Niccolò Jommelli

Die Olympische Spiele

Ein Singspiel

Vorstellende

Clisthenes, König von Sicyon, Vater der Aristäa
Aristäa, seine Tochter, verliebt in Megacles
Argene, eine Cretensische von Adel, in Schäfer-Kleidung unter dem Namen Licoris, verliebt in Licidas
Megacles, verliebt in Aristäa, und ein Freund des Licidas
Licidas, vermeynter Sohn des Königs von Creta, verliebt in Aristäa und Freund des Megacles
Amyntas, Hofmeister des Licidas
Alcander, Vertrauter des Clisthenes

Beym Aufzug Erscheinende:

Priester
Vom Adel
Königliche Leibwache
Soldaten vom Gefolge des Clisthenes
Chor der Kämpfer
Chor der Schäfer und Schäferinnen
Pagen
Das Volk

Erste Abhandlung.

Erster Auftritt.

Der innere schattichte Theil eines tiefen und engen Thals, welches oben her von zusammen stossenden Zweigen hoher Bäume bedecket wird.

Licidas, und Amyntas.

LICIDAS. Amyntas, ich habe schon den Schluß gefasset, und verlange nun keinen Rath mehr.
AMYNTAS. Licidas, höret mich an. Mäßiget doch einmal euer gewaltsam- und ungedultiges Wesen.
LICIDAS. Auf wen kan ich aber noch einige Hofnung setzen, als auf mich selbsten? Megacles zu theuerst läßt mich in der äussersten Noth stecken. Sehet nun, wie man sich auf die Treue eines Freundes verlassen kan.
AMYNTAS. Ihr könnet ihme noch keine Schuld beymessen: es ist keine so kleine Reise von Creta nach Elis. Der Kampf nimmt ja erst nach Mittag seinen Anfang, und jetzo ist der Tag noch nicht angebrochen.
LICIDAS. Ihr wisset aber, daß ein jeder, der nach dem Olympischen Palmen trachtet, schon heute früh in dem Tempel sich einfinden, seinen Stand und Namen angeben, und aller in dem Kampf etwa gebrauchenden Hinterlist endlich entsagen muß.
AMYNTAS. Ich weiß es.
LICIDAS. Wisset Ihr auch, daß, wer nicht bey dieser feyerlichen Handlung zugegen ist, auch bey dem Kampf selbsten nicht zugelassen wird? Sehet Ihr nicht die Schaar der herbeyeilenden Kämpfer? Höret Ihr nicht schon das freudige Bezeigen der Schäfer? Auf was kan ich noch weiter warten und hoffen?
AMYNTAS. Worinnen bestehet denn nun eigentlich eure Absicht?
LICIDAS. Mich mit denen Uebrigen vor den Altar hinzustellen.
AMYNTAS. Und hernach?
LICIDAS. Mit ihnen zur bestimmten Zeit zu kämpfen.
AMYNTAS. Ihr?
LICIDAS. Ja. Meynet Ihr vielleicht, ich seye nicht im Stande?
AMYNTAS. Ey! mein Prinz, hier ist nicht die Frage vom Degen, und ob man selbigen geschickt zu führen wisse. Es ist ganz eine andere Art des Streitens; es gehören besondere Waffen dazu, und die Kunst, selbige zu gebrauchen, ist von jener ganz unterschieden. Der Panzer, die Wurf-Scheibe, und das Ringen sind uns unbekannte, euren Mitkämpfern aber durch viele Erfahrung schon längst geübte Dinge. Ihr würdet gewißlich bey dem ersten Auftritt euer unbesonnenes Unternemmen bereuen müssen.
LICIDAS. Wenn Megacles, welcher hierinnen viele Geschicklichkeit besitzet, zur rechten Zeit eingetroffen wäre, so hätte Er für mich kämpfen können: nun aber, da er nicht kommt, was soll ich thun? Mein lieber Amyntas, man streitet heute nicht nur um den gewöhnlichen Kranz von wilden Oliven, sondern der ausgesetzte Preiß ist Aristäa, die Tochter des grossen Königs Clisthenes, die Zierde der Griechischen Schönheiten, und die einzige edle, wiewol seit kurzem erst entstandene Neigung meines Herzens.
AMYNTAS. Wie stehet es aber mit der Argene?
LICIDAS. Ich mache mir keine Hofnung mehr, sie wieder zu sehen. Wo also keine Hofnung ist, da ist auch keine Liebe.
AMYNTAS. Ihr habt aber so oftmals geschworen …
LICIDAS. Ich verstehe es: Ihr wollet mich mit unnützem Gespräche aufhalten, bis die Zeit verflossen ist. Lebet wohl!
AMYNTAS. Höret doch.
LICIDAS. Nein, nein.
AMYNTAS. Sehet, hier kommt …
LICIDAS. Wer?
AMYNTAS. Megacles.
LICIDAS. Wo ist er?
AMYNTAS. Hier in diesem Gebüsch dünkt mich … Nein, er ist es nicht.
LICIDAS. Ach! Amyntas, Ihr spottet meiner: ich verdiene es auch, weil ich so thöricht gewesen, meine Hofnung auf den Megacles zu setzen. Im Begriff wegzugehen.

Zweyter Auftritt.

Megacles, und die vorige.

MEGACLES. Hier ist Megacles.
LICIDAS. Gerechte Götter!
MEGACLES. Mein Prinz.
LICIDAS. Mein Freund. Kommet, ach! kommet, und lasset Euch umarmen. Nun ist meine Hofnung wiederum aufs neue belebet.
MEGACLES. Solle denn wahr seyn, daß mir der Himmel Gelegenheit gibt, Euch meine Dankbarkeit zu erkennen zu geben?
LICIDAS. Wenn Ihr wollet, so könnet Ihr mir Leben und Ruhe schenken.
MEGACLES. Wie so?
LICIDAS. Wenn Ihr statt meiner und unter meinem Namen auf dem Olympischen Kampf-Platz erscheinet.
MEGACLES. Seyd Ihr aber noch nicht in Elis bekannt?
LICIDAS. Nein.
MEGACLES. Was ist dann Eure Absicht, und was für ein Gegenstand hat Euch zu dieser List bewogen?
LICIDAS. Meine Gemüths-Ruhe. O ihr Götter! wir wollen keinen Augenblick versaumen; denn wirk lich jetzo werden die Namen meiner Mitkämpfer aufgezeichnet. Eure Ankunft würde vergeblich seyn, wenn Ihr länger verweilen würdet. Gehet, Ihr sollt alles erfahren, wenn Ihr wieder kommet.
MEGACLES. Ich will hingehen, und mir grossen Ruhm davon machen, wenn ich mit Eurem theuren Namen eben so von aussen werde prangen können, wie derselbe dem Innersten meines Herzens eingepräget ist.
Griechenland wird alsdann sagen, daß wir unsere Handlungen, Gedanken, Neigungen, und so gar auch unsere Namen gemeinschaftlich gehabt haben. Gehet ab.

