Giacomo Puccini

Manon Lescaut

Lyrisches Drama in 4 Acten

Personen

Manon Lescaut (Sopran)

Lescaut, ihr Bruder, Sergeant der Königl. Garde (Baryton)

Chevalier des Grieux (Tenor)

Geronte de Ravoir, Königl. Steuerpächter (Bass brill)

Edmond, Student (Tenor)

Der Wirth (Bass)

Ein Musiker (Mezzo-Sopran)

Ein Balletmeister (Tenor)

Ein Lampen-Anzünder (Tenor)

Ein Sergeant der Bogenschützen (Bass)

Ein See-Capitain (Bass)

Ein Perrückenmacher (stumm)

Alte Herrn – Abbé’s – Musiker – Mädchen – Bürger Männer und Frauen aus dem Volke – Studenten – Hofleute Schützen – Seeleute

Zeit: Zweite Hälfte des XVIII. Jahrhunderts.
Zur Einleitung.

Die Abenteuer des Chevalier Des Grieux in dem bewundernswürdigen Buche des Abbé Prévost »Manon Lescaut,« die dort ebenso eigenthümlich wie menschlich wahr geschildert sind, mussten für die Bühne in engere Grenzen gefasst werden. Die Hauptzüge aber und die Personen des Romans sind für die vorliegende Oper beibehalten worden.
Im Beginn erfolgt das Zusammentreffen in Amiens. Manon ist zum Kloster, Des Grieux zum geistlichen Stande bestimmt. Die Liebe erwacht in Beiden, dann taucht der Plan zur Entführung auf; Endlich geht diese vor sich; ihr folgt die Untreue Manon’s, die den Des Grieux Preis giebt und den alten Roué de G*** M***, (im Libretto Geronte de Ravoir), einen reichen Steuerpächter, vorzieht. Der Sergeant Lescaut, der Bruder der Manon, hat dabei die Hand im Spiele, ebenso bei ihrer Rückkehr zu Des Grieux. Die neue Flucht mit Letzterem misglückt. Manon wird gefangen und des Landes verwiesen.
Manon selbst ist eine eigenartige Mischung von Liebe und Koketterie, Sinnlichkeit und Gefühl und dies alles sprunghaft durcheinander. Ihr böser Engel ist der Bruder, der Sergeant, der sich der Schönheit und des Leichtsinnes der Schwester zu seinen selbstsüchtigen Absichten schlau und roh bedient. Wenig höher steht der alte reiche Wüstling Geronte de Ravoir, der die Ursache zu Manons Untergang ist. In diesem Bilde steht Des Grieux, der immer liebt und immer schwärmt, glaubt und hofft,gerade so sympathisch da, wie Geronte, der nie liebt und nie schwärmt, unsympathisch ist. Als Des Grieux die Geliebte, vor der Abfahrt nach Amerika, elend und bleich wiedersieht, fleht er den Commandanten des Schiffes an, ihm die Mitfahrt zu gestatten gegen jede Art Dienste, die dieser von ihm, fordern könne. Aber auch in America bleibt Manon nicht unbehelligt. Des Grieux wird in eine blutige Affaire verwickelt und abermals müssen Beide fliehen. Ergreifend ist die Scene in welcher Manon’s Tod erfolgt, eine oede trostlose Ebene an der äussersten Grenze von New Orléans in der jedes Leben verdorrt ist.
Diese wesentlichsten Züge sind wie bemerkt, im Libretto erhalten worden: so weit es eben möglich ist eine poetisch ergreifende Erzählung in die dramatische Form der Oper umzugestalten.

Der Textverfasser.
Erster Akt.

Ein weiter Platz bei der Pariser Post zu Amiens.

Rechts eine Allee, links ein Wirthshaus mit einer Vorhalle, unter welcher Tische und Stühle für die Ankommenden stehn. Eine äussere Treppe führt in den ersten Stock des Gasthauses.

Studenten, Bürger, Volk, Frauen und Mädchen, Soldaten welche den Platz spazierend und plaudernd hin und her überschreiten und zu der Allee gehn und von dort kommen. Andere bilden Gruppen, sich unterhaltend, wieder andere sitzen an den Tischen und trinken und spielen. Edmond mit andern Studenten; später Des Grieux.

EDMOND halb komisch, halb sentimental.
Sei gegrüsst Abend!
Mach mild das Licht vergehn –
Zünd‘ leis die Sterne an
Lass‘ sanft den Zephyr wehn!
Poeten seid gegrüsst
Gegrüsst sei hohe Liebe …
STUDENTEN Edmond lachend unterbrechend.
Ha, ha, ha, – Ha, ha, ha, ha!
Betrunkene auch und Diebe …
Verzeihe wenn wir recht brutal
Gestört dein Madrigal!
EDMOND nach dem Spazierwege schauend.
Ich bin Euch dankbar …
Seht das fröhliche Gedränge
Im grünen Baumesschatten;

Graziös, ungezwungen.

Frisch, lachend geh’n die Schönen
Mit Schätzen oder mit Gatten …
STUDENTEN.
Fürwahr, es tummelt froh sich.
EDMOND.
Ein Madrigal soll klingen
Verlockend, keck und rosig.
Seht wie sie nun müssig schwatzen
Die eben noch ihr Handwerk trieben …
STUDENTEN.
Leicht lernt sich Müssiggeh’n und Lieben.
EDMOND.
Mein Madrigal sei launig
Und dreist. Ich zage nie …
Getaucht sei meine Muse
Ganz in Galanterie!

Zierlich zu einigen Mädchen.

Unser Panier ist die frohe Jugend
Und die Hoffnung unser Ideal!
Froh lebt in uns an unsre Kraft der Glaube,
Macht unüberwindlich uns zumal!
STUDENTEN wiederholend.
Das Panier ist unsre Jugend
Und die Hoffnung hell und klar!
Seh’t uns selig trunken lachen;
Eu’r Herz schenkt, reicht die Lippen dar! …
MÄDCHEN vom Hintergrund näher kommend.
Wehet vom Himmel herab
Der Abendwind süsse Düfte,
Eilen heimwärts die Schwalben
Pfeilschnell durch die Lüfte, –
Dann tagt die Stunde der Phantasie
Dann ringet mit der Fröhlichkeit
Die Melancholie …!
STUDENTEN.
Reicht die Herzen, reicht den Mund
Zum Jugend – frohen Bund.

Des Grieux tritt auf.

Seh’t – Des Grieux.

Des Grieux ist wie die Studenten gekleidet.

EDMOND hält Des Grieux, welcher grüsst und vorbeigehen will, auf.
Mit uns gemeinsam, Freund
Sei heiter, überwinde
Den eitlen Groll um jenes Abenteuer.

Des Grieux, zum Bleiben genöthigt zeigt sich – ohne verdriesslich zu sein – wenig geneigt, auf Scherze einzugehen.

Keine Antwort? Warum?
Quält Dich wohl gar, weil eine Schöne
Dich verschmäht, – glücklose Liebe?
DES GRIEUX unterbrechend, achselzuckend.
Liebe? Nicht als Tragödie noch als Komödie
Kannt‘ ich jemals diese Triebe! …

Edmond und einige der Studenten halten Des Grieux im Gespräche fest. Andere begleiten die promenierenden jungen Mädchen, denen sie den Hof machen.

EINIGE STUDENTEN zu Des Grieux.
Kostbar! Deine heimlichen Siege
Möchtest Du uns verhehlen!
DES GRIEUX.
Zu viel der Ehre ist das, Ihr Freunde.
EDMOND UND DIE STUDENTEN.
Beim Zeus, du bist verstimmt, gesteh‘ es nur …
Vielleicht durch eine spröde Nippfigur?
DES GRIEUX.
Nein, nein Ihr irrt Euch …
Doch wenn’s Euch Vergnügen macht –
Das Opfer sei sogleich gebracht …

Eine Gruppe Mädchen fixirend – entschlossen.

Frisch vorwärts – allsogleich!

Galant zu den Mädchen tretend.

Unter all Euch schönen Kindern
Blond und braune, ist eine wohl
Die mich mag leiden,
Mit ros’gem Mündchen,
Auf ein Stündchen …
Sag‘ bist du es, die ich lieben soll?

Sprich es kecklich aus mein Kind
Damit ich mein Schicksal bald erfahre;
Zeige mir geschwind
Deine glüh’nden Wangen
Dein heisses Verlangen …
STUDENTEN lachend.
Ha, ha, ha – Vortrefflich!

Die Mädchen, merkend dass Des Grieux nur Spass macht, gehen achselzuckend von ihm fort.

EDMOND.
Nun seht, Kameraden
Des Grieux kann nichts Verliebtes sagen!
Wem brächt solch eine Werbung Schaden?

Mädchen, Studenten und Bürger.

STUDENTEN vortretend.
Lasst uns den Abend feiern!
STUDENTEN.
Vortrefflich, dabei fehlt kein Zecher …
BÜRGER, STUDENTEN, FRAUEN UND MÄDCHEN.
Hell ertönt und begeistert
Musik aus der Becher Klang
Lasst den Abend uns feiern,
Froh mit Tanz und Gesang!

Stosst an, preist laut die Freude. –
Verglomm der Sonne Schein
So darf uns das nicht grämen:
Es lebt ihr Gold im Wein!

Lieder, Wein und lust’ge Reigen
Feuern an zur Lebenslust
Hüllet sich die Nacht in Schweigen
Klopft das Herz laut in der Brust …

Schimmernd taucht dann auf am Himmel
Wie ein Gedicht, der Sterne Heer
Alles siegt und stürmt zur Freude
Badet in dem Wonnemeer …

Bald liegt so weit,
Ach die Jugendzeit!
Leucht‘ uns mächtig,
Licht der Lust!

Man hört hinter der Scene ein Posthorn. Alle blicken rechts nach hinten wo eben der Postwagen auffährt und unter dem Portal des Gasthauses anhält. Aus dem Wagen steigt behende Lescaut, dann Geronte, der galant Manon beim Absteigen hilft; dann steigen noch andere Passagiere herab.

MÄDCHEN UND BÜRGER.
Sie steigen aus, schaut zu!
Elegante Leute wohl?
EDMOND UND DIE STUDENTEN Bewundernd Manon betrachtend.
Wer böt‘ nicht dieser zarten Schönen
Die man bei Gott bewundern muss
Von Herzen einen Willkommgruss!
LESCAUT.
He, Wirtschaft!

Zu Geronte, verbindlich.

Ihr seid ein Muster jeder Tugend …

Schreiend.

He, Wirtschaft!
DER WIRTH herbeilaufend, von Kellnern gefolgt.
Da bin ich schon.
DES GRIEUX Manon betrachtend.
Götter, wie sie schön ist!
GERONTE zum Wirth.
Diese Nacht Herr Wirth beschützt uns Euer Dach.

Zu Lescaut.

Entschuldigt!

Zum Wirth.

Und jetzt seid wohl besorgt
Mein Herr, um meine Koffer …
DER WIRTH.
Gewiss, sogleich!

Er giebt dem Personal Befehle; die Diener begeben sich zum Wagen und bewirken das Abladen.

Zu Geronte und Lescaut.

Ich bitte, wollt mir folgen Ihr Herrn …

Er steigt die Aussentreppe zum ersten Stock hinan, gefolgt von Geronte und Lescaut, der Manon ein Zeichen macht ihn zu erwarten. Manon lässt sich auf einer Bank nächst dem Promenadenweg nieder; Die Post fährt durch das Portal in das Gasthaus. Die Menge zerstreut sich; Einige der Studenten sitzen an den Tischen und trinken und spielen. Edmond etwas beiseit, beobachtet Manon und Des Grieux. Des Grieux, der von Manon kein Auge wandte, tritt jetzt zu ihr.

