thörig, sie nicht erklimmen zu wollen, sondern bleiben am Weltlichen hangen. Petrus und er, und Franziscus haben arm begonnen, jetzt habe die irdische Gier den Lauf des Kirchenstromes verändert; dennoch sei, Alles zu retten, kein so großes Wunder nöthig, als damals, wie Gott das rothe Meer zurückweichen ließ, dem Volk Gottes Bahn zu machen (die Abhülfe ist da, sobald ein wahrer Nachfolger Christi Pabst wird und mit rechtem Eifer die irdische Gier aus dem Weingarten Christi vertreibt). Nachdem Benedict diese tröstliche Hoffnung verliehn, fährt er mit den übrigen Seelenflammen, die sich alle brüderlich umfassen, gleich einem Wirbelsturm empor, und Beatrice, die göttliche Lehre, treibt den Dichter an, denen zu folgen, welche die niedre Welt verlassen, um ganz göttlich zu werden. - Da gelangt er schneller, als irgend etwas auf Erden fliegt oder fällt, zur achten Sphäre, zu dem Fixsternhimmel, eingehend durch das Gestirn der Zwillinge, unter welchem er geboren ist. Wie sinnreich ist dies, wenn man daran denkt, daß dieses Gestirn das Symbol der Bruderliebe ist, zu der alle Menschen geschaffen sind, und ohne die kein Eingang in den Himmel ist. Mit Recht wird demnach dieses Gestirn von unserm Dichter um Kraft angerufen, denn aus brüderlicher Liebe, zur Besserung und Beglückung der Menschheit, hat er das große Werk begonnen. - Im Firsternhimmel angelangt, heißt ihn Beatrice zurückschauen: damit er erkenne, wie viel der Welt sie unter seine Füße gelegt habe. Da sieht er den Ball der Erde gering und dunkel, den Mond, der nur nach der Erde zu Flecken hat, auf der himmlischen Seite ganz hell; den Thätigkeit erregenden Mercur und die Liebe erregende Venus schaut er hier von der Sonne der Erkenntniß geführt; den Kampf erregenden Mars und den Frieden-strahlenden Saturn von Jupiter, dem Stern der Gerechtigkeit, in Schranken gehalten, und alle durch Räume geschieden und geschützt. Jetzt von der göttlichen Lehre über die Einwirkung der geschaffnen Dinge erhoben, darf er thun, was ihm (s. Fegef. IX V. 131. 132) an der Pforte zur Läuterung untersagt ward: er darf zurückschauen. Da sieht er die schlechte Tenne, auf der so viel Spreu geworfelt wird, die Erde die uns so lieblos macht, und erkennt, mit dem Gestirn der ewigen Bruderliebe kreisend, alle Höhen und Tiefen unsrer Kugel, d. h. all' ihr Heil und ihr Verderben. Dann wendet er sich zurück zur göttlichen Lehre, die ihn dies Alles erkennen gelehrt, wie im Buch der Weisheit VII geschrieben steht: »Gott der Führer der Weisheit gab mir die wahre Wissenschaft von Allem, was ist: um zu verstehen die Anordnung der Welt und die Kräfte der Elemente, der Zeiten Anfang, Ende, und Mitte, wie die Sonne sich wendet und die Jahreszeiten wechseln, des Jahres Lauf und der Sterne Stand etc.«
Beatrice blickt vorspähend nach dem Zenith, und als Dante sie harrend anschaut, wird der Himmel heller und heller, und sie spricht zu ihm: da sieh die Heeresschaar, welche, Christum folgend, mit ihm den Sieg (über Tod und Welt) feiert, und alle Frucht geärntet von dem Rollen dieser Himmel. Nun scheint Beatricens Antlitz ganz entbrannt, und über der Unzahl von Lichtern sieht Dante die Engelsonne (Christum) herniederleuchten; aber noch erträgt er den Glanz nicht und senkt die Augen, Beatricen anrufend; ohne die Lehre vermag er nichts. Da sagt sie ihm gegen dieses Licht (Christus) sei keine Wehr vorhanden: dies sei die Weisheit und die Macht, welche die Wege zum Himmel aufgethan (als sich der Fels der Aergerniß vor erbarmender Liebe theilte). Diese Engelsonne wird der Trioia (der dreiwegigen Göttin) verglichen, die als Sclene, Luna und Hekate im Himmel, auf Erden und in der Unterwelt leuchtet, anzuzeigen, daß das Licht Christi überall hindringt. In der Hölle ist es Brand, auf Erden leuchtet es zur Seligkeit und im Himmel ist es Sehnsucht-stillende Wonne. - Von dem ersten Blick auf den ganz göttlichen Christus ist indeß Dante's Auge so gestärkt und er selbst so übermenschlich geworden, daß Beatrice ihm sagt: er sei nun fähig die ganze Seligkeit ihres Lächelns zu schauen. Die Steue ist sehr bedeutend: die Seligkeit der Lehre von Ghristus leuchtet dem Dichter ein, ehe er noch des göttlichen Christus Anschau zu tragen vermag. Nun aber zeigt ihm die Lehre Maria's Flamme, welche sie eine Rose nennt, und die Flammen der Apostel und Nachfolger Christi, welche sie Lilien nennt, nach deren Duft man dic rechte Straße finde. Wie aus Beschattung blickt er nun empor auf die himmlische Blumenau', die von obenher angeleuchtet ist von Fülle des heiligen Geistes, dessen Ursprung - die Engelsonne, Dante nun nicht erblickt: sie hat sich emporgehoben zum höhern Himmel, damit sein Blick ungeblendet die übrigen, von ihr angestrahlten Flammen überschauen könne. Da senkt sich der Engel Gabriel vom höchsten Himmel herab, Maria lobsingend, und umschwebt sie mit schnellen Lichtflug als Krone, während sie ihrem Sohne nachschwebt in den Krystallhimmel, der sich noch so weit über Dante's Blicken wölbt, daß er ihn nicht erschauen kann. Aber nun vermag der nicht mehr Geblendete, angestrahlt, erquickt von Ahnung des Höheren, die übrigen Flammen zu betrachten, welche vereint Maria's Lob anstimmen. Hier in diesem Himmel ärnten die unmittelbaren Nachfolger Jesu die Wonne, die sie ausgesäet, alles Irdische verlassend: hier ist auch Petrus, der den Schlüssel hält zum geistlichen Himmelreich.
