003
So viel als von dem Schluß der dritten Stunde
Bis zu des Tags Beginn verbleibt der Sphära,
Die immer heiter ist nach Kinderweise,
Quanto tra l'ultimar de l'ora terza
e 'l principio del dì par de la spera
che sempre a guisa di fanciullo scherza,
006
So viel auch schien nunmehro bis zum Sinken
Der Sonne noch von ihrem Wandel übrig;
Dort war es Abend, Mitternacht hienieden.
tanto pareva già inver' la sera
essere al sol del suo corso rimaso;
vespero là, e qui mezza notte era.
009
Die Strahlen trafen unsrer Nasen Mitte:
Indem der Berg sich uns so mild erzeigte,
Daß wir bereits gerad nach Westen gingen;
E i raggi ne ferien per mezzo 'l naso,
perché per noi girato era sì 'l monte,
che già dritti andavamo inver' l'occaso,
012
Als ich das Antlitz mehr belastet fühlte
In solcherlei Bestrahlung, als vorhero,
Und Wunder nahmen mich die neuen Dinge:
quand'io senti' a me gravar la fronte
a lo splendore assai più che di prima,
e stupor m'eran le cose non conte;
015
Weshalb ich meine Hände zu dem Gipfel
Der Brauen hub und so mir Schirm gewährte,
Dem übermäß'gen Schauen eine Grenze.
ond'io levai le mani inver' la cima
de le mie ciglia, e fecimi 'l solecchio,
che del soverchio visibile lima.
018
Gleichwie vom Wasser, oder von dem Spiegel,
Der Strahl zur Seite gegenüber springet
Und aufwärts steiget in derselben Weise,
Come quando da l'acqua o da lo specchio
salta lo raggio a l'opposita parte,
salendo sù per lo modo parecchio
021
Wie er herabfiel, und gleichviel zurückweicht,
Von eines Steines Fall, mit gleichem Winkel,
Wie dies Erfahrung oder Lehre zeiget:
a quel che scende, e tanto si diparte
dal cader de la pietra in igual tratta,
sì come mostra esperïenza e arte;
024
So schien ich mir von da vor mir zurücke
Gestrahltem Licht getroffen, solchermaßen,
Daß mein Gesicht genöthigt ward zum Weichen.
così mi parve da luce rifratta
quivi dinanzi a me esser percosso;
per che a fuggir la mia vista fu ratta.
027
»Was ist das, theurer Vater, gegen das ich
Den Blick nicht schirmen kann, daß es mir hülfe,
Sagt' ich: und das gen uns beweget scheinet?« -
"Che è quel, dolce padre, a che non posso
schermar lo viso tanto che mi vaglia",
diss'io, "e pare inver' noi esser mosso?".
030
»Nicht wundre dich, dafern dich jetzt noch blendet
Die himmlische Genossenschaft, begann er:
Ein Bote ist's, der hier zum Steigen ladet.
"Non ti maravigliar s'ancor t'abbaglia
la famiglia del cielo", a me rispuose:
"messo è che viene ad invitar ch'om saglia.
033
Bald wird's geschehn, daß solcher Dinge Schauen
Dir nicht Beschwerde, sondern Wonne sein wird,
Nachdem Natur dich rüstet zum Empfinden.« -
Tosto sarà ch'a veder queste cose
non ti fia grave, ma fieti diletto
quanto natura a sentir ti dispuose".
036
So waren wir gelangt zum sel'gen Engel:
Mit holder Stimme sprach er: »Gehet ein da!
Zum Steig, der minder steil ist als die frühern.« -
Poi giunti fummo a l'angel benedetto,
con lieta voce disse: "Intrate quinci
ad un scaleo vie men che li altri eretto".
039
Wir klommen schon, von dorten abgeschieden,
Und »Beati misericordes!« sang es
Nun hinter uns und: »Freu' dich, der du siegest!« -
Noi montavam, già partiti di linci,
e 'Beati misericordes!' fue
cantato retro, e 'Godi tu che vinci!'.
042
Mein Meister und ich, beide nun vereinsamt
Aufstiegen wir, und ich gedacht' im Wandern,
Mir Heil aus seiner Rede zu gewinnen:
Lo mio maestro e io soli amendue
suso andavamo; e io pensai, andando,
prode acquistar ne le parole sue;
045
Und wandte mich zu ihm, ihn also fragend:
»Was meinte doch der Geist aus der Romagna,
Als von Genossenschaft er sprach und Ausschluß?« -
e dirizza' mi a lui sì dimandando:
"Che volse dir lo spirto di Romagna,
e 'divieto' e 'consorte' menzionando?".
048
Drum er zu mir: »Von seinem größten Schandfleck
Kennt er den Nachtheil: drum ist nicht zu staunen:
Er straft sich, daß man künftig wen'ger weine.
Per ch'elli a me: "Di sua maggior magagna
conosce il danno; e però non s'ammiri
se ne riprende perché men si piagna.