DES GRIEUX zu Manon.
Mein Gnädiges Fräulein, darf ich eine Bitte wagen:
Lasst Euren süssen Mund
Mir Euren Namen sagen!
MANON Einfach, sanft und bescheiden.
Man ruft mich Manon Lescaut.
DES GRIEUX.
Wollt verzeihen meine Kühnheit
Doch ein tiefes Gefühl
Zieht mich unhaltsam zu Euch.
Seit Euer Auge ich sah
Strahlt mir ein Himmelreich,
Bin ich verwandelt im Herzen; –
Drum verzeiht, wenn ich nimmer kann scherzen …
Sprecht – wann reist Ihr weiter?
MANON schmerzlich.
Bei Tagesanbruch morgen
Mein wartet das Kloster …
DES GRIEUX mit Wärme.
Um zu begraben dies märchenschöne Antlitz
In seiner Blüthe! …
O holde Donna!

Tritt nahe zu ihr.

Welch‘ Schicksal, ach, verfolgt Euch?

Edmond nähert sich vorsichtig den Studenten in der Wirthschaft und zeigt ihnen schadenfroh Des Grieux der in das Gespräch mit Manon versunken ist.

MANON schlicht.
Ach, mein Schicksal ist einfach;
Es heisst: der Wille des Vaters!
DES GRIEUX mit Leidenschaft.

Für sich.

Wie ist sie zum Entzücken!

Zu Manon.

Nein, nein, in keinem Kloster
Vertrauert Euer Leben.
Euer Stern wird neu erstrahlen
Euch neue Hoffnung geben!
MANON traurig.
Mein Stern ach, wird erlöschen.
DES GRIEUX.
Zur Nacht kehrt heimlich wieder!
Ihr sollt nicht unterliegen
Wir wollen uns verschwören
Eu’r Schicksal zu besiegen …
MANON.
Ach so viel Mitleid, ertönt mir
Aus Euren edeln Worten!
Ich denke Eurer – nennt mir Euren Namen.
DES GRIEUX.
Bin Renato Des Grieux.
LESCAUT von Hintem.
Manon!
MANON rasch.
Nun muss ich gehen.

Zum Gasthaus gewendet.

Ich komme!

Zu Des Grieux.

Hört Ihr, der Bruder hat gerufen …
DES GRIEUX flehend.
O, kehrt wieder!
MANON.
Ach, ich kann nicht …
Lasst mich ziehen!
DES GRIEUX.
O ich bitte, – ich beschwör‘ Euch …
MANON bewegt.
Nun, Ihr siegtet: Wenn die Nacht
Herabsank, kehre ich zurück …

Sie unterbricht sich, Lescaut erblickend, der auf dem Balcon des Gasthauses erscheint um die Schwester zu holen; Beide treten in das Haus.

DES GRIEUX ist Manon unablässig mit den Blicken gefolgt.
Wo lebte wohl ein Wesen
An Reizen gleichend ihr?
Beim Worte ach, »ich liebe«
Wacht auf ein neues Leben tief in mir.

Sehr einfach.

»Man ruft mich Manon Lescaut.«
Der Name strömt aus ein Meer von Düften.
Den Geist mir hold berauschend
Und tausend Seufzer fiebern in den Lüften!

Süsses Flüstern vom Glücke …
Ach ende, ende nimmer -!
Lass mich träumen die Zukunft
In Blüthenschmuck und rosigem Schimmer;

Beseelt.

»Man ruft mich Manon Lescaut!«
Verhalle nicht süsses Wort;
Verbleib, tön‘ fort, o Wunderklang …
Ein Leben lang …

Er beharrt in Ekstase.

Edmond und die Studenten welche Des Grieux beobachtet haben, schleichen jetzt nach und nach heran. Sie umringen Des Grieux.

STUDENTEN.
Es hat dein Schicksal sich froh gewendet
Cupido’s würdig, einem Engel gleich
Ist diese Schöne, die voll von Reizen
Auf Strahlen schwebt zum Himmelreich.

Es hat dein Schicksal
Sich froh gewendet

Sentimental nachahmend.

Die Liebe stieg vom Himmel herab
Und hat die Seufzer alle geendet,
Das Leid gebettet in’s Grab …

Des Grieux geht unwillig schnell ab.

EDMOND UND DIE STUDENTEN lachend.
Ha, ha, flieh nur!
Verliebt ist er zum Sterben!

Sie gehen wieder zum Wirthshaus zurück, sich mit einigen der Mädchen galant neckend und sie zum Mitgehen einladend.

Studenten und Mädchen.

STUDENTEN.
O kommt schöne Mädchen
Wir weissagen Gutes;
Viel fröhliche Stunden –
Seid guten Muthes.
DIE MÄDCHEN.
Wer wählt eine Blonde?
Nein, braun mag man leiden.
Die Göttin der Liebe
Soll den Streit entscheiden!

Einige setzen sich zum Spiel an die Tische und trinken mit.

DIE STUDENTEN.
Kahl ist die Göttin fürwahr
Doch Euch macht begehrlich das kostbare Haar
Verlockend anzuschauen!
Nicht wäget Gewinn und Verlust,
O Mädchen, lebt weise der Lust!
Ob weinend, ob lachend
Man duldet sein Loos.
Wir werden genarrt und betrogen.
– Zum Troste ist eines
Erleichternd verblieben;
Es locken die Stimmen zu ewigem Lieben.
Auf! Folget dem seligen Ruf! –
DIE MÄDCHEN.
Für Stunden nur schwört Ihr Treu
Möchtet bei Seufzen und Küssen
Achtend nicht unser treues Herz
Im Taumel kurz nur geniessen.

Wir feiern die Siege gern
Und schmücken Besiegten das Herz
Im zitternden Lebensgenuss.
Süss tauschend, ach Kuss um Kuss
Vergessen wir Schande und Schmerz.
EDMOND zu einem der Mädchen, dem er sich nähert, und mit der er galant zur Promenade geht.
Leb wohl mein Stern
Du liebliche Blüthe
Reizende Schwester
Der Aphrodite
Zu Dir kehrt stets mein Seufzen neu,
Für einen Tag – bleibst du auch treu!

Grüsst das Mädchen sich verabschiedend, erblickt Geronte und Lescaut, tritt zurück und belauscht deren Gespräch.

Geronte und Lescaut steigen plaudernd die Treppe herab.

GERONTE im Vorbeispazieren zu Lescaut.
Also nimmt Eure Schwester im Ernst den Schleier.
LESCAUT.
So hat’s die Familie beschlossen – leider.
GERONTE.
Ihr, wie mich dünkt – seid anderer Meinung.
LESCAUT.
Sicher – sicher!
Seht, ich urtheile klarer als meine Umgebung
So klug sie sich dünket mit ihrem Entschlusse.
Denn ich kenne das Leben schon zu vielfach –
Paris dünkt mich die hohe Schule!
Doch als der Schwester Mentor gleichsam,
Füg‘ ich mich den Dingen wie ein guter Soldat.
Nur bedünkt mich; Falsch ist’s zu entsagen
Der Welt. Für nicht genossne Freuden
Wird uns nie ein Ersatz. –
Gern wüsst ich, Herr, wer Ihr seid?
GERONTE.
Geronte von Ravoir.
LESCAUT.
Es scheint – Ihr reist zum Vergnügen?
GERONTE.
Nein, im Amte.
Die Pachtung – wisset, der Steuern
Ward mir vertrauet durch Königliche Gnade
Davon ward‘ ich reich …
LESCAUT.
(Der Geldsack, Der …)
GERONTE.
Mir scheinet werther Herr
Eure Schwester ist nicht heiter …
LESCAUT.
Mit achtzehn Jahren in’s Kloster!
Ohne Trost – ohne Hoffen!
GERONTE.
Verstehe …! Ja die Aermste
Man muss sie trösten, erheitern …
Darf zu Tisch ich Euch heut‘ Abend bitten?
LESCAUT.
Besten Dank! Sehr viel Ehre!

Er giebt ein Zeichen nach dem Gasthause hin, ihm etwas zu bringen.

Erlaubt dass ich bis dahin …
GERONTE Der zuerst mit Lescaut unbefangen sprach, ändert sein Wesen und versinkt in Gedanken.
Verzeihung! Im Moment bin ich wieder bei Euch!
Eine Kleinigkeit ist noch im Gasthaus zu ordnen.

Lescaut verbeugt sich, Geronte geht nach hinten ab. Es fängt an zu dunkeln; aus dem Hause bringt man Lampen und Lichter, die auf die Tische zu den Spielenden gesetzt werden.

STUDENTEN UND BÜRGER eifrig spielend.
Die Drei! Ein Bube! Ein Ass hier!

Lescaut angelockt durch die Rufe tritt näher und sieht zu.

LESCAUT.
Das Spiel hol‘ doch der Teufel!

Mit fiebernder Spannung.

Die Karten, ach! Ob ich mein Glück versuchte?
Einige tüchtige Stiche …
DIE BÜRGER.
Schnell! Setzet! Gebet! Ein Ass ist’s!

Lescaut sieht einem der Spieler über die Schulter in die Karten, beobachtet und sagt dann mit tadelndem Ausdruck.

Das Ass sticht? Nein Ihr Herrn, der Bube!
Das ist wohl ein Irrthum!
DIE STUDENTEN zu Lescaut, ihn becomplimentierend.
Der Bube – Ihr seid ein Meister!
LESCAUT mit übertriebener Bescheidenheit.
Ihr scherzt wohl! Ein Dilettant nur …

Folgt der Einladung und setzt sich mit zum Spiel.

GERONTE der wieder vorkommt, beobachtet Lescaut; Er ruft, diesen beschäftigt sehend, den Wirth zu sich in den Schatten des Thorwegs.
Freund hört mich

Der Wirth läuft eifrig herzu.

Lasst rasch mich zahlen, ganz ohne Aufseh’n

Den Wirth seitwärts führend.

Dann aber sorgt dass ein Wagen
Mit windschnellen Pferden bereit steht,
Nach einer Stunde …
DER WIRTH.
Wird besorgt Herr …

Edmond der bei dem Hin – und Hergehen Gerontes Verdacht schöpfte, nähert sich um ihn zu überwachen.

GERONTE widerholend.
Hinter dem Hause, nach einer Stunde. Verstanden?
Ein Mann steigt ein mit einem Mädchen.
Dann fort mit Windeseile, schnell
Gegen Paris hin! Ferner bedenkt:
Eu’r Schweigen bringt Euch Gold.
DER WIRTH listig.
Das ist mein Abgott …!
GERONTE giebt dem Wirth eine Börse.
Gut so! Betet’s an!
Doch streng gehorchet … Sagt mir jetzt noch:

Zum Portal zeigend.

Hat das Gasthaus nur diesen Ausgang?
DER WIRTH.
Nein, noch einen …
GERONTE.
Zeigt zu diesem mir den Weg.

Gehen hinten nach links ab.

STUDENTEN zu Lescaut.
Nehmt Theil, willkommen beim Spiele!
LESCAUT kalt und gering chätzig.
Ich halte …

Lescauts Spiel feuert die Studenten an; Edmond läuft zum Hintergrund, nach Geronte ausschauend.

EDMOND hervortretend.
Würdiger Alter, du bist ein gepuderter Pluto ja!
Doch Proserpina hat vielleicht Tugend genug zu widerstehn!

Des Grieux tritt in Gedanken versunken ein.

