Das Gedicht beginnt mit genauer Zeitbestimmung. Nach dem Psalmisten währt unser Leben siebenzig Jahre, der halbe Lebensweg bedeutet also fünfundfreißig. Dante, im Jahre 1285 geboren, verlegt den Beginn seiner mystischen Pilgerfahrt in das Jahr 1300, welches zugleich ein kirchliches Jubeljahr war. Es war Frühlingsanfang; die Sonne stand wie am Schöpfungsmorgen, das heißt im Sternbilde des Widders, und es war, wie der 21. Gesang lehrt der Todestag Christ, den die Überlieferung auf den 25. März verlegte.

Die allegorische Bedeutung des ersen Gesanges ist schon von den ältesten Auslegern im wesentlichen festgestellt worden. Der Dichter ist in dem dunklen Walde des gottentfremdeten weltlichen Lebens verirrt; die wilden Tiere, die in diesem Walde hausen, das heißt die zügellosen Laster der Zeit, Wollust (das Pardeltier), Stolz und Herrschsucht (der Löwe) und Geiz oder Habgier (die Wölfin) drohen ihn zu verderben und hindern ihn, das Heil, welches er vor sich sieht, „den Berg der Wonnen”, den die Sonne, das Licht der Wahrheit, bestrahlt, zu erreichen. Die gehobene Stimmung der Jugend ermutigt ihn zwar eine Zeitlang, von der Weltlust, dem „bunten Wilde”, Befriedigung zu erwarten, „Gutes zu hoffen”, aber schließlich verzweifelt er, dem Labyrinthe der Sünde und des Irrtums zu entkommen. Da sendet ihm die Gnade den Retter in der Person Virgils, der im Sinne des Mittelalters als der vollkommenste Dichter, als der Sänger der römischen Weltherrschaft für Dante der Vertreter der höchsten menschlichen Bildung und Weisheit ist. An Virgils Hand, von menschlicher Erkenntnis geleitet, wird er den Weg finden, der allein zur Erlösung aus dem dunklen Walde führt; zuerst das Entsetzen vor den Abgründen der Sünde, sodann die Heilswirkung der Buße, den Weg durch die Hölle und durch das Fegefeuer, wo die Geister „zufrieden Pein bestehn”, weil die Pein nur Läuterung ist zum ewigen Frieden, im Anschauen Gottes. Dies Anschauen des Himmlischen freilich vermag Virgil ihm nicht zu gewähren; dazu bedarf es der christlichen Erleuchtung und der göttlichen Gnade, welche beide in der Gestalt der Beatrix, der verklärten Jugendgeliebten Dantes, verkörpert erscheinen.

Nur darf man weder in diesem ersten Gesange noch überhaupt in der göttliche Komödie sich ausschließlich an die Allegorie halten. Die Personen wie die Vorgänge haben immer neben ihrer sinnbildlichen Bedeutung ihre volle Existenz als wirkliche Individuen, als wirklich Geschehendes. Der Virgil der Hölle ist nicht bloß eine allegorische Figur, sondern zugleich der historische Dichter der Äneis; Beatrix ist nicht allein die vermenschlichte Theolgie oder die Gratia perficiens, sondern zugleich die schöne Florentinerin, die in dem Herzen des neunjährigen Dante die unverlöschliche Liebesflamme entzündet hatte. Dies Verfließen des eigentlichen und des symbolischen oder des allegorischen Sinnes geht durch das ganze Gedicht, und auf ihm beruht zu nicht geringem Teile der poetische Eindruck.

Wie man die göttliche Komödie zu lesen habe, dazu hat Dante selbst in der Widmung, die er an Can Grande della Scala schrieb, Anleitung gegeben. Dort nennt der sein Werk „polysensum, hoc est plurium sensuum” und er führt den 114. Psalm („Als Israel aus Ägypten zog”) an, um zu zeigen, wie in den nämlichen Worten ein tieferer unter dem buchstäblichen Sinne liegen könne. Er sagt: „Sehen wir den Buchstaben an, so bedeutet er den Auszug der Kinder Israels unter Moses. Sehen wir auf die Allegorie, so bedeutet er unsere Erlösung durch Christus. Sehen wir auf den moralischen Sinn, die Bekehrung der Seele von dem Elende der Sünde zum Stande der Gnade. Sehen wir auf den anagogischen Sinn, den Ausgang der heiligen Seele aus der Knechtschaft dieser Verderbnis in die ewige Freiheit der Herrlichkeit.” So wie er es hier meint, hat er in seiner eigenen Dichtung parallel laufende, aber verschiedene Ideen zu einer untrennbaren Kunstform zusammengeschmiedet.

Dem ersten Entschlusse des Dichters folgt zaghaftes Bedenken. Er zweifelt an seiner Kraft und Würdigkeit, den Weg durch die Geisterwelt zu gehen. Zwar habe Äneas und das „Gefäß der Wahl” (vas electionis, wie Paulus in der Apostelgeschichte 9, 15. genannt wird), vor dem Tode Elysium und Paradies geschaut, aber Dante kann sich ihnen nicht gleichstellen. Dem Äneas vergönnte Gott („der Feind des Bösen”) diesen Gang, weil er durch die Verkündigungen des Anchises befähigt werden sollte, der „Vater Roms”, der Vorbereiter der auf Kaisertum und Papsttum ruhenden Weltordnung zu werden. Und Paulus ward in den Himmel entrückt, um den christlichen Glauben kräftiger lehren zu können. So hohe Rücksichten stehen dem Unterfangen Virgils nicht zur Seite.

Virgil beruhigt den Furchtsamen mit dem Hinweise auf den himmlischen Auftrag, dem er folgt. Virgil war „bei jenen, die in Zweifel schweben”, das heißt bei den tugendhaften Heiden, die in der Vorhölle, in einem Zweifelzustande, weder unselig noch selig, weilen, als Beatrix, vom höchsten Himmel herabsteigend, ihm den Befehl brachte, Dantes sich anzunehmen. Verschleiert wird angedeutet, daß die Mutter Gottes selbst die Hilfesendende war. Als Vermittlerinnen gebraucht sie die heilige Lucia, eine syrakusanische Märtyrin, zu der Dante, welcher „ihr Getreuer” genannt wird, in einem besonderen Andachtsverhältnis gestanden haben mag, und vor allem des Dichters verklärte Jugendliebe, Beatrix, „wahres Lob des Herrn” genannt, wohl deshalb, weil, wie Dante in der Vita nuova erzählt, die Leute, wenn sie auf der Straße ging, Gott priesen, der ein solches Wunder schuf.

Es ist gewiß nicht unrichtig, in den drei heiligen Frauen, die sich Dantes erbarmen, die drei Arten der Gnade, wie die scholastische Theologie sie definiert hat, symbolisiert zu sehen, in Maria die gratia praeveniens, die den ersten unverdienten Anstoß zur Besserung gibt, in Lucia die gratia operans oder nach anderen die erleuchtende Gnade, und in Beatrix die gratia perficiens, die das Streben des Bußfertigen mit Vollendung krönt. Unverkennbar ist aber die Beatrix des Gedichts außerdem als Spenderin der göttlichen, dem Menschen nur auf dem Wege der Offenbarung zugänglichen Wahrheit in einen Gegensatz zu Virgil, dem Vertreter der höchsten menschlichen Intelligenz und Weisheit gebracht, wie sie denn am Schlusse des Fegefeuers geradezu mit der heiligen Kirche identifizeirt erscheint. Die gelehrte Auslegung mag genötigt sein, die geheimnisvollen Beziehungen von der Gestalt, wie der Dichter sie hinstellt, abzuscheiden und mit harten Strichen tabellarisch zu ordnen; der Leser sollte sich hüten, diesen Prozeß mitzumachen, vielmehr die Gestalt so nehmen, wie Dante sie geschaffen hat, als Einheit und Realität, aus der man wohl vieles abstrahieren kann, die aber selbst sich nie einfach in eine Abstraktion verwandeln läßt.

Hölle - Gesang 03

Die Inschrift des Höllentors besagt, daß die Dreieinigkeit (Macht, Weisheit, Liebe) die Hölle schuf aus Gerechtigkeit, das heißt zur Strafe für die ersten Geschöpfe, die von Gott abgefallenen Engel. Hier scheint es am Orte, die im Gedichte zerstreute Topographie der Hölle vorweg zu erledigen.

Die Hölle bildet unter der Erdoberfläche einen Trichter, dessen Spitze im Mittelpunkt der Erde, also des Weltalls (nach dem alten System) liegt. Den Deckel des Trichters bildet ein Kreis, in dessen Mitte Jerusalem, an dessen Peripherie u. a. Florenz sich befindet. Die Achse des Trichters liegt mithin in der Linie von Jerusalem durch das Erdzentrum nach der südlichen und der westlichen Hemisphäre. Die Wand des Trichters senkt sich in acht Absätzen zur Tiefe. Auf jedem Absatze ist einer der neun Höllenkreise, nur auf einem liegen zwei konzentrisch nebeneinander. Zwischen dem Tor und dem großen Kreise liegt neutrales Revier, der Ort der verächtlichen Geister, die es weder mit Gott noch mit dem Bösen gehalten haben. Unter ihnen erkennt Dante einen, „der aus Feigheit den großen Verzicht leistete”. Wahrscheinlich ist Papst Cölestin V. gemeint, der, um sich aus den Kämpfen des Lebens zurückzuziehen, sein Amt aufgab und dadurch dem von Dante über alles gehaßten Bonifazius VIII. Raum machte. Die Strafe, welche an diesen Feigen vollstreckt wird, soll den Auslegern zufolge die Natur derselben versinnbildlichen, das willenlose Folgen hinter einer Fahne, die nie rasten darf und immer im Kreise läuft, die Anstachelung verächtlicher Tiere, die Hingabe von Blut und Tränen an das Gewürm im Staube. In manchen der folgenden Höllenstrafen tritt ein symbolischer Zusammenhang mit dem bestraften Laster zu Tage, doch ist die Frage, ob man gerade in jeder Einzelheit danach suchen sollte.

Auf dies neutrale Grenzland folgt der die Hölle umschließende Fluß Acheron, über den Charon die Seelen schifft. Die unseligen Schatten eilen trotz ihrer Furcht, angespornt von dem Stachel der ewigen Gerechtigkeit, nach dem Strande. Dante selbst wird vom Charon zurückgewiesen, weil sein Körper für das Geisterschiff zu schwer wäre, außerdem weil, wie Virgil ihm zu verstehen gibt, kein Guter je den Acheron durchschiffte.

Auf geheimnisvolle Weise, schlafend gelangt der Dichter über den Acheron an den Rand des Trichters, aus dessen Tiefe das Geheul der Verdammten schallt. Er betritt den ersten Höllenkreis, wo jene Geister wohnen, „die im Zweifel scheben”, die Seelen der Tugendhaften, welche ungetauft gestorben sind. Es ist die Vorhölle der alten Theologie, der Limbus patrum, in welchem die Gerechten des Alten Bundes, bis Christus kam, verweilten, die gerechten Heiden (nach Dantes Theorie) ewig weilen, ohne Pein, aber auch ohne Hoffnung. Die Lehre von der Vorhölle stützt sich auf 1. Epistel Petri, 3, 18, aber dort steht von der Erlösung der Patriarchen nichts, und Dante zeigt sich deshalb bemüht, Bestätigung der kirchlichen Überlieferung zu erlangen. Virgil, der erst fünfzig Jahre in der Hölle war, als Christus niederfuhr, berichtet als Augenzeuge jener Erlösung.

Die erlauchtesten unter den Heiden erfreuen sich einer hellen Wohnstätte in einem gleichmäßig nach allen Seiten strahlenden Lichte, das mithin von der Dunkelheit „halbkugelförmig” umgrenzt wird. Hier wird Dante von den größesten Dichtern begrüßt; sie behandeln ihn als ihregleichen, und sie sagen ihm Dinge, die ihn beglücken, die aber wiederzusagen ihm nicht ziemt. Noch nennt er drei Gruppen anderer Heiden, 1. solche, welche mit den Geschicken Roms in Beziehung stehen, auch Trojaner als Ahnen der Römer, die sich um Elektra, Tochter des Atlas und des Dardanus Mutter, scharen; 2. die Philosophen des Altertums, als deren größester Aristoteles, „der Meister der Wissenden”, den obersten Sitz einnimmt, gemäß der während des Mittelalters ihm erwiesenen fast göttlichen Verehrung; nur zwei werden näher charakterisiert, Demokrit als Urheber der Lehre, daß der Zufall die Welt hervorbrachte, Dioskorides als Verfasser eines Werkes über die Qualitäten der Pflanzen und Steine; etwas befremdlich gesellen sich Orpheus und der sagenhafte Sänger Linus zu dieser Gruppe; 3. die Naturforscher, Mathematiker, Ärzte. Isoliert stehen Saladin, als einziger unter den mohammedanischen Großen und Averroes, der arabische Ausleger des Aristoteles. Die beiden letztgenannten, wie auch der arabische Arzt Avicenna, beweisen, daß Dantes Toleranz sich nicht auf gas klassische Heidentum beschränkt.

Daß Dante, der selbst das Griechische nicht las, den Homer in diesem Gesange so hoch erhebt, erklärt sich daraus, daß er unbedingt glaubte, was Aristoteles, Virgil und andere ihm bekannte alte Schriftsteller zum Lobe Homers sagen. Den griechischen Dichter läßt er mit einem Schwerte auftreten, ein Hinweis auf den kriegerischen Inhalt der Ilias.

Im zweiten Kreise beginnt die eigentliche Hölle. Minos, nach der Art des Mittelalters in einen Teufel verwandelt, weist jeder Seele den Kreis an, der ihrer besonderen Sünde gebührt; die Zahl der Ringe, die sein Schweif schlägt, gibt die Zahl des Kreises an.

In dem zweiten Kreise wird Fleischeslust und sündliche Liebe gebüßt. Semiramis, welche die Ehe zwischen Eltern und Kindern erlaubt haben soll, um ihre blutschänderische Liebe zum eigenen Sohne zu legalisieren, Dido, Kleopatra und andere berühmte Schatten ziehen in dem ewigen Wirbelsturm, der ihre Leidenschaft symbolisch andeutet, vorüber, bis zwei kommen, die allein Dante ihren Ruhm verdanken, Francesca da Rimini und Paul Malatesta. Die unnachahmlichen Verse, welche ihnen gewidmet sind, lassen erkennen, daß Dante von einem Ereignisse spricht, welches seinen Zeitgenossen in frischer Erinnerung war und tiefe Teilnahme erweckt, vermutlich auch zu vielfachen Gerüchten und Zweifeln Anlaß gegeben hatte.

Francesca war die Tochter Guido Polentas, Herrn von Ravenna. Im Jahre 1275, zehn Jahre nach Dantes Geburt, ward sie aus politischen Gründen mit Gianciotto, ältestem Sohn des Herrn von Rimini, Malatesta Verucchio, verheiratet. Der zweite Sohn Paolo, der schon seit 1269 vermählt war, bekleidete 1282 ein militärisches Kommando in Florenz, war also wahrscheinlich Danten wenigstens von Ansehen bekannt. Gianciotto entdeckte im Jahre 1285, daß zwischen seiner Gemahlin und Paolo ein Liebesverhältnis bestehe; er überraschte sie und stach sie nieder. Boccaccio will in Ravenna von einem alten Diener Dantes gehört haben, Paul habe, weil er schön gewesen sei, den Freiverkehr für seinen lahmen und häßlichen Bruder gemacht; Francesca habe ersteren für den Bräutigam gehalten, sich in ihn verliebt und erst am Morgen nach der Brautnacht den Irrtum entdeckt. Dante selbst lebte während seiner letzten Jahre in Ravenna bei Guido Polenta, dem Neffen Francescas und wird von diesem die näheren Umstände der Familientragödie gehört haben. Er würde schwerlich den von Boccaccio erzählten Betrug, der Francescas Schuld so wesentlich gemildert hätte, verschwiegen haben, wenn er davon gewußt oder daran geglaubt hätte. Denn augenscheinlich synpatisierter mehr mit den Ehebrechern als mit dem betrogenen Gatten, dem er den tiefsten Hölleinkreis, "Kaïna", den Aufenthalt der Verwandtenmörder, in Aussicht stellt. (Gianciotto lebte noch um die Zeit, in die Dante seine Höllenfahrt verlegt; er starb 1304.)

Das Buch, welches Francesca und Paolo an dem verhängnisvollen Tage lasen, ist einer jener Ritterromane aus dem Sagenkreise König Arturs, die zu Dantes Zeit in allen Landen Europas eifrig gelesen wurde, "die Geschichte Lanzelotts vom See", welche im 66. Kapitel ausführlich erzählt, wie Königin Ginevra, auf Zureden des Königs Galehaut oder Galeotto, dem im stillen sie anbetenden Ritter "das ersehnte Lächeln" zeigt, das den ersten Kuß herbeiführte. Galeotto war der Kuppler gewissermaßen, und desalb sagte Francesca, das Buch sei ihr Galeotto gewesen.

Der Familie Malatesta begegnen wir in der Hölle" noch zweimal. Im 27. Gesange werden der alte Verucchio und ein dritter Sohn, Malatestino, als zwei Fanghunde geschildert, und im 28. Gesange wird Malatestino von Rimini eines Meuchelmordes beschuldigt. Das Geschlecht hat sich bis ins 16. Jahrhundert in Rimini behauptet; Lord Byrons Paristina, welche im Jahre 1418 mit Riccolo, Markgrafen von Ferrara, sich vermählte, war eine Malatesta.

Francescas berühmter Ausspruch, daß es keinen größeren Schmerz gebe, als im Elend sich des Glücks zu erinnern, scheint Dante auf eine Stelle in Virgil zurückführen zu wollen. Dein Lehrer kennt dies Leid," sagt sie zu unserem Dichter. Man hat aber eine solche Stelle in Virgils Werken nicht gefunden (das von Philaletes zitierte Ifandum regina jubes renovare dolorem enthält den gerade entgegengesetzten Gedanken), wohl aber nachgewiesen, daß in dem Danten wohlbekannten Werke des Boëthius "de cosolatione" die Worte vorkommen: In omni adversitate fortunae infelicissimum genus infortunii est fuisse felicem. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Dante diesen Satz im Auge hatte, jedenfalls wahrscheinlicher, als daß er, wie ein Ausleger meint, Francesca ganz allgemein sagen lassen wollte, Virgil als ein weiser Mann werde wohl wissen, daß sie recht habe.

Schon den alten Kommentatoren ist die besondere Ergriffenheit aufgefallen, mit der Dante diesen 5. Gesang schließt, und sie erklären sie so, daß er selbst auf eine von Sünden der Liebe nicht freie Jugend zurückgeblickt habe. Ohne dem zu widersprechen, kann man sich auch mit einer minder persönlichen und vielleicht poetischeren Deutung begnügen; die Betrachtung, daß so das Menschenschicksal sei, daß eine so süße Sehnsucht wie die der Liebe zu solchem Elend führen könne, reichte wohl aus, den Zeugen dieses Elends so zu erschüttern, wie es dargestellt wird.

Im dritten Kreise büßen diejenigen, welche dem Bauche gefrönt haben, die Schlemmer und Völler, in den Schlamm dahingestreckt wie Schweine, bewacht von dem "Dämon Cerberus", dessen dreifacher Rachen ein Sinnbild ihres Lasters scheint. Mit dem Laster der Völlerei selbst beschäftigt sich der Gesang sehr wenig; er wird vom Dichter mit lakonischer Verachtung behandelt; von allen diesen Sündern wird nur ein einziger der Erwähnung gewürdigt, und mit diesem wird von ganz anderen Dingen als von den Freuden der Tafel geredet. Der Florentiner, welcher sich selbst als Zeitgenossen Dantes zu erkennen gibt, Ciacco mit Namen, scheint eine Art öffentliche Rolle in seiner Stadt gespielt zu haben. Boccaccio erzählt von ihm einen lustigen Schwank (Decameron IX, 8), und schildert ihn als einen Feinschmecker und nimmersatten Schmarotzer, der übrigens bei seinen reicheren Mitbürgern wohl gelitten war, weil er Geist und Witz besaß.

Um die Prophezeihung zu verstehen, die Dante dem Ciacco in den Mund legt, braucht man sich nicht in das Wirrsal der florentinischen Parteiungen zu vertiefen. Zwei feindliche Familiengruppen, die Weißen und die Schwarzen genannt, hatten im Jahre 1300 die Stadt in Unruhe gestürzt, in einem Augenblicke, wo Dante als einer der Prioren im Regimente saß. Die Prioren verbannten die Häupter beider Gruppen, doch scheint man die Weißen (welche auch aus irgend einem Grunde la parte selvaggia, die Waldpartei, hieß) glimpflicher behandelt zu haben. Der Führer der Schwarzen Corso Donati gewann die Unterstützung des Papstes Bonifaz VIII., des "Starken", von welchem V. 69 die Rede ist. Auf Antrieb des Papstes bemächtigte Karl von Valois, Bruder des Königs von Frankreich, sich der Stadt Florenz, und die Schwarzen verbannten mit vielen anderen ihnen feindlichen Bürgern auch Dante, welcher damals sich zu den Weißen hielt (1302), bis er später, wie er an einer anderen Stelle von sich rühmt, für sich allein eine Partei bildete und als einsamer Flüchtling für die kaiserliche Sache und die Regeneration Italiens eiferte. Unter französischem Schutze vertrieben im Jahre 1304 die Schwarzen alle zu den Weißen gehörenden Familien. Von dieser Katastrophe scheint Dante zu sprechen, wo er der "drei Jahreswenden" erwähnt, V. 67, und jedenfalls geht aus V. 70 hervor, daß die Prophezeihung nicht früher als 1304, wenn so früh, geschrieben wurde.

Man wird bemerken, daß Dante drei Fragen an Ciacco richtet, 1. wohin der Bürgerzwist führen werden; 2. wie viele Gerechte in Florenz seien; 3. wo einige verstorbene verdiente Mitbürger jetzt sich aufhielten. Nur zwei Gerechte sind in Florenz, aber Ciacco nennt sie nicht; einen derselben wird jeder erraten. Von den namhaft gemachten gut gesinnten Bürgern finden wir Farinata bei den Ketzern (Gesang 10, 33), Tegghiajo und Rusticucci im Flammenregen Sodoms (Ges. 17, 41 ff.), und Mosca bei den Zwietrachtschürern (Ges. 28, 103 ff.).

Am Schlusse des Gesanges wird die Frage, ob die Höllenpein nach der Auferstehung des Fleisches sich steigern werde, bejaht, weil Leib und Seele vereint eine höhere Vollkommenheit darstellen als die Seele allein, und das vollkommenere Wesen wie mehr Lust so auch mehr Schmerz empfindet. Im "Paradiese" wird derselbe Satz in entgegengesetzter Richtung auf die Seligen angewandt.

Aus den drei letzten Versen ersieht man, daß die beiden Dichter den Kreis quer durchschneiden, bis zu seinem inneren Rande, wo es zum vierten Kreise hinabgeht, zu den Geizigen und den Verschwendern. Dort hält Plutus, der Gott des Reichtums, hier zum Teufel degradiert, Wache.

In einer unverständlichen Höllensprache ruft Plutus den Satan die Eindringlinge an. Die Ausleger haben sich den Kopf zerbrocken, um klar zu machen, was der Dichter im Dunkel halten wollte. Neuerdings deutet man die rätselhaften Worte als eine Corruption des hebräischen Satztes pach pi Satan, pach pi Satan hallehabe, was heißen würde: Spei, Satans Mund, spei, Satans Mund, Feuer. Vielleicht hat Dante einen solchen hebräischen Vers mit Hilfe eines sprachkundigen Mannes angefertigt, ohne sich um die genaue Wiedergabe des Gehörten zu kümmern.

Im vierten Kreis werden die gestraft, welche an den irdischen Gütern freveln, der Geiz sowohl wie die Verschwendung. Den einen Halbkreis durchwandern die Geizigen, unter ihnen viele Geistliche; den andern Halbkreis der Verschwender in entgegengesetzter Richtung. So gleichen die beiden Züge der zwiefachen Strudelbewegung der Charybdis. An den beiden Enden des Halbkreises stoßen sie zusammen und bellen einander mit Schmähworten an. Keiner dieser Sünder wird der Nennung des Namens gewürdigt.

Die irdischen Güter stehen unter der Verwaltung der Fortuna, die keineswegs, wie die gewöhnliche Meinung ist, zu den Teufeln gehört. Virgil belehrt den Dichter eines besseren. Wie Gott die Lenkung der himmlischen Gestirne "den Intelligenzen« anvertraut hat, welche das Volk Engel nennt, (so sagt Dante in seinem Convito), ebenso hat er die irdischen Güter unter die Verwaltung Fortuna's gestellt, deren steter Flug der Notwendigkeit, d. h. dem ewigen Ratschlusse Gottes, folgt und die man deshalb mit Unrecht schmäht und verwünscht. Ihr Wechsel ist ebenso gesetzmäßig wie die Bewegung der Himmel, welche so geordnet ist, daß jeder Teil jedem Teile sichtbar wird. Daß Dante die Intelligenzen oder Engel als "Götter« bezeichnet, ist nur ein Anklang an den antiken Sprachgebrauch. Bei den Alten waren Jupiter, Mars, Venus u. s. w. zugleich Götter und Gestirne, und Dante glaubte an die Wirklichkeit dieser Wesen,denen er nur eine andere Stellung, seiner christlichen Kosmologie gemäß, anwies.

Mit V. 98 beginnt der zweite Tag der mystischen Reise. Die Sterne, welche aufgingen, als Virgil an die Oberwelt trat, sinken jetzt; Mitternacht ist vorüber; der 26. März nimmt seinen Anfang. Man gelangt niedersteigend in den fünften Kreis, an den weiten sumpfigen See des Styx, in dem die Zornigen liegen.

Die Ausleger sind uneinig darüber, was für Sünder es sind, die unter dem Wasser des Styx liegen und ungesehen jammern. Die einen nehmen an, daß ihr Laster die Trägheit war (vgl. V. 124), gewissermaßen der Gegensatz des Zorns, wie die Verschwendung Gegensatz des Geizes. Die andern erklären sich für Groll und Neid, die im Innern brennen, ohne zu offnem Ausbruch zu kommen, und die das heitre Leben demjenigen, der sich diesen Lastern hingiebt, verdunkeln wie Rauch. Diese Deutung scheint mir die einfachere; Trägheit im Sinne der scholastischen Theologie ist Saumseligkeit in der Erfüllung der christlichen Pflichten, nichts was zum Zorne in directem Gegensatze stünde. Auffallend ist es allerdings, daß die Trägheit, obwohl sie zu den sieben Todsünden gehört, in der Hölle keinen Platz findet, während sie im Fegefeuer ihren besonderen Ring einnimmt. Allein dasselbe tträfe vom Neide zu, wenn hier statt seiner die Tragheit angenommen würde.

Der Styx umgiebt als fünfter Kreis den in gleicher Fläche liegenden sechsten. Fährmann über den Styx ist Phlegias, der im Zorn, weil Apollo seine Tochter überwältigte, den Tempel in Delphi verbrannte. Während der Fahrt erkennt Dante im Sumpfe einen Landsmann, den auch Boccaccio im Decameron (IX, 8) als brutalen, jähzörnigen und hochmütigen Menschen schildert, Philipp Cavicciuoli, Argenti zubenannt, weil er sein Pferd mit Silber beschlagen ließ. Seiner rohen Leidenschaft wird Dante's gerechter Zorn gegenübergestellt, um dessen Willen Virgil ihn lobt und glücklich preist.

Am inneren Ufer des Styx liegt, einer mittelalterlichen Festung ähnlich, die Höllenstadt Dis, so genannt nach dem römischen Pluto, mit dem Satan indentificirt wird. Diese Stadt bildet den sechsten Kreis, zugleich die Grenzscheide zwischen der oberen und der unteren Hölle, den Sünden der bloßen Unmäßgkeit einerseits und denen der Bosheit und Herzensverderbtheit andererseits. An dieser Stelle begegnet den beiden Wanderern der erste Widerstand, der den Worten Virgils nicht glaubt und seiner Aufforderung nicht gehorcht.

Um den erbleichenden Gefährten nicht noch mehr zu erschrecken, verschließt Virgil seinen Unmut und die Sorge, die der Widerstand der Teufel ihm erregt; aber seine Worte, die er abbricht und verschluckt, verraten Zweifel, in denen er schwebt, und Dante fragt ihn deshalb, ob wohl schon einmal einer den Weg aus dem ersten Kreise in diese Tiefen gemacht habe. Das bejaht Virgil. Er kennt den Weg in die unterste Hölle, in den Kreis des Judas, wohl, denn die thessalische Zauberin Erichtho, die Lucan in dem Epos Pharsalia als Geisterbeschwörerin auftreten läßt, hat ihn einst gezwungen ihr einen Todten von dort heraufzuholen.

Während Virgil noch redet, erscheinen die Dienerinnen der Hekate, die "Erynnen", auf dem Turme der Höllenstadt, die Medusa rufend, daß sie die Eindringlinge in Stein verwandle. Einst war Theseus wie sie in die Unterwelt gekommen und war lebend entronnen; sein Beispiel, meinen die Furien, habe die beiden ermutigt, Gleiches zu wagen, und man dürfe daher sie nicht schonen. Vor dem Anblick der Medusa bewahrt Virgil seinen Schützling, und alsbald naht der Engel, der ohne Kampf die Pforte der Festung öffnet und die Dämonen zur Ruhe bringt, sie an die üblen Erfahrungen erinnernd, welche sie bei früheren Auflehnungen gegen den Willen des Allmächtigen und selbst damals machten, als Herkules in die Hölle kam und Cerberus sich dem gottgesandten Helden widersetzen wollte. Trage der Höllenhund doch noch die Spuren der Kette am Halse, mit der Herkules ihn fortschleppte.

In V. 61-65 fordert Dame ausdrücklich auf, den verborgenen Sinn der seltsamen Erzählung zu merken. Nicht zu verkennen ist, daß in der Zitadelle der unteren Welt die Hölle ihre stärksten Hindernisse auftürmt, damit der rettungsuchende Mensch (Dante) den notwendigen Weg des Heils nicht vollende, daß menschliche Weisheit (Virgil) solche Hindernisse nicht zu bewältigen vermag und daß es himmlischen Beistandes bedarf, um diese Festung zu überwinden, Daß die Medusa den das Herz versteinernden Zweifel, welcher zum Unglauben und damit zum Tode führt, darstelle, hat zuerst Philalethes (König Johann von Sachsen) vermutet, und diese Erklärung leuchtet mir am meisten ein, umsomehr, als wir sogleich erfahren, daß in der Höllenstadt die Ketzer, die Sünder wider den alleinseligmachenden Glauben, ihre Strafe verbüßen. Ob die Erynnien, wie einige meinen, das böse Gewissen bedeuten, lasse ich dahingestellt; man beruft sich darauf, daß das böse Gewissen immer den Zweifel zu Hilfe rufe, wie die Furien die Medusa herbeirufen. Dagegen ließe sich einwenden, daß die Qual des Gewissens auch zur Reue, Buße und Rechtfertigung führen könne. Vielleicht darf man die Furien als die Verzweiflung am Heil auffassen, die in ihrer Wut alle Gnadenmittel verschmäht und dem Unglauben ohne Rettung verfällt. Vielleicht auch sind die Furien nur Staffage, und die Medusa allein ist der Mittelpunkt der Allegorie.

Der Anblick der inneren Stadt, also des sechsten Kreises, erinnert Dame an die zahlreichen Grabhügel, die zu seiner Zeit bei Arles, wo die Rhone Lachen bildet, zu sehen waren. Ähnliche Hügel gab es unweit Pola am Carnaro (Quarnero), dem Grenzflusse zwischen Italien und Kroatien. Die über dem Erdboden stehenden Gräber der Höllenstadt wird man sich zu denken haben wie die großen steinernen Gruftkammern der allitalienischen Kirchhöfe, in denen Raum für mehrere Leichen war. An der Grenze des Sarggefildes, wo die Ketzer in ewiger Glut liegen, längs der Stadtmauer setzen die Wanderer ihren Weg fort.

In den Feuersärgen erwarten die Verdammten die Auferstehung des Fleisches und das letzte Gericht, welches nach der Stelle beim Propheten Joel (Kap. 3, V. 2 und 12) im Tal Josaphat bei Jerusalem stattfinden wird. Dante fragt, ob er in die Särge blicken dürfe, ohne hinzuzufügen, daß er zu sehen wünsche, ob er hier Landsleute antreffe. Als Virgil ihm dieses Verschweigen leise verweist, rechtfertigt Dante sich: der Führer selbst habe ihm vorhin (Gesang 5, V. 76 ff.) voreiliges Fragen abgeraten.

Schon im 6. Gesange hatte Dante den Ciacco gefragt, wo er den wackeren Farinata treffen werde; jetzt redet Farinata selbst ihn an, an der Sprache ihn als Toskaner erkennend. Vor Dantes Geburt war Farinata der mächtigste Führer der florentinischen Ghibellinen, aus dem edlen Geschlechte der Uberti, ein großartiger, aber herrschsüchtiger und von Parteigeist erfüllter Patriot. Dantes Vorfahren hielten sich zu den Guelfen, obgleich der Dichter selbst der kaiserlichen Sache eifrig ergeben war und von weltlichem Einfusse der Päpste nichts wissen wollte. Zweimal halte Farinata die Gegenpartei aus Florenz verjagt, zuerst 1248 mit Hilfe Friedrichs II., damals aber nur auf kurze Zeit. Schon 1251 kehrten die Guelfen siegreich zurück, und nun mußten die Ghibellinen nach Siena entweichen. Dort sammelte, von König Manfred unterstützt, Farinata ein starkes Heer, und durch List wußte er die Florentiner in den Wahn zu versetzen, daß sie ohne Schwertstreich sich Sienas bemächtigen könnten. Als nun die Bürger ins Feld rückten, wurden sie, nichts Böses ahnend, bei Montaperti am Flusse Arbia von Manfreds deutschen Reitern und den Ghibellinen plötzlich angegriffen, in ihren eigenen Reihen waren Verräter; eine furchtbare Niederlage folgte, und zum zweiten Male mußten die Guelfen aus Florenz fliehen. Gern hätten Manfreds Stellvertreter und der ghibellinische Adel den Sieg benutzt, um die verhaßte Stadt gänzlich zu vernichten; in einer Versammlung der Führer war schon beschlossen worden, Florenz zu einem offenen Dorfe zu machen. Farinata allein widersprach und vereitelte den Anschlag. Er starb 1264, drei Jahre später kamen die Guelfen, unter dem Beistande Karls von Anjou, wieder in den Besitz der Macht. Während der folgenden Jahrzehnte ließ die Bürgerschaft zwar die meisten vertriebenen Ghibellinen nach und nach zurückkehren, aber unerbittlich nahmen sie von jeder Amnestie die Familie Uberli aus; das Blutbad von Montaperti blieb unvergessen; des patriotischen Protestes ihres Familienhauptes gegen die Zerstörung der Stadt gedachte man nicht. Darum sagt Dante: 'Die Euren haben die Kunst der Rückkehr nicht gelernt.' Wie schwer diese Kunst sei, antwortete Farinata, werde Dante selbst erfahren, ehe die Mondgöttin (Hekate) fünfzigmal ihr Antlitz wechsle, also vor Juni 1304. Im Frühjahr 1304 bemühte sich der päpstliche Hof, die Parteien zu versöhnen, aber der Versuch scheiterte, und Dante mußte mit den übrigen Opfern der Umwälzung von 1302 in der Verbannung bleiben.

In demselben Sarge wie Farinata liegt der Guelfe Cavalcante, wie Farinata epikureischer Ketzerei beschuldigt. Sein Sohn Guido Cavalcante war Dantes Altersgenosse und Freund, Dichter und Philosoph, von Boccaccio im Decameron (VI, 9) interessant charakterisiert. Des Vaters Verwunderung darüber, daß sein Sohn nicht mit Dante gleichen Schritt halte, und Dantes Antwort, daß Guido vielleicht den Virgil zu sehr geringgeschätzt habe, scheinen darauf zu deuten, daß Dante es bedauerte, in dem Freunde einen ebenbürtigen Geist nicht erkennen zu dürfen. Übrigens war auch Guido schon gestorben, als die "Hölle" erschien.

Aus Cavalcantes Fragen entnimmt Dame, daß diese Toten keine Kunde von der Gegenwart haben; gleichwohl prophezeien sie, früher Ciacco, jetzt Farinata. Darüber läßt der Dichter sich von Farinata aufklären. Er bedurfte für die Maschinerie des Gedichts einer Theorie, welche den Toten die Gabe der Weissagung beilegt. Am letzten Tage erlischt die Erkenntnis der Verdammten, weil dann keine Zukunft mehr ist.

Daß Friedrich II. sich unter den Ketzern befindet, wird nicht befremden. Das Mittelalter betrachtete den freidenkenden, selbst mit Sarazenen zwanglos verkehrenden Hohenstaufen mit unheimlichem Grauen. Schrieb man doch ihm das lästerliche Buch de tribus impostoribus zu, welches Moses, Jesus und Mohammed als drei Betrüger darstellt. Außer ihm wird nur noch ein Ketzer genannt, "der Kardinal". Wenn man im 13. Jahrhundert sagte: "der Kardinal", so meinte man Octavian Ubaldini (blühte um 1260), der am päpstlichen Hofe eine leitende Rolle gespielt haben und ein so eifriger Ghibelline gewesen sein soll, daß man ihm die Äußerung in den Mund legt: "Wenn es eine Seele gäbe, so hätte ich sie für die Ghibellinen verloren." In der Geschichte ist der Glanz dieses Namens sehr dunkel geworden; man weiß nicht recht anzugeben, worin seine Leistungen für die ghibellinische Sache bestanden haben.

Die bedenkliche Prophezeiung Farinatas hat den Dichter beunruhigt. Virgil mahnt ihn, sich jetzt solcher Sorge zu entschlagen und an das Nächste zu denken; die Aufklärung über seine Zukunft, deren er bedürfe, werde Beatrix ihm verschaffen, ein Hinweis auf den 17. Gesang des Paradieses.

Die letzte Terzine zeigt, wie Virgil seine Wanderung einrichtet. In jedem Kreise geht er eine Strecke rechts den äußeren Rand entlang, schwenkt dann links und begibt sich quer durch die Kreisfläche nach dem inneren Rande, wo man zum nächsten Kreise hinabsteigt.

Noch in dem Kreise der Ketzer treffen die Wanderer den Papst Anastasius II. (erwählt 496), welcher von einem gewissen Photinus, Diakonus in Thessalien, zu falscher Lehre verleitet worden sein soll. Die Stelle zeigt, daß nach Dantes Meinung das päpstliche Amt allein keine Sicherheit gegen Irrlehre bietet.

Vor dem Abstieg in die untere Hölle erläutert Virgil das System, nach dem die Strafen sich abstufen, damit sein Begleiter fortan nicht mehr zu fragen, sondern nur zu sehen brauche. Mit einigen Abänderungen folgt er der Ethik des Aristoteles, auf die er V. 81 ff. sich ausdrücklich beruft. Der griechische Philosoph kennt drei Arten verwerflicher Sitten, Unmäßigkeit, tierisches Wesen und Schlechtigkeit oder Bosheit. Zur Unmäßigkeit zählt er die zügellose Befriedigung der an sich naturgemäßen Triebe, der Geschlechtsliebe, der Freude an Speise und Trank, der Freude an Erwerb und Besitz, des Zornes, des Ehrgeizes u. s. w. Die Sünden der Unmäßigkeit in Liebe, Schwelgerei, Geiz und Zorn (Vergl. jedoch Seite 67, Nachtrag, wonach hier statt Zorn Trägheit zu lesen wäre. Auch die Bedeutung der untern Höllenkreise wird dort in ein etwas anderes Licht gerückt) sind demgemäß von Dante in den Kreisen 2 bis 5 der oberen Hölle untergebracht. Der sechste Kreis vertritt eine dem Griechen unbekannte Gattung, die Ketzerei. Unter tierischem Wesen oder bestialitas, wie die Lateiner es übersetzen, versteht Aristoteles allerlei Handlungen, die der menschlichen Natur zu widersprechen und nicht einem ihr gemäßen Bedürfnisse zu entspringen scheinen, wie Grausamkeit, gewisse Arten der Fleischeslust, das Menschenfressen, bis herab zu krankhaften Unarten wie Nägelkauen u. dgl. Die Bezeichnung "tierisches Wesen" ist nicht glücklich, da es sich vorzugsweise um Erscheinungen handelt, die der unschuldigen Tierwelt fern liegen. Dante schiebt an dieser Stelle die Gewaltsamkeit (als eine Unterabteilung der aristotelischen Bosheit, malizig, oder Schlechtigkeit) ein und läßt die "Bestialität" auf sich beruhen. Bosheit oder malizia ist ihm jede auf Verletzung eines Rechtes ausgehende Handlung, sei es, daß dieselbe durch Gewalt oder durch Betrug vollzogen wird. Im letzteren Falle entspricht sie der aristotelischen Bosheit oder Schlechtigkeit. Der Betrug ist Gott am meisten verhaßt und gehört deshalb in die beiden untersten Kreise, je nachdem er nur im allgemeinen die Menschenpflicht oder außerdem noch ein besonderes Band der Pietät verletzt. Er wird "die der menschlichen Natur eigene Sünde" genannt, entweder weil sie auf Mißbrauch der Intelligenz beruht oder weil sie mehr oder minder in allen Menschen sich regt, so daß "jedes Gewissen davon schlägt" (V. 52).

Der erste der drei unteren Höllenkreise, der siebente der ganzen Hölle, umfaßt nun die Gewalttätigen, die halbwegs den Bestialischen der aristotelischen Theorie entsprechen. Sie sind in drei "Ringe" gesondert, je nachdem sie gefrevelt haben: 1. wider den Nächsten oder dessen Gut (Totschläger, Räuber, Erpresser), oder 2. wider sich selbst oder das eigne Gut (Selbstmörder und sinnlose Zerstörer der zu weisem und heiterem Genusse bestimmten Habe), oder 3. wider Gott oder die von Gott gewollte Ordnung der Natur (Lästerer, unnatürlicher Wollust Frönende, Wucherer). Für diese beiden letzteren Kategorien stehen die typischen Städte Sodom und Cahors. Cahors in Languedoc war im Mittelalter als Sitz von Geldverleihern berühmt und so verrufen, daß cahorsinus im barbarischen Latein geradezu Wucherer bedeutet. Wie der Wucher als Frevel wider die Natur gelten kann, erklärt der Schluß des Gesanges. Nach der Genesis soll der Mensch im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen, von den Gaben der Natur und seiner Kunst, das heißt der von Gott stammenden Fähigkeit zweckmäßiger Arbeit, leben. Daß "die Kunst die Natur nachahme", also ihre Tochter und Schülerin sei, lehrt Aristoteles in der "Physik". Wenn also der Wucherer seine Hoffnung auf arbeitsloses Zinsennehmen setzt, verstößt er gegen Gottes Ordnung, bricht sie gewaltsam und gehört in den siebenten Kreis.

Diese Höllenordnung hat für den Dichter einen dunklen Punkt. Die Sünder, welche im Schlamme für Zorn, im Sturm für Fleischeslust, im Regen für Schlemmerei büßen, und diejenigen, welche in stetem Rundgange einander Geiz und Verschwendung vorwerfen, befinden sich alle in minderer Pein außerhalb der glühenden Stadt. Haben sie nicht ebenso wie die anderen Gottes Zorn erregt? In dieser Frage spiegelt sich eine theologische Meinung, deren Widerlegung dem Dichter am Herzen liegt, als ob Gottes Zorn etwas Absolutes, ohne Gradunterschied sei. Darum verweist Virgil nachdrücklich auf die oben erwähnte Lehre des Aristoteles von der dreifachen Art der Verschuldung, welcher eine Abstufung der Strafen entspricht. Aristoteles sagt in seiner Ethik ausdrücklich nur, daß die tierartigen Laster minder schlimm seien als die Bosheit, aber es versteht sich bei ihm von selbst, daß er die Unmäßigkeit als den entschuldbarsten Grad des Lasters ansieht. Die bestialitas, sagt er, verderbe nicht das Edelste im Menschen, die Vernunft, sondern habe es überhaupt nicht. Die Bosheit dagegen mißbrauche gerade dies Edelste.

Während der Unterredung der beiden Dichter ist in der Oberwelt das Sternbild der Fische über dem Horizont erschienen, und der "Wagen" steht gegen den "Caurus", das heißt nach der antiken Terminologie der Winde gegen Nordnordwest gerichtet. Für den 26. März ergibt dies die Zeit kurz nach zwei Uhr Morgens. Beiläufig sieht man aus dieser und anderen Stellen, daß die Bewohner der Vorhölle nicht wie die übrigen Verlorenen die Erkenntnis der gegenwärtigen Ereignisse der Oberwelt verloren haben; Virgil wenigstens weiß genau, wie die Sterne stehen, die er doch nicht sieht.

Zu beachten ist in diesem Gesange, daß im siebenten Höllenkreise Kreis und Ring (Unterabteilung des Kreises) unterschieden werden und daß erster, zweiter, dritter Kreis hier sich nur auf die untere Hölle bezieht, also für siebenter, achter, neunter Kreis steht.

Der Abhang zum siebenten Kreise wird seiner schrägen Konfiguration wegen mit einer Lokalität bei Trient verglichen, die festzustellen den Forschern noch nicht gelungen scheint. (Nachträglich finde ich, daß eine veronesische Chronik zitiert wird, welche berichtet, daß am 20. Juni 1509 bei stillem Wetter ein Stück des Berges oberhalb der Klause unweit Verona eingestürzt sei. Dante befand sich damals in Verona. Die Notiz wäre bedeutsam für die Bestimmung der Entstehungszeit der Göttlichen Komödie. Indes bleibt zweifelhaft, ob Dante gerade diesen Fall im Auge hatte.) Den Weg bewacht, ein Symbol unmenschlicher Grausamkeit und Tyrannei, der Minotaurus von Kreta, den Pasiphaë, des Minos Weib, von einem Stier gebar, und den Ariadne, des Minos Tochter, also die Halbschwester des Ungeheuers, in die Hände des Theseus, "des Herzogs von Athen", lieferte. Der Bergsturz selbst ist eine Folge des Erdbebens, welches kurz vor Christi Höllenfahrt, nämlich im Augenblicke seines Todes, stattfand. Dies Erdbeben war so gewaltig, als ob das Chaos wiederkehre, das nach der Lehre des Empedokles immer eintritt, wenn im Weltall eine der beiden Urkräfte Liebe und Haß das Übergewicht über die andere gewinnt.Im ersten Ringe des siebenten Kreises bewachen Centauren den siedenden Blutstrom, als ihre Führer Chiron, der Lehrer des Achilles, Nessus, der "aus sich selbst", aus seinem Blute, das Rachewerkzeug schuf, und Pholus, der bei der Hochzeit des Pirithous den wilden Kampf mit den Lapithen entzündete. Chiron legt die Spalte des Pfeils an die Sehne und zieht sie hinters Ohr zurück, auf die Wanderer zielend. Durch diese Bewegung streicht er den Bart zurück und enthüllt den Mund. Ehe er abdrückt, staunt er, daß unter Dantes Schritten die Steine sich bewegen. Er ist kolossal, denn Virgil reicht ihm nur an die Stelle, wo der Menschenleib mit der Pferdebrust sich vereint.

Von den namhaft gemachten Gewalttätigen ist Alexander wohl kaum der Mazedonier, den Dante in anderen Schriften als glorreichen Monarchen preist, sondern der Tyrann von Pherä, eine Geißel Siziliens wie Dionys. Azzolin ist der berühmte Wüterich Ezzelin, Obizzo ein Markgraf von Ferrara zu Dantes Zeit, von dessen Gewalttätigkeiten wir nichts wissen und dessen Tod durch die Hand seines Sohnes Azzo mehr dem Gerüchte als der Geschichte angehört. Nicht genannt, aber bezeichnet wird Guido von Montfort, der Sohn jenes Simon von Montfort, der 1265 als Rebell gegen Heinrich III. von England fiel. Guido, um den Vater zu rächen, erstach 1291 des Königs Neffen Heinrich von Cornwallis zu Viterbo in der Kirche. Das Herz des Ermordeten ward in London in einem Denkmal verwahrt. Pyrrhus ist der König von Epirus, schon als Feind Roms dem Dichter verhaßt, Sextus der Sohn des Pompejus, welcher als Seeräuber gegen die Triumvirn kämpfte, ein Gegner Cäsars und des Kaisertums. Ganz am Schlusse werden zwei gefürchtete Straßenräuber des 13. Jahrhunderts genannt, Rainer von Corneto, ein Zeitgenosse Dantes, und Rainer Pazzo, um eine Generation älter, beide den Florentinern wohlbekannt durch ihre Wegelagerungen.

Die Wildnis, mit welcher im Eingange der zweite Ring des siebenten Kreises verglichen wird, ist die berüchtigte Maremma zwischen dem Flusse Cecina und der Stadt Corneto, zu Dantes Zeit ein von Schlangen und Sauen bewohnter Sumpfwald an den Grenzen Toskanas und des päpstlichen Gebietes. Die hier nistenden Harpyien kommen in der Äneïs vor, wo sie den auf den Strophaden landenden Trojanern das Mahl besudeln und ihnen schlimme Hungersnot in Italien weissagen. Ebenso sind die unheimlichen Bäume dieses Ringes, welche bluten und wehklagen, der Äneïs entlehnt, daher Virgil V. 46 ff. sagt, Dante kenne solche Bäume nur aus jenem Gedichte.

Die Frevler gegen sich selbst, Selbstmörder und Spieler, sind die Insassen dieses Ringes. Unter den ersteren ist Friedrichs II. berühmter Kanzler Pietro delle Vigne, der, als er in Ungnade fiel und des Verrats beschuldigt wurde, im Kerker sich umgebracht haben soll. Seine Unschuld ist unerwiesen, aber Dante hält ihn für ein Opfer der Verleumdung und "der Metze, die immer nach dem Kaiserhofe lauernd späht", der Mißgunst.

Einige der Verdammten werden von schwarzen Hündinnen zerfleischt. Der erste von diesen ist ein gewisser Lano aus Siena, der sein Gut verpraßt und dann in einem Gefechte gegen die Aretiner am Toppo im Val de Chiana den Tod gesucht hatte, wie er ihn noch in der Hölle sucht. Der ihm folgende zweite Verdammte höhnt ihn, daß er jetzt noch schneller als damals am Toppo in den Tod zu rennen suche.

Dieser zweite ist ein Florentiner, Jakob von Sankt Andreas, ein toller Verschwender, der Goldstücke ins Wasser warf, Landhäuser anzündete, kostbare Stoffe zerstörte, um eine Kurzweil zu haben. Ob er ein Spieler oder ein Selbstmörder oder beides war, finde ich nicht angegeben, Vor den Hunden fliehend, klammert er sich an einen Strauch, in welchem ein nicht genannter Florentiner steckt, der sich an seinem Hause erhängt hat. Offenbar spielt Dante auf einen stadtkundigen Vorfall an. Zum Verständnis der Worte dieses Florentiners muß man merken, daß Johannes der Täufer als Schutzpatron der Stadt den heidnischen Mars verdrängt haben soll. Darum grollt Mars der Stadt und sucht sie mit häufigen Kriegen heim. Eine trümmerhafte Bildsäule des Mars, die als Palladium der Stadt galt, stand noch bis 1333 an der alten Arnobrücke; ohne sie, meint der Geist, würde der Wiederaufbau des von Attila zerstörten Florenz nicht gelungen sein. Weshalb gerade an dieser Stelle an die alten Stadtsagen und an das Marsbild erinnert wird, ist nicht mehr zu erkennen. Man hat deshalb einen allegorischen Sinn angenommen. Der Täufer sei der florentinische Goldgulden, welcher das Bild dieser Heiligen zeigte, und bedeute den Mammondienst, dem die Bürger sich ergehen hätten, untreu dem kriegerischer Geiste der Vorfahren, der unter dem Mars zu verstehen sei und dessen letzte Überreste allein noch den Untergang abwendeten. Richtig ist, daß Dante auch an einer anderen Stelle Johannes den Täufer nennt, wo er das Geldstück meint.