Dritter Auftritt.

Licidas, und Amyntas.

LICIDAS. O ein großmüthiger Freund! O getreuer Megacles!
AMYNTAS. Ihr sagtet vor kurzem nicht so von ihme.
LICIDAS. Nun darf ich nimmer zweifeln, daß mir die Aristäa zu Theil werde. Gehet, mein lieber Amyntas, und kehret alle Anstalten vor; denn ich will noch vor Nacht mit meiner Braut von hier abreisen.
AMYNTAS. Gemach, mein Prinz, mit Eurer eingebildeten Glückseligkeit: Ihr habt noch vieles zu beförchten.
LICIDAS. Wie plaget ihr mich doch mit Eurem beständigen Zweiflen. Soll ich wohl einen Sturm besorgen, da ich so nahe am Port bin? Wer eine Sache nach Eurer Einsicht beurtheilen, und sich mit Euren unaufhörlichen Einwürfen aufhalten will, wird niemalen gewiß seyn, ob es dasjenige seye, oder nicht seye, was es wirklich ist.
Das Pferd lauft schneller nach Hause als vom Hause, und läßt sich weder durch das empfindliche Gebiß aufhalten, noch durch das anhaltende Zurufen des Reiters Gesetze vorschreiben.
Also ist auch jener beschaffen, deme die Hofnung schmeichelt: Er fürchtet nichts, gibt keinem Rath Gehör, und stellet sich das künftige Vergnügen als gegenwärtig vor. Gehet ab.

Vierter Auftritt.

Ein weites Feld, worinnen zerschiedene Schäfereyen an dem Fuß eines Berges, und eine schlechte Brücke von unbehauenem und ohne Kunst zusammen gesetzten Holzwerk über den Fluß Alpheus. Die Aussicht nach der Stadt Olympia in der Ferne, und die Gegend derselben mit eigenem Gebüsch und Stauden-Gewächsen, welche dieselbe nicht unlustig, sondern vielmehr angenehm machen.

Argene in Schäfer-Kleidung mit Kränze flechten beschäftiget. Ein Chor Schäfer und Schäferinnen, welche alle nach ihrer Art etwas handthieren. Hernach Aristäa mit einen Gefolge.