051
Warum doch haften eure Wünsch' an Dingen,
Bei denen Mitgenuß etwas verringert,
Und Neid den Blasebalg zum Seufzen reget?
Perché s'appuntano i vostri disiri
dove per compagnia parte si scema,
invidia move il mantaco a' sospiri.
054
Denn wenn die Liebe zu der höchsten Sphära
Nach oben richtete die Sehnsucht euer:
Ihr hättet nimmer in der Brust die Bängniß:
Ma se l'amor de la spera supprema
torcesse in suso il disiderio vostro,
non vi sarebbe al petto quella tema;
057
Dieweil, je mehr wir dorten unser nennen,
Je mehr besitzet Jeder von dem Gute,
Je mehr der Liebe glüht in jenen Räumen!« -
ché, per quanti si dice più lì 'nostro',
tanto possiede più di ben ciascuno,
e più di caritate arde in quel chiostro".
060
»Ich bin noch unbefriedigter nunmehro,
Sagt' ich: als hätte ich zuvor geschwiegen,
Und mehr der Zweifel häuf' ich nun im Geiste.
"Io son d'esser contento più digiuno",
diss'io, "che se mi fosse pria taciuto,
e più di dubbio ne la mente aduno.
063
Wie kann's geschehn, daß ein vertheilet Gut je
Noch mehrere Besitzer reicher schaffe,
Als wär' es nur von Wenigen besessen?« -
Com'esser puote ch'un ben, distributo
in più posseditor, faccia più ricchi
di sé che se da pochi è posseduto?".
066
Und er zu mir: »Dieweil du immer wieder
Den Sinn nur auf die ird'schen Dinge richtest,
Entschöpfest du dem wahren Lichte Dunkel.
Ed elli a me: "Però che tu rificchi
la mente pur a le cose terrene,
di vera luce tenebre dispicchi.
069
Das Gut, das endelos' unausgesprochne,
Welches da droben ist, strömt so zu Liebe,
Gleichwie ein Strahl zu Körper, der erglänzet.
Quello infinito e ineffabil bene
che là sù è, così corre ad amore
com'a lucido corpo raggio vene.
072
So viel verleiht's von sich, als Brunst es findet;
So daß, wie viel die Liebe sich verbreite,
Stets über ihr der ew'ge Schatz sich mehret.
Tanto si dà quanto trova d'ardore;
sì che, quantunque carità si stende,
cresce sovr'essa l'etterno valore.
075
Und wie viel Schaar sich droben mehr verstehet,
Je mehr ist liebenswerth und wird geliebet,
Gleich Spiegeln leiht da Einer wieder Andern.
E quanta gente più là sù s'intende,
più v'è da bene amare, e più vi s'ama,
e come specchio l'uno a l'altro rende.
078
Und stillt mein Reden dir noch nicht den Hunger,
So wirst du Beatrice sehn, die wird dir
Den Wunsch und jeden andern völlig stillen.
E se la mia ragion non ti disfama,
vedrai Beatrice, ed ella pienamente
ti torrà questa e ciascun'altra brama.
081
Nur siehe zu, daß bald getilget werde,
Wie zween der Wunden, auch die andern fünfe,
Die sich verschließen, weil sie wehe werden.« -
Procaccia pur che tosto sieno spente,
come son già le due, le cinque piaghe,
che si richiudon per esser dolente".
084
Als ich nun sagen wollte: »Du genügst mir« ...
Sah' ich am neuen Kreis mich angekommen,
Daß die erfreuten Augen mich nun stillten.
Com'io voleva dicer 'Tu m'appaghe',
vidimi giunto in su l'altro girone,
sì che tacer mi fer le luci vaghe.
087
Es war mir da, als wenn in ein entzücktes
Gesicht urplötzlich ich entrücket würde,
Und sähe viele Leut' in einem Tempel:
Ivi mi parve in una visïone
estatica di sùbito esser tratto,
e vedere in un tempio più persone;
090
Und eine Frau mit mütterlicher, sanfter
Geberd' am Eingang sagte: »O mein Söhnlein,
Warum hast also du an uns gehandelt?
e una donna, in su l'entrar, con atto
dolce di madre dicer: "Figliuol mio,
perché hai tu così verso noi fatto?
093
Da sieh', mit Schmerzen haben dich dein Vater
Und ich gesucht!« ... Und so wie es da stillward,
Verschwand nun auch, was mir zuerst erschienen.
Ecco, dolenti, lo tuo padre e io
ti cercavamo". E come qui si tacque,
ciò che pareva prima, dispario.