Der dritte Ring des siebenten Kreises umschließt die Frevler wider Gott und Natur, die alle unter demselben Feuerregen auf glühendem Sande dulden, nur mit der Abstufung, daß die Gotteslästerer liegen, die Wucherer sitzen, die Wollüstigen wandern. Der Sand ist wie die Libysche Wüste, durch die Catos Heer, wie Lucans Epos es schildert, marschieren mußte, und der Feuerregen gleicht den glühenden Flocken, die - nach dem unechten Briefe Alexanders an Aristoteles - in Indien auf das mazedonische Heer niederfielen und, wie Dante mißverständlich annimmt, von den Kriegsleuten ausgestampft wurden.

Als Gotteslästerer wird Capaneus vorgeführt, einer der Sieben gegen Theben, von dem Statius in der Thebaïs erzählt, wie er den Jupiter höhnte und dafür vorn Blitz erschlagen ward. Hier ist Jupiter nicht als heidnischer Gott, sondern als Vertreter der wahren göttlichen Macht zu verstehen. Auch an anderen Stellen behandelt Dante die Lichtgötter des Altertums mit religiöser Achtung. Ohnehin verknüpfte die naivere Zeit unbefangen Biblisches und Mythologisches mit dem Geschichtlichen, wie denn auch die klassische Gigantenschlacht im Tale Phlegra und der volkstümliche Name des Ätna "Mongibello" nebeneinander stehen.

Die drei ineinander liegenden Ringe des siebenten Kreises sind: Blutstrom, Dornenwald und glühender Sand. Aus dem ersten Ringe fließt das kochende Blut durch den Wald nach dem dritten Ringe und durch diesen in einem von steinernen Wänden eingefaßten Kanal nach dem achten Kreise hinab. Die Ufer des Kanals bilden Steindämme, die vor dem Sande schützen, und über denen kein Feuer regnet, weil der Dunst des Kanals es erstickt. In solchen steinernen Einfassungen wurde, wie es scheint, im 14. Jahrhundert das heiße Wasser des Sprudels von Viterbo nach den umliegenden Badehäusern, die oft zugleich liederliche Häuser sein mochten, geleitet.

Den Ursprung der vier Höllenflüsse verlegt Dante in den Idaberg auf Kreta, dahin, wo im goldenen Zeitalter Saturn König war, wo Rhea den neugeborenen Jupiter vor den Nachstellungen des Vaters verbarg. Der Greis, der in dem Berge steht und die Flüsse ausströmen 1äßt, ist dem Traumgesichte Nebukadnezars (Daniel 2, 51 ff.) nachgebildet; er scheint die vier Zeitalter des Menschengeschlechts zu bedeuten, dessen Tränen, aus der Sünde entstanden, in den Abgrund sickern. Der rote Fluß, der den siebenten Kreis durchschneidet, ist der Phlegethon, das heißt der brennende. Virgil spielt auf diese Bedeuumg des Namens an, wo er sagt, daß Dante aus dem Sieden der Flut selbst hätte schließen können, wie sie heiße. Da die Alten auch den Lethe in die Unterwelt verlegten, wundert Dante sich, diesen nicht anzutreffen; erst auf dem Berge des Fegefeuers, im irdischen Paradiese wird er den Strom des Vergessens finden.

Der Phlegethon ist von Dämmen eingefaßt, die der Dichter mit den Meerdeichen der flandrischen Küste von ISrügge bis Wissant (Guizzante, unweit Calais) und den Deichen der Brenta vergleicht, welch letztere das Land schützen, wenn der Schnee der Chiarentana, eines Höhenzuges im Trenlino, schmilzt. Nur ist der Damm am Höllenflusse niedriger, so daß der im Sande schreitende, entgegenkommende Geist den Mantelsaum des auf dem Damme gehenden Dante fassen kann.

Dieser Geist ist der im 13. Jahrhundert hochberühmte florentinische Philosoph, Rhetor und Poet Brunetto Latini (1220-1294), Dantes verehrter Lehrer, von dem Villani sagt: "Er war ein großer Philosoph und Meister der Rhetorik und verfaßte das gute, nützliche Buch il Tesoro und il Tesoretto (Schatz und kleinen Schatz) und den Schlüssel zum Tesoro und mehrere andere Bücher in der Philosophie und das Buch von den Tugenden und Lastern und war unser Stadtschreiber; aber er war ein weltlicher Mensch, und wir haben sein erwähnt, weil er der erste und der Meister war, den Florentinern Schliff zu geben und ihnen das Sprechen und die Kunst beizubringen, unsere Republik nach den Regeln der Politik zu lenken." Sein Hauptwerk, der Tesoro, dessen Pflege er V. 119 dem Dante ans Herz legt, ist eine Kompilation aus der Bibel, dem Plinius u. s. w., an welche sich eine Anweisung schließt, wie ein von einer Stadt erwählter Signore sich zu verhalten habe. Wie Dame ihn hochschätzte, zeigen seine Verse; Brunetto ist neben Farinata der einzige von den Verdammten, der mit "Ihr" angeredet wird, eine Auszeichnung, die sonst in der ganzen Divina Commedia nur der Beatrix und dem Urahnen des Dichters Cacciaguida (Paradies 16, 10) widerfährt.

Brunetto ist nach Ciacco und Farinata der dritte Geist, der Danten Unheil weissagt. Er weist darauf hin, daß ein unversöhnlicher Gegensatz bestehe zwischen der großen Menge und den wenigen guten Bürgern. Dieser Gegensatz wird auf den Stammbaum zurückgeführt; die alten Geschlechter, zu denen Dante sich zählt, stammen aus Rom, die Menge ist großenteils aus Fiesole eingewandert und noch immer so rauh und hart wie der Felsen, auf dem Fiesole liegt. Dantes politische Vereinsamung während der Verbannungszeit ist ein Vorwurf für beide Parteien. Sie werben um ihn, aber er verschmäht die eine wie die andere: sie mögen sich untereinander zertreten, wie das Vieh die Streu zertritt, aber sie sollen das edle Kraut aus römischem Samen nicht berühren. Dantes Antwort, daß der Umschwung des Glücksrades ihm so gleichgültig sein werde wie des Bauern Spatenstich, der die Scholle umwendet, wird von Virgil belobt als ein Beweis rechten Zuhörens, denn sie zeigt, daß er Virgils Verse mit Aufmerksamkeit sich zu nutze gemacht hat. "Man besiegt jedwedes Geschick durch Ertragen," steht in der Äneïs, "superandu omnis fortuna ferendo est."Die Sünder dieser Region scheinen nach ihrem irdischen Berufe in Scharen geteilt, die sich nicht miteinander vermengen dürfen. Brunetto geht mit lauter Geistlichen und Gelehrten; im folgenden Gesange treffen wir lauter Staatsmänner und Soldaten. Brunetto macht drei seiner Genossen namhaft, den berühmten Grammatiker Priscianus (6. Jahrhundert), den Rechtslehrer Franz Accursius aus Bologna († 1294) und einen, wie es scheint, besonders liederlichen Bischof aus Dantes eigner Zeit, Andrea de' Mozzi, den Papst Bonifaz VIII. ("der Knecht der Knechte Gottes") um 1298 von Florenz nach Vicenza (am Flusse Bacchiglione) versetzte, woselbst dieser unwürdige Prälat bald darauf starb.

Die letzte Terzine spielt auf ein veronesisches Volksfest an, das Dante aus eigener Anschauung gekannt haben wird. Am ersten Fastensonntag fand ein Wettlauf nackter Männer statt, bei welchem der Sieger ein Stück grünen Tuchs erhielt. So schnell wie der beste dieser Läufer rennt Brunetto, um seine Gefährten einzuholen.

Den Dichtern begegnen die Geister dreier erlauchter Florentiner, denen entgegenzugehen sich geziemt hätte, wenn das Feuer nicht gewesen wäre. Da diese Geister nicht rasten dürfen, schwingen sie sich, um mit Dante reden zu können, im Kreise, einer in des andern Fußstapfen tretend, den Hals zurückwendend, wenn die Füße vorwärts eilen. Diese drei sind:

1. Graf Guido Guerra aus dem Geschlechte der Guidi, die in Toskana Pfalzgrafen waren. Im Anfange des 13. Jahrhunderts heiratete ein Guido die Erbtochter des Bellincione de' Ravignani, desselben, der im Paradiese, Gesang 16, V. 99 unter den allen Edlen der Stadt als "der hohe Bellincione" aufgeführt wird. Von dieser Erbtochter Waldrada stammte Guido Guerra, ein gewaltiger Kriegsmann der Guelfen, als Dante ein Kind war, und ein guter Patriot, wie er denn die Stadt zu seiner Erbin einsetzte. Bei Benevent focht er mit Karl von Anjou gegen König Manfred.

2. Tegghiajo Aldobrandi, ein weiser Mann, dessen Rat, wenn er befolgt worden wäre, den Florentinern jenes Blutbad am Flusse Arbia (1260) erspart haben würde, von dem im 10. Gesange, V. 84 die Rede war. Nach diesem Landsmann wie auch nach dem folgenden hatte Dame schon den Ciacco gefragt (Gesang 6, 79).

3. Jakob Rusticucci, ein Plebejer von Abkunft, aber ein angesehener, beliebter und tüchtiger Bürger, der eine böse Frau hatte und deshalb, wie es heißt, sich dem Laster ergab. Dieser dritte ist es, welcher das Wort führt.

Der von Rusticucci erwähnte Wilhelm Borsiere muß kurz vor 1300 gestorben sein, da er die neuesten Nachrichten aus Florenz den älteren Verdammten überbracht hat. Von ihm erzählt Boccaccio im Decameron (I, 8), daß er ein feiner und witziger Kopf war. Als ein reicher geiziger Genuese ihn fragte, was Neues, Niegesehenes er wohl in seinem Saale malen lassen könnte, antwortete Borsiere: "Ich kann euch etwas raten, was ihr nie gesehen habt: lasset die Freigebigkeit hineinmalen.«

Dantes Antwort auf Rusticuccis Fragen faßt kurz zusammen, was das Ende des 13. Jahrhunderts in Florenz umgewandelt hat, die Zunahme des Reichtums, Einwanderung Fremder, steigende Macht der Zünfte, anfangs unter Führung ehrgeiziger Edelleute, dann vollständige Ausschließung der Geschlechter vorn Regiment. Um 1300 war bereits die Exekutive ganz in den Händen der von den Zünften und Stadtvierteln, immer nur auf wenige Monate, gewählten Prioren, und der einflußreiche Demagoge Giano della Bella hatte ein Gesetz durchgebracht, welches dies Amt dem Adel unzugänglich machte. Die Geister geben dem Dichter zu verstehen, daß, wenn er in Florenz ebenso offen seine Meinung sagte wie in der Hölle, es ihm dort mehr kosten würde.

Vom inneren Rande des siebenten Kreises fällt der Phlegethon tief hinab in den achten, ähnlich dem Flusse Acquacheta beim Kloster San Benedetto in den Apenninen. Die Acquacheta vertauscht unter Forli ihren Namen und heißt Monrone, der erste Fluß, wenn man von den Quellen des Po am Veso oder Viso ostwärts geht, welcher am Nordabhange der Apenninen nicht in den Po, sondern ins Meer mündet. Dante bemerkt, daß in San Benedetto noch Tausende Schutz finden könnten, wenn nämlich die Mönche ihren Reichtum nicht für sich allein verzehrten.

Der Dichter erzählt uns, er habe damals einen Strick auf dem Leibe getragen, hoffend, mit dem das "bunte Pardel", die Fleischeslust, zu bändigen, und dar Virgil diesen Strick jetzt in den Abgrund wirft, um dem Geryon das Signal zu geben, heraufzukommen. Daß Dante in jungen Jahren den Franziskanerstrick anlegte, wenn auch nicht in den Orden eintrat, bezeugt einer der ältesten Kommentatoren Francesco da Buti; die hier vorgetragene Erzählung mag daher wohl bedeuten, dar für den innerlich geläuterten, von den Schrecken der Hölle überzeugten Menschen es solcher äußerlichen Kasteiung nicht mehr bedarf, daß der Strick weggeworfen werden kann.

Der von Herkules getötete König Geryon, der seine Gäste tückisch überwältigte und seinen Stieren zum Fraße vorwarf, erscheint, während die Alten ihn als dreileibigen Riesen schildern, hier als ein Ungeheuer mit freundlichem Menschenantlitz und schlangenartigem Leibe, ein Symbol des Betruges. Wie er auf den Rand des siebenten Kreises sich niederläßt, den Schweif in die Tiefe hängen lassend, gleicht er dem Biber, der, nach der Sage, den öligen Schwanz ins Wasser streckt, um die Fische zu locken. Ehe die Wandrer den Rücken Geryons besteigen, tritt Dante zu den im heißen Sande und im Feuerregen sitzenden Wucherern. Durch Beschreibung ihrer Wappen brandmarkt er verschiedene florentinische Geschlechter, deren Namen die Kommentare anführen, die uns aber kaum mehr interessieren. Unter den Florentinern sitzt ein Paduaner, (es ist ein Scrovigni, wie das Wappen mit der Sau, scrofa, anzeigt,) welcher einem noch lebenden Mitbürger Vitaliano einen Platz in der Hölle in Aussicht stellt, während die Florentiner ihrerseits einen gewissen Bojamenti de' Bicci, "den Fürsten der Ritter", das heißt den verrufensten aller patrizischen Wucherer ihrer Stadt, in ihrer Mitte erwarten. Die Familie des letzteren führte drei Böcke im Wappen. Man meint, Dante habe durch Anführung der Wappen andeuten wollen, daß der Wucher die Familien, nicht bloß einzelne ihrer Mitglieder, angesteckt habe.

Von nun an führen die Höllenkreise besondere Namen. Der achte Kreis heißt Malebolge, und seine zehn Unterabteilungen, kreisförmige Gräben oder Täler, nennt Dante bolge, welches der Plural von bolgia, Felleisen, ist, aber so sehr den Klang eines Eigennamens gewonnen hat, daß es geraten scheint, das Wort in den deutschen Text herüberzunehmen. Auch dem Italiener ist bolgia in der eigentlichen Bedeutung kaum geläufig; schon alte Herausgeber pflegen zu erklären daß es so viel sagen wolle wie ein Mantelsack, eine Tasche oder dergleichen.

Die Anordnung des Kreises wird deutlich genug vom Dichter beschrieben; konzentrisch umkreisen die zehn Bolgen, tiefe Terraineinschnitte, den in der Mitte gähnenden Schlund, der zum letzten, neunten Kreise abstürzt, und quer durch sämtliche Gräben läuft ein Damm, auf dem man von dem äußeren Rande nach dem Schlunde gehen kann. Dieser Damm überschreitet die Gräben in Form von Brückenbogen. Solcher Dämme sind mehrere vorhanden.

In der ersten Bolge (Kuppler und Verführer) schreiten die Sünder in zwei entgegengesetzten Zügen, ähnlich wie in Rom während des Jubiläums (1300) die ungeheure Pilgermenge auf der Engelsbrücke in zwei Zügen sich bewegen mußte, je nachdem sie in derRichtung des "Schlosses" (der Engelsburg) oder des "Berges" (des Janiculum) ging.

Der erste Geist, den Dante erkennt, ist Venedico Caccianimico († zwischen 1290 und 1300), ein angesehener Bolognese, der seine schöne Schwester Gisela dem Markgrafen Azzo VIII. von Este um Geld oder politische Dienste verkuppelt haben soll. Über den Vorgang scheinen verschiedene Gerüchte umgelaufen zu sein, daher ausdrücklich die hier gegebene Darstellung als die richtige betont wird. Wenn der Verdammte von dem Lande zwischen Reno und Saveno spricht, wo man sipa sage (statt si, ja), so meint er Bologna.

Unter den Verführern treffen wir Jason, den Argonauten. Als er nach Lemnos kam, hatten dort die Weiber alle Männer umgebracht; nur den König Thoas hatte seine Tochter Hypsipyle durch List dem Blutbade entzogen. Jason verführte und verließ sie.

Die zweite Bolge beherbergt die Schmeichler. Diese sind mit Kot so bedeckt, daß man nicht unterscheidet, ob sie Tonsur haben oder nicht, Geistliche oder Laien sind. Unter ihnen ist Alexius Interminei, ein ghibellinischer Florentiner, ein glattzüngiger Demagoge, wie es scheint. Eine zahlreiche Gattung wird vertreten von einer Figur der römischen Komödie, der Thaïs, welche im "Eunuchen" des Terenz die Geliebte des Thraso ist. Sie wird ohne weiteres als historische Person behandelt und ein Vers, der im Stücke sie charakterisiert, wie ein wirklich gesagtes Wort zitiert. Bei Terenz schickt der Verliebte ihr ein kostbares Geschenk und fragt dann den Unterhändler, ob Thaïs auch recht viel Dank für ihn habe, worauf der Unterhändler antwortet: "ungeheuren" (ingentes).

Von Simon Magus, der nach der Apostelgeschichte Kap. 8 den Aposteln die Gaben des heiligen Geistes abkaufen wollte, ward im Mittelalter der Schacher mit heiligen Dingen, namentlich mit geistlichen Ämtern, "Simonie" genannt. Die Simonisten sind in der dritten Bolge untergebracht, köpflings in Röhren steckend, so daß nur die Füße aus der Öffnung vorragen. Daute vergleicht die Röhren mit den runden Vertiefungen, welche im Baptisterium St. Johannis zu Florenz neben dem Taufbecken angebracht waren, damit an den Tauftagen vor Ostern und Pfingsten die amtierenden Priester, in diesen Vertiefungen stehend, vor dem Andrange der Menge geschützt blieben. Einmal geriet ein spielendes Kind in eine solche Vertiefung und konnte nicht herausgezogen werden, bis Dante dazu kam und die Flursteine aufbrach. Aus der Art, wie er hier auf den Vorfall anspielt, scheint hervorzugehen, dafl man ihm die Lebensrettung hernach als Tempelschändung ausgelegt hat.

Auf Virgils Schultern in die Bolge hinabgetragen, befragt Dante einen der Gepeinigten, ähnlich dem Beichtiger eines Mörders, der lebendig begraben werden soll und nun, um Frist zu gewinnen, den Beichtiger aufzuhalten sucht; ein dem Leben entnommenes Bild, denn solches Begraben, und zwar mit dem Kopfe nach unten, gehörte zu den Strafmitteln der Zeit. Der Angeredete ist Papst Nikolaus III. (1277-1280), der zuerst die Nepotenbereicherung in großem Maßstabe betrieb und von den Sizilianern Geld nahm, um sie gegen Karl von Anjou zu unterstützen. Der verdammte Geist in seinem Loche glaubt, Bonifacius VIII. rede ihn an, und wundert sich darüber, weil er (nach einer "Schrift", wahrscheinlich einer astrologischen) dessen Tod noch nicht erwartete. Bonifaz VIII. starb 1303; er hatte 1294, nachdem er den schwachen Cölestin V. zum Verzichte bewogen hatte, mit französischer Hilfe und Versprechungen aller Art seine Wahl durchgesetzt, obwohl damals schon 77 Jahre alt, und während seines Pontifikats grolle Reichtümer gesammelt, seine zahlreichen Verwandten zu kirchlichen Würden befördert, sogar die Form des Kreuzzugs mißbraucht, um sich der Besitzungen der Colonnas zu bemächtigen. Für Dante war er der Inbegriff aller verwerflichen Politik, der Rebell gegen die göttliche Ordnung, die dem Kaiser das weltliche Regiment zuwies. Hier wird indes nur seine Simonie betont: er hat die "schöne Frau", die Kirche, um Geld gekauft, um sie dann zu prostituieren. Der Papst ist gleichsam der Gemahl der Kirche.

Nikolaus III. war ein Orsini, daher er sich Sohn der Bärin (orsar) und seine Nepoten Bärlein nennt. Nach seiner Beschreibung kommen die simonistischen Päpste in eine besondere Röhre, und jedesmal, wenn ein neuer eintrifft, fährt sein Vorgänger, um ihm Platz zu machen, in eine tiefere Höhlung hinab. Nikolaus hat seit 1280, zwanzig Jahre lang, in der Röhre gesessen; Bonifaz, sagt er, wird schneller abgelöst werden, denn schon 1307 wird Klemens an seine Stelle kommen, der Baske oder Gascogner, "der Hirt aus Westen", die Kreatur König Philipps des Schönen, der mit dem Hohepriester Jason oder Josua im Buche der Makkabäer verglichen wird, weil er wie dieser von einem Tyrannen die geistliche Würde um schnöden Entgelt erkaufte. So werden an dieser Stelle drei Päpste mit einem Eisen gebrandmarkt.

Auf den römischen Stuhl deutet Darrte die Vision des h. Johannes (Offenbarung 17) von dem Weibe, die auf dem siebenköpfigen Tiere sitzt, nur daß er dem Weibe selbst, also dem Papsttum, die sieben Köpfe und zehn Hörner gibt. Anscheinend betrachtet er Köpfe und Hörner als Attribute der Kirche, die von den schlechten Hirten als Einnahmequelle millbraucht wurden. Die Ausleger sehen deshalb in ihnen die sieben Sakramente und die zehn Gebote, als in welchen die Stärke der Kirche beruhe. Von den Götzendienern unterscheiden sich die Päpste nur insofern, als die letzteren, die jedes Geldstück zum Gott machen, hundertmal mehr Götzen haben. Als Anfang solches Verderbens betrachtet Dante die Schenkung Konstantins, an deren Echtheit er natürlich nicht zweifelte.

Der Dichter zeigt an, daß die "Hölle" nur den ersten Teil des ganzen Werkes bildet, "das erste Lied, la prima canzone". Dann beschreibt er die vierte Bolge mit den Wahrsagern und Zauberern. Das Mitleid, das in den früheren Kreisen nicht anstößig erschien, wird hier von Virgil gerügt. In Malebolge muß das Erbarmen und die Nächstenliebe sterben, sonst wäre sie nicht die lebendige Liebe, die Gott fordert. Sie ist menschliche Schwäche Dantes; die Verklärten wie Beatrix (Ges. 2, V. 91 ff.) bleiben gleichgültig beim Anblick der Verdammten, was schon im Begriffe der Seligkeit liegt.

Den Reigen eröffnet wieder ein Held aus Statius' Thebaïs, der Seher Amphiaraus, der, obwohl er seinen Tod im Kampfe vorauswußte, in den Krieg der Sieben gegen Theben mitzog und während des Angriffs von der Erde verschlungen ward. Ihm gesellt sich der thebanische Prophet Tiresias, der, als er zwei sich paarende Schlangen mit dem Stabe schlug, in ein Weib verwandelt ward und erst, als er nach sieben Jahren dieselben Schlangen wiedertraf und wieder schlug, die männliche Gestalt zurückgewann. Dann folgt aus Lucans Pharsalia der etrurische Zeichendeuter, welcher "deserla moenia Lunae" (wie Dame statt "Lucae" gelesen hat) bewohnte. Dante hat aus Lunä die Stadt Luni gemacht, die in der Nähe der Marmorbrüche von Carrara lag. Ausführlicher ist die Rede von des Tiresias zauberkundiger Tochter Manto, weil sie Virgils Geburtsstadt Mantua gründete. Vom Benacus (Gardasee), dort wo drei Bistümer zusammentreffen, fließt der Mincio nach der Niederung, wo die Thebanerin die hewohnbare Stelle der künftigen Stadt entdeckte. Nach Virgil war Mantos Sohn der Gründer; auffällig ist, daß Dante hier von ihm abweicht und zwar geflissentlich. Die Anspielung auf Mantuas Entvölkerung bezieht sich darauf, daß zu Dantes Zeit der Graf von Casalodi, beredet von dem schlauen Demagogen Pinamonte, viele edle Geschlechter aus Mantua vertrieb, worauf Pinamonte selbst die Herrschaft an sich riß und gegen den Adel mit Schafott und Verbannung wütete.

Virgil erkennt den in seiner Aneïs vorkommenden Seher Eurypylus, den Ratgeber der Griechen im trojanischen Kriege, einem nach Dantes Anschauung frevelhaften, weil gegen die Stammutter Roms gerichteten Unternehmen. Bei diesem Anlasse nennt Dante Virgils Aneïs "eine Tragödie", was nur den Stil des Gedichts bezeichnen soll. Wie er in der Widmung an Can Grande della Scala auseinandersetzt, macht die hohe, vornehme Ausdrucksweise den tragischen Stil, die gemeine, volkstümliche den komischen; deshalb habe er sein eignes Gedicht "Komödie" genannt, da es in der Vulgarsprache abgefaßt sei, wie die Weiber im Verkehr miteinander reden, sicut et mulierculae communicant. Für Dantes Zeit war das Latein immer noch eine lebendige Sprache, die edle und vornehme, neben welcher das Italienische sich mit untergeordnetem Range zu bescheiden hatte. Er selbst schreibt sein Latein mit der Freiheit und Unbefangenheit, mit welcher man die Muttersprache handhabt, ohne von der ciceronianischen Schablone eine Ahnung zu haben.

Den klassischen Zauberern folgen drei mittelalterliche: Michael Scott aus Balweary, Friedrichs II. Arzt und Astrolog, dem seine Schriften über Alchimie, Chiromantie u. s. w. den Ruf eines großen Nekromanten eintrugen. Eine Menge Wundergeschichten von ihm waren (und sind in Schottland noch) in Umlauf. Sodann Guido Bonatti aus Forli, der Sterndeuter des Grafen Guido von Montefeltro, und als dritter ein als Wahrsager berühmter Schuster Asdente aus Parma.

Die Zeitangabe am Schlusse bereitet den Auslegern große Schwierigkeiten, weil in der Nacht, wo Dante die Reise begann, am 26. März 1300, der Mond nicht voll war und überhaupt nicht aufging. Ob man nun dieses Umstandes willen, wie viele tun, das ganze Datum verwerfen und auf den 6. oder 9. April verlegen soll, nmuß den Gelehrten zur Entscheidung überlassen bleiben. Schwierigkeiten ergeben sich auch, wenn man diese letzteren Tage annimmt. Vollmond war in der Nacht vom 4. zum 5. April 1300. Keinem Zweifel unterliegt es, daß eine Morgenstunde des zweiten Tages der Höllenfahrt bezeichnet werden soll.

Der Mond wird mit den Worten "Kain und sein Strauch" bezeichnet, weil nach der Volkssage der sogenannte Mann im Monde Kain ist, der einen Dornstrauch schleppt. Im "Paradiese" Gesang 2, V. 51 verwirft Dante diese Fabel.

In der fünften Bolge sind die Sünder, welche Dante barattieri, Tauschkrämer, nennt, diejenigen, welche öffentliche Amter zum Geldgewinn ausnutzen. Eine besondere Teufelsgattung bewacht sie, die malebranche (böse Klauen), deren einer gerade einen Ältesten aus Lucca heranschleppt. Lucca wird durch den Namen einer Lokalheiligen Sancta Zita bezeichnet. Die Teufel verhöhnen den Lucchesen mit Anspielungen auf seinen heimatlichen Fluß Serchio und auf das berühmte Christusbild im Dome zu Lucca, das sogenannte heilige Antlitz, das ihm nun nicht mehr helfen könne.

In V. 94-96 wird auf ein Ereignis angespielt, dessen Augenzeuge Dante in seinem 25. Jahre war. Die guelfischen Städte Toskanas berannten Caprona, eine Burg der Pisaner; die Besatzung ergab sich, und als man sie durchs Lager führte, schrieen die Truppen: hängt sie! hängt sie! Doch blieb es bei den Worten.

V. 106 ff. lehrt uns, daß das Erdbeben beim Tode Christi, welches den Bergsturz im siebenten Höllenkreise verursachte (Ges. 12, V. 31 ff.), auch einige Brücken von Malebolge niederwarf. Dies ist, wie der Teufel angibt, "gestern vor 1266 Jahren, und zwar fünf Stunden später, als es jetzt ist", geschehen. Christi Tod fällt nach der Annahme der Kirchenväter auf den 25. März des Jahres 34 in die neunte Stunde oder vor drei Uhr nachmittags. Es ist demnach in dem Augenblicke, von dem das Gedicht redet, vor zehn Uhr vormittags am 26. März 1300.

Der groteske Schluß des Gesanges deutet darauf hin, daß, wie sich später zeigt, der Hauptmann der Malepranken den Virgil belogen hat; die andern Teufel bezeugen ihr Einverständnis mit diesem Streiche; dann gibt der Hauptmann das rüpelhafte Trompetensignal zum Abmarsch.

Anknüpfend an die teuflische Trompete am Schlusse des vorigen Gesanges zählt der Dichter allerlei Arten von Truppenbewegungen, Wettspielen und Schiffsmanövern auf, bei denen Signale gebraucht werden; nie hat er ein solches Signal gehört wie das des unsaubren Geistes.

Die Delphine, von denen V. 19- 21 die Rede ist, gelten, wenn sie auf der Oberfläche des Meeres spielen, für Sturmverkünder, die den Schiffer warnen.

Der erste Verdammte, mit dem die Wandrer reden, wird von den Kommentatoren Ciampolo (so viel wie Johann Paul) genannt, ein ungetreuer Diener König Thibauts II. von Navarra, der den Beinamen des Guten führte und 1270 starb. Mit ihm sitzt im heißen Bade der Mönch Gomita aus Gallura in Sardinien, welcher gehängt wurde, weil er um Geld Gefangene seines Herrn laufen ließ. Der sodann erwähnte Don Michael Zanche war Seneschall des Königs Enzius von Sardinien, eines natürlichen Sohnes Friedrichs II.; was ihm den Platz im Pechbrei verschafft hat, ist nicht bekannt. Er heiratete König Enzios Witwe, die ihm die Herrschaft Logodoro zubrachte. Im Jahre 1275 ermordete ihn sein Eidam Branca Doria aus Genua, dessen Geist wir in dem Höllenkreise Kaïna (Ges. 33, V. 136 ff.) antreffen. Die beiden Sardinier reden selbst in der Hölle von nichts als ihren heimatlichen Interessen, ein Charakterzug, der vielleicht auch auf andere Landsmannschaften passen würde.

Bedenkend, wie die beiden Teufel, da sie einem andern zu schaden gedachten, sich selbst Ungemach zuzogen, erinnert sich der Dichter der Fabel Äsops, wie der Frosch die Maus beredete, ihren Fuß an den seinen zu binden, und sie dann, ins Wasser tauchend, erstickte. Weil nun die tote Maus an dem Faden oben schwamm, lockte sie einen Weih, der sie und den Frosch herausholte und beide fraß.

Der Ausdruck V. 23 "wär' ich Blei und Glas" bedeutet:, wär' ich ein Spiegel.

In der sechsten Bolge sind die Heuchler, angetan mit bleiernen Kutten von dem Schnitte, wie die Benediktiner von Clugny sie tragen. Einer Sage zufolge hätte Kaiser Friedrich II. die überführten Verräter in bleierne Röcke stecken und so ins Feuer werfen lassen: darauf spielt Dante an. So schwer ist das Gewicht des Bleies, daß "die Wage", das heißt der Träger des Gewichts, unter der Last ächzt.

Zwei der Heuchler sind Mitglieder des Ordens der "lustigen Brüder", frati godenti, der unter Urban IV. in Bologna gegründet ward. Diese Brüder legten kein Gelübde ab, blieben in der Welt, verpflichteten sich aber, fromm zu leben, nur für die Kirche das Schwert zu ziehen, kein Amt zu bekleiden außer zur Friedensstiftung. Wahrscheinlich war der Name ursprünglich als Spott gemeint. Solche "ledige", das heißt den Parteiungen fremde Männer, wurden gern zu Schiedsrichtern berufen. Als solche wurden die beiden hier genannten von den Florentinern, um die Zeit der Geburt Dantes, als nach König Manfreds Tode die Herrschaft der Ghibellinen zur Neige ging, in Eid genommen. Man machte sie sogar zu Podestàs, sie sollen aber unter dem Deckmantel der Frömmigkeit ihren eigenen Vorteil gesucht haben. Jedenfalls verhinderten sie nicht den Aufruhr, der 1267 zur Vertreibung der Ghibellinen führte. Bei der Gelegenheit zerstörte das Volk im Stadtviertel Gardingo die Häuser der Uberti, der vornehmsten Ghibellinen, und noch um 1300 waren die Plätze nicht wieder bebaut.

Die Pharisäer und die Mitglieder des Hohen Rates, die den Tod Christi herbeiführten, namentlich der Hohepriester Kaïphas und dessen Schwäher Hannas (vergl. Ev. Johannis 10, V. 47 ff.) liegen in der Bolge gekreuzigt am Boden, und ewig wandeln die anderen bleischweren Heuchler über sie hinweg.

So schnell wie im Februar (Italiens) der Reif, "der Bruder des Schnees", von den Wiesen, wo er den Anblick einer beschneiten Fläche hervorrief, wieder verschwindet, so schnell verliert sich des Dichters Besorgnis, als er mit Virgil die sechste Bolge verläßt. Bei dem Aufklettern aus der Tiefe kömmt es ihm zu statten, daß der ganze achte Kreis, Malebolge, eine schiefe Ebene bildet, die gleichmäßig nach der Mitte, wo es zur tiefsten Hölle geht, abfällt und daß daher in jeder der zehn Bolgen das innere Ufer niedriger als das äußere ist.

Die siebente Bolge ist voll furchtbarer Schlangen; die aufgezählten Namen afrikanischer Schlangen sind meistens der Pharsalia des Lucan entlehnt, als Chelydri (Wassernattern), Cenchris (Fleckenottern), Jaculi (Lanzennattern), Pharëen (Brillenschlangen), Amphisbaenae (Ring]er). Vor ihnen schützt dort weder Schlupfloch noch der unsichtbar machende Stein Heliotrop. Es ist die Bolge der Diebe. Dante wundert sich, unter diesen den Vanni Fucci aus Pistoja zu treffen; denn dieser Bastard (er nennt sich selbst "Maultier"), ein wütiger Parteigänger der "Schwarzen", hatte wohl manchen Mord auf der Seele. Er ist aber zu den Dieben verwiesen worden, weil er aus dem Dome zu Pistoja das Altargerät gestohlen, es im Hause eines Unschuldigen versteckt und dann diesen angegeben und an den Galgen geliefert hatte.

Um den zur Partei der "Weißen" sich haltenden Dante zu betrüben, weissagt Vanni Fucci ihm den nahen Niedergang derselben. Um 1300 behaupteten sich die Weißen nicht nur in Florenz, sondern hatten auch in Pistoja die Schwarzen unterdrückt. Aber schon 1301 wurden sie aus Florenz vertrieben und bald darauf in Pistoja von den florentinischen Gegnern, welche mit Lucca im Bunde und vom Markgrafen Malaspina geführt waren, gestürzt. Aus dem Tale von Magra, sagt Fucci, werde dies Unwetter gegen die Weißen heranziehen: dort nämlich lagen des Markgrafen Besitzungen. Wegen der von Vanni Fucci erwähnten Schlacht auf dem Felde von Piceno ist man im unklaren; vermutlich ist eine Niederlage der Ghibellinen im Jahre 1302 gemeint.

Am Schlusse seiner Worte macht Vanni Fucci in der Richtung nach dem Himmel mit beiden Händen jenes alte Zeichen der Verhöhnung, welches man "die Feige stechen" nennt. Die Faust wird dem Verhöhnten entgegengestreckt, so daß der Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger vorschaut. Darob befreundet sich der Dichter mit den Schlangen, weil sie den Gotteslästerer anfallen und hindern, Hände und Mund zu gebrauchen. Dieser Frevler erscheint ärger als Capaneus, den wir im siebenten Höllenkreise als Verächter Jupiters lästern hörten.

Unter den Dieben erscheint der (in der Äneïs als semihomo) von Dante als Centaur dargestellte Cacus, der weiland unter dem Aventin seine Höhle hatte, ein flammenspeiender Räuber, Sohn des Vulkan. Herkules, dessen Rinder er gestohlen hatte, tötete ihn, vor dem zehnten Keulenschlage, meint Dante. Bei der Beschreibung des Unholdes wird wieder au[ den Schlangenreichtum der Maremma, der sumpfigen Wildnis im Südwesten Toskanas, angespielt. Als Dieb ist er nicht bei den Centauren im siebenten Kreise.

Der Rest des Gesanges ist fünf edlen Florentinern, lauter Dieben, gewidmet. Beide Parteien, die Weißen wie die Schwarzen, finden sich vertreten. Cianfa Donati, derjenige, der seinen Genossen abhanden gekommen ist, hat sich in ein Reptil verwandelt und verschmilzt dann mit Agnello Brunelleschi zu einem einzigen Ungetüm. Buoso Abati vertauscht seinen Menschenleib mit dem einer Schlange, in der Guercio Cavaleanti steckt, wie der Schlußvers anzeigt; denn Guercio ward in Gaville ermordet und der Ort dafür von den Verwandten gezüchtigt. - Der vierte, Puccio Sciancato, bleibt unverwandelt; Dante erkennt ihn, was beweist, daß er, hier von verstorbenen Zeitgenossen redet.

Die Schilderung der unheimlichen Umgestaltungen, die sich an diesen Sündern vollziehen, vergleicht der Dichter mit dem, was Lucans Pharsalia von den römischen Kriegern Sabellus und Nassidius berichtet, wie sie auf geheimnisvolle Art durch Eidechsen- und Schlangenbiß umkommen, und mit Ovids Metamorphosen, namentlich mit der Verwandlung des Cadmus in eine Schlange. Aber er betont, daß bei Ovid das Wunder nur die Hälfte des hier gesehenen ausmache, eine einfache Verwandlung, während hier zwei Geschöpfe ihre Form vertauschen.

Anknüpfend an die fünf Florentiner Verdammten, weissagt der Dichter, von einem wahrheitverkündenden Morgentraume erleuchtet, seiner Vaterstadt nahes Unheil, wie die kindlichen Nachbarstädte, Prato usw., es ihr wünschen. Die Wanderer steigen von der Einfassung der siebenten Bolge, auf die sie sich von der Brücke hinabbegeben hatten (Ges. 24, V. 72 ff.), wieder auf den Dammweg, der rauher und abschüssiger wird, je mehr er sich der Mitte des Kreises nähert, so daß sie beim Klettern die Hände zu Hilfe nehmen müssen. Sie kommen an die achte Bolge der schlimmen Ratgeber, deren Schicksal dem Dichter eine Mahnung ist, seinen Witz (sein Ingenium) in strenger Zucht zu halten, damit diese Gabe der Sterne, wenn nicht direkt Gottes, ihm nicht zum Schaden ausschlage.

Hier sind die Geister in Flammen gehüllt. Eine derselben spaltet sich in zwei Spitzen, wie das Feuer tat, das die Leichen der feindlichen Brüder Eteokles und Polynices verzehrte. In dieser Flamme wohnen vereint Ulisses und Diomedes, wie sie im Leben vereint Trojas Verderben suchten. Wieder ist es ein Frevel gegen Roms Ahnherrn, der hier gestraft wird. Sie legten die Bresche in die Mauern Trojas, durch welche Äneas, "Roms edler Same", auszog; sie raubten das Palladium der Stadt; Ulisses entführte der Deïdamia ihren jungen Gatten Achill, ohne dessen Hilfe sie nicht fallen konnte.

Die Erzählung, die Dante dem Ulisses in den Mund legt, ist entweder von ihm erfunden oder aus uns verlorener Quelle geschöpft. Sie hat mit Homer nur die Circe gemein, deren Insel an die Küste verlegt wird, wo Virgils Aneas seine Amme Cajeta bestattete, den Ort (jetzt Gaëa) nach ihr benennend. Dante läßt den Ulisses eine Fahrt nach der westlichen Halbkugel unternehmen, nach der "menschenlosen Welt", denn man dachte sie sich ganz von Meer bedeckt. Das Schiff fährt fünf Monate in südwestlicher Richtung, bis es an den verhängnisvollen Berg gelangt. Daß mit diesem Berge der Berg des Fegefeuers gemeint sei, erhellt daraus, daß außer diesem nach Dantes Annahme kein Land auf der westlichen Halbkugel liegt. Das Fegefeuer liegt nach Dante am anderen Ende des von Jerusalem durch den Mittelpunkt der Erde gehenden Diameters.

Eine zweite Flamme redet die Wandrer an. Anfangs gleicht ihr unartikulierter Ton dem Gebrüll, welches aus dem ehernen Stier des Tyrannen von Agrigent, Phalaris, erscholl, wenn ein Mensch in den glühenden Bauch verschlossen wurde, ein Schicksal, dem bekanntlich der Anfertiger des Erzbildes als erstes Opfer verfiel. Der Geist dieser Flamme hat gehört, wie der Mantuaner Virgil lombardisch sprach, als er die beiden Griechen verabschiedete. (In der Übersetzung kann der Dialekt natürlich nur als Abweichung von der Schriftsprache ganz allgemein angedeutet werden, während im Urtext wirklich lombardische Worte Virgils zitiert werden.) Der Geist ist ein Romagnole, und seine Frage veranlaßt den Dichter, über den Zustand der Romagna sich zu äußern.

Seit Dantes Geburt war die Geschichte dieses Landes eine fast ununterbrochene Kette von Fehden und Umwälzungen gewesen; Parteiung in den Städten und Ehrgeiz der Adelsgeschlechter führte zu stets neuen Bündeleien und Kriegen. Um 1299 kam eine Art Landfrieden zu stande; damals war Krieg nur in den Gemütern, wie Dante sagt. Während der gedachten Wirren hatten die Polentas von Ravenna (die Familie der unglücklichen Francesca von Rimini) ihre Macht ausgebreitet (Wappen ein Adler); die Stadt Forli, wo 1282 der berühmte Ghibelline Graf Guido von Montefeltro ein Heer von Franzosen und Guelfen gründlich geschlagen hatte, war unter die Herrschaft der Familie Ordelaffi (Wappen ein grüner Löwe) geraten; die Malatestas vom Schlosse Verrucchio, in welche Familie Francesca Polenta zu ihrem Unheil heiratete, hatten sich in Rimini behauptet, ein böses Tyrannengeschlecht, hier vertreten durch den Schwäher Francescas, "die alte Dogge", und dessen einäugigen Sohn Malatestino, welcher seinen gefangenen Gegner Montagna Percitati, als der alte Malatesta immer wieder nach dessen Befinden fragte, im Kerker umbringen ließ. In Imola am Santerno und in Faenza am Lamone hatte die Familie Pagani (Wappen ein roter Löwe in weißem Felde) sich festgesetzt, die abwechselnd zu den Guelfen und den Ghibellinen sich hielt; in Cesena am Flusse Savio endlich war beständiger Wechsel der Herrschaft, bald derer von Montefeltro, bald der Malatestas, so daß weder die Macht eines Einzigen noch die Bürgerfreiheit wurzeln konnte.

Der Geist in der Flamme ist kein anderer als eben jener Graf Guido von Montefeltro, der größeste unter den ghibellinischen Kriegsmännern in Dantes Jugendzeit. Bis 1284 hatte er in der Romagna den Guelfen und dem römischen Hofe die Spitze geboten, dann sich mit der Kirche versöhnt und nach Piemont zurückgezogen. Um 1288 berief Pisa ihn als Regenten, und bis 1293 diente er der Stadt mit Erfolg, unbekümmert um den Bann, den der Papst deshalb über ihn verhängte. Im Jahre 1294 abermals mit Rom versöhnt, kehrte er nach der Romagna zurück, trat aber bald, der Welthändel müde, in den Franziskanerorden und starb 1298 in Ancona.

Die ergreifende Erzählung, wie er sein Seelenheil verlor, gründet sich auf folgende Begebenheit. Dantes Erzfeind Papst Bonifacius VIII. veranstaltete um 1297 einen Kreuzzug, nicht etwa gegen Ungläubige, nicht gegen die Besieger von Acre (das 1290 den Christen verloren ging), sondern gegen Römer, gegen die Familie Colonna, deren Burg Pellestrino aber sich unbezwinglich erwies. Ähnlich wie Kaiser Konstantin den Papst Silvester, der Sage nach, berief, um des Aussatzes los zu werden, ließ Bonifaz den kriegskundigen Guido aus dem Kloster holen und gebot ihm bei der Pflicht des Gehorsams, von allen etwaigen Sünden im voraus ihn lossprechend, anzugeben, wie man der Feste beikommen möge. Guido sträubte sich, aber zuletzt, nachdem er die Absolution erhalten hatte, riet er dem Papste, weil die Burg nur mit List zu gewinnen sei, "viel zu versprechen, wenig zu halten". Bonifaz folgte dem Rate und bewog durch weitgehende Zusagen die Colonnas zur Übergabe der Burg, hielt aber sein Wort so wenig, daß die betrogenen Gegner es vorzogen, ihrer Sicherheit wegen zu flüchten.

Man wird bemerken, daß in Dantes Erzählung wieder ein Hieb auf den Papst Cölestin V., der die Schlüssel Petri freiwillig niederlegte, abfällt.

Der Teufel, welcher trotz der päpstlichen Absolution die Seele Guidos holt, ist ein schwarzer Cherub. Im "Paradiese" werden wir sehen, daß die Cherubim den achten Rang der neun himmlischen Heerscharen (von unten gezählt) einnehmen, den zweithöchsten also. Dem entspricht es, daß im achten Kreise der Unterwelt schwarze Cherubim walten.

Am Schlusse des Gesanges wenden sich die Wanderer zur neunten Bolge, in die Minos diejenigen verweist, "die spaltend ihre Last vermehren". Der dunkle Ausdruck des Urtextes, "che scommettendo acquistan carco" enthält einen Wortwitz, den die Übersetzung nicht recht wiedergeben kann. Während eine Last gewöhnlich durch Zusammenbringen entsteht, bereiten die Sünder der neunten Bolge sich eine Last (nämlich von Schuld) durch Auseinanderbringen (scommettendo), durch Zwietrachtstiften.

Die Blutszenen der neunten Bolge gemahnen den Dichter an die Schlachtfelder Apuliens, zumal an Cannä, wo so viele römische Ritter fielen, daß ihre silbernen Ringe einen Scheffel füllten, und an die Kämpfe der Apulier gegen den Normannen Robert Guiscard, an Manfreds Niederlage, die Dante ungenau nach Ceperano verlegt, und an Karl von Anjous Sieg über Konradin bei Tagliacozzo. Den letztgedachten Sieg soll der französische Ritter Alard de Vallery herbeigeführt haben durch den Rat, die Ritter Karls sollten im Hinterhalt warten, bis die Deutschen sich beim Plündern zerstreuten, und erst dann einhauen.

Es sind zunächst Schismatiker und Stifter großer Religionsparteien, welche in der neunten Bolge erscheinen, neben den mohammedanischen auch ein Spezimen der christlichen Sektierer, die schon im 13. Jahrhundert in Italien sich regten und Rom gegenüber auf die Einfachheit der apostolischen Zeit pochten. Fra Dolcino, über den Dante dem Mohammed Worte in den Mund legt, lebte noch um 1300; er war vor der Inquisition in die Berge von Novara geflohen und führte dort, vom Hunger genötigt, mit seinen Anhängern eine Art von Räuberleben. Sieben Jahre lang erwehrte er sich aller Angriffe der umwohnenden Machthaber, bis er im Winter 1306/1307, von Schneemassen blockiert und aller Lebensmittel beraubt, sich den Novaresen ergab. Er ward zu Vercelli mit greulichen Martern hingerichtet, standhaft bis zuletzt.

Der Herr von Medicina (einem Städtchen unweit Bologna), welcher dann erscheint, soll aus Eigennutz Unfrieden zwischen den Malatesta und den Polenta genährt haben. Er war Dantes Zeitgenosse. Die Prophezeiung, die ihm in den Mund gelegt wird, erfüllte sich einige Jahre später. Malatestino, der einäugige Tyrann von Rimini, "der Sohn der alten Dogge", von dem schon im vorigen Gesange die Rede war, lud zwei angesehene Edelleute von Fano nach Cattolico zur Unterredung; die bestochenen Schiffer aber warfen beide in Säcke eingeschnürt über Bord. Rimini wird bezeichnet als eine Stadt, welche je gesehen zu haben einer der Insassen der Bolge noch täglich verwünsche. Bei Rimini (Ariminium) überschritt Cäsar den Rubicon; Curio, der aus Rom vertriebene Tribun, stachelte den Zaudernden an (so erzählt Lucan in der Pharsalia) mit den Worten: Tolle moras, semper nocuit differe paratis. (Zaudere nicht; dem Gerüsteten war stets schädlich das Warten.) Diese Worte, die den Bürgerkrieg entschieden, büßt Curio in der Hölle, und deshalb wünscht er Rimini nie gesehen zu haben.

Auch jenen Mosca, nach dem er im 6. Gesange, V. 80 den Ciacco fragte, trifft Dante hier. Mosca spielte eine Rolle bei einer Tat, deren unheilvolle Folgen Dante wiederholt beklagt. Im Anfange des 13. Jahrhunderts hatte Buondelmonte sich mit einer Amidei verlobt, dann aber eine Donati geheiratet. Die Amidei erschlugen den Jünglinge auf der Straße. Mosca halte sie angetrieben; gegen ihr Zögern sagte er: "cosa fatta, capo ha, ist's getan, so ist es aus." Aber endloser Familien- und Parteihader in Florenz und Toskana knüpfte sich an die blutige Tat. Mosca gehörte zu der Familie der Lamberti, die wahrscheinlich schon untergegangen war, als Dante sein Gedicht schrieb.

Mit Fug befindet sich unter den Zwietrachtstiftern auch Bertrand de Born, Herr von Hautefort, der bekannte normannische Sänger, der Prinz Heinrich von England gegen seinen Vater zur Empörung anstachelte und zugleich den König so zu bezaubern wußte, daß dieser ihn völlig begnadigte. Er trägt zur Strafe seinen Kopf in der Hand, so daß das Gehirn von seinem Quell oder Ursprunge (dal suo principio), dem Rückenmark, getrennt ist. Er vergleicht sich selbst mit Ahitophel, der Absalons Empörung gegen David begünstigte, wie im zweiten Buche Samuelis Kap. 15 ff. erzählt wird.

Virgil gibt den Umfang der neunten Bolge, auf die nur noch eine kleinere folgt, zu zweiundzwanzig ital. Meilen an, wofür ich, da wir nach geopraphischen Meilen rechnen, fünf Meilen gesetzt habe (1 geogr. M. = 4,408 Miglien). Der Gesang beginnt mit ein Uhr nachmittags oder etwas später, da angegeben wird, daß der Mond, der am Tage vorher voll gewesen war, "unter den Füßen" der Wanderer, also im Zenith bei den Antipoden, gestanden habe, was am Tage nach Vollmond die genannte Stunde ergeben würde. Es ist indes schon bemerkt worden, daß in Betreff des Mondes und der sonstigen Data des Gedichts Widersprüche obwalten. Der Tag, der 26. März, stimmt nicht mit der angenommenen Mondphase.

Unter den Verdammten hat Dante einen Oheim seiner Mutter, Geri del Bello, entdeckt, von dem die alten Kommentatoren allerlei Übles, sogar Falschmünzerei, berichten. Er wurde aus Florenz verbannt und von einem Manne, dessen Vetter er umgebracht hatte, ermordet. Wie man aus dem Zusammenhange sieht, hatte Bellos Familie den Tod des Verwandten ungerochen gelassen, was Dante als eine Art Unrecht empfindet. Dreißig Jahre nach Bellos Ermordung soll sein Sohn die Rache doch noch vollzogen haben.