CHOR. O ihr angenehme Wälder, o theure und glückselige Freyheit!
ARGENE. Hier wird das Vergnügen von keiner Falschheit unterbrochen, sondern durch Liebe und Treue unterhalten.
CHOR. O ihr angenehmen Wälder, o theure und glückselige Freyheit!
ARGENE. Hier besitzt ein jeder wenig, und hält sich doch für reich: Und weil er nichts weiteres verlanget, so weißt er nicht, was Armuth heißt.
CHOR. O ihr angenehmen Wälder, o theure und glückselige Freyheit.
ARGENE. Hier herrschet, ohne daß man sich darum bemühen, oder einiger Vorsicht bedienen darf, eine beständige Ruhe und Sicherheit, weilen dieser Ort kein Gegenstand fremder Begierden und Nachstellungen ist.
CHOR. O ihr angenehmen Wälder, o theure und glückselige Freyheit!
ARGENE. Hier ist das unschuldige Lieben der Schäferinnen … Sie stehet auf.
Hier kommt Aristäa.
ARISTÄA. Fahret fort Lycoris.
ARGENE. Prinzeßin, kommet Ihr schon wieder, meine geringe Wohnung zu beehren?
ARISTÄA. Ach! wenn ich nur auch so vor mir selbsten, wie vor andern fliehen könnte. Meine Freundin, Ihr wisset nicht, was dieses für ein betrübter Tag für mich ist.
ARGENE. Dieses ist meines Erachtens vielmehr ein glorreicher Tag für Euch. Was könnte die Nachwelt für eine grössere Probe Eurer Schönheit haben, als diese, daß die geschickteste Jünglinge Griechenlands heute um Eurentwillen auf dem Kampf-Platz erscheinen?
ARISTÄA. Derjenige aber, den ich verlangte, ist nicht hier. Liebste Lycoris, wir wollen abbrechen, und von einer andern mir nicht so unangenehmen Sache sprechen. Setzet euch, nehmet die unterbrochene Arbeit wieder zur Hand, und redet. Aristäa setzet sich. Ihr habt mir einsmals den Anfang Eurer Lebens-Geschichte erzählet: fahret nun darinnen fort, lindert meinen Schmerzen, und versüsset mir, wenn Ihr könnet, meine Widerwärtigkeiten mit Erzehlung derer Eurigen.
ARGENE. Wenn die Meinige von so grosser Wirkung seyn werden, so ist meine Standhaftigkeit genugsam dardurch belohnet. Ich habe Euch schon gesagt, Setzt sich nieder. daß ich mich Argene nenne, daß Creta der Ort meines adelichen Herkommens ist, und daß meine Neigungen meine Geburt überstiegen.
ARISTÄA. Bis hieher weiß ich alles.
ARGENE. Nun folget der Anfang meines widrigen Schicksals. Licida der Königliche Erb des Cretensischen Thrones ware der Gegenstand meiner Neigungen, und ich der Seinigen. Wir hielten zwar dieselbe eine zeitlang mit aller. Vorsicht und Sorgfalt geheim; allein mit dem Wachsthum der Liebe vermehrte sich auch (wie gemeiniglich geschiehet) unsere Unbesonnenheit. Diese verursachte, daß, da einige dieses Verständniß theils aus unsern Blicken, theils aus unserem sonstigen Bezeigen wahrnahmen, die Sache endlich ruchtbar geworden, und dem Könige zu Ohren gekommen. Dieser zürnte darüber, gab dem Sohne einen Verweis, und verboth ihme, mich wieder zu sehen. Je schärfer aber das Verbot ware, desto mehr nahm seine Leidenschafft überhand, gleich einer Flamme, die der Wind nur vergrössert, und einem Fluß, welcher den ihme entgegen gesetzten Damm nur mit desto grösserer Gewalt durchzubrechen sucht. Der vor Liebe ganz eingenommene Licida fieng an zu wüthen und zu toben, und dachte, wie er mich entführen, und mit mir entfliehen möchte. Er entdeckte mir zu dem Ende in einem Schreiben sein Vorhaben; allein derjenige. Der mir dasselbe überliefern sollte, begienge die Untreue, daß er die Sache dem König verrieth. Darauf wurde mein armseliger Liebhaber in Verwahrung gebracht, und mir anbey auferlegt, daß ich mich mit einem Fremden verheurathen sollte. Ich schluge es aber aus, und zoge mir dardurch den allgemeinen Haß zu. Der Könige bedrohete mich, meine Freunde gaben mir Unrecht, und mein Vater verlangte, daß ich in die vorgeschlagene Vermählung willigen sollte. Da ich nun kein ander Rettungs-Mittel vor mir sahe, als die Flucht, oder den Tod, so hielte ich Ersteres vor vernünfftiger als lezteres, bewerckstelligte solches, und kame als eine Fremdin nach Elis, allwo ich mir zu meinem Auffenthalt diese Waldung erwehlte. Hier gabe ich mich bey denen Schäfern für eine Schäferin aus, und nenne mich jetzo Lycoris: behalte aber für meinen Geliebten eben diejenige Treue, welche ich ihme als Argene geschworen habe.
ARISTÄA. Ich habe zwar in der That Mitleiden mit Euch, kan aber Eure Flucht doch nicht gut heissen; indeme Ihr als ein junges Frauenzimmer, und alleine, mit Hintansetzung …
ARGENE. Sollte ich mich also mit dem Megacles vermählet haben?
ARISTÄA. Megacles? (O werther Name!) von welchem Megacles redet Ihr?
ARGENE. Den mir der König zum Gemahl geben wollte. Sollte ich also in Vergessenheit gesetzet haben …
ARISTÄA. Wisset Ihr sein Vaterland.
ARGENE. Athen ist es.
ARISTÄA. Wie ist er nach Creta gekommen?
ARGENE. Aus Verdruß und Betrübniß, so ihme (wie er selbsten sagte,) die Liebe verursachte. Er wurde in seiner Hinreise von einer Bande Strassen-Räuber angefallen, und schier ums Leben gebracht. Zum Glück kam Licida von ohngefehr dazu, und rettete ihn, von welcher Zeit an sie beyde immer die verträuteste Freunde geblieben. Durch diese mit dem Sohn gepflogene Freundschaft wurde er auch dem Vater bekannt, und mir aus seinen Befehl, weilen er ein Ausländer ware, zum Gemahl bestimmet.
ARISTÄA. Könnet Ihr aber ihn Euch vorstellen?
ARGENE. Ja, so gut, als ob ich ihn würklich vor mir sähe. Er hatte gelblichte Haare, schwarze Augen, und rothe doch etwas aufgeworfene Lefzen: seine Blicke waren langsam und mitleidig: Er erröthete öfters, und hatte eine liebliche Redens-Art … Allein … Prinzeßin, Ihr entfärbet Euch, was ist Euch geschehen?
ARISTÄA. O ihr Götter! der Megacles, den Ihr mir beschreibet, ist mein Geliebter.
ARGENE. Was saget Ihr?
ARISTÄA. Die Wahrheit. Es ist schon eine geraume Zeit, daß ich mit demselben ein heimlich Liebes- Verständniß hatte; weilen er aber von Geburt ein Athenienser war, so wollte ihn mein Vater nicht einmal kennen, sehen, oder auch nur anhören, viel weniger mich ihme zu Theil werden lassen. Dahero er sich in voller Verzweifelung entfernte, und anderwärts hin begab. Seit deme hab ich ihn nicht wieder gesehen; nun aber höre ich von Euch, was sich weiter mit ihme zugetragen.
ARGENE. Unsere Liebes-Geschichten scheinen in Wahrheit recht fabelhaft zu seyn.
ARISTÄA. Ach! wenn er wüßte, daß man heute um mich kämpfte.
ARGENE. Schicket jemanden zu ihme nach Creta, und machet, daß der Kampf in so lange aufgescho ben werde.
ARISTÄA. Wie aber?
ARGENE. Clisthenes, der euer Vater, ist ja zum Schiedrichter dabey erwählet worden: und kan mithin, wenn er will …
ARISTÄA. Er wird aber nicht wollen.
ARGENE. Was schadets Euch, so Ihr es versuchet?
ARISTÄA. Wohlau, ich will zu Ihme gehen. Sie stehen auf.
ARGENE. Bleibet hier, er kommt.

Fünfter Auftritt.

Clisthenes mit einem Gefolge, und die vorige.

CLISTHENES. Meine Tochter, es ist alles veranstaltet. Die Namen sind aufgezeichnet, die Opfer geschlachtet, und die Zeit zum Streiten ist bestimmt. Nunmehro kan selbiges, ohne die Götter, die allgemeine Treu, und meine Ehre zu beleidigen, nicht länger mehr aufgeschoben werden.
ARISTÄA. (Nun ist die Hoffnung verlohren.)
CLISTHENES. Du könntest von rechtswegen hochmüthig werden, wenn ich dir die Menge aller derjenigen, welche sich deinetwegen allhier eingefunden, hersagen würde. Unter vielen andern will ich nur den Olintus von Megara, den Clearchus von Sparta, den Atys von Thebä, und den Erilus von Corinth benennen: auch ist sogar von Creta der Licida zugegen.
ARGENE. Wer?
CLISTHENES. Licida, der Sohn des Königs von Creta.
ARISTÄA. Will er mich auch haben?
CLISTHENES. Er wird es mit denen übrigen versuchen.
ARISTÄA. (Ach! er hat die arme Argene vergessen.)
CLISTHENES. Folge mir meine Tochter.
ARISTÄA. Ach! mein Vater! verzögert noch ein wenig mit diesem Streit.
CLISTHENES. Du forderst etwas unmögliches, ich habe die Ursache bereits gesagt. Warum du aber dieses verlangest, kan ich mir nicht vorstellen.
ARISTÄA. Es ist noch immer Zeit, daß wir unsere Freyheit verliehren. Die Vermählung ist für uns ein hartes Joch, und wir haben nach unserem unglückseligen Schicksal schon ohne dasselbe zu leiden.
CLISTHENES. Alle sprechen so; und sie reden die Wahrheit eben so wenig, als es ihnen ernst ist.
Beklaget euch nicht über das Schicksal, daß es euch uns unterworfen hat: Ihr seyd Mägde, aber ihr herrschet zugleich in eurer Dienstbarkeit.
Wir sind tapfer, ihr aber seyd schön, und traget allezeit den Sieg davon, wenn Schönheit und Tapferkeit miteinander streiten. Gehet ab.