EDMOND klopft Des Grieux auf die Schulter.
Herr, man spielt Euch einen Possen …
DES GRIEUX erstaunt.
Was wär‘ das?
EDMOND spöttisch angehaucht.
Wie eine Blume, die gestern süss duftete
Und heut ihrem Stengel entsinkt
So welkt die Freude hin, die Euch das
Liebliche Fräulein heute noch bot: Man raubt sie!
Es bläst sein Horn der Postillon
Dein zartes Mädchen
Rollt, keck entführt, davon …
DES GRIEUX erschrocken.
Wär’s möglich?
EDMOND.
Ich seh Euch beben.
Bei Gott: ein Alter stiehlt sie …
DES GRIEUX.
Gut – ich werde hier warten …
EDMOND.
Wir sind gerüstet …
DES GRIEUX.
Rettet mich!
EDMOND.
Euch beisteh’n? Die Entführung verhindern?
Lasst seh’n! Wohlan. – Vielleicht gelingt es so!
Mit Spiel und Wein ködern wir den Sergeanten dort …
DES GRIEUX.
Und der Alte?
EDMOND.
Der Alte, nun …
Den übernehme ich.

Er nähert sich den Spielern, spricht Mehreren in’s Ohr, dann geht er durch des Portal nach hinten zur linken ab. Man unterbricht das Spiel, Lescaut trinkt mit den Studenten weiter. Manon erscheint auf der Treppe oben, schaut sich mit Angst um, steigt, Des Grieux erblickend, herab und tritt näher.

MANON mit Einfachheit.
Nun seht Ihr! Ich hab getreulich
Was ich versprach, gehalten.
Ihr batet heiss mich, nochmals hier Euch zu erscheinen
Ich that’s – nun mag das Schicksal walten.

Doch jetzt ist’s besser dass wir scheiden,
Ich muss dem Flehen widerstehn
Lasst ruhig mich, Herr, mein Schicksal leiden!
DES GRIEUX.
Wie Eure Worte in’s Herz mir schneiden.
In Euren jungen Jahren,
Was habt Ihr herbes denn erfahren?
Euer Grübeln und Wägen
Steht allem Geniessen schroff entgegen.
Lasst sie beiseit,
Ach, diese Traurigkeit! …
MANON.
Und doch war ich einst so fröhlich,
So vergnügt! Die stille Hütte
Hallte wieder vom lustigsten Lachen; –
Mit jungen Mädchen im Reigen
Sang ich die frohsten Lieder …

Traurig.

Sonnige Kinderzeit
Wie liegst du weit! …
DES GRIEUX.
In deinen Himmelsaugen leuchtet mächtig
Die Sehnsucht nach der Liebe stillen Freuden …
Und Liebe ist es, die jetzt aus mir spricht.
Gebt dem süssesten Zauber Euch hin,
Reicht die rosigen Lippen mir dar
Und das Herz; denn ich lieb Euch wahr.
Nach Euch in Flammen steht mein ganzer Sinn!
MANON.
Bin nur ein armes Mädchen lieber Herr
Nicht die Schönheit leuchtet mir vom Angesicht
Die Trauer meines Schicksals drückt mich schwer …
DES GRIEUX.
Die Gluth der Liebe wird schmelzen Euern Schmerz
Und Eure Schönheit berauschen ewig dieses Herz.
Senk zu mir deinen leuchtenden Blick
Ah, mein höchster Seufzer bist du
Meine Sonne, mein Stern, mein Glück!
MANON.
Spricht die Wahrheit dein trunkener Blick?
Ah! so erfüll‘ sich der Traum …!
Meine Sonne, mein Stern, mein Glück!
LESCAUT sich mühsam aufrichtend und halb berauscht auf den Tisch pochend.
Was, keinen Wein mehr?
Pfui, verwünscht! wenn der Krug leer!

Beim Ertönen der Stimme Lescauts ziehen sich Des Grieux und Manon schleunig nach rechts zurück; Manon zögert dort und möchte ängstlich umkehren; aber Des Grieux hält sie fest und zieht sie an sich. Die Studenten zwingen Lescaut wieder zum Niedersetzen und schenken ihm Wein ein.

DES GRIEUX zu Manon.
O lasst Euch warnen …
Euch bedrohen Schimpf und Schande
Man will Euch rauben!
Jener verruchte Alte, der gleichzeitig mit Euch ankam
Hegt den Anschlag Euch zu entführen.
MANON.
Was sagt Ihr?
DES GRIEUX.
Die Wahrheit!
EDMOND kommt schnell gelaufen zu Manon und Des Grieux.
Der Streich gelingt; der Wagen steht bereit schon …
Welch‘ königlicher Spass!
Schnell, auf die Reise!
MANON überrascht.
Ich? Entfliehen?
DES GRIEUX.
O kommt doch! wir reisen! Erlaubt
Dass statt des Andern, ich Euch entführe …
MANON zu Des Grieux.
Ach nein! Das wäre Raub ja!
DES GRIEUX.
Nicht doch – der Liebe folgt Ihr!
MANON will sich los machen.
Ach – nein!
DES GRIEUX dringender.
Ich fleh‘ Euch!
EDMOND.
Hurtig! auf die Reise …
DES GRIEUX mit Leidenschaft.
Lass uns fliehen, o Theure!
MANON.
Nein, nie, nie!
DES GRIEUX.
Lasst Euch erweichen, kommt entflieht.
MANON.
Ach nein, nein.
EDMOND.
Hohe Zeit ist’s: Schnell fort!
DES GRIEUX immer dringlicher.
Manon, seht, es fleht die Liebe!
Kommt, mein Arm führt Euch zum höchsten Glück:
MANON entschlossen.
Gut, – es sei!
Ich folge Euch …
EDMOND.
Närrisches Pärchen.!.

Wirft Des Grieux seinen Studenten – Mantel um, in den Des Grieux das Gesicht birgt, dann fliehen alle drei hinter das Gasthaus. Von der Eingangshalle kommt Geronte, geht direkt zu dem Tische wo Lescaut trinkt und klopft ihm auf die Schulter.

GERONTE.
Mein Sergeant, wie steht es mit dem Essen?
LESCAUT sich mühsam aufrichtend.
Ja, zur Abendtafel, zu Tische!
GERONTE für sich.
(Mir ganz recht, er ist betrunken!)

Man hört von Ferne die Geschirrklingeln der forteilenden Pferde.

Erstaunt.

Wer reist denn jetzt ab?
Zu dieser Stunde? Befremdlich!

Edmond kommt lachend und hastig wieder hinter dem Gasthause hervor, nähert sich den Kameraden, die vereinigt aus der Halle treten. Ohne etwas zu merken schreitet Geronte rasch dem Hintergrund zu nach links sehend; wo der Wagen gestanden.

EDMOND zu den Kameraden.
Welch‘ prächtige Scene; Sie reisten ab!
LESCAUT aus der Halle tretend, rennt auf das Geschrei hin, schwankend einige Stufen der Treppe hinauf und ruft laut.
He, Manon! Manon!
EDMOND UND DIE STUDENTEN zu Lescaut, lachend.
Ist nicht mehr da! ha, ha!
Den Betrunkenen gehöret der Abend …

Immer mehr Menschen laufen herbei.

GERONTE wüthend zurückkehrend von hinten.
Infam ist’s – Eine Schandthat …
LESCAUT aufgerüttelt von dem Lärm, steigt wieder die Treppe herab.
Was nun?
GERONTE zu Lescaut.
Frevelnd entführt hat man Eure Schwester!
In meinem Wagen!
LESCAUT den Degen ziehend.
Bei Gott: Blutig gerächt sei dieser Verrath.
Bin des Königs Soldat …!
GERONTE.
Man betrog mich, Abscheulich!

Geronte und Lescaut wollen den Ausgang erzwingen um den Wagen zu verfolgen, aber alles sperrt ihnen den Weg. Noch mehr Menschen kommen herbei. Die Verwirrung und der Lärm erreichen den Gipfel.

Edmond, Lescaut, Geronte, Der Wirth, Studenten, Frauen, Mädchen, Bürger und Volk.

Durcheinander

EDMOND zu Lescaut.
Halt grad‘ dich, tapfrer Degen!
Sei kühn, doch nicht verwegen …

Zu Geronte.

Gott Amor vereitelt oft gern
Die Pläne so würdiger Herrn!
LESCAUT.
Ich werde ihn finden, ich schwör es …
GERONTE.
Den Durchgang gebt frei – ich befehl es!
DER WIRTH aus dem Gasthause herbei eilend.
Welch furchtbares Lärmen, welch‘ Toben!
STUDENTEN zu Lescaut.
Halt grad dich Soldat, schau nach Oben!
FRAUEN UND MÄDCHEN wiederholen.
Welch furchtbares Lärmen.
EDMOND zu Lescaut.
Was werdet Ihr thun?
LESCAUT.
Ich werde ihn suchen
Und nimmer ruhn …
GERONTE.
So schmählich mich zu verrathen!
DER WIRTH für sich.
Der Alte büsst seine Thaten!
GERONTE.
Jetzt schweiget, ie Ruh‘ nehmt endlich in Acht!
CHOR.
Betrunkenen und Narren gehört diese Nacht.
GERONTE.
Seid stille! und zügelt das tolle Lachen
Ihr werdet mich wahrlich taub noch machen!
BÜRGER UND VOLK.
S‘ sind Tolle! Lasst ab mit Schreien!
Bindet sie – sperrt sie ein.
Sie stellen wahrlich die Stadt auf den Kopf.
Steh grad Soldat, du trunkener Tropf.
STUDENTEN UND FRAUEN.
Der Alte ist rasend und schäumt vor Wuth
Schafft schleunig Frieden, sonst fliesst noch Blut.
EDMOND UND STUDENTEN.
Auf, auf! Gehen wir endlich zu Tische
Lasst kreisen die schäumenden Becher … –
Preist hoch die Lust, aus voller Brust,
Das ist die Weise der Zecher …
BÜRGER, DER WIRTH UND DIE FRAUEN.
Toll ist das Geschrei, des Lärm brutal,
Die Babylonische Irrung
Sergeant, steht grad, die Trunknen steckt ein.
Sonst endet nicht die Verwirrung.
GERONTE UND LESCAUT.
Jetzt fort, haltet Ruh‘
Den Weg gebt frei -!
Blutig gerächt wird die Büberei.
LESCAUT immer wankend.
Respect, ich bin Leibsoldat …
Und diene dem König und dem Staat.
STUDENTEN.
Zu Tische! Wir wollen fröhlich sein
Ein Hoch den Frauen, ein Hoch dem Wein!

Alle umringen Geronte und Lescaut. Unter allgeimeinem schallenden Gelächter drängt und schiebt man sie gegen das Gasthaus.

Der Vohrang fällt rasch.

Ende des I. Aktes.

Zweiter Akt.

Zu Paris.

Ein Eleganter Salon im Hause Gerontes.

Im Hintergrund grosse Thüren. Rechts verhüllen reiche Vorhänge den Eingang zu einem Alcoven. Links nach dem Fenster ein luxuriöser Toilettentisch. Sofa, Sessel, Tisch in reichem Geschmack.

Der Vorhang geht auf. Manon sitzt vor der Toilette, bedeckt mit einem kleidsamen weissen Pudermantel. Der Friseur ist eifrig um sie beschäftigt. Zwei Knaben stehen hinten um jeden seiner Befehle sofort auszuführen.

MANON sich im Spiegel betrachtend.
Du trotzig Haar was soll dein Sträuben?

Zum Friseur.

Schnell mit dem Eisen, brennet!

Ungeduldig.

Rasch doch!

Der Friseur springt hastig hinüber und brennt die Locke mit dem Eisen.

MANON immer zu dem Friseur, der jeden Befehl sofort ausführt.
Hier … ist die Flüchtige:
Ein wenig trennt die Brauen! …
Reicht mir Bleiweiss …!

Befriedigt.