In der zehnten Bolge, "dem letzten Klostergange" des achten Kreises, herrscht mehr Jammer und Entsetzen, als in den größesten Spitälern, wenn man sie alle vereinigte, selbst in der heißen Fieberzeit herrschen würde. Die Spitäler des sumpfigen Valdichiana, der wüsten Maremma und der ungesunden Insel Sardinien werden als Stätten besonders furchtbaren Elends angeführt. Beim Anblick der Bolge erinnert sich der Dichter der von Ovid beschriebenen Pest, die zur Zeit des Königs Äacus in Agina erst die Tiere, dann die Menschen hinraffte, bis die Insel fast ausgestorben war. Jupiter verwandelte hernach Ameisen (myrmex) in Menschen, die davon Myrmidonen genannt wurden.

Die zehnte Bolge straft die Fälscher. Griffolino von Arezzo hatte sich gegen Albert von Siena gerühmt, fliegen zu können, und unter dem Vorwande, ihn die Kunst zu lehren, den Gimpel ausgebeutet. Albert aber gab ihn schließlich als Hexenmeister bei seinem Pflegevater, dem Bischof von Siena, an, der den Griffolino verbrennen ließ. In der achten Hölle ist er jedoch nicht wegen dieser Gaukelei, sondern wegen Goldfälscherei.

Die Erwähnung Sienas veranlaßt einen kleinen Exkurs über den Charakter der Sienesen, welche schlimmer, windiger seien als die Franzosen, "die Erfinder aller eitlen und verderblichen Moden", wie Boccaccio zu dieser Stelle anmerkt. Von der frivolen Üppigkeit und Verschwendung, der reichen Sienesen waren allerlei Geschichten im Umlauf, auf die Dante anspielt. Es gab eine Gesellschaft von zwölf jungen Herren, die in einem Jahre sich mit Gastereien und Festen ruinierten; ein gewisser Niccolo Bonsignori ließ Fasanen und Kapaunen auf einem Feuer von Gewürznelken braten. Der mit letzterem genannte Stricca ist nicht weiter bekannt, doch zeigt der Zusammenhang, daß es ironisch gemeint ist, wenn er von dem Tadel des Leichtsinns ausgenommen wird.

Die Bemerkungen über Siena legt Dante einem florentinischen Bekannten in den Mund, einem gewissen Capocchio, der die Sienesen zu hassen besonderen Grund hatte; denn sie verbrannten ihn wegen betrügerischer Alchimie. Er soll ein Tausendkünstler gewesen sein, der es namentlich verstand, die Natur täuschend zu kopieren.

Um sich für Jupiters Untreue zu rächen, machte Juno, nicht zufrieden, Semele zerstört zu haben, deren Schwester Ino samt dem Gemahl Athamas wahnsinnig. Athamas hielt seine Gattin für eine Löwin, riß ihr den einen ihrer Zwillinge Learchus vom Arme und schleuderte ihn gegen einen Felsen. Ino sprang mit dem anderen Sohne ins Meer, wo beide in Seegötter verwandelt wurden. Hekuba, dem Jammer über den Tod ihrer letzten Kinder erliegend, ward zur wütenden Hündin. Mit dem Toben dieser mythischen Personen vergleicht Dante die Raserei, welche in der höllischen Pestgrube herrscht. Einige der Schalten stürmen beständig wie im wildesten Fieberwahnsinn durch den Raum und fallen die übrigen mit Zähnen und Fäusten an. Einer von diesen ist Gianni Schischi von den Cavalcanti, der bei einem vielberufenen Verbrechen Helfer war. Buoso Donati, derselbe, der im 25. Gesange, V. 140 unter den florentinischen Dieben vorkömmt, war von seinem nach der Erbschaft begierigen Neffen ermordet worden; Schicchi legte sich ins Bett des Toten und diktierte, dessen Stimme nachahmend, dem herbeigerufenen Notar ein Testament, das den Mörder zum Erben einsetzte, ihm selbst eine kostbare Stute und andere Schätze vermachte.

Der andere wütige Schatte ist Myrrha, die ihren Vater König Cinyras von Paphos frevelhaft liebte und mit ihm den Adonis erzeugte. Weil sie den Vater durch erborgte Gestalt täuschte, ist sie unter die Fälscher versetzt.

Der Sünder, dessen geschwollener Leib und hagerer Kopf an die Form einer Laute erinnern, ist Meister Adam von Brescia, welcher zu Romena, unweit der Quellen des Arno, florentinische Goldmünzen (mit dem Bilde Johannes des Täufers) nachmachte. Die Söhne jenes Grafen Guido, des Enkels der guten Frau Waldrada, dem wir im 16. Gesange begegnet sind, Alexander, Guido und Aghinolfo, waren die Mitschuldigen Meister Adams. Sich an ihnen zu rächen, sagt er, wäre ihm mehr wert als der schöne Brunnen von Siena, Fonte Branda oder Blanda. Die Goldgulden von Florenz oder Zechinen hielten 1/3 Unze feines Gold ohne allen Zusatz; Meister Adam setzte drei Kanal, das heißt ein Achtel des Gewichts, Kupfer zu. Der Frevel erschien einem Florentiner wie Dante umso ärger, als seine Vaterstadt auf die Redlichkeit ihrer Münze stolz und eifersüchtig den guten Ruf ihres Geldes zu wahren bemüht war. Der Falschmünzer erlitt zu Danzes Lebzeiten den Feuertod.

Die Maße der zehnten Bolge werden im Urtext auf elf Miglien Umfang und eine halbe Miglie Breite angegeben. Das wären, die Meile zu 4,4 Miglien und die Miglie zu 5400 Fuß gerechnet, zwei und eine halbe geographische Meile Umfang und 2700 Fuß oder 1550 Ellen Breite. In der Übersetzung mußten die Ziffern versgerechter gemacht, das heißt abgerundet werden.

Meister Adam gerät in Zank mit seinem Leidensgenossen Sinon, jenem griechischen Überläufer, der die Trojaner beredete, das hölzerne Pferd in ihre Stadt zu lühren. Zu dem Gezänk der beiden ist nur zu bemerken, daß Sinon dem Falschmünzer so viel Sünden als fabrizierte Gulden anrechnet und ihn dadurch an die Spitze aller Verdammten befördert; ferner, daß die Redensart "den Spiegel des Narzissus lecken" eine gezierte Umschreibung für Wasser vom Erdboden trinken ist, weil solches Wasser dem Narzissus als Spiegel diente.

Dadurch, daß Dante dem Streite begierig zuhört, zieht er sich Virgils Tadel zu, und er gewinnt danach, ohne es zu wissen, nämlich durch die Zeichen der Beschämung, dessen Verzeihung.

Im 18. Gesange wurde beschrieben, wie Malebolge, der achte Kreis, nach der Mitte sich abdacht und in der Mitte ein Schacht sich öffnet. Am Rande dieses Schachtes, dessen Boden der neunte und letzte Kreis einnimmt, stehen jetzt die Wanderer. Rings um den Schacht stehen als Wächter Giganten, mit den Füßen drinnen, mit halbem Leibe über den Rand ragend, wie um Schloß Montereggione bei Siena die Türme in gleichen Abständen ragen. Etwa 27 Fuß tief fällt die Felswand des Schachtes ab, und die Riesen sind ungefähr 54 Fuß hoch. Das Gesicht des ersten, sagt Dante, war so lang wie der Pinienzapfen, der von Hadrians Grab nach der (alten) Peterskirche geschafft worden war, und die übrigen Glieder waren im Verhältnis. Dieser Zapfen maß 6 Fuß; vom Nabel bis an den Hals, wo man den Mantel befestigt, waren zehn italienische Ellen (18 Pariser Fuß), für den Hals sind 3 Fuß zu rechnen. Dies ergibt 27 Fuß vom Nabel bis zum Scheitel; für die untere Hälfte, der die Felswand als Schurzfell dient, ist ebensoviel zu rechnen. Mit Recht wird daher gesagt, daß drei Friesen, hochgewachsene Männer, einer auf dem anderen stehend, nicht an das Haupthaar des Giganten gereicht hätten. Daß der Kopf ein Neuntel der Körperlänge ausmache, ist auch sonst als Regel aufgestellt worden.

Der erste dieser Riesen, Nimrod, redet in einer Sprache, die, wie Virgil bezeugt, andere Menschen nicht mehr verstehen. Man hat gleichwohl sich gequält, die unverständlichen Worte aus dem Arabischen oder auch als Anagramm zu deuten. Sollte Dante nicht geflissentlich dem Urheber der babylonischen Verwirrung den Fluch der Unverständlichkeit auf die Zunge gelegt haben?

Der zweite Riese, Fialtes (Ephialtes bei den Griechen), ist der Gigant, der mit seinem Bruder Otos den Pelion auf den Ossa türmte, um den Olymp zu erstürmen.

Antäus, der dritte, hauste in Nordafrika, unweit Zanna, wo Scipio den Hannibal schlug. Virgil besänftigt ihn mit Schmeichelworten: hätte Antäus in der Gigantenschlacht mitgekämpft, Jupiter wäre vielleicht unterlegen! und er deutet ihm an, daß Dante der Mann sei, in der Oberwelt seinen Namen zu verherrlichen. "Der kann dir geben, was man hier begehrt," nämlich gute Nachrede auf Erden, wonach die Verdammten aller Höllenkreise, mit Ausnahme des letzten, sich sehr begierig zeigen.

Antäus setzt die beiden Wanderer auf den Boden des untersten Kreises nieder. Indem er sich bückt, sieht er aus wie ein Turm, der sich neigt. Den Eindruck eines sich neigenden Turms hat man, wie Dante anführt, vor dem schiefen Turm Carisenda in Bologna, wenn man lange hinaufblickt, während die Wolken gegen die Seite, auf welcher der Bau überhängt, ziehen. Dann scheint die Wolke festzustehen, der Turm sich zu bücken.

Der neunte Kreis bildet eine steil nach der Mitte abfallende, trichterförmige Fläche (V. 16), deren tiefster Punkt das Zentrum der Erde und, nach dem Ptolemäischen System, des Weltalls ist. Er teilt sich in vier Gebiete, die Kaïna (nach dem Brudermörder), Antenora (nach dem Vaterlandsverräter Antenor von Troja), Ptolemäa (nach dem Ptolemäus des Makkabäerbuchs, welcher die Gastfreundschaft durch Meuchelmord entweihte), und Judecca (nach Judas Ischariot) heißen. Eine Strafe beherrscht alle, ewiger Frost, der sich aber steigert, je näher man dem Zentrum kömmt, wo den drei Erzverrätern wider Gott und Cäsar eine besondere Pein vorbehalten ist.

Das Eis des Cocytus, der wie ein gefrorener See den ganzen Raum ausfüllt, ist so dick, daß es nicht einmal krachen würde, wenn der Berg Tabernick (in Slavonien) oder der Pietrapana (im Lucchesischen) hinauffiele. Die namhaft gemachten Verdammten in Kaïna sind:

1. Zwei Grafen aus dem Hause der Alberti von Mangona, das im oberen Tale des Bisenzio ansässig war. Sie sollen sich gegenseitig umgebracht haben. "Verräterischer Meuchelmord saß diesem Hause im Blute," sagt ein alter Kommentator.

2. König Arturs Bastard Mordrec, der sich wider den Vater empörte. In der Schlacht durchbohrte Arturs Lanze ihm "Brust und Schatten"; denn die Sonne schien durch die Wunde. Sterbend versetzte Mordrec dem Vater einen tödlichen Hieb.

3. Focaccia Cancellieri von Pistoja, ein Anhänger der "Weißen", der aus Rache seinen zu den "Schwarzen" haltenden Verwandten Detto Cancellieri ermordete.

4. Sassol Mascheroni aus Florenz, der seinen Neffen, um ihn zu beerben, ermordete. Man köpfte ihn, nachdem man ihn an ein Faß genagelt und so zum Richtplatze geschafft hatte.

5. Camicione de' Pazzi aus dem Val d' Arno, der seinen Verwandten Ubertino tötete. Er wartet in der Hölle auf die Ankunft seines Vetters Carlino de' Pazzi, gegen den er harmlos erscheinen wird. Dieser Carlino verriet 1502 eine ihm von den ghibellinischen Pistojern anvertraute Burg den Florentinern und lieferte damit Partei- und Blutsfreunde an die Schlachtbank.

In der zweiten Abteilung Antenora stößt Dante auf einen, der sich nicht nennen will, wie denn überhaupt die Verräter nicht wie die anderen Höllenbewohner den Wunsch hegen, im Gedächtnis der Menschen fortzuleben, und statt dessen sich begierig zeigen, von ihren Leidensgefährten Schlechtes zu sagen. Zum 10. Gesange ist schon von der Niederlage die Rede gewesen, welche die Sienesen und die aus Florenz vertriebenen Ghibellinen am Flusse Arbia den Florentinern beibrachten. Diese Niederlage heißt hier die Schlacht bei Montaperti. Bocca degli Abati diente im florentinischen Heere, war aber im geheimen Einverständnisse mit den Ghibellinen. Er hieb dem Fahnenträger der Stadt plötzlich die Hand ab, so daß die Fahne sank und die ohnehin überrumpelte Schar vollends in Verwirrung geriet. Dante hat als Knabe die Geschichte erzählen hören; nun er vernimmt, daß hier einer wegen Montaperti Pein leidet, will er sich vergewissern, ob die Sage recht hatte, und er weiß genug, sobald Boccas Name ihm verraten wird.

Dem ghibellinischen folgt der guelfische Verräter. Buoso von Duera (Dovara) nahm zu Karl von Anjous Zeit Geld von den Franzosen und erleichterte ihnen den Marsch nach Mittelitalien.

Beccaria, Abt von Valombrosa, wurde 1258 als Verschwörer gegen Florenz enthauptet.

Soldanier wird unter die Verräter versetzt, weil er, obwohl aus ghibellinischem Geschlechte, sich an die Spitze der Zünfte stellte und seine eigene Partei zu Grunde richtete.

Ganelon ist der bekannte Verräter aus der Rolandssage.

Tribadello schickte den Bolognesen einen Wachsabdruck des Torschlüssels seiner Vaterstadt Faenza und führte so deren Niederlage herbei. Sein Motiv war Rache.

Wer endlich der Verdammte ist, der einen anderen zerfleischt, wie Tydeus in der Wut des Kampfes den Kopf des Melanippus zerbiß, lehrt der nächste Gesang.

Pisa war im 13. Jahrhundert eifrig ghibellinisch. Als aber 1284 seine Flotte von den Genuesen zerstört und die Blüte seiner Geschlechter erschlagen oder gefangen war, übertrug die geängstigte Stadt, dem Untergange nah, die Herrschaft dem Grafen Ugolino della Gherardesca, dessen Familie immer an der Spitze der Ghibellinen gestanden, der aber persönlich mit den Guelfen sich gut stand, sogar seine Schwester dem pisanischen Guelfen Giovanni Visconti verheiratet hatte. Um sich zu befestigen, teilte Graf Ugolin die Macht mit dem Neffen Niro Visconti; da er aber merkte, daß dieser seinen Sturz plante, und da die Ghibellinen allmählich sich wieder erhoben, verband er sich im stillen mit den letzteren, in der Absicht, mit ihrer Hilfe die Alleinherrschaft an sich zu reißen. Die Geschlechter Gualandi, Sismondi und Lanfranchi standen mit Erzbischof Roger degli Ubaldini an der Spitze der Ghibellinen; am 30. Juni 1288 wich Nino vor ihnen aus der Stadt, und Ugolin versuchte vergebens, ihnen die Macht streitig zu machen. Nach heftigem Straßenkampfe ward er mit seinen Söhnen Gaddo und Uguccione und seinen Enkeln Brigita und Anselmuccio gefangen genommen und in den Turm der Gualandi am Platze der Anziani gesperrt. Im März 1289 ließen die Sieger trotz des Geschreis der um Erbarmen flehenden Gefangenen den Turm verschließen und den Schlüssel in den Arno werfen. Nach acht Tagen öffnete man den Kerker und begrub die Verhungerten. Selbst den erflehten geistlichen Beistand hatte man ihnen versagt.

Das ist der geschichtliche Kern der Begebenheit, die den Stoff zu Dantes furchtbaren Versen geliefert hat. Der Vorwurf, daß Ugolin Schlösser Pisas den Feinden verraten habe, läßt sich nicht mehr begründen; zwar lieferte er 1285 den Lucchesen zwei Burgen aus, doch ist es möglich, daß es geschah, um einen Angriff auf die fast wehrlose Stadt abzukaufen. Immerhin fällt das Zeugnis Dantes, des Zeitgenossen und Nachbarn, ins Gewicht. Man hat dem Dichter vorgeworfen, daß er Ugolins Söhne fast als unschuldige Kinder darstelle, da doch schon die Enkel Waffen trugen und einige derselben sogar verheiratet waren und Kinder hatten. Vielleicht hat Dante es nicht gewußt oder es nicht wissen wollen. Jedenfalls waren die mit ihm gefangenen Söhne nicht die Väter der beiden verhungerten Enkel und möglicherweise jünger als diese. Der alte Graf, den auch Dante mit zäher Lebenskraft ausstattet, war ein Mann, dem auch als Großvater noch Kinder geboren werden konnten.

In Ugolins Erzählung von dem Traume, der ihn im Kerker erschreckte, ist von dem Hügel die Rede, der so schwelle, "daß Pisas Augen nicht bis Lucca tragen". Damit ist der Monte Giuliano gemeint; ohne ihn würden die beiden Städte, die nur etwa drei Meilen voneinander entfernt liegen, sich gegenseitig sehen können.

Gegen Pisa, wo die schreckliche Tat geschah, ruft Dante die Rache der Nachbarstädte auf, und wenn diese säumen, sollen Capraja und Gorgona, die Inseln vor der Arnomündung, den Fluß verstopfen, damit er "dies neue Theben" (mit Anspielung auf die Greuel, die vom Geschlechte des Cadmus verübt wurden) ersäufe.

In der Ptolemäa, der dritten Abteilung der Verräterhölle, treffen die Wanderer wieder einen Frate godente oder "lustigen Ordensbruder", den Alberigo de' Manfredi. Dieser hatte von einem andern Manfredi während eines Wortwechsels einen Backenstreich empfangen, den er, obwohl der Beleidigen um Vergebung bat, blutig zu rächen beschloß. Verzeihung heuchelnd lud er den Vetter und dessen Söhnlein zu Tisch; auf das Stichwort "bringt das Obst" kamen zwei andere Manfredi und ermordeten beide Gäste. Daher nannte man meuchlerische Streiche "Obst des Fra Alberigo". Dies geschah 1285 zu Faenza. Um 1300 lebte Alberigo noch, und der Dichter stellt sich deshalb verwundert, ihn schon dort unten zu finden. Aber für die Ptolemäa gilt das besondere Gesetz, daß die Seele des ihr verfallenen Sünders sofort nach der Missetat, während der Körper noch fortlebt, zur Hölle fährt. So ist es möglich, daß Branca d' Oria (aus der berühmten genuesischen Familie), der seinen Schwiegervater Michael Zanche (vergl. Ges. 22, V. 88) mit Hilfe eines Neffen bei Tische ermordete, schon im Jahre 1300 in der Hölle sitzt, obgleich er 1311 noch lebte. Er kam zugleich mit dem Ermordeten in der Unterwelt an, sogar noch etwas früher, als ob die Teufel Verräter schneller beförderten als andere Sünder. Es wird erzählt, die Dorias hätten wegen dieser Stelle den Dichter, als er 1311 zu Kaiser Heinrich VII. nach Genua kam, übel behandelt; doch ist dies wenig glaublich. Die Hölle ist wahrscheinlich erst nach 1311 veröffentlicht worden.

Den Alberigo bewegt Dante durch das Versprechen, ihm das Eis von den Augen nehmen zu wollen, zur Erzählung seiner Missetat; er fügt die Beteuerung hinzu: "ich will ins tiefste Eis hinabfahren, wenn ich dir nicht helfe." Diese Worte enthalten einen Doppelsinn, der den Sünder täuscht. Während er in ihnen eine Bekräftigung des Versprechens erblickt, denkt Dante an das Ende seines Wegs, der ihn wirklich ins tiefste Eis führen soll, an den untersten Punkt der Hölle. Demgemäß betrügt er den Alberigo um den Lohn seines Bekenntnisses, und er rühmt sich dessen, weil es redlich sei, den Verräter mit gleicher Münze zu zahlen.

Wie Pisa wird auch Genua in diesem düstersten aller Höllengesänge gegeißelt, die siegreiche wie die besiegte Stadt. Genua war von Parteihader kaum minder heimgesucht als Florenz selbst.

Ein alter lateinischer Karfreitagshymnus beginnt mit den Worten, mit denen Virgil seinen Begleiter vor das Angesicht Satans führt: "Vexilla regis prodeunt"; "inferni" setzt Virgil hinzu: "Des Höllenkönigs Fahnen schreiten vor entgegen uns." Des Reimes wegen mußte der Vers, da inferni keinen deutschen Reim bietet, etwas abgeändert werden. Im untersten Höllenraum, Judecca geheißen, sieht Lucifer oder Dis (das ist Pluto), zur Hälfte diesseits, zur Hälfte jenseits des Erdzentrums, die drei Erzverräter, die Frevler an Gott und Cäsar, ewig zermalmend. Lucifers Arm ist ungefähr neunmal so groß wie der ganze Körper eines der Giganten; man hat sich ihn fast fünfhundert Fuß lang und die Gestalt des Höllenfürsten vierzehn- bis fünfzehnhundert Fuß hoch zu denken. Der größere Teil des Körpers steckt jedoch verborgen in der Schlucht, in der er steht; erst von der halben Brust an ragt er über die Umgebung hinaus, immerhin noch vierhundert Fuß. Er müßte weit über den Rand des neunten Höllenkreises, der nur siebenundzwanzig Fuß hoch ist, sich emporheben, wenn nicht anzunehmen wäre, daß der Kreis selbst sich nach der Mitte stark senke. Drei Gesichter hat Lucifer, eins rot, eins weiß-gelb, eins schwarz. Daß dieselben eine allegorische Bedeutung haben, ist wahrscheinlich genug; nach einigen bedeuten sie die drei Weltteile Europa, Asien, Afrika, was wenig einleuchtet; die meisten alten Kommentatoren und viele neuere sind einig daß die Farben auf drei Laster oder infernale Eigenschaften hinweisen, und sie bieten uns eine reiche Auswahl. Haß, Neid, Geiz, Stolz u. s. w. Beachtenswert scheint, daß die älteste Überlieferung sich für "Unwissenheit, Haß und Ohnmacht" entscheidet, was genau den Gegensatz zu den Attributen der göttlichen Dreieinigkeit, Weisheit, Liebe, Macht, bildet; doch wage ich es nicht, die Farben auf jene drei zu verteilen.

Auffallen wird, daß Dante - im Gegensatz zu Plutarch und Shakespeare - den Cassius stark und feist nennt. Er hat vermutlich den in Ciceros dritter catilinarischer Rede als feist bezeichneten Lucius Cassius mit Gajus Cassius verwechselt, Plutarch aber nicht gelesen.

In dem Augenblicke, wo die Wanderer sich anschicken, die Hölle zu verlassen, bricht auf der Oberwelt die Nacht an; es sind also etwa vierundzwanzig Stunden seit dem Beginn der Reise verflossen, von denen zwölf auf die sechs oberen, zwölf auf die drei unteren Kreise kommen.

Lucifers Hüftgelenk, die Mitte des Körpers, befindet sich neben dem Zentrum der Erde; demgemäß wird von diesem Punkte an oben, was bisher unten war, und Dante hatte den Eindruck, daß der den Füßen Lucifers zustrebende Virgil plötzlich statt hinab hinauf klettere, also in die Hölle zurückkehre. Denn natürlich erscheinen die Füße jetzt nicht mehr unter, sondern über den Klimmenden. Die Dummen, meint Dante, würden es ihm wohl glauben, daß er bei dem Anblick verwirrt worden sei, während er bei einigem Nachdenken sich nicht hätte wundern sollen.

Eine weitere Folge des Durchganges durch das Zentrum ist es, daß die Wanderer aus dem Abend plötzlich in den Morgen übertreten. Eben war die Sonne seit mehr als zwei Stunden untergegangen, jetzt ist es mit einmal die dritte Stunde nach Sonnenaufgang. Über zwei Stunden hatte das Klettern von Luzifers Brust bis zu seinen Füßen gewährt.

Die Verse 112 ff. beweisen, daß Jerusalem den Mittelpunkt der Oberfläche derjenigen Hemisphäre bildet, innerIialb welcher die Hölle liegt. In der verlängerten Achse des Höllentrichters fortschreitend, müssen die Wanderer also zu den Antipoden Jerusalems gelangen. Dante hatte hierbei eine Schriftstelle, Hesekiel 5, V. 5, im Auge: "So spricht der Herr: das ist Jerusalem, die ich in die Mitte der Völker (Luther übersetzt: unter die Heiden) gesetzt habe und ringsumher Länder." Zunächst gelangen die Dichter in ein kreisförmiges Gewölbe, dessen Boden dem Umfange der Judecca auf der anderen Seite genau entspricht. Der Ursprung dieser Höhle ist folgender.

Satan stürzte vom Himmel auf die Erde an dem Jerusalem gegenüberliegenden Punkte und fuhr bis ins Zenrum, wo er stecken blieb. Das Land verhüllte sich vor schrecken mit Meer und floh auf die andere Erdhälfte. Die Erde aber, die der Sturz Satans aus dem Innern der Erdkugel verdrängte, entwich nach oben und bildete dort den Berg des Fegefeuers, eine hohle Röhre zurücklassend. Unten also in dieser Höhlung befinden sich jetzt die Dicher, und von dort steigen sie durch den leergebliebenen, von einem Wasserlaufe begleiteten Raum, welcher ebenso lang ist wie die Hölle, "die Gruft Beelzebubs", zur Oberfläche der anderen Hemisphäre hinauf. Dazu scheinen sie zwanzig Stunden oder mehr zu brauchen, denn sie beginnen um neun Uhr etwa zu steigen, und als sie oben ankommen, ist es Nacht; sie sehen die Sterne über sich, und wie der Anfang des "Fegefeuers" zeigt, ist es kurz mr Sonnenaufgang.

Das letzte Wort der "Hölle" ist Sterne. Mit dem nämlichen Worte endet das "Fegefeuer", endet das "Paradies".

Fegefeuer

Der zweite Teil der Göttlichen Komödie beginnt mit einer Anrufung der Musen, namentlich der epischen, und einer Anspielung auf den Wettkampf, in welchem die Pieriden von den Musen besiegt und in Elstern verwandelt wurden.

Es ist Nacht; "bis zum ersten Kreise", das heißt bis zum Horizonte (nach anderen bis zum ersten oder Mondhimmel) dehnt sich die saphirblaue Luft; am Horizont steht bedeutungsvoll die Venus, der Stern der Liebe, das Zeichen der Fische überglänzend, und nach Süden zu erscheint ein so herrliches Viergestirn, daß unsere nördliche Hemisphäre, weil sie des Anblicks entbehrt, zu beklagen ist. Dieses Sternbild bedeutet, wie aus Gesang 31, V. 104 ff, erhellt, die vier Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Mäßigung, Stärke, Klugheit; nur das erste Menschenpaar im Stande der Unschuld hat es leuchten sehen, der bewohnten Erde zeigt es sich nicht. Das irdische Paradies nämlich befindet sich auf der Höhe des Berges, an dessen Fuß Virgil und Dante beim Austritt aus der Unterwelt jetzt gelangt sind. In dem Augenblicke, wo sie ankommen, ist der große Bär, der von dieser Stelle (Jerusalem gegenüber auf der südlichen und westlichen Halbkugel) nur tief am Horizont gesehen wird, schon untergegangen. Dante hat sich nicht an die landläufigen Vorstellungen gehalten, die das Fegfeuer in die Unterwelt neben die Hölle verlegten, also weitab von der Stätte des irdischen Paradieses.

Die Wanderer treffen zuerst den Wächter der Zugänge zum Berge des Heils, Cato von Utica, den seiner Gerechtigkeit und durch den Tod bewährten Freiheitsliebe wegen Dante zu der kleinen Zahl der Heiden rechnet, welche eine besondere Gnadenfügung erlöst hat. Freilich wird er bis zum Jüngsten Gericht die ankommenden Seelen der Bußfertigen zu beaufsichtigen haben; dann aber soll auch er in den Himmel eingehen. Sein Weib Marcia wird in der Vorhölle der tugendhaften Heiden mit aufgeführt; ihr Schicksal bekümmert den Gatten nicht mehr, nach dem Gesetze, das den Geretteten jedes Mitleid mit den Verlorenen, als welches der vollkommenen Glückseligkeit Abbruch tun würde, benimmt. Merkwürdig ist, daß Dante an Cato den Selbstmord, dem er in der Hölle so entsetzliche Strafe zuerkennt, geradezu als Beweis der Tugend preist.

Der Berg des Fegefeuers steht auf einer runden Inselfläche. Rings um die Insel wächst Schilf, die Pflanze der Demut. Der Berg selbst ist zu denken als eine im ganzen kegelförmige, aber unten steilere, oben immer sanfter ansteigende Höhe, um welche übereinander sieben horizontale Einschnitte sich ziehen, je einen Kreis für jede der sieben Todsünden bildend. Der Gipfel ist eine Ebene, das irdische Paradies. Ehe man in das eigentliche Fegefeuer gelangt, hat man die unteren Regionen des Berges zu überwinden, wo die des Einlasses noch nicht gewürdigten Seelen sich harrend aufhalten.

Das Aufsteigen ist am schwierigsten im Beginne und wird leichter, je mehr man sich dem Ziele nähert, wie die bußfertige Abwendung von der Sünde, je länger sie währt, umso leichter erscheint.

Um die Zeitbestimmung der ersten Verse zu verstehen, man sich erinnern, daß Jerusalem und der Berg des Fegefeuers einander antipodisch gegenüberliegen. Der Horizont mithin, dessen Meridian mit seinem höchsten Grade, mit dem Zenit, über Jerusalem hingeht, oder "es bedeckt", ist auch der Horizont des Fegefeuers, und während dort die Sonne untergeht, ist hier Sonnenaufgang. Am Ganges, nach Dantes Geographie 90 Grad östlich von Jerusalem, ist Mitternacht, das Sternbild der Wage geht durch den Meridian. Dante sagt, die Wage entfalle den Händen der Nacht, sobald diese siege, das heißt länger als der Tag werde, zur Zeit der Herbstäquinoktien; denn um diese Zeit geht die Wage lange vor Mitternacht unter. Da die Sonne jetzt im Zeichen des Widders steht, so passiert der Steinbock, der 90 Grad westlicher sich befindet, um Sonnenaufgang den Meridian, von dem er sich entfernt, so wie der Tag vorrückt. Deshalb wird V. 55, um dies Vorrücken zu bezeichnen, gesagt, daß die Sonne den Steinbock mit ihren Pfeilen (man muß an den antiken Sonnengott denken) vom Meridian verjage.

Schon in dem Gespräche mit Cato war die Freiheit, welche Dante sucht, mit der politischen Freiheit, für die Cato starb, in Parallele gebracht. Der Weg durch das Fegefeuer soll ihn zu der Freiheit der ewigen Erlösung führen. Dem entspricht es, daß die an der Insel der Reinigung landenden, für das Fegefeuer bestimmten Seelen den Psalm "Als Israel aus Ägypten kam" anstimmen, denn nach Dantes eigener Erklärung (in dem Widmungsschreiben an Can Grande della Scala) feiert dieser Psalm seinem verborgenen Sinne nach den Ausgang der Seele aus der Knechtschaft der irdischen Verderbnis in die Freiheit der ewigen Herrlichkeit.

Unter den Gelandeten erkennt Dante seinen Freund, den Sänger und Musiker Casella. Er muß geraume Zeit vor 1300 gestorben sein, denn Dante wundert sich, ihn erst jetzt ankommen zu sehen. Von Casella erfahren wir, daß der Eintritt ins Fegefeuer nicht immer sofort nach dem Tode erfolgt. Die geretteten Seelen versammeln sich zwar sogleich am Ausflusse des Tiber, aber der himmlische Fährmann nimmt nicht alle in sein Schiff auf; je nach ihrem Verschulden müssen sie längere oder kürzere Zeit am Strande harren. Seit drei Monaten aber, seit dem Anfange des Jubeljahres 1300, hat der verkündete Ablaß die zeitlichen Strafen niedergeschlagen und die Überfahrt beschleunigt.

Casella singt eine von Dantes eigenen Kanzonen, deren erster Vers lautet: Amor che nella mente mi ragione. Vielleicht hatte der Sänger selbst die Musik dazu gesetzt. Boccaccio erzählt in seiner Vita di Dante, daß Dante in seiner Jugend sich an Musik und Gesang sehr erfreut habe und ein Freund aller trefflichen Musiker seiner Zeit und Heimat gewesen sei. Diese Liebe zur Musik habe Ihn zur Abfassung vieler Gedichte getrieben, zu denen er dann von solchen Freunden liebliche und meisterliche Weisen habe setzen lassen. Im Convito II, 14 spricht Dante selbst über die Macht der Musik in Worten, die seine Empfänglichkeit für "die Eintracht holder Töne" über alle Zweifel erhebt.

Während Virgil und Dante im Sonnenschein weitergehest, bemerkt der letztere, daß sein Führer keinen Schatten wirft. Der Leib der Abgeschiedenen läßt das Sonnenlicht durch, wie nach der Ptolemäischen Theorie die unteren Himmelssphären das Licht der oberen durchlassen. Virgils irdischer Leib liegt in Neapel begraben, nicht in Brundisium, wo er starb. Daran erinnert sich der römische Dichter, an die ungeheure Entfernung seines Grabes denkend, wo es Abend ist, während er in der Morgensonne wandert.

Virgil belehrt seinen Gefährten, daß der schattenhafte Leib der Abgeschiedenen gleichwohl Empfindung habe, ohne welche allerdings Höllenstrafe und Pein des Fegefeuers nicht bestehen könnten. Die Scholastiker hatten sich vielfach bemüht, zu erklären, wie die Seelen ohne Sinnesorgane Schmerz empfinden könnten; solches Grübeln findet Virgil unnütz und verwegen. Dem Menschen genüge dass quod, daß es so sei, zu wissen; das Wie und Warum könne er so wenig ergründen wie die Unermeßlichkeit der dreieinigen Gottheit. Wenn der Mensch das vermöchte, hätte es der Fleischwerdung Christi nicht bedurft. Unter denn Heiden hätten viele sich gesehnt, das Geheimnis Gottes zu verstehen, was doch ohne Offenbarung nicht möglich sei, und all' ihr Bemühen habe sie nur dahin geführt, in ewiger Hoffnungslosigkeit "im Zweifel zu schweben". Überwältigt von diesem Gedanken, der sein eigenes Los so nahe berührt, unterbricht Virgil sich in seiner Rede.

Der unterste Teil des Berges ist steiler als die steilsten Pfade des Hochgebirges, das zwischen den beiden Enpunkten der Riviera, Lerici am Golf von Spezzia und Turbia oberhalb Monaco, das Meer überragt. Auf horizontalen Einbuchten des unteren Abhanges bewegen sich Seelen, die noch nicht das eigentliche Fegefeuer betreten dürfen. Unter ihnen ist König Manfred, Friedrichs II. Sohn, Enkel Heinrichs Vl. und Konstanzens von Sizilien. Weil er im Banne der Kirche bei Benevent fiel, mußte man ihn in der Hölle glauben. Deshalb bittet er den Dichter, er möge seiner Tochter Konstanze, der Gemahlin Peters von Aragon und Sizilien und Mutter des von Dante verehrten Königs Alfons von Aragon, anzeigen, daß ihr Vater unter den Geretteten sei und der Fürbitte bedürfe, um eher ins Fegefeuer zu gelangen. Manfreds Leiche ward an der Brücke von Benevent begraben, und die Franzosen türmten einen Steinhaufen darüber. Aber angestiftet von Papst Clemens IV., ließ der Erzbischof von Cosenza den Toten wieder ausscharren und an das Ufer des Flusses Verde werfen, damit er nicht im Boden eines Lehens der Kirche ruhe.

Während Dante dem König Manfred zuhört, erfährt er an sich selbst, daß die schon von Aristoteles widerlegte Lehre der Platoniker, wonach der Mensch drei selbständige Seelen, vegetative, sensitive, intellektuelle, haben soll, irrig ist. Denn während seine sensitive Kraft durch das Zuhören gefesselt war, merkte die währenddessen freie oder ungefesselte Intelligenz nicht, daß die Sonne zum 50. Grad emporgestiegen sei, was nicht hätte geschehen können, wenn jede der beiden Kräfte einer besonderen Seele angehörte. Dante drückt die falsche Lehre so aus, daß eine Seele über der anderen entfacht sei, weil die Platoniker annahmen, die intellektuelle Seele habe ihren Sitz im Gehirn, die sensitive im Herzen, die vegetative in der Leber. Von der Kirche war diese Theorie ausdrücklich verdammt.

Ein Engpaß führt den Berg hinan, schmaler als in der Mauer eines Weingartens ein Loch, das der Bauer zur Traubenzeit mit einer Heugabel voll Dornen den Näschern verschließt, steiler als die Straßen zu den Felsennestern San Leo (unweit San Marino) und Noli (an der westlichen Riviera) oder zum Berge Pietra Bismantova (in der Lombardei). Der Engpaß mündet auf dem Abhange des Berges; man hat nun freie Bahn rechts und links, aber der Abhang oberhalb dieser Mündung ist immer noch "stolzer als der Strich von der Mitte des Kreises zum Halbquadranten", das heißt steiler als 45 Grad. Emporsteigend gelangt man an den ersten der horizontalen Einschnitte, welche von nun an in gewissen Zwischenräumen die Bergwand unterbrechen und den ganzen Berg wie Gurten oder Simse umfassen. Auf dem ersten Sims, der übrigens noch nicht der erste Kreis des Fegefeuers ist, rasten die Wanderer, gen Osten blickend, und sehen die Sonne links im Norden stehen. Virgil erklärt, wie es sich damit verhalte, und bemerkt, daß um die Zeit, wo die Sonne im Zeichen der Zwillinge stehe, auf der südlichen Halbkugel Winter sei und man dort den von der Sonne beleuchteten Teil des Tierkreises dann noch weiter gen Norden zu sehe. Die Sonne nennt er einen Spiegel, weil sie das von Gott empfangene Licht zurückstrahlt, und zwar sowohl abwärts, nämlich auf die drei unteren Planeten Venus, Merkur und Mond, als aufwärts auf Mars, Jupiter und Saturn, die nach dem Ptolemäischen System über der Sonne kreisen. Dantes Wort, daß "der Äquator immer zwischen der Sonne und dem Winter stehe", wird verständlich, wenn man bedenkt, daß im Winter des Nordens die Sonne im Steinbock, im Winter des Südens im Krebse steht, in beiden Fällen also der Äquator zwischen ihr und dem Orte des Winters liegt.

Auf dem Sims trifft der Dichter wieder Geister, die noch nicht Aufnahme im Fegefeuer finden, unter ihnen einen alten Bekannten, von dem er gefürchtet hatte, daß er in, der Hölle sei, den kunstfertigen Zitherschnitzer Belacqua aus Florenz, der, weil er die Reue auf den letzten Augenblick verschoben hatte, nun eine Wartezeit von der Dauer seines Erdenlebens, ehe er seine Läuterung beginnen kann, zu bestehen hat. Belacquas Sünde ist, wie man leicht erkennt, Trägheit zum Guten gewesen.

Mittlerweile ist es Mittag geworden, in Spanien geht die Sonne unter. Nach Dantes Rechnung liegt Jerusalem auf dem Längengrade 0, der 90. Grad westlicher Länge geht durch Spanien, der 90. Grad östlicher Länge durch Indien und gerade zwischen beiden, auf dem 180. Grad, als 90 Grad westlich von Spanien, liegt der Berg des Fegefeuers.

Die Wanderer treffen harrende Seelen solcher, die gewaltsam umkamen, ehe sie Ablaß erlangen konnten, die aber sterbend noch bereuten und ihren Feinden verziehen. Aufmerksam gemacht, dar Dante ihnen Fürbitter erwecken und dadurch ihre Frist kürzen könnte, bestürmten sie ihn mit Gesuchen um seine Vermittlung. Folgende werden genannt:

1. Jakob del Cassero aus Fano, 1297 Podestà von Bologna, als die Stadt mil Azzo, Markgrafen von Este, in Fehde lag. Jakob sprach schnöde von dem Markgrafen, nannte ihn Verräter, Feigling, Sohn einer Waschfrau; Azzo dagegen schwor, "diesen Stallknecht tür seine Eseleien mit eiserner Rute zu züchtigen". Jakob reiste einmal nach Padua, wo er sich sicher glaubte. Aber die Paduaner, würdige Nachkommen des trojanischen Verräters Antenor, lieferten ihn in die Hand des Markgrafen. Von dessen Banditen wurde er bei Oriaco an der Brenta überfallen und umgebracht, da er, statt nach dem nahen Mira zu fliehen, in die Sümpfe geriet. Der Ermordete spricht von seinem Blut als von seiner Wohnung, denn nach 3. Buch Mosis 17, 11 ist "des Leibes Leben (oder Seele) im Blute". Die Seele wohnt im Blute; in der Vulgata las Dante die Stelle "quia anima carnis in sanguine est".

2. Buonconte von Montefeltro, Sohn jenes Grafen Guido, der im 27. Gesange der Hölle die Ursache seiner Verdammnis erzählt. Im Dienste der Aretiner fiel er bei Campaldino gegen Florenz kämpfend im Jahr 1289. Man fand seine Leiche nicht, daher Dante ihn fragt, wo sie blieb. Im Casentino, das heißt im oberen Arnotale, mündet der oberhalb der Öde von Camaldoli entspringende Archiano im Arno und verliert damit seinen Namen. Dort starb Buonconte, dort stritten Engel und Teufel um ihn, wie um des Vaters Seele St. Franziskus und der schwarze Cherub gestritten hatten. Eine einzige Träne verschafft dem Engel den Sieg, und der Teufel läßt nun seinen Grimm, statt an der Seele, an dem "andern", das heißt dem Körper des Toten aus. Da bei den Teufeln Verstand und böser Wille gepaart sind, so versteht er es, eine Überschwemmung zwischen dem Hauptzuge der Apenninen und den Höhen vom Pratomagno zu erregen, daß "der königliche Strom" Arno anschwillt und "in seinem Raube", das heißt in dem Schutt und Schlamm, den er mit sich führt, den Toten begräbt, die auf der Brust gekreuzten Arme ihm auseinander reißend.

3. Eine edle Sieneserin, Pia Guastelloni, in zweiter Ehe mit Nello de' Pannocchieschi, einem begüterten Edelmann, vermählt. Nello, entweder an ihrer Treue zweifelnd oder weil er eine andere vorteilhafte Heirat im Auge hatte, führte sie auf eines seiner Schlösser in der Maremma und brachte sie dort um, mit solcher Heimlichkeit, sagen die allen Kommentatoren, daß man die Art und Weise nie erfahren hat. Doch wird auch des Gerüchtes erwähnt, sie sei aus einem Fenster in die Tiefe gestürzt worden.

Noch mehr Seelen bestürmen den Dichter mit der Bitte, dafür zu sorgen, daß ihre Hinterbliebenen für sie beten. Es sind ihrer sechs, nämlich:

1. Der Rechtsgelehrte Benincasa aus Arezzo, der als Podestà von Siena einige Raubritter köpfen ließ und hernach von Ghino di Tacco, Sohn eines Hingerichteten, ermordet ward. Boccaccio macht diesen Ghino, der ein gewaltiger Wegelagerer war, zum Helden einer Novelle. (Decameron X, 2.)

2. Ciacco de' Tarlati, ein edler Florentiner, der fliehend oder verfolgend mit seinem Pferde in den Arno geriet und ertrank.

3. Friedrich Novello, Sohn des Grafen Guido Novello, Toskaner, im Jahre 1291 von einem Gegner getötet. "Er war ein guter Mann," heißt es in einem alten Kommentar, "darum nennt Dante ihn."

4. Ein Sohn des rechtsgelehrten Ritters Marzucco aus Pisa. Marzucco trat in den Franziskanerorden. Als sein Sohn von einem Pisaner erschlagen worden war, predigte er Vergebung und Versöhnung und küßte selbst dein Totschläger die Hand. Eine andere Version lautet dahin, daß Graf Ugolino den Sohn Marzuccos habe töten lassen und verboten habe, den Leichnam zu bestatten. Des anderen Tages sei der Vater zu ihm gekommen, ohne Tränen, ohne Zeichen des Schmerzes, und habe zum Grafen gesagt: "Herr, Eure Ehre verlangt es, daß der arme Getötete begraben werde und nicht den Hunden verfalle," und der Graf, von solcher Geduld besiegt, habe das Begräbnis erlaubt. Diese zweite Lesart scheint mir zu Dantes Vers, welcher nicht von der Friedfertigkeit und Versöhnlichkeit, sondern von der Stärke Marzuccos redet, besser zu stimmen. Marzucco ist übrigens eine geschichtliche Person; er war 1275 als Unterhändler bei der Berufung des Grafen Ugolino in den Dienst der Stadt Pisa tätig.

5. Graf Orso. Wer er war, ist von den Gelehrten noch nicht ausgemacht.

6. Peter de la Brosse, Oberkämmerer und Günstling König Philipps des Kühnen von Frankreich. Durch den Einfluß der Königin Marie von Brabant ward er gestürzt, des Verrates angeklagt und gehenkt.

An die Bitten dieser Geister knüpft sich eine Erörterung der Frage, ob denn überhaupt Gebet an dem Schicksal der Verstorbenen etwas ändern könne. Virgils Sibylle sagt, daß göttliches Verhängnis sich nicht durch Bitten ändern lasse, "desine fata deum flecti sperare precando". Allein dieser Ausspruch, so belehrt Virgil seinen Gefährten, gelte nur für die Hölle, von wo das Gebet nicht mehr zu Gott gelange. Die Buße des Fegefeuers kann durch den Brand der Liebe, nämlich durch Gebet und gute Werke anderer, in einem einzigen Augenblicke ersetzt werden, ohne daß deshalb "der Gipfel des Gerichts", die Majestät der Gerechtigkeit, sich neigt und erniedrigt. Thomas von Aquino sagt: es wäre ungerecht, wenn Gott den einen für die Schuld des andren strafte, aber es ist Güte, wenn er einem die Verdienste anderer zu gute kommen läßt. Übrigens verweist Virgil im Gefühle seiner Unzulänglichkeit den fragenden Dante hinsichtlich solcher Geheimnisse an eine höhere Autorität.

Zur Abendzeit, da der Berg den von Osten her aufsteigenden Wanderern seinen Schatten entgegenwirft, treffen sie den berühmten Troubadour Sordello von Mantua, der im 13. Jahrhundert in provenzalischer Sprache dichtete. Er hatte ein Liebesverhältnis mit Ezzelins Schwester Cunizza, der wir in Paradiese begegnen werden. Die Herzlichkeit, mit der Sordello Virgil als Landsmann begrüßt, veranlaßt Dante zu einer Wehklage über Italien, wo landsmannschaftlicher Sinn der Zwietracht gewichen sei. Italien ist ein Pferd ohne Reiter; vergebens hat Kaiser Justinian die Zäume (das Gesetz) angefertigt; der Herrscher fehlt. Statt seiner wollen die Päpste, die berufen wären, sich Gott zu weihen, den Gaul meistern; die, welche im Sattel sitzen sollten, König Rudolf, König Albrecht, lassen das Roß verwildern. Albrechts Ermordung (1308) wird als Strafe der versäumten Pflicht angekündigt. Doch beschwört der Dichter ihn, nach Italien zu kommen, den bedrängten ghibellinischen Geschlechtern aufzuhelfen (unter denen die Montecchi und Capuletti von Verona namhaft gemacht werden), dem von den Sienesen bedrängten gräflichen Hause Santafiore beizustehen und Rom der Witwentrauer zu entreißen. Der Dichter fragt Gott (den er als höchsten Jupiter anzureden nicht ansteht), ob dieser Zustand Italiens, wo jeder Bauer Politik treibe und Partei nehme wie weiland ein Marcellus gegen Cäsar, nur ein Vorspiel zu besseren Wendungen sei. Dann wendet er sich ironisch an seine Vaterstadt: auf sie gehe die Anklage nicht, weil ja in Florenz das Volk so klug sei, so schnell Reht spreche, s bereitwillig neue Lasten beschließe und durch seine steten Neuerungen Athen und Sparta in Schallen stelle. Der Vorwurf häufiger Münzveränderungen könnte befremden, da der florentinische Goldgulden des verdientesten Ansehens wegen seines streng bewahrten Feingehalts und Gewichts genoß; das Silbergeld wurde aber allerdings im 13. Jahrhundert wiederholt verschlechtert.

Auf Sordellos Frage beschreibt Virgil seinen Zustand in der Vorhölle. Er sei gestorben, sagt er, ehe die erste Seele das Fegefeuer betrat, das heißt vor dem Tode Christi, weil nur die Erlösten ins Fegefeuer gelangen. Bis zum Tode des Erlösers blieben die gerechten Israeliten in der Vorhölle mit den ungetauften Kindern und den Heiden, welche zwar Glaube, Liebe und Hoffnung, die Tugenden des Christentums, nicht gekannt, aber die ihnen bekannten Tugenden geübt haben. Der Sitte der Zeit entspricht es, daß Sordello den Virgil, als er ihn erkennt, gebückt umarmt, unter der Brust oder über den Knieen.

Sordello führt die Wanderer auf sanft ansteigendem Wege in eine Einbucht des Berges, die wie ein Tal zwischen den Wänden des Wegs sich erweitert. Weil der Weg steigt, werden seine Wände allmählich niedriger. Der Blumenflor des Tals wird mit allerlei Kostbarkeiten verglichen, unter denen nur das "leuchtende Holz" (legno lucido) uns unbekannt ist.

In dem Tale weilen, den Abendhymnus an die h. Jungfrau singend, Könige und Fürsten, die noch nicht Einlaß ins Fegefeuer fanden, wohl weil sie saumselig in der Buße gewesen waren, unter ihnen Rudolf von Habsburg, der sich um Italien nicht gekümmert hat; Ottokar von Böhmen, der auf Kosten seines Sohnes Wenzel als tüchtiger Herrscher gepriesen wird; Philipp der Kühne von Frankreich, "der mit der Stumpfnase", welcher 1285 nach einem unglücklichen Feldzuge gegen Aragon (Dante sagt auf der Flucht) starb; Heinrich der Dicke von Navarra, der Schwiegervater des von Dante grimmig gehaßten Philipp des Schönen von Frankreich; der tapfere und energische Peter von Aragon, der Sizilien den Franzosen wieder entriß, Manfreds Eidam; Karl von Anjou, König von Neapel, kenntlich an der Adlernase; Alfons von Aragon, König Peters Thronerbe, der 1290 zwanzigjährig starb, ein Liebling Dantes, während die anderen Söhne Peters, Jakob und Friedrich, ihm widerwärtig waren. Ehemalige Feinde wie Rudolf und Ottokar, Peter und Karl von Anjou haben hier ihrer Zwiste vergessen. Karl von Anjou, der Vernichter des hohenstaufischen Stammes, mußte dem kaiserlich gesinnten Dichter unsympathisch sein, wie denn im 20. Gesange, V. 66 auch zu Tage tritt; indes haben der Ruhm des Feldherrn, die kirchliche Gesinnung und das erbauliche Ende dieses Fürsten die Schale zu seinen Gunsten gesenkt. Jedenfalls stellt Dante den Vater über den Sohn Karl II. von Neapel. Die Untertanen, Neapel und Provence, trauern um Karl von Anjou, weil der Sohn ihnen um vieles schlimmer dünkt. Der Same, sagt er, übertreffe in diesem Falle die Pflanze um so viel wie der Gemahl Konstanzens, Peter von Aragon, die Gemahle Beatricens und Margaretens. Die Gemahle dieser beiden Töchter des Grafen Raimund von der Provence waren Ludwig IX. von Frankreich und Karl von Anjou. Letzterer übertrifft mithin seinen Sohn, wie er selbst und Ludwig von Peter übertroffen werden.