Sechster Auftritt.

Aristea und Argene.

ARGENE. Prinzeßin, habt Ihr es gehört?
ARISTÄA. Lebet wohl meine Freundin, ich muß dem Vater folgen. Ach! lasset mich doch etwas von meinem geliebten Megacles wissen: Ihr könnet es wohl thun, wenn Ihr so mitleidig als schön seyd.
Gehet zu, wie Ihr erfahren möget, wo sich mein Geliebter aufhält, und ob er noch an mich gedencke, und von mir spreche.
Fraget, ob er seufze, wenn er meinen Namen höret, und ob er selbigen zuweilen auch bey sich selbsten nenne? Gehet ab.

Siebender Auftritt.

ARGENE alleine. Hat mich also der undanckbare Licidas schon gänzlich vergessen? Arme Argene, worzu hat dich doch der erzürnte Himmel bestimmet? Lernet, lernet hieraus, ihr unversuchtes Frauenzimmer, wie sich die schmeichlende Liebhaber zu verstellen wissen. Ein jeder nennet euch seine Geliebte, sein Leben, seinen Schatz: Ein jeder schwöret, daß er um euretwegen bey Tag fable, und bey Nacht wache: sie sind so geschickt, daß sie weinen und erblassen können: ja manchmal scheinet es, als wollten sie vor hefftiger
Liebe in eurer Gegenwart sterben. Hütet euch vor ihnen, es ist lauter Betrug. Unter tausend Verliebten finden sich kaum Zween, die beständig sind, ob sie gleich alle ihre Treue heraus zu streichen wissen.
Und dieser schlechte Gebrauch nimmt so starck überhand, daß man sich bereits nimmer scheuet, die Beständigkeit eines aufrichtig Verliebten als eine Einfalt zu belachen. Gehet ab.

Achter Auftritt.

Licidas und Megacles von zerschiedenen Seiten.

MEGACLES. Licidas!
LICIDAS. Freund!
MEGACLES. Hier bin ich.
LICIDAS. Habt Ihr gethan …
MEGACLES. Ja, mein Herr, alles Ich bin schon unter eurem Namen in dem Tempel gewesen, und werde nun in kurzem nach dem Kampf-Platz gehen. Indessen, bis man das Zeichen zum Streiten gibt, könnet ihr mir füglich noch die Absicht entdecken, die unter diesem Unternehmen verborgen ist.
LICIDAS. O! wenn Ihr sieget, so ist in der Welt kein so glückselig Verliebter, als ich.
MEGACLES. Wie so?
LICIDAS. Eine Königliche Schönheit wird dem Sieger zum Preis gegeben. Ich hatte dieselbe nicht so bald gesehen, als ich ihro so gleich meine ganze Neigung schenckte. Weilen ich aber in der Ring- Kunst wenig erfahren bin …
MEGACLES. Ich verstehe es: ich soll sie für Euch erwerben.
LICIDAS. Ja. Fordert hernach mein Leben, mein Blut, und mein Reich: ich will Euch gerne alles geben, mein liebster Megacles, was Ihr verlanget, und doch werde ich Euch nicht genugsam davor belohnen können.
MEGACLES. Ein erkenntlicher Diener, und getreuer Freund hat dergleichen Beweg-Gründe nicht nöthig. Ich erinnere mich noch gar wohl, daß ich Euch mein Leben zu dancken habe: Hoffet nur, es solle Euch nicht fehlen. Ich bin des Etischen Kampfes nicht unerfahren, er hat mich schon vielen Schweis gekostet, und der Oliven-Kranz ist keine ungewöhnliche Zierde meine Hauptes. Ich bin noch niemals des Sieges so gewiß, als dieses mal gewesen. Ich brenne vor Ehr-Begierde, und die Freundschafts-Triebe machen mich stärcker als sonsten. Ich kan fast die Zeit nicht erwarten; ja es dünckt mich, als wäre ich schon auf dem Kampf-Pflatz. Die Mitkämpfer stehen mir schon zur Seiten: ich übertreffe sie schon, und höre unter dem Olimpischen Staub, womit Haare und Angesicht überzogen sind, die Lobsprüche des zuschauenden Volckes.
LICIDAS. O werther Freund! Indeme Er Ihn umarmet. O! liebste und sehnlichst gewünschte Aristäa!
MEGACLES. Wie?
LICIDAS. Ich nenne mein Geliebte.
MEGACLES. Und sie heisset Aristäa?
LICIDAS. Ja, so heisset sie.
MEGACLES. Wisset Ihr noch mehr von Ihr?
LICIDAS. Sie ist nahe bey Corinth an dem Ufer des Flusses Asopus gebohren, und die einzige Tochter des Königs Clisthenes.
MEGACLES. (O wehe mir! Dieses ist meine Geliebte.) Ists diese, um welche man streitet?
LICIDAS. Ja.
MEGACLES. Und diese soll ich vor Euch erlangen?
LICIDAS. Ja, diese.
MEGACLES. Ist es also die Arstäa alleine, worauf Ihr eure Hoffnung gesetzt habt.
LICIDAS. Ja sie alleine.
MEGACLES. (Ich sterbe vor Unmuth!)
LICIDAS. Verwundert Euch nicht. Wenn Ihr sie sehet, so werdet Ihr mich vielleicht entschuldigen. Glaubet mir, die Götter selbsten würden sich nicht schämen, ihre Liebhaber zu seyn.
MEGACLES. (Ach! wollte Gott, ich wüßte es nicht.)
LICIDAS. O! wenn ihr sieget, wer wird freudiger seyn, denn ich? Was für einen Vortheil wird nicht Megacles selbst davon haben? Saget mir: werdet Ihr nicht Antheil an meinem Vergnügen nehmen?
MEGACLES. Grossen.
LICIDAS. Saget mir: wird Euch der Zeit-Punct, da ich mit Aristäa verbunden werde, nicht glückselig düncken?
MEGACLES. Sehr glückselig. (O ihr Götter!)
LICIDAS. Wollet Ihr mich nicht nach dem Braut- Bette begleiten?
MEGACLES. (O Peint.)
LICIDAS. Saget.
MEGACLES. Ja, nach eurem Belieben. (Was für eine neue Gattung der Quaal ist dieses!)
LICIDAS. O wie ist mir die Zeit so lang! Ihr glaubet es entweder nicht, oder wisset es nicht, wie unerträglich mir in dem Stande, worinnen ich mich befinde, das Warten ist.
MEGACLES. Ich glaube es, ich weis es.
LICIDAS. Höret, mein Freund. Ich stelle mir wircklich die Sache als gegenwärtig ist, und umarme meine Braut schon in Gedancken.
MEGACLES. (Ach! das ist zu viel.)
LICIDAS. Und dünckt mich …
MEGACLES. Schweiget doch einmal: Ich habt schon genug davon gemeldet. Ich bin euer Freund, Auf eine ungestümme Weise. und weis, was meine Schuldigkeit ist, übrigens aber …
LICIDAS. Warum zürnet ihr? Worinnen habe ich Euch beleidiget?
MEGACLES. (Wie unweislich habe ich gehandelt!) Ich habe mich aus Eifer, Euch zu dienen, übereilet. Er fasset sich wieder. Ich bin müde von der Reise, soll kämpfen, und Ihr beraubet mich der kurzen Zeit, die ich zur Ruhe anwenden könnte.
LICIDAS. Warum habt Ihr Euch dann nicht eher er kläret?
MEGACLES. Aus Ehrfurcht.
LICIDAS. Wollet Ihr also ruhen?
MEGACLES. Ja.
LICIDAS. Verlanget Ihr, daß ich Euch irgendwo hinführen solle?
MEGACLES. Nein.
LICIDAS. Ists Euch gefällig, hier unter diesem Schatten zu ruhen?
MEGACLES. Ja.
LICIDAS. Soll ich hier bleiben?
MEGACLES. Nein. Mit Ungedult, und setzet sich mit Ungestimm nieder.
LICIDAS. (Wunderliche Lust!) So ruhet dann: lebet wohl. Gehet ab.