Die Blicke schiessen scharf wie Pfeile …
Hierher die Narcisse!
LESCAUT durch die hintere Thür eintretend.
Ich grüsse dich, kleine Schwester!
MANON immer zum Friseur.
Die Schminke und Pomade! …
LESCAUT.
Bist diesen Morgen, so scheint es, übler Laune.
MANON.
Uebler Laune? Wie so?
LESCAUT.
Nicht? Um so besser! Geronte ging schon?

Malitiös lächelnd.

Welche Hast, zu verlassen dein Gemach …
MANON zum Friseur.
Nun Schönheitspflaster …

Der Friseur bringt die Schachtel; Manon stöbert darin herum und ist unschlüssig.

LESCAUT Rath ertheilend.
Dies wirkt keck! Ausgefeimt ist das;
Nicht? Dies ist galant!
MANON unentschlossen.
Ich weiss nicht recht …

Entschieden.

So sei’s! Hier diese zwei:
Am Aug‘ den Dolch der Kälte,
Am Mund das Schmachten nach Küssen!

Der Friseur legt die beiden Pflästerchen auf, dann nimmt er stolz Manon den Pudermantel ab, die nun reich gekleidet, frisirt und geschmückt dasteht. Er legt den Mantel zusammen, verbeugt sich elegant und geht mit seinen Gehilfen ab.

LESCAUT Manon betrachtend.
Ah, welch prächtige Erscheinung!

Bewundernd.

Wie bist du schön und glänzend!
Entzückt bin ich darob!
Es ist mein Stolz: ich rettete Dich
Von des Studenten armer Liebe!
Als damals von Amiens mit Des Grieux du flohest,
Sank nicht mein Muth, noch ward mein Hoffen trübe.
Da ahnt‘ ich dein Geschick, …
Sah den Glanz, der jetzt in diesen Sälen
Schimmernd, dich umgiebt.
Wie fand ich dich damals …!
In einer engen Hütte
Warst du bei ihm geborgen;
Nicht an Küssen fehlt‘ es
Noch an schweren Sorgen …
S’war ja ein braver Junge der Des Grieux.
Jedoch ein Steuerpächter war er nicht, Parbleu;
Drum schien’s natürlich mir
Dass einst du, des Mangels müde,
Annahmst die goldne Pracht hier,
Und floh’st der Armuth Friede.
MANON.
Doch sag‘ mir …

Unterbricht sich.

LESCAUT.
Sprich, was willst du?
MANON.
Gar nichts!
LESCAUT.
Gar nichts? Fürwahr?
MANON.
Ich wollte dich nur fragen …
LESCAUT.
Ich geb‘ Bescheid!
MANON plötzlich sich umwendend lebhaft.
Du giebst Bescheid?
LESCAUT.
Verstehe …! Deine Augen verrathen einen Wunsch:
Wenn Geronte dein Sinnen wüsste! …
MANON rasch.
Ganz recht gerathen! …
LESCAUT.
Möchtest Nachricht von ihm?
MANON traurig.
Ach ja! … Hab‘ ihn verlassen
Ganz ohne Gruss und Kuss!

Sich in dem hocheleganten Alcoven umsehend.

Ach, in den kalten Spitzen herrscht
Trotz der Pracht, nur ödes Schweigen;
Oh, mich schauert’s, ich erfriere
Will kein Herz sich zu mir neigen! …
Einst kannt‘ ich andere Wonnen. –
Von sel’ger Liebe stammelte sein Mund
Die heissen Lippen suchten seine Küsse …
Jetzt fühl ich mich zum Tode wund …

Du meine stille Hütte,
Dich seh‘ im Geist ich wieder
Weiss schimmernd, traulich; zart
Umblüht von blauem Flieder …
Ew’ge Friedensträume
Durchzogen still die Räume.
LESCAUT Manon unruhig betrachtend.
Nun wohl … ich will gesteh’n …
Des Grieux, (genau wie Geronte)
Ist eng befreundet mir
Er hört nicht auf zu quälen:

Des Grieux nachahmend.

»Ist Manon hier?
Ist sie geflohn? Mit wem?
Wohin? Nach Nord? Nach Süd?«
Stets täuscht‘ ich ihn!
Nunmehr ist er gefasster …
MANON überrascht.
Wie, er vergass mich?
LESCAUT.
Nein nein! Er hegt den Wahn dass er mit Golde
Fänd‘ einen Pfad, der hin zu dir ihn führt.

Geheimnissvoll.

Im Spiel will er sein Vermögen, fiebernd, mehren
Er denkt die Karte siegt, die er berührt! …
DUETT LESCAUT UND MANON.
Ich alter Spieler weiss (unter uns) so ziemlich:
Die allgemeine Casse wird in seine bald fliessen;
Von mir wohl unterrichtet
Wird er Alle noch rupfen …
Doch in der athemlosen Pein des Kampfes
In Qualen Tag und Nacht
Ruht dann erst sein Wahnsinn,
Wenn er Dein gedacht …
Bei jedem Spielschluss, wie im Traume
Fragt er nach Manon …
Seufzt, ringt die Hände
Schaut aus nach dir, fragt mich wo du seist …
Dann spielt er fort und er gewinnt am Ende.
MANON für sich, schmerzlich.
Kämpfst, leidest für mich,
Die verlassen dich hat so ehrlos!
Die so viel Schmerzen dir bereitet …
Kehr‘ wieder! Gieb die Vergangenheit zurück.
Selige Stunden, kehrt wieder,
Wo mich küsste sein Mund …
In seinen Armen
An seinem Odem
Trink ich für ewig mich gesund.
O sieh‘ wie ich schön bin
Ah – Geliebter, nimm auf’s neu mich hin!

Versinkt in Nachdenken; plötzlich fallen ihre Blicke auf den Spiegel; ihr Ausdruck wechselt; sie bewundert ihre eigne Schönheit; dann fragt sie leichthin Lescaut.

Ist’s wahr, dass dieser Anzug zum Bewundern mir steht?
LESCAUT sie anstaunend.
Wie angegossen!
MANON.
Und das Haar!
LESCAUT.
Ausgezeichnet!
MANON.
Die Büste?
LESCAUT.
Prächtig.

Einige gepuderte Musikanten treten ein und verbeugen sich vor Manon. Dann gruppiren sie sich mit ihren Notenblättern auf eine Seite..

LESCAUT leise zu Manon.
Welch sonderbares Volk!
Wie es scheint, Charlatane?
MANON gelangweilt.
Nein, Künstler! Denn Geronte macht gern Madrigale.

Setzt sich gelangweilt auf’s Sofa.

Madrigal.

EINE STIMME.
Auf des Berges Höhen wandelst du, o Chloë
Blumen sind deine Lippen
Deine Augen Brunnen.
CHOR.
O weh! O weh!
Zu Füssen liegt Philen.
DIE STIMME.
Golden weht dein Haar im Winde
Wie ein Wunder anzuschaun …
Es gleicht die entblösste Brust,
Lilien, frisch vom Morgenthauen.

Chloë, Du bist Manon,
Und in Philen wandelt sich Geronte.

Philen bläst die Schalmei
Und seine Melodei
Flehet sanft! Habe Mitleid!
Das Echo flüstert: »Mitleid!«
Klag‘ nur, Philen: »Chloë habe kein Herz.«
Doch, gerecht sei, Philen …
Horch! können Chloës Lieder zärtlicher sein?
Sie werden fürwahr flüstern »Nein.«
MANON gelangweilt, giebt eine Börse an Lescaut.
Zahl‘ ihren Lohn!
LESCAUT steckt die Börse ein.
Nicht doch! Die Kunst beleidigen?

Mit Würde zu den Musikern.

Seid mir entlassen im Namen wahren Ruhmes! –

Die Musiker verbeugen sich und gehen durch die Mitte ab. Durch die andere Thüre sieht man einige Freunde des Geronte, ältere Herrn, Geistliche, alle mit eleganten Manieren. Geronte empfängt sie.

Menuett.

MANON zeigt dem Lescaut einige der Gäste.
Ja, Madrigale! Tanzkunst!
Und dann – Musik! Nichts fehlt …

Die Quartettspieler treten ein, und stimmen links im Hintergrund wo sie sich versammeln.

S‘ sind Alles schöne Sachen …

Gähnend.

Doch, mich langweilt’s …!

Manon erhebt sich und geht nach hinten, Geronte entgegen, welcher, plaudernd mit dem Balletmeister und Manon, nach vorn kommt um die Menuett für die Lection zu stellen.

LESCAUT für sich.
Ein junges Weib, das so blasirt ist
Könnt‘ fast man ernstlich fürchten …

Mit Entschlossenheit.

Schnell jetzt zu Des Grieux!
Der Freund muss meinem Plan sich fügen …

Geht unbemerkt ab.

Ein Diener führt die Gäste Gerontes ein, theils ältere zierlich geputzte Herrn, die feierlich ceremoniös mit tiefen Verbeugungen sich Manon nähern; einige küssen ihr die Hand, andere bringen ihr Blumen etc. Geronte, strahlend, steht dicht bei Manon. Ein würdiger Marchese überreicht Manon einen Schmuck. Auch mehrere elegante Abbé’s treten – Manon huldigend und ihr die Hand küssend – ein, alle voll Galanterie.

DER TANZMEISTER nähert sich Manon und reicht ihr die Hand.
Ich bitte gnädiges Fräulein,

Manon beginnt die Menuett.

Geronte lädt die Freunde zum Sitzen ein.

Die Brust mehr erhoben …
Recht so, sehr gut; nun darf ich Euch loben.
Mit Eurem ganzen Selbstbewusstsein
Schreitet vorwärts … Setzet ein!
Inständig bitt‘ ich: im Takt bleibt! …
GERONTE begeistert.
Anbetenswürdige Tänzerin!
MANON mit falscher Bescheidenheit.
Noch etwas linkisch …
DER TANZMEISTER.
Ich warn‘ Euch: hört solch Schmeicheln
Nur mit Ungunst;
Ein sehr ernstes Ding ist die Tanzkunst! …
HERREN UND ABBÉ’S zu Geronte.
Lernt weise schweigen, Freund
Macht genau es darin wie wir, –
In der Stille nur huldigt;
Seid von Manon entzückt Ihr.
CHOR.
Ernst ist die Tanzkunst …
TANZMEISTER.
Jetzt dreht Euch – Gut so –
Zur Rechten – Nun Verbeugt Euch.
Gebt Achtung … Die Lorgnette …

Manon lorgnettirt tanzend ihre Bewunderer.

GERONTE.
Wie sie tanzt – hochvollkommen!
HERREN UND ABBÉ’S Manon verliebt anstarrend.
Welche Gluth in ihren Blicken
Welch Verheissen, welche Schönheit!
Wie die Sterne glänzend strahlen
Leuchten ihre Augen
MANON mit Koketterie ihre Bewunderer herausfordernd, den Tanz unterbrechend.
Goldenes Lob rauscht durch die Lüfte,
Rings um mich hör ich sie flüstern …
Alle spenden Lobeshymnen
Sind nach meiner Schönheit lüstern.
Ah! ……….
HERREN UND ABBÉ’S.
Ach, den Honig süsser Küsse
Möcht‘ ich von den Lippen saugen.

Manon ist des Lichtes Gottheit
Die Königin der Nächte …
GERONTE.
Welche Schönheit!
Worte können sie nicht schildern,
Ah, sie gleicht den Götterbildern!
Glühend ist mein Herz entzündet,
Das, ihr ferne, Ruh‘ nicht findet …

Der Tanzmeister macht Zeichen der Ungeduld.

