Die Psyche freut sich aufgelöst zu werden

1
Die Zeit geht an, die Jesus hat bestimmt,
Da alles Leid bei mir ein Ende nimmt.
Gehab dich wohl, mein Kerker, böse Welt,
Mit allem dem, was deinem Geist gefällt.

2
Komm, meine Seel, wir wollen nunmehr gehn,
Wo Gottes Sohn und seine Diener stehn.
Wir wollen uns gesellen zu der Schar,
Die unverrückt frohlocket immerdar,

3
Gebenedeit sei ewig dieser Tag,
In welchem ich durch Gott verlassen mag,
Was sterblich ist und blendt mein Augenlicht,
Daß ich nicht seh des Liebsten Angesicht.

4
Ach Jesu Christ, mein Leben in dem Tod,
Mein Trost in Pein, mein Freund in Angst und Not,
Ich wende mich mit aller Kraft zu dir,
Ach, tu mir auf die süße Lebenstür.

5
Ich gebe dir von ganzem Herzen hin,
Was du erlöst und was ich durch dich bin.
Nimm meine Seel, wenn sie vom Leib ist los,
In deine Hand und väterliche Schoß.

6
Du bist mein Ziel, mein Ende, Ruhm und Preis,
Mein Mittelpunkt, mein süßes Paradeis.
In dir allein findt meine Seele Ruh,
Drum seufz ich auch dir unaufhörlich zu.

7
Ach, ach, wie sehr verlangt mich doch nach dir,
Komm doch, mein Trost, mein Leben komm zu mir.
Verzeuch doch nicht, aus dieser finstern Höhl
In deinen Hof zu holen meine Seel.

8
Ich warte schon mit sehnlichem Verdruß
Auf dich, mein Lieb, und deinen ewgen Kuß.
Ich bin fast krank und mein verliebter Geist
Ist gleichsam weg von mir nach dir gereist.

9
Jedoch, damit ich dir nichts schreibe für,
So will ich gern und willig bleiben hier,
Bis kommt die Zeit, in welcher ich als Braut
Dir, meinem Gott und Bräutgam, werd getraut.

Heilige Seelenlust oder geistliche Hirtenlieder - Viertes Buch 28

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