Neunter Auftritt.

MEGACLES allein. Ewige Götter! was habe ich gehört! Was für ein Donnerstreich hat mich getroffen! Soll denn meine Geliebte einem andern zu theil werden? Und ich selbst soll sie meinem Mitbuhler zuführen? Der Mitbuhler ist aber mein bester Freund. Ach! was für Nahmen vereinbahret das Schicksal zu meiner Quaal! Ey! die Gesetze der Freundschaft erstrecken sich nicht so weit. Der Prinz mag es mir verzeihen, ich bin auch verliebt. Wollen, daß ich ihme die Aristäa überlassen solle, ist eben so viel, als verlangte er mein Leben. Gehört denn dieses Leben nicht dem Licida zu? Ist es nicht sein Geschenke? Lebe ich nicht durch ihne? Undankbarer Megacles, kanst du wohl daran zweifeln? Ach! wenn die Aristäa diesen häßlichen Schandflecken an deiner Stirnen erblicket, so hat auch sie Ursache, dich zu verabscheuen. Nein, sie soll dieses an mir nicht erleben. Ich will denen Pflichten der Freundschaft, der Treue, der Danckbarkeit und der Ehre lediglich allein gehorchen. Ich fürchte nichts, als den Anblick meiner Geliebten, will mich aber mit allem Fleisse hüten, daß ich nicht davor erschröcken darf. Ich Armseliger! was würde ich in ihrer Gegenwart anfangen? Das Herz klopfet mir, und ein Angst-Schweis überfällt mich, wenn ich nur daran gedencke; ja ich meyne, ich müsse vor Scham erstaunen, erstarren und zittern … Nein, ich könnte nicht …

Zehender Auftritt.

Aristäa, und der vorige, hernach Alcander.