Dante glaubt nicht an die Erblichkeit der Tugend. Es ist eine Ausnahme, wenn sie, wie bei den Aragonesen, vom Vater auf den Sohn übergeht, wie man Wein aus einem Kruge in den andern gießt. In jedem einzelnen Falle ist es Gott, der die hohen Gaben austeilt.

Der schwache und fromme Heinrich III. von England, des tapferen Eduard I. Vater, schließt die Reihe der Könige. Ihnen gesellt sich der mächtige Markgraf von Montferrat, Wilhelm Langschwert, der, um die Stadt Alessandria zu züchtigen, mit den Guelfen der Lombardei und Savoyen Krieg führte, selbst in der Gefangenschaft starb (1292) und seine Lande Montferrat und Canavese (am Po) den Folgen der Niederlage preisgab.

Die Könige singen nach Sonnenuntergang eine Hymne des Breviariums, welche um Abwendung der nächtlichen Anfechtungen fleht. Nach dem kirchlichen Ritual folgt auf den Hymnus das Gebet, daß Gott während der Nacht das Haus vor dem Feinde schirme und seine Engel darin wohnen lasse. Dementsprechend erscheinen in dem nunmehr dunklen Tale die beiden Engel und wehren der Schlange, die sich einzuschleichen sucht. Dante deutet an, daß hier der Sinn der Dichtung am leichtesten zu fassen sei. Wie die Hölle das Elend der Sünde, so stellt das Fegefeuer Beginn, Fortgang und siegreichen Schluß der Rechtfertigung durch die Buße allegorisch dar. Auf den Vorstufen der Läuterung, vor dem Eintritt in das eigentliche Purgatorium erlahmt nicht allein beim Schwinden des Lichtes zeitweilig die Kraft zum Höhensteigen, sondern es naht auch noch die Versuchung und wird nur durch Gebet um göttlichen Beistand überwunden. Die Engel erscheinen mit stumpfen Schwertern, was darauf gedeutet wird, daß sie nur Abwehr, nicht Angriff bezwecken. Maria sendet sie, weil an sie der erste Hymnus "Salve regina, mater misericordiae" gerichtet war.

Trotz der Nacht erkennen die Schatten in der nächsten Nähe einander noch, und auch Dante unterscheidet die Züge seines Bekannten Nino Visconti aus Pisa. Dieser war ein Enkel und zugleich Gegner des Grafen Ugolino, der einem der Visconti eine Tochter zur Frau gegeben hatte. Nino war eine Zeitlang Richter zu Gallura auf Sardinien; später als Guelfe aus Pisa vertrieben, nahm er an verschiedenen Kriegszügen gegen die Vaterstadt teil und machte wahrscheinlich in einem derselben Dantes Bekanntschaft. Er starb 1296. Sein Leben war derart, daß die Meinung, er sei zur Hölle gefahren, gerechtfertigt scheinen mochte. Seine Witwe, eine Tochter des Markgrafen Obizzo von Este, heiratete 1300 einen der Mailänder Visconti (deren Wappen die Nattern waren) und teilte mit diesem von 1302 bis 1311 die Verbannung. Darum sagt Dante, sie werde sich nach dem Witwenschleier zurücksehnen und das Familiengrab mit dem Hahne von Gallura, dem Wappen ihres ersten Mannes, würde der Gruft in Mailand vorzuziehen gewesen sein. Hannah, Ninos Tochter, heiratete Richard von Cammino, Sohn des Herrn von Treviso. Die Tochter starb vor der Mutter, welche letztere die erstere beerbte und so das Vermögen der Visconti von Pisa denen von Mailand zubrachte.

Konrad der Jüngere von Malaspina, der den Dichter anredet, war Markgraf in Val di Magra zwischen Genua und Lucca, ein Zeitgenosse Dantes, obwohl diesem nur durch den Ruf bekannt. Die Malaspina waren gut kaiserlich, unbeirrt durch die falsche Lehre "des bösen Hauptes", das ist Bonifaz' VIII., freigebig und tapfer, "mit Börse und Degen" Ehre einlegend. Auf dieses seinem Hause auf bloßes Hörensagen gespendete Lob antwortet Konrad mit der Prophezeiung, dasselbe werde dem Dante, ehe die Sonne zum siebenten Male (seit 1300) im Widder untergehe, besser als durch bloßen Ruf, "mit festeren Nägeln", sich einprägen - eine Anspielung auf die Gastfreiheit, die der Verbannte 1306 bei dem Neffen Konrads, dem Markgrafen Moroello von Malaspina, fand. Der hier auftretende Konrad von Malaspina wird auch in einer Novelle des Decameron (II, 6) als ein mächtiger und weiser Herr geschildert. Nach einer Sage widmete Dante seinem Neffen das Fegefeuer.

Während dieser Nacht erblickt Dante in der Nähe des Südpols, "wo die Stern' am langsamsten sich drehen", ein glänzendes Dreigestirn, an derselben Stelle, wo er gegen Ende der vorigen Nacht die mystischen vier Lichter sah. Wie diese die vier Kardinaltugenden, so bedeuten die drei Sterne ohne Zweifel die drei christlichen, welche die Finsternis erleuchten, Glaube, Liebe und Hoffnung.

Im Eingange des Gesanges folge ich, wenn auch nicht frei von Zweifel, statt der hergebrachten Lesart "la concobina de Titone antico" der von Scartazzini gewählten, wonach statt Titone Titan steht. La concubina di Titone kann nur Aurora sein, die doch von allen Poeten als Gemahlin, nicht als Buhle Tithons anerkannt wird und die außerdem an dieser Stelle, wo ein Mondaufgang lange vor Tagesanbruch geschildert wird, so unmöglich ist, daß man, um den hergebrachten Text zu retten, auf die verzweifelte Auslegung verfallen ist: Dante spreche hier nicht von der Aurora, welche dem Tag vorangehe, sondern von der Helle, die den nahen Mondaufgang ankündige, gewissermaßen einer Aurora zweiten Ranges, die er deshalb zum Kebsweibe Tithons herabsetze. Liest man concubina di Titan antico, so verschwinden wenigstens die Hauptschwierigkeiten. Titan ist bei den von Dante gelesenen römischen Richtern der (ältere) Sonnengott, der abends zu der Meergöttin Tethys, des Oceanus Gemahlin, hinabtaucht und in ihrem Schoße ausruht. Die Stelle bedeutet dann: Schon, das heißt nach den im vorigen Gesange berichteten Gesprächen mit Sordello, Nino und Malaspina, erhellte sich in Osten von dem Mondaufgange die See, die jetzt nicht mehr vom Sonnengott umarmt und erwärmt ward. (Ich muß zugeben, daß die Erklärung des dritten Verses gezwungen herauskömmt.) Über dem Antlitz der See stand wie ein Diadem das Sternbild des Skorpions, welches an diesem Abend kurz vor dem Monde aufging und dem das Beiwort "kalt" gegeben sein mag, weil es den November über das herrschende ist. Von den "Schritten der Nacht", das heißt von ihren Stunden waren zwei verflossen, die dritte dem Ende nahe, "ihre Flügel" senkend. Es war also fast neun Uhr abends, als Dante in dem blumigen Tale, wo er selbfünft mit Virgil und den drei anderen Schatten saß, vom Schlafe übermannt ward.

In der Morgenfrühe, wann die Schwalbe ihr Klagelied beginnt (mit Anspielung auf den Mythus von der unseligen Prokne, die von den Göttern in diesen Vogel verwandelt ward), sind nach alter Meinung die Träume am bedeutsamsten. Im Schlafe sieht um diese Stunde der Dichter auf troischem Gefilde den Adler Jupiters, der einst den Ganymed zu den Göttern trug und seitdem andere Jagdgründe zu verschmähen scheint. Der Adler ist ein Sinnbild der göttlichen Kraft, die den Menschen vom Staube emporhebt; er ist im Traume das, was die heilige Lucia, die reuewirkende Gnade, in der Wirklichkeit ist; denn wie der Adler Dante in die oberste Region der Erdatmosphäre, in die Feuersphäre (zwischen Erde und Mondhimmel) zu tragen scheint, so hebt Lucia den Schlafenden über alle Zwischenräume bis vor den Eingang des Purgatoriums.

Wie er erwachend seine Umgebungen anstaunt, schildert Dante mit Anspielung auf eine Stelle der Achilles des Statius. Den Knaben Achilles entführte seine Mutter im Schlafe von Thessalien, wo der Centaur Chiron ihn erzog, nach der Insel Scyrus und verbarg ihn unter den Mädchen, damit er nicht gegen Troja ins Feld ziehe und dort seinen Tod finde. Aber Ulisses entdeckte ihn dort und nahm ihn mit in den Krieg.

Der Eingang zum Purgatorium ist vom Dichter mit symbolischer Ornamentik ausgestattet, die sich auf die kirchliche Lehre vom Sakrament der Buße und dessen Ritual beziehen. Wie die Buße drei Grade hat, Zerknirschung, Geständnis, Genugtuung, so führen drei Stufen zu dem diamantenen Sitze, auf welchem der Pförtner des Purgatoriums des Schlüsselamtes waltet. Die marmorblanke Stufe scheint die Selbsterkenntnis des Sünders, die geborstene seine innere Wandlung, die blutrohe das Opfer des Bußfertigen an guten Werken zu bedeuten. Der Engel, welcher das Tor hütet, vertritt die geistliche Gerichtsbarkeit, daher er ein Schwert führt, und die freisprechende Gewalt des Bußpriesters, deren Emblem die beiden Schlüssel sind. Der silberne Schlüssel ist die Scientia discernendi, die Kunst, den Würdigen vom Unwürdigen zu unterscheiden, den Knoten der schwierigen Fragen zu entwirren, das Urteil festzustellen. Der goldene Schlüssel ist das von Christus ausfließende Recht der Freisprechung und der Verdammnis.

Ehe das Tor für Dante sich öffnet, zeichnet der Engel ihn als einen der Läuterung Würdigen und Geweihten. Siebenmal ritzt er ihm mit der Schwertspitze ein P in die Stirn, an die sieben Peccata oder Sünden mahnend, die in den sieben Kreisen des Fegefeuers gebüßt und getilgt werden.

Mit donnergleichem Geräusch öffnet sich das Tor, an den Augenblick erinnernd, wo Cäsar die Schatzkammer der Republik auf dem Kapitol gewaltsam erbrechen ließ, trotz des mutigen Widerstandes, den ihm der Tribun Metellus leistete. Lucan schildert in der Pharsalia, wie damals der tarpejische Felsen von dem Klange der großen Torflügel widerhallte.

Mit der Klängen des Ambrosianischen Lobgesanges wird der Ankömmling von den Seelen drinnen empfangen. Man wird bemerken, daß die Hymnen und Gebete des römischen Ritus den Dichter durch das ganze Fegefeuer begleiten.

Das Tor des Fegefeuers, der Weg der Buße, ist "außer Brauch" gekommen, weil die falsche Liebe, die nach wertosen Gütern trachtet, auf Erden vorherrscht. Von dem Tore zum ersten Kreise des Fegefeuers führt ein schmaler, steiler Weg zwischen den Felswänden, hin und her sich windend, wie die Welle hin und her spielt. Es ist schwierig, im Emporklimmen den steten Biegungen zu folgen, daher Virgil bemerkt, daß man darauf zu achten habe, sich anzuschmiegen an diejenige der beiden Wände, welche weicht, das heißt, welche in der Biegung des Wegs die kürzere, innere Krümmung beschreibt. Der erste Kreis wird um etwa neun Uhr vormittags erreicht, während der Mond, der jetzt schon fünfthalb Tage im Abnehmen begriffen ist, untergeht.

Der Kreis, der zuerst sich den Wanderern eröffnet, ist wie ein flacher, um den ganzen Berg laufender Weg zu denken, der mit seiner inneren Grenze an die höher steigende Bergwand, mit der äußeren an die freie Luft stößt und nur drei Mannslängen breit ist. Hier, wo die Stolzen büßen, sind in Marmorbildern Muster der Demut dargestellt: Maria, vom Erzengel begrüßt, bekennt sich als Magd Gottes; David, einer königlichen Würde vergessend, tanzt vor dem Wagen, der die Bundeslade nach Zion bringt. Sie, die heilige Lade, schrecke den unberufenen Mann vom Amte, denn die Schrift erzählt, wie Oza des Todes sterben mußte, weil er unbefugterweise die Lade, als sie zu fallen schien, stützen wollte. Im Gegensatz zu David erscheint sein Weib Michal als Vertreterin törichten Stolzes. Das dritte Bild bezieht sich auf eine Erzählung des Paulus Diaconus (im "Leben Gregors des Großen"). Als Kaiser Trajan eben in den Krieg ziehen wollte, trat eine Witwe zu ihm und verlangte Gerechtigkeit für ihren erschlagenen Sohn. Trajan versprach, nach der Rückkehr den Mord zu rächen. Die Witwe warf ein: Wenn du fällst, wer wird mir helfen? Mein Nachfolger, versetzte der Kaiser. Darauf sagte die Frau: Was nützt es dir, wenn ein anderer mir hilft? Als Trajan dies hörte, stieg er vom Pferde, getrieben von Vernunft und Mitleid, und verschob seine Kriegsfahrt, bis er der Frau geholfen hatte. Der Papst Gregor aber, als er eines Tages über das Forum Trajanum ging, erinnerte sich dieser Geschichte und erwirkte durch sein Gebet die Erlösung des guten Kaisers aus der Hölle. Im 20. Gesange des Paradieses erscheint Trajan unter den gerechten Herrschern des Jupiterhimmels.

Der Dichter ermahnt seine Leser, sich durch seine Beschreibung der Martern nicht abschrecken zu lassen, einen Platz unter den Büßenden zu erstreben, da diese Qualen, anders als die der Hölle, am Jüngsten Tage, wenn nicht früher, aufhören.

Die Stolzen müssen gebückt unter Felslasten, Karyatiden ähnlich, wandeln. Bei ihrem Anblick eifert der Dichter über die Torheit des Stolzes so unfertiger Geschöpfe, wie der Mensch eins ist, unfertig wie die Puppe des Schmetterlings, vielmehr weniger noch als das, mißraten in der Geburt, die ihnen die Erbsünde auf den Weg mitgibt.

Die Büßer beten das Vaterunser sowohl für sich als für die Lebenden, daher sie, obwohl selbst der Versuchung entrückt, die sechste Bitte nicht auslassen. Wie sie für uns, so sollen wir, wofern wir "gute Saat zum Willen in uns tragen", das heißt im Stande der Gnade uns befinden, für jene Seelen Fürbitte einlegen.

Der Grafen von Santafore und ihrer Bedrängnis im Kampfe mit den Guelfen ist Geang 6, V. 111 gedacht. Hier erscheint ein Sproß dieses Hauses Umberto Aldobrandeschi, der 1259 auf Anstiften der Sienesen im Schlosse Campagnatico von Meuchelmördern im Bette erstickt ward. Von diesen Grafen hieß es, sie könnten jede Nacht des Jahrs in einem anderen Schlosse und immer unter eigenem Dache schlafen.

Der zweite Geist ist ein seinerzeit berühmter Miniaturmaler Oderisi aus Agubbio oder Gubbio (im Urbinatischen), von dem Vasari im Leben Giottos berichtet, er habe viele Bücher der päpstlichen Bibliothek mit trefflichen Malereien verziert, die meisten aber habe die Zeit zerstört. Diese Kleinkunst ward in Italien miniare (von minio, Mennig), in Frankreich illuminer genannt. Der Zusammenhang lehrt, daß Oderisi auf seine Kunst sehr stolz war; jetzt, nach dem Tode, erkennt er, daß Franco von Bologna ein weit besserer Meister war, wie auch Vasari bezeugt. Franco von Bologna lebte noch, als Dante sein Gedicht schrieb.

Die Vergänglichkeit des Künstler- und Dichterruhms erörtert Oderisi an dem Beispiele Cimabues, der von Giotto so schnell verdunkelt ward, und zweier Dichter namens Guido. Wer diese letzteren seien, ist streitig. Im Hinblick auf das, was im 26. Gesange vorkömmt, ist es wahrscheinlich, daß der erste Guido Fra Guiltone del Vive aus Arezzo (Mitte des 13. Jahrhunderts), angeblich der Erfinder des Sonetts, und der zweite Guido Guinicelli aus Bologna ist, welcher etwa um dieselbe Zeit Kanzonen, jetzt verschollene, schrieb. Daß Dante mit dem dritten, der jene beiden verdrängen werde, sich selbst meint, dünkt mir unzweifelhaft.

Der dritte Stolze, auf den der Maler den Dichter aufmerksam macht, ist Provenzano Salvani, einst, zumal nachdem die Sienesen bei Montaperti den Florentinern die mehrerwähnte blutige Niederlage beigebracht hatten, Sienas mächtigster Bürger. Er fiel 1269 in die Hände der Florentiner, und ein ihm feindlicher Sienese ermordete ihn. Er scheint sich erst im letzten Augenblicke bekehrt zu haben und hätte, wie Dante meint, noch nicht so bald, einunddreißig Jahre nach seinem Tode, Einlaß im Fegefeuer finden sollen. Aber um einer Tat willen ist ihm die Wartezeit gekürzt worden. Karl von Anjou hatte bei Tagliacozzo den Vigna, Provenzanos Freund, gefangen genommen und forderte zehntausend Goldgulden als Lösegeld. Da ging der stolze Mann auf den Markt von Siena und setzte sich zu den Bettlern, so lange die Hand ausstreckend, bis er das Lösegeld beisammen hatte. Was solche Selbstdemütigung bedeute, sagt Oderisi, das weißt du, Dante, nicht; aber bald, nachdem deine Nachbarn dich ins Exil werden getrieben haben, wirst du es verstehen lernen, wie schwer es ist, sich an die Freigebigkeit anderer wenden zu müssen.

Weiter schreitend heißt Virgil seinen Gefährten, um die Müdigkeit zu verscheuchen, auf den Boden zu seinen Füßen, "das Bett seiner Sohlen", blicken, wo nach Art von Grabsteinen Bildwerke eingefügt sind. Beispiele gezüchtigten Stolzes sind der Vorwurf dieser Skulpturen: Satan vom Himmel gestürzt; der hundertarmige Briareus vom Blitze getroffen und schwerlastend auf der Erde; die Giganten von den Olympiern besiegt; Nimrod; Niobe; Saul auf den Bergen Gelboe, von denen David sang: "Es müsse weder tauen noch regnen auf euch!" Arachne in eine Spinne verwandelt, weil sie sich vermaß, besser als Minerva zu weben: Rehabeam, der das Volk statt mit Ruten mit Skorpionen züchtigen wollte und vor dem Aufruhr flüchten mußte; Eriphyle, die um eines Geschmeides willen ihren Gatten Amphiaraus verriet und dafür von ihrem Sohn Alkmäon getötet ward ; Sanherib, den seine Söhne im Tempel von Ninive umbrachten; Cyrus, dessen abgeschnittenen Kopf die Scythenkönigin Tomiris in den blutgefüllten Schlauch steckte; das flüchtige Heer des Holofernes mit "den Reliquien der Niederlage", das heißt dem Rumpf des enthaupteten Feldherrn.

Am Mittag, wo von den Horen, den Mägden der Sonne, die sechste den Dienst verläßt, erreichen die Dichter den Aufstieg zum zweiten Kreise; den schmalen Pfad vergleicht Dante mit einem (nicht mehr vorhandenen) durch Stufen bequemer gemachten Weg, welcher unweit "der Stadt voll Weisheit" (wie Florenz ironisch genannt wird) vom Ponte Rubaconte ab nach der Bergkirche San Miniato führte, - einem Werke alter Zeit, sagt Dante, als noch Redlichkeit herrschte, Grundbuch, Maß und Gewicht noch nicht gefälscht wurden. Gerade um 1299 war es vorgekommen, daß einer der Prioren von Florenz, um einem Freunde eine Bloßstellung zu ersparen, ein Blatt aus dem Grundbuche entfernt und Herr Durante Chermontesi, Kämmerer des Salzmagazins, das Scheffelmaß, um sich zu bereichern, verkleinert hatte.

Bei dem Übergange aus einem zum anderen Kreise läßt Dante jedesmal eine der Seligsprechungen der Bergpredigt, die im Gegensatze zu der Sünde des zurückbleibenden Kreises sieht, ertönen. Dem Stolzen wird demgemäß gesungen: selig sind, die geistlich arm sind, was nach Thomas von Aquino auf die Verächter weltlicher Schätze und Ehren geht.

Im zweiten Kreise, dem des Neides, sind keine Skulpturen, "weder Schatten noch Bild", alles ist glatt, schwefelgelb (livido) von der Farbe dieses Lasters. Den von Ost gen West steigenden Dichtern steht jetzt die Mittagssonne zur Rechten, im Norden; ihr wenden sie sich zu, also rechts, was in den Versen 13-15 umständlich ausgemalt wird wie ein Teil einer Kreisbewegung, den die linke Seite des Körpers um die rechte oder nördliche Seite, letztere als Mittelpunkt des Kreises gedacht, beschreibt.

Etwa eine (italienische) Meile wandern sie, ohne etwas wahrzunehmen. Dann schweben Stimmen an ihnen vorüber, die das Gegenteil des Neides verkünden, wie im ersten Kreise die Bilder das Gegenteil des Stolzes verherrlichen. Töne treten an Stelle der Bilder; denn die Büßer des zweiten Kreises sind blind. "Vinum non habent, sie haben keinen Wein mehr," ruft eine Stimme, wie Maria bei der Hochzeit zu Kana. "Ich bin Orestes," ruft eine zweite, anspielend auf die wetteifernde Freundschaft des Pylades und des Orestes, die beide, als der Barbarenkönig den Sohn Agamemnons töten wollte, ausriefen: ich bin's! Solche Beispiele selbstloser Liebe dienen hier, die Neidischen zu geißeln. Die Abschreckung, den zurückhaltenden Zaum, liefern Stimmen entgegengesetzten Inhalts, wie sich später zeigen wird, ehe man an den "Paß der Vergebung", den Ausgang aus dem Kreise, gelangt. Ein analoges System herrscht in allen Kreisen des Fegefeuers: auf das Muster der Tugend folgt das abschreckende Beispiel der Sünde, und jedesmal wird die Lehre mit einem Exempel aus dem Leben der Jungfrau Maria begonnen.

Die Büßer singen die Litanei aller Heiligen, ihr Gebet richtet sich an die Erben der himmlischen Güter, welche von den irdischen sich dadurch unterscheiden, daß, so viele an ihnen teil haben mögen, der Anteil des einzelnen darum nicht geringer wird, daher auch von Neid unter den Seligen keine Rede sein kann. Die Neidischen werden an den Augen gestraft, weil diese zu dem Glücke anderer scheel geblickt haben. Sie müssen sich einer ähnlichen Operation unterziehen wie der eingefangene wilde Falke, dem man, um ihn durch Lichtentziehung zu zähmen, die unteren Augenlider mittels zweier Fäden in die Höhe zog und, indem man beide Fäden verknüpfte, für einige Tage das Sehen unmöglich machte.

Die erste Seele, mit der Dante redet, ist eine Sieneserin, Sapia. Sie war verbannt, als 1269 die Ghibellinen von Siena bei Colle eine schwere Niederlage erlitten. Ihr Schloß Pigezio lag unweit des Schlachtfeldes; Sapia, so wird erzählt, sah dem Treffen zu, und als die Sienesen flohen, rief sie, jetzt werde sie zufrieden leben und sterben, was Gott ihr auch antun möge. Deshalb wird sie mit der törichten Amsel verglichen, die im Januar, als mildes Wetter eintrat, sagte: "Der Winter ist vorbei, jetzt fürcht' ich Gott nicht mehr." Sapia bereute erst in extremis und hätte deshalb mit dem Antritt ihrer Buße noch warten müssen ohne die Fürbitte des Einsiedlers Peter Pettinajo, der schon bei Lebzeiten in Siena als Heiliger verehrt wurde.

Sapia hat übrigens im Fegefeuer den Groll gegen ihre Vaterstadt noch nicht ganz abgetan. Sie nennt Siena die eitle, törichte Stadt und wirft ihr namentlich zwei unkluge Streiche vor. Der erste war der, daß die Sienesen auf eine bloße Sage hin viel Geld verwendeten, um eine der Diana geweihte Quelle zu suchen, die unter der Stadt fließen sollte. Teurer zu stehen kam ihnen der zweite, der Versuch, eine Seemacht zu werden. Im Jahre 1305 kauften sie um 8000 Goldgulden von dem Abte von San Salvadore den Hafenort Talamone in der Maremma, wo der Fieberluft wegen das Unternehmen schon im Anfang verunglückte. Am schlimmsten fuhren dabei die sienesischen Admirale, die in der Sumpfgegend Gesundheit und Leben opferten.

Die Verse 155-158 enthalten eine Selbstkritik Dantes, der sich mehr Stolz als Neid zuschreibt und deshalb meint, er werde dermaleinst länger im ersten Kreise Lasten tragen als im zweiten des Lichtes entbehren.

Zwei ehemalige Edelleute der Romagna, Guido del Duca und Rinieri de' Calboli, beide der Geschichte nicht sonderlich bekannt, befinden sich unter den Büßern des zweiten Kreises. Sie knüpfen mit Dante ein Gespräch an, das sich zu einer bitteren Klage gegen den politischen Zustand Toskanas und der Romagna entfaltet. Der Arnofluß läuft gewissermaßen Spießruten in den ihm gewidmeten Terzinen. Die Bestien werden geschildert, die zwischen seinem Ursprunge auf dem Falterone und seiner Mündung, auf einer Strecke von etwas mehr als hundert (ital.) Meilen seine Ufer bewohnen. Zunächst den Quellen hausen "Schweine" (porci), die Grafen Guidi da Romena, Besitzer des Schlosses Porciano im Casentino, berüchtigt, sagen die alten Kommentare, wegen viehischer Üppigkeit, dem Dante wohl vornehmlich wegen ihrer Treulosigkeit gegen Heinrich VII. verhaßt. Noch heute soll in der Umgegend von Porciano die Sage leben, daß Dante einmal in dem Turme dieses Schlosses gefangen gesessen habe. Auf die Schweine folgen die "Kläffer", die Bürger von Arezzo, von denen der Arno in weitem Bogen sich gleichsam verächtlich abwendet. Arezzo, obwohl nicht sehr mächtig, spielte eine geräuschvolle Rolle unter den ghibellinischen Städten Toskanas. Dann, nach dem Meere tiefer hinabfallend, trifft der Fluß "Hunde, die Wölfe worden sind", die habsüchtigen Florentiner. Endlich durch die letzten Höhen sich in die Küstenebene ergießend, erreicht er in Pisa die "Füchse", die nicht fürchten, daß jemand sie überlisten werde. Guido del Duca, dem diese Verse in den Mund gelegt sind, weissagt seinem Gefährten Rinieri, daß des letzteren Enkel bald in Florenz ein Schreckensregiment führen werde. Fulcieri de' Calboli ward 1302 von den siegreichen Schwarzen als Podestà nach Florenz berufen, wo er mit Folter, Strang und Beil gegen die Weißen wütete.

Von sich selbst sagt Guido, er ernte im Fegefeuer das Stroh, das aus dem Samen seines Neides aufgewachsen sei, und er bejammert die Verkehrtheit der Menschen, das zu lieben, "was sie nicht mit Genossen teilen können", Worte, die Gesang 15, V. 45 ff. erklärt werden.

Dann klagt er über die Entartung der Geschlechter nicht allein seiner Vaterstadt Forli, sondern der Romagna überhaupt ("zwischen Reno, Po, Gebirg' und Meere"). Vier edle Romagnolen der guten alten Zeit, des 13. Jahrhunderts, werden namhaft gemacht, ritterliche, freigebige Edelleute, wie die Kommentatoren lehren und der Zusammenhang ergibt. Von einem derselben, Lizio von Valbona, und von einem Manardi erzählt Boccaccio (Decameron V, 4) eine lustige, wenn schon unanständige Geschichte. Ferner werden als Vertreter einer besseren Vergangenheit Fabbro von Bologna und Fosco von Faenza genannt, beide Gegenstand der Kontroverse, jedenfalls dem Zusammenhange nach illustre Bürger der Generation, welche um 1300 ins Grab gesunken war. Einigen alten Kommentatoren zufolge war Fosco eines Bauern Sohn, aber wegen seiner Weisheit und seiner anmutigen Reden bei allen angesehen. Andere preisen seinen Reichtum und seine Freigebigkeit.

Der Adel der Romagna, namentlich in der Gegend von Bertinoro war, ehe er in den Parteikämpfen herunterkam, seines heitren, gastfreien Lebens wegen berühmt; Guido da Prata, Ugolino d'Azzo, Friedrich Tignoso (der Grindige, wie er scherzweise seines blonden Haares wegen hieß) hielten zu ihrer Zeit offenes Haus; die Traversara, die Anastagi glänzten in Ravenna, ehe die Polenta (die Familie der Francesca da Rimini) die Oberhand gewannen. Die Stadt Bertinoro, von sprichwörtlicher Gastfreiheit, verlor gegen Ende des 13. Jahrhunderts ihre edelsten Geschlechter durch das Exil, die Manardi, die Bulgari u. a., die von den Guelfen vertrieben wurden. Auf diese Verhältnisse wird V. 103 ff. angespielt. Ironisch werden die Grafen von Bagnacavallo ob ihrer Weisheit belobt, weil sie aussterben werden, während die von Castrocari und Conio in so schlechten Zeiten sich fortpflanzen.

Schließlich wird der Familie Pagani, deren "Teufel" Mainardo Pagani Imola und Faenza unterjocht hatte, geweissagt, sie werde nach dem Tode besagten Teufels (1302) zwar auch "wohl tun" wie jene weisen Grafen von Bagnacavallo, nämlich aussterben, aber nicht wie sie einen guten Namen hinterlassen, und in demselben Sinne wird Ugolin de' Fantolin glücklich gepriesen, weil er, ein tapfrer, kluger Mann, keinen Sohn hinterlasse, der sein Andenken schänden könnte.

Weiter schreitend erfährt Dame, was "der Zaum des Neides" ist, von dem Virgil vorhin (Ges. 13, V. 40) gesprochen hat, Stimmen nämlich solcher, die der Neid ins Verderben stürzte, Kains und der athenischen Aglauros, welche, weil sie ihrer Schwester die Liebe Merkurs mißt gönnte, in Stein verwandelt ward.

Der seltsame Anfang des Gesanges bedeutet, daß die Sonne (welche wie ein Kind immer spielt, das heißt nie stille steht) noch so weit vom westlichen Horizont abstand, als sie morgens in drei Stunden steigt. Es war hier, in Italien, Mitternacht, dort, auf dem Berge, etwa drei Uhr nachmittags. Da die Dichter den Berg in westlicher Richtung erstiegen hatten und dann auf den beiden Simsen rechts gegangen waren, jetzt aber wieder gerade nach Westen schreiten, so ergibt sich, daß sie den vierten Teil des Bergkegels umkreist haben.

Dante wird von einem blendenden Lichte getroffen; er beschattet umsonst die Augen von oben; das Licht bleibt. Darum glaubt er, es rühre von einem Strahle her, der von oben die Erde treffe und in demselben Winkel ("gleich weit vom Fall des Steines", von der lotrechten Linie) in die Höhe zurückfahre. Es ist der Glanz des Engels, der den Aufgang zum dritten Kreise behütet. Die Seligkeit der Barmherzigen wird hier verkündet, wo die Stätte der Neider verlassen wird.

Unterwegs erklärt Virgil, was im vorigen Gesange, V. 86, 87 Guido del Duca sagte: "O Menschen, warum liebet ihr so heiß, was ihr nicht teilen könnet mit Genossen?" Die irdischen Güter verringert man, wenn man sie teilt; das Glück des Himmels wächst für jeden, je mehr Genossen da sind.

Im dritten Kreise, dem des Zorns, sind es Visionen, die belehren, teils indem sie Beispiele der Sanftmut und Versöhnlichkeit, teils indem sie unheilvolle Folgen des Zorns vorführen. Maria findet, ohne zu schelten, den verlornen Knaben im Tempel wieder. Pisistratus von Athen verweist seiner zürnenden Gemahlin ihre Rachsucht wider den Jüngling, der ihre Tochter geküßt hatte (wobei auf den Streit Poseidons und Athenens um den Namen der Stadt angespielt wird). Der gesteinigte Stephanus betet für seine Feinde.

Erst allmählich unterscheidet Dante zwischen den Visionen und "den Dingen, die auch außer der Vorstellung des Geistes wahr", also objektiv wirklich sind, und erkennt den Wahn, der doch nicht Irrtum, sondern Wahrheit enthält.

Im Rauche zu wandeln ist die Buße der Zornigen. In der finsteren Wolke beten die Seelen mit den Worten der Messe: Agnes Dei ... miserere nobis, Agnes Dei, dona nobis pacem, um Erbarmen und Frieden. Der Lombarde Marco, mit dem Dante redet, soll ein angesehener, freigebiger, aber jähzorniger Mann gewesen sein, nach einigen ein Venezianer. Sonst ist wenig von ihm bekannt. Ein Wort Marcos über das Schwinden der Tugend in der Welt verstärkt einen Zweifel, den Dante schon bei den ähnlichen Äußerungen Guido del Ducas gefühlt hatte: ob die zunehmende Sittenverderbnis vom Einflusse der Gestirne (vom "Himmel") oder von den Menschen herrühre. Marco leugnet ersteres. Der Himmel, das ist der Einfluß der Gestirne, gibt zwar dem Trachten und Tun, wenn auch nicht aller, doch vieler Menschen einen ersten Anstoß, hebt aber nicht die Willensfreiheit auf. Der Wille kann die böse Regung bejahen oder verneinen. Wenn er sie ernstlich bekämpft und nicht schon im Anfange unterliegt, so wird er, gestärkt durch die richtige Nahrung, eines Tages siegen. Aus freier Wahl unterwirft sich dann der Mensch der größeren Kraft, der Gnade, und der besseren Natur, der göttlichen, die in ihm den von den Sternen, dem Einflusse des Himmels, unabhängigen, nach oben strebenden Sinn erschafft. Von Haus aus strebt die Seele, sobald sie vom Schöpfer entlassen ist, nach dem, was sie beglückt; aber unwissend täuscht sie sich über das rechte Ziel, hält Nichtiges für das wahre Gut, jagt auf falscher Fährte, wenn sie nicht gelenkt und gezügelt wird. Daher muß es Gesetze geben, damit die Menschen das Rechte erkennen, und ein Fürst muß sein, damit sie es auch wollen, ein Fürst, der wenigstens von fern die Türme der Stadt Gottes sieht, um den heilsamen Weg vorschreiben zu können. Das ist nach Dantes Glauben das Amt des Kaisers. Daß nun das Kaisertum, aller göttlichen Ordnung zuwider, in Italien ohnmächtig wurde, ist die Schuld des verweltlichten Papsttums. Es ist unrein geworden wie (nach dem mosaischen Gesetz) "die Tiere, welche wiederkäuen, aber den Huf nicht trennen". Das Volk, das nur nach irdischen Gütern giert, beruhigt sich, wenn es den Hirten dasselbe tun sieht. Schlechtes Regiment ist also die Ursache der verderbten Sitten.

Dem, was ist, stellt Marco gegenüber, was sein sollte, die Summa der Dantischen Theorie. Als Gott seinen Sohn zur Erde sandte, wollte er, daß diese in der vollkommensten Ordnung, nämlich der einer Monarchie, sich befinde, und dazu (so lehrt Dante in seiner Schrift de monarchia und im Convito) ersah Gott die glorreiche Roma. Und weil dem Menschen zwei Ziele gesetzt sind, die irdische und die himmlische Glückseligkeit, die erstere auf dem Wege der Vernunft in der Ausübung der Tugend zu erreichen, die andere im Anschauen Gottes bestehend und nur durch Glauben, Liebe und Hoffnung unter Mitwirkung des heiligen Geistes zu erlangen, so bedarf die Welt einer zwiefachen Leitung: des Kaisers, der nach philosophischer Erkenntnis den Weg zur zeitlichen Vollkommenheit zeigen, des höchsten Bischofs, der auf Grund der Offenbarung zum ewigen Leben führen soll. Aber auch der Kaiser hat mehr als das irdische Heil zu wahren: ohne Zaum und Gebiß würden ja die viehischen Gelüste der Menschen alles über den Haufen rennen, und christliches Leben wäre dann unmöglich. Diese Heilsordnung nun ist zerrüttet, seit der Bischof neben dem Hirtenstab auch das Schwert, die weltliche Gewalt, führen will; der Papst fürchtet den Kaiser nicht mehr, der Kaiser den Papst nicht. An den, Früchten ist es zu erkennen. Ehe der Streit zwischen Friedrich II. und der Kirche begann, herrschte in der Lombardei Ehre und Tugend; jetzt leben dort nur noch drei Gute, alte Männer, ein Vorwurf für die neue Zeit. Die drei Guten sind: 1. Gerhard von Cammino, der gerechte Beherrscher Trevisos, auch in Toskana wohlbekannt als "der gute Gerhard", freilich auch als Vater einer sittenlosen Tochter, der Gaja, die ein lebendes Beispiel der Entartung der Geschlechter ist; 2. Konrad von Palazzo aus Brescia, ein Mann von solchem Ansehn, daß viele Städte ihn zum Podestà wählten; 3. Guido da Castello aus Reggio, ein Gastfreund Dantes, wie es heißt, den man, sagt der Dichter, am besten, nach dem Beispiel der Franzosen, "den einfachen Lombarden" nennt. Guido scheint danach in Frankreich sich den Ruf der schlichten Ehrlichkeit erworben zu haben, was vermutlich wenige Lombarden von sich rühmen konnten.

Dante bekräftigt die Lehre des Marco von der Trennung der weltlichen und der geistigen Gewalt durch den Hinweis auf das jüdische Gesetz, das die Leviten vom Grundbesitz ausschloß.

Dem Maulwurf gleich (dem das Fell über die Augen, wie man glaubte, gewachsen ist) wandert der Dichter durch den Rauch zurück ins Sonnenlicht, das schon die Ebene nicht mehr bescheint. Sofort macht eine Vision ihn für die Außenwelt unempfindlich. Ohne jeden Anreiz der Sinne wirkt in ihm die Phantasie, vermöge einer Gestaltungskraft, welche der Einfluß der Sterne ("der Himmel") entweder aus sich oder durch göttliche Fügung verleiht. Es beginnen die Gesichte, die vom Zorn abmahnen sollen. Prokne erscheint, die aus Rachsucht dem Tereus sein Kind als Speise vorsetzte und in eine Nachtigall oder eine Schwalbe verwandelt ward; Haman, der Peiniger der Juden, hängt am Galgen; die Gemahlin des Königs Latinus (aus der Äneis) erhängt sich vorschnell, als ein falsches Gerücht des Königs Turnus Tod meldet, und ihre Tochter Lavinia bleibt jammernd zurück.

Der Engel hilft den Wanderern zum Aufstiege nach dem nächsten Kreise so schnell, wie Menschen den eigenen Wunsch zu befriedigen pflegen. Darum heißt es: "Er tut unsertwegen, was Menschen für sich tun."

Die Seligsprechung der Friedfertigen ertönt, während der Kreis der Zornigen verlassen wird und der Flügel des Engels das dritte Sündenmal von Dantes Stirn tilgt.

Im vierten Kreise, bei den Trägen, hemmt die Nacht das Weitergehen. Virgil benutzt die Zeit, um seinen Gefährten über die Natur der sieben Sünden zu belehren. Im wesentlichen trägt er die Gedanken des Thomas von Aquino vor, jedoch weicht er in Nebenpunkten von ihm ab.

Jedes Geschöpf liebt sein eignes Glück: es kann nicht anders, seine Natur läßt ihm keine andere Wahl. Diese von aller Wahl unabhängige natürliche Liebe kann nicht irren. Dagegen kann die vernunftbegabte Seele verkehrt lieben, obschon auch sie immer ihr Glück sucht. Sie kann statt des wahren Guts (Gott) andere Güter für das Glück halten und lieben, entweder ausschließlich oder vorzugsweise oder mehr, als mit dem Streben nach Gott sich verträgt. Sie kann Gott zu wenig, sie kann andere Güter zu sehr, und sie kann Verwerfliches an sich lieben. Richtet sie ihr Begehren auf die "ersten Güter", die göttlichen Vollkommenheiten, oder erstrebt sie neben denselben maßvoll andere gute Dinge, so fehlt sie nicht. Sie geht aber gegen Gottes Willen, wenn sie das Glück im Übel sucht, oder auch, wenn sie im Trachten nach dem Guten träge ist. Immer ist Liebe der Keim der Sünde wie der Tugend. Auch der Schlechteste haßt nie sich selbst, daher auch Gott, ohne den keiner bestehen würde, im Grunde von keinem gehaßt werden kann. Niemand kann sich selbst Übles wünschen, wohl aber seinem Nächsten, wenn er nämlich glaubt, daß solches ihm selbst zum Glücke gereiche. Aus diesem Irrtum der Selbstliebe entstehen die drei Sünden, die in den unteren Kreisen des Fegefeuers gebüßt werden, "derentwegen man unten weint": der Stolz, der, um selbst zu steigen, andere erniedrigen will, der Neid, welcher zu verlieren meint, wenn andere gewinnen, der Zorn, der aus Rache anderen schaden möchte. Alle drei lieben das Übel, das anderen widerfährt. Die Trägheit dagegen liebt richtig, aber nicht eifrig genug. Sie bildet eine Klasse für sich. Eine dritte Klasse liebt etwas an sich Gutes, welches aber nicht das wahre Gut, nicht Seligkeit ist, im Übermaß. nämlich irdischen Besitz, Speise und Trank, Liebesgenuß. Die drei Sünden Geiz, Völlerei und Wollust gehören den drei oberen Kreisen an. Thomas von Aquino teilt etwas anders ein: maßlose Liebe zur Ehre, Stolz, maßlose Liebe zum Sinnengenuß, Völlerei und Wollust, - maßlose Liebe zu zeitlichen Gütern, Geiz, - Haß gegen das Gute, dessen der Nächste genießt, Neid und Zorn. Die Trägheit kommt als siebente hinzu.

Virgil setzt seine Belehrung im Geiste des Thomas von Aquino fort, das Wesen der Liebe, aus welcher alle guten und bösen Handlungen entspringen, weiter erörternd. Wie das Feuer in die Höhe strebt, aus der es (nach der scholastischen Physik) stammt und wo es ewige Dauer hat, so, mit gleicher Naturnotwendigkeit, bewegt sich die Seele, sobald die Wahrnehmung ihr die Dinge der äußeren Welt im Bilde zeigt, demjenigen zu, was ihrem Wohlgefallen entspricht: ihre Natur und das ihr Wohlgefällige binden sich in der Seele durch das Gefallen zu einem Neuen, welches die Liebe ist, wie denn die Scholastiker lehren, daß zwischen der Seele und dem, was sie liebt, eine gewisse Gemeinschaft des Wesens, connaturalitas, bestehe. Die von Liebe erfüllte Seele gerät in eine Bewegung, die das Verlangen genannt wird und die nur im Genusse des geliebten Gegenstandes zur Ruhe kömmt. Amor, desiderium, delectatio bilden in der scholastischen Psychologie eine geschlossene Kette.

Dies alles nun läßt noch unentschieden, ob das, was die Seele liebt, gut oder böse sei. Die Liebe ist "ihrem Stoffe" nach, das heißt in potentia, gut, in der Wirklichkeit aber hängt es von ihrem Gegenstande ab, ob sie gut ist oder nicht. Das Wachs mag noch so gut sein, der Stempel kann doch einen schlechten Abdruck liefern. Der Einwand, daß die Liebe, wenn sie so durch den Zwang der äußeren Eindrücke bestimmt werde, nie dem Menschen zum Verdienste gereiche, wird von Virgil nicht erledigt, weil dieser Punkt jenseits unserer Vernunft liegt und nur im Glauben Aufklärung findet; jedoch gibt er eine Lösung, so weit sein Verständnis reicht.

Virgil nennt mit der Sprache der Schule die Menschenseele "eine forma substantialis, die von der Materie verschieden und doch mit ihr vereint ist.", weil nämlich die Seele der Engel ohne Verbindung mit der Materie ist, die Seele der Tiere nur mit der Materie besteht. (Forma heißt bei den Scholastikern dasjenige, wodurch etwas aus der bloßen Möglichkeit in die Wirklichkeit übertritt, und die Form heißt substantial, wenn sie das Sein des Dinges bedingt, akzidentell, wenn sie bedingt, daß das Ding die und die Eigenschaften habe. Darum heißt die Seele, welche macht, daß der Mensch sei, "substantiale Form", während zum Beispiel das Geschlecht des Menschen eine akzidentelle Form ist.)

Wie nun die Seele die Fähigkeit der ersten Begriffe und das Begehren nach dem Guten empfange, das weiß zwar niemand. Diese an sich unfehlbare Kraft aber, das Gute zu begehren, welcher alle anderen Begehren sich anschließen sollen, hat zur Begleiterin eine andere Kraft, "welche die Schwelle des Beifalls oder der Zustimmung hütet", welche abrät oder zurät, das eine zu begehren, das andere nicht, vermöge welcher der Mensch sich für das eine oder das andere entscheidet, also die Vernunft, die den freien Willen lenkt. So besteht neben der Notwendigkeit, zu lieben, die Wahlfreiheit, gut oder schlecht zu lieben; die Moral, die Verantwortlichkeit des Menschen für sein Tun ist gerettet.

Das Ungenügende dieser Lösung scheint Dante wohl gefühlt zu haben; er verweist auf künftige Aufschlüsse, die ihm Beatrix geben werde; aber auch diese (Paradies Ges. 5, V. 19 ff.) läßt das Dunkel ungelichtet.

Während des Gesprächs geht der Mond auf, dessen Bahn an diesem Tage ungefähr mit der Sonnenbahn zusammentrifft, und den Römern geht um Frühlingsanfang die Sonne in der Richtung unter, die zwischen Sardinien und Korsika durchlaufen würde. Dante soll in Rom selbst auf diesen Umstand, den er V. 80-81 beschreibt, aufmerksam gemacht worden sein.

Den Geburtsort Virgils nennt Dante Pietola. Dies ist ein kleiner Flecken bei Mantua, angeblich das alte Andes, wo Virgil das Licht der Welt erblickt haben soll.

Im vierten Kreise herrscht ein Getümmel wie weiland bei den bacchantischen Bittfesten der Thebaner; die büßenden Trägen spornen einander an, indem sie sich erinnern, wie Maria flink war und schleunig aufs Gebirge zu der Stadt Juda ging (Lukas 1, V. 39) und wie schnell Cäsar von Brundisium nach Gallien flog, Massilia einschloß, nach Spanien ging, bei Ilerda das Heer des Pompejus zwang, die Waffen zu strecken.

Ein unter Kaiser Barbarossa 1178 verstorbener Abt des Klosters Sankt Zeno bei Verona tritt hier auf. Zu Dantes Zeit hatte Albert della Scala seinen Bastard Joseph, der verkrüppelt war, den kirchlichen Gesetzen zuwider, dort zum Abte gemacht. Er starb bald nach der hier angenommenen Zeit, im Jahre 1301. Der Abt Joseph blieb trotz eines lästerlichen Lebens bis zum rode (1314) im Amte.

Zwei andere Büßer führen als Beispiele bestrafter Saumseligkeit an, 1. daß die Israeliten, die durch das Schilfmeer gezogen waren, ihrer Kleinmütigkeit wegen alle starben, ehe sie das gelobte Land gesehen hatten, und 2. daß von den Genossen des Äneas diejenigen, welche der Abenteuer müde und des Ehrgeizes bar waren, in Sizilien zurückblieben und des Ruhmes, den ihre Gefährten erkämpften, verlustig gingen.

Die Erde, so glaubte man früher, überwinde während der Nacht durch ihre eigene Kälte die in der Luft verbliebene Sonnenwärme, und auch dem Monde und dem Saturn schrieb man kältebringenden Einfluß zu. Darauf geht die erste Terzine, die von der Stunde vor Sonnenaufgang redet. In dieser Stunde, sagt die zweite Terzine, geht am bald hell werdenden Himmel das Sternbild auf, welches gestaltet ist wie "das größte Glück der Geomanten", derjenigen, welche aus Punkten wahrsagen, die man aufs Geratewohl in den Sand oder aufs Papier macht. Entstand durch die Punkte die Figur ... so nannte man diese das größte Glück. Am südlichen Himmel hat eine Sterngruppe im Delphin, die im Frühling kurz vor Tag aufgeht, eine an die Figur erinnernde, nur schrägere Stellung. Nach anderen meint Dante den großen Bären, dessen letzten Schwanzstern nicht berücksichtigend.

Dem Dichter erscheint im Traume eine Sirene, das Bild der falschen Güter, an die der Mensch, weil er sie für schön hält, das Herz hängt. In Wahrheit ist es sein eigner liebevoller Blick, der ihr den Schein der Lieblichkeit verliehen hat. Sobald die Vernunft (Virgil) unter dem Einflusse eines heiligen Willens dem Truge die Hülle abreißt, entsteht der heilsame Ekel, welcher befreit. Der Traum deutet auf die Sünden der Sinnlichkeit, die in den nächsten Kreisen gebüßt werden. Ihrer Lockung wird "der Köder" der Sphären droben, die himmlische Freude, gegenübergestellt.

Die Seligpreisung im vierten Kreise, beati qui lugent (selig, die da trauern), steht in dem gewollten Gegensatze zur Trägheit, weil die Trauer über die Sünde zur Buße und Heiligung spornt, die Trägen aber diesem Sporn zu wenig gefolgt sind.

Um Sonnenaufgang wird der fünfte Kreis, der dem Geize gehört, erstiegen. Sein eignes Emporstreben nach dem Schlafe vergleicht Dante mit der Begier des Falken, der eben noch gesenkten Blicks auf der Stange saß, sowie er aber den Ruf des Vogels hört, den er jagen soll, sich nach diesem emporstreckt.

Die Morgensonne steht im Rücken der Wandrer, die gen Westen steigen.

Die Geizigen sind in den Staub gestreckt. Sie singen den Psalmenvers (Psalm 119, V. 25) "Meine Seele liegt un Staube". Ihre Plage lindern Hoffnung der Erlösung sind "Gerechtigkeit", die Erkenntnis, daß die Strafe verdient sei. Dem nach dem Wege fragenden Virgil antwortet einer der Schatten: "Haltet euch so, daß die rechte Hand immer nach außen gekehrt bleibe, wofern ihr vor dem Liegen (hier im Staube) sicher seid", das heißt wenn ihr nicht hier zu büßen habt. Dieser Schatten ist der Geist des Papstes Hadrian V. († 1276), welcher ein Fiesco aus dem Grafenhause Lavagna war. Der Fluß Lavagna, von dem diese Grafen sich nannten, fließt bei Chiaveri an der östlichen Riviera ins Meer. Hadrian V. regierte nur vierzig Tage; von seiner Habsucht weiß die Geschichte nichts. Als Dante erfährt, mit wem er redet, rührt sich sein Gewissen; er will knieen, und er redet den Schatten an. Der Papst verweist es ihm; das Amt gilt nur auf Erden. Mit dem Tod erlischt jede Ehe, nach Matthäi 22, V. 30 ("Neque nubent etc.: in der Auferstehung freien sie nicht, noch werden sie gefreit"), und ebenso die symbolische Ehe zwischen Papst und Kirche.

Von Hadrians noch lebenden Verwandten kümmert allein seine Nichte Alagia sich um sein Seelenheil. Sie soll die Gemahlin des Moroello Malaspina, des Gastfreundes Dantes, gewesen sein. Daß sie sich rühmlich von anderen Frauen des berühmten genuesischen Hauses unterschied, gibt die letzte Terzine zu verstehen.