Beatrice bittet die seligen Geister, dem Kommenden etwas von ihrem Theil am Mahle des Lammes, etwas von ihrer Seligkeit mitzutheilen. Da gestalten die einzelnen Schaaren sich zu verschiedenen Sphären, die sich um feste Pole drehen. Nach dem Maaß ihrer Schnelle ermißt Dante ihre verschiedne Seligkeit. Die schnelle, doch in vollkommenste Form geordnete Bewegung im freien Himmel bildet den Gegensatz zur unbeweglichen Einkerkerung der Verdammten im zwängenden Eise (s. Hölle XXXIV V. 10-15). Die festen Pole, um welche sich hier die in Sphärenform geordneten Schaaren drehn, deuten auf Hauptlehren, deren jede Schule eine zum Mittelpunkt nahm, so daß Unterschiede entstanden wie zwischen Johannischristen und paulinischen. Jede Schaar vollendete ihr Werk in ihrem Sinne, das bedeutet die Kugel und ihre Pole. - Aus dem schönsten dieser Flammenballen kommt auf Beatricens liebeglühende Bitte das Licht Petri herab, und beginnt, von ihr darum ersucht, den Dichter im Glauben zu prüfen, welcher die Bürger dieses Himmelreichs geschaffen. In der nun beginnenden Prüfung sagt Dante: Glaube ist (wie Paulus schreibt) die Wesenheit der Dinge, die wir hoffen, und die Ueberzeugung von der noch nicht geschauten: er tritt nämlich für die Augen der Sterblichen, welche Gott noch nicht schauen können, an die Stelle der erlangten Anschauung und wirklichen Ueberzeugung. Würde dies genug beachtet, so würde nicht so viel falsche Wissenschaft in die Lehre der Kirche dringen, sagt Petrus, und fragt Dante: ob er den Glauben rein und vollkommen habe? was derselbe bejaht. Hierauf fragt Petrus weiter: woher er den Glauben habe? und Dante antwortet: aus dem alten und neuen Testament, worauf der heilige Geist sich so reich ergossen habe. daß alle Einwendungen dagegen zu schwach seien: den Beweis, daß darin Gottes Wort enthalten, gäben die geschehnen Wunder, die übernatürlich seien. Als ihn nun Petrus fragt: ob ihm Jemand diese Wunderbeweise beschworen habe? spricht er: Verbreitung des Christenthumes ohne Wunderzeichen würde ein hundertmal größeres Wunder sein, als jene Wunder alle zusammen, denn arm und fastend sei er (Petrus) ausgegangen, den Weinberg Christi zu pflanzen, der so groß geworden und jetzt verwildre. - Da tönt dem Dichter das »Herr Gott dich loben wir« in reiner Himmelsmelodie entgegen, alle Herrlichkeit des Christenthumes ausbreitend: nun vernimmt er es vollkommner, als am Eingange zur Läuterung, wo er gleichsam ahnend nur einzelne Worte verstand (s. Fegef. IX V. 139-145). Petrus lobt Dante's Antworten, und fragt ihn nur noch, an was er glaube? Da sagt er: an den einigen und dreieinigen Gott, der selbst unbewegt, Alles bewege, Himmel und Erde durch Liebe und Sehnsucht: er glaube auch an die drei in Gott vereinigten Personen, von denen man »sie sind« und »er ist« sagen kann (wie die ersten Worte der heiligen Schrift beweisen). Von diesem göttlichen Glauben nehme sein Geist oft Gepräg an, dies sei der Funke, von dem aus das Licht in ihm entbrenne, wie ein Stern im Himmel. Als Dante so die Prüfung im Glauben wohl bestanden, umarmt ihn Petrus, segnend und lobsingend. - Dieser Schluß des Gesanges mag Vielen etwas kühn scheinen; aber Glaube macht kühn, und die feste Ueberzeugung, daß sein Glaube der wahre sei, kann nicht vollkommner ausgedrückt werden, als wenn er sich von dem umarmen läßt, der mit Christus auf dem Meere gewandelt: es liegt die vollkommne Sicherheit hierin. daß der erste Apostel ihm zustimmt.