ARISTÄA. Fremder! Ohne ihn anzusehen.
MEGACLES. Wer kommt so unversehens zu mir? Indeme er sich umwendet.
ARISTÄA. O Himmel!
MEGACLES. O ihr Götter! Da sie einander erkennen.
ARISTÄA. Megacles! Meine Hoffnung! Ach! Ihr seyd es. Nun sehe ich Euch wieder. O ihr Götter! Ich sterbe vor Freude, und kan mich kaum erholen. O mein Geliebter, wie sehr hab ich nach Euch geseufzet, Euch beweinet, und vergeblich geruffen. Endlich habt Ihr die arme Aristäa gehört, und seyd eben zu rechter Zeit wieder gekommen. O eine mitleidige Liebe? O glückselige Pein! O wie wohl sind meine bishero vergossene Thränen und ausgestossene Seufzer angelegt!
MEGACLES. (O wie grausam ist mein Schicksal!)
ARISTÄA. Liebster Megacles, antwortret Ihr nicht? Und schweiget noch? Was bedeutet es, daß Ihr Euch so entfärbet, mich nur mit Furcht und Verwirrung ansehet, und die Thränen mit Gewalt unterbrechet? Ach! bin ich vielleicht nicht mehr eure Geliebte? Vielleicht …
MEGACLES. Was saget Ihr? Allezeit … wisset … bin ich … Ich kan nicht reden. (O wie grausam ist mein Schicksal!)
ARISTÄA. Ihr sezet mich in Schrecken und Verwirrung. Saget mir: wisset Ihr nicht; daß man hier um mich kämpfen wird?
MEGACLES. Ich weis es.
ARISTÄA. Wollt Ihr Euch nicht auch; um mich zu erlangen, dabey einfinden?
MEGACLES. Ja.
ARISTÄA. Warum seyd Ihr denn so traurig?
MEGACLES. Dieweilen … Grausame Götter! (Was ist dieses für eine Höllen-Quaal!)
ARISTÄA. Ich verstehe es. Es hat Euch jemand einen Zweifel an meiner Treue beygebracht. Wenn Ihr Euch deßwegen bekümmert, so seyd Ihr ungerecht. Geliebter, ich habe mich seit eurer Abreise zu theuerst nicht in Gedancken wider Euch vergangen. Ich habe allezeit eure Stimme in meiner Seelen gehöret, euren Namen in dem Munde geführt, und euer Angesicht in dem Herzen gehabt. Ich ware niemals von fremder Liebe eingenommen, bins noch nicht, und werde es auch seyn. Ich wollte …
MEGACLES. Es ist genug: ich weis es.
ARISTÄA. Ich wollte lieber sterben, als euch nur einen Augenblick ungetreu werden.
MEGACLES. (O Pein über alle Pein!)
ARISTÄA. Sehet mich doch wenigstens an, redet, saget …
MEGACLES. Was kan ich sagen?
ALCANDER. Herr, eilet, Kommt eilends heraus. wenn Ihr zu kämpfen gekommen seyd: das Zeichen ist bereits gegeben. Gehet ab.
MEGACLES. Ihr Götter! stehet mir bey. Lebet wohl meine Geliebte!
ARISTÄA. Und Ihr verlasset mich also? Gehet nur: ich verzeihe es, wenn Ihr nur als mein Bräutigam: wieder kommet.
MEGACLES. Ach! ein so grosses Glück ist nicht für mich bestimmt. Im Begriff wegzugehen.
ARISTÄA. Höret. Liebet Ihr mich noch?
MEGACLES. Wie meine Seele.
ARISTÄA. Glaubet Ihr, daß ich Euch getreu bin?
MEGACLES. Ja, so getreu, als schön.
ARISTÄA. Gehet Ihr jetzo, in der Absicht mich zu bekommen?
MEGACLES. Ich wünsche es wenigstens.
ARISTÄA. Habt Ihr noch eure vorige Stärke?
MEGACLES. Ich glaube es.
ARISTÄA. Werdet Ihr auch siegen?
MEGACLES. Ich hoffe es.
ARISTÄA. Bin ich solchenfalls nicht eure Braut?
MEGACLES. Mein Leben … Lebet wohl!

Erinnert Euch meiner bey glückseligen Tagen.

ARISTÄA. Warum sprechet Ihr so zu mir, meine Seele?
MEGACLES. Verlanget nicht weiter zu wissen.
ARISTÄA. Redet, mein Geliebter.
MEGACLES, ARISTÄA. Ach! Ihr bringet mich durch das Reden / Schweigen ums Leben
ARISTÄA. (Ich sehe meinen Geliebten seufzen, und verstehe doch seine Seufzer nicht.)
MEGACLES. (Ich sterbe vor Eifersucht, und kan es doch nicht sagen.)
ARISTÄA UND MEGACLES. Wer hat jemals ein grösseres Herzenleid ausgestanden?

Ende der ersten Abhandlung.

Das eigensinnige Betragen der Galathea. Ein Schäfer-Tanz.

Diese Galathea ist die nehmliche, von welcher Horatius Erwehnung thut, wenn er eine junge Schönheit beschreibet, deren ihr Liebhaber mit List einen Kuß beyzubringen suchet. Der Innhalt einiger Verse dieses berühmten Dichters ist folgender:

Der geringe Wiederstand und zärtliche Eigensinn eines Frauenzimmers will öffters nur so viel zu erkennen geben, daß der Verliebte sich mehrerer Kühnheit bedienen solle.

Der ganze Tanz ist also auf das seltsame Betragen ermeldter Schäferin eingerichtet, welche hierdurch zwey in Sie verliebte Schäfere bald auf diese bald auf jene Art in Verzweiflung sezet. Da sich aber ein Spiel des Eigensinns und der Unbeständigkeit nicht so genau beschreiben läßt, so hat man obige aus dem Poeten übersezte Worte, als das eigentliche, so in diesem Schäfer-Tanz abgehandelt wird, nur deßwegen angeführet, um diese Galathea, von jener welche, wie Ovidius schreibet, vom Polyphemo geliebt wurde, zu unterscheiden.

Zweyte Abhandlung.

Erster Auftritt.

Der innere Theil einer Schäfer-Hütten.

Aristäa und Argene.

ARGENE. Weißt man noch nicht, wie der Kampf abgelaufen?
ARISTÄA. Nein, werthe Argene. Es ist doch hart, daß wir nicht einmal dabey zuschauen därfen.
ARGENE. Man siehet noch Niemand. Sie stehet zurück nach der Scene.
ARISTÄA. Es kommt auch … O ihr Götter! Verwirrt.
ARGENE. Was ist geschehen?
ARISTÄA. O wie zittere ich! O wie klepfet mir das Herz!
ARGENE. Warum?
ARISTÄA. Mein Schicksal ist bestimmt. Sehet, der Alcander kommt.
ARGENE. Alcander, ach! Laufet, Gegen der Scene. tröstet uns, was bringet Ihr mit?

Zweyter Auftritt.

Alcander und die vorige.