MANON.
Mein guter Meister liebt nicht viele Worte!
Wenn Ihr so schmeichelt, dann werd‘ ich nie,
Die vollkommene Göttin, die Ihr in mir seht,
Vermöge Eurer glühenden Phantasie.
Darum – Maass im Lob werthe Herrn! …
DER TANZMEISTER mit Ungeduld.
Jetzt fehlt ein Herr …
GERONTE eilt herbei.
Schon da …

Figur des Begrüssens.

DIE HERREN UND ABBÉ’S Chor.
Trefflich – Welch ein Paar ist’s!
Lang soll der Frohsinn den Verliebten blühen.
Seht – Gott Merkur und Venus!
O, dass das Glück Euch in Reichthum und Liebe
Ewig verbunden bliebe!
MANON recitirend.

Mit der grössten Koketterie zu Geronte sich wendend.

Höre die Stunde, Tyrso, locken
Die leis‘ verschwiegen, beut uns Wonne:
Deine treue Schäferin
Seufzet stets zu dir nur hin
Am Himmel stirbt die Sonne.
Plötzlich nahst du, dem Blitze gleichend.
Machest hell was bang und trübe!
Heiter lachet nun die Welt
Die uns eng umfangen hält
Und dies Wunder – that die Liebe!
DIE HERREN UND ABBÉ’S Manon umringend.
Ach, ein Wunder seid Ihr selbst
Ihr seid selber ja die Liebe …
MANON.
Eure Lobeshymnen schmeicheln …
Ihr beschämt mich.
GERONTE.
Ach mir schwinden alle Sinne
Ich vergehe …
MANON.
Euer Beifall ist erfreulich …
GERONTE sich einmischend.
Die Galanterie in Ehren – doch
Ihr Herrn es ward spät schon …
Die Menge wogt bereits vor die Thore …
DIE HERREN.
Die Zeit verflog uns!
GERONTE zum Chore, mit Beziehung.
Ich weiss das aus Erfahrung.

Zu Manon.

Meines Lebens holder Lichtstrahl!
Mit uns zu geh’n war Euer Versprechen;
Wir gehn indessen schon voran.
MANON.
Nur eines Augenblicks bedarf ich!
Das Warten auf mich sei Euch leicht
In der reich geschmückten Welt …
DIE HERREN mit Galanterie.
Schwer ist’s Euch zu entbehren.
GERONTE.
Stellt unsrer Seele Harren
Nicht zu lange auf die Probe!

Alle gehen. Man verbeugt sich, die Herren küssen Manon die Hände. Auch der Tanzmeister und die Musiker gehen.

GERONTE indem auch er Manon die Hand küsst.
Gleich send ich her die Sänfte
Mein Ideal zu bergen …

Geht ab.

MANON täuft zum Tisch, nimmt einen Handspiegel, und betrachtet sich selbstgefällig.
Ah, – ich bin doch die Schönste …

Sie nimmt die Mantille; als sie jemand nahen hört, denkt sie es sei ein Diener.

Ist die Sänfte gekommen?

Des Grieux erscheint in der Thür ganz blass. Manon stürzt ihm tief erregt entgegen.

Du, Du! Geliebter!
Ach meine höchste Liebe! Götter!
DES GRIEUX vorwurfsvoll.
Manon – ach!
MANON schuldbewusst.
Nein, du liebst mich nimmermehr!
Und liebtest einst mich doch so sehr!
Wie musst’ich missen
Dein heisses Küssen! …
Und eine Zeit nahte dann
Da fürchtet‘ ich deine Rache.
O sieh‘ mich nicht so finster an
Nie hat das dein schöner Augenstern
In früheren Zeiten gethan.
DES GRIEUX heftig.
Ja du Verworfne,
Fürchte meine Rache!
MANON.
Ach ich bin schuldig – ich weiss es!
Und ach, ich büsse –
Du liebst mich nimmer!
Nun schwand mir
Der Hoffnung Schimmer!
Wie liebtest du einst mich!
Nun ist’s vorbei
Trotz tiefer Reu! …
DES GRIEUX bitter.
Schweig‘ Verräth’rin
Du brachst mein Herz
Als du mich verlassen!
Nimmer weisst du, am Tag wo du flohst.
Welche Leiden sanken auf mich herab.
MANON.
Doch, jetzt sollst du verzeih’n
Sieh‘ rings meinen Reichthum.
DES GRIEUX.
Schweige!
MANON.
Gleicht dies Haus nicht dem Feenschloss,
Mit Gold geschmücht, ächt königlich?
Und Alles für dich!
DES GRIEUX.
Geh – lass mich!
MANON.
Stets hab‘ ich geträumt
Von einer lichten Zukunft,
Dass Liebe dich zurückführt! …
Ich verrieth dich einst

Niederknieend.

Jetzt zu Füssen dir,
Fleh‘ ich Mitleid …
Ach nimm die Verrätherin
Neu in Liebe hin …
O, lass um Verzeihung mich fleh’n.
Verweigr‘ es nicht!
Bin ich denn weniger Manon heut‘
Als damals? schwand meine Schönheit?
DES GRIEUX.
O du Versucherin!
Der alte Zauber blendet mich
Ich erliege! …
MANON Des Grieux’s Hand erfassend.
Der Zauber ist’s der Liebe
Folg‘ ihm – sei wieder mein.
DES GRIEUX.
Wer vermöcht‘ noch zu kämpfen –
Ja – ich bin Dein!
MANON hingerissen, erhebt sich, Des Grieux nimmt sie in seine Arme.
Nimm an dein Herz mich
O komme, komm
Mit deinem Arm umschling‘ Manon
Sie liebt dich!
Presse an’s Herz, die ganz allein
Nach dir sich gesehnt
Komm, o sei mein!
DES GRIEUX.
Im Kampfe besiegt …
O, du Versucherin!
Mein Herz unterliegt
Ich fühl‘ wie schwach ich bin!
Ich liebe dich …
MANON.
O komm! O komm!
Nach dir nur sehnt sich Manon.
Nach Dir allein!
DES GRIEUX.
Welch Glück im Kampf der Liebe
Besiegt zu sein!
MANON in höchster Leidenschaft.
Komm, fest umschling dein Arm mich,
Manon fleht heiss, erbarm‘ dich!
DES GRIEUX.
In deiner Augen Tiefe
Les‘ ich mein künftig Geschick
Was auch die Erde beut:
Dein Kuss nur giebt das Glück!
MANON.
Ah, Manon ersehnt nur dich allein
Schnell, lass an Deinem Busen
Innig mich ruh’n und selig sein.

Trunkene Küsse drück auf meinen Mund,
Mache in Wonnen mich wieder gesund.
O kehre mir zurück
Du allein bist all mein Glück.
DES GRIEUX.
Wie deine Küsse unermesslich sind
Sei deine Liebe ewig mein, o Kind!
Mein Herz ist neu berauscht …
MANON.
Sind meine Lippen ein Altar
So bringe, Liebster, nun Opfer dar!
DES GRIEUX.
In deiner Arme Seligkeit
Vergess‘ ich meines Lebens Leid …

Manon überlässt sich den Armen Des Grieux‘, der sie sanft auf ein Sofa niedersetzt.

MANON.
Wonnegetränkte Lippen!
DES GRIEUX.
Stürb‘ ich so, Dir zu Füssen!
MANON.
Welch ein liebliches Leiden …
GRIEUX.
Sich ewig heiss zu küssen.
GERONTE wird plötzlich in der Thüre des Hintergrundes sichtbar, starr vor Staunen.

Manon schreit auf, Des Grieux los lassend.

Ironisch.

Wahrlich – mein holder Engel
Das war’s – warum so lange wir gewartet?
Ich kam zur Unzeit …
Ein ungewollter Zufall!
Doch – wer irrt nicht hienieden?

Zu Des Grieux.

Ihr auch vergasst – glaub‘ ich –
Dass, zum Beispiel, Ihr weilt
In einem fremden Hause.
DES GRIEUX sich wiederfindend.
Herr – hört mich!
MANON.
Schweig nur!
GERONTE zu Des Grieux.
Dank den Göttern
Dass hente gerade ein Festtag.

Zu Manon.

Euch zog ich in’s Haus hier
Weil ich Euch wahrhaft liebte
Wovon ich zahllos Proben Euch gegeben.

Manon sieht Geronte boshaft an, geht zum Tisch von dem sie einen Handspiegel nimmt den sie ihm später vor das Gesicht hält.

MANON das Lachen verbeissend.
Ach, Liebe? Wass wisst Ihr
Von ihr mein Guter?

Den Spiegel vorhaltend.

Hieher: Betrachtet Euch!
Stets wenn ich irrte, sag‘ ich’s treu!
Und nun, seht auf uns Beide!
GERONTE verblüfft.
Ich bin verbunden Euch, liebliches Fräulein
Und kenne meine Pflichten:
Jetzt hier zu scheiden gilt’s!

Ironisch zu Des Grieux.

O Ihr glücklicher Erbe!

Geziert zu Manon.

O, leicht beschwingte Schönheit!

Drohend.

Wir sehen uns wieder – und bald schon!

Ab.

MANON lachend.
Frei bin ich! frei wie der Vogel dort oben.

Hinter Des Grieux herrufend.

Habt Dank mein Herr – ich muss Euch loben!

Lachend.

Ach, dass so es bliebe

Zu Des Grieux gehend.

Dich fand ich wieder
Du meine Liebe! …
DES GRIEUX trübe, befangen.
Hör‘ nun! Wir müssen eilen:
Nur einen Augenblick
Gewähr‘ uns des tief verwünschten Alten
Dach noch Schutz – Dann fort von hier!
MANON fast unwillkürlich.
Wie schade – All die herrlichen Schätze
Und der üppige Reichthum!

Seufzend.

O weh, bleibt hier zurück …
DES GRIEUX mit grosser Erregung.
Manon! schändlich!
Dich verräth dieses schlimme Bedauern!
Immer dieselbe, leichthin in Allem
Vor dem Vorbestimmten schaudernd,
Maasslos heiss im Wünschen …
Gütig, voll Grossmuth
Wie deine Liebe bist Du, ohne Schranken,
Stets voll von neuen Begierden
Wirr in deinen Gedanken.
Plötzlich auf einmal
Niedergeschlagen,
Versengt – ach, von den Strahlen des Lebens!
Ich? Dein Sclave bin ich,
Und dein Opfer! tief gesunken.
Abwärts ging meine Laufbahn
Hab‘ aus dem Schlamm des Daseins getrunken
Hab‘ mich als Held verkauft
An ein wüstes Spielhaus
Meine Schande bringt, Aermste, mich dir nah …

Tief niedergeschlagen.

In dem Dunkel der Zukunft
Was wird noch werden aus mir?

Er setzt sich, den Kopf zwischen die Hände pressend.

MANON zärtlich zu Des Grieux.
Sinn‘ andere Bilder – noch einmal wird es besser
Mir, ach, verzeihe, will treu und gut dir bleiben
Ich schwör‘ es – ich schwör es …

Lescaut tritt rasch, schwer athmend ein. Manon und Des Grieux erstaunt, gehen ihm entgegen.

DES GRIEUX.
Lescaut!
MANON.
Bist du’s?

Lescaut wirft sich keuchend, nach Athem ringend, in einen Sessel.

DES GRIEUX UND MANON.
Was giebt es denn? Sprich!

Lescaut deutet mit Händen und Mienen an, dass etwas Schreckliches vorgefallen sei.

