Sie begehrt sein Angesicht zu sehen

1
Zeige mir dein Angesicht,
Schönster Nazarener,
Weil mir deiner Augen Licht
Lieber ist und schöner
Als der klarste Maienschein
Und der Himmel selbst mag sein.

2
Laß mich sehen deinen Glanz,
Ungeschaffne Sonne,
Daß ich dich betrachte ganz,
Ewge Seelenwonne.
Laß mich sehen die Gestalt,
Die kein Alter machet alt.

3
Ach, wie selig ist die Braut,
Die du angeblicket,
Die dein Antlitz hat geschaut,
Die du so erquicket!
Denn was sollt ihr lieber sein
Als des Bräutgams Augenschein?

4
Was für Freude muß die Schar
Deiner Heilgen haben,
Die sich nun schon ganz und gar
Mit dem Anschaun laben!
Denen keinmal mehr gebricht
Dein verklärtes Angesicht.

5
O du Strahl der Herrlichkeit,
Unbefleckter Spiegel,
Bildnis der Dreifaltigkeit,
Ewger Schönheit Siegel,
Wanne werd ich würdig sein,
Zu beschauen deinen Schein?

6
Wanne wird mich dieser Strahl
Von der Erd erheben,
Daß ich in des Himmels Saal
Mög ersättigt leben?
Daß ich schau, was ich so oft
Hab gesucht und angeruft.

7
Zeige mir dein Angesicht,
Allerliebste Seele,
Weil mir doch kein ander Licht
Gnügt in dieser Höhle.
Denn dein Antlitz ist allein,
Was mir ewig gnug kann sein.

Heilige Seelenlust oder geistliche Hirtenlieder - Drittes Buch 15

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