Im Glauben geprüft und der Zustimmung Petri versichert, spricht der verbannte Dichter kräftig die Hoffnung aus, dereinst auch von seiner Vaterstadt als echter Bürger und heiliger Dichter anerkannt, und mit Ehren wieder aufgenommen zu werden. Diese Hoffnung, in das Bürgerthum auf Erden einzugehn, bildet mit gutem Fug den Eingang zu dem Gesange, in welchem er in der Hoffnung auf das himmlische Bürgerthum geprüft wird. - Der Flammensphära, aus welcher Petrus kam, entschwebt ein neues Licht, und beide begrüßen sich mit freudigem Kreisen, wie friedliche Tauben, bis beide nebeneinander stillstehn. Ihr Glanz übernimmt Dante's Augen: aber Beatrice bittet das neue Licht, in dieser Himmelshöhe die Hoffnung ertönen zu lassen, die ihm so reichlich offenbart worden sei, bei der Verklärung Christi. Da sagt Jacobus dem Dichter: Keiner komme in diesen hohen Himmel, der nicht in den Strahlen der drei in Christus verklärten Jünger reife. Damit er in sich und Andern die Hoffnung mehre, gelange er zur Schau der nächsten Diener des himmlischen Hofes: nun aber solle er sagen 1) was Hoffnung sei, 2) wie sie ihn erfülle und 3) woher er sie empfangen. Da kommt Beatrice Dante's schüchterner Bescheidenheit in Beantwortung der zweiten Frage zuvor, sprechend: daß kein Sohn der noch kämpfenden Kirche mehr Hoffnung in sich trage als er: um seiner starken Hoffnung willen sei ihm gewährt, noch eh' sein Kampf geendet, aus dem sündhaften Egypten aufzuschweben, und dies himmlische Jerusalem zu schauen. Hierauf beantwortet Dante die andern beiden Fragen, sprechend: Hoffnung sei ein festes Erwarten künftiger Ehre, was durch Gottes Gnade und vorheriges Verdienst erworben werde. David habe zuerst dieses feste Grwarten in ihm entzündet, singend: »Es hoffen auf dich Herr, die deinen Namen kennen;« - wer aber Gottes Namen nicht kenne, sei andern Glaubens als Dante. So habe ihn dann auch Jacobus in seinem Briefe so reichlich mit Hoffnung genetzt, daß er Andern diesen fruchtbaren Regen mittheilen könne. Hierauf regt sich das Licht Jacobi freudig, und fragt ihn weiter: was Hoffnung ihm verheiße? - Da antwortet Dante: das selige Leben in Gott: dieses sei die himmlische Stadt, von der Jesaias sagt, daß die Seelen der Frommen da Zwiefältiges besitzen werden, wovon Johannes in der Offenbarung noch viel verklärter spreche. Während Dante solches sagt und nachher ertönt in der Höhe jener Psalm David's: »Sperent in te« (Herr auf dich hoffen etc.), da wird ein Licht unter den vielen heller und heller, und tritt zu den andern beiden, die vor Wonne kreisen. Beatrice aber bezeichnet dem Dichter das neue Licht als den dritten Jünger, der bei der Verklärung war, der an der Brust des Pelikans (Jesu) geruht, und bei Maria an Christi Statt trat. - Von diesem Jünger ging nach Joh. XXI V. 22 die Rede: er sei nicht gestorben. Dante noch in der irrigen Meinung: die Stelle sei so auszulegen, als sei Johannes leiblich gen Himmel gefahren, starrt sehnsüchtig in das Licht, ihn leiblich zu erblicken, bis ihm von vergeblichem Spähen die Augen dunkel werden. Da sagt ihm Johannes: nur Christus und Maria seien als vollkommen göttliche Menschen leibhaftig in das ewige Reich emporgestiegen: er solle sich mit so vergeblichem Spähen nicht selbst Dunkel schaffen. Nun blickt Dante nach Beatricen und erblickt sie nicht, was ihm Furcht macht. Sein Irrthum hat sich verdunkelnd zwischen sie und ihn geschoben, obwohl sie ihm immer noch nahe ist, und er in dem seligen Reich. Die Stelle ist überaus tief und erhaben.
Dante's Furcht, daß es mit seinem Schauen nun ein Ende habe, wird ihm von Johannes benommen, der aus dem blendenden Licht zu ihm spricht und ihm sagt: während seine Schkraft sich wieder zum Schauen sammle, solle er sprechen und das Ziel nennen, wohin seine Seele strebe: Beatrice (die göttliche Lehre) vermöge ja sein Auge bald zu heilen. Nun sagt Dante: seine Seele liebe über Alles das seligmachende himmlische Gut: dieses sei das A und O aller Schriften, die Liebe predigen. Auf die Frage: was seine Liebe auf dieses höchste Ziel gerichtet? antwortet er weiter: philosophische Schlüsse (s. d. Anm. z. Hölle I V. 14-15) und Offenbarung (s. Hölle II Inh.). Des Aristoteles Lehre und Gottes Wort zu Mose: »Ich will vor dir her gehn lassen all meine Güte,« haben ihn dahin erhoben, auch Johannes in dem über Alles erhabnen Eingange zu seinem Evangelium. Alles Sein der Welt und sein eignes, der Tod, den Christus gelitten, damit wir das Leben haben, und Alles, was Gläubige hoffen, dazu die lebendige menschliche Erkenntniß (Virgil) habe ihn dem Meer der falschen Liebe (s. Hölle I V. 23 u. d. Anm.) entrissen und an den Strand der rechten gebracht (s. Fegef. I V. 112-136). Er liebe die Pflanzen (die Geschöpfe) Gottes nur so weit, als Gott sie seiner Göttlichkeit theilhaftig mache. - Nach dieser Antwort ertönt ein Lobgesang in der Höhe, aber mit einem über tausend Meilen reichenden Strahl giebt Beatrice dem Dichter sein Augenlicht wieder, und - er sieht schärfer als je. - Wie sinnreich ist dies: nachdem er sich die Liebe zu Gott sprechend klar vergegenwärtigt hat, ist sein Auge wieder mächtig zum Schauen. - Nunmehr sieht er ein viertes Licht vor sich stehen, und Beatrice sagt ihm: dies sei das Licht Adams, der ersten Seele, welche von der Urkraft erschaffen worden. Während Beatrice dies sagt, neigt sich Dante: dann aber erhebt er sich und bittet den Stammvater der Menschheit, ihm seine stillschweigenden Fragen zu beantworten, die er ja in Gott schaue. Da regt sich Adam's Geist freudig in der Flamme und sagt ihm: nicht das Essen vom Baum der Erkenntniß sei Grund seiner langen Verbannung gewesen, sondern die Uebertretung seiner Schranke. Viertausend und zwei Jahre habe er in der Vorhölle geschmachtet nach dieser himmlischen Vereinigung, nachdem er schon neunhundert und dreißig Jahre auf Erden gelebt hatte. Die Sprache, die er erfunden, sei schon von der Erde verschwunden, bevor Nimrod's Volk das nie vollendbare Werk, den Thurm zu Babel, begonnen: denn alles Menschliche sei dem Wechsel unterworfen. So lange er gelebt, sei Gott El (der Eine) genannt worden, später Eli (mein Einziger, was schon weniger die Allheit Gottes ausdrückt). Auf der Höhe des irdischen Paradieses sei er, der erste Mensch, nur sieben Stunden gewesen, denn als die Sonne sich neigte, hatte er schon gesündigt und ward vertrieben. Dies sind die Beantwortungen der stillen Fragen, welche der Dichter in seinem Innern an den Ursprung der Menschheit richtet. Er ist nun belehrt über die allgemeine Schuld, - welche der Ungehorsam ist, und über den Wechsel der menschlichen Verständigung oder Sprache, die nichts Bleibendes hat. - Sinnreich ist es, daß er, nun ihn das göttliche sündlose Wort durch Beatrice von seiner Blindheit geheilt hat, augenblicklich den Urheber des wechselnden, sündigen, nie vollkommen menschlichen Wortes vor sich sieht. Der Unterschied des Wandelbaren und des Ewigen tritt deutlich vor die lehrerquickten Augen.