MANON UND DES GRIEUX erbleichend.
O Gott, wir zittern
Was ist gescheh’n?
LESCAUT beklommen.
Erst … lasst … mich … athmen –
Dann spreche ich.
MANON UND DES GRIEUX.
Du machst uns beben
Was ist geschehen? Sprich!
LESCAUT.
Man zeigte Euch an!
MANON UND DES GRIEUX.
Wer? Der Alte?
LESCAUT.
Ja!
MANON.
O weh – der Schlag – Mein Gott –
LESCAUT.
Die Wache naht mit Militär …
Den Kopf heisst’s nun bewahren;
Die Treppe schnell hinab – auf eilt!..
Von einem Grenadier im Quartier
Habe ich Alles erfahren …
Auf die Treppe, hurtig!
Macht den Beinen Flügel.
Rings sind die Häscher nah
Ein Pfiff – und sie sind da …
DES GRIEUX wüthend.
Schlau verrathen hat uns der verfluchte Alte.
MANON.
Was wird aus mir!

Immer unruhiger.

Auf, auf – davon!
LESCAUT.
Auf und davon!
MANON.
Ich komme schon!
DES GRIEUX.
Nichts übereilt!
LESCAUT.
Ach Ihr vergesst: Ihr müsst sie verlieren
Wisst, Herr dass man sie fort will führen.
Hart steht ihr Loos auf dem Spiel,
Das Exil!!
MANON entsetzt.
O Gott, der Tod wär’s, mein Tod …

Lescaut fährt fort zu drängen während Des Grieux im Zorn flucht und Manon rathlos auf der Scene hin und her rennt.

LESCAUT.
Hurtig beeilt Euch
Zögert nicht länger
Wenig Minuten
Und Ihr seid verloren!
MANON.
Ja doch – ich eile!

Zu Lescaut.

Nur ein Weilchen!

Nimmt einen kostbaren Schmuck von der Toilette.

Sieh diesen blitzenden Smaragd hier!
DES GRIEUX für sich.
Nimm Dich in Acht, alter Narr!

Zu Manon.

Auf – lass uns gehn …
MANON zu Des Grieux.
Sogleich!
LESCAUT.
Schon von dem Stadthaus
Nahen sie …
Auf! beeilt Euch
Eh‘ die Wache Euch erwischt.
DES GRIEUX.
Schnell – jetzt fort! Geschwind!
MANON.
Nun ja doch!
DES GRIEUX.
Wohlan.
LESCAUT.
Sicher, vor Aerger wird
Der feige Alte sterben,
Kommt man und findet das Nest
Verlassen, und sucht
Die neue Adresse!
Jetzt fort!
Schnell Manon, auf den Weg!
Rasch fort – es drängt.
MANON.
Ganz schnell, doch mir beistehn musst du.
DES GRIEUX.
In was?
MANON fortfahrend Pretiosen zu nehmen.
Wickle dies ein …
DES GRIEUX.
Nun aber komm!
LESCAUT.
Schade fürwahr!
Die prächtige Truhe!
Jetzt durch den Garten
Lasst uns entweichen.
In seinem Schatten
Vorsichtig schleichen.
Aus ist das Bangen!
Sind wir erst unten –
Wer will uns fangen?
MANON.
Leere noch schnell
Die reichen Casetten!
Ach, diesen Reichthum
Den so ich liebte!
Muss ich nun lassen
Als schmerzlich Betrübte!
DES GRIEUX.
Eile thut Noth –
Manon, komm fort!
Folg dem Gebot!
Jetzt gilt es, Liebe,
Tapfer zu scheiden!
Zögern wir noch,
Fängt man uns doch.
Schande droht Dir und Leiden!

Lescaut läuft zum Fenster um zu lauschen.

MANON nimmt Schmuckgegenstände und versteckt sie in die Mantille.
Es wäre Thorheit zu lassen
Dieses Gold, dem ich, ach so hold!
Ich kann es noch fassen.
DES GRIEUX.
Nur dein Herz, o Manon,
Rette ohne Reu …
Ich mag dein glänzend Gold nicht
Denk nur an Lieb und Treu!

Geschrei von hinten.

LESCAUT.
Verfluchter Streich!
Sehet nur, seht,
Sie umzingeln das Haus schon.
MANON aufschreiend.
Ah – Des Grieux!

Entsetzet.

Hieher? Nach dort?
Zur Flucht! Zur Flucht!
DES GRIEUX.
O Gott!
Hinweg – zur Flucht!
Nein, nein komm fort!
Schneller – schneller.
Entflieht
LESCAUT.
Der Alte lärmet
Und feuert sie an
Sie marschieren dort.
Die Schützen vertheilen sich.
Jetzt sind sie drin.
Auf der Treppe, hört!
Vorwärts, sie steigen
Herauf schon!
Sie fangen Euch!
Entflieht, entflieht!
Schnell.

Läuft zur Thüre.

MANON.
Nur rasch, heraus,
O Gott!
DES GRIEUX.
Sprich, ist hier nicht ein Ausgang?
MANON hinzeigend.
Ja dort, durch den Erker!

Schreie von Innen.

Ah – ah!

Manon und Des Grieux, auf dem Höhepunkt der Verwirrung sind rathlos wohin sie fliehen sollen.

Lescaut schliesst die Thür mit deren Schlüssel ab. – Er drängt Manon und Des Grieux in das Erkerzimmer und folgt ihnen auf dem Fusse. – Manon kommt sofort wieder vom Erkerzimmer heraus, – mit Lescaut und Des Grieux fliehend über die Seene laufend. Aus dem Vorhange des Erkerzimmers tritt ein Sergeant mit zwei Soldaten. Im selben Moment wird die hintere Thüre eingeschlagen und in all seiner Aufgeblasenheit zeigt sich Geronte mit mehreren Soldaten.

SERGEANT.
Es rühr‘ sich Keiner!

Geronte lächelt Manon boshaft zu, welche im Schreck die Mantille mit dem Gold fallen lässt, das am Boden umherrollt.

GERONTE.
Ah, ah, ah!

Des Grieux zieht den Degen um Manon beizusteh’n. Aber Lescaut entwaffnet ihn und hält ihn zurück von Geronte auf den er eben stürzen wollte.

LESCAUT zu Des Grieux.
Herr wenn man Euch arretirt
Wer errettet dann Manon? …

Auf ein Zeichen Gerontes verhaftet der Sergeant Manon, die von zwei Soldaten abgeführt wird.

DES GRIEUX verzweifelt, möchte Manon nachstürzen, wird aber von Lescaut zurückgehalten.
Manon, ach!
O meine Manon! …

Der Vorhang fällt sehr schnell.

Ende des II. Aktes.

Orchester-Intermezzo.

Malt Des Grieux‘ Stimmung.

Die Gefangenschaft. Die Reise nach Havre.

…..»Hier weilt die Geliebte. Meine Leidenschaft ist so stark, dass ich mich als das unglücklichste Geschöpf der Erde fühle. Was habe ich nicht versucht in Paris, um Manon’s Befreiung zu erlangen! Gefleht habe ich die Machthaber, an allen Thüren angeklopft und gebeten. Selbst zur Gewalt griff ich. Alles umsonst. Sie retten konnte ich nicht, so blieb mir nur ein Weg – ihr zu folgen. Und ich folge ihr – wohin sie auch geht, ich folge ihr; Und wäre es das Ende der Welt … ich folge ihr …..«
Aus Manon Lescaut von Abbé Prévost.

Dritter Akt.

In Havre.

Platz am Hafen.

Im Hintergrund der Ausblick auf das Meer und die Schiffe. Links die Ecke einer Caserne. Im Parterre ein Fenster, das mit dicken Eisenstäben vergittert ist. Das Thor welches auf den Platz geht, ist geschlossen. Eine Wache patrouillirt davor. Im Hafen hinten sieht man die Hälfte eines Kriegsschiffes. Rechts ein Haus und ein Stück Trottoir. In der Ecke ein matt erhellter Leuchtthurm. Es ist die letzte Stunde der Nacht. Der Morgen beginnt zu dämmern.

Des Grieux und Lescaut.

Beide von verschiedenen Seiten an der Caserne.

DES GRIEUX.
Stets diese grausame Angst …
LESCAUT.
Nur noch etwas Geduld …

Auf die patrouillirende Schildwache weisend.

Die Wache dort wird bald der Schütze haben
Der mit im Spiel ist … also nur Geduld!
DES GRIEUX.
Mich foltert dieses Warten!

Auf das vergitterte Fenster zeigend.

Dort weilet meine Seele
Mein ganzes Leben …
LESCAUT.
Schon weiss es Manon
Sie wartet auf mein Zeichen
Und blickt forschend her.
Inzwischen wag‘ ich mit
Den Freunden meinen Schlag …
Zur lichten Freiheit führe ich Manon.
DES GRIEUX in tiefer Bewegung.
Es ist mein Schicksal dass ich schleppe,
Mich Tag und Nacht auf meinem düstern Pfad …
Breit‘ ich die Arme sehnend aus nach Glück
Ist’s ein Phantom -:
Mich schaudert wenn es naht!
Paris und Havre … welche Schreckensstunden!
Nur Qualen hab‘ im Leben ich empfunden! …
LESCAUT nähert sich Des Grieux und zeigt auf die Scene. Aus der Caserne tritt ein Piquet, geführt von einem Sergeanten, zur Ablösung der Wache..
Jetzt hab‘ Acht!
DES GRIEUX.
Ich seh‘! …
LESCAUT Die Soldaten aufmerksam betrachtend.
Das ist mein Mann wohl?

Einen bezeichnend.

Er ist es …

Das Piquet mit dem Sergeanten tritt in die Caserne zurück.

LESCAUT hastig zu Des Grieux.
In tiefem Schlaf liegt Havre …
Die Zeit ist günstig!

Er nähert sich der Caserne wechselt schnell ein Zeichen mit der Patreuille, die sich langsam entfernt, und klopft dann vorsichtig an das Eisengitter. Des Grieux sicht zitternd, ohne sich zu rühren, zu. Die Scheiben des Fenster öffnen sich leise. Manon erscheint. Des Grieux stürzt zu ihr hin.

DES GRIEUX mit unterdrückter Stimme.
Manon!
MANON in höchster Hingebung.
Des Grieux!

Sie streckt die Hände durch das Eisengitter, welche Des Grieux mit Anbruast küsst.

LESCAUT für sich.
Zum Teufel mit Amerika –
Manon reist nun nicht hin!
Mbanon mit voller Leidenschaft.
Du liebst mich – du liebst mich …
Du hältst zu mir trotz aller Schande …
DES GRIEUX.
Ich dich verlassen, o süsses Leben? niemals.
MANON.
Unfassbar ist Dein Lieben!
DES GRIEUX.
Wenn ich dir folgte auf dem Schreckenswege
That ich’s weil fest
Im Herzen wurzelte der Glaube.
MANON sanft hingehaucht.
Die Liebe! …
DES GRIEUX liebkost Manon.
In Kurzem bist du mein.
MANON traurig.
O Gott – die Deine! …

Wie im Verzückung.

In Kurzem … Dein! –
DES GRIEUX erschrocken, unterbrechend.
Schweige – schweige!
DER LEUCHTTURMWÄRTER kommt von rechts hinten, überschreitet singend die Scene und löscht das Licht im Leuchtturm.
»Zur Antwort gab Käthe dem König:
‚Man soll nicht scherzen
Mit Mädchenherzen.
Nur für die Eh‘ schuf mich so reizend der Herr.‘
Lachend schenkt der König ihr Schmuck und Gold,
Und einen Mann der treu sie lieben sollt‘ …!«

Er entfernt sich nach rechts über das Trottoir.

DES GRIEUX der Morgen graut.
Es dämmert … Nun Manon hör‘!
Am Thor des Hofes harre streng zur Zeit …
Dort findest du Lescaut mit Andern, fluchtbereit …
Gelingt’s – bist du gerettet …
DER LEUCHTTURMWÄRTER hinter der Scene.
»Zur Antwort gab Käthe dem König etc …«
MANON.
Zitternd erbeb‘ ich für dich!
Und ahne doch kaum, um was?
Ah … vor meinem Geist erhebt sich ein Bild
Ich sehe dich blutend und sterbensblass …

Vom Hintergrund naht eine Ronde, passirt den Platz von links nach rechts und verschwindet auf dem Trottoir nach hinten.