Dantes Wille, den Geist zu befragen, wird besiegt von dem besseren Willen des Büßers, für das Heil der Seele zu sorgen. Drum wendet er sich zu den anderen Geistern, aus deren Augen die Sünde in Reuetränen hinwegfließt. Die Avaritia wird hier ausdrücklich die alte Wölfin genannt, als welche sie im ersten Gesange der Hölle erscheint. Geiz und Habgier sind dem Dichter das herrschende, verderblichste Laster der Zeit.

Einer der Geister preist die Armut Marias, die Geldverachtung des römischen Fabricius, die Freigebigkeit des heiligen Nikolaus, der einem armen Vater, als dieser seine drei Töchter verkaufen wollte, dreimal die Aussteuer schenkte, damit die Mädchen ehrbar verheiratet würden. Dante fragt, warum der Geist allein, nicht im Chor mit den anderen, wie es in den untersten Kreisen geschah, die heiligen Beispiele verkünde. Darauf gibt der Geist sich zu erkennen als Stammvater des französischen Königshauses, dieses weltüberschattenden Unkrauts, Hugo Capet. Zu Dantes Zeit (darauf spielt der Geist an) hätten die Städte Flanderns, mit denen Philipp der Schöne schwere Kämpfe zu bestehen hatte, die Ausrottung dieses Unkrauts gern übernommen, wenn nur ihre Macht größer gewesen wäre. Im Jahr 1303 schlugen die Städte bei Courtray das Iranzösische Heer und zwangen den König, einen großen Teil seines Länderraubs fahren zu lassen.

Im Mittelalter existierte eine Sage, an die Dante geglaubt hat, daß Hugo Capet eines reichen Pariser Fleitichers Sohn gewesen sei und daß nicht er selbst, sondern sein Sohn die Krone getragen habe. Ebenso ungeschichtlich ist Dantes Anspielung auf den letzten Karolinger, der wie ein Mönch in Grau sich gekleidet habe.

Die Verderbnis des französischen Königshauses begann (nach Dantes Darstellung), als Ludwigs IX. Bruder Karl von Anjou dem Grafen Raimund von Toulouse die Erbtochter Raimunds von der Provence abgejagt und das Land des letzteren erworben hatte. Philipp der Schöne entriß durch Hinterlist den Engländern Ponthieu und die Gascogne, nicht die Normandie, wie Dante irrtümlich annimmt; diese war schon seit hundert Jahren französisch, Die französische Ländergier wird mit besonders bitterem Sarkasmus als eine Sünderin dargestellt, die, nach verübtem Frevel, "zur Buße" einen noch größeren begeht. Daß bei einem solchen Anlasse Karl von Anjou den heiligen Thomas von Aquino, in dem er einen politischen Gegner fürchtete, habe vergiften lassen, wird auch von anderen Schriftstellern bezeugt.

Philipps des Schönen Bruder Karl von Valois, dessen der Geist V. 67 ff. erwähnt, ist Dantes unmittelbarer Feind und Widersacher. Bonifaz VIII. rief ihn 1301 nach Italien, damit er in Florenz die Ghibellinen stürze, in Sizilien Friedrich von Aragon bekämpfe. Mit "der Lanze des Judas", verräterisch, siegte er in Florenz; in Sizilien dagegen mußte er sich zu schimpflichem Frieden bequemen, Karl ohne Land nannten ihn die Italiener. Sein Vetter Karl II. von Neapel (Sohn Karls von Anjou) fiel 1282 auf See in die Hände des Königs von Aragon. Nach sechsjähriger Gefangenschaft in sein Reich zurückgekehrt, verheiratete er 1305 seine Tochter mit dem alten Azzo von Este, um Geld, wie es hieß. Der ärgste Frevel aber war, daß Philipp der Schöne 1305 durch Sciarra Colonna den Papst selbst in Alagna (heute Anagni) gefangen nehmen ließ. Obwohl der verhaßte Bonifaz das Opfer war, verdammt Dante die Gewalttat, als ob sie an Christus selbst verübt wäre. Freilich wurde Bonifaz nicht umgebracht, doch starb er bald nach der Gefangennahme, die er so würdevoll ertrug, daß er den Vergleich mit Christus einigermaßen verdiente. Daß hiernach Philipp der neue Pilatus heißt, erklärt sich von selbst. Die Unterdrückung des Tempelordens, bei der Habsucht ihn vorzugsweise leitete, wird nebenbei gebrandmarkt, wo davon gesprochen wird, daß er mit gierigem Segel nach dem Tempel steuerte.

Gottes Rache auf sein Haus herabflehend, erklärt der Geist zugleich, weshalb Gott den Freveln so geduldig zusehe. Noch sei die Rache in den Geheimnissen der Zukunft verborgen, aber sie sei sicher und von Gott vorausgewußt; darum mache sie seinen Zorn gelassen.

Schließlich beantwortet der Geist die Frage, weshalb er allein für sich die Armut Marias preise. Bei Tage beschäftigen sich die Büßer mit Beispielen heiliger Armut, nachts mit Beispielen des Geizes. Dann erinnern sie sich, wie Pygmalion von Tyrus seinen Schwager Sichäus, Didos Gemahl, um seiner Schätze willen umbrachte, wie Midas mitten im Golde verhungerte, wie Achan gesteinigt ward, als er aus der Beute Jerichos einen babylonischen Mantel, zweihundert Säckel Silbers und fünfzig Säckel Goldes unterschlug (Josua 7), wie Heliodor, da er Zion berauben wollte, den Tod fand (2. Makkabäer 3), wie Ananias und Sapphira sterben mußten, weil sie das Gut der Gemeinde entwandten (Apostelgeschichte 5), wie Hekuba dem König Polymnestor, der um Geld ihren Sohn Polydor tötete, wütend die Augen auskratzte, wie die Parther den Kopf des Crassus in geschmolzenes Gold tauchten, sprechend: nach Gold hast du gedürstet, nun hast du es getrunken.

Ein Erbeben des Berges folgt nun, welches mit dem Erzittern der Insel Delos verglichen wird. Dies Eiland schwamm im Meere, bevor Latona dort Apoll und Diana (Sonne und Mond) gebar. Die Ursache der Erschütterung wird im nächsten Gesang erklärt.

Voll Mitleid mit der "gerechten (wohlverdienten) Pein" der Geizigen wandert Dante weiter, dürstend nach Wahrheit wie die Samariterin (Ev. Johannis 4, V. 15); da gesellt sich zu ihm und Virgil, von hinten kommend, ein Geist, wie Jesus zu den ihn nicht erkennenden Jüngern, die nach Emaus wanderten. Der Geist begrüßt sie und erklärt auf Virgils Frage das Beben des Berges, das nicht wie gewöhnliche Erdbeben dem Walten der Naturkräfte entsprang. Das Reich der letzteren endet an der dreistufigen Treppe, dem Eingange ins Fegefeuer; niemals sieht man innerhalb des Tors, wo der Engel mit den Schlüsseln sitzt, die Tochter des Thaumas, Iris; nie fühlt man, wie die Erde von den Winden in ihrem Innern erchüttert wird. Der Berg zittert, weil etwas, das vom Himmel stammt, eine Menschenseele, zum Himmel wieder einzugehen sich anschickt, ihre Läuterung auf dem Berge vollendet ist. Dieser Augenblick tritt ein, wann die Seele im Gefühl ihrer Entsühnung den Übergang freudig will. An sich wird sie immer die Seligkeit wollen, aber der Wunsch, durch Buße der Gerechtigkeit zu genügen, hebt dies erste Wollen auf; gegen den eingeborenen Trieb begehrt sie im Fegefeuer nach der Folter, wie sie auf Erden nach sündhafter Lust begehrte. Erst nachdem sie sich geläutert weiß, will und kann sie sich zur Seligkeit aufschwingen.

Der redende Geist ist eine solche freigewordene Seele; ihm galten das Beben des Berges und der Freudenhymnus der zurückbleibenden Büßer. Es ist der römische Dichter Statius (aus Neapel, nicht aus Toulouse, wie man zu Dantes Zeit annahm). Seine beiden Heldengedichte Thebais und Achilleis hat Dante, wie viele Stellen der Divina Commedia zeigen, mit Eifer gelesen. Unter der Last der Achilleis ist Statius "am Wege gefallen", das heißt gestorben, eh' er sie vollendete. Er erwarb in Rom dreimal den Siegerpreis und den Ruhm, "der am längsten währt", den dichterischen. Dazu ist zu bemerken, daß im Mittelalter Statius weit höher geschätzt ward als heutzutage.

Vor dem Aufstiege zum sechsten Kreise tilgt wieder ein Engel eins der Sündenmale von Dantes Stirn. Er entläßt ihn mit der Seligsprechung derer, "die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit", des Widerspiels der nach Gold Dürstenden. Doch unterdrückt der Engel das Wort "hungert", welches erst im sechsten Kreise bei Wiederholung derselben Seligsprechung seine Anwendung findet.

Was Statius von seiner Verschwendung und seiner Bekehrung erzählt, scheint freie Erfindung Dantes. Geiz und Verschwendung werden im Fegefeuer wie in der Hölle in demselben Kreise gestraft, daher Statius sagt, ohne zeitige Bekehrung würde er jetzt in der Hölle die böse Last wälzen und einst mit kahlem Kopfe auferstehen (vergl. Hölle Ges. 7, V. 27 u. 56). Den ersten Anstoß zur Bekehrung verdankt Statius dem Virgilischen Verse:

Quid non mortalia peetora regis,Auri sacra fames! (Aeneis III, 56.)

Anscheinend übersetzt Statius den Vers unrichtig. Der lateinische Text sagt: "Wozu zwingst du nicht die Menschenherzen, verfluchter Golddurst!" Man sagt , Dante habe quid für "warum" und sacra im gewöhnlichen Sinne für "heilig" genommen und verstanden: "Du heiliger, von Gott gewollter Golddurst, weise und richtige Wertschätzung des irdischen Gutes, die toller Verschwendung entgegengesetzt ist, warum zwingst, regierst du nicht die Menschenherzen?" Gegen diese Erklärung sträubt sich etwas in mir, doch weiß ich keine bessere. Nach einer anderen an sich verdächtigen Lesart, die statt perche (warum) a che (wozu) setzt, würde Statius zwar richtig übersetzen: "Wozu zwingst du nicht, verfluchter Golddurst usw."; allein dann entstehen zwei neue Schwierigkeiten: das italienische sacra müßte "verflucht` bedeuten, während es sonst immer nur für heilig steht, und der Golddurst, der nicht auf Verschwender paßt, müßte identifiziert werden mit dem Durste nach den Dingen, für welche Statius sein Gold wegwarf. Da kömmt mir die erste Erklärung doch noch ungezwungener vor.

Virgil fragt den Statius: damals, als du den Bruderkrieg um Theben unter Anrufung der heidnischen Musen sangst, wer führte dich zuerst auf den Weg zur Kirche Petri des Fischers? Und wieder nennt Statius als seinen ersten Erleuchter Virgil, sich beziehend auf die berühmten Verse der vierten Ekloge, die im Mittelalter als Weissagung der Geburt Christi gedeutet wurden und ohne Zweifel viel zu dem hohen Ansehen, in welchem Virgils Name stand, beitrugen.

Jam redit et virgo, redeant Saturnia regna,Jam nova progenies eoelo demittitur alto.

(Schon kehrt wieder die Jungfrau, schon die saturnische Herrschaft,Schon wird neues Geschlecht von den Höhen des Himmels entsendet.)

Diese Worte, welche auf eine Wiederkehr der Jungfrau Asträa, der himmlischen Rechtspenderin, und des goldenen Zeitalters hinweisen, wurden von der frommen Auslegung mit der bekannten Stelle im Jesaias in Zusammenhang gebracht und das Wort progenies (welches auch ein einzelnes Kind bedeuten kann) auf den Sohn der Iungfrau bezogen. Unbewußt, nahm man an, hätten Virgil und die Sibyllen in dunklen Worten das Licht, das sie selbst nicht sahen, angekündigt.

Statius starb gegen das Ende des ersten Jahrhunderts, zwölfhundert Jahre vor Dantes Ankunft im Fegefeuer. Davon hat er vierhundert Jahre bei den Trägen, fünfhundert hei den Geizigen zugebracht, mithin dreihundert entweder in anderen Kreisen oder im Vorpurgatorium.

Virgil gedenkt der römischen und griechischen Dichter, die, im Limbus vereinigt, sich der Musen, der Ammen der Poeten, erinnern, und er versichert den Statius, daß in jenem bevorzugten Revier der Unterwelt auch die von ihm, Statius, besungenen tugendhaften Griechinnen sich befinden, Antigone und Ismene, des Tydeus Gemahlin Deiphile, Argia, das Weib des Polynices; sodann Hypsipyle, die dem dürstenden Heere der Sieben die Quelle Langia zeigte, Manto, des Tiresias Tochter, Thetis, Deidamia und die anderen Königstöchter aus Skyros, unter denen Thetis den Knaben Achilles in Mädchentracht versteckte, lauter Personen, die in der Thebais oder in der Achilleis vorkommen. Daß Manto in der "Hölle" unter den Wahrsagern (Ges. 20, V. 52 ff.) aufgeführt wird, hat Dante hier anscheinend vergessen.

Nach zehn Uhr vormittags gelangen die drei Dichter zu den Schlemmern des sechsten Kreises. Vier Horen sind schon vom Dienste frei, die fünfte lenkt jetzt die noch nach oben gerichtete Deichsel des Sonnenwagens.

In diesem Kreise erblickt man Abbilder und Abkömmlinge des Baums, von dem Eva die verbotene Frucht pflückte, der Wipfel wie eine umgekehrte Tanne nach unten sich verjüngend. Der Hunger, der die Büßenden peinigt, wird verschärft durch den Anblick und Geruch der Früchte. In den Zweigen des ersten Baumes ertönt eine Stimme, die verschiedene Beispiele frugalen Lebens preist: Maria, die beim Hochzeitsmahle mehr an die Verlegenheit der Wirte als an den eigenen Genuß dachte; die Frauen Roms, denen der Wein verboten war; Daniel, der Nebukadnezars Speise und Trank verschmähte und Weisheit und Verstand in allerlei Schrift erwarb; die Menschen des goldenen Zeitalters; den Täufer Johannes, der sich von Heuschrecken und wildem Honig nährte und von dem geschrieben steht, es sei kein Größerer denn er aufgekommen unter allen vom Weibe Geborenen (Matthäi 11, V. 11).

Der Mund, der auf Erden sich dem Schlemmen und Prassen öffnete, dient im Fegefeuer der Buße und dem Lobe Gottes. Die Geister singen aus dem 51. Psalm den Vers "Domine, labia mea aperies, Herr, tue meine Lippen auf, daß mein Mund deinen Ruhm verkündige." Sie erscheinen in grauenhafter Abmagerung, erinnernd an den von Ceres mit unersättlichem Hunger bestraften Erysichthon, der seine eigenen Glieder, "voll Grausens vor dem Mahle", anfraß, oder an die Juden im belagerten Jerusalem, deren entsetzliche Not Josephus beschreibt. Hungernde drangen in das Haus einer Jüdin namens Maria und heischten Speise; sie bot ihnen die Reste des von ihr verzehrten Kindes; mit einem Raubvogel vergleicht Dante sie. Die fleischlosen Gesichter erinnern ihn an den scholastischen Einfall, daß man im Antlitz des Menschen die Buchstaben OMO (homo Mensch) finde; das M, von den Augenhöhlen und der Nase gebildet, trat durch die Magerkeit scharf hervor. Die Haut ist vom Dürsten dürr, mit Schuppen oder Grind vergleichbar. Diese Magerkeit entsteht durch die Begier, welche der Duft der Früchte und des Wassers in dem Wipfel der mystischen Bäume den Büßern erweckt. Sie macht alle unkenntlich. Nur an der Stimme erkennt Dante seinen Freund Forese Donati, einen Verwandten seiner Frau, Bruder des berühmten Parteiführers Corso Donati. Nach V. 115 ff. scheint es, daß Dante und Forese in jungen Jahren gemeinsam sich der guten Dinge dieser Welt in einem Maße erfreuten, welches nachher dem gereifteren Manne sündlich erschien. Forese wurde vermutlich erst dann reuig, als Krankheit ihn am Sündigen hinderte, und er hätte deshalb eigentlich die Zahl seiner Lebensjahre im Vorpurgatorium warten müssen, wäre nicht die Fürbitte seiner Frau gewesen, die tugendhaft war, obwohl sie allein "in der Barbagia" zurückblieb. Die Barbagia hieß ein Landstrich Sardiniens, dessen Bewohner halb Wilde waren; sie kannten keine Ehe, die Weiber gingen halbnackt usw. Deshalb nennt Forese mit diesem Namen das sittenlose Florenz, wo gegen den Luxus der oft wenig sittsamen Frauentrachten wiederholte weltliche und geistliche Verbote sich unwirksam zeigten. Der Stadt wird in Aussicht gestellt, daß über sie Gottes Gericht hereinbrechen wird, ehe denen, die heute Kinder sind, der erste Flaum sprießt.

Der V. 120 gebrauchte Ausdruck "die Schwester des Sonnengotts zeigte sich rund" bedeutet, daß es Vollmond war.

Im Weitergehen bedeutet Dante den Forese Donati, daß Statius nur Virgils wegen sie begleite, und erkundigt sich nach dem Schicksal seiner schönen Schwester Piccarda Donati, die wir hernach im ersten Himmel (Paradies Ges. 3, V. 49) antreffen werden, Forese nennt ihm dann einige der Büßer, den Dichter Buonagiunta aus Lucca und den Papst Martin IV. († 1285) aus Tours, der die fetten Aale aus dem See Bolsena, zumal in Wein gekocht, zu sehr geliebt hat. Ferner Ubaldino von Pila, aus altem mächtigem Geschlechte, Bruder des im 10. Gesange der "Hölle" genannten "Kardinals" und Vater des Erzbischofs Roger, der den Ugolino verhungern ließ; Bonifazius, Erzbischof von Ravenna (1274 ff.), einen Fiesco aus Genua; und Messer Marchese aus Forli, einen landkundig lustigen Zecher, von dem erzählt wird, er habe auf den Vorhalt, daß er nichts tue als trinken, geantwortet: "Ich habe immer Durst."

Der Dichter aus Lucca, Buonagiunta, fesselt Dantes Aufmerksamkeit, indem er Worte murmelt, aus denen Dame nur das eine "Gentucca" versteht. Aufgefordert, sich deutlicher zu erklären, weissagt der Geist, daß Dante einst in Lucca durch die Freundschaft einer edlen Dame werde beglückt werden, und daß eben diese Gentucca hieß, haben neuere Durchforscher der Lucchesischen Archive wahrscheinlich gemacht. Zu Dantes Zeit lebten mindestens zwei Frauen edlen Standes in Lucca, die den Taufnamen Gentucca führten.

Der Lucchese begrüßt hierauf in Dante den Kunstgenossen und den Verfasser der Canzone Donne, che avete intelletto di amore. Es knüpft sich ein merkwürdiges Gespräch an, in welchem Dante seinen poetischen Stil kurz charakterisiert und dem anderen das Geständnis abnötigt, daß die Dichter der alten Schule (Buonagiunta selbst, Fra Guittone von Arezzo und der Notar Lentino von Sizilien) das Geheimnis, einfach dem Diktat der Liebe zu folgen, nicht gekannt hätten, daß aber, wer darüber noch hinausstrebe, vom Stil nichts verstehe.

Weiterhin weissagt Forese den baldigen Sturz seines Bruders Corso Donati, des mächtigen Führers der "Schwarzen". Nach Austreibung der "Weißen" überwarf dieser Parteiführer sich mit den eigenen Anhängern und ward 1307 in einem Tumulte getötet, nach einigen vom Pferde auf der Flucht zu Tode geschleift.

Eine Stimme im Wipfel des weiten Fruchtbaums warnt vor den Sünden des Bauchs. Sie erinnert an das vom Ixion mit der junonischen Wolke erzeugte Geschlecht der Centauren, Geschöpfe, die eine Menschen- und eine Pferdebrust haben. Diese gingen durch Unmäßigkeit zugrunde. Die Stimme verweist dann auf die Geschichte Gideons (Buch der Richter 7, V. 3-7), der in seinem Heere nur dreihundert fand, welche beim Trinken Maß hielten, und mit diesem Häuflein die Midianiter schlug.

Die Sonne hat dem Sternbilde des Stiers bereits den Meridian überlassen; in der entgegengesetzten Hemisphäre, wo Nacht herrscht, ist Mitternacht vorüber, und der Skorpion passiert dort den Meridian; mit anderen Worten: es ist mittlerweile auf dem heiligen Berge gegen zwei Uhr nachmittags, da um Frühlingsanfang der Stier etwa zwei Stunden nach der Sonne kulminiert. Daher ist es Zeit, zu eilen, weil bis Abend nur noch vier Stunden sind.

Ein der Scholastik des Mittelalters natürlicher Zweifel versetzt Dante in höchste Spannung (dem Bogen gleich, der bis zur eisernen Pfeilspitze, also so weit wie möglich, angezogen wird), wie nämlich Geister, die doch keiner Nahrung bedürfen, so abmagern können wie die Büßer des sechsten Kreises. Virgil erinnert ihn an Meleager, der ja auch nicht durch Fasten, sondern durch mystischen Zusammenhang mit dem Verbrennen eines Holzscheits abzehrte, und an die Analogie eines Spiegels, der Erscheinungen zeigt, welche nicht ihm selbst eigen sind. Weil es sich aber um einen Punkt der christlichen Lehre handelt, überläßt er dem Statius die Erklärung. Diese nun ist wie folgt zu verstehen:

Alles Blut besitzt organebildende Kraft, jedes für den Teil des Leibes, den es ernährt. Ein Teil aber des Blutes wird, statt vermittels der Adern den Leib zu nähren, für den Zweck der Zeugung aufgespart, ähnlich wie man die nicht zur Sättigung verbrauchten Speisen von der Tafel aufhebt. Dieser Teil des Blutes ist zwiefach geläutert, einmal indem es aus Speise Blut, sodann indem es vom Herzen für den gedachten Zweck ausgesondert ward. Dieses ausgesonderte Blut hat wie das Herz selbst formgebende Kraft nicht für einzelne, sondern für alle Glieder. So wie es aus dem Herzen, "dem vollkommenen Orte", dem Quell der gestaltenden Kraft, gekommen ist, vereinigt es sich im Zeugungsakte mit dem weiblichen Blute, das gestaltende mit dem leidenden Elemente, und belebt dasjenige, was ihm den passiven Stoff bietet, den mütterlichen Keim. Mit diesem Moment wird die gestaltende Kraft zur Seele, zunächst der anima vegetativa oder Pflanzenseele gleich, nur mit dem Unterschiede, daß die Pflanzenseele schon am Ziel der Reise ist, sobald sie entsteht, diese embryonische Seele dagegen weiterstrebt. Aus der vegetativen entwickelt sich die sensitive Seele, anfänglich derjenigen der niederen Tiere (Polypen usw.) ähnelnd, allmählich aber die aus dem Herzen des Erzeugers mitgebrachte organebildende Kraft entfallend und die einzelnen Glieder, wie sie dort in potentia schon vorgebildet waren, wirklich formend. Wie aber wird aus der sensitiven oder animalischen die Menschenseele? An dieser Schwierigkeit ist ein Weiserer als Dante, ist der große Aristoteles selbst gescheitert, welcher lehrt, daß der Intellekt, da derselbe kein körperliches Organ habe, vom Körper gänzlich unabhängig sei. Die Wahrheit ist, daß die menschliche Seele zwar nicht durch einen Zeugungsakt, sondern unmittelbar durch göttliche Schöpfung entsteht, daß sie aber nicht als etwas dem Körper Fremdes, sondern als eins mit der vegetativen und der sensitiven Seele dem Embryo zuteil wird. Der Hauch Gottes rafft die vegetative und die sensitive Seele an sich, vereinigt sie mit sich zu einer unteilbaren Substanz. Es ist also nur eine Seele im Menschen, wie Dante schon im Eingange des 4. Gesangs betont hat. Wenn der Mensch stirbt (wenn es der Parze Lachesis an Leinenfaden zum Weiterspinnen fehlt), so trennt sich zwar die Seele vom Körper, sie nimmt aber alle ihre Eigenschaften, göttliche wie irdische, mit sich ins Jenseits, die niederen Kräfte freilich nur als Möglichkeiten (in potentia) oder "stumm", alle übrigen aber gesteigert.

Die abgeschiedene Seele gelangt von selbst "an eins der beiden Gestade", entweder an den Höllenfluß oder an den Tiberstrom, wo die Einschiffung nach dem Fegefeuer stattfindet. Sie behält ihre bildende Kraft, vis formativa, die im Leben den Leib gestaltet hat, auch im neuen Aufenthalt, und hier nun nimmt die sie umgebende Luft den Eindruck dieser Gestaltungskraft an, ähnlich wie die Regenwolke die Wirkung des irisbildenden Sonnenstrahls annimmt. Ein Schattenleib entsteht, der ihr überall folgt wie die Flamme der Feuerglut, der dem Auge sichtbar ist, der allen Empfindungen Organe verleiht, alle Affekte widerspiegelt wie der natürliche Leib und folglich auch - dies war der dunkle Punkt - mit der Empfindung des Hungers die entsprechende äußere Erscheinung verknüpft.

Die Theorie vom Wesen und der Entstehung der Seele ist der Lehre des Thomas von Aquino entlehnt; nur der (dem Dichter unentbehrliche) Scheinleib der Geister wird von dem Theologen verneint.

Die Dichter gelangen in den siebenten und letzten Kreis, wo die Sünden der Wollust getilgt werden. Die Geister wandern hier in einem Feuer, das aus der Bergwand fährt und den Sims ungangbar machen würde, wenn nicht ein vom Rande her wehender Wind die Flammen nach oben zurückböge, einen schmalen Weg hart am Abgrunde freihaltend. Die Büßer singen ein altes Kirchengebet Summae Deus clementiae, das im weiteren Text u. a. Herzensreinheit und Abwehr böser Lust erfleht. Wie in allen sieben Kreisen immer zuerst das Beispiel der Jungfrau Maria angeführt wird, so zitieren auch hier die Geister die Stelle des Evangeliums, wo Maria sagt, daß sie von keinem Manne wisse, virum non cognosco. Und der Regel gemäß folgt das warnende Beispiel der von Jupiter verführten und dafür von Diana schrecklich gestraften Nymphe Callisto.

Das Aufsteigen zum siebenten Kreise hat von zwei Uhr bis zu tiefem Sonnenstande gewährt; die Sonne trifft jetzt die rechte Schulter der Wanderer, die also nach Süden gehen. Dante hat, seit er das zweite Sims verließ, den vierten Teil des Bergumkreises zurückgelegt; denn damals war sein Gesicht westwärts gerichtet. Daß er hinter Virgil und Statius geht, aus Ehrfurcht, erfahren wir aus V. 16, 17.

Die beiden aneinander vorüberziehenden Sünderheere, von denen das eine "Sodom und Gomorrha", das andere "Pasiphaë" ruft, schärfen durch diese Namen ihren Abscheu vor den Lastern, denen sie im Leben gefrönt haben. Dante vergleicht die beiden Büßerzüge mit zwei Kranichschwärmen, wenn von diesen (was freilich nie geschieht) der eine nach dem Uralgebirge, den riphäischen Bergen, der andere nach Süden übers Meer flöge.

Nachdem Dante den Geistern gesagt hat, daß er weder alt noch jung ("nicht reif noch herbe") gestorben, sondern mit seinen ganzen Ich ("mit mir selber", Körper und Seele) hier sei, erklärt einer der Schatten ihm die Einteilung der Büßer in solche, die dem Laster Sodoms ergeben waren, und in solche, die durch Maßlosigkeit im natürlichen Genusse sich den Tieren gleichstellten und deshalb ihr abschreckendes Exempel in der Pasiphaë, die sich in das Bild einer Kuh verbarg, erkennen. Die Anspielung auf Julius Cäsar bezieht sich auf Suetons Erzählung, daß die Soldaten Cäsars ihm bei seinem Triumphzuge den Spitznamen "Königin" zugerufen hätten, weil er nach der Lästerchronik Roms als Jüngling am Hofe des bithynischen Königs Nikomedes die Rolle des Weibes gespielt habe.

Der redende Geist ist Guido Guinicelli, der nämliche, dessen Dame im 11. Gesange als eines berühmten, aber in seinem Ruhme bedrohten Dichters gedacht hat. Er war Bolognese und Dantes Vorgänger in der Canzonendichtung. Dante empfindet bei der Begegnung mit diesem seinem "Vater in der Poesie", wie die beiden Jünglinge, die, beim König Lykurg von Nemea einkehrend, ihre Mutter Hypsipyle, die der König eben töten wollte, erkannten und ihr weinend um den Hals fielen. Auch er hätte gern den Meister umarmt, wenn das Feuer es zugelassen hätte. Die "Trauer Lykurgs" heißt es, weil Hypsipyle schuld war, daß sein Sohn ums Leben kam.

Guinicelli lehnt das ihm gespendete Lob ab, auf einen anderen Büßer hinweisend, der größer als alle, größer auch als der gepriesene Limosiner Giraut de Borneil († 1220) sei. Er meint den Provenzalen Arnault Daniel († 1189), den auch Petrarca Gran maestro d'amore nennt, Girauts Ruhm, meint Guido, sei durch das Geschrei Urteilsunfähiger entstanden, ähnlich wie in Italien der Ruhm jenes Guittone, von dem es im 11. Gesange heißt, daß ein anderer Guido ihn verdrängt habe.

Arnault Daniel redet dann selbst mit Dame, und zwar in provenzalischer Sprache. Diesen realistischen Pinselstrich kann die Übersetzung nicht wiedergeben. Man hat freilich auch dies versucht, zum Beispiel durch Benutzung des Mittelhochdeutschen; aber die Wirkung ist ganz verfehlt. Dantes Italienisch und das Provenzalische des Arnault nehmen sich wie zwei Schwestern aus, nicht wie Enkelin und Urahne.

Guinicelli bittet Dante um ein Paternoster, "so viel davon für die Seelen im Fegefeuer not tut"; die Bitte "führe uns nicht in Versuchung" ist, wie wir schon früher gehört haben, für sie überflüssig.

Ähnlich wie im 2. Gesange wird die Zeit bestimmt. Die Annahme ist, dat Jerusalem 90 Grade westlich von Indien, ebensoweit östlich von Spanien und dem Fegefeuer antipodisch liegt. Wenn also in Jerusalem die Sonne aufgeht, ist in Indien Mittag, in Spanien Mitternacht, auf dem Berge des Fegefeuers Sonnenuntergang.

Um diese Stunde erreichen die drei Wanderer die Grenze zwischen dem Fegefeuer und dem irdischen Paradiese, die aus einem Feuerwall besteht. Dante, halbtot ob des feurigen Weges, lebt bei dem Namen Beatrix wieder auf, wie Pyramus unter dem verhängnisvollen Maulbeerbaume, dessen Früchte von seinem Blute rot wurden, die sterbenden Augen aufschlug, als er Thisbes Stimme vernahm. Sie steigen den letzten Hang hinan, gen Osten gerichtet, denn Dantes Körper nimmt vor seinen Füßen den Strahl der untergehenden Sonne hinweg. Der erste Aufstieg geschah westwärts; der halbe Berg ist also jetzt umkreist.

Auf der letzten Stiege wird übernachtet. Dante sieht im Traume Lea, die ihm von ihrer Schwester Rahel singt. Lea ist in der kirchlichen Symbolik die werktätige, Rahel die beschauliche Heiligkeit. Sie bedeuten die beiden Wege zur Seligkeit, an deren Schwelle der Dichter sich befindet, die Ausübung der Liebeswerke, mit denen Lea sich wie mit Blumen schmückt, und das Erkennen des Göttlichen, in dessen Betrachtung Rahel sich versenkt.

Auf dem Gipfel des Berges, wo das irdische Paradies die mit Gott versöhnten Geister empfängt, legt Virgil, seiner menschlichen Beschränktheit gemäß, das Führeramt nieder und entläßt Dante aus seiner Obhut. Einmal entsündigt, braucht der Wille nur den eigenen Eingebungen zu folgen; sie führen sicher zu Gott. Kirche und Obrigkeit, der sündigen Welt unentbehrlich, verlieren ihre Geltung für die ans Ziel Gelangten: Krone und Mitra trägt jeder für sich selbst; kein Kaiser und kein Papst hat ihm mehr zu gebieten. Nach einer anderen Auslegung sind Krone und Mitra der kaiserliche Hauptschmuck allein, der sich allerdings in der Form von den Königskronen durch eine der Bischofsmütze ähnliche Kappe unterschied. Danach würde Virgil Dante nur von jener obrigkeitlichen Gewalt emanzipieren, die auf Erden die Menschheit "nach den Lehren der Philosophie" zum glückseligen Leben zu leiten hat, nicht aber von der Führung der Kirche. Und allerdings erscheint in dem weiteren Verlaufe des Gedichts Dante der letzteren, die in Beatrix sich verkörpert, keineswegs entwachsen.

Die herrliche Waldung des Paradieses wird mit dem berühmten Pinienhain verglichen, der unweit Ravenna den Strand von Chiassi schmückt. Daß das irdische Paradies auf unnahbaren Höhen irgendwo im Osten liege, war die Ansicht der berühmtesten scholastischen Theologen; es unmittelbar mit dem Fegefeuer in Verbindung zu bringen, war Dantes eigener Gedanke. In dem Walde neigen alle Blätter sich nach Osten, gemäß der Annahme, daß die Erdatmosphäre sich in dieser Richtung, von örtlichen Störungen in den unteren Regionen abgesehen, um die unbewegte Erde langsam drehe. Ein Fluß durchströmt den Wald; er biegt das Gras des Ufers nach links hin, fließt mithin nach Norden, da der Dichter, von Westen nach Osten schreitend, den Norden zur linken Hand hat.

Am jenseitigen Ufer erblickt Dante ein Weib, singend, blumenpflückend wie Proserpina, ehe Pluto sie ergriff, schöner blickend, als Venus blickte, da ihr Sohn Amor sie unabsichtlich ("wider seinen Brauch") verwundete, das heißt da sie in Liebe zum Adonis entbrannte; denn unbewußt, wie Ovid erzählt, entzündete Amor diese Glut. Erst im letzten Gesänge des Fegefeuers wird ganz beiläufig der Name der schönen Frau, Mathilde, genannt, und zwar so, als ob Dante ihn schon kenne. Auch hier beim ersten Begegnen scheinen die beiden einander zu kennen; keins fragt nach dem Namen des andren, wie es überall sonst in der Göttlichen Komödie die Regel ist. Wen Dante mit dieser Mathilde gemeint habe, ist ein Gegenstand endloser Kontroversen gewesen. Ziemlich deutlich ist, daß diese blumenpflückende, singende, belehrende Schöne der Lage des Traums im vorigen Gesange entspricht und die werktätige Seite der Heiligkeit darstellt, wie die gleich hernach erscheinende Beatrix das Gegenbild Rahels, der beschaulichen Heiligkeit, ist. Ebenso klar ist, daß der Name Mathilde irgend eine wirkliche Person bedeuten muß.

Die meisten Ausleger haben geglaubt, die berühmte Gräfin von Toskana, Gregors VII. Freundin, sei gemeint; ihres kirchlichen Eifers wegen habe Dante sie zur Vertreterin der frommen Werktätigkeit erwählt. Gegen diese Annahme spricht der Umstand, daß die Art, wie die Gräfin Mathilde dem Papste gegen den Kaiser beistand und die weltlichen Reichtümer der Kirche vermehrte, dem Danteschen Ideal schnurstracks zuwiderlief. Die ganze Art sodann, wie er diese Figur malt mit zarten, sogar zärtlichen Farben, macht es unglaublich, daß er an die kriegerische Gräfin gedacht habe. Eine Person der Staatengeschichte einzuführen und erst fünf Gesänge später ihren Namen zu nennen, ist durchaus gegen des Dichters Gewohnheit und ließe sich hier durch irgend einen künstlerischen, symbolischen oder sonstigen Zweck kaum erklären. Der Schleier, den Dante über die Identität der Mathilde ausbreitet und erst am Ende mit leichter Hand lüftet, deutet darauf hin, daß er diese Gestalt dem engsten und vertrautesten Kreise seines eigenen Lebens entnahm, wie die Zentralfigur Beatrix selbst, nur mit dem Unterschiede, daß er irgend eine Ursache hatte, die von ihm gemeinte Person minder genau zu bezeichnen. In der Schrift Vita nuova zeigt uns Dante seine angebetete Beatrice umgeben von anmutigen Freundinnen, von denen manche ihm selbst, dem Sänger holder Canzonen und Sonette, hold entgegenkam. Unter diesen erwähnt er, ohne sie zu nennen, einer jungen Freundin, die seine Liebe zu Beatrice begünstigte, und sogar gefällig genug war, der klatschsüchtigen Welt gegenüber die Rolle zu spielen, als ob ihr Dantes Huldigungen gölten. Der neueste Herausgeber der Divina Commedia Scartazzini hat es mir wenigstens sehr glaubhaft gemacht, daß Dante eine von Beatricens Freundinnen, der er besonderen Dank schuldete, und wahrscheinlich eben jene, "die seiner Liebe einen Schirm darbot", im Gedanken hatte, als er die schöne Sängerin des irdischen Paradieses schilderte und ihr die Rolle zuwies, den Liebenden der verklärten Geliebten zuzuführen. Bei dieser Auslegung muß man nur zwei unerwiesene, aber nicht unglaubhafte Tatsachen voraussetzen: daß jene Freundin Mathilde hieß und daß sie vor dem Jahre 1300 starb.

Der Fluß trennt das schöne Weib von den Wanderern, wie der Hellespont, der Sestos von Abydos trennte, zwischen Hero und Leander floß. Dieser Vergleich erinnert Dante an ein Beispiel gedemütigten Stolzes, an Xerxes, der als Flüchtling über den Hellespont zurückkehrte, den er zuvor zu ketten und zu bändigen sich vermessen hatte.

Mathilde beginnt mit einer Erklärung, weshalb sie an diesem Orte, der Wiege des menschlichen Geschlechtes, so fröhlich sei. Sie setzt voraus, daß die Ankömmlinge darüber erstaunt seien. Warum sie dies annimmt, ist nicht gesagt. Wahrscheinlich ist der Gedanke der, daß der Schauplatz des Sündenfalls eher zur Trauer stimmen zu sollen scheine. Der Psalm Delectasti, sagte sie, erkläre ihre Fröhlichkeit. Psalm 91 (92), V. 4 sagt Delectasti me, domine, in factura tua, et in operibus manuum tuarum exultabo (du hast mich erfreut, Herr, in deinem Tun, und über die Werke deiner Hände werde ich frohlocken). Der Sinn scheint zu sein, daß das Anschauen der Herrlichkeiten Gottes, das den Seligen vergönnt ist, alle Trauer über Sünde und Tod besiegt.

Dante ist verwundert, hier oben Wind und Wasser zu finden, da er doch erst eben (Ges. 21, V. 46) gelernt hat, daß Regen, Schnee und alle Störungen des Gleichgewichts der Luft nur bis zur Pforte des Fegefeuers reichen. Darauf antwortet Mathilde, Bezug nehmend auf die bereits erwähnte regelmäßige Drehung der Atmosphäre, die in dieser Höhe ununterbrochen und leise vor sich geht, während in der Tiefe die Ausdünstungen der Erde, der Wärme nachstrebend, das heißt von der Sonne aufgesogen und in Wolken verwandelt, steten Wechsel der Witterung verursachen. "Diesseits der Sperre", oberhalb des Eingangs zum Fegefeuer, herrscht unwandelbar die eine sanfte Luftströmung, die zugleich dient, von den samenlos entstandenen Pflanzen des Paradieses fruchtbare Keime über die Frde zu verbreiten, woselbst sie, je nach Boden und Klima, zu Gewächsen verschiedener Art gedeihen. Das Wasser des Paradieses hat übernatürlichen Ursprung: aus einer Quelle fließt der Lethestrom gen Norden, gen Süden der Fluß Eunoe, beide, wenn man von ihnen kostet, wunderbar wirkend, wie später sich zeigen wird. (Lethe tilgt den Schmerz der Reue, Eunoe erneut die Erinnerung an alle guten Werke.) Von diesen Dingen, sagt Mathilde, hätten die Dichter des Altertums wohl schon eine Ahnung gehabt, über welchen Ausspruch Virgil und Statius sich erfreut bezeigen.

Den 32. Psalm anstimmend führt Mathilde die Dichter am Lethe stromaufwärts. Dante zürnt der Eva, die durch ihren Ungehorsam, weil sie nicht den Schleier vor den Augen der Erkenntnis dulden wollte, ihm den steten Anblick des Paradieses geraubt hat. Nach Anrufung der heiligen Musen schildert er sodann den ihm entgegenkommenden Zug der Beatrix, die hier wohl als Verkörperung der Kirche selbst zu denken ist. Sieben goldene Leuchter erscheinen zuerst, von deren Flammen Streifen nach rückwärts ausgehen, die Luft, gleich ausgestrichenen Pinseln mit den Farben bemalend, welche der Bogen (Regenbogen) des Sonnengotts und der Gürtel (Hof) der Mondgöttin Delia zeigt. Die sieben Leuchter, die in der Offenbarung Johannis vorkommen und dort "die sieben Geister Gottes" heißen, rechtfertigen die Deutung, daß der heilige Geist mit seinen sieben Gaben (Einsicht, Rat, Weisheit, Wissenschaft, Frömmigkeit, Stärke, Gottesfurcht) der Kirche voranleuchte. Die Streifen farbigen Lichts, welche von den sieben Flammen ausgehen, werden von einigen auf die sieben Sakramente, von anderen auf die im Galaterbriefe (5, V. 22) aufgezählten "Früchte des heiligen Geistes" bezogen. Die Sakramente passen augenscheinlich nicht hierher, und der Früchte des heiligen Geistes sind nicht sieben, sondern zwölf (in Luthers Übersetzung neun). Die vor dem Wagen der Beatrix schreitenden Greise sind die vierundzwanzig Bücher des Alten Testaments (nach der Zählung des heiligen Hieronymus), die vier Tiere sind die bekannten Symbole der Evangelien, nach Hesekiel 1, V. 4-6 ("und siehe, es kam ein ungestümer Wind von Mitternacht her mit einer großen Wolke voll Feuers ... und darinnen, war es gestalt wie vier Tiere, und unter ihnen eines Gestalt wie ein Mensch, und ein jegliches hatte vier Angesichter und vier Flügel"), nur daß Dante ihnen nach Offenbarung Johannis Kap. 4 sechs Flügel voll Augen gibt, Der Wagen der Kirche wird an einem der Lichtwimpel von dem Greif, dem Symbol Christi (weil er zwei Naturen, Adler und Löwe, in sich vereinigt), gezogen. Die Adlerflügel deuten auf die göttliche Natur; sie sind von Gold und ragen himmelhoch; der Löwenleib, die menschliche Natur vertretend, trägt die Farben des Glaubens und der Liebe, weiß und rot. Der Wagen ist herrlicher als Roms prächtigster Triumphwagen und selbst als der von Ovid so glänzend beschriebene Wagen, den Apoll dem Phaëton anvertraute und Jupiter auf das Flehen der versengten Erde zerschmetterte. Rechts vom Wagen wandeln dle christlichen Tugenden Liebe, Hoffnung, Glaube, in ihren Farben, rot, grün, weiß; links die vier Kardinaltugenden, Gerechtigkeit, Mäßigung, Stärke, Klugheit, diese letzte kenntlich an dem dritten Auge. Den Zug schließen die Schriftsteller des Neuen Testaments, zuerst der Verfasser der Apostelgeschichte Lukas, den Dante als Schüler des Hippokrates bezeichnet, weil es Kolosser 4, 14 hcilit: "Es grüßt euch Lukas der Arzt"; neben ihm Paulus: dann übrigen vier Epistelschreiber Petrus, Johannes, Jakobus, Judas; endlich, als Schlafwandelnder, der Verfasser der Apokalypse.

Die sieben Leuchter werden Septentrio genannt, nach dm römischen Namen für den "kleinen Bären", der, wie jene für den Himmel, auf Erden ein wegweisendes Gestirn ist, nur daß diesen himmlischen Septentrio nie Umwölkung trübt, es sei denn Adams Verschuldung.

Einer der heiligen Greise ruft mit einem Verse des Hohenliedes ("komm, o Braut, vom Libanon") die Kirche an, und auf seinen Ruf (ad vocem tanti senis) stimmen Engel das Benedictus an, mit einem Virgilischen Verse einander auffordernd "aus vollen Händen Lilien zu streuen". Und aus einer Wolke von Blumen tritt nun Beatrix hervor, in die drei symbolischen Farben gekleidet, mit dem Friedenskranze geschmückt. Seit vielen Jahren zuerst wieder empfindet Dante, was er einst als Knabe beim Anblick der Jugendgeliebten fühlte, als, wie er in der Vita nuova erzählt, in den innersten Kammern seines Herzens der Lebensgeist so gewaltig zu zittern begann, daß es in den geringsten Pulsen grauenhaft sich zeigte und daß er zitternd ausrief: "Siehe, ein Gott, stärker als ich, er wird mich beherrschen!" Inzwischen ist Virgil verschwunden, und selbst das Paradies ("alles, was Eva verlor") vermag darob Dantes Tränen nicht zurückzuhalten. Beatrix ermahnt ihn, nicht zu weinen, ihn beim Namen nennend, und straft ihn wegen seines früheren Kleinmuts mit Worten, daß er vor Scham sein Spiegelbild im Flusse nicht anzuschauen wagt.

Die Engel, als wollten sie in ihm neue Zuversicht erwecken, singen die ersten neun Verse des 31. Psalms In te domine speravi (auf dich, Herr, hab' ich gehofft) bis statuisti in loco spatioso pedes meos (du stellest meine Füße auf weiten Raum), und sein vor Zerknirschung starres Herz schmilzt wie Schnee auf dem Apennin "zwischen den lebendigen Balken" (den Bäumen), wann der Wind "aus den schattenlosen Landen" (vom Äquator her) weht. Beatrix aber verweist den Engeln ihr Mitleid: nicht auf die voIlendeten Geister, sondern auf den reuigen Sünder seien ihre Worte berechnet, und die Strafe solle nicht schwerer wiegen als die Schuld. Dann hält sie Dante sein vergangenes Leben vor. Einfluß der Sterne und Gottes Freigebigkeit hatten ihm in seinem "neuen Leben" (wie er selbst in der Vita nuova sein Leben nach dem Anblick Beatricens genannt hat) alle Fähigkeiten zum Guten gegeben, und solange ich lebte (sagt sie), ging er auch den rechten Weg. Als ich aber an der Schwelle des "zweiten Lebensalters" (vor dem fünfundzwanzigsten Jahre) starb, verfiel er dem Irrtum, aus dem nur der Anblick der Schrecken der Hölle ihn retten konnte. Deshalb kann er jetzt nicht, ohne den Zoll der Reue zu entrichten, den Lethestrom überschreiten, nicht des Anblicks der Seligkeit, in welchem jede schmerzliche Erinnerung an die Sünde erlöschen muß, teilhaftig werden.

Nach der Vita nuova erblickte Dante im Jahre 1274, als er neun Jahre alt war, zum ersten Male das achtjährige Mädchen, das sofort eine unauslöschliche Leidenschaft in ihm entzündete. Im Jahre 1290, also vierundzwanzig Jahre alt, starb Beatrice.

Beatrix, die bisher von Dante in der dritten Person gesprochen hat, redet ihn jetzt direkt an; statt der Schneide richtet sie die Spitze des Schwertes auf ihn. Sie fordert von ihm das Geständnis seiner Schuld, deren Gedächtnis noch nicht von Lethe ausgelöscht, noch ganz und unverwundet in ihm sei. Er spricht sein Ja so leise, daß man es mit den Augen ihm von den Lippen ablesen muß. Wie im Sakrament der Buße folgt dem Geständnisse die Absolution; "das Schleifrad dreht sich nun der Schneide entgegen", das Schwert des Richters wird stumpf für ihn. Aber nicht erspart wird ihm der Vorhalt, wie tief sein Fall gewesen sei, da er nach dem Verlust einer so hohen Liebe neuen, irdischen Verlusten und Schmerzen sich ausgesetzt habe, ungleich dem klugen Vogel, der nicht zweimal ins Netz gehe. Um zu ermessen, wie unwürdig seine späteren Verirrungen gewesen, soll er jetzt aufblicken und die Herrlichkeit der von ihm vernachlässigten Schönheit anschauen, das wird den Schmerz seiner Reue noch steigern. Beatrix sagt, er solle "den Bart zu ihr erheben," denn als gereifter Mann hat er an ihr gesündigt.

Während er von ihrer Schönheit überwältigt dasteht, halten die Engel ("die ersten Kreaturen") mit Blumenstreuen inne. Dann wird der Freigesprochene von Mathilde in den Lethe getaucht, und der Psalmvers (51, V. 9) ertönt: Asperges me hysopo et mundabor (du besprengest mich mit Ysop, und ich werde gereinigt sein). Die vier Kardinaltugenden empfangen den Gebadeten in ihrer Mitte. Aus ihrem Munde hören wir, daß sie identisch sind mit dem im 1. Gesange geschilderten Viergestirn und daß sie schon vorhanden waren, ehe sie der Beatrix, der Kirche, dienen konnten. Die drei anderen Tugenden, "die tiefer sehen", die spezifisch christlichen, Liebe, Glaube, Hoffnung, schärfen Dantes Augen, damit er die verklärte Schönheit erfassen möge. Zuerst erkennt er nur die Augen Beatricens, in denen der mystische Greif sich spiegelt, und zwar bald in seiner Adler-, bald in seiner Löwengestalt, wie in der Betrachtung der andächtigen Seele Christus bald Gott, bald Mensch und doch derselbe ist. Die Sache ist wandellos; nur im Betrachtenden wechselt das Bild.

Schließlich, von den drei heiligsten Nymphen angerufen, entschleiert Beatrix ihr Antlitz, das zu schildern keines Dichters Kunst ausreichen würde.

Nach zehnjährigem Dürsten sieht Dante das Antlitz der Geliebten wieder, im Frühling des Jahres 1300 die im Jahre 1290 Gestorbene. Allzu vertieft in ihren Anblick, wird er von den "drei Göttinnen zu seiner Linken", den christlichen Tugenden, gemahnt, auch die anderen ihn umgebenden Dinge zu beachten. Sein geblendetes Auge muß erst die Sehkraft an das Geringere wieder gewöhnen; das "Wenig", das ist der vergleichsweise geringe Glanz des Paradieses, lehrt ihn wieder zu gewahren, was um ihn her geschieht.

Der ganze Zug schwenkt rechtsum, und wie eine sich wendende Truppe an der in der Mitte haltenden Fahne, so marschiert er an dem Wagen vorbei, welcher letzterer "sein erstes Holz", die Deichsel, erst, nachdem die vordere Hälfte vorübergezogen ist, umbiegt. Dante folgt mit Statius und Mathilde neben dem rechten Rade, "wo kürzer das Geleis sich bog", an der inneren Seite des vom Wagen beschriebenen Bogens.

Der Zug hält an einem kahlen Riesenbaum, dessen Haare (Zweige) nach oben sich verbreitern, wie die Bäume im Kreise der Fastenden. Es ist der Baum des Sündenfalls und zugleich, vermöge einer mystischen Ideenverbindung, das Symbol des römischen Reichs, welches nach Dantes Ansicht von Gott eingesetzt war, um die gefallene Menschheit durch Zucht und Regiment zu dem verlorenen Eden, zur irdischen Glückseligkeit, zurückzuführen und durch seine staatliche Ordnung zugleich der Kirche die Möglichkeit zu gewähren, die Seelen zur ewigen Seligkeit anzuleiten. Die doppelte Bedeutung des Baums erklärt es, weshalb der Greif (Christus, der frei von der Erbsünde war) glücklich gepriesen wird, nie von dem Baume genossen zu haben, und daß der Greif selbst den Baum den Erhalter alles Rechts nennt. Wahrscheinlich dachte der Dichter an den Baum, den Nebukadnezar im Traume sah (Daniel 4) und der ja auch ein mächtiges Reich bedeutete.

