003
Wir waren auf dem Gipfel nun der Stiege,
Allwo zum zweiten Male sich abstufet
Der Berg, der im Ersteigen uns entsündigt:
Noi eravamo al sommo de la scala,
dove secondamente si risega
lo monte che salendo altrui dismala.
006
Daselbst umfasset wiederum ein Umgang
Die Höhe rings umher, gleichwie der erste;
Nur daß sein Bogen sich geschwinder wendet.
Ivi così una cornice lega
dintorno il poggio, come la primaia;
se non che l'arco suo più tosto piega.
009
Nicht Schatten ist, nicht Bild hier, das erschiene:
Der Strand erscheint so, der einförm'ge Weg auch
Mit der schwarzgelben Farbe seiner Steine.
Ombra non lì è né segno che si paia:
parsi la ripa e parsi la via schietta
col livido color de la petraia.
012
»Wenn man hier wartet, Leute zu befragen,
Begann der Dichter jetzo: so befürcht' ich,
Es werde unsre Wahl zu sehr verzögert.« -
"Se qui per dimandar gente s'aspetta",
ragionava il poeta, "io temo forse
che troppo avrà d'indugio nostra eletta".
015
Drauf kehrt' er fest die Augen zu der Sonne,
Die rechte Seite nahm zum Wendepunkt er,
Und wandte sich darum mit seiner Linken.
Poi fisamente al sole li occhi porse;
fece del destro lato a muover centro,
e la sinistra parte di sé torse.
018
»O süßes Licht, auf welches ich vertrauend
Den neuen Weg betreten, führe du uns,
Sprach er, wie man von hieraus will geführt sein!
"O dolce lume a cui fidanza i' entro
per lo novo cammin, tu ne conduci",
dicea, "come condur si vuol quinc'entro.
021
Du wärmst die Welt, du leuchtest auf sie nieder:
Zwingt andre Ursach' nicht zum Gegentheile;
So seien immer Führer deine Strahlen!« -
Tu scaldi il mondo, tu sovr'esso luci;
s'altra ragione in contrario non ponta,
esser dien sempre li tuoi raggi duci".
024
Wie viel man hier für eine Miglie rechnet:
So viel schon waren wir allda gegangen,
In wenig Zeit, bei unserm rüst'gen Willen.
Quanto di qua per un migliaio si conta,
tanto di là eravam noi già iti,
con poco tempo, per la voglia pronta;
027
Und gen uns fliegen wurden da gehöret
Und nicht gesehen Geister: diese sprachen
Holdsel'ge Ladungen zum Tisch der Liebe.
e verso noi volar furon sentiti,
non però visti, spiriti parlando
a la mensa d'amor cortesi inviti.
030
Die erste Stimme, die vorbeizog fliegend:
»Vinum non habent,« sprach sie hehren Lautes,
Und hinter uns wich sie, es wiederholend:
La prima voce che passò volando
'Vinum non habent'altamente disse,
e dietro a noi l'andò reïterando.
033
Und ehe sie noch ganz vernommen worden
Im Weichen, tönete: »Ich bin Orestes!«
Im Fortziehn eine andere und blieb nicht.
E prima che del tutto non si udisse
per allungarsi, un'altra 'I' sono Oreste'
passò gridando, e anco non s'affisse.
036
O, sprach ich: Vater, welche Stimmen sind das?
Und wie ich also fragte: Horch, die dritte,
Erhallend: »Liebet, die euch Böses thaten!«
"Oh!", diss'io, "padre, che voci son queste?".
E com'io domandai, ecco la terza
dicendo: 'Amate da cui male aveste'.
039
Der gute Meister aber: »Dieser Gürtel
Geißelt des Neides Sünde, doch von Liebe
Geschwungen sind die Stricke dieser Geißel.
E 'l buon maestro: "Questo cinghio sferza
la colpa de la invidia, e però sono
tratte d'amor le corde de la ferza.
042
Der Zaum will sein vom gegentheil'gen Klange,
Du hörst ihn, glaub' ich, noch nach meiner Weisung,
Bevor du kommst zur Stätte der Verzeihung.