DES GRIEUX flehend und mit tiefer Empfindung.
Manon, sieh‘ verzweifelt mich flehn,
Die Angst schnürt mir die Kehle, ich bebe! –
Willst du meinen Tod? –
Ich beschwör‘ dich Manon – entflieh‘.

Zeigt über das Trottoir herüber.

Mach‘ ein Ende der Noth …
Komm‘ ich beschwöre dich –
Lass‘ uns entflieh’n von hier! …
MANON.
Es sei denn! erwarte mich, Liebster,
Mit Leib und Seele gehör ich dir!

Des Grieux fasst die Hände Manon’s und gefasster winkt er ihr im Abgehen stets grüssend. Manon wirft ihm Kusshände zu. Sie tritt vom Fenster zurück. Ein Schuss von rechts. Des Grieux stürzt über die Bühne und läuft zum Trottoir.

STIMMEN hinter der Scene.
Zu den Waffen.
Zu den Waffen!
LESCAUT kommt von dem Trottoir fliehend mit blossem Degen.
Verloren ist das Spiel …
Retten wir Freund, unser Leben!
DES GRIEUX.
Was giebt’s? Wie kam das?
LESCAUT.
Hört – hört, dort ihr Alarmgeschrei!
Der Streich mislang uns, es ist vorbei …
STIMMEN VON AUSSEM.
Zu den Waffen!
DES GRIEUX unruhig.
Komm‘ o Tod nun!
Entfliehn ohne sie? – nein niemals!

Zieht den Degen.

LESCAUT verächtlich.
Ihr seid ein Narr!
MANON erscheint jetzt wieder am Gitterfenster, bewegt, mit tiefstem Gefühl für Des Grieux.
Im Namen Gottes entfliehe
O Liebster – entfliehe!
DES GRIEUX verlässt das Fenster und verschwindet mit Lescaut.
Manon!
LESCAUT zieht Des Grieux kopfschüttelnd und mürrisch fort.
Ein schlecht‘ Geschäft! –

Von dem Schuss und dem Allarmrufen angezogen läuft von allen Seilen Volk herbei. Bürger, Frauen, Seeleute etc, die erregt einander fragen was es giebt. Die Verwirrung ist allgemein.

STIMMEN VON AUSSEN treten in die Scene.
Ah!
Was war’s?
Welch Lärmen hier?
Was gab es da?
Was geschah?
Entführung und Aufstand?
Entfloh’n ist ein Mädchen!
Gab es Revolution!
So hört doch! Was gab’s?
Wer ist gefloh’n.
DAS VOLK.

Bässe

Die dunkle Nacht hat die Räuber beschützt.
In der Finsterniss entschlüpft‘ ein Mädchen.
Ward sie entführt, die Dirne?

Tenöre

Im Finstern kam sie schon weit
Beschützt von der Dunkelheit.
Man lärmt als gäb es Meuterei!

Sopr.

Mehr als Eine war’s …
Es waren Viele dabei …

Trommelwirbel. Das Thor der Caserne öffnet sich, der Sergeant und ein Piquet Soldaten treten heraus, Gefangene escortirend unter denen einige Frauen in Ketten. Der Zug hält hart vor dem Thore. Der Sergeant allein tritt vor und fordert dass man Platz mache.

SERGEANT.
Den Durchgang gebt frei jetzt!

Vom Kriegsschiff steigt der Commandant. Ihm folgt ein Zug Marinesoldaten, die sich rechts aufstellen. Auf dem Schiff machen die Seeleute Front.

DER COMMANDANT zum Serganten.
Das Schiff ist klar zur Abfahrt.
Beeilt die Befehle! …
BÜRGER UND VOLK im Zurückweichen.
Seid stille! Entfernt Euch!
Der düstre Appell fängt an!

Mit einem Blatte in der Hand beginnt der Sergeant die Gefangenen einzeln aufzurufen. Die Genannten, die er auf dem Blatt durchstreicht, überschreiten von links nach rechts, zu dem Piquet Seesoldaten sich begebend, einzeln die Bühne mit verschiedenem Ausdruck auf den Gesichtern.

SERGEANT.
»Rosetta!«

Sie schreitet dreist herausfordernd über die Bühne auf ihren Platz.

JUENGERE MÄNNER.
Ei, welch‘ Antliz!
ANDERE.
Die kennt die Liebe;

Gehässig.

Ah – hieher gehört sie!
SERGEANT.
»Madelon!«

Geht gleichgültig vorbei, lachend.

EINIGE BÜRGERFRAUEN empört.
Welch‘ albernes Lachen!
SERGEANT.
»Manon!«

Langsam vorüber schreitend mit gesenktem Blick.

EINIGE ALTE.
Und die? Eine Gefall’ne!
FRAUEN.
Die Aermste ist leidend.
JUNGE MÄNNER.
Wie blickt sie so schmerzvoll!
EINIGE BÜRGER vorn links placirt.
Sie ist, in Wahrheit, schön
Wer ist sie?
LESCAUT erscheint in der Menge, in einen Mantel gehüllt, lebhaft zu den Bürgern sprechend.
Die hier? Ein Geheimniss!
BÜRGER.
Im Ernst; – Eine Schönheit!

Zu Lescaut.

Verführt? Verrathen?
LESCAUT.
Entführt und entehrt
Hat dies liebliche Mädchen
Ein herzloser Bube …
BÜRGER.
Der Schurke!
ANDERE.
Die Schmach!
BÜRGER von Manon sprechend.
Sie weckt Mitleid.
LESCAUT zu den Bürgern.
Entführt bei der Hochzeit
Gequält durch erzwungene Küsse!
BÜRGER empört.
Das alte Lied!
LESCAUT.
Geopfert der Lust …
BÜRGER.
Schädlich ist das!
LESCAUT.
Einen alten Herrn!
BÜRGER.
Abscheu weckend!
LESCAUT.
Und dann kalt verstossen …
BÜRGER.
Mitleid mit ihr!
LESCAUT zeigt auf Des Grieux.
Seht hin, jener bleiche junge Mann
An ihrer Seite,
Das war einst ihr Bräutigam,
Der jetzt sie tief beklagt.
BÜRGER.
O Schmach!
SERGEANT.
»Ninetta!«

Sieht stolz auf die Menge.

BÜRGERINNEN UND WEIBER.
Wie furchtlos!
SERGEANT.
»Caton!«

Ruhig, imponirend.

JUNGE LEUTE UND FRAUEN.
Eine Göttin!
SERGEANT.
»Regina!«

Geputzt, coquett.

FRAUEN UND JUNGE MÄNNER, wiederholtes Lachen.
Hieher gerieth sie mit Recht!
Die Schöne möcht‘ ich haben …
SERGEANT.
»Claretta!«

Eine ganz muntere Blondine.

FRAUEN UND MÄNNER.
Ah, seht, – die Blonde!
SERGEANT.
»Violetta!«

Brünette, frech.

Des Grieux ist in der Menge ganz verborgen. Kaum schritt aber Manon vorüber, nähert er sich ihr vorsichtig. Manon erkennt ihn und unterdrückt einen Aufschrei der Angst. Verstohlen reichen Beide sich die Hände.

MANON leidenschaftlich erregt.
O Freund, wie weit bin bald ich von hier!
So will’s das grausame Schicksal.
Ich muss auf ewig jetzt dich verlassen.
Dich mein Alles! Leb‘ wohl denn!
DES GRIEUX mit tiefem Gefühl.
O sieh wie den Qualen
Schmerzvoll ich erliege
Die mir der schwere Abschied bereitet! …
Ein Abschied der mein Denken löst
In bittre Thränen …
SERGEANT.
»Nerina!«

Trägt noch reichen Kopfputz und Schönheitspflästerchen.

ANDERE lachen.
Welch lustige Gessellschaft!
Von Reizen keine Spur mehr!
Seht diese! – Mit zierlichen Pflastern!
SERGEANT.
»Elisa!«

Phlegmatisch.

ALLE.
Welch‘ tolle Versammlung!

Lachen.

SERGEANT.
»Ninon!«

Bedeckt verschämt das Gesicht mit den Händen.

»Giorgetta!«

Macht lächelnd dem Serganten Zeichen.

LESCAUT.
In Ketten und Banden
Mit Schande beladen
So fand die entführte Geliebte er wieder.
BÜRGER.
In Wahrheit, – sie weckt das tiefste Mitleid!
MANON.
Kehre zurück zum
Väterlichen Hause!
Wahre in Treue mein Angedenken!
Nie siehst du Manon mehr! …
Dass ich genug dich nimmer geliebt
Ist, was mir das Scheiden bitter trübt …
Doch du verzeihst was ich that!
Ein Abbild meiner Liebe
Ist dieser trostlose Abschied
Flehe deinen Vater an!

Seufzer erdrücken ihre Worte.

Leb wohl – meine – Liebe!

Verzweifelt schluchzend.

DES GRIEUX.
Ach meine Seele füllt
Ein Verlangen! Ungestillt bleibt’s:
Der glühende Hass ist’s
Von Gott und Menschen,
Der mich verzehrt! …
SERGEANT geht zu den Gefangenen.
Eilt Euch! Front bildet!

Sie stellen sich in Reih und Glied.

Marsch vorwärts …

Manon mit Des Grieux noch im Gespräch sehend, fasst er sie brutal am Arm und schlendert sie zu den Anderen.

Zu Manon.

Was willst du noch?
Ein Ende mach‘ ich der Scene …
DES GRIEUX kann sich nicht mehr halten; mit einem Ruck reisst er Manon aus den Händen des Sergeanten und schreit.
Lasst los sie!
SERGEANT zu Des Grieux.
Fort!
DIE BÜRGER von Lescaut aufgehetzt zu Des Grieux.
Fasse Muth!
DES GRIEUX wüthend, drohend.
Ah – wagt’s sie zu berühren! …

Zieht Manon schnell an sich, sie mit dem eigenen Leib deckend.

Zu Manon.

Schmieg fest an mich dich an …!
BÜRGER.
So recht! Bravo!

Sie laufen Des Grieux zu Hülfe und hindern den Serganten sich Manon’s zu bemächtigen.

DER COMMANDANT plötzlich inmitten der Menge erscheinend, die scheu zurückweicht.
Was giebt’s?
DES GRIEUX Mit dem Muth der Verzweiflung drohend.
Ah – kommt nimmer mir zu nahe …
So lang ich lebe – soll Niemand sie entreissen mir!
Weh‘ mir …
Ich bin toll wohl …!

Den Commandanten erblickend bricht er, von der Bewegung übermannt, in ein heftiges Schluchzen aus, während dessen die um Manon geschlungenen Arme sich lösen.

Zum Commandanten.

O seht, Herr, wie ich fleh‘ und weine!
Lasst die Thränen Euch rühren
Die die Verzweiflung erpresst!
Wollt mit ihr mich von dannen führen.

Mit zitternder Stimme.

Nehmt mich auf’s Schiff als Euren Diener,
Lasst mich ein Handwerk erlernen
Das alles macht mich glücklich, erbarmt Euch.
Nur wollet mich nicht von ihr entfernen!
Ich erbiet‘ mich mit Blut und Leben
Habt Mitleid, erbarmt Euch mein!
Erlöst die Angst meiner Seele …
Ewig werd‘ ich Euch dankbar sein!

Wirft sich vor dem Commandanten weinend in die Knie.