Paradies - Gesang 27
Nunmehr erschallt im ganzen Paradies ein Gloria dem Vater, dem Sohn und dem heiligen Geist, und Dante wird durch Aug' und Ohr zugleich beseligt (d. h. durch Anschau und Lehre). Das Licht Petri aber beginnt, der Erde gedenkend, plötzlich zu werden, wie wenn der Stern der Gerechtigkeit (Jupiter) sein weißes Licht mit dem Roth des Kriegsgestirnes (des Mars) vertauschte, und zürnend spricht er: sein Stuhl auf Erden sei Angesichts Christi erledigt, ein Solcher habe sich dessen angemaßt und sein Grab zur Kloake von Blut und Stank gemacht, worüber sich der gestürzte Engel freue. Da überzieht den ganzen Himmel der blutrothe Schein des göttlichen Zornes, wie wenn die lichte Sonne dem Gewölk grade entgegensteht. Solche Verfinstrung, meint der Dichter, habe den Himmel eingenommen, als die Macht Christi am Kreuz gelitten. Alle Heiligen erröthen, auch Beatrice, die unschuldige, über der Hirten Schuld. Ueberaus reizend mischt sich hier das Erröthen vor Scham über Andrer Sünden mit dem Roth des himmlischen Zornes, welches wir schon Hölle III V. 133 u. w. dem Wehen des finstern Höllensturmes entgegenglühen, und den dort noch in Sündhaftigkeit befangnen Dichter überwältigen sahen. Dieses Roth erschien auch strafend an dem mittlern Gott trotzenden Gesicht Lucifers (s. Hölle XXXIV V. 39). - Mit seinem Aussehn gemäß umgewandelter Stimme fährt Petrus fort, die Habgier des zeitlichen Glerus zu schelten, und nennt die bösen Vorsteher der Kirche gradezu raubgierige Wölfe in Hirtenkleidern, aber den Dichter gemahnt er, von dem Unfug nicht zu schweigen, der bald ein übles Ende nehmen werde. Gottes Vorsehung, die das weltliche Rom vor dem durch Scipio gerettet, werde auch jetzt dem geistlichen Heil /senden durch einen zeitlich armen Pabst, der ein wahrer Nachfolger Christi wäre; s. Fegef. XXXIII V. 43-45 u. d. Anm.). Nachdem Petrus dies gesprochen, stieben alle ihn umschwebenden Flammen mit ihm zum höhern Himmel empor, wie Schneeflocken im Winter zur Erde herab stieben, und als Dante ihrem Aufslug nicht mehr nachzuspähn vermag, räth ihm Beatrice, jetzt lieber zu sehn, wie weit er mit dem Himmel fortgeschwungen worden, seit er zuerst hinab zur Erde sah. Da gewahrt er, daß das Gestirn der Zwillinge um ein Viertheil seiner Bahn mit ihm fortgerückt ist, und überblickt nun die Erde von da an, wo der Gott ungehorsame Mensch (Ulysses) seine Schranken überschritt und im Sündenmeer versank, bis wo Gott die ihn liebende Menschheit (Europa) auf seinen Schultern sicher über das Meer trug, sich mit ihr in Licbe zu vereinigen (s. d. Anm. z. V. 82-84). Noch mehr von der Erde hätte er gegen Morgen hin geschaut; aber wie ihm vorhin die Flammen der Heiligen entschwunden waren, war die Sonne (der Erkenntniß) ihm auch um mehr als ein Zeichen entrückt, und er wendet sich sehnsüchtiger als je zurück zu Beatrice, und wird von ihrem Blick mehr als je fest gehalten und beseligt; ja derselbe wirkt so gewaltig auf ihn ein daß er ihn aus den Zwillingen, dem Gestirn der Bruderliebe, emporhebt in den höhern Krystallhimmel, der allein von Gottesliebe und Gottesweisheit bewegt wird, überall gleichgestaltet, so daß der Dichter nicht sagen kann, zu welcher Stelle seiner geschwungnen Wölbung ihn Beatrice gebracht. Dieser Gedanke ist überaus sinnreich und erhaben: nach Gott hin wird Alles mehr und mehr Einigkeit: die wirkenden Eigenschaften und Tugenden treten da nicht mehr getrennt oder unterschieden auf. Beatrice sagt dem im Krystallhimmel Angekommenen: dieser Himmel sei von nichts mehr umfangen, als allein von dem Geiste Gottes, dessen Liebe und Weisheit ihn um seine Pole schwinge. Hier beginne die Bewegung der Welt um die feststehende Mitte (die Erde). In diesem Himmel sei auch die Wurzel der Zeit, denn er bestimme die Bewegung der Gestirne und die Zeit, wenn sie auf- und niedergehn: sein eigner Lauf werde aber nicht von andern bestimmt: er ist ihre Grundzahl und durch ihre Zahl nicht theilbar seine Grundzahl aber ist Gottes Einheit. Von Anschauung der göttlichen Vollkommenheit dieses Himmels geht Beatrice zur Betrachtung des Verderbens über, welches die finstre Gier über die Menschheit bringe, ihre ursprüngliche Unschuld und Schönheit zerstörend und verdunkelnd. Hierauf sagt sie zu Dante: es fehle jetzt an einem Führer auf Erden, weshalb das Geschlecht der Menschen so vom wahren Wege abirre; doch bald werde diese göttliche Weiterdnung einen so gewaltigen Ruf thun, daß das erwartete Heil (ein echter armer Pabst) erscheinen und die verirrte Flotte der Welt umwenden, und ihrem wahren Ziele (Gott) zusteuern werde.