096
Drauf schien mir eine Andre, der die Wangen
Herab ein Wasser rann, wie Schmerz es quellet,
Entstehet er aus großem Zorn gen Andre,
Indi m'apparve un'altra con quell'acque
giù per le gote che 'l dolor distilla
quando di gran dispetto in altrui nacque,
099
Zu sprechen: »Wenn du Herr der großen Stadt bist,
Um deren Namen Götter einst gestritten,
Woher auch alle Wissenschaft entbrennet:
e dir: "Se tu se' sire de la villa
del cui nome ne' dèi fu tanta lite,
e onde ogne scïenza disfavilla,
102
So räche, Pisistrat, dich an den Armen,
Den Frechen, die umarmet unsre Tochter!« -
Es schien der Herr mir aber mild und gütig
vendica te di quelle braccia ardite
ch'abbracciar nostra figlia, o Pisistràto".
E 'l segnor mi parea, benigno e mite,
105
Ihr zu erwiedern mit gelass'nem Antlitz:
»Was thun wir Einem, der uns Böses anwünscht,
Wenn der von uns verdammt wird, der uns liebet?« -
risponder lei con viso temperato:
"Che farem noi a chi mal ne disira,
se quei che ci ama è per noi condannato?".
108
Drauf sah' ich Leut', entbrannt in Glut des Zornes,
Mit Steinen grausam tödten einen Jüngling,
Zurufend sich einander: Steinigt! steinigt!
Poi vidi genti accese in foco d'ira
con pietre un giovinetto ancider, forte
gridando a sé pur: "Martira, martira!".
111
Er aber ward geseh'n vom Tod sich neigend,
Der schon zur Erd' ihn beugt'; allein er machte
Die Augen stets zu Pforten für den Himmel,
E lui vedea chinarsi, per la morte
che l'aggravava già, inver' la terra,
ma de li occhi facea sempre al ciel porte,
114
Zum höchsten Herrn in solchem Kampfe betend:
Daß seinen Pein'gern er verzeihen möge,
Mit jenem Aufblick, der Mitleid erschließet.
orando a l'alto Sire, in tanta guerra,
che perdonasse a' suoi persecutori,
con quello aspetto che pietà diserra.
117
Als meine Seele wieder sich nach außen
Gewandt, zu, außerhalb ihr, wahren Dingen,
Erkannt' ich meine nicht trugvollen Irren:
Quando l'anima mia tornò di fori
a le cose che son fuor di lei vere,
io riconobbi i miei non falsi errori.
120
Mein Führer aber, der mich schauen konnte,
Wie ich als Einer that, der aus dem Schlaf will,
Sprach: »Was ist dir: kannst du dich nicht halten?
Lo duca mio, che mi potea vedere
far sì com'om che dal sonno si slega,
disse: "Che hai che non ti puoi tenere,
123
Wohl mehr als eine halbe Miglie gingst du
Geschloßnen Auges und mit irren Füßen,
Nach Eines Art, den Wein neigt oder Schlummer.«
ma se' venuto più che mezza lega
velando li occhi e con le gambe avvolte,
a guisa di cui vino o sonno piega?".
126
»O holder Vater mein, wenn du mich anhörst,
Sag' ich dir, sprach ich: was mir da erschienen,
Als mir die Füße so benommen worden.«
"O dolce padre mio, se tu m'ascolte,
io ti dirò", diss'io, "ciò che m'apparve
quando le gambe mi furon sì tolte".
129
Und er: »Und hättest du auch hundert Larven
Auf deinem Antlitz; nicht verschlossen blieben
Mir die Gedanken dein, wie klein sie wären.
Ed ei: "Se tu avessi cento larve
sovra la faccia, non mi sarian chiuse
le tue cogitazion, quantunque parve.
132
Du sahest das, damit du dich nicht wehrest,
Das Herz des Friedens Wassern zu eröffnen,
Die aus der ew'gen Quelle sind ergossen.
Ciò che vedesti fu perché non scuse
d'aprir lo core a l'acque de la pace
che da l'etterno fonte son diffuse.
135
Was ist dir? fragt' ich nicht wie irgend Einer,
Der nur mit Augen schaut und der nicht siehet,
Sobald sein Leib entseelt dahingesunken.
Non dimandai "Che hai?" per quel che face
chi guarda pur con l'occhio che non vede,
quando disanimato il corpo giace;
138
Ich fragt' es, zu erkräft'gen deine Füße:
So muß man treiben die langsamen Läß'gen,
Die Zeit zu nützen, wenn sie wieder wach sind.
ma dimandai per darti forza al piede:
così frugar conviensi i pigri, lenti
ad usar lor vigilia quando riede".
141
Wir gingen, spähend in den Abend, weiter,
Als sich die Augen nur erstrecken konnten,
Entgegen abendlichen, hellen Strahlen:
Noi andavam per lo vespero, attenti
oltre quanto potean li occhi allungarsi
contra i raggi serotini e lucenti.
144
Und siehe, nach und nach erhub ein Rauch sich,
Dort wider uns, so finster wie die Nacht ist,
Und war kein Raum allda, ihm auszuweichen:
Ed ecco a poco a poco un fummo farsi
verso di noi come la notte oscuro;
né da quello era loco da cansarsi.
147
Der nahm die Aussicht und das klare Licht uns.
Questo ne tolse li occhi e l'aere puro.

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