Lo fren vuol esser del contrario suono;
credo che l'udirai, per mio avviso,
prima che giunghi al passo del perdono.
045
Doch richte scharf dein Auge durch die Luft hin,
So wirst vor uns du Leute sitzen sehen,
Und Jeder ist gelehnt rings an der Zuflucht.« -
Ma ficca li occhi per l'aere ben fiso,
e vedrai gente innanzi a noi sedersi,
e ciascun è lungo la grotta assiso".
048
Drauf that ich mehr die Augen auf, als früher,
Sah vor mich hin und sah Schatten in Mänteln,
Nicht unterschiednen von des Bodens Farbe.
Allora più che prima li occhi apersi;
guarda' mi innanzi, e vidi ombre con manti
al color de la pietra non diversi.
051
Und als wir etwas weiter vorgeschritten:
»Maria, bitt' für uns,« hört' ich da schreien,
Und: »Michael, Petrus und alle Heil'gen!« -
E poi che fummo un poco più avanti,
udia gridar: 'Maria òra per noi':
gridar 'Michele' e 'Pietro' e 'Tutti santi'.
054
Ich glaube nicht, daß noch ein Mensch auf Erden
So hart sei, der da nicht gerühret würde
Von Mitleid mit dem, was ich nun erblickte:
Non credo che per terra vada ancoi
omo sì duro, che non fosse punto
per compassion di quel ch'i' vidi poi;
057
Denn wie ich ihnen nun so weit genahet,
Daß ihr Gehaben sich genau mir kundgab
Durch's Aug, entzwang ein tiefer Schmerz mir Thränen.
ché, quando fui sì presso di lor giunto,
che li atti loro a me venivan certi,
per li occhi fui di grave dolor munto.
060
Mit schlechtem Bußkleid sah ich sie bekleidet,
Und Einer litt den Andern auf der Schulter,
Und waren all' geduldet von dem Strande.
Di vil ciliccio mi parean coperti,
e l'un sofferia l'altro con la spalla,
e tutti da la ripa eran sofferti.
063
So steh'n die Blinden, die der Nahrung mangeln,
An Ablaßtagen, bettelnd ihre Nothdurft,
Und Einer fügt sein Haupt dicht auf den Andern:
Così li ciechi a cui la roba falla,
stanno a' perdoni a chieder lor bisogna,
e l'uno il capo sopra l'altro avvalla,
066
Damit in Andern schnell Mitleid entstehe,
Nicht nur allein durch das Getön' der Rede,
Nein, auch durch Anblick, der nicht wen'ger rühret.
perché 'n altrui pietà tosto si pogna,
non pur per lo sonar de le parole,
ma per la vista che non meno agogna.
069
Und wie den Blinden nichts mittheilt die Sonne,
Will sie den Schatten hier, wovon ich rede,
Kein Himmelslicht mittheilen aus sich selber;
E come a li orbi non approda il sole,
così a l'ombre quivi, ond'io parlo ora,
luce del ciel di sé largir non vole;
072
Denn allen bohrt ein Eisendrath die Wimper,
Und heftet sie, wie man dem wilden Sperber
Pflegt anzuthun, wenn er nicht ruhig bleibet.
ché a tutti un fil di ferro i cigli fóra
e cusce sì, come a sparvier selvaggio
si fa però che queto non dimora.
075
Es schien im Gehn mir, als ob Sünd' ich thäte,
Indem ich Andre sah, selbst ungesehen!
Drum ich zu meinem weisen Rath mich wandte.
A me pareva, andando, fare oltraggio,
veggendo altrui, non essendo veduto:
per ch'io mi volsi al mio consiglio saggio.
078
Wohl wußt' er, was der Stumme sagen wollte,
Darum erwartete er nicht mein Fragen,
Nein, sagte: »Sprich, und rede kurz und sinnvoll!« -
Ben sapev'ei che volea dir lo muto;
e però non attese mia dimanda,
ma disse: "Parla, e sie breve e arguto".