Die enge Verbindung des Reichs und der Kirche gehört bekanntlich zu den Hauptpunkten der Danteschen Lehre. Örtlich und zeitlich soll die Kirche unmittelbar mit dem Reiche zusammenhangen und mit ihm in Rom den Herrschersitz haben. Darum ist die Deichsel, die den Wagen der Kirche lenkt (das Papsttum) aus dem Holz des symbolischen Baums gemacht. Erst die Berührung mit dem heiligen Wagen verleiht dem bis dahin kahlen Baume Blüten, wie der Frühling (wann die Sonne in dem Zeichen des Widders, folgend auf das Zeichen des "Himmelskarpfens" oder der Fische, steht) den Bäumen der Erde ihren Schmuck verleiht. Die Farbe der Blüten wird von den meisten alten Auslegern auf das Blut Christi oder das der Märtyrer bezogen, was indes weder zu der Bedeutung des Baums als des weltlichen Reichs, noch zu den Worten des Textes, die von einer anderen als der Blutfarbe sprechen, zu stimmen scheint.

Wie Argus beim Schall der Pansflöte, entschläft Dante bei dem Gesange des Zuges, und er erwacht, wie die drei Jünger auf dem Berge der Verklärung erwachten. Sie waren dort hingeführt worden, um einen Vorgeschmack der himmlischen Herrlichkeit zu empfangen, um die Blüte des Apfelbaums zu schauen, von dessen Früchten die Seligen zehren. In Schlaf versunken, fuhren sie aus ihrer Ohnmacht auf, als der Herr, der auch vom Tode erweckt, zu ihnen sprach; da waren Elias und Moses verschwunden; "sie sahen nur Jesum allein", und des Meisters Gewand, setzt Dante hinzu, sahen sie verändert, das ist nicht mehr verklärt. So ist auch der Zug verschwunden; der Greif und die Apostel sind gen Himmel gestiegen; wie nach dem Hinscheiden Christi und der Apostel die Kirche allein blieb mit der Lehre, den Tugenden und den Sakramenten, so hütet Beatrix allein mit den sieben Nymphen und den sieben Leuchtern, die kein Sturm auslöscht, den an den Baum gebundenen heiligen Wagen "auf echtem Lande, im Schatten des römischen Kaisertums.

In einer Vision erblickt Dante die Schicksale der Kirche. Der Adler des (zunächst noch heidnischen) Kaisertums zerzaust den Baum, der Fuchs der Ketzerei (Gnostizismus usw.) schleicht sich in den Sitz des Wagens ein, der Drache (auf Mohammed gedeutet, aber wohl richtiger als Satan selbst zu fassen) durchsticht und entführt ein Stück des Wagens. Dann beschenkt der Adler die Kirche mit seinen eignen Federn, aber diese Freigebigkeit (die Schenkung Konstantins) wird vom Himmel selbst als ein Übel bezeichnet, wennschon die Absicht des ersten Gebers eine gute gewesen sein mag. Nach dem Gewinne irdischen Besitzes verwandelt sich der Wagen in ein Ungetüm, ähnlich jenem apokalyptischen (Offenbarung Kap. 13, V. 2), mit sieben Köpfen und zehn Hörnern, welche mutmaßlich auf die in der Kirche sich einnistenden sieben Sünden gehen. Die drei sogenannten geistigen Sünden Stolz, Neid, Zorn würden als zwiefach gehörnt, Trägheit, Geiz, Völlerei, Wollust als einhörnig zu denken sein. Auf dem Wagen thront nun die apokalyptische Hure, das entartete Papsttum, buhlend mit einem Riesen (dem französischen Königshause) und zum Lohne von diesem mißhandelt, von dem Baume Edens (Rom) losgerissen und schließlich ins Exil (nach Avignon) entführt.

Fegefeuer - Gesang 33

Anschließend an die Vision von dem Verfall und Exil der Kirche singen die heiligen Frauen den Anfang des 79. Psalms "Deus, venerunt gentes etc. (Herr, es sind Heiden in dein Erbe gefallen, die haben deinen heiligen Tempel verunreinigt und aus Jerusalem Steinhaufen gemacht)." Beatrix tröstet mit dem Schriftworte (Ev. Johannis 16, V. 16): "Über ein kleines so werdet ihr mich nicht sehen, und aber über ein kleines werdet ihr mich sehen," damit, wie es scheint, die Rückkehr des Papstes nach Rom weissagend. Und mit einer apokalyptischen Wendung (Offenb.17, V. 8) sagt sie, daß der von dem Drachen geschädigte Wagen (die Kirche) "war und nicht ist", andeutend, daß die entartete Kirche des Danteschen Zeitalters gar nicht als die echte anzusehen, vielmehr die letztere, wenigstens soweit sie von dem römischen Stuhle vertreten ward, von der Erde verschwunden sei. Aber, fügt sie hinzu, er, der es verschuldet hat, glaube nicht, "daß Gottes Rache Wein und Brot fürchtet", eine Redensart, die so viel bedeutet wie: "sich abwenden läßt durch zeremoniellen Spuk". Nach einem alten Aberglauben nämlich kann der Mörder die Blutrache von sich abwenden, wenn er binnen acht Tagen nach verübter Tat auf dem Grabe des Ermordeten Zappa, Brot in Wein gebrockt, verzehrt.

Beatrix weissagt dem Kaisertum, der "Adlerbrut", eine bessere Zukunft. Gott wird einen Retter senden, der geheimnisvoll durch eine Zahl, fünfhundert fünf und zehn, mit lateinischen Ziffern DVX, also dux, Herzog bezeichnet wird. Ähnlich wird in der Offenbarung Johannis (13, V. 18) gesagt: "Die Zahl seines Namens (nämlich des Tieres) ist sechshundertsechsundsechzig," was bekanntlich hebräisch gelesen auf Nero (Nero Caesar) geht. Wahrscheinlich ist der Dux Dantes identisch mit dem Jagdhunde des ersten Gesangs der Hölle, Can Grande della Scala, Herrn von Verona, der um die Zeit, als Dante sein Gedicht schrieb, der bedeutendste unter den ghibellinischen Führern war und der, wie u. a. die Stelle Paradies, Gesang 17, Vers 73 ff. bezeugt, von Dante hoch verehrt wurde. Das Rätsel dieser Weissagung, sagt Beatrix, werde die Zeit bald lösen, so wie in Theben die Najaden die Orakel der Themis aufgeklärt hätten, nachdem zuvor über die unverständigen Thebaner schwerer Schaden an Vieh und Korn hereingebrochen sei. Die Ereignisse selbst werden diesmal die Najaden sein, welche das Orakel dir deuten werden, und zwar ohne Schaden an Korn und Herden, vielmehr zum Segen des Landes. Mit diesen "Najaden" hat es eine seltsame Bewandtnis. In der Erzählung Ovids, auf die hier angespielt wird, kommt der Vers vor:

Carmina Laiades non intellecta priorumSolverat ingeniis.

Das heißt der Laiade, Sohn des Laios, nämlich Ödipus, hatte die von den Früheren nicht verstandenen Orakel gelöst. Dante aber kannte nur Handschriften des Ovid mit dem Schreibfehler Naiades.

Nächst der Kirche beklagt Beatrix den heiligen Baum, den zweimal bestohlenen, der das römische Reich darstellt. Im Anfange hat Adam ihn beraubt und dafür fünftausend Jahre in der Hölle zugebracht, bis Christus die Strafe auf sich nahm und jenen erlöste. Den zweiten Raub verüben die, welche das Kaisertum von der Kirche trennen, Rom des heiligen Stuhls berauben. Sie freveln an Gott selbst, denn der Baum gehört zu seiner Weltordnung; er hat ihn "zu seinem Gebrauche" geschaffen.

Dante selbst erklärt sich unvermögend, den Sinn der geschauten Gesichte zu deuten. Seine weltlichen Gedanken, so belehrt Beatrix ihn, haben seinen Verstand mit einer Steinkruste überzogen, wie es das Wasser des toskanischen Flüßchens Elsa mit den hineingetauchten Gegenständen macht; seine Lust an irdischer Eitelkeit hat ihn mit ihrer Sündenfarbe rot gefärbt, wie Pyramus mit seinem Blut den Saft der Maulbeere rötete; darum vermag er nicht die gesehenen Zeichen "moralisch zu erkennen", das heißt die in ihnen enthaltene Lehre zu verstehen und zu begreifen, wie gerecht Gott war, als er über diesen Baum das Interdikt, das Verbot, sich an ihm zu vergreifen, aussprach. Nun mag er die geschauten Zeichen als bloß gemalte, als Bilder, nicht als geschriebene und verstandene, in die Welt mitnehmen, wie der Pilger von der Wallfahrt den Palmenstab mitbringt. Und als Dante fragt, weshalb sie Worte wähle, die sein Begreifen übersteigen, antwortet sie: damit er merke, wie unfähig die Weisheit seiner Schule sei, den himmlischen Dingen nachzugehen. Er seinerseits will sich nicht entsinnen, daß er je der wahren Lehre sich entfremdet habe, aber er wird belehrt, daß er seine Verirrung nur vergessen, weil er aus Lethe trank, und das Vergessen selbst ist ein Beweis, daß er in seiner Schulweisheit sündigte, weil eben nur Sünden in Lethe versinken. Aus den dunklen Andeutungen dieser Stelle erkennt man doch deutlich genug, daß Dante, als er die Göttliche Komödie schrieb, nicht allein auf Sünden der Weltlust, sondern auch auf philosophische Spekulationen, die ihn von der Rechtgläubigkeit entfernten, reuig zurückblickte. Der arabische Ausleger des Aristoteles war sein Wegweiser gewesen, ehe Thomas von Aquino seine Leuchte wurde.

Die Redenden und ihr Geleit sind mittlerweile an den Rand des Waldes gelangt, "wo die Schatten bleicher werden". Es ist Mittag; die Sonne bewegt sich, einer bekannten optischen Täuschung gemäß, langsamer über die Linie, "die mit dem Auge ihre Stelle wechselt", den Meridian (der sich mit dem Standpunkte des Beschauers ändert, während der Äquator derselbe für alle ist). Die Taufe im zweiten Paradiesesflusse, Eunoe, beendet die Läuterung des Dichters, der nun die Kraft gewonnen hat, sich zum Himmel zu erheben.

Paradies

Beim Beginn des letzten, höchsten Teils seiner Aufgabe ruft der Dichter die höchste dichterische Kraft, Apollo selbst, an. Bisher genügte ihm Hilfe von dem einen Gipfel des Parnasses, den die Musen bewohnen; jetzt muß auch der zweite Gipfel, der dem Apollo geweihte, ihm Beistand senden. Weltliche und göttliche Inspiration müssen sich vereinigen, um das Werk zu vollbringen, Dann darf er hoffen, den Lorbeer zu gewinnen, an den in der entarteten Welt kein Kaiser und kein Dichter mehr zu denken scheint. Nur einer, Dante selbst, ringt noch um "peneisches Gezweig" (Lorbeer, von Daphne, der Tochter des Peneus). Und ist er auch nur ein Funke, so mögen doch an ihm größere Dichter sich entzünden, die wirksamer als er die überirdischen Geheimnisse deuten (die "Grotten Cirrhas", des parnassischen Orakels, um Antwort anrufen) werden.

Eine feierliche Zeitbestimmung eröffnet die Erzählung. Der Dichter erinnert uns daran, daß die Sonne mit dem Fortschreiten der Jahreszeit den Ort ihres Aufganges verrückt, "daß sie aus verschiedenen Schlünden aufsteigt". Um die Frühlingsnachtgleiche aber, wo in ihrem Aufgangsorte sich die vier Kreise Ekliptik, Äquator, Äquinoktialkolur und Horizont schneiden und miteinander drei Kreuze bilden, und wo das Sonnenlicht sich mit dem Lichte des Widders verbindet, da ist der formende Einfluß des größten Himmelskörpers auf das "Wachs der Erde", auf die Materie, am stärksten. An diesem Punkte des Horizonts nun geht auf der jenseitigen Hemisphäre die Sonne auf (während auf der unsrigen der Abend eintritt), als die Himmelsfahrt beginnt.

Wie ein von oben fallender Strahl durch Reflex einen zweiten Strahl von unten nach oben erzeugt und so gleichsam in seine Heimat zurückkehrt, so lenkt der Sonnenstrahl, der ins Auge der Beatrix fällt, Dantes Auge zur Sonne. Bald aber zieht Beatrix selbst, wie eine andere Sonne leuchtend, seinen Blick auf sich, und so, von ihrem Anblick emporgetragen, schwebt er aufwärts. Dieser Vorgang wiederholt sich hernach bei jedem neuen Aufsteigen von Himmel zu Himmel; die aufwärtstragende Kraft ist immer der Blick auf die mehr und mehr sich verklärende Beatrix, die wachsende Erkenntnis der seligmachenden Wahrheit. Der Dichter fühlt sich aller menschlichen Beschränkung entrückt, wie jener Fischer Glaucus beim Ovid, der nach dem Genusse eines Wunderkrauts zum Meergott wurde. Ob er im Fleische oder nur mit seinem "letzterschaffenen Teile" (der Seele) aufgefahren sei, läßt er unentschieden, wie Paulus im 2. Korintherbriefe Kap. 12 von seiner Verzückung sagt: "Ob ich im Leibe oder außer dem Leibe gewesen bin, weiß ich nicht; Gott weiß es." Der Himmel zieht ihn in seinen Umschwung, das große Rad, welches die Liebe in Bewegung setzt, die ersehnte Liebe.

Um diesen letzteren Gedanken und überhaupt die ganze äußere Anordnung des "Paradieses" zu verstehen, muß man sich die auf dem Ptolemäischen System beruhende Dantesche Kosmographie vergegenwärtigen.

Zwischen der Erde und dem untersten Himmel befindet sich eine Feuerregion; auf diese folgt der erste Himmel, der, eine durchsichtige Kugel wie alle übrigen, mit dem Monde sich um die festruhende Erde dreht. Auf den ersten folgen sechs andere Himmelskugeln, jede mit einem einzigen Gestirn, in dieser Reihe: Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter, Saturn. Über dem Saturnhimmel dreht sich der Fixsternhimmel und über diesem der neunte, das sogenannte primum mobile, dessen Umschwung um die Weltachse seine kreisende Bewegung allen unteren Sphären mitteilt. Jede der neun Sphären wird erfüllt, regiert, beseelt von ihren "Intelligenzen" oder Engeln. Über dem primum mobile befindet sich, ewig unbewegt, das Empyreum, der Sitz der Gottheit, und eben die Sehnsucht, sich mit allen Teilen des Empyreums, in welchem die ewige Liebe thront, zu vereinigen, setzt das primum mobile und mit ihm alle Himmel in die kreisende Bewegung. Das ist also das "Rad, welches von der ersehnten Liebe umgeschwungen wird".

Durch die Feuerregion aufsteigend, begreift Dame nicht, wie sein schwerer Körper durch das leichtere Element sich aufwärts bewege. Darüber belehrt Beatrix ihn.

Das Weltall wird beherrscht von einer Ordnung, welche die Welt als eine einheitliche darstellt und in dieser Form gottähnlich macht. Darin erkennen die vernunftbegabten Wesen die Spur der ewigen Vollkommenheit, um derentwillen, als des letzten Endzwecks, jene Norm und Ordnung gesetzt ist. Demgemäß hat jedes Ding den seiner Natur angemessenen Trieb, der es dahin führt, wohin es gehört, gleichsam in seinen richtigen Hafen, wo es am vollkommensten ist. Dieser Trieb führt das Feuer nach oben, fügt die Erde zum Balle zusammen, setzt Herz und Blut der Tierwelt in die gewollte Bewegung. Einem Bogen wird diese Ordnung verglichen, der den Pfeil der allgemeinen Bewegung nach einem bestimmten Ziel entsendet. Sie beherrscht auch die vernünftigen Wesen, als welchen analog der Trieb eingepflanzt ist, nach dem höchsten Gut, dem Empyreum, zu streben. Dieser Trieb, natürlich wie jeder andere, ist es, was Dante aufwärts trägt; der nämliche Bogen schnellt auch diesen Pfeil nach dem Ziele der göttlichen Liebe, welches Freude ist. Freilich, die vernünftige Kreatur, weil ihr Wille frei ist, folgt nicht immer der Richtung des anerschaffenen Triebes; der Pfeil vermag sich selbst eine eigene Bahn zu wählen statt der vom Bogen ihm gegebenen, und er tut es, wenn falsche Lust den Flug nach unten wendet. Dann entsteht eine der ursprünglichen Natur entgegengesetzte Bewegung, ähnlich der des Feuers, wenn es aus den Wolken auf die Erde fährt, gegen seine eigentliche, aufwärtsstrebende Natur. Von aller Hemmung befreit, muß die menschliche Natur so notwendig gen Himmel fahren, wie ungehemmt Wasser bergab fließen muß, lebendiges Feuer nicht am Boden haften kann.

Der Dichter warnt die, welche nur Freude am Gesange lockt, ihm zu folgen; sein Werk ist für die wenigen, die schon hier sich dem Ewigen zuwenden. Diese aber werden größere Wunder schauen als weiland die Argonauten.

Er tritt in das Gestirn des ersten Himmels, den Mond, ein, dessen Substanz ihn aufnimmt, ohne sich zu verschieben, wie Wasser den Lichtstrahl aufnimmt. So sind zwei Körper in demselben Raum, ein Unfaßbares ist erlebt, und nur umso lebendiger wird die Sehnsucht, jenes andere Wunder, zwei Naturen in einer Person (Christus), anzuschauen und im Anschauen so zu erfassen, wie der Mensch die ersten Axiome, die keines Beweises bedürfen, unmittelbar erkennt.

Die Volkssage, daß Kain mit einem Dornbusch im Monde weilte (vergl. Hölle, Ges. 20 am Schlusse), gibt Anlaß, die Flecken des Mondes zu erörtern. Dante glaubt, der Mondstoff sei von ungleicher Dichtigkeit und deshalb von verschiedener Helligkeit. Dies war die Lehre des arabischen Aristotelikers Averroes, welche Dame in seinem Convito noch als die richtige hinstellt. Beatrix widerlegt sie mit folgender Argumentation, die der Erklärung des berühmten Scholastikers Albertus Magnus sich anschließt.

Der Fixsternhimmel zeigt viele Lichter, die verschieden aussehen und verschieden wirken. Hinge die Verschiedenheit nur von dem Grade der Dichtigkeit ab, so wäre in allen Himmelskörpern die nämliche Kraft, nur der Menge nach verschieden verteilt. Dies ist aber offenbar falsch: die verschiedenen Wirkungen der Gestirne setzen verschiedene Ursachen voraus, während nach deiner Lehre nur eine einzige Ursache wirken soll. Auf den Mond insbesondere angewandt, läßt deine Lehre zwei Möglichkeiten zu. Entweder geht der dünnere Stoff ununterbrochen von der Rückseite bis zur Vorderseite: dann müßte bei Sonnenfinsternissen das Sonnenlicht an diesen Stellen durchschimmern, was nicht der Fall ist. Oder die dünnen und dichten Teile liegen übereinander wie die Blätter eines Buchs oder wie Fett und Fleisch im Körper. Dann muß die dünne Stelle der Mondoberfläche hinten an ihr Widerpart, eine dichte Stelle, stoßen, und der Sonnenstrahl muß dort abprallen wie von dem Blei hinter dem Spiegelglase, kann also die Stelle nicht dunkel lassen. Man könnte einwenden, der Strahl, der sich alsdann nicht an der Oberfläche, sondern weiter rückwärts im Innern des Mondes breche, werde schwächer zurückgeworfen und erscheine neben den helleren Partien derOberfläche als Flecken. Allein die Erfahrung beweist, daß die Entfernung des Spiegels wohl den Umfang des zurückgeworfenen Lichts, nicht aber dessen Helligkeit verringert.

Soweit ist die irrige Meinung widerlegt, aber noch nicht die wahre gegeben: "der Schnee ist zwar beseitigt, aber noch keine Saat aufgegangen". Es folgt daher nun erst die richtige Erklärung, die "wie funkelndes Licht ins Auge strahlt".

Innerhalb des unbewegten Himmels ewigen Friedens dreht sich der größte aller Körper, das primum mobile, die neunte Sphäre, in welcher alles Sein der Welt umschlossen liegt. Sie gibt der nächsten Sphäre, dem Fixsternhimmel, die Kraft, jenes allgemeine Sein, jenen Inbegriff aller Schöpfungsideen in zahllosen Wesen auszugestalten, die zwar in diesem Himmel, dem achten, enthalten, aber als Individuen von ihm verschieden sind. Die sieben Planetenhimmel endlich, die nicht wie der Fixsternhimmel nur eine Bewegung haben, sondern in wechselnder Bewegung immer neue Verbindungen mit den Sternbildern der achten Sphäre eingehen, verleihen mittels dieses wechselnden Einflusses, den sie von den Fixsternen empfangen, ein jeder der ihm besonderen Qualität die Fähigkeit, auf die Elemente so zu wirken, daß sie ihre Samenkräfte entfalten, ihre Ziele erreichen können. So wirkt jede der neun Sphären von oben nach unten; die Bewegung, mittels deren sie wirken, geht aus von den seligen Lenkern, den ihnen vorgesetzten Intelligenzen oder (volkstümlich) Engeln, die sich zu den Gestirnen, dem Werkzeuge, und zu den gewirkten Schöpfungen so verhalten, wie der Schmied zum Hammer und zum gehämmerten Werke. Demgemäß ist also der Himmel (der achte), der die vielen Lichter zeigt, nur ein Bild der ihn bewegenden Intelligenz, des "tiefen Geistes", der, obwohl selbst in Einheit kreisend, in den Sternen sich vervielfacht und verschieden äußert, wie ja auch die Menschenseele, obwohl einheitlich in sich, verschiedene Kräfte und Organe entfaltet. Bald die eine, bald die andere Kraft des lenkenden Geistes der achten Sphäre verbindet sich mit dem edlen Leibe der Sterne, analog wie im Menschen die Lebenskraft mit dem Fleisch, und weil sie aus heiterem Grunde, aus Gott, stammt, durchstrahlt sie die Himmelskörper nach ihrer Beschaffenheit, verleiht ihnen also verschiedene Farbe und Helligkeit. Die Mondscheibe ist in ihrer verschiedenartigen Beleuchtung der Beweis einer Vielheit wirkender Kräfte, nicht einer ungleichen Dichte.

In der Mondsubstanz erblickt Dante Gestalten wie blasse Spiegelbilder, schwer zu erkennen gleich der Perle auf weißer Haut. Umgekehrt wie Narzissus, der sein Bild für ein wirkliches Wesen hielt, nimmt Dante die Gestalten, welche selige Geister sind, für bloße Spiegelung. In dem untersten und trägsten (das heißt sich langsamer als die anderen drehenden) Himmel sind Verklärte, die höher nicht steigen können, weil sie im Leben gegen ein Gelübde gefehlt haben. Unter ihnen ist jene Piccarda, nach der er schon im Fegefeuer (Ges. 24, V. 10) ihren Bruder Forese Donati gefragt hatte. Ihr anderer Bruder Corso Donati, der mächtige Demagoge, entriß sie dem Kloster und zwang sie, einen seiner Freunde zu heiraten. Der Sage nach erlöste Gott sie durch den von ihr erflehten Tod von dem aufgezwungenen Ehebunde, doch scheint Dame eine solche Wendung nicht im Auge zu haben.

Piccarda steht zwar denn Dichter Rede, übergeht aber ihr persönliches Schicksal, "sie zieht das Weberschiff nicht ganz heraus aus dem Gewebe ihrer Erzählung". Erst auf seine Aufforderung berichtet sie, wie sie dem Orden der heiligen Klara angehört habe und ihm entrissen worden sei. Beiläufig gibt sie (nach Thomas von Aquino) die Merkmale des echten Gelübdes an: daß es aus Liebe hervorgehen und dem göttlichen Willen gemäß sein müsse. Mit ihr im gleichen Falle befindet sich Konstanze, des Königs Roger von Sizilien Erbtochter, die den zweiten der Hohenstaufenkaiser, "der Winde aus Schwabenland", heiratete und ihm den dritten und letzten dieser Winde, Friedrich II., gebar. Die Bezeichnung "Wind" soll vermutlich zugleich die Gewalt und die Vergänglichkeit der Staufischen Herrschaft bezeichnen. Daß Konstanze gewaltsam dem Kloster entführt worden sei, um Heinrich VI. zu heiraten, ist ungeschichtlich, wurde aber im vierzehnten Jahrhundert allgemein geglaubt. Ursprünglich entstand die Fabel wohl in guelfischen Kreisen: Friedrich II. sollte die Frucht eines Sakrilegiums sein. Bei Dame tritt jedoch nichts von einer derartigen gehässigen Tendenz zu Tage.

Von zwei gleich starken Zweifeln bedrängt, vermag der Dichter keinem von beiden Worte zu leihen, nach dem den Scholastikern vertrauten Gesetze, daß, wenn zwei gleich starke Motive gegeneinander stehen, die Handlung unterbleibt. Beatrix, die seine Gedanken liest, befreit ihn aus dem Dilemma, wie Daniel dem Nebukadnezar den vergessenen Traum ins Gedächtnis rief, als der König schon seine weisen Männer, die ihm nicht helfen konnten, töten lassen wollte.

Der erste Zweifel, "der mehr Galle hat", mehr peinigt, weil er der Kirchenlehre widerspricht, betrifft die Platonische Theorie (im "Timäus"), wonach die Seelen, bis die Götter ihnen einen Leib bilden, auf Sternen weilen und nach einem guten Leben nach diesen Heimatsternen zurückkehren, nach lasterhaftem Leben eine Wanderung durch Tierkörper antreten müssen. Dante findet eine Art Bestätigung dieser Lehre, da er wirklich Seelen auf dem Monde antrifft. Beatrix belehrt ihn, daß er zwar vermöge seiner beschränkten sinnlichen Natur die Seligen in räumlichen Erscheinungen sehe, daß dieselben aber in Wirklichkeit bei Gott im obersten ruhenden Himmel, außerhalb des Raumes, seien. Die abgestufte Art ihrer Seligkeit könne ihm nur in der Form eines Aufenthalts in verschiedenen Sphären anschaulich gemacht werden, wie auch die Schrift und die Kirche sich menschlicher Ausdrucksweise bediene, wenn sie von Gott und den Erzengeln Gabriel, Michael und Raphael ("ihm, der Tobias heilte") rede. Des Timäus Lehre sei übrigens nicht so lachenswert, wenn er etwa gemeint habe, daß Ruhm und Tadel, den die Seele auf Erden unter dem Einfuß der Sterne ernte, auf die letzteren zurückgehe. In der Tat setzte Dante die Verdienste seiner Seligen in eine gewisse Beziehung zu der traditionellen Kraft der Sterne, auf die er sie versetzt. Die ganze Stelle ist ein Schlüssel für die Absicht des Dichters, der seine Vision nur als ein räumlich gestaltetes Bild unaussprechlicher, über den Raum erhabener Dinge verstanden wissen will.

Der andere Zweifel ist dieser: wenn Piccarda und Konstanze unter äußerem Zwange ihr Gelübde versäumten, wie kann man gerechterweise ihnen die Versäumnis anrechnen? Beatrix zeigt, daß jene den Zwang überwinden konnten, wenn sie die Willensstärke gehabt hätten wie Laurentius auf dem Rost oder wie Mucius Scävola. Dies scheint freilich Piccarda Lügen zu strafen, da ihr zufolge Konstanze im Herzen dem Gelübde treu blieb. Allein der Widerspruch löst sich, wenn man erwägt, daß Piccarda von der Gesinnung des Herzens sprach, die bei Konstanze auf das Rechte gerichtet blieb, Beatrix dagegen von der Stärke des Willens, den Furcht vor größerem Leiden nie bewegt, sich zum Unrecht zu verstehen. Als Beispiel, wie man ohne bösen Willen, nur um einem Übel auszuweichen, in Sünde geraten könne, dient die schon zweimal (Hölle, Ges. 20 und Fegefeuer, Ges. 12) angeführte Geschichte des Alkmäon. Sein Vater Amphiaraus, wider Willen infolge des Verrats seiner Gattin Eriphyle in den Krieg gegen Theben ziehend, hatte dem Sohne befohlen, die Mutter zu töten, wenn er, der Vater, vor Theben falle. Alkmäon wurde, um Ungehorsam gegen den Vater zu meiden, Muttermörder, facto pius et sceleratus eodem, wie Ovid sagt.

Beatrix erklärt die Steigerung ihres Glanzes, die des Dichters Augen überwältigt. Mit jedem fortschreitenden Erkennen des höchsten Gutes erhöht sich die Seligkeit des Erkennenden, und der Grad der Seligkeit wird durch das von dem Seligen ausgestrahlte Licht sichtbar. Schon ist auch Dantes Geist von einem Schimmer dieses göttlichen Lichts gestreift, welches, einmal erkannt, Liebe entzündet, ja eigentlich der Ursprung aller Liebe ist; nur mangelhafte Erkenntnis wendet die Liebe der Menschen wertlosen Gütern zu, aber auch in dieser irregeleiteten Liebe ist noch eine Spur der wahren, auf das höchste Gut gerichteten erkennbar.

Danach beantwortet Beatrix die Frage, ob man ein Gelübde erfüllen könne, indem man seinen Inhalt ändere. Sie verneint es. Im Gelübde opfert der Mensch das Höchste, was Gott irgend einem Geschöpfe spendet, den freien Willen; wie könnte das Höchste durch anderes voll ersetzt werden? Diese Auskunft ist "schwer verdaulich"; sie widerspricht scheinbar dem Rechte der Kirche, von einem Gelübde zu entbinden. Aber tieferes Eindringen löst den Knoten. Jedes Gelübde ist, formal betrachtet, ein mit Gott eingegangener Vertrag, und Verträge vollzieht man nur, indem man sie erfüllt. Aber der materielle Teil des Gelübdes, der Gegenstand, auf den es sich bezieht, läßt unter Umständen eine Änderung zu; wie nach mosaischem Gesetze, wenn man ein ungeeignetes Opfer, zum Beispiel ein unreines Tier, gelobt hatte, zwar nicht das Opfern erlassen, aber die Erfüllung des Gelübdes durch Geld erlaubt wurde. Der Gelobende selbst hat aber kein Recht zu solcher Änderung, auch nicht eines guten Zweckes wegen; denn was einem nicht mehr gehört, darf man auch nicht zum Gutestun verwenden. Die Autorität der Kirche ("die heiligen Schlüssel") kann allein Gelübde ihrem Inhalte nach ändern, und immer muß dann das neue Opfer schwerer wiegen als das erlassene, sich zu diesem wie sechs zu vier verhalten. Daher ist, wo schon das höchste Opfer gelobt war, Ersatz unmöglich. Man soll also mit Gelübden vorsichtig umgehen. Einerseits soll man nichts geloben, was man nicht ohne Sünde halten kann, wie Jephtha und Agamemnon taten, noch auch auf habgierige Priester hören, die für Geld Dispens vom Gelübde anbieten und das Christentum zum Gespött der Juden machen, die solchen Mißbrauch nicht kennen.

Beatrix blickt nach der Äquatorialgegend des Himmels, wo seine Lebensfülle am reichsten sich entfaltet, und dieser Anblick trägt sie und Dante zum zweiten Himmel, der Sphäre des Merkur. Die Bewohner des Merkur begrüßen ihn mit dem Rufe, daß sein Anblick als eines Begnadigten ihre Liebe noch mehren werde; sie drängen sich, ihm durch Mitteilung ihres Lichtes zu dienen.

Weil der Merkur dem Auge meistens unsichtbar ist, der Nähe und des Lichtes der Sonne wegen, nennt Dante ihn die Sphäre, die fremder Glanz uns verbirgt.

Die verklärte Seele, welche den Dichter anredet, gibt sich zu erkennen als Kaiser Justinian, der Begründer der verbesserten Rechtsordnung des römischen Reichs, und als solcher für Dante eine geheiligte Person. Die Gesetzgebung des Kaisers ist ihm eine Eingebung der "ersten Liebe", des heiligen Geistes. Seine hohe Ansicht von der göttlichen Bestimmung des Reichs hat Dante in diesem Gesange dargelegt. Schon Trojas Schicksale sind ihm ein Vorspiel der großen Entwicklung, die unter Gottes Führung in der Aufrichtung des Kaisertums als des obersten Schiedsamtes über alle Fürsten und Republiken ihren Abschluß fand. Der Adler, das Symbol der Kaisermacht, ist Trojas Feldzeichen; Äneas, der des latinischen Königs Tochter Lavinia gewinnt und zum Weibe nimmt, führt ihn vom Ida, der Sonne folgend, nach dem Westen; Konstantin trägt ihn wieder gen Osten nach Byzanz, und dort, nach zweihundert Jahren, gelangt er in Justinians Hand.

Justinian war nach der (unrichtigen) Meinung der von Dante gelesenen Historiographen ein Anhänger der monophysitischen Ketzerei, die in Christus nur eine Natur, die menschliche, anerkannte, bis er von dem römischen Bischof Agapetus (533-536) bekehrt ward. Jetzt im Himmel ist ihm die wahre Lehre so deutlich wie uns Menschen der Satz vom ausgeschlossenen Dritten, daß von zwei einander widersprechenden Aussagen, einer bejahenden und einer verneinenden, nur die eine wahr sein kann, die andere alsdann unwahr sein muß und ein Drittes nicht möglich ist.

Nachdem Justinian Dantes Frage, wer er sei, beantwortet hat, fügt er unaufgefordert einen Abriß der Geschichte des römischen Adlers hinzu, um zu zeigen, wie sehr frevle, wer dies Symbol der höchsten Obrigkeit unrechtmäßig führe oder sich ihm widersetze. Es ist eine Strafpredigt gegen Ghibellinen und Guelfen: jene verfolgen unter der kaiserlichen Fahne nur noch ihre Sonderzwecke, diese befehden das Kaisertum als solches.

Die Geschichte des Adlers beginnt mit den von Virgil besungenen Kämpfen; für ihn starb Pallas, des Äneas Gefährte, im Zweikampf gegen König Turnus. In Alba weilte er dreihundert Jahre, ehe er seinen Sitz in Rom nahm, wo "die drei wider drei", die Horatier wider die Curiatier, für ihn fochten. Von Rom aus begann er seinen Siegesflug, erst unter den Königen, dann unter "Quinctius mit dem wirren Haar" (Cincinnatus) und den anderen großen Römern. Er überwand Hannibal (der hier mit arabischen Truppen erscheint, weil nach einer fabelhaften Tradition ein arabischer Eroberer Iffricus Afrika unterworfen und ihm den Namen gegeben haben soll). Er besiegte die Rotten Catilinas, für welche (einer gleichfalls fabelhaften Überlieferung zufolge) die der Heimat Dantes benachbarte Hügelstadt Fiesole einst Partei nahm, weshalb sie dann dem sie züchtigenden Adler wohl grollen mochte. Er ward, als die Geburt des Heilands herannahte, Cäsar anvertraut und siegte mit dem in Gallien, in Spanien, bei Dyrrhachium (Durazzo), in Afrika über Juba usw. Auf Cäsar folgt Augustus, der die Mörder des Oheims straft, die Städte Perusia und Mutina züchtigt und der Welt endlich den Frieden bringt. In seinem Buche de monarchia nennt Dante die grollen Taten der alten Römer einen klaren Beweis für den gottverordneten Beruf des Kaisertums: solche Dinge seien nur durch Gottes Beistand möglich gewesen. Aber sie sind gering gegen das, was unter dem dritten Kaiser (Tiberius) dies Zeichen des Adlers vollbrachte: das Strafgericht nämlich, durch welches Gottes Gerechtigkeit Genugtuung erhielt, die Kreuzigung Christi, die ein Akt römischer Obrigkeit war. Und wunderbar! Derselbe Adler, unter Tifus, rächt an Jerusalem eben jene Kreuzigung, die Gott Rache verschafft hatte. - Justinian schließt mit einer Warnung an den französischen Beherrscher Neapels, Karl II. von Anjou, den damaligen Führer der Guelfen: er soll nicht wähnen, daß Gott je sein Wappen mit den Lilien vertauschen werde.

Sodann beantwortet er Dantes zweite Frage, weshalb diese Geister auf dem Merkur weilen. Der kleine Stern vereint die Guten, die sich von der Liebe zum Ruhm haben leiten lassen. Ihr Rang im Himmel ist niedrig, aber ihrem Verdienst angemessen, und das zu empfinden ist auch Seligkeit. Die in ihnen lebendige göttliche Gerechtigkeit hindert jede Unzufriedenheit mit dem ihnen angewiesenen Lose.

Zum Schlusse nennt Justinian als einen der Genossen seiner Seligkeit den Provenzalen Romée. Von diesem wird berichtet, daß er am Hofe des Grafen Raimund als treuer Verwalter wunderbar tätig gewesen, aber infolge der Ränke seiner Neider ins Elend gestoßen worden sei. Ihm verdankte (nach Dante) Graf Raimund, daß seine vier Töchter Könige heirateten, Beatrix Karl von Anjou, der die Krone Siziliens gewann, Margarete Ludwig IX. von Frankreich, Eleonore Heinrich III. von England, Sanctia den römischen König Richard von Cornwallis. Geschichtlich ist wohl nur, daß der letzte der provenzalisclicn Grafen einem seiner Vasallen Romée de Villeneuve besonderes Vertrauen schenkte und ihn zum Vormund seiner Erbtochter einsetzte. Zu Dantes Zeit hatte sich daraus eine Legende entwickelt von einem geheimnisvollen Pilger (romeo), der eines Tages am gräflichen Hofe erschien, im Dienste Raimunds blieb, durch treuen Fleiß und Klugheit dessen zerrüttete Verhältnisse zu hoher Blüte brachte, schließlich dafür Undank und Mißtrauen erntete und arm, wie er gekommen war, von dannen zog. Weshalb er von Dante unter die ruhmliebenden Seligen versetzt wird, bleibt dunkel.

Einen Hymnus anstimmend in den beiden heiligen Sprachen, Hebräisch und Lateinisch, gesellt Jusfinian sich wieder zu dem Chor der Seligen. Die erste Terzine bedeutet: "Hosanna, heiliger Gott der Heerscharen, der du mit deiner Helle überleuchtest die seligen Feuer dieser Königreiche." Die drei hebräischen Worte fand Dante in der Vulgata.

Dante wird von einem Zweifel gequält, aber er wagt nicht, Beatrix anzureden. Denn schon, wenn er die Buchstaben ihres Namens B und X erblickt, verstummt er vor Ehrfurcht. Justinian hatte gesagt, Jerusalem sei gerechterweise gestraft worden für Christi Kreuzigung; da nun aber diese Kreuzigung ein Akt der Gerechtigkeit war, nämlich die Sühne für Adams Schuld, so begreift Dante nicht, wie dafür an den Vollstreckern Rache geübt werden konnte. Beatrix belehrt ihn, daß Christus, indem er die Strafe auf sich nahm, die allein Adams Sünde tilgen konnte, der Gerechtigkeit genug tat, die Juden aber aus ungerechtem Motive ihn, den Schuldlosen, töteten. Schwieriger erscheint die Frage, weshalb Gott nicht einen anderen Weg der Erlösung als durch den Tod seines Sohnes erwählt habe. Darauf antwortet Beatrix mit folgender Argumentation.

Die menschliche Natur war in Adam unmittelbar von Gott erschaffen, nicht ein Produkt der Elemente, wie nach dem Sündenfalle. Wie alle unmittelbaren Kreaturen besaß sie Unzerstörbarkeit, Freiheit und höhere Gottähnlichkeit. Durch die Sünde verlor der Mensch zuerst seine Freiheit und mit ihr die beiden anderen Vorrechte. Den Verlust durch angemessene Buße gut zu machen, dazu reichten nun die Grenzen seiner Natur nicht mehr. Gewiß hätte Gott ihm einfach alles verzeihen können, aber der Vollkommenheit Gottes entsprach es, daß der Weg der Barmherzigkeit und der Weg der Gerechtigkeit beide eingeschlagen wurden. Wie Gott den Plan der Erlösung lenkte, ist dies das Größte, was vom ersten Schöpfungstage bis zur letzten Nacht geschehen sein wird.

Der Satz, daß alles, was Golf schaffe, unzerstörbar sei, widerspricht scheinbar der Vergänglichkeit der irdischen Dinge. Allein diese sind eben nicht unmittelbar geschaffen, wenigstens nicht in ihrer konkreten Wesenheit, wennschon alles Sein von Gott ist. Sie entspringen durch Zeugung, Samen oder Mischung aus dem geschaffenen Stoffe unter dem Einflusse der geschaffenen Kräfte der himmlischen Sphären. Sie sind also nicht in dem Sinne Gottes Kreaturen wie die Engel und die Himmel, "dies klare Land". Der Mensch ist eine solche Kreatur, aber infolge des Sündenfalls dem Tode verfallen. Unzerstörbar ist er trotzdem an Leib und Seele; der Tod ist nur ein Übergang; aus dem Ursprunge der menschlichen Natur folgt die Auferstehung des Leibes.

In den dritten Himmel, den der Venus, eingehend, reinigt der Dichter die Heiligkeit dieses Gestirns von dem Makel, den heidnischer Glaube auf ihn warf, als ob der Einfluß dieses Sterns die im menschlichen Herzen entspringende sündliche Liebe entzünde. Nur den Namen hat die dritte Sphäre gemein mit jener Cypris, deren Sohn Cupido einst in Ascanius' Gestalt auf Didos Schoße saß. Der Planet Venus sehnt sich, wie Dante sagt, bald im Rücken, bald vor der Sonne immer nach ihr, das heißt er ist sowohl Abend- als Morgenstern.

Dem Aristoteles folgend, nennt Dante den Blitz einen aus den Wolken fahrenden sichtbaren Wind. Schneller als dieser kommen die seligen Geister, Lichtfunken ähnlich, herangefahren und halten Dante zuliebe inne in dem Reigen, in dem sie ihre ewige Freude darstellen, der Bewegung folgend, welche ihren Anfang nimmt im neunten Himmel, dem von den Seraphim gelenkten Primum mobile. Diese Geister kreisen mit den "Intelligenzen" oder Engeln, welche die Venussphäre bewegen und welche Dante schon an einer anderen Stelle, in seiner ersten Canzone, angerufen hat. Daher das Zitat des ersten Verses dieser Canzone hier eingeflochten ist: "Voi che intendendo il terzo ciel movete, die ihr erkennend den dritten Himmel beweget." Jeder der neun Himmel steht nach Dantes System unter einem der neun Engelchöre, deren Rangordnung der 28. Gesang näher beschreibt. Daß die Seraphim dem obersten Himmel vorstehen, sahen wir schon; der Reihenfolge gemäß kommt auf den dritten Himmel (von unten gerechnet) diejenige Ordnung der Engel, welche die Schrift "Fürstentümer" (principatus) nennt, daher hier von "Himmelsfürsten" die Rede ist.

Im Jahre 1294 kam ein schöner jugendlicher Prinz mit glänzenden Gefolge nach Florenz, Karl Martell, ältester Sohn Karls Il. von Neapel, Erbe also jenes im Texte beschriebenen süditalischen Reichs, welches im Norden die Flüsse Tronto und Verde begrenzen, Erbe außerdem der Provence und gekrönter König von Ungarn. Auch Trinacria (Sizilien) mit seinem Schwefelrauch über dem vom Eurus (Ost) heimgesuchten Gestade würde seinen Kindern gehört haben, hätte nicht die Mittregierung des Hauses Anjou den Verlust der Insel verschuldet. Er war vermählt mit Clemenza, der Tochter Rudolfs von Habsburg. Dieser Jüngling gewann, als er in Florenz war, alle Herzen, auch das Dantes, der, wie er andeutet, sich der Huld des Prinzen erfreute, wennschon sie ihm, weil Karl früh starb, "nur Laub", nicht Früchte trug, Diesen vielgeliebten Königssohn versetzt Dante auf das Gestirn der Liebe und legt ihm Worte in den Mund, die für den König Robert von Neapel bestimmt sind, einen kargen Fürsten, dessen katalanische Truppen durch Habsucht und Erpressung dasVolk erbitterten.

Der Verklärte erkennt Dantes hohe Freude bei dieser Begegnung unmittelbar. Denn indem er Gott schaut, "in welchem Anfang und Ende alles Gutes ist", sieht er wie in einem Spiegel auch das, was in Dante vorgeht. Auf Dantes Verwunderung, daß aus freigebigen Hause ein Karger wie König Robert stamme, belehrt ihn der Geist über das Nichtvererben der Tugenden und rückt ihm die Wahrheit, die bisher hinter ihm, ungesehen, lag, vor die Augen.

An sich müßte von Gleichem immer Gleiches erzeugt werden, aber bei dem Entstehen eines Menschen wirkt die in dem Einflusse der Himmelskörper sich betätigende göttliche Vorsehung mit, deren auf das Heil aller Dinge gerichtete Weisheit unfehlbar, wie ein genau gerichtetes Geschoß, ihre Ziele erreicht und ohne die ein allgemeines Chaos entstehen würde. Diese Vorsehung hat u. a. eine heilsame Ordnung des bürgerlichen Lebens gewollt, die, wie schon Aristoteles lehrt, nicht bestehen kann ohne eine große Mannigfaltigkeit der menschlichen Anlagen und Fähigkeiten. Daher ist dafür gesorgt, daß Gesetzgeber, Heerführer, Lehrer und sinnreiche Werkmeister (wie Dädalus) geboren werden. Die Sterne, welche die Siegeler sind, die jedem sein besonderes Gepräge aufdrücken, sind dabei nicht an bestimmte Geschlechter und Häuser gebunden. Selbst Zwillinge wie Jakob und Esau können ganz verschieden sein; der Gründer Roms ward von einem unbekannten Vater erzeugt und ward deshalb Sohn des Mars genannt. Wenn aber die natürlichen Anlagen durch falsche Anwendung unfruchtbar bleiben, so sind nicht die Sterne, sondern die Verkehrtheit des menschlichen Willens ist zu tadeln.

Der Witwe Karl Martells, Clemenza († 1301) vertraut der Dichter an, was ihr Gatte ihm verkündet hat, daß nach Karls II. Tode (1309) nicht ihr Sohn nachfolgen, sondern Robert, Karl Martells Bruder, die Krone an sich reißen, die Vergeltung aber nicht ausbleiben werde. Das letztere wird nur dunkel angedeutet, weil hier es sich teilweise um wirklich zukünftige Dinge handelt.

Eine andere Seele erscheint, Cunizza, die Schwester des Wüterichs Ezzelin, dessen Stammschloß Romano sie der Lage nach genau beschreibt. Man weiß von ihr, daß sie verschiedene Liebesabenteuer hatte, u. a. mit jenem mantuanisehen Dichter Sordello, der im 6. Gesang des Fegefeuers vorkommt, daß sie aber fromm und wohltätig war und ihren Leibeigenen die Freiheit schenkte. Fast sieht es so aus, als versetzte Dante sie wegen ihrer zärtlichen Natur auf den Planeten Venus, dessen Einfluß doch nach Gesang 8, V. 1 ff. mit irdischer Liebe nichts zu schaffen haben soll. Cunizza selbst sagt, sie verdanke ihren Platz im Himmel dem Einflusse, den das Licht des Planeten Venus auf sie ausgeübt habe, und daß sie diesen Einfluß in jenem irdischen, von Dante bestrittenen Sinne versteht, ergibt sich aus ihrem Zusatze: sie empfinde in ihrem jetzigen seligen Zustande keinen Schmerz wegen der Ursache, die ihren Rang im dritten Himmel herbeiführte. Die Ursache war eine bereuenswerte, aber, im Himmel erlischt, wie jeder Kummer, auch der der Reue. Einer der alten Ausleger vergleicht Cunizza mit der Büßerin Magdalena: die Sünden ihrer Jugend habe sie später durch heiligen Wandel gesühnt. Vielleicht hat Dante an diesem Beispiele nur zeigen wollen, daß die Menschenliebe, wie Cunizza sie betätigt haben soll, viele Sünden zudecke.

Cunizza weist auf einen anderen Geist, dessen Los dem ihren ähnlich ist, den provenzalischen Minnesänger Folco, der nach einer den Frauen geweihten Jugend Mönch, Abt und Bischof und ein gewaltiger Streiter wider die Albigenser ward. Ihm verheißt Cunizza ein halbes Jahrtausend dichterischen Nachruhms. Fünfmal werde das Jubeljahr sich erneuern, ehe sein Name verklinge. Ihre eigenen Landsleute, so klagt sie, denken nicht an Nachruhm, und trotz aller Züchtigungen bereuen sie nicht. Die Strafe wird nicht ausbleiben. Padua wird, für seine Auflehnung gegen den kaiserlichen Statthalter Can Grande della Scala, bei Vicenza eine blutige Niederlage erleiden (1312). Richard von Cammino, Herr von Treviso (bei welcher Stadt der Sile und der Cagnano zusammenfließen), wird von Verschworenen, deren Frauen er entehrt hat, ermordet werden (1312). Feltro wird die Missetat seines Bischofs schwer büßen. Dieser Bischof, um den Guelfen sich gefällig zu zeigen, lieferte dreißig ghibellinische Flüchtlinge an Ferrara aus, wo sie alle enthauptet wurden (1314). Solchen Frevler, heißt es, fände man kaum in Malta; so nämlich hieß ein Turm in Viterbo, der dem Papste als Gefängnis für schwere Verbrecher diente. Feltro fiel 1316 in die Hände des Herrn von Treviso; der Bischof soll, der Sage zufolge, mit Sandsäcken zu Tode geschlagen worden sein.

Diese künftigen Strafgerichte liest Cunizza in dem Spiegel der göttlichen Gerechtigkeit, den ihr das Anschauen der Erkenntnis höherer Engel darbietet. Die Engel dritten Ranges, die Thronen (so scheint der theologische Plural zu lauten), schauen nach Gregor dem Großen vorzugsweise Gottes Gerechtigkeit an, wie die Seraphim seine Güte, die Cherubim seine Wahrheit. Die Seraphim werden weiter unten bezeichnet als "heilige Feuer, die aus sechs Flügeln sich einen Talar machen", nach Jesaias 6, V. 2 und 3: "Die Seraphim stunden über ihm, ein jeglicher hatte sechs Flügel, mit zween deckten sie ihr Antlitz, mit zween deckten sie ihre Füße, und mit zween flogen sie. Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth!"

Der Sänger Folco tritt an Cunizzas Stelle. Er ist am Mittelmeer geboren, das zwischen Christenheit und Mohammedanern sich über 90 Längengrade erstreckt, so daß der Meridian der einen Grenze der Horizont der andren ist. Seine Geburtsstadt ist Marseille, gleich weit entfernt vom Ebro und dem toskanisch-genuesischen Flüßchen Macra, auf gleichem Längengrade mit dem afrikanischen Bugea (Buscheia). Marseille wird die Stadt genannt, von deren Blut einst der Hafen rot ward, wegen der Seeschlacht, die dort Brutus über des Pompejus Anhänger gewann. - Auch Folco hat unter dem mächtigen Einflusse der Venus gelebt; wie Dido für Äneas, wie Ovids Phyllis am Berge Rhodope für Demophon, wie Herkules für Jole, so hat er für seine Dame gebrannt. Auch er bereut nicht, sondern preist seinen Lebensgang, in dem er jetzt die Weisheit der Vorsehung erkennt. Wie diese Weisheit ihre Werkzeuge aus der Sünde und selbst aus der Schande zur Seligkeit verklären kann, dessen ist jene Rahab ein Zeugnis, die in der Bibel einen so argen Namen führt, die aber, weil sie in Jericho den Kundschaftern Josuas durchhalf und dadurch zum siegreichen Einzuge Israels in das gelobte Land, dem Vorbilde des Triumphes der Kirche, beitrug, im Hebräerbriefe (11, V. 31) als Glaubensheldin gepriesen wird und nach Dante sogar als die erste unter allen Erlösten in den Himmel der Venus versetzt wurde, gewissermaßen als Trophäe jenes Sieges über die Hölle, den nicht die rechte Hand allein, sondern beide Hände, nämlich die ans Kreuz genagelten, erfechten mußten. Rahab half das gelobte Land dem Volke Gottes gewinnen; jetzt (1300) ist es wieder an die Heiden verloren. Acre, die letzte Burg der Christen, fiel 1291 in die Hände der Sarazenen. Der Papst kümmerte sich nicht darum, nur darauf bedacht, Reichtum anzuhäufen. Die Schuld an solchem Elend trägt der Gulden (fiorino), die Blume (fiore) aus der Teufelspflanzung Florenz; um Geld zu gewinnen, studiert man in Rom fleißig die Rechtsbücher, die Dekretalen, und vernachlässigt Schrift und Theologie. Der Gemahl der Kirche ist zum Ehebrecher geworden.