ALCANDER. Eine gute Zeitung, Prinzeßin, der König sendet mich her, um Euch eine fröliche Bottschaft zu bringen, und ich …
ARISTÄA. Hat der Streit ein Ende?
ALCANDER. Ja. Höret: Das ungedultige Volck …
ARGENE. Wer gesieget habe, wollen wir wissen. Zum Alcander.
ALCANDER. Ich will alles sagen. Das ungedultige Volck wollte schon …
ARISTÄA. Ey! ich verlange dieses nicht von Euch zu wissen. Mit Ungedult.
ALCANDER. Ich muß doch in der Ordnung …
ARISTÄA. Saget mir nur, wer gesieget habe. Zornig.
ALCANDER. Licidas hat gesieget.
ARISTÄA. Licidas?
ALCANDER. Ja.
ARGENE. Der Prinz von Creta?
ALCANDER. Ja, der vor kurzem hier angekommen ist.
ARISTÄA. (Unglückselige Aristäa!)
ARGENE. (Armselige Argene!)
ALCANDER. O wie glückselig seyd Ihr! Zur Aristäa. O was für einen Braütigam hat Euch das Schicksal bestimmet!
ARISTÄA. Alcander, gehet nur wieder hin.
ALCANDER. Der König wartet auf Euch.
ARISTÄA. Gehet nur: ich will schon kommen.
ALCANDER. Er wartet auf Euch in dem grossen Tempel, wo die Versammlung …
ARISTÄA. Gehet Ihr noch nicht? Mit Zorn.
ALCANDER. (O ein schöner Danck!)
Ich gehe, weiß aber wohl, daß ich Euren ungerechten Widerwillen nicht zur Belohnung verdienet habe.
Der Himmel hat Euch glückseelig gemacht, indem Er Euch mit Schönheit begabet: Allein freundlich seyn, ist auch eine Eigenschafft, deren man sich vorzüglich berühmen darff. Gehet ab.

Dritter Auftritt.

Aristäa und Argene.

ARGENE. Ach! Prinzeßin, saget mir: Ist wohl jemand unter dem Himmel unglücklicher als ich?
ARISTÄA. Ja, ich.
ARGENE. Ach! die Liebe lasse Euch nimmermehr leiden, was ich leide. Ihr wisset nicht, wie groß mein Verlust ist, und wie theuer mich das Herze, so Ihr mir raubet, zu stehen kommt.
ARISTÄA. Und Ihr fühlet weder meine Quaal, noch sehet Ihr sie genugsam ein.
Euer Schmerz ist in Wahrheit groß. Ihr verlieret zwar euren Geliebten, behaltet aber doch die Freyheit zu Weinen, und Euch mit dem Mitleiden anderer zu trösten.
Ich hingegen, bin von dem Verhängniß gar unterdrückt. Ich verliere meinen Geliebten, und darf nicht einmal mein Unglück beweinen. Gehet ab.

Vierter Auftritt.

Argene und hernach Amyntas.

ARGENE. Kan ich denn weder Mitleiden noch Hülffe finden?
AMYNTAS. Ewige Götter! Ist dieses nicht Argene?
ARGENE. So will ich mich doch wenigstens zu rächen suchen. Im Begrief wegzugehen.
AMYNTAS. Argene, wie seyd Ihr anhero nach Elis gekommen? So ganz alleine? Und in so schlechter Kleidung?
ARGENE. Kommt Ihr auch, das unbillige Betragen des Prinzen zu vertheidigen? Der König von Creta hat den Licida fürwahr einem weisen Hofmeister zur Aufsicht anvertrauet: hier siehet man die Früchten eurer Unterrichtung. Ihr habt Ursache, Amyntas, daß Ihr Euch damit groß machet. Wer wissen will, ob der Gärtner fleißig gewesen, der betrachte nur den Garten.
AMYNTAS. (Sie weißt schon alles.) Es ist nicht mein Rath gewesen …
ARGENE. Genug … Wer weißt? Im Himmel findet man immer Gerechtigkeit, und manchmal auch noch auf der Welt: ich will sie bey Göttern und Menschen suchen. Hält er keine Treue, so hält mich auch nichts davon ab. Clisthenes, Griechenland, ja die ganze Welt soll wissen, daß er ein Meineidiger ist, damit diese Schand-That ihme aller Orten nachfolge, jedermann ihne verabscheue, vermeide, und mit Fingern auf ihn deute.
AMYNTAS. Dieses ist für die Argene keine anständige Denckensart. Der Zorn ist allezeit, wenn er noch so billig ist; ein schädlicher Rathgeber. Ich wollte lieber, wenn ich an eurer Stelle wäre, gelindere Seyten aufziehen. Es wird allezeit besser seyn, seine Neigungen wieder mit Liebe gewinnen, als ihne durch Feindseligkeit unterdrücken.
ARGENE. Glaubet Ihr wohl, Amyntas, er würde noch in sich gehen, und anderen Sinnes werden können?
AMYNTAS. Ich hoffe es: Ihr waret ja vormals sein Leben: er seufzte vor Liebe um euretwillen, und es schiene, als wollte er darüber die Sinnen verlieren. Erinnert Ihr Euch nicht, daß er wohl tausendmal …
ARGENE. Ich erinnere mich dessen leider! nur gar zu wohl. Amyntas gehet ab.
Was hat er nicht damals gesagt? Wie hat er nicht bey allen Göttern geschworen? Himmel! Wie ist es möglich, so ungetreu zu werden?
Ich habe alles um seinetwillen verlohren, und heute verliere ich gar ihne selbsten. O betrübte Neigungen! Ist dieses der Danck womit so viele Liebe vergolten wird? Gehet ab.

Fünfter Auftritt.

Die Aussicht und äusserliche Vorstellung eines zum Theil in Abgang gekommenen Kampf Plazes.

Clisthenes, vor welchem Licidas, Alcander, und Megacles und Oliven gekrönet, der Chor derer Kämpfere, die Leibwache und das Volck gehet.