Nachdem Dante von Beatrice über das verirrte Leben der Sterblichen belehrt worden, erblickt er in ihrem Aug' einen gespiegelten Glanz, wendet sich und sieht über sich einen hellen Lichtpunkt, der gar keinen Raum einnimmt, so daß der kleinste Stern daneben ein Mond erschiene, doch derselbe ist zugleich so blendend, daß ihn Dante nicht anzuschauen vermag. Der gar keinen Raum einnehmende Lichtpunkt ist die vollkommene Einheit, Gott. Die Spiegelung in Beatricens (der Lehre) Augen erinnert an das frühere Spiegeln des Greifen in denselben (s. Fegef. XXXI V. 115-129 u. d. Anm. u. Inh.). Um diesen Lichtpunkt, vor welchem Dante noch die Augen schließen muß, erblickt er, wie sich Höfe um die Sonne zeigen, neun immer weitere und weitere Lichtkreise, die sich, je näher am Mittelpunkt, je schneller und leuchtender schwingen. - Die Ordnungen dieser himmlischen Kreise schauend, sagt Dante: das All würde ihn wohl befriedigen, wenn es in der untern körperlichen Welt eben so bestellt wäre; doch um die Erde finde das Gegentheil statt: dort seien die Himmelskreise nur je ferner je göttlicher. Sei die untre Schöpfung nun ein Spiegel der obern, so könne man nicht begreifen, warum Abbild und Urbild sich so wenig entsprächen. Da sagt ihm Beatrice: die körperlichen Dinge können, je größer sie sind, je mehr der Kraft aufnehmen; deshalb entsprächen die größern körperlichen Kreise der Gestirnwelt - den geistigen kleineren, einigeren (z. B. der neunte, der Krystallhimmel, dem ersten Ringtanz um den ganz concentrirten göttlichen Lichtpunkt): Dante müsse hier die Kraft allein messend vergleichen, nicht die äußere Erscheinung, so werde sich ihm wunderbare Uebereinstimmung von Gott herab nach unten zeigen. - Da wird es in Dante's Seele, wie wenn der Himmel sich bei gleichwehender Tramontana lieblich klärt, und die Wahrheit leuchtet ihm wie ein Stern am Himmel. - Nunmehr nennt Beatrice ihm die Bewohner jener neun feurigen Kreise. In den drei nächsten um Gott sind im innersten - die liebentflammten und entflammenden Seraphim, im zweiten - die weisheitvollen Cherubim, im dritten - die Throne göttlichen Urtheils. Der göttliche Geist ergießt sich nicht in ihre Liebe, sondern in ihr Schauen: denn aus ihrem Schauen folgt erst ihre Liebe, das Maaß ihres Schauens aber hängt von ihrem Verdienst ab, und dieses wird von der göttlichen Gnade und jener gehorsamem Willen hervorgebracht. - In den drei folgenden Kreisen sind im innersten - die Herrschaften, welche Fürsten göttlich machen, im zweiten - die wunderwirkenden Tugenden, im dritten - die über böse Geister liegenden Mächte. - In der dritten Dreizahl innerstem Kreise sind - die Fürstenthümer, welche den Fürsten Gottes Willen verkündigen, im zweiten - die zu wichtigen Botschaften bestellten Erzengel, im dritten - die übrigen Boten Gottes, die Engel genannt sind. Alle diese Ordnungen von Engeln werden von dem höchsten Licht angezogen und setzen diesen Zug nach unten fort, von Weltkreis zu Weltkreis. Der heilige Dionysius Aeropagita konnte dieses hehre Geheimniß auf Erden verkünden, denn es war ihm von dem Apostel Paulus mitgetheilt worden, und Paulus hatte es durch Anschauung erfahren: als er in den dritten Himmel (in den geistlichen) entzückt worden (s. II. Cor. XII V. 1-4). Beatrice setzt hinzu: der heilige Gregorius sei, von Dionysius Lehre abweichend, in Irrthümer verfallen, und habe dieselben dann hier oben belächelt, als die Anschauung ihn eines Bessern belehrt.