Während der Sergeant die Gefangenen zum Schiffe führt, drängt er Manon mit diesen weiter. Sie bedeckt, langsam Schritt für Schritt weiter geschoben, das Gesicht mit den Händen, und schluchzt bitterlich. Die Menge verhält sich, von den Soldaten im Zaum gehalten, still, voll Mitleid.

DER COMMANDANT tief bewegt, beugt sich herab zu Des Grieux, lächelt ihm gütig zu, und sagt dann mit dem barschen Wesen des Seemanns.

Kanonenschuss.

Ihr wollt bevölkern Amerika?
Junger Mensch … Ihr seid wohl unklug?

Des Grieux sieht mit schrecklicher Angst auf das Gesicht des Commandanten.

Doch sei’s! Wohlan – Ihr wollt’s.

Wie gesprochen, Des Grieux auf die Schulter klopfend.

Auf – Junge, doch beeilt Euch!

Des Grieux stösst einen Freudenschrei aus und küsst dem Commandanten die Hand. Manon wendet sich um, versteht was vorging – und auch auf ihrem Gesicht strahlt die höchste Wonne. Von der Höhe der Einsteigbrücke streckt sie die Arme nach Des Grieux aus, der zu ihr läuft. Lescaut steht abseits, schüttelt den Kopf, und geht ab.

Schnell fällt der Vorhang.

Ende des III. Aktes.

Vierter Akt.

In America.

Eine unermessliche Ebene an der fernsten Grenze von Neu Orléans. Der Boden ist gewellt und ganz öde und schrecklich unfruchtbar. Der Himmel grau bewölkt. Der Abend dämmert.

Manon und Des Grieux nähern sich langsam vom Hintergrund her, ärmlich gekleidet, von leidendem Aussehn. Manon ist bleich abgezehrt und stützt sich ermattet auf Des Grieux, der sie mühsam aufrecht hält.

DES GRIEUX im Gehen.
Stütze dich fest auf mich meine müde Geliebte.
Wir nähern uns dem Ende der staubbedeckten Strasse,
Die oftmals ich verwünschte …
MANON erschöpft, mit schwacher Stimme.
Nur vorwärts, nur immer weiter!
Schon sinkt vom Himmel nächt’ge Dämm‘ rung.
DES GRIEUX.
Auf mich stütz‘ fest dich …
MANON.
Fühlst du die kühle Luft der Eb’ne?

Mit noch schwächerer Stimme.

Der Tag ging sterben …
Doch vorwärts! Nur vorwärts! – Ah …

Sinkt um.

DES GRIEUX in grösster Angst.
Manon!
MANON völlig erschöpft.
Ich kann nicht mehr! O verzeih‘ mir! …
Stark bist du – ich beneide dich …

Gesprochen, in Erregung

Ein Weib nur bin ich … sinke und verzage!
DES GRIEUX forschend.
Du leidest?
MANON rasch.
Ganz unbeschreiblich!

Des Grieux, erschüttert von diesen Worten, zeigt in Blick und Geberden seinen Schmerz.

Manon bezwingt sich und fährt fort.

Langsam.

Nein was sagt‘ ich?
Das sind zage und thörichte Worte …
Sei ruhig – Geliebter.
Ein Moment nur der Ruhe! –
Ein kurzes Weilen
Gönn‘ mir Geliebter …
Drücke fest mich an dich – ganz fest …

Fällt in Ohnmacht.

DES GRIEUX höchst leidenschaflich.
O Manon – hör‘ mich – Geliebte …
O gieb mir Antwort – Mein Alles!

Sieh‘ ich bin’s, der hier knieend trauert,
Lass meine Klagen mischen sich mit Deinen;
Lass küssen mich dein schönes goldnes Haar
O Manon, sieh mich bitter weinen …
Du sprichst nicht Manon?
Du schweigst!

Verzweifelt.

Beim ew’gen Himmel.

Ihre Stirn anfassend.

Grausam tobt das Fieber …
Mich befällt Verzweiflung
Sehe sie hülflos ermatten … –
Mein Geist ahnt angstvoll
Die schwarzen Todesschatten.

Zu Manon.

O antworte mir – Geliebte.
. . . . . . . . . . . . . . . . .
Still bleibt’s …

Aufschreiend.

Manon, O Gott – kannst du nicht sprechen?

Manon kommt nach und nach zu sich; Des Grieux hebt sie von der Erde auf und setzt sie auf einen kleinen Hügel.

MANON.
Bist Du’s der klagt hier?
Von dir kommt das Stöhnen?
Ich höre deine Seufzer – Meine Stirn
Benetzen deine Thränen!
Heiss fühl ich sie brennen
Die um mich du geweint
Ach ich bin glücklich
Wir sind noch vereint …

Fiebernd.

Sei stark Geliebter!
Verlass‘ nicht Manon …

Flehend.

Der Durst quält mich, ich verschmachte
O gieb mir Wasser, o hilf mir.
DES GRIEUX mit höchster Leidenschaft.
Mein Herzblut gäb ich für dein Leben …

Das Grieux blickt sich nach Wasser um, läuft spähend zum Hintergrund. Enttäuscht kommt er zurück.

Zu Manon.

Verzweifelt!
Kein Wasser, – nirgends!
Nur dürre Fläche
Nicht ein Tropfen quillt wo!
Hartherz’ger Himmel!

O Gott für diese Kranke
Heb‘ ich flehend die Hände … –
Betend: ihren Leiden sende Lind’rung!
MANON.
Hör‘ einen Vorschlag, wie ich zu retten:
Sitzend bleib‘ ich zurück,
Du steigst höher empor
Erforschst die Ebne
Ob irgend Du,
In Bergen oder Hütten.
Findest Wasser!
Mit strahlender Miene
Bringst du Erquickung der kranken Geliebten.

Des Grieux macht es Manon auf dem Erdhügel nach Kräften bequem; er ist unentschlossen zu gehn; in ihm kämpfen verschiedene Gefühle. Er entfernt sich zögernd. Im Hintergrund angekommen bleibt er nochmals stehn und überlegt. Er blickt voller Verzweiflung auf Manon und stürzt dann, plötzlich entschlossen, davon. Der Himmel verfinstert sich. Die Müdigkeit übermannt Manon. Sie ist verwirrt, furchtsam, ohne Kräfte.

MANON.
Allein! – von Allen aufgegeben
In weiter, weiter Ferne …
Kein Mensch der mich hier hört …
Rings nicht die kleinste Spur von Leben …!
Ich eine einsame Frau!
In welche Wüste ward ich verschlagen
Grausame Leiden füllen meine Seele
Fruchtlos verhallen alle Klagen …
Ich will nicht sterben – nein!
Noch komme nicht der Tod!
Doch fänd‘ ich hier mein Ende
Ich, ach, die preisgegebne Frau, –
Dann ständ am Ziel ich aller Leiden
Man wollt‘ mich wieder von ihm trennen,
Der meines Lebens Stütze!
Wie schien mir friedlich
Die neue Erde
Ich hoffte endlich
Dass mir Ruhe werde.
Ach, meine Schönheit verfluch‘ ich
Die neu mein Leben verwirrte …
Man wollt‘ mich wieder von ihm trennen;
Und alles was ich jemals irrte
Taucht auf in meinen Träumen
Bedrohet grausam meines Herzens Frieden …

Leidenschaftlich die Scene durchschreitend und mit sich ringend ….

Mit Blut befleckt‘ sich Des Grieux.
Auf’s Neue mussten wir fliehen … –
Asyl des Friedens ist, ach, allein das Grab!

Langsam, klagend.

Nein, nein, – ich will nicht sterben –
Ich will nicht den Tod!

Ausser sich.

Ich will noch leben meiner Liebe
Bringe mir Hülfe o Freund!
Lass nicht verschmachten mich, bring Hülfe,
Nein, nein – nicht sterben, nicht sterben!
Bleib fern mir – o Tod!

Des Grieux tritt rasch auf – Manon stürzt in seine Arme.

MANON.
Schliess mich in deinen Arm
Noch einmal – Geliebter.

Zwingt sich zum Lächeln als hoffe sie noch.

Sag – bringst du günst’gen Bescheid für Manon?
DES GRIEUX mit tiefer Traurigkeit und muthlos.
Ach keine Quelle
Quoll bei der Hütte
Und nicht ein Tropfen
Fiel aus den Wolken.
Wie auch mein Auge spähend sich mühte!
MANON.
Nun dann sterbe ich! – schon fühl‘ ich Finsterniss
Sich senken auf die Augen …
DES GRIEUX.
Nur ein sengendes Fieber
Trübt die bangende Seele –
Schmieg‘ dich an mich, fasse Muth,
In’s Herz strömt schon zurück dein Blut..
MANON mit unendlicher Hingebung.
Ich lieb‘ dich und muss sterben
Schon stockt das Wort in meinem Munde.

Mit tiefer Ergriffenheit.

Und doch, so gern spräch‘ ich zum Abschied.
Von meiner Lieb‘ Dir, in dieser Stunde …
Dich liebt‘ ich unsäglich!
O Liebe, himmlischer Zauber,
Unaussprechliche Wonne,
Du mein höchstes Begehren

Mit Gluth.

Ja ich liebe – die Brust voll Schmerzen.
Und sterbe den hehren Zauber im Herzen.
DES GRIEUX betastet Manon’s Gesicht, für sich entsetzt.
Die Kälte des Todes!

Klagend.

Gott! nun schwand die letzte Hoffnung.
MANON zärtlich, mit schmerzlichem Ausdruck.
Du weinst! O mein Geliebter;
Nein, keine Thränen:
Da ist die Zeit zum Küssen
Das Leben flieht – o stille mein Sehnen …
DES GRIEUX.
Und ich, ach, lebe noch …
MANON.
Ein Fest sei die Stunde
Da von Himmelswonnen trunken
Wir, verachtend den Tod
Uns an das Herz gesunken!
DES GRIEUX.
Und ich, ach lebe noch … welche Schande!
MANON.
Wie liebt‘ ich dich so heiss
Und muss nun sterbend lassen meine Liebe …
Die Stunde flieht, o küsse mich …
Und sieh wie gern ich bei dir bliebe …
DES GRIEUX hingerissen.
O du mein geliebtes Leben
Entflamme mich zu ewigen Wonnen …
MANON fiebernd.
Die Flamme ach erlischt –
Es löschen Sterne und Sonnen …
Liebster, – o sprich doch –
DES GRIEUX.
Manon!
MANON.
Ich hör‘ kein Wort mehr …
Weh mir – hieher

Im höchsten Grade erregt.

Noch näher komm – Dein Antlitz will ich sehn.
So recht – so recht – o küsse mich!
Und lasse selig mich vergeh’n …
Bleib‘ mir ganz nahe – Ich kann dich fühlen …

Im Krampfe.

Weh mir!
DES GRIEUX verzweifelt.
Stirbst du, dann bin auch ich verloren
Manon, ich folge dir!
MANON gebieterisch mit letzten Kräften sich aufrichtend.
Ich will’s nicht! – Leb wohl denn
Nacht sinkt auf Manon … Mich friert …

Mit höchster Zartheit, lächelnd.

War deine Manon der Liebe werth?
Besinn‘ dich! Leugne es nicht …
An meine glänzende Jugend denk‘.

Beängstigt.

Ich seh … nicht mehr … das Licht …!
DES GRIEUX in grösster Angst.
O Himmel!
MANON Mit verlöschender Stimme.
Meine Schuld sühnt das irdische Gericht …

Fast tonlos, zuletzt gesprochen.

Doch ach, Manon’s Liebe … – die … stirbt … nicht …!

Der Tod tritt ein.

Des Grieux vom Schmerze übermannt, schluchzt, und sinkt auf die Leiche Manon’s nieder.

Der Vorhang fällt schnell.

Ende der Oper.