DER GANZE CHOR. Niemals ist an dem Flusse Alpheus ein grösserer Nahmen, als des tapfern Licidas, gehört worden.
EIN THEIL DES CHORS. Niemals ist der Olympische Kampf-Plaz von einem edlern Schweis, als von dem seinigen befeuchtet worden.
DER ANDERE THEIL. Er ist so künstlich, als Pallas, so geschwind, als Amor, und so beherzt als Apollo und Hercules.
DER GANZE CHOR. Niemals ist an dem Flusse Alpheus ein grösserer Nahmen, als des tapfern Licidas, gehört worden.
CLISTHENES. Ihr junger, und eures grossen Ruhms ohngeachtet Euch so bescheiden bezeigender Held, lasset eure ehrenvolle Stirne küssen, und Euch umarmen. Wie glückselig ist der König von Creta, daß er einen so würdigen Sohn hat. (Hätte ich meinen Philintus behalten, Zum Alcander. vielleicht wäre er auch so tapfer. Erinnert Euch, Alcander, wie schmerzlich es mir fiele, als ich Euch selbigen einhändigte. Allein …)
ALCANDER. (Es ist keine Zeit an betrübte Dinge zu gedencken.) Zum Clisthenes.
CLISTHENES. (Es ist wahr.) Aristäa solle die Belohnung eurer Tapferkeit seyn. Zum Megacles. Kan Euch Clisthenes noch mehr geben, so fordert es ungescheut; denn Ihr könnet nicht so viel fordern, als ich Euch nicht geben wollte.
MEGACLES. (Nun wohlan meine Tugend!) Herr, ich habe einen zärtlichen Vater. Alles Vergnügen, so ich nicht mit ihme theile, ist mir nicht vollkommen. Ich möchte demselben gerne vor andern die Bottschaft meines Glückes überbringen, seine Einwilligung zu dieser Vermählung einhohlen, und dieselbe zu Creta in Seiner Gegenwart vollziehen.
CLISTHENES. Euer Begehren ist billig.
MEGACLES. Ich will mit eurer Genehmigung ohne weitern Verzug abreisen Unterdessen soll dieser hier meine Stelle vertreten, meiner Braut aufwarten, und sie auf der Hinreisse begleiten. Indeme er den Licidas darstellet.
CLISTHENES. (Was ist doch dieses für eine Gesichts-Bildung! Das Blut wallet mir im ganzen Leibe, wenn ich sie betrachte.) Und wer ist dieser? Wie heißt er?
MEGACLES. Er heißt Egistus, ist in Creta gebohren, und gleichfalls von Königlichem Geblüte. Wir sind aber viel grössere Freunde als Anverwandte; denn unser Wille und Meynung kommt dergestalten überein, und Freund und Leid ist uns so gemeinschaftlich, daß ich nicht ungereimt sagen kan: Licidas und Egistus ist ein Name.
LICIDAS. (O sinnreiche Freundschaft.)
CLISTHENES. Ich lasse mirs gefallen: Egistus solle Eurer Braut zur Gesellschafft und Begleitung dienen, Licidas aber, ohne dieselbe zu sehen, nicht abreisen.
MEGACLES. Ach! Nein. Meine Pein würde nur desto grösser seyn: ich würde vor Leidwesen sterben müssen, wenn ich alsdann doch von Ihr scheiden sollte: ich leide jezo schon in ihrer Enfernung zur Genüge.
CLISTHENES. Hier kommt sie.
MEGACLES. (O ich Unglückseliger!)

Sechster Auftritt.

Aristäa, und die vorige.

ARISTÄA. (Ich komme zur verhaßten Vermählung, wie ein Schlachtopfer vor den Altar.) Sie siehet den Megacles nicht.
LICIDAS. (Ich werde mich in kurzem dieses schönen Angesichtes zu erfreuen haben.)
CLISTHENES. Komm herbey, meine Tochter, hier ist dein Bräutigam. Er hält den Megacles bey der Hand.
MEGACLES. (Ach! Es ist nicht wahr.)
ARISTÄA. Mein Bräutigam? Sie erstaunet, da sie den Megacles siehet.
CLISTHENES. Ja. Siehe, ob jemals der Himmel ein edleres Paar zusammen gefüget?
ARISTÄA. (Licidas ist ja der Obsieger; wie kan denn dieser hier mein Bräutigam seyn? …. Der Vater hintergehet mich.)
LICIDAS. (Sie glaubt, Megacles seye ihr Bräutigam, und betrübt sich darüber.)
ARISTÄA. Mein Vater, ist denn dieser der Ueberwinder? Sie deutet auf den Megacles.
CLISTHENES. Wie kanst du mich fragen? Siehest du nicht, wie sein Angesicht annoch mit Staub überzogen, und mit ruhmvollem Schweisse befeuchtet ist? Trägt er nicht den Oliven-Kranz, als die gröste Zierde des Siegers auf seinem Haupte?
ARISTÄA. Alcander, was habt denn Ihr gesagt?
ALCANDER. Ich hab die Wahrheit gesagt.
CLISTHENES. Es braucht hier nicht viel mehr Zweifelns. Hier ist der Gemahl, mit welchem dich der Himmel verbindet, und ausser welchem ich dir nach aller meiner Vätterlichen Liebe keinen würdigern hätte erwehlen können.
ARISTÄA. (Was für ein Vergnügen!)
MEGACLES. (Was für eine Quaal!)
LICIDAS. (Was für ein ewig langer Tag!)
CLISTHENES. Und Ihr saget nichts? Woher kommt dieses Stillschweigen? Zum Megacles und Aristäa.
MEGACLES. (O ihr Götter! Was soll ich vorbringen?)
ARISTÄA. Ich wollte gerne reden; allein …
CLISTHENES. Ich verstehe es. Meine Gegenwart ist Euch verhinderlich. Das ernsthafte Ansehen, die strenge Majestät, und die Väterliche Gegenwart sind denen Verliebten zur Last: Ich erinnere mich dessen noch, wie ich selbsten in solchen Umständen gewesen bin. Bleibet also alleine. Ich lobe die Bescheidenheit, die Euch zurückhält.
MEGACLES. (Ich verfalle von einer Verwirrung in die andere.)
CLISTHENES. Ich weiß, daß Amor ein Kind ist, und an Gesellschaft der Alten kein Belieben trägt.
Er liebet das Scherzen, und hat an dem ernsthaften Wesen einen Eckel: Ehrfurcht und Freyheit vertragen sich selten miteinander. Gehet ab.

Siebender Auftritt.

Aristäa, Megacles, und Licidas.

MEGACLES. Ich Armseliger! Was soll ich in Gegenwart des Freundes und der Geliebten anfangen?
LICIDAS. (Nun ist es Zeit, daß ich mich zu erkennen gebe.) In der Stille zum Megacles.
MEGACLES. (Wartet nur.) O ihr Götter!
ARISTÄA. Mein Bräutigam, verhehlet eurer Braut nicht, was Euch bekümmert.
MEGACLES. (Ach, was muß ich leiden!)
LICIDAS. Werther Freund, Zum Megacles wie zuvor. meine Liebe leidet keinen Aufschub mehr.
ARISTÄA. Geliebter, euer Stillschweigen quälet mich zum Verzweifeln.
MEGACLES. (Es ist nimmer aufzustehen, ich will dieser Quaal einmal ein Ende machen.) Mein Prinz, entfernet Euch auf