Eh Beatrice weiter spricht, wägt sie, zu dem höchsten Punkte, zu Gott aufblickend, Philosophie und Gott-gesandte Erkenntnis gegen einander ab. Diesen innerlichen Vorgang auszudrücken, läßt der Dichter in einem erhabnen Gleichniß Vollmond und Sonne am Erdhorizont einander gegenüber in der Wage schweben und vom Zenith aus wägen, bis eine der beiden lichterfüllten Schalen gewinnt: daß die gewinnende die Sonne, die Gott-gesandte Erkenntniß, sei, geht aus dem übrigen Inhalt des Gesanges hervor. Denn Beatrice beginnt nun auf die heilige Schrift gegründete Schilderung der Urschöpfung, und verwirft Alles, was der heilige Geist nicht offenbart hat; läßt aber in ihrer Wage auch der Vernunft so viel Gewicht, als ihr gebührt (s. V. 43-45 u. d. Anm.). Beatrice sagt: der drei einige Gott hat, wie ein dreisehniger Bogen auf einmal drei Pfeile schnellt, drei Dinge auf einmal geschaffen: die geistiggestalteten, Himmel-bewegenden Engel, die körperlichgestalteten Engel-bewegten Himmel und die ungestaltete, bildsame Erdmasse. Solches geschah im unermeßlichen Anfang, vor Beginn der Zeit. Als hierauf Gott das Licht erschuf, wollte der schönste der Engel, Lucifer, nicht erwarten, was Gott ihm davon zutheilen werde, sondern es mit seiner Schaar gewaltsam erstreben: da stürzte ihn sammt derselben Michael (zu deutsch: der Gottgemäße) durch die neun Kreise der Engel und die neun Kreise der Himmel, ungereift vom Licht (s. Parad. XIX V. 46-48 u. d. Anm.), hinab in die Mitte der Erde, deren Vollkommenheit er störte und noch stört (s. Hölle XXXIV V. 121-126 u. d. Inh.): die andern Engel aber begannen, des Lichts, was ihnen Gott zutheilen würde, bescheiden harrend, die kreisförmige Lebensregung, die in Gottes Nähe anhebt und, tiefer und tiefer fortwirkend, alle Himmel bewegt, die wiederum auf die bildsame Erde influiren. Da die guten Engel beständig Alles in Gott schauen, von dem sich ihr Antlitz nicht abwendet, und sich kein Gegenstand zwischen ihr Schauen und Gott stellt, bedürfen sie keines gesonderten Gedächtnisses: hiermit verwirft Beatrice die Streitigkeiten, welche unter den damaligen Theologen über die besonderen Eigenschaften der Engel waren, und spricht weiter über die Irrwege, auf denen die Neigung zum Schein des Wissens die Menschen von den göttlichen Dingen ableitet, daß sie mit eitlen gelehrten Conjecturen das reine Licht der Offenbarung verdunkelt, so daß die christliche Herde statt mit Gottesspeise gelabt, mit Wind erfüllt von der Weide kehrt. Nicht Stolz allein, auch niedre Habsucht erzeugt geistliches Gleißen und alberne Fabeln, womit die Welt betrogen wird: dahin ist auch der Ablaß zu rechnen, den die Mönche mit Ränken und Schwänken verkaufen, der aber auf keinem Zeugniß der Schrift beruht, und nur die Bosheit auf Erden mehrt, gar kein göttlich Gepräg an sich tragend. Nach diesem Absprung wendet Beatrice die Aufmerksamkeit des Dichters sehr tröstlich darauf, wie unermeßlich groß das Heer der Engel, der bewegenden himmlischen Kräfte ist, und sagt ihm: mit menschlicher Zahl sei es nicht zu fassen: mit seinen »zehnmal Zehntausenden« habe Daniel keine Zahl bestimmen, im Gegentheil die Unzählbarkeit andeuten wollen. Die menschliche Denkkraft muß demnach auch hier zurückstehn. Noch sagt Beatrice, in jedem dieser Gefäße des göttlichen Lichtes, d. h. in jedem Engel, werde, nach Maßgabe des liebenden und thätigen Schauens, mehr oder minder heiß glühende Wonne empfangen: hier könne er die Fülle göttlichen Reichthums schauen, da Gott so viele Spiegel seines Lichtes erschaffen, worein er es ewig ergieße und doch ungemindert derselbe und Ewigeine bleibe.
Wie man die Sterne nicht mehr leuchten sieht, wenn die Sonne erscheint, schwindet dem Dichter die Schau der himmlischen Heerschaaren vor Betrachtung des Einzigeinen, aber die überwiegende Herrlichkeit blendet, und nichts mehr erblickend, wendet Dante liebend die Augen zur Lehre, zu Beatricen zurück. Da ist ihre Schönheit so groß, daß er es von nun an aufgiebt, sie zu schildern, sagend: Gott allein vermöge all' ihre Wonne zu genießen; sie aber spricht zu ihm: er sei nun im höchsten Himmel angelangt, im unbegrenzten, freien, der nur geistiges, reines, Lieb-erfülltes Licht und ...