Im 118. Verse heißt es, der Schatten der Erde reiche bis zum dritten Himmel. Im astronomischen Sinne nimmt Dante an, daß die höheren Sphären zu weit entfernt seien, um noch von der Spitze des Schattens, den die Erde wirft, berührt zu werden. Allegorisch bedeutet der Satz, daß in den drei unteren Sphären die Geister, trotz ihrer Seligkeit, an einem gewissen, aus der sündigen Welt mitgebrachten Mangel leiden; darüber hinaus verschwindet jede Spur dieser Welt. Die Geister des Mondes haben ein Gelübde nicht erfüllt, die des Merkur durch Ruhmbegier ihre Gottesliebe getrübt, die der Venus berührt noch leise der Schatten alter Leidenschaft.

Hinweisend auf die Freude, die der Anblick der Weltordnung gewähren muß, fordert der Dichter den Leser auf, ihn in die höheren Sphären zu begleiten, freilich nur mit seinen Gedanken. Der Erzähler kann ihm, der unten "auf seiner Bank bleibt", nur berichten, was er sah und hörte; darüber nachdenken muß der Leser selbst, selbst essen, was ihm vorgesetzt wird. Wenn er mit Frucht liest, wird er "eher froh als müde werden", eher froh über die Belehrung als müde von der Anstrengung des Wegs.

Der Flug geht zum vierten Himmel, zur Sonne, "dem größten Diener der Natur", der mächtiger als alle andren Sterne auf die Elemente wirkt. Die Sonne ist jetzt, um Frühlingsbeginn, mit der Himmelsgegend vereinigt, wo "die beiden Bewegungen", die allgemeine Weltbewegung von Ost nach West und die besondere der Planeten, Äquator und Ekliptik, einander berühren. Diese beiden Kreise lehren die Weisheit der Vorsehung: wenn nicht die gegen den Äquator geneigte Bahn der Sonne, die schiefe Ekliptik, wäre, oder wenn sie in einem anderen Winkel geneigt wäre, so gäbe es keinen Wechsel der Sternenstände, keine Jahreszeiten, kein Werden und Vergehen, oder es entstände ein Chaos. Die "spiralförmige" Bewegung, vermöge welcher die Sonne die Aufgangszeit ändert, hat Dante selbstverständlich dem Ptolemäischen Weltsystem entlehnt.

Im Sonnenhimmel sättigt Gott die seligen Kirchenlehrer, indem er ihnen die Geheimnisse der Dreieinigkeit zeigt, die ewige Erzeugung des Sohnes und das Wehen des heiligen Geistes. Ein Kreis von Lichtgestalten umringt den Dichter, vergleichbar dem "Hofe" des Mondes, wenn um ihn die feuchten Dünste "den Faden festhalten" (gleichsam als Kranzträger), der den Lichtgürtel bildet. Einer dieser Geister, deren Gesang Menschen nicht zu beschreiben ist, redet Dante an, um alle seine Wünsche zu erfüllen. Anders zu handeln, den Dürstenden nicht zu erquicken, wäre gegen die Natur der im Himmel waltenden Liebe, die wie ungehemmtes Wasser bergab strömt, sich im Beglücken aller zu Gott Emporsteigenden ergießt. Zwar Dante wird die himmlische Leiter wieder hinabsteigen müssen, aber auch den Hinabsteigenden wird sie immer wieder zur Höhe führen.

Der Redende ist der Dominikaner Thomas von Aquino (1224-1274), der größte Theolog der römischen Kirche, ihr doctor angelicus, den noch in unseren Tagen der Papst als Führer und Leuchte den Gottesgelehrten feierlich empfohlen hat. Wie andächtig Dante seine Werke studiert hat, lehrt die Divina commedia fast in jedem Gesange. Thomas erscheint mit seinem Lehrer Albert dem Großen (1193-1280) und folgenden zehn Genossen: 1. Gratian von Bologna (12. Jahrhundert), Autorität im kanonischen Recht und auch im bürgerlichen, darum "für beide Fora" als Helfer gepriesen. 2. Petrus Lombardus, Bischof von Paris (1155), Verfasser der vielgelesenen libri sententiarum, die er, wie er in der Vorrede schreibt, der Kirche darbrachte als ein Scherflein, dem der Witwe im Evangelium ähnlich. 3. König Salomo, unter den Theologen wegen der ihm zugeschriebenen Bücher: Sprüche, Prediger, Hohes Lied. Das letztgenannte Lied, als Brautgesang Christi und der Kirche gedeutet, hat vermutlich den Vers veranlaßt: "Dies Licht strömt solche Glut der Liebe usw." Angedeutet wird, daß Salomos Seligkeit auf Erden angezweifelt werde. Aber er strahlt sogar als schönstes unter den Lichtern der Kirche; denn Gott, die Wahrheit selbst, hat gesagt, daß an Weisheit und Verstand seinesgleichen nicht gewesen sei, noch sein werde (l. Könige 3, V. 12). 4. Dionysius Areopagita, des Apostels Paulus Schüler, der Schutzpatron Frankreichs. Das ihm fälschlich zugeschriebene Buch über die Engel (de coelesti et ecclesiastica hierarchia) galt für ein auf Mitteilungen des Apostels beruhendes Werk. Auch Dante hat es, wie wir im 28. Gesange sehen werden, gläubig benutzt. 5. Paulus Orosius (5. Jahrhundert) Verfasser einer Weltgeschichte, in der er das Christentum gegen die Anklage, daß es dem römischen Reiche Unheil gebracht habe, verteidigte. Augustinus sogar hat Argumente des Orosius in der Civitas Dei benutzt, doch nennt Dante ihn neben den andern nur als ein kleineres Licht. 6. Boëthius, der Verfasser des berühmten und von Dante hochgeschätzten Buches de consolatione philosophiae. Er ward unter dem Gotenkönig Theodorich eingekerkert und getötet. Sein Grab ist in der Peterskirche zu Pavia, die "der güldne Himmel, cieldauro" genannt wird. 7. Isidor von Sevilla († 638). Bischof und Bekämpfer der Arianer. 8. Beda, der ehrwürdige englische Mönch († 735), ein fruchtbarer Schriftsteller. Von ihm erzählt die Legende, er sei von seinem Führer ─ denn er war erblindet ─ in eine Einöde geführt und dort durch das Vorgeben des mutwilligen Buben, daß eine Menge Volks seiner Ansprache harre, zum Predigen veranlaßt worden. Da hätten die Steine das Amen gesprochen. 9. Richard, Prior zu St. Victor in Paris (12. Jahrhundert), Verfasser einer Abhandlung de trinitate und zweier Bücher, Benjamin major und Benjamin minor, über die Kontemplation. 10. Sigerius von Brabant, Lehrer der Philosophie zu Paris (vor 1300). Sein Hörsaal lag in der Rue de Fouarre (etwa Stroh- oder Halmenstraße) rechts vom Stadthause, und manche meinen, Dante habe dort zu seinen Füßen gesessen. Was für "verhaßte Wahrheiten" er gelernt haben mag, weiß man nicht mehr; er mußte sich einmal wegen Ketzerei verantworten, ward aber freigesprochen.

Der von Gesang begleitete Reigen der zwölf seligen Lehrer wird mit den Bewegungen der teils ziehenden, teils drängenden Räder einer Uhr verglichen, wenn sie das Glockenspiel ertönen läßt, das die Kirche zum Morgenliede, der Frühmesse, ruft.

Das Wort Aphorismen im Eingange bedeutet Heilkunst, nach dem Titel der Schrift des Hippokrates.

Dante nimmt Anstoß an zwei Worten des Aquinaten: daß nämlich "fett werde, wer nicht von der Weide des h. Dominicus abschweife," und daß "Salomo an Wissen höher stehe als alle Menschen vor und nach ihm". Thomas erklärt ihm zunächst die erstere Äußerung. Er skizziert die beiden großen Ordensgründungen des 13. Jahrhunderts. Der Orden des h. Dominicus widmete sich ursprünglich vorzugsweise dem Lehramt und der Theologie, daher der Stifter mit den Cherubim, als den Engeln der höchsten Erkenntnis, verglichen wird, während der h. Franz seine Mönche mehr mit dem seraphischen Geiste zu erfüllen und auf Aneignung der göttlichen Barmherzigkeit hinzulenken strebte. Zu Dantes Zeit hatten beide Orden schon auszuarten und einander zu befehden angefangen: das Lob der Stifter ist daher indirekt eine Strafpredigt wider die Nachfolger, und eine Lehre für die Hadernden ist es, daß der Dominikaner Thomas den h. Franz, der Franziskaner Bonaventura den h. Dominicus verherrlicht.

Die Lage der Stadt Assisi, wo der h. Franz 1182 zur Welt kam, wird genau beschrieben. Am fruchtbaren Abhange des Monte Subasio, von dessen Schnee Perugias Klima beherrscht wird, zwischen den Tälern der Flüsse Tupino und Chiasso (welcher unweit Gubbio, dem Bischofssitze des h. Ubaldus, entspringt) unterhalb der von Perugia unterjochten Orte Nocera und Gualdo liegt die Stadt Assisi oder Ascesi (ascesi, ich hin emporgestiegen), welche verdiente "Orient" zu heißen wegen des großen Lichtes, das in ihr aufging. Franz war der Sohn des Kaufmanns Peter Bernardone; in glänzender Jugend, fröhlich, unternehmend, tapfer, wandte er plötzlich der Welt den Rücken; dem Zorne und selbst dem Fluche des Vaters trotzend, vermählte er sich, wie er selbst es ausdrückte, "mit dem reichsten, schönsten aller Weiber, der Armut", widmete er sich ganz der Andacht und der Barmherzigkeit. Seit 1209 legte er die Tracht an, die noch die Barfüßler auszeichnet, und begann dem Volke Buße zu predigen. Sieben Genossen, von seinem Beispiel entzündet, schlossen sich ihm an und bildeten den Keim des hernach so gewaltigen Ordens, unter ihnen Bernhard, Silvester, Ägidius. "Vor dem heiligen Areopag", das heißt vor dem päpstlichen Stuhle, erfolgte die förmliche Aufrichtung der neuen Ordensregel, "die Vermählung mit der Armut", um die, seit ihr erster Gemahl Christus gestorben war, niemand mehr gefreit hatte. Die Menschen hatten wohl im Poeten Lucan gelesen, wie Armut dem Fischer Amyklas Mut verlieh, selbst dem großen Cäsar gelassen entgegenzutreten; sie wußten, daß Armut dem Heiland bis ans Kreuz folgte, aber ihre Hand hatte keiner begehrt. Innocenz III. fand das Armutsgelübde zu weitgehend; es kostete Mühe, dafür die Genehmigung zu erwirken. Nur mündlich ward sie erteilt; erst Honorius III. gab 1235 die urkundliche Bestätigung der Regel, "den Schmuck der zweiten Krone". Nach dem Märtyrertum sich sehnend, war Franz 1213 nach Spanien gegangen, den Mauren zu predigen, aber ohne Erfolg. Nur in den christlichen Provinzen verbreitete sich sein Orden. 1219 ging er nach Ägypten, um den Sultan zu bekehren. Er erbot sich zur Feuerprobe, wenn der Sultan verspreche, im Fall des Gelingens sich taufen zu lassen. Der Sultan ging nicht darauf ein, schickte aber den Heiligen mit sicherem Geleit ins christliche Lager zurück, Nachdem Franz zwei Jahre lang schmerzliche Krankheit geduldig ertragen hatte, starb er im Jahre 1226. Im Jahre 1224 hatte er sich nach dem Berge Alverna (zwischen Arno und Tiber) zurückgezogen zu schärfster Kasteiung. Vertieft in Christi Passion hatte er Gesichte; er sah einen Seraph in der Stellung des Gekreuzigten, und während dieser Vision erschienen an seinem Körper die fünf Wundenmale Christi, aus deren einem, der Wunde in der Seite, häufig Blut floß. Das war, wie Dante sagt, "das letzte Siegel Christi", das sich den Gliedern des Heiligen aufdrückte. "Aus dem Schoße der Armut", vom nackten Erdboden, auf dem der Sterbende gelegen hatte, ward er zu Grabe getragen. So ergriffen zeigt Dante sich von der Herrlichkeit des Charakterbildes, daß er in den Versen 95, 96 ausnahmsweise ein Versehen macht. Er vergißt, daß er die Lobrede einem Himmelsbewohner in den Mund gelegt hat.

Zum Schlusse stellt Thomas seinen Meister Dominicus dem h. Franz als ebenbürtig zur Seite: wer ihm nachfolgt, wird wohl fahren. Aber seine Ordensbrüder haben sich im Laufe der Zeit von dem richtigen Wege entfernt; die Herde, eigenen Gelüsten folgend, verläuft sich auf unnahrhafte Triften; daher hat er vorhin gesagt, daß die Schafe nur auf des Meisters eigener Weide fett werden.

Der Reigen der zwölf Seligen, mit einer sich drehenden Mühle verglichen, wird jetzt eingeschlossen von einem Kreise anderer Geister, wie der innere Regenbogen von dem äußern, und es ertönt Gesang, der zu unserem sich verhält wie das eigne Licht der Körper zum entlehnten. Der äußere Regenbogen ist wie ein Echo des inneren; deshalb vergleicht Dante ihn mit der Nymphe Echo, die vor Liebe zum Narzissus so dahinschwand, daß nur ihre Stimme blieb.

Der berühmte General des Franziskanerordens und Kardinal Bonaventura (1221-1274) preist den Stifter des streitbarsten und gelehrtesten unter den Mönchsorden, den h. Dominicus. Dieser ward 1170 zu Callaroga in Spanien geboren, unter dem Wappen von Kastilien und Leon, welches einen Löwen über und einen Löwen unter einem Kastell zeigt. Seine Eltern hießen Felix und Johanna. Der Mutter träumte während der Schwangerschaft, daß sie eine weltentzündende Fackel gebäre; seine Taufpatin sah im Traume das Kind mit einem weithin leuchtenden Sterne vor dem Haupte; ein Traumgesicht veranlaßte die Eltern, ihm das Possessivum von dominus als Namen beizulegen (Dominicus, dem Herrn gehörend). Noch unter der Obhut der Wärterin begann er fromme Übungen, verließ er zum Beispiel gemäß dem "ersten Rat, den Christus gab", die Armut nicht zu scheuen (Matthäi 19, 21), nachts das Bett, um sich auf die harte Flur zu strecken, die Eltern preist Dante glücklich, anspielend auf ihre Namen, Felix und Johanna, das ist gratiosa, die Begnadigte. Dominicus ward in jungen Jahren ein großer Theolog, nicht aus Ehrgeiz wie die heutigen, sagt Dante, welche in die Fußstapfen des gelehrten Kanonisten, des Bischofs von Ostia treten, sondern aus Liebe zur Kirche. Er suchte in Rom nicht, wie die meisten, Dispense, Pfründen, Güter, die von Rechts wegen den Armen gehörten, oder Entbürdung von Gelübden, sondern nur die Erlaubnis, für Gott zu streiten. Dem päpstlichen Stuhle wird bei diesem Anlasse nachgesagt, daß er damals für die Armen milder gewesen sei als unter seinem jetzigen unwürdigen Inhaber. Dominicus war bekanntlich ein gewaltiges Rüstzeug wider die Ketzerei. Im Lande der Albigenser gründete er seinen Orden, der durch Beispiel und Predigt den Irrtum bekämpfen sollte. Im Jahre 1217 bestätigte Papst Honorius förmlich die Regel des Dominicus; als dieser letztere 1221 starb, bestanden schon sechzig Dominikanerklöster, die bald sich über Europa verbreiteten. Zehn Jahre später ward dem neuen Orden das Amt der Inquisition übertragen.

Die beiden großen Mönchsorden mit den zwei Rädern eines Streitwagens der kämpfenden Kirche vergleichend, kommt Bonaventura auf die Nachfolger des h. Franz. Dies zweite Rad, sagt er, läuft nicht mehr in dem Geleise, welches der höchste Teil seines Umfanges, das heißt der Stifter, vorgezeichnet hat, es gleicht einem schlecht verwahrten Weinfasse, das Schimmel oder Kahm statt Weinstein ansetzt: die entarteten Brüder werden am Tage des Gerichts es bereuen, daß sie nicht zu dem Weizen gehört haben, der nach der Schrift in die Scheuern gesammelt werden soll, während das Unkraut ins Feuer geworfen wird. Zu Dantes Zeit befehdeten innerhalb des Franziskanerordens einander eine laxe Richtung unter Matthäus von Aquasparta und eine strenge unter Ubertin von Casala, die erstere der Regel zu untreu, die andere zu engherzig jeder Reform abhold.

Die elf Seligen, die mit Bonaventura den äußeren Kranz bilden, sind: 1. Augustinus, Provinzial des Franziskanerordens (13. Jahrhundert). 2. Illuminat, einer der ersten Schüler des h. Franz und sein Begleiter nach Ägypten. 3. Hugo (geb. 1097) aus dem deutschen Grafengeschlecht von Blankenburg, Mönch zu St. Victor in Paris, ein zur Mystik neigender, vielgelesener Schriftsteller. 4. Petrus Comestor (der Esser), Kanzler der Pariser Hochschule, Historiograph († 1179). Warum er Esser zubenannt war, weiß ich nicht. 5. Petrus Hispanus, als Papst Johann XXI. († 1277), Verfasser der zwölf Bücher Summae logicales. 6. Der Prophet Nathan. 7. Der Kirchenvater Chrysostomus. 8. Anselm von Canterbury (1054 his 1109), der berühmte Vater der scholastischen Wissenschaft. 9. Donatus, der gepriesene Grammatiker (4. Jahrhundert), in dem "die erste Kunst' (nämlich die erste der sogenannten sieben freien Künste, die Grammatik) ihren Meister anerkannte. 10. Rabanus Maurus, Abt von Fulda, dann Erzbischof von Mainz (7(6-856). 11. Joachim, Abt von Curazzo (1130-1202), der durch einen Kommentar zur Apokalypse sich den Ruf erwarb, daß er die Gabe der Weissagung besitze. In seiner Heimat Kalabrien ward er, obwohl nicht kanonisiert, als Heiliger verehrt.

Um sich vorzustellen, wie die beiden seligen Chöre Dante umkreisen, soll man sich die fünfzehn Sterne erster Größe, die sieben des Wagens und die zwei letzten des kleinen Bären, also vierundzwanzig im ganzen, und alle diese Sterne in zwei konzentrischen Kreisen stehend denken, ähnlich dem Gestirn, welches nach Ariadne, der Tochter des Minos, genannt wird. Freilich gibt dies nur ein schwaches Bild; zwischen himmlischen und irdischen Anblicken ist der Abstand so groß wie zwischen dem Fluge des obersten, schnellsten Himmels und dem trägen Lauf des (jetzt trockengelegten) Flusses Chiana bei Arezzo. Der kleine Bär wird hier seiner Gestalt wegen das Horn genannt, dessen Spitze oder Mund den Pol der Weltachse berührt.

Thomas von Aquino, er, der vorhin vom h. Franz, "dem Armen Gottes", geredet hat, nimmt wieder das Wort, um nun Dantes zweites Bedenken zu beseitigen. Von dem "fünften Lichte" im ersten Chor, König Salomo, hatte Thomas gesagt, kein zweiter vor oder nach ihm sei ihm an Wissen gleich gewesen. Aber Adam im Zustande der Vollkommenheit und Jesus hatten doch alle Erleuchtung, deren die menschliche Natur fähig ist, empfangen. Sowohl Thomas als die Schrift, auf die er sich beruft, scheinen also eines Irrtums überführt. Allein recht erklärt, haben beide Behauptungen nur eine Wahrheit zum Grunde, wie der Kreis nur einen Mittelpunkt hat.

Die gesamte Welt ist zwar eine Schöpfung der Gottheit, aber sie ist es in verschiedenem Sinne. Das schaffende Element der Dreieinigkeit (der Logos, das "wahre Licht", welches sich nie "enteint" von dem Leuchtenden, Gott Vater, noch von der Liebe, dem heiligen Geiste) spiegelt sich unmittelbar nur in den ersten Kreaturen, den neun Engelchören, und den neun Himmeln; alle anderen Dinge, die sogenannten contingentia oder Zufälligkeiten, entstehen nur mittelbar vermöge des höchsten Willens; unmittelbar werden sie erzeugt aus den Elementarstoffen unter Einwirkung der in den Himmelskörpern tätigen Kräfte. Weil nun der Stoff und der Einfluß der Sterne je nach der Konstellation ungleichartig sind, fallen auch ihre Produkte verschieden, der ursprünglichen Idee mehr oder minder unähnlich, aus. Vollkommnes entsteht nur, wo Gottes Liebe und Allmacht unmittelbar schaffen, wie damals, als die Erde sich beseelte, um Adam ins Dasein zu rufen, und damals, als Jesus im Schoße Marias Mensch ward. Diese beiden waren daher an Geist höher als alle durch Zeugung entstandenen Menschen, höher auch als Salomo. Die Schrift hat aber, wie ihr Zusammenhang lehrt, Salomo nicht allgemein, sondern nur hinsichtlich seiner königlichen Weisheit an den ersten Platz stellen wollen. Er bat nicht um Erleuchtung schlechthin, nicht um Auskunft über wissenschaftliche Probleme und Weltgeheimnisse, als da sind: wie viele Intelligenzen die Himmelskörper bewegen? ob aus einem notwendigen und einem möglichen Satze ein notwendiger Salz folgen kann? ob eine erste Bewegung angenommen werden muß? ob man in einen Halbkreis, das heißt zwischen Durchmesser und Grenzlinie des Kreises, ein Dreieck ohne rechten Winkel zeichnen kann? Sondern er begehrte ein verständiges Herz, "um das Volk zu richten". Das Wort, dalt keiner so hoch stieg wie er, gilt also nur von der Herrscherweisheit, nicht von metaphysischem, dialektischem, geometrischem Wissen.

An diese Erörterung knüpft Thomas die Lehre, daß man mit Behauptungen, denen nicht der Augenschein zur Seite stehe, vorsichtig sein müsse. Die Philosophen Parmenides, Melissus und Bryson, deren irrige Schlüsse Aristoteles rügt, sind warnende Beispiele, wie auch die christlichen Irrlehrer Sabellius und Arius, welche aus Schriftstellen beweisen wollten, ersterer, daß Gott der Vater als Christus Mensch geworden, dieser, daß Christus nicht Gott noch Gott gleich sei. Auch über Menschen soll man nicht vorschnell urteilen: der Schein trügt; der Sünder kann sich bekehren, der Gerechte fallen.

Auf die Rede des h. Thomas, die vom Kreise nach dem Zentrum ging, folgt in umgekehrter Richtung eine Rede der Beatrix. So, sagt der Dichter, bewegt im runden Napfe sich das Wasser entweder nach dem Rande oder nach der Mitte, je nachdem es von außen oder von innen erregt wird. Beatrix regt zwei Fragen an, die auch Thomas von Aquino in seinen Schriften erörtert hat: ob die Körper der Seligen nach der Auferstehung leuchten werden, und ob mit der Auferstehung des Fleisches die Sinnesorgane, namentlich die des Gesichts, sich ebenso wie auf Erden verhalten werden. Thomas bejaht das Leuchten und findet nun die Schwierigkeit darin, daß das Auge, wenn es selbst leuchte, die äußeren Gegenstände nicht aufnehmen könne. Denn der Spiegel, um spiegeln zu können, muß selbst dunkel sein. Dante dagegen fragt, wie das körperliche Auge im stande sein werde, das überirdische Glänzen der verklärten Leiber zu ertragen.

Die Antwort gibt "das göttlichste der zwölf inneren Lichter", Salomo. Das Leuchten der Seligen ist Folge ihrer Liebe, die Liebe Folge ihres Schauens, das Schauen wird ihnen durch Gnade, nicht durch eigne Kraft zu teil. Die Gnade steigt mit Gottes Wohlgefallen an der Seele; die Seele aber wird nach der Auferstehung ihm wohlgefälliger sein, weil die Vereinigung mit dem Leibe zu ihrer Vollkommenheit gehört. Das Leuchten wird daher nicht nur bleiben, sondern wachsen. Der jetzige Glanz wird zu dem künftigen des auferstandenen Körpers sich verhalten wie das Licht der Flamme zu dem der Kohle, welche, solange sie flammt, mehr leuchtet als die Flamme. Die Augen aber werden mit der Sehkraft, die dem Himmel gemäß ist, ausgestattet sein.

Da die Auferstehung die Seligkeit erhöhen wird, sehnen sich die Geister nach ihrem Leibe, wie Thomas lehrt. Dante scheint dies Motiv als zu selbstsüchtig abzuweisen und dafür die Sehnsucht nach der Wiedervereinigung mit teuren Menschen zu setzen. Diese mögen sich im Fegefeuer aufhalten, aber am Tage der Auferstehung werden sie in den Himmel eingehen.

Zum Mars, dem fünften Himmel, entrückt, sieht Dante dort die Seligen in einer Gruppe funkelnder Juwelen, welche die Gestalt des gekreuzigten Christus annimmt. Man hat sich zu vergegenwärtigen, daß ein Kreuz entsteht, wenn man von den Quadrantenpunkten des Kreises gerade Linien nach dem Mittelpunkte zieht. innerhalb dieser hellen Kreuzform schimmern die seligen Geister wie die Sterne, die sich von der Milchstraße abheben. Von der Milchstraße, die zu den verschiedensten Deutungen Anlaß gab, wird gesagt, "daß sie Weise zweifeln mache". An dem Stamme des Kreuzes und "von Horn zu Horn", an dem Querbalken, bewegen sich die Geister frei umher, Sonnenstäubchen vergleichbar, heller aufleuchtend, wenn zwei einander begegnen. Eine weitere Schilderung unterläßt der Dichter; sie wäre unmöglich, wie ihm dereinst diejenigen bestätigen werden, die Gott begnadigt, nach dem Tode dies Christusbild mit eignen Augen zu schauen. Bemerkt mag hier werden, daß viermal in der Divina Commedia der Name Christus im Reime steht und immer nur mit sich selbst gereimt wird, wie wenn kein andres Wort dessen würdig wäre. Sonst würde es im Italienischen an Reimen auf Cristo nicht fehlen.

Der Anblick des Kreuzes entzündet im Herzen Dantes Liebe, wie kein anderer je getan hat, Selbst die Augen Beatricens hatten solche Macht nicht ausgeübt, aber freilich hatte er diese nur erst in ihrer fünften Verklärung gesehen, noch nicht mit dem Siegel, welches der fünfte Himmel ihnen aufprägen sollte. Es ist also keine Herabsetzung der Geliebten, was er hier sagt; hätte er sie sofort beim Eintritt in die Sphäre des Mars angeblickt, so würde sie ihm auch hier alles überstrahlt haben. Denn auch ihre Schönheit steigert sich wie die der Himmel selbst, je höher der Flug geht. Keineswegs tritt also die "heilige Lust", die von den geliebten Augen ausgeht, fortan zurück, sondern auch sie wird im Steigen zu den oberen Sphären reiner und klarer. Der 15. Gesang wird dies zeigen.

Da die Seligen von hilfreichem Willen Dante gegenüber erfüllt sind, verstummt, ehe er sie bittet, ihr Gesang, "die süße Lyra", und wie nach Virgils Erzählung Anchises den Sohn Äneas im Elysium begrüßte, so begrüßt einer der Geister den Dichter. Es ist Cacciaguida, Dantes Ururgroßvater (1091-1147). Als Genosse einer entschwundenen Generation spricht er lateinischen Willkomm: "O du mein Blut, o überströmende Gnade Gottes! wem ward jemals wie dir die Himmelstür zweimal geöffnet?" Er kennt des Enkels Gedanken aus seiner Anschauung des Weltbuchs, in dem alle Dinge verzeichnet stehen, und durch das Licht des Gedankens, der zu allen Gedanken der Erschaffenen sich verhält wie die Eins zu allen aus ihr entstehenden Zahlen. Aber um die Stimme des Enkels zu Hören, läßt er ihn sein im voraus gewährtes Verlangen sagen.

Dante antwortet, daß er dem Ahn seinen Dank bezeugen möchte, aber nicht könne. Denn des Menschen Wille und Einsieht sei nicht gleiches Maßes wie Wille, Wissen und Können der Seligen, die in dieser Hinsicht Gott ähnlich seien. In Gott sind nämlich alle Eigenschaften gleich vollkommen, daher er "die erste Gleichheit" genannt wird und neben der völligen Gleichheit, die zwischen seinem Licht und seiner Liebe besteht, alle anderen Ähnlichkeiten dürftig erscheinen. Auf Dantes Bitte gibt dann der Geist sich zu erkennen.

Cacciaguida war vermählt mit einer Alighieri aus Parma oder Ferrara; nach ihr benannte man die Familie. Aus dem Schlusse des Gesanges ergibt sich, daß er von Kaiser Konrad III. zum Ritter geschlagen ward, mit ihm nach Palästina zog (1147) und dort im Kampfe für "das Recht der Christen", das heilige Grab, fiel. Sein Sohn Alighiero war Dantes Urgroßvater; seit hundert Jahren ist er bereits im Fegefeuer, bei den Stolzen im ersten Kreise. Der Ahnherr schildert, wie es zu seiner Zeit in Florenz aussah. Die Stadt lag noch innerhalb der alten Mauern, an welche die "Abtei", la Badia, grenzte, deren pünktliches Geläute noch zu Dantes Zeit den Bürgern statt einer amtlichen Uhr diente. Das Volk war arm, sittenstreng und redlich. Die Frauen trugen noch nicht Putz, "an dem mehr zu sehen ist als an ihnen selbst". Die Höhe der Mitgiften, die frühen Heiraten jagten noch nicht den Vätern Schrecken ein; die Wohnhäuser waren nicht so groß, daß sie menschenleer schienen; sardanapalisch eingerichtete Kammern gab es nicht. Wenn man vom Berge Uccellatojo auf Florenz schaute, hatte man noch nicht einen prächtigeren Anblick als vom Montemalo (Montemario), von dem man Rom sieht. Zu Dantes Zeit schien jener Berg diesen zu besiegen, aber es wird dem florentinischen ein rascherer Verfall geweissagt. Die ersten Männer der Stadt trugen lederne Koller, beinerne Gurtschnallen; Spinnen und Weben war die Beschäftigung der Frauen. Man lebte und starb in der Heimat; die Bürger trieben sich nicht Erwerbes halber in Frankreich umher, ihre Weiber als Witwen zurücklassend. Üppige und prunkvolle Existenzen, wie zu Dantes Zeit die schöne Cianghella della Tosa, eine Erfinderin verschwenderischer Moden, und der prachtliebende Richter Lapo Salterello, waren unbekannt.

Dieser ehrwürdigen Stadt, sagt Cacciaguida, habe die mit Stöhnen angeflehte Mutter Gottes ihn gegeben. Die Jungfrau Maria ist die Schutzpatronin der Gebärenden, wie Juno es bei den Römern war.

Dante, der nicht an die Vererbung der Tugenden glaubte und in seinem Convito den Geschlechtsstolz als Torheit rügt, gesteht ein, angesichts des ritterlichen Ahnherrn selbst im Himmel, wo doch der Wille sich nur auf die echten Güter richtet, eine Anwandlung dieses Stolzes gefühlt zu haben. Er redet den Geist, wie einen Vornehmen, mit "Ihr" an, was er sonst nur seinem Lehrer Brunetto Latini (in der Hölle) und Beatrix gegenüber tut. Dies ehrerbietige "Ihr", bemerkt er, hat Rom zuerst sich gefallen lassen, was allerdings von der späteren Kaiserzeit richtig ist. Zu Dantes Zeit war in Rom "andrer Brauch", nämlich das Duzen, vorwiegend. Dantes aus Familienstolz zu deutende feierliche Anrede macht Beatrix lächeln, und dies Lächeln bringt den Dichter zum Bewußtsein seiner Schwäche. Darum vergleicht er es mit dem Husten, durch welches Ginevras Begleiterin ihre Herrin warnte, als diese zum erstenmal Lanzelot küßte, - ein Zug, der übrigens in den uns erhaltenen Texten des Romans vom Lanzelot nicht vorkommt.

Dante wünscht mehr vom alten Florenz, "der Hürde des h. Johannes" (weil der Täufer der Patron der Stadt ist), zu vernehmen. Cacciaguida sagt: vom ersten Ave, also von Mariä Verkündigung bis zu seiner Geburt, sei der Planet Mars fünfhundertachtzigmal in das Zeichen des Löwen getreten, mit anderen Worten, habe so viele Umläufe gemacht. Danach wäre, da die Umlaufszeit des Mars zu fast 687 Tagen angenommen wurde, Cacciaguida im Jahre 1091 geboren. Vom Planeten Mars scheint zu gelten, daß er im Zeichen des Löwen seinen stärksten Einfluß übe.

Cacciaguida spricht wie der Sohn einer alteingesessenen Familie, deren Wohnung im ältesten Stadtteile lag, da wo beim jährlichen St. Johannis-Rennen die Renner zuerst in das letzte Sechstel der Stadt, "Porta San Piero", gelangten. Zu seiner Zeit hatte die Stadt zwischen der "alten Brücke", wo die Statue des Mars bis zum Jahre 1333 stand, und dem Baptisterium St. Johannis nur den fünften Teil der Einwohner, die sie um 1300 zählte, aber die Bürgerschaft war noch nicht durch Einwanderer aus den toskanischen Flecken Campi, Certaldo, Fighine u. s. w. verschlechtert. Ein enges Gebiet, etwa bis Trespiano, zwei italienische Meilen vor dem Stadttor, war dem öffentlichen Wohl zuträglicher als das spätere Wachstum, dessen Folge es war, daß Demagogen bäurischer Abkunft (aus der Ackerbauortschaften Signa und Aguglione) innerhalb der Mauern schalteten. Die ungünstige Entwicklung ward verschuldet durch das stiefmütterliche Verhalten Roms gegen den Kaiser; die entstehenden Händel machten es den durch Einwanderung erstarkten Städten möglich, sich auf Kosten des Landadels zu erweitern. Ohne diesen bösen Einfluß würde mancher zu Simifonti (einem 1202 von den Florentinern eroberten Schlosse) Fronknecht sein, der jetzt in Florenz den großen Kaufmann spielt, würden die Grafen Guidi nicht die Herrschaft Montemurlo in ihrer Not um fünfhundert Gulden der Stadt verkauft haben (1209), würde die Familie der Cerchi nicht aus Acone nach Florenz gezogen und dort als Führerin der Ghibellinen mächtig geworden sein, ebensowenig das unheilvolle Geschlecht der Buondelmonti, welches nach Florenz kam, als die Bürger ihm sein Schloß am Flusse Grieve brachen (1135).

Wenn sogar Städte sterben, wie Urbisaglia, Luni, Clusium, Senegallia, so ist es nicht zu verwundern, daß die regierenden Geschlechter, die Cacciaguida kannte, dahin geschwunden sind; gleicht doch die Geschichte seiner Stadt dem ewigen Wechsel zwischen Ebbe und Flut. Der Geist nennt eine Reihe edler Geschlechter, die im 12. Jahrhundert in ihren betürmten Häusern sicher wohnten, im 15. Jahrhundert erloschen waren. Das uralte Geschlecht der Ravignani hatte ein festes Haus an der Porta San Piero; zu Dantes Zeit wohnten darin reichgewordene Plebejer, eben jene zuvorgenannten Cerchi, auf deren Parteitreiben der Erzähler mit den Worten "neue Niedertracht" anspielt. Einer dieser Ravignani war der Bellincione, von dem es im 15. Gesange heißt, daß er sich mit Ledergurt und beinerner Schnalle begnügte. Seine Tochter Waldrade heiratete 1214 den älteren Grafen Guido, dessen Nachkommen Dante in der Hölle (Ges. 16) trifft. Eine Familie wird nur durch ihr Wappen (den Hermelinstreif) bezeichnet: es ist die der Pigli; eine andere durch den Umstand, daß "sie sich eines Scheffels wegen schämt"; das sind die Chiarmontesi, deren einer, Durante, im Jahre 1299 das Salzmagazin verwaltete und das Maß fälschte, um sich zu bereichern. Das Geschlecht, "das Übermut vernichtet hat", ist das der Uberti, den Hohenstaufen ergeben, eine Zeitlang allmächtig, dann durch Volksaufruhr gestürzt. Gleichen Ansehens waren die Lamberti, die goldene Kugeln im Schilde führten. Sie hatten vom Kaiser das Vorrecht, sich zu Pferde begraben zu lassen. Die drei Geschlechter Visdomini, Tosinghi und Aliotti waren Schutzherren der Bischofskirche; sie hatten das Recht, während erledigten Sitzes in der bischöflichen Wohnung zu essen und zu schlafen und das Stiftsvermögen zu verwalten, was denn nicht ohne Mißbrauch abgegangen sein mag. Die "freche Sippe" V. 115 sind die Adimari, von niederem Ursprunge, aber schon im 12. Jahrhundert so angesehen, daß obengedachter Bellincione eine Tochter einem Adimari verheiratete, zum großen Verdrusse seines älteren Eidams Ubertin Donato, eines Vorfahrens von Dantes Frau. Dante soll einen Boccaccio Adimari, dem Geldgier vorgeworfen wird, beleidigt und dieser sich durch Raub an dem Gute des Verbannten gerächt haben.

So gutartig waren die Bürger der alten Zeit, daß sie, "unglaublich, aber wahr", ein Tor der inneren Mauer nach einer vornehmen Familie (della Pera) nannten!

Sieben ritterbürtige Familien werden durch den Umstand gekennzeichnet, daß sie alle das Wappen "des großen Freiherrn", nämlich Hugos, Markgrafen von Toscana unter Kaiser Otto III. († 1001), führten. Am Thomastage feierte man jährlich sein Totenfest in der Abtei. Eins der sieben Geschlechter, della Bella, welches das Wappen mit Goldverbrämung führte, ging später zur Volkspartei über, die zu Dantes Zeit der berühmte Giano della Bella führte.

Die V. 133 genannten Gualterotti wohnten im Borgo San Apostolo, und die bösen Nachbarn, auf die angespielt wird, sind die Buondelmonti, die 1135 von ihrem Herrensitze am Grieve und am Emaflusse nach Florenz kamen. besser wäre es gewesen, der Emafluß hätte sie vorher verschlungen. Ein Buondelmonti war 1215 mit einer Amidei verlobt, ließ sie aber sitzen und heiratete eine Donati. Als er am Ostermorgen über die Brücke ritt, ward er von den Amidei ermordet, nahe bei der mehrerwähnten trümmerhaften Marsstatue, gleichsam zum Opfer dem Gotte blutigen Haders. Dieser "gerechte Zorn" entzündete die erste Geschlechterfehde in Florenz, und von nun an folgte ein wütender Parteikampf dem andern. Mit dem Tode des treulosen Buondelmonte endete die gute alte Zeit, wo die Fahne von Florenz (weiße Lilie im roten Felde) nie vor Siegern in den Staub gesunken, noch weniger von Bürgerblut befleckt worden war. Als in Dantes Zeit die Volkspartei die Überhand gewann, änderte die Stadt ihr Wappen: die Lilie wurde rot, das Feld weiß.

Wie Phaëton, der Sohn Apollos und der Klymene, beunruhigt durch die Anspielungen seiner Gespielen, die seine göttliche Abkunft zu leugnen schienen, zur Mutter ging, um die Wahrheit zu hören, so wendet Dante sich an seinen Urahn, um Auskunft über die dunklen Prophezeiungen von einem ihm bevorstehenden schweren Schicksal, die er in der Hölle (Ges. 10, V. 79 u. 124, Ges. 15, V. 61 u. 88) und im Fegefeuer (Ges. 8, V. 133, Ges. 11, V. 140, Ges. 24, V. 43) vernommen hat. Phaëtons Beispiel hat "die Väter karg gemacht", weil die Nachgiebigkeit Apollos gegen die törichte Bitte des Sohnes so verderbliche Folgen hatte.

Obwohl die Seligen seine Gedanken lesen, mahnt Beatrix ihren Schützling, sie auszusprechen, damit er lerne, seinen Durst zu erkennen zu geben. Darin liegt die Lehre, daß das Gebet dem Beter heilsam sei, wennschon der Allwissende es im voraus kenne.

Cacciaguida sieht die der Endlichkeit, "dem Buche der Elemente", angehörenden künftigen Wechselfälle in dem Spiegel des göttlichen Auges, vor dem sie als Gegenwart stehen. Dies gibt Anlaß, die Lehre abzuweisen, daß die von Gott vorausgewußten Dinge dem Zwange der Notwendigkeit unterliegen. Gott sieht die Dinge, weil sie geschehen werden; unrichtig ist es zu sagen, die Dinge müssen geschehen, weil Gott sie sieht. Das Auge sieht die Bewegung des Schiffs, aber es bewirkt sie nicht.

Der Geist weissagt dem Dichter seine Verbannung, die im Jahre 1302 erfolgte, als die Partei der Weißen mit Hilfe der Franzosen gestürzt worden war. Seine Feinde verschärften das Exil, indem sie seine Ehre untergruben. Bestechlichkeit und unerlaubten Gewinn wirft ihm das Verbannungsdekret vor: "der Ruf der Schuld folgt dem, den man gekränkt". Den Anstifter des Unglücks erblickt er in Bonifaz VIII., der allerdings, auf Betreiben Corso Donatis, die Intervention Karls von Valois in Toskana veranlaßte. Alle angesehenen Bürger der weißen Partei wurden nach dem Siege der Schwarzen aus Florenz vertrieben, aber Dante hielt sich fern von seinen Unglücksgefährten, deren Unternehmungen gegen die Vaterstadt ihm entweder tollkühn oder unpatriotisch erscheinen mochten. Auch lag ihm die Wiedergeburt Italiens, namentlich seit Kaiser Heinrichs VII. Regierungsantritt, mehr am Herzen als das florentinische Parteitreiben.

Sein erstes Asyl fand Dante in Verona bei dem mächtigen Lombarden della Scala, dessen Wappen eine Stiege (scala) mit dem kaiserlichen Adler war. Ihm rühmt er nach, daß bei ihm gegen die Art der Menschen das Geben der Bitte voranging. Dort sah Dante als Knaben den von ihm vielfach gefeierten Can Grande della Scala, der 1291 geboren war "unter dem Einflusse des tapferen Planeten", Mars, wie es im Gedichte heißt. Ehe Kaiser Heinrich "die Ränke des Basken", des Gascogners Papst Clemens V., zu erfahren halte, also vor 1312, hatte Can Grande schon im Regiment sich bewährt.

Die Fragen des Dichters werden mit dem "Grunde" des Gewebes verglichen, in welches als Einschlag der Geist seine Antwort einwebt. Ein neuer "Webegrund" dieser Art ist die Frage, ob Dante nicht durch sein Gedicht, wenn er die Wahrheit berichte, sich gefährliche Feinde erwecken, wenn er die Wahrheit verleugne, den Ruhm bei der Nachwelt verlieren werde. Die Antwort des Ahnherrn bedarf keines Kommentars. Die Schlußverse sagen, daß das Beispiel obskurer Personen und Gründe von geringem Glanze nicht auf den Leser eindringlich wirken können und daß deshalb die Göttliche Komödie sich vorzugsweise an bekannte Namen halten mußte.

Die autobiographischen Auslassungen, welche der Dichter in diesem Gesange in Form einer Weissagung dem Cacciaguida in den Mund legt, sollten nach seinem ursprünglichen Plane den Stoff zu einer Prophezeiung der Beatrix hergeben (vergl. Hölle, Ges. 10, V. 130 ff. und Ges. 15, V. 88 ff.).

Von den streitbaren Heiligen, die in der Gruppe des Mars vereinigt sind, werden einige namhaft gemacht, unter ihnen zwei minder bekannte, Wilhelm und Rennewart. Der erstere, Wilhelm von Orange, ist bei den altfranzösischen Dichtern ein gewaltiger Kriegsmann unter Karl dem Großen, ein Schrecken der Mohren, der als Mönch endet. Auch Wolfram von Eschenhech hat ihn besungen. Rennewart (Renouard, Rinoardo) ist ein Heidenknabe von hoher Geburt, den Karl der Grotte Räubern abkauft und mit seiner Tochter Alice erziehen läßt, dann aber, weil er die Taufe ablehnt, zum Küchenjungen erniedrigt. Ungeschlacht, von ungeheurer Stärke, wird er doch Krieger, tritt in Wilhelms Dienste, erschlägt unzählige Heiden, wird getauft, heiratet Alice, geht schließlich ins Kloster u. s. w.

Beim Aufsteigen zum sechsten Himmel, Jupiter, merkt der Dichter die weitere Spannung des Bogens und die schnellere Drehung der höheren Sphäre; der Kontrast des weißen und des roten Planeten spiegelt sich auf Beatricens Antlitz. Pegasäa, die Muse, anrufend, beschreibt Dante die eigentümlichen Figuren, welche die Geister fliegend bilden, Buchstaben darstellend, aus denen der Satz entsteht: "liebet Gerechtigkeit, die ihr die Erde richtet". Dann gruppieren sie sich mit hinzukommenden Geistern zur Gestalt eines Adlers, geleitet von Gott, der sich gleichsam als Maler zeigt, obschon er nicht nach Modellen zeichnet, vielmehr selbst der Schöpfer der Naturkraft ist, die "allen Nestern die lebendige Form" verleiht, also auch den irdischen Adlern. Bei dieser Metamorphose muß man an sogenannte gotische Buchstaben, namentlich die Form des gotischen M denken, die leicht in Adlerform übergeht.

Der Adler ist das Symbol der Herrscherfugend Gerechtigkeit; an ihm erkennt Dante, daß der Planet Jupiter die Heimat unserer Rechtsordnung ist. Darum fleht er hier um ein Strafgericht wider die römischen Kirchenschänder, die selbst mit der Vergebung der Sünden Schacher treiben und die Versagung des Sakraments als politische Waffe gebrauchen. Am Schlusse redet er den Papst selbst an, der das Beispiel des Petrus und des Paulus so arg verkenne. Und er legt dem heiligen Vater eine Antwort in den Mund, die in ihrer Schnödigkeit die bitterste Satire einschließt. Der Papst antwortet, von Petrus und Paulus wisse er nichts; das seien ihm unbekannte Leute; er liebe nur den Täufer Johannes, den Goldgulden nämlich, den die Stadt Florenz mit dem Bilde ihres Schutzheiligen prägte. Wahrscheinlich haben wir an Johann XXII. zu denken, der, als Dante das "Paradies" schrieb, auf dem päpstlichen Stuhle saß (1316). Er trieb den Handel mit Kirchenämtern, Dispensen und Straferlassen ins Kolossale und hinterließ bei seinem Tode einen Schatz an Kostbarkeiten, den Villani auf dreißig Millionen Goldgulden schätzt.

Der mystische Adler redet zwar wie ein Individuum (er sagt "ich"), aber er ist nur die Gesamtheit aller Gerechten, die im Himmel des Jupiter vereinigt sind. Nicht zu verwechseln sind diese mit den "Thronen", den Engeln dritten Ranges, von denen Cunizza (Ges. 9, V. 61) als den "Spiegeln der göttlichen Gerechtigkeit" sprach, während der Jupiter die Heimat des irdischen Rechts darstellt. Darum zweifelt Dante auch, ob er sich an die rechte Instanz wende, wenn er eine die göttliche Gerechtigkeit berührende Frage hier ausspreche, die Frage, wie ein Mensch, der nie von Christus gehört hat, wegen mangelnder Taufe und Nichtglaubens gerechter Weise verdammt werden könne. Die Antwort des Adlers erinnert an die, welche Jehova dem Hiob erteilt, daß der Mensch die ewigen Ratschlüsse nicht zu fassen vermöge. Gott und das "Wort" sind so groß, daß auch das Höchste, was erschaffen werden mag, gering bleibt; das herrlichste Geschöpf, Lucifer, mußte stürzen, weil es sich nicht mit dem Maße des ihm beschiedenen Lichtes begnügte. Wie könnten da geringere Geister, zu denen die seligen Menschen zu rechnen sind, in die Geheimnisse Gottes eindringen? Der Mensch bescheide sich bei dem, was die heilige Schrift ihm offenbart, und bei dem Satze: was Gott will, muß gut sein, weil Gott das höchste Gut ist. Das Gute ist nur gut, weil Gott es will, weil es mit seinem Willen übereinstimmt. Unbedingt gilt, daß ohne Glauben an Christus keine Seligkeit ist, jedoch wird angedeutet (was der nächste Gesang ausführt), daß es für diejenigen, welche im Leben nichts von Christus erfahren haben, Möglichkeiten der Rettung gibt. Die Theologen des Mittelalters sind in dieser Frage zum Teil weiter gegangen; nach Thomas von Aquino genügte für den vorchristlichen Menschen der Glaube, daß Gott auf eine noch nicht geoffenbarte Weise die Sünder erlösen werde, und jener Hugo von Sankt Viktor, den wir unter den Heiligen der Sonne fanden, meint in seinen Anmerkungen zum Evangelium St. Johannis, Gott würde nicht gerecht handeln, wenn er einen sonst sündenfreien Menschen verdammte, weil derselbe, vor Christus lebend, an diesen nicht geglaubt habe; einem solchen werde also sicherlich irgendwie die erforderliche Offenbarung zu teil werden.

Das bloße Bekenntnis ist jedenfalls wertlos. Am Tage des Gerichts werden die Heiden sich entsetzen, wenn sie die Missetaten der christlichen Könige aus dem Buche der Gerechtigkeit verlesen hören.