081
Es ging Virgil mir da auf jener Seite
Des Umgangs, wo man kann hinunterfallen,
Weil sie mit keiner Brustwehr sich umkränzet.
Virgilio mi venìa da quella banda
de la cornice onde cader si puote,
perché da nulla sponda s'inghirlanda;
084
Zur andern Seite waren mir die Schatten
Der Büßer, welche durch die grause Noth da
So litten, daß die Wangen sie benetzten.
da l'altra parte m'eran le divote
ombre, che per l'orribile costura
premevan sì, che bagnavan le gote.
087
Zu ihnen wandt' ich mich, und: »Seelen, sicher,
Begann ich: das erhab'ne Licht zu schauen,
Um das allein nur sorget eure Sehnsucht,
Volsimi a loro e: "O gente sicura",
incominciai, "di veder l'alto lume
che 'l disio vostro solo ha in sua cura,
090
Soll baldigst Gnade euch die Schäume lösen
Von euerem Gewissen, so daß lauter
Dadurch herab der Strom des Geistes rinne:
se tosto grazia resolva le schiume
di vostra coscïenza sì che chiaro
per essa scenda de la mente il fiume,
093
Sagt mir, es wird mir angenehm und lieb sein,
Ob eine Seel' aus Latium bei euch weilet,
Vielleicht nützt es auch ihr, lern' ich sie kennen?« -
ditemi, ché mi fia grazioso e caro,
s'anima è qui tra voi che sia latina;
e forse lei sarà buon s'i' l'apparo".
096
»O Bruder mein, jedwede ist hier Bürg'rin
Von einer wahren Stadt, doch du willst sagen:
Die einst als Pilg'rin lebte in Italien?« -
"O frate mio, ciascuna è cittadina
d'una vera città; ma tu vuo' dire
che vivesse in Italia peregrina".
099
Dergleichen schien als Antwort ich zu hören,
Von etwas ferner her, als wo ich weilte;
Weshalb ich näher noch hinging, zu hören.
Questo mi parve per risposta udire
più innanzi alquanto che là dov'io stava,
ond'io mi feci ancor più là sentire.
102
Ich sah von selben Schatten einen warten
Mit seinem Haupt: als woll' er sagen: wie doch?
Hub er das Kinn empor, nach Art der Blinden.
Tra l'altre vidi un'ombra ch'aspettava
in vista; e se volesse alcun dir 'Come?',
lo mento a guisa d'orbo in sù levava.
105
»Geist, sprach ich: der sich beuget um zu steigen;
Bis jener du, der Antwort mir gegeben:
Thu dich mir kund nach Ortschaft oder Namen.« -
"Spirto", diss'io, "che per salir ti dome,
se tu se' quelli che mi rispondesti,
fammiti conto o per luogo o per nome".
108
»Sienesin war ich, und mit diesen Andern,
Begann sie: läutr' ich mich vom sünd'gen Leben,
Zu dem aufweinend, der sich uns gewähre!
"Io fui sanese", rispuose, "e con questi
altri rimendo qui la vita ria,
lagrimando a colui che sé ne presti.
111
Unweise war ich, obwohl ich Sapia
Genannt war, und ich ward durch Andrer Schäden
Vielmehr erfreut, als durch die eigne Wohlfahrt.
Savia non fui, avvegna che Sapìa
fossi chiamata, e fui de li altrui danni
più lieta assai che di ventura mia.
114
Und, daß du nicht vermeinst, daß ich dich täusche,
Hör': ob ich thörig war wie ich dir sage?
Als meiner Jahre Bogen schon herabstieg,
E perché tu non creda ch'io t'inganni,
odi s'i' fui, com'io ti dico, folle,
già discendendo l'arco d'i miei anni.
117
Da waren meine Bürger, nah' bei Colle,
Im Feld im Kampf mit ihren Widersachern,
Und ich bat Gott um das - was er gewollt hat:
Eran li cittadin miei presso a Colle
in campo giunti co' loro avversari,
e io pregava Iddio di quel ch'e' volle.