-erfüllte Liebe zum wahren Gut sei, und Wonne, die alle Süße übertreffe. Hier werde er beide Heerschaaren des Paradieses sehen, die der Engel und die der heiligen Menschenseelen. Dem Dichter, dessen Herz schon vom Brand der reinen Liebe geläutert (s. Fegef. XXVII Inh.), werden nun auch die schauenden Augen vom unmittelbaren Lichte Gottes geläutert, und heller als je geschaut, sieht er den göttlichen Lichtstrom zwischen blumigen Ufern strömen, daraus sprühen Funken, die sich in die Blumen des Ufers senken, aber wie von Düften berauscht, wieder zurücktauchen in den Strom, während andere sich erheben. Dante's sehnlicher Wunsch, dies zu begreifen, wird von Beatricen bemerkt, und sie sagt ihm: es zu können, müsse er aus dem Strome trinken. Dies hat tiefe Bedeutung, denn es ist der Strom des göttlichen Lebens, das von keinem begriffen wird, der nicht darin ist. Mit heftiger Inbrunst neigt sich der Dichter nun in die Lichtfluth, und kaum hat seine Wimper sie berührt, so sieht er, die vorhin langhin zu strömen schien, zu einem Lichtkreis verschlungen; um den Kreis her aber wandeln sich die Funken in die neun Engelkreise, und unter denselben die Blumen in die Seelen der heiligen Menschen, welche unzählige, kreisförmige Sitzreihen füllen, die einander, je höher je weiter, umfangen, wie die Blüten einer Rose nach außen höher und größer werden. Die heiligen Seelen aber spiegeln sich in dem überschwebenden Lichtkreis, in ... des Herrn, wie ein blumiger Hang sich im Wasser darunter spiegelt, von Haupt zu Füßen. So unzählig und weit die ..., kann Dante dennoch Alles deutlich schaun, das Ferne wie das Nahe. denn wo Gottes Klarheit unmittelbar waltet, sind ... Naturgesetze nicht vorhanden. Daß sich der von Gott ausgehende Lichtstrom dem nun von göttlicher Kraft gestärkten Auge in die vollllkommne Form des Kreises wandelt, ist der erhabne Ausdruck der Idee, daß alles Leben von Gott ausgeht und wieder zu ihm zurückkehrt. Nun führt Beatrice den Dichter in den Kelch dieser weißen Himmelsrose, welche Gottes Lob duftet, und spricht zu ihm: da sieh die Menge derer, die weiße, hochzeitliche Kleider tragen, und sich die Größe der Gottesstadt! Als nun Dante's Blick auf dem leeren Sitz haftet, den eine Krone ziert, fährt sie fort: noch ehe du den Leib verlässest, an diesem ewigen Hochzeitmahl Theil zu nehmen, wird jenen Sitz einnehmen der hohe Kaiser Heinrich, der Italien zu retten allzufrüh kommen wird, eh' es ihm geneigt ist; denn verhext ist das Volk Italiens von blinder Gier, daß es wie ein Kind vor Hunger verschmachtet, und doch die Amme zurückstößt. Denn das Oberhaupt der Kirche, welches dann regieren und mit dem Kaiser äußerlich anders verfahren wird, als insgeheim, wird nicht lange so walten, sondern bald in den Kreis der Hölle hinabstürzen, wo die Simonisten immer tiefer in den Fels der Aergerniß versenkt werden, der frühere immer vom folgenden: dort wird Clemens V Bonifacius den Achten niederdrücken. Der Seligkeit derer, welche für das Reich der Freiheit strebten, wird die Unseligkeit derer entgegengestellt, die es auf Erden gestört, und nun dem ewigen Zwange verfallen.
Der Dichter sieht die Blätter der Paradiesesrose von der Heerschaar der Erlösten erfüllt; aber zwischen Gott und der Blume flattern die thätigen Geister, die Engel, welche gleich einem Bienenschwarm die Süßigkeiten des Paradieses erwerben und spenden, Frieden und Inbrunst. Ihr Geschwärm hindert weder das Leuchten, noch das Schauen; denn hier ist nichts, was dem gottlichen Licht widerstrebt, Alles wird davon durchdrungen, und in dem himmlischen Reich hindert kein Wesen das andre. Alles blickt zu Gott auf, zu dem einigen Sterne mit dreifachem Licht, und wie die Barbaren über den Anblick des irdischen Roms staunten, staunt Dante über die Herrlichkeit des himmlischen, worin Christus Römer ist (s. Fegef. XXXII V. 101. 102. Paradies, Gottesstadt, Sion, himmlisches Jerusalem, himmlisches Rom drucken ein und dasselbe aus: das Reich Christi). - Mit neuen Fragen will Dante sich an Beatrice wenden: da findet er an ihrer Statt den heiligen Bernardus neben sich, den sie zu weiterer Belehrung gesendet. Derselbe zeigt ihm Beatricen auf dem wahren herrlichen Sitz, den sie im heiligen Reich einnimmt, womit der Dichter einfach ausdrückt, daß ihm Bernardus die wahre Lehre in ihrer höchsten Herrlichkeit gezeigt. - Nun preist Dante die Lehre (Beatricen), die ihn von Knechtschaft zur Freiheit geführt (aus dem tiefen Walde mit unreifen bittern Früchten zu der Paradieseshöhe, wo alle Süßigkeit reift), und bittet, ihre Herrlichkeit stets in ihm zu bewahren. Beatrice (die Lehre) lächelt ihm zu und wendet dann ihr Auge wieder nach dem ewigen Heilsborn. - Hierauf räth Bernardus ihm, zur Himmelskönigin Maria emporzublicken, sie werde ihm Gnade schenken; denn er sei Bernardus, ihr Getreuer. Da sieht sie Dante auf der höchsten Stufe der Blume den hellsten Glanz verbreiten, der von da herab in der Blume mehr und mehr abnimmt. In der Mitte aber schweben die Seligkeit verbreitenden Engel, deren Schönheit zu schildern er aufgiebt. Aber als Bernardus sieht, wie andächtig der Dichter schaut, macht er ihn durch sein eignes Schauen kühner in Betrachtung der Himmelskönigin, und mit Recht: denn Niemand ist tiefer in das Mysterium menschlicher Vergöttlichung eingedrungen, als Bernardus. Das Göttliche kann von Menschen nicht erzeugt, wohl aber rein empfangen werden. Diese reine Gmpfänglichkeit für das Gottliche wird in Maria vorgebildet.
Bernardus für seine Wonne, Maria, begeistert, beginnt dem Dichter die Heiligen in der Paradiesesrose zu nennen. Den höchsten Thron nimmt Maria ein; durch demüthiges Gehorchen heilte sie den Schaden, den kecker Ungehorsam gebracht: die erste Ungehorsame sitzt nach langer Buße gerettet zu ihren Füßen, darunter Rahel und Beatrice: das vertrauende Schauen auf Gott und die beseligende göttliche Lehre vorbildend: darüber, den letztgenannten Frauen entsprechend, zur Linken Maria's, Adam der erste Gläubige an den künftigen Heiland, zur Rechten Petrus, der erste Gläubige an den gekommnen. Neben Adam aber sitzt Moses, der erste Prophet des alten, neben Petrus Johannes, der erste des neuen Bundes. So füllen auch die Heiligen des alten Bundes die Reihen der Rose zur Linken, die des neuen die zur Rechten Muria's: doch ist letztere Seite noch nicht ganz erfüllt. Die Scheidewand beider bilden von Maria's Füßen herab Ebräerfrauen: Sarah, Rebecca, Judith, Ruth und andre, die nicht genannt werden, gegenüber aber von oben herab Johannes der Täufer, darunter Franciscus, Benedict, Augustinus und andre mehr. Neben dem Täufer sitzt zur Rechten Anna, die Mutter Maria's, zur Linken Lucia (menschliche Erwartung und göttliche Erleuchtung): sinnvoll umgeben sie den ersten Täufer. Den untern Theil der Rose füllen, doch nicht ungeordnet, die Seelen unschuldig gestorbner Kinder, denen der Glaube der Eltern zu Gute kommt. Warum sie im Himmel mehr oder weniger Seligkeit haben, und warum der Glaube der Eltern ihnen zu Gute kommt, ist göttliches Geheimniß, und das Geschöpf muß sich darin beruhigen, daß es der heiligste Wille so will. Nachdem Dante, so belehrt, sein Vertraun ganz in diesen heiligsten Willen setzt, zeigt ihm Bernardus das Antlitz, das dem Antlitz Christi am meisten gleicht, das Antlitz Maria's, des gottergebnen Geschöpfes, zu welchem der Engel Gabriel, Heilsstrahlen regnend, herabschwebt, den himmlischen Gruß singend, den das ganze Paradies ringsher mitsingt, wodurch Aller Blick verklärt wird. Nachdem Dante die ganze Himmelsrose betrachtet hat, zuletzt Lucia, die göttliche Erleuchtung, die ihm die rettende Lehre, Beatrice gesandt, sagt ihm Bernardus: die göttliche Vision, die ihm gewährt sei, eile nun zu Ende: nicht durch Forschen könne er sich weiter erheben im Schauen, nur durch Gebet zu Maria, zur heiligsten Vermittlerin zwischen göttlicher Natur und menschlicher: er, Bernardus, wolle dieses Gebet anstimmen, und Dante solle mit seinem Herzen folgen (vergl. d. Schluß d. Inh. z. Parad. XXXI).
Der heilige Bernardus betet zu Maria, zur demüthigen Gottergebenheit, die den Schöpfer rein empfangen und so die Verbindung von Göttlichem und Menschlichem in christus geboren: er bittet diese Mutter der Barmherzigkeit, den Dichter, der vom letzten Pfuhl der Hölle bis hier herauf alle Geisterleben geschaut, nun auch mit solcher Gnade zu kräftigen, daß er zur Anschauung des höchsten Heiles gelange. Alle Gewölke, die seinen sterblichen Blick umdüstern, möge sie zertheilen, und seine Neigungen rein bewahren, nachdem er das höchste Heil geschaut. Zu Bernardus Flehen falten Beatrice und alle Heilige ihre Hände. Da neigt sich die Himmelskönigin gnädig zu den Bittenden, und wie Bernardus dem Dichter vorbetete, blickt sie ihm vor in das ewige Licht hin, so Gott-ergeben, daß es Dante mit gleicher Gottergebenheit erfüllt, und er so bereit ist, wie Bernardus ihn haben will. Da wird der Blick des demüthig ergebenen und vertrauenden Sterblichen in dem klaren Licht immer gewisser und gewisser: es blendet ihn nicht mehr, ihm wird die Gnade, fester und fester hineinzublicken und zu schaun, was Sprache nicht auszudrücken, Gedächtniß nicht zu behalten vermag: dennoch erzählt er, wie der göttliche Strahl ihn erhielt und seine Sehkraft stärkte, so daß er sah, wie alle Unvollkommenheit der Welt in Gott vollkommen ist, und Wesen und Zufall in eins verschlungen durch Liebe: daß es so sei, fühle er an der Entzückung, die ihn im Erzählen durchrinne, nur schwinde die höchste Vorstellung mehr und mehr in der Seele des noch Sterblichen, obwohl die Süßigkeit der Erinnerung bleibe. Habe man in jenes ewige Licht geschaut, so konne man sich nicht davon abwenden, weil es das ewige Gut, aller Wünsche Ziel sei: zuletzt habe er in dem einigen Licht drei Kreise von dreien Farben, doch von einem Umfang geschaut, wovon der eine Abglanz des andern, der dritte aber Feuer erschien, das von beiden zugleich herathmete. Dies ist Bild der Dreieinigkeit. Der erste Kreis deutet auf den Vater, der zweite, sein Abglanz, auf den Sohn, und der Beiden entströmende Feuerkreis auf den heiligen Geist der Liebe, der Beider Odem ist. Mehr und mehr hineinblickend, sieht Dante in dem zweiten Kreise, von dessen eigner Farbe gebildet, menschliche Gestalt, aber mit eigner Kraft vermag er nicht zu erkennen, wie sich hier Menschliches mit dem Kreise, dem Bilde vollkommner Göttlichkeit, verbindet, und vergeblich hätte sein Sinnen daran gehaftet, wie das des Geometers, welcher vergeblich den ersten Satz zur Quadratur des Cirkels sucht, wenn ihn nicht der Strahl der Gnade berührt und dieses Geheimniß vor ihm entschleiert hätte. So ist durch demüthiges Nachbeten und Nachblicken und reine festvertrauende Gottergebenheit die Schau erreicht, welche der eigenmächtigen Forschung mit dem Fels der Aergerniß verschlossen war: aber vor dieser Schau versinkt die Macht der menschlichen Phantasie, der Dichter vermag nicht weiter zu schildern, und ergießt seinen Wunsch und Willen in den Willen, der ihm dies wehrt, in den Willen der göttlichen Liebe, als ein Rad, das sich willig von ihr schwingen läßt, die auch die Sonne schwingt und alle Sterne.

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