Als solche königliche Sünder werden namhaft gemacht:

Albrecht der Habsburger, der 1304 Böhmen in ungerechtem Kriege greulich verwüstete. ─ Philipp der Schöne von Frankreich, der Münzverfälscher, der 1314 auf der Saujagd ums Leben kam. ─ Edward I. von England und seine schottischen Zeitgenossen, die in steter Fehde lebten. ─ Ferdinand IV. von Kastilien, dem Schlemmerei und Weichlichkeit nachgesagt wurden. ─ Wenzel IV. von Böhmen, dessen Trägheit und Wollust schon im "Fegefeuer" (Ges. 7, V. 102) getadelt wurde. ─ Karl II., genannt der Lahme, von Neapel, Titularkönig von Jerusalem, bei dem das Gute zum Schlechten sich verhält wie das L zum M, wie 1 zu 1000. ─ Friedrich von Aragon, König von Sizilien, dessen Taten in dem Buche des Gerichts mit Abkürzungen geschrieben stehen, um anzudeuten, wie wenig er wert war. ─ Jakob König von Aragon und Jakob König von Majorka, jener der Bruder, dieser der Oheim des vorgenannten Friedrich, welche beide mit den Feinden ihres Hauses sich verbündeten, um vom Erbe ein größeres Stück zu erlangen. ─ Hako König von Norwegen (1300-1319), Bedrücker der Kirche und Plünderer Dänemarks. ─ Dionys von Portugal (1275-1325), der Dantes hartes Urteil nicht verdient. Er war ein trefflicher Herrscher und namentlich zum Vorteil des Landes sehr sparsam, was allerdings dem Mittelalter unfürstlicher erschien als uns. ─ König Uros von Rascien, welches etwa dem serbischen Lande entspricht, ein halbbarbarischer Fürst, der schlechtes Geld mit venezianischem Gepräge ausgab. ─ Fast alle Könige Europas erscheinen vor dem himmlischen Richter als Sünder. Ungarn und Navarra hatten im Anfang des 14. Jahrhunderts gute Herrscher, jenes seit 1307 den Sohn des von Dame so sehr gepriesenen neapolitanischen Prinzen Karl Martell, Karl Robert von Anjou, Navarra Ludwig, Sohn Philipps des Schönen und der Königin Johanna von Navarra. Dante scheint aber andeuten zu wollen, daß dies besondere Glück der beiden Reiche nicht lange dauern werde. Von Navarra wußte er, als er das "Paradies" dichtete, daß es im Jahre 1314 seine Selbständigkeit verlieren und ein Anhängsel der französischen Monarchie werden müßte, da sein König als Ludwig X. in Frankreich sukzedierte. - Der Schluß des Gesanges bezieht sich auf Schicksale des Hauses Lusignan, das in Cypern den Königsthron innehatte. König Heinrich ward 1306 von seinem Bruder Almrich gestürzt, 1310 aber, als Almrich, wie es heißt aus Rache für schändliche Gewalttat, ermordet wurde, wieder eingesetzt. Er wütete nun gegen Almrichs Anhänger mit maßloser Grausamkeit. Ob Dante mit dem "bösen Tiere", um dessen willen Zypern vorahnend wehklage, Heinrich oder Almrich meint, ist zweifelhaft, aber es ist klar, daß er die Herrschaft des französischen Hauses Lusignan den Navarresen als eine Probe dessen, was sie von Frankreich zu erwarten haben, vorführt.

Wie am Himmel die eine Sonne und die vielen Sterne einander im Lichtspenden ablösen (die letzteren nach damaliger Ansicht mit geborgtem Sonnenlichte), so löst der Gesang der Geister die Rede des Adlers, die Vielheit das aus ihr aufgebaute eine Bild ab.

Wir erfahren, daß der Geist, der in der Pupille des Adlers leuchtet, David ist, der hier erkennt, daß die vom heiligen Geist ihm eingegebenen Gesänge ihn selig gemacht haben, nicht insofern sie ihm eingegeben wurden, sondern insofern sein die Gnade ergreifender freier Wille dabei mitwirkte. Die Augenbraue über ihm bilden fünf Heilige: 1. Kaiser Trajan, der, um einer armen Witwe zu helfen, einen Kriegszug verschob (Fegefeuer Ges. 10, V. 73-93) und der auf des h. Gregor Fürbitte aus der Hölle gerettet wurde; 2. König Hiskias, der durch reuiges Gebet sich fünfzehn Jahre Lebensfrist erwirkte; 5. Kaiser Konstantin, der dem Hirten (Papst Silvester) Rom über ließ und nach Byzanz übersiedelte, eine unheilvolle, aber wohlgemeinte und darum ihm nicht angerechnete Tat; 4. König Wilhelm der Gute von Sizilien († 1189), um dessen Tod das Land trauert wie um das Leben Karls und Friedrichs, der schlechten Herrscher, die im vorigen Gesange (V. 127 ff.) genannt wurden; 5. Rhipeus von Troja, der gerechteste seines Volkes nach Virgil (Aen. II, 426).

Cadit et Rhiipeus, justissimus unusQui fuit in Teucris et servantissimus aequi.

Das Staunen, zwei Heiden unter den Auserwählten zu finden, macht sich in einer verwunderten Frage Dantes Luft, die an sich überfüssig ist, weil seine Gedanken ohnehin den Geistern sichtbar sind "wie farbige Dinge in einem Glase". Der mystische Adler erklärt zuerst den Fall Trajans. Die Liebe und die Hoffnung des h. Gregor hat mit Gewalt gleichsam das Himmelreich überwunden und es gezwungen, des Verlornen sich anzunehmen, aber doch nur, weil Gott in seiner Güte von vornherein entschlossen war, der Fürbitte nachzugeben. Trajans Wiedererweckung zum irdischen Leben war der Lohn für Gregors lebendige Hoffnung, und dem Trajan erneuerte sie die in der Hölle erloschene Möglichkeit, die dargebotene Gnade sich anzueignen. Dem Trojaner Rhipeus dagegen war durch besondere Fügung die Offenbarung des neuen Testaments im voraus zu teil geworden, und wenn er auch nicht, wie Trajan, sich taufen lassen konnte, so wurde ihm das Sakrament ersetzt von jenen drei, die am rechten Rade des Wagens der Beatrix einherschritten : Glaube, Liebe, Hoffnung (Fegefeuer 29, V. 121 ff.). Auch die Theologen erkannten an, daß die Taufe ersetzt werden könne, wenn äußerliche Umstände sie verhinderten, nämlich durch die ernstliche und reuige Begierde, sich Taufen zu lassen, oder durch den Märtyrertod.

Der siebente Himmel ist nach Saturn, dem Herrscher des goldnen Zeitalters genannt. Der Planet steht im Zeichen des Löwen, mit dessen heißem Strahle sein kaltes Licht sich vereint. Hier erscheinen die Heiligen der Kontemplation, die ihr Leben vorzugsweise der Betrachtung der göttlichen Dinge gewidmet haben. Wie die Kontemplation die Seele zu Gott erhebt, so führt vom siebenten Himmel eine Leiter zu den letzten Höhen. Beatricens Schönheit hat sich hier so gesteigert, daß nur willigster und freudigster Gehorsam auf ihren Befehl die Augen von ihr ab- und den Herrlichkeiten des Himmels zuwenden kann.

Dante wird begrüßt von Petrus Damianus (988-1072), Prior des strengen Klosters Avellana oder Santa Croce, das in einer Einöde der umbrischen Apenninen unter dem Berge Catria nahe der toskanischen Grenze lag. Papst Stephan IX. nötigte ihn bei Strafe der Exkommunikation, Kardinal zu werden, und während seiner vierzehn letzten Lebensjahre diente er in vielen wichtigen Geschäften dem h. Stuhle in Italien, Frankreich und Deutschland. Es sind Briefe von ihm erhalten, in deren einem er sagt, daß eines Bischofs Würde nicht in Pelzwerk und flatternden Gewändern, reisigem Gefolge und schäumenden Rossen, sondern in heiligem Wandel bestehe, ähnlich wie er bei Dante Petrus und Daulus, "Kephas und das große Rüstzeug", den üppigen Prälaten gegenüberstellt. Damianus pflegte sich Petrus peccator zu unterzeichnen; dasselbe tat ein andrer Petrus, der im Marienkloster zu Ravenna Prior war. Auf die häufige Verwechslung, die dadurch entstand, bezieht sich V. 122.

Der Schall, der Dantes Ohr betäubte, war nur ein Flehen der Heiligen um ein Strafgericht wider die unwürdigen Hirten. Dante soll es erleben, doch wird er vor Ungeduld gewarnt: Gottes Strafe kömmt zur rechten Zeit, dem Fürchtenden zu schnell, dem Wünschenden zu langsam.

Benedictus, der Stifter des Benediktinerordens und des Klosters Montecassino (6. Jahrhundert), letzteres in einer heidnischem Kultus treu gebliebenen Gegend erbaut, zeigt dem Dichter Anachoreten wie Macarius aus der thebaischen Wüste und Romuald, den Stifter des Camaldulenserordens. Er belehrt ihn dann, daß im Empyreum, in dem Himmel, der ewig in sich ruht, dessen sämtliche Teile beharren, wo sie sind, die Seligen ihm von Angesicht, anstatt in einer Lichthülle, sich zeigen werden. Auch der Benediktinerorden ist ausgeartet; die Klostergüter, das Eigentum der Armut, dienen zur Bereicherung von Vettern und zu noch schlimmeren Dingen. Auch hier hat der gute Anfang nicht zu guten Früchten geführt. Aber Gott hat schon größere Schäden wunderbar gewendet.

Der Eintritt in den achten, den Fixsternhimmel, erfolgt im Zeichen der Zwillinge, dem nächsten nach dem Stiere. In dem Zeichen stand die Sonne bei Dantes Geburt (Mai 1265); nach den Astrologen ist es den Gelehrten, Dichtern und Propheten hold. Niederblickend auf den zurückgelegten Weg sieht Dante die Erde, die (wie er meint) fleckenlose Rückseite des Mondes, die Sonne (Hyperions Sohn), Dione (Venus), Maja (Merkur, Majas Sohn), Jupiter zwischen Sohn und Vater (Mars und Saturn).

Von der Stelle des Himmels her, wo die Sonne sich langsamer zu bewegen scheint, von ihrem Meridian her, kömmt der Triumphzug Christi, alle Seligen, "die ganze Frucht des Sphärenkreisens" in sich vereinend. Durch Vermittlung der Sphären gelangt ja nach Dantes Anschauung die himmlische Gnade, welche die Frucht der Tugenden zeitigt, zu uns herab. Wie inmitten ihrer Nymphen Luna (Trivia), so erscheint eine Sonne droben, umgeben von zahllosen Leuchten, denen sie ihr Licht borgt. Die Sonne ist Christus, "die Weisheit und Macht, die der Erde den verschlossenen Weg zum Himmel wieder geöffnet hat". Dante erträgt den Anblick nicht, obwohl er Beatricens Lächeln, ohne zu vergehen, hier aushält. Nur sprungweise kann er jetzt seine Eindrücke erzählen; die sterbliche Natur des Dichters bringt es mit sich, aß Lücken bleiben, wenn er das Paradies schildern will. Er läßt sich's genügen, daß größeste der seligen Feuer anzuschauen, die Himmelskönigin, "den lieblichen Safir", und zu sehen, wie der Erzengel Gabriel sie umkreisend über ihrem Haupte gleichsam eine Krone aus seinem Glanze bildet. Maria erhebt sich, "ihrem Samen folgend", mit Christus wieder zum Empyreum; das Auge kann ihr nicht folgen, denn selbst die letzte aller kreisenden Sphären, das primum mobile, das wie ein Mantel alle anderen umschließt, ist mit ihrer unteren Seite noch unermeßlich fern.

Im achten Himmel trifft Dante Petrus und die anderen Apostel, "die Lilien, an deren Duft man den rechten Weg erkennt".

Auf Beatricens Anrufung verläßt die schönste der Lichtsphären, Petrus, den Reigen, in dem er sich bewegte, und redet die Führerin an. Seine Herrlichkeit zu malen, vermag die Feder nicht, die deshalb das Unsagbare "überhüpft"; nicht nur das Wort, die Phantasie selbst wäre zu grobe Farbe "für solche Falte", ─ ein Ausdruck, der auf das Malen faltiger Stoffe anspielt, deren schattige Partien die feinste Behandlung erheischen, damit die Farbe nicht zu lebhaft erscheine.

Dante besteht vor Petrus eine Prüfung, wie vor dem Magister der Baccalaureus, der die ihm vorgelegten Fragen nicht zu entscheiden, sondern nur von den Gründen, weshalb sie so und nicht anders beantwortet werden, Rechenschaft ablegen muß. Petrus befragt ihn über den Glauben, wie hernach Jacobus über die Hoffnung und Johannes über die Liebe. Dantes Antworten lehnen sich an den Inhalt der zeitgenössischen Lehrbücher, namentlich den Magister sententiaram des Lombardus an. Seine Definition, was Glaube sei, ist ein Zitat aus dem Hebräerbriefe (Kap. 11, V. 1), der in Dantes Bibel als ein Werk des Paulus bezeichnet war. Natürlich zitiert Dante nach der Vulgata, die dem Urtext genauer folgt als Luthers freie Übersetzung: "Est antem fides sperandarum substantia rerum, argumentam non apparentium." Er versteht nach Anleitung des Petrus Lombardus die Stelle so: die erhofften Dinge haben für den Menschen ihre Substanz im Glauben, und der Glaube ist ohne weiteres Erkennen der Beweis, daß diese unsichtbaren Dinge sind.

Nach den Gründen seines Glaubens befragt, beruft Dante sich auf die heilige Schrift, deren Göttlichkeit erhärtet ward durch "Werke, welche die Natur nicht schmiedet", durch Wunder. Zwar haben die Wunder selbst keinen Bürgen als die Schrift und sind insofern keine vollgültigen Beweise. Aber, wie Augustin bemerkt, wäre es das größte Wunder von allen, allein genügend den Glauben an die Offenbarung zu stützen, wenn die Apostel ohne Wundertaten die Welt bekehrt hätten.

Dante preist den Glauben des Petrus, der auf die Nachricht von der Auferstehung schneller als Johannes nach dem Grabe geeilt sei. Im Evangelium (Joh. Kap. 20) ist Johannes der schnellere, aber er begnügt sich, ins leere Grab hinabzusehen, während Petrus, eifriger, hineinsteigt und die Einzelheiten untersucht.

Für den Glauben an die Existenz Gottes beruft Dante sich nicht so sehr auf die Aristoteles zugeschriebenen Beweise als auf die heilige Schrift. Die Dreifaltigkeitslehre, nach welcher man von Gott sowohl "ist" als "sind" aussagen kann, wird ihm selbstverständlich nur durch das neue Testament besiegelt.

Der Dichter hofft, sein großes Werk werde den Haß seiner Feinde besiegen und seine Rückkehr in die Vaterstadt, "die schöne Hürde, wo er als Lamm geschlafen", herbeiführen.

Sankt Jacobus der Ältere, dessen Grab in Compostella im spanischen Galicia ein weltberühmter Wallfahrtsort war, tritt auf, um Dante über die Hoffnung zu prüfen. Beatrix spielt an auf die ihm zugeschriebene Epistel Jacobi Kap. 1, V. 5, wonach Gott jedem, der darum bittet, Weisheit reichlich gibt, "affluenter dabit". Jacobus der Ältere gilt für den Repräsentanten der Hoffnung, wie Petrus und Johannes, die mit ihm die Verklärung des Herrn, die Ruferweckung von Jairi Töchterlein und die Agonie in Gethsemane sahen, Glauben und Liebe vertreten. Dante ist inzwischen so erstarkt und geläutert, daß er den Glanz der Apostel, zu denen er "wie zu den Bergen" aufblickt, nunmehr ungebeugt erträgt. Die Antwort auf die Frage nach dem Grade seiner Hoffnung legt er der Führerin in den Mund, damit es nicht scheine, als ob er prahlerisch rede. Er selbst beantwortet dann die Frage, was die Hoffnung im theologischen Sinne sei, und zwar folgt er dabei genau dem magister sententiarum des Lombardus, nach welchem Gnade und Verdienst Voraussetzungen der Hoffnung sind, Gnade, weil ohne die keine christliche Tugend sein kann, Verdienst, weil Hoffnung ohne Verdienst Anmaßung wäre. Auf die Frage, woher ihm die Hoffnung entstanden sei, zitiert Dante Psalm 9, V. 11: "sperent in te qui noverunt nomen tuum, hoffen sollen auf dich, die deinen Namen kennen," und Epistel Jacobi Kap. 1, V. 12: "Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet, denn nachdem er bewähret ist, wird er die Krone des Lebens empfahen, welche Gott verheißen hat denen, die ihn lieben", ─ welche beide Stellen den Grund der Hoffnung und ihr Objekt, Glauben und Seligkeit, bezeichnen. Das Wesen der Seligkeit aber lehrt ihn Jesaias 61, V. 7: "Sie sollen Zwiefältiges besitzen in ihrem Lande, sie sollen ewige Freude haben", und Offenbarung Johannis (des Bruders Jacobi) Kap. 7, V. 9: "Und siehe, eine große Schar, welche niemand zählen konnte, vor dem Stuhle stehend und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und Palmen in den Händen, schrieen mit großer Stimme: Heil sei dem, der auf dem Stuhle sitzt u. s. w."

Zu den zwei Aposteln tritt der dritte, Johannes. Er ist so hell, daß der Wintermonat, in welchem das Sternbild des Krebses bei Sonnenuntergang aufgeht, taghelle Nächte haben, also ein einziger Tag sein würde, wenn nur ein Stern des Krebses so glänzend wäre wie dieser Apostel. Dante ist begierig, den Liebling, der an Jesu Brust gelegen, zu sehen, um zu erkennen, ob er wirklich, wie manche, gestützt auf Evangelium Johannis Kap. 21, V. 20-23 meinten, mit dem irdischen Leibe in den Himmel versetzt sei. Bei diesem Versuche erblindet er vor dem Glanze des Apostels, der ihn belehrt, daß nur zwei, Christus und Maria, leiblich aufgefahren seien.

Christus wird der heilige Pelikan genannt, weil dieser Vogel, der seine Jungen mit dem eigenen Blute nähren soll, ein Symbol des Erlösers ist.

Johannes vertröstet den Erblindeten auf Beatricens Hilfe, die ihn heilen werde, wie Ananias den Paulus wieder sehend machte. Man deutet dies allegorisch: Vorwitz im theologischen Forschen verdunkelt den Geist, die echte Gotteswissenschaft macht sehend.

Der Apostel fragt: wohin richtet sich deine Seele, deine Liebe? und die Antwort ist: auf Gott, denn alle Schrift, die mehr oder minder deutlich von Liebe spricht, bezeichnet ihm Gott als das A und O der Liebe. Philosophie und Offenbarung führen zum selben Ziele. Da Liebe Hinneigung zum Guten, wahren oder vermeintlichen, ist, so muß Gott über alles lieben, wer ihn als das höchste Gut erkennt. Dante verdankt diese Erkenntnis einem Lehrer, der ihm "die erste Liebe aller ewigen Substanzen" verkündigt hat, wohl dem angeblichen Werke des Dionysius Areopagita de coelesti hierarchia, in welchem es u. a. heißt, daß die ewigen Substanzen, die Engel, keine Begierde kennen außer der Liebe zum vollkommenen Licht und zur höchsten Schönheit. Daß Gott und höchstes Gut identisch sei, wird ferner auf die mißverstandene Stelle 2. Mosis Kap. 33, V. 18, 19 gestützt, die in der Vulgata lautet: "Moses sprach: zeige mir deine Herrlichkeit. Er (Gott) antwortete: ich werde dir alles Gute (omne bonum) zeigen." Und der dritte Gewährsmann ist Johannes selbst, der im Anfange seines Evangeliums den höchsten Beweis der Güte Gottes, die Menschwerdung des Worts, verkündet hat.

Johannes ("der Adler des Herrn", wie er nach seinem Symbol genannt wird) forscht weiter, ob Dantes Liebe zu Gott neben jener Erkenntnis noch andere Gründe habe, und Dante antwortet, daß ihn zu dieser Liebe, gleichwie mit Stacheln und hetzenden Hunden, hintreiben die großen Wohltaten Gottes, die Schöpfung der Welt und seiner eignen Seele, der Opfertod Christi, die von den Gläubigen gehoffte Seligkeit. Und aus Liebe zu Gott liebe er brüderlich auch seine Mitmenschen, "alles Laub, das den Garten des ewigen Gärtners schmückt," insofern auch in ihnen Gottes Güte sich offenbart.

Dante wird wieder sehend und erblickt nun den in voller Reife zur Welt Gekommenen, zugleich Vater und Schwäher aller Bräute, weil jede Braut seine Tochter und jeder Mann sein Sohn ist, Adam. Dieser beantwortet ihm vier von den Scholastikern vielerörterte Fragen. 1. Welches der eigentliche Grund der Vertreibung aus Eden war? Nicht das Essen der Frucht, sondern der Ungehorsam in einer an sich zulässigen Handlung. 2. Wie viel Zeit verfloß, seit Gott ihn in jenen Garten auf dem Berge des Fegefeuers setzte? Bis zu Christi Höllenfahrt 5232 Jahre, von denen Adam 930 auf Erden, 4302 in der Vorhölle zubrachte (nach der Rechnung des Eusebius). 3. Welche Sprache er sprach und erfand? In der Schrift de valgari eloquentia meint Dante, Gott habe dem Menschen diejenige Sprache anerschaffen, die nach der babylonischen Verwirrung von den Hebräern allein bewahrt wurde. Hier folgt er einer anderen Theorie. Die Sprachfähigkeit ist zwar Naturgabe, die Sprachen selbst aber sind ein Produkt der Vernunft und sind als solches vergänglich, daher auch Adams Sprache schon vor dem Turmbau Nimrods erlosch und sogar der Name Gottes, ursprünglich J, später bei den Juden El, dem Wandel unterliegt, 4. Wie lange Adam im Garten Eden blieb? Nicht ganz sieben Stunden. Die Gelehrten waren über diesen Punkt sehr uneinig; man schwankte zwischen sechs Stunden und vierunddreißig Jahren. Dante folgt der Meinung, welche Adams Erschaffung in die erste Stunde des Tages, die Vertreibung in die erste Stunde nach Mittag verlegt, den Ausdruck der Genesis Kap. 3, V. 8 "ad anram post meridiem" im strengsten Sinne auslegend. Luthers Übersetzung "da der Tag kühle worden war" weicht von der Vulgata erheblich ab.

Die Lichterscheinung des Petrus nimmt die rote Farbe des Zorns an. So würde der Planet Jupiter sich ausnehmen, wenn er und Mars Vögel wären und ihr Gefieder austauschten. Petrus eifert wider die Sünden des römischen Hofs, und nun erröten zürnend alle Lichter. Vor Christo, dem "Worte", sei der heilige Stuhl, so sagt der Apostel, ledig; Bonifaz VIII. sei kein rechtmäßiger Papst, Lucifer in der Hölle freue sich solches Zustandes. Sechs der ersten Bischöfe Roms, die er namhaft macht, hätten den Märtyrertod erlitten, aber wahrlich nicht, damit man die Braut Christi, die Kirche, zum Gelderwerb mißbrauche. Auch wollten die Stifter des Papsttums nicht, daß der heilige Stuhl in irdischen Händeln Partei ergreife, die eine Hälfte der Christenheit (die Ghibellinen) auf die linke Seite verweise oder gar unter dem Schlüsselpanier Krieg gegen Christen führe, wie Bonifaz VIII. gegen die Colonna tat. Nie hätte Petrus geduldet, daß man mit seinem Bild die käuflichen, lügenhaften Ablaßbriefe siegele. Damit werden die beiden Nachfolger Bonifaz' VIII., der Gascogner (Baske) Clemens V. und der Cahorser Johann XXII. (1516), im voraus gebrandmarkt. Nach dieser Strafrede fliegen die Seligen empor zum Empyreum, die Luft erfüllend wie Schneeflocken, wann die Sonne ins Zeichen des Steinbocks, der "himmlischen Ziege", tritt.

Auf die Erde hinabschauend erkennt Dante, wie weit seit seinem Eintritt in das Zwillingsgestirn der Himmel mit ihm sich gedreht hat. Unter dem 20. Breitengrade, der Grenze der ersten oder heißen Zone (nach Ptolemäus), und unter dem Längengrade Jerusalems hatte der Eintritt in den Fixsternhimmel stattgefunden. Der bezeichnete Längengrad wird als "der Mittelpunkt" bezeichnet, weil man Jerusalem als die Mitte der bewohnten Erde annahm. Von dem Punkte, wo der Meridian Jerusalems den genannten Breitegrad schneidet, ist Dante mit der allgemeinen Drehung des Himmels an das (westliche) Ende dieses Bogens oder Grades, also bis zum Meridian von Gades (Cadix) gelangt. Dort kann er also den Punkt sehen, wo Ulisses die im 26. Gesange der Hölle erzählte Fahrt nach der Südsee begann. Den Strand dagegen, wo Jupiter als Stier die Europa entführte, Phönizien, sieht er am östlichen Horizonte. 90 Grad des Kreises sind durchmessen, sechs Stunden also in der achten Sphäre zugebracht. Weiter nach Osten zu sehen, hindert ihn die dort bereits eingetretene Nacht; die Sonne ist unter ihm um mehr als ein ganzes Zeichen des Tierkreises vorgerückt, über den "Stier" hinaus, und kann nicht mehr die gen Morgen liegenden Länder beleuchten.

Von dem Zwillingsgestirn, "Ledas schönem Nest" (weil die Zwillinge Ledas Söhne Castor und Pollux sind), geht der Flug zum neunten Himmel, der letzten und folglich schnellsten der sich drehenden Sphären, dem primum mobile. Über dem ist nichts als das ruhende Empyreum, von dem durch den Zug der Sehnsucht das primum mobile die Bewegung empfängt, wie es seinerseits alle andren Sphären bewegt. Dieser Himmel hat keine Sterne, nur ein gleiches Licht, daher man die Stelle des Eintritts nicht bezeichnen kann. Weil über ihm keine Bewegung und weil nach dem aristotelischen Satze die Zeit das Maß der Bewegung ist, so folgt, daß allererst im primum mobile die Zeit beginnt oder, wie Dante, sie mit einem Gewächse vergleichend, sagt, daß sie dort ihre Wurzeln und in den andren Sphären ihr Laub hat.

Ganz plötzlich springt das Gedicht von der Darstellung der höchsten Himmelsordnung über zu den irdischen Wirrsalen. Dies wird aber verständlich, wenn man sich erinnert, daß Dante in der Schrift de monarchia das primum mobile, welches einheitlich das Weltall lenkt, ausdrücklich als Urbild der monarchischen Ordnung, deren die Menschheit bedürfe, bezeichnet. Durch die in Ermangelung solcher Ordnung einreißende Verderbnis, welche die kirchlichen Satzungen und die Familenbande zerstört, wird die Menschheit, "die schöne Tochter des Sonnengottes", des Erzeugers alles irdischen Lebens, schwarz und häßlich. Beatrix prophezeit eine bessere Zukunft, aber, wie es scheint, als in ferner Zeit liegend. Wenn der Umschwung eintritt, soll nämlich der Januar noch nicht aus der Reihe der Wintermonate ausgeschieden sein, worüber doch viele Jahrhunderte vergehen mußten, da der julianische Kalender erst in hundert Jahren der Zeit um einen Tag vorauseilt.

Der verheißene Umschwung wird gedacht als eine Wirkung der himmlischen Sphären, die bei irgend einer günstigen Konstellation allem eine neue Wendung geben und in neuen Harmonien erklingen werden. Dann wird "Heck und Kiel des Schiffes" die Stelle tauschen, das vorderste wird das letzte sein, die Menschheit den entgegengesetzten Weg statt des heute eingeschlagenen wandeln.

Die Herrlichkeit des neunten Himmels erblickt Dante anfangs nur als Abglanz in den Augen der Führerin, gleichsam im Spiegel der kirchlichen Wissenschaft. Aber sich umwendend schaut er die Dinge selbst. Um einen Lichtpunkt schwingt sich ─ etwa in dem Abstande, der den Hof des Mondes vom Monde trennt, ─ ein Feuerkreis, um diesen ein zweiter größerer, und so weiter, immer größer werdend, fernere sieben Kreise, neun also im ganzen. Von diesen ist der siebente schon größer als der zum Kreis ergänzte Regenbogen. Die Kreise sind die neun Chöre der himmlischen Heerscharen, der unbewegte, allesbewegende Punkt im Zentrum ist Gott. Der innerste Kreis, zugleich der kleinste und der schnellste, ist der Chor der Seraphim, die oberste Ordnung der erschaffenen Geister, in denen die Sehnsucht nach dem Mittelpunkte am größesten ist. Die Reihenfolge der Chöre widerspricht anscheinend dem in der Welt hervortretenden Gesetze, nach welchem die Göttlichkeit am geringsten im Zentrum, der Erde, ist und in den anderen Sphären mit der Entfernung vom Zentrum zunimmt, außerdem auch die höhere Schnelligkeit der größeren Ausdehnung entspricht. Jeder der neun Geisterchöre vertritt und lenkt eine der neun Himmelssphären, und es ergibt sich also, daß der kleinste Kreis der Engel der größesten Sphäre entspricht, der größeste dagegen der kleinsten. Die Lösung dieses Widerspruchs hat man nie versucht, daher sie schwieriger erscheint, Beatrix aber gibt sie in dem einfachen Hinweise darauf, daß die Maße der geistigen Kraft und die Maße des Raums in keinem Verhältnisse zueinander stehen, daß aber die größere Kraft, sobald sie räumlich wirkt, dann auch den größeren Raum erfüllt. Diese Erklärung wirkt auf Dante wie auf die Atmosphäre der wolkenvertreibende Nordwind, wann er mit einem Strich aus Osten oder, wie es hier heißt, aus der gelinder wehenden Wange bläst; denn der Nordostwind hält, wie schon Brunetto Latini lehrt, Regen und Wolken fern, während der Nordwest Schnee bringt.

Aus dem neunfältigen Feuerkreise entstehen Funken, die mit ihm sich schwingen. Ihrer ist mehr als jener Getreidekörner, die der Bramine vom König forderte, als er sich ausbedang, für die vierundsechzig Felder des Schachbretts eine sich selbst verdoppelnde Zahl von Körnern, beginnend mit einem Korn für das erste Feld, zu erhalten. Die Schlußsumme dieser Addition ergibt mehr als achtzehn Trillionen und übersteigt menschliches Fassungsvermögen.

Dante folgte in diesem Gesange dem Buche de coelesti hierarchia, welches dem Dionysius Areopagita, einem Schüler des Paulus, und mittelbar dem Apostel zugeschrieben wurde. Die Ordnungen der Seraphim und Cherubim sowie Erzengel und Engel werden in der heiligen Schrift vielfach erwähnt; die fünf anderen Stufen leitete man her aus Epheser 1, V. 21 und Colosser 1, V. 16. In ersterer Stelle heißt es, Christus sei gesetzt "über alles Fürstentum, Macht, Kraft und Herrschaft, supra omnem principatum et potestatem et virtutem et dominationem" oder in Luthers Übersetzung: "über alle Fürstentümer, Gewalt, Macht, Herrschaft". Hier fand man vier Rangstufen der himmlischen Hierarchie namhaft gemacht. Eine fünfte wird im Colosserbriefe aufgeführt neben drei der ebengenannten. Dort wird gesagt, durch den Sohn sei alles Sichtbare und Unsichtbare im Himmel und auf Erden geschaffen, "sive throni sive dominationes sive principatus sive potestates," oder nach Luther: "beides, die Thronen und Herrschaften, und Fürstentümer und Obrigkeiten". Aus diesen neun Chören bildet der Verfasser der coelestis hierarchia drei Unterabteilungen oder Hierarchien, drei Dreiheiten (ternari), wie Dante sie nennt, in dieser Rangfolge: 1. Seraphim , Cherubim, Thronen, 2. Herrschaften, Kräfte, Mächte, 3. Fürstentümer, Erzengel, Engel. Dante selbst hatte früher in seinem Convito eine etwas abweichende Reihenfolge aufgestellt; es ist aber klar, daß er, wie die meisten scholastischen Theologen, die Autorität des Dionysius hier ausdrücklich anerkennen will. Gregor der Große ordnet die Heerscharen in einer seiner Homilien im übrigen wie Dionysius, Idol aber die Kräfte und die Fürstentümer ihre Stelle lauschen. Darauf spielt Dante an, indem er bemerkt, daß Gregor sich geirrt habe. Der Rang der Geister richtet sich nach dem Grade ihres Schauens, welches aus ihrem Verdienste, nämlich aus dem Maße der Energie, mit der ihr Wille die dargebotene Gnade ergriffen hat, entspringt. Alle sind wie mit Schlingen an den Mittelpunkt gebunden, den sie umkreisen, um ihm möglichst gleich zu werden, und sie vollbringen dies Gleichwerden nach Verhältnis ihres Schauens.

Wenn die beiden Kinder Latonas, Sonne und Mond, an dem nämlichen Horizont einander gerade gegenüberstehen, die Sonne im "Widder", der Mond in der "Wage", dann sind beide gleichweit vom Zenith, und wenn man sich im Zenith das Zünglein einer Wage denkt, in deren einer Schale die Sonne, in der anderen der Mond läge, so würde dies Zünglein in dem bezeichneten Augenblicke einstehen. Aber auch nur einen Augenblick, denn schon im nächsten steht die eine Kugel höher, die andere tiefer, während beide das Gebiet, das jede von ihnen bescheint, tauschen. So kurz wie dieser unteilbare Moment ist der Blick, den Beatrix auf den Lichtpunkt der Gottheit wirft. Dann erklärt sie, wann, wo und wie die Engel erschaffen worden seien.

Nicht zu eignem Gewinne (was unmöglich wäre), sondern um dem Abglanze seiner Liebe das Glück des Bewußtseins, "ich bin, subsisto," zu gewähren, schuf Golt die himmlischen Chöre im Beginne der Zeit und des Raumes. Nicht als ob vorher seine Liebe starr und leblos gewesen wäre; auf die Ewigkeit, die für Gott nur Gegenwart ist, finden die Begriffe vorher und nachher keine Anwendung. Die Zeit entstand erst mit der Bewegung, als der Geist Gottes über den Wassern schwebte. Die Schöpfung der Engel, der Menschen und der körperlichen Dinge, nach scholastischer Terminologie: reiner Form, verknüpfter Form und Materie, und reiner Materie, war ein einziger Akt, ohne Zeitunterschiede. Das ist Augustins Lehre, dem die sechs Tage der Genesis nur eine menschlicher Fassungskraft angepaßte bildliche Bedeutung haben. Hieronymus dagegen meint, die Engel seien viele Äonen vor dem Menschen erschaffen worden, obwohl geschrieben steht: "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde," und bei Jesus Sirach (18, V. 1): "Gott schuf alles zugleich". Von Anfang an also gliederte sich die Schöpfung in drei Stufen. Den Gipfel bildeten die Engel, die Mitte nahmen die Menschen ein, die unbeseelte körperliche Welt war die unterste Stufe. Dies wird in den Versen 31 bis 36 in den Schulausdrücken des Mittelalters gelehrt. Die Natur der Engel ist reiner Actus, ein von der Materie unabhängiges wirkliches und unveränderliches vollendetes Sein, dasselbe, was vorher "reine Form" genannt wurde. Im Menschen sind Actus und Potentia (Möglichkeit) oder Form und Materie unlöslich verbunden. Den übrigen Dingen kommt bloße Potentia zu, reine Materie. Schon die vollendete Natur der Engel macht es unwahrscheinlich, daß sie lange vor der Körperwelt gewesen seien. Denn sie sind die Beweger der Sphären, würden also unvollendet gewesen sein, wenn sie Äonen lang ohne diesen ihren Wirkungskreis existiert hätten.

Der Fall der bösen Engel erfolgte nach Petras Lombardus und Thomas unmittelbar nach ihrer Erschaffung. Ihre hohe Intelligenz mußte die Wahl im Augenblick entscheiden. Durch ihren Sturz zerstörten sie die Oberfläche der westlichen Hemisphäre, wie im letzten Höllengesange V. 121 ff. auseinandergesetzt wurde.

Die Widerlegung der Meinung, daß die Engel Gedächtnis hätten, führt zu einer Verurteilung der Schulweisheit überhaupt, welche in dem Bestreben zu scheinen und mit Geringschätzung der h. Schrift ihre eignen Erfindungen an den Mann zu bringen sucht; zum Beispiel törichterweise lehrt, die Finsternis beim Tode Christi sei durch eine Sonnenfinsternis infolge einer wunderbaren Rückwärtsbewegung des Mondes entstanden. Selbst Thomas folgte dieser Erklärung. Dante dagegen hält sich an das Schriftwort, wonach die Verdunkelung sich über die ganze Erde erstreckte, also nicht von der Stellung des Mondes abhing. Solcher neuer Einfälle, bemerkt er, gibt es heutzutage mehr als Leute, die Hans und Peter (Labo und Bindi im Urtexte, zwei häufige toskanische Eigennamen) heißen, und das dumme Volk, dem die Prediger ihre eigne eitle Weisheit vortragen, merkt den Vogel (den Teufel) nicht, der sich in der Kapuze des Pfaffen einnistet. Es fragt nicht nach der Legitimation solcher Possenreißer, sondern nimmt von ihnen die Absolution, die nicht mehr wert ist als falsches Geld. Die Pfaffen streichen die klingende Münze des dummgläubigen Volks ein und mästen damit "das Schwein des h. Antonius", auch wohl noch schlimmere Geschöpfe. Mit dem "Schweine" hat es folgende Bewandtnis. Der h. Antonius von Ägypten, nicht zu verwechseln mit dem berühmten Paduaner, wurde mit einem Schweine abgebildet, um ihn als einen Besieger des unsauberen Geistes zu charakterisieren. Das florentinische Volk, dem diese tiefsinnige Symbolik unbekannt sein mochte, nannte alle Schweine, die den Mönchen gehörten, Schweine des h. Antonius, häufig gewiß in der Ideenverbindung, die augenscheinlich Dantes Versen zu Grunde liegt, daß solche Schweine auf Kosten der Laien fett würden.

Der Schluß des Gesanges wendet sich zurück zur Betrachtung der "Natur", die den neunten Himmel mit ihrem Hosanna erfüllt, der Engel. Jeder in dieser unzähligen Menge bildet für sich, nach der Lehre des Thomas, eine eigne Spezies; in jedem gibt sich die Liebe und das Licht Gottes auf besondere Art kund. Einige Theologen behaupteten, es gebe nur so viel Engel als Himmelsbewegungen, Thomas dagegen hielt ihre Zahl für unfaßlich groß, sich stützend auf Daniel 7, V. 10: "Tausendmal tausend dienten ihm, und zehnhundertmal tausend stunden vor ihm," zu welcher Stelle Dante anmerkt, daß der Prophet die wirkliche Zahl nicht nenne, weil sie unaussprechlich sei.

Der Anblick der neun Engelkreise, die sich um den feststehenden Lichtpunkt drehen, erblaßt und schwindet allmählich, wie die Sterne beim Höhersteigen der Morgendämmerung nach und nach unsichtbar werden. Dies letztere Phänomen tritt ein, wenn etwa 6000 italienische Meilen östlich von uns "die sechste Stunde glüht", das heißt Mittag ist. Nach der von Dante geteilten Annahme, daß der Umfang der Erde 20400 italienische Meilen betrage, ist es etwa eine Stunde vor Sonnenaufgang für uns, wann es 6000 Meilen weiter östlich Mittag ist. Dann fällt der Schatten der Erde für uns beinahe wagerecht nach Westen, und vor der dämmernden Tageshelle verschwinden zuerst bis in die Mitte des Himmels die schwächeren Sterne. Dort wird der Himmel für uns gleichsam höher und ferner, die Sterne können nicht mehr zu unseren Augen dringen.

So also schwindet "der Triumph" der Engelchöre und auch der Lichtpunkt, der zugleich von ihnen umschlossen wird und sie umschließt, Zentrum zugleich und Umfang alles Erschaffenen. Nur Beatrix bleibt den Augen, welche das "Nichtsehen" (die Abwesenheit alles sonst Sichtbaren) und Liebe nun auf dies eine Antlitz lenkt. Die Schönheit der Führerin erreicht ihre höchste Stufe, denn das Ziel ist erreicht, der eigentliche Himmel, das Empyreum, jenseits des Raums, öffnet sich. Dort ist in ewiger Nähe der wirkliche Aufenthalt aller Seligen, deren bisherige Erscheinung in den acht Sphären nur ein Bild ihrer verschiedenen Gnadenstufen, menschlicher Fassung anbequemt, gewesen war. Dort wird Dante die beiden Heere des Himmels vereint schauen, die Engel und die Heiligen, und zwar die letzteren, wie Sankt Benedikt ihm schon angekündigt hatte, in ihrer wahren Gestalt, so wie sie nach der Auferstehung des Fleisches am jüngsten Tage erscheinen werden. Wie eine Kerze vorbereitet wird, die Flamme zu empfangen, so erhält Dante ein neues Gesicht, um das Höchste schauen zu können, und nur allmählich führt ein Bild ihn wie ein Präludium zur letzten Wirklichkeit. Zwei Ufer eines Lichtstroms, aus dem Funken (Engel) aufsteigen und die Blumen der Ufer besuchen, glaubt er zu sehen, aber der Strom wird zum Meer, und dieses Meer von Licht ist der unmittelbare Abglanz der Gottheit, nach dem sich sehnend die neunte Sphäre, das primium mobile, sich in ewigem Schwunge dreht. Um das Meer erhebt sich ein Amphitheater kreisförmiger Stufen, auf denen die Seligen sitzen, sich spiegelnd in dem Lichtsee, das Ganze eine unermeßliche Rose, deren "Gelbes" (das Innere der Blume) der See ist. Trotz der ungeheuren Maße sieht das Auge alles gleich genau; die Gesetze der Optik gelten hier nicht. Die "beiden Höfe" des Himmels, Engel und Menschen, enthüllen sich in ihrer wahren Gestalt.

Auf einer der Stufen ist dem Kaiser Heinrich VII. ein Sitz bereitet. Die Hoffnung, daß Italien ihm seine Wiedergeburt verdanken werde, zerstörte im Jahre 1313 der Tod. Dem Papste Clemens V., der zu Heinrichs Zeit "dem heiligen Forum" vorstand, wird, weil er die Wege des Kaisers kreuzt, kurzes Regiment (1305-1314) und die Höllenstrafe der Simonie geweissagt. Er wird in jenem Kreise, den der 19. Gesang der "Hölle" beschreibt, "den Mann von Anagni" ablösen, Bonifaz VIII. Diese Prophezeiung ist das letzte, was Dante seiner Beatrix in den Mund legt.

Um das Lichtmeer sitzen auf den Stufen der "ewigen Rose" die durch Christi Blut erlösten Menschen des alten und des neuen Bundes, das eine der beiden himmlischen Heere. Zwischen ihnen und der über ihnen thronenden Gottheit fliegt das andere, das singende Heer der Engel hin und wider, den Seligen von Kreis zu Kreis die Früchte ihrer vollkommneren Erkenntnis zutragend. Bei diesem Anblick wird dem Dichter zu Mute, wie vormals den Barbaren ward (den Nordländern, die in ihrem Lande stets die Nymphe Kallisto und deren Sohn Arkas, den großen Bären und den Arcturus, über sich schauten), als sie zuerst Rom erblickten, zu einer Zeit, wo der Lateran noch alle irdischen Bauwerke überstrahlte.

Beatrix verläßt ihn hier und nimmt wieder ihren Sitz unter den Seligen ein. Sie trägt ums Haupt den Heiligenschein, welcher nach Thomas von Aquino den Siegern über Teufel, Welt und Fleischeslust, den heiligen Lehrern, Märtyrern und Jungfrauen zukömmt. Beatrix erscheint in diesem Schmuck als Personifikation der göttlichen Wissenschaft.

Ihre Führerstelle übernimmt der heilige Bernhard (1091 bis 1153), der berühmte Abt von Clairvaux, der Doctor mellifluus, der beredte Verkündiger der anbetungswürdigen Herrlichkeit der h. Jungfrau, der große Lehrer kontemplativer Vertiefung in die Geheimnisse der Gottheit. In jeder Hinsicht scheint gerade er geeignet, dem Dichter in diesem letzten und höchsten Momente der Ekstase zur Seite zu treten, wo ihm ein Blick in die Mysterien der Dreieinigkeit zuteil werden soll und die Vermittlung der Mutter Gottes selbst, damit so hohe Gnade ihm gewährt werde, angerufen werden muß. Dante blickt auf diesen Heiligen mit höchster Verehrung, mit einem Gefühle, wie der aus fernem Lande nach Rom gekommene Pilger das Schweißtuch der h. Veronika mit dem wahren Bildnisse Jesu anschaut. Bernhard aber lenkt des Dichters Blick in die Höhe, damit er auf der obersten Bank des Rundbaues die Himmelskönigin betrachte. Dort ist das Licht am hellsten, wie vor Sonnenaufgang die Stelle am Horizont am meisten glänzt, wo man alsbald die Deichsel des Sonnenwagens auftauchen zu sehen erwartet.

Das Amphitheater der Seligen ist in zwei Hälften geteilt: Maria sitzt zwischen beiden in der Mitte der obersten Reihe, links von ihr, wo alle Sitze schon voll sind, die Heiligen des alten Bundes, rechts die Getauften. Unter Maria von der zweiten bis zur letzten Stufe sitzt eine Reihe hebräischer Frauen und bildet hier die Grenze zwischen der alt- und neutestamentlichen Versammlung. Eine entsprechende Ordnung herrscht in dem anderen, der Maria zugekehrten Halbrund. Dort nimmt, der Mutter Gottes gerade gegenüber, Johannes der Täufer den obersten Platz in der Mitte ein, rechts von ihm der alte, links der neue Bund, und unter ihm bildet eine Reihenfolge von Kirchenvätern und anderen auserwählten Christen von oben nach unten die Grenze beider Hälften, ganz so wie jenseits die Reihe der heiligen Frauen des alten Bundes.

Auf der zweiten Stufe unter Maria sitzt Eva, unter dieser auf der dritten Rahel, an deren rechter Seite Beatrix, wie schon "Hölle", Gesang 2, V. 102 gesagt wurde, ihren Platz hat. Weiter folgen Sarah, Rebekka, Judith und Ruth, die Ahnfrau Davids, diese letztgenannte auf der siebenten Stufe.

Johannes der Täufer verdankt seinen Platz gegenüber der ersten unter den Weibern dem Worte Christi, daß kein vom Weibe Geborener größer gewesen sei als dieser. Dennoch mußte er zwei Jahre in der Vorhölle zubringen, weil erst im zweiten Jahre nach seiner Enthauptung der Kreuzestod des Erlösers ihn befreite.

Die unteren Stufen sind erfüllt von den getauften unschuldigen Kindern, welche vor dem Alter der Wahlfreiheit starben und also nur durch fremdes Verdienst, den Glauben ihrer Eltern, ohne Mitwirkung des eigenen Willens, zum Heil gelangten. Dante wundert sich, daß sie, deren Verdienst doch nicht verschieden sein konnte, gleichwohl verschiedene Stufen einnehmen. Sankt Bernhard belehrt ihn, daß allerdings schon im ersten Triebe, wenn derselbe auch auf Erden unentfaltet blieb, Unterschiede walten konnten. Wie Gott schon vor der Geburt die Seelen zu ungleichem Lose berufe, zeige das Beispiel jener Zwillinge, die im Mutterleibe einander stießen, Jakobs und Esaus, von denen Paulus im Römerbriefe Kap. 9, V. 10-13 sagt: "Da Rebekka schwanger ward, ehe denn die Kinder geboren waren und weder Gutes noch Böses getan hatten, auf daß der Vorsatz Gottes bestünde nach der Wahl, ward zu ihr gesagt, nicht aus Verdienst der Werke, sondern aus Gnade des Berufes, also: der größere soll dienstbar gemacht werden dem kleineren. Wie denn geschrieben steht: Jakob habe ich geliebet, aber Esau habe ich gehasset." Die Gnadenwahl Gottes selbst ist ein unergründliches Geheimnis auch für die Seligen, verständlich aber ist, daß für verschiedene Gnadenstufen auch verschiedener Rang sich ziemt, wie für verschiedene Haarfarbe verschiedener Hut, ein bizarrer Vergleich, bei dem man sich der Schriftstelle von Jakobs und Esaus schwarzem und rotem Haar zu erinnern hat.

Das Angesicht, welches Christo am ähnlichsten ist, das seiner Mutter, wird dann wieder Gegenstand der Betrachtung. Der Erzengel Gabriel erscheint auch hier als ihr besonderer Diener. Sie ist die Kaiserin, die Augusta des himmlischen Hofes, der auch seine Patrizier hat wie das cäsarische Rom. Neben ihr sitzen links Adam und Moses, rechts Petrus und Johannes, der Jünger, der in der Offenbarung die künftigen Trübsale der schönen Braut, der Kirche, geweissagt hat. Gegenüber, rechts und links von dem Täufer, sitzen Anna, Marias Mutter, und die h. Lucia, jene besondere Beschützerin Dantes, die Beatrix bewog, ihm beizustehen (Hölle, Ges. 2, V. 97 ff.), und die ihn hernach an die Pforte des Fegefeuers trug. Zu ihr stand, wie schon zu der angeführten Stelle der "Hölle" angemerkt ward, Dante in einem besonderen Andachtsverhältnis; er schrieb ihr einen wesentlichen Anteil an seiner Errettung zu und erhöhte sie über die anderen Heiligen, indem er ihr, wie Beatricen, eine symbolische Bedeutung verlieh als der Personifikation der erleuchtenden Gnade. Sie sitzt Adam gegenüber.

Zu V. 108 ist anzumerken, daß Dante mit den Astronomen seiner Zeit annimmt, das Sternenlicht sei ein Reflex der Sonne; zu V. 120, daß Adam und Petrus die "Wurzeln der mystischen Rose" heißen, weil jener der erste Gläubige des alten, dieser des neuen Bundes ist.

Der Ausdruck "Seele und Engel", V. 110, bedeutet so viel wie Mensch und Engel, weil Seele einen Leib voraussetzt, den die Engel nicht haben.

Das Gebet des h. Bernhard, welches den Schlußgesang der Divina commedia mit so erhabenem Klange eröffnet, erwirkt dem Dichter die Fürbitte der Himmelskönigin, deren Augen Gott "liebt und verehrt", liebt als Vater, verehrt als Sohn. Und so, auf ihre Fürsprache, erreicht er die höchste aller Seligkeiten, in welcher jede Sehnsucht aufhört: das Anschauen der Gottheit. Das, was er jetzt erblickt, ist unaussprechlich, übersteigt so sehr menschliche Fassung, daß selbst das Gedächtnis den empfundenen Eindruck nur traumhaft festhält. Nur einzelne Erinnerungen sind ihm geblieben, zusammenhanglos wie die Sprüche der Sibylle, die der Wind entführte. In der Tiefe des ewigen Lichts sieht er die Vielheit der Dinge als Einheit, "durch das Band der Liebe wie in ein Buch zusammengefaßt alles, was in der Welt zerstreut geschrieben ist". Die Kategorien der Philosophie, Substanz und Akzidenz, sind verschwunden und in der Gottheit zu einem Sein zusammengeflossen: der Dichter glaubt die wirkliche Gestalt des Knotens, der alles zur Einheit verknüpft, angeschaut zu haben; er hat keine deutliche Vorstellung sich bewahren können, aber schon die dunkle Erinnerung beseligt ihn. Denn eben in jenem Anschauen der Geheimnisse Gottes, dessen er einen Augenblick teilhaftig geworden ist, besteht die Seligkeit des Himmels. So überschwenglich ist die Fülle dessen, was er von dem Geschauten vergessen hat, daß dem gegenüber ein Augenblick dem Gedächtnisse mehr entzieht, als Jahrtausende dem Wissen von den ältesten Begebenheiten, zum Beispiel von der ersten Seereise, der Argonautenfahrt, entzogen haben. Nur in unvollkommenen Andeutungen vermag der Dichter von dem wunderbaren Anblicke der Dreieinigkeit zu reden, zumal von der Vereinigung des einen der drei göttlichen Kreise mit dem menschlichen Antlitze, dem Mysterium der beiden Naturen in der Person des ewigen Sohnes. Er sieht das Unbegreifliche vor Augen, aber er faßt es nicht. Mit allen Kräften des Geistes ringt er danach, seiner Vernunft dies Geheimnis zu deuten, aber er müht sich so erfolglos wie einer, der die Quadratur des Kreises sucht. Da plötzlich bewirkt ein Blitz himmlischer Erleuchtung, was die Vernunft nicht vermochte: das Ziel alles Ringens liegt auf einmal klar und hell vor der erkennenden Seele. Und damit endet, "die hohe Phantasie". Gott selbst, "die Liebe, welche Sonne und Sterne bewegt", wendet das Wollen und Wünschen des Dichters, das wie ein Rad widerstandslos und willig zurückkehrt in die durch göttliche Fügung ihm angewiesenen Geleise.

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