120
Da wurden sie geschlagen und zum bittern
Fluchtschritt gewendet, und die Jagd erblickend,
Empfing ich Lust, ungleich jedweder andern;
Rotti fuor quivi e vòlti ne li amari
passi di fuga; e veggendo la caccia,
letizia presi a tutte altre dispari,
123
Also, daß ich erhub das kecke Antlitz
Zu Gott aufrufend: Jetzt fürcht' ich dich nimmer;
Der Amsel gleich beim ersten guten Wetter.
tanto ch'io volsi in sù l'ardita faccia,
gridando a Dio: "Omai più non ti temo!",
come fé 'l merlo per poca bonaccia.
126
Mit Gott begehrt' ich Frieden, an dem letzten
Tag meines Lebens; aber meine Sünde
Wär noch durch meine Reue nicht erloschen;
Pace volli con Dio in su lo stremo
de la mia vita; e ancor non sarebbe
lo mio dover per penitenza scemo,
129
Geschah's nicht, daß in heiligem Gebete
Mein noch gedachte Pietro Pettinai,
Der sich aus Milde meiner noch erbarmet.
se ciò non fosse, ch'a memoria m'ebbe
Pier Pettinaio in sue sante orazioni,
a cui di me per caritate increbbe.
132
Doch wer bist du, der uns're Art und Weise
Erforschen geht, und frei die Augen träget,
Wie mir bedünket, und auch athmend redet?« -
Ma tu chi se', che nostre condizioni
vai dimandando, e porti li occhi sciolti,
sì com'io credo, e spirando ragioni?".
135
»Hier seien mir die Augen auch benommen,
Sprach ich: doch kurze Zeit, da sie nur wenig
Gesündiget mit neidischer Verdrehung.
"Li occhi", diss'io, "mi fieno ancor qui tolti,
ma picciol tempo, ché poca è l'offesa
fatta per esser con invidia vòlti.
138
Viel größer ist die Furcht, d'rin meine Seele
Anlangend jene unter Pein'gung schwebet;
Denn schon bedrückt die Last mich von da unten.«
Troppa è più la paura ond'è sospesa
l'anima mia del tormento di sotto,
che già lo 'ncarco di là giù mi pesa".
141
Und sie zu mir: »Wer hat dich denn geleitet
Hier auf zu uns, glaubst du zurückzukehren?« -
Und ich: Der mit mir ist und keinen Laut giebt:
Ed ella a me: "Chi t' ha dunque condotto
qua sù tra noi, se giù ritornar credi?".
E io: "Costui ch'è meco e non fa motto.
144
Und lebend bin ich, und darum verlange
Von mir, willst du, erwählter Geist, daß jenseits
Ich noch für dich sterbliche Füße rege.« -
E vivo sono; e però mi richiedi,
spirito eletto, se tu vuo' ch'i' mova
di là per te ancor li mortai piedi".
147
»O, dieses ist so neu zu hören, sprach sie:
Daß es groß Zeichen ist, daß Gott dich liebet!
Drum hilf du mir alsdann mit deinem Bitten;
"Oh, questa è a udir sì cosa nuova",
rispuose, "che gran segno è che Dio t'ami;
però col priego tuo talor mi giova.
150
Und bitt' ich dich bei dem, was du am meisten
Ersehnst, betrittst du je die Tuskererde,
Bring mich bei den Verwandten noch zu Ehren;
E cheggioti, per quel che tu più brami,
se mai calchi la terra di Toscana,
che a' miei propinqui tu ben mi rinfami.
153
Du wirst sie bei dem eitlen Volk erblicken,
Das hofft auf Telamon, und da mehr Hoffnung
Verlieren wird, als bei dem Dianensuchen;
Tu li vedrai tra quella gente vana
che spera in Talamone, e perderagli
più di speranza ch'a trovar la Diana;
156
Doch mehr verspielen da die Flottenführer.« -
ma più vi perderanno li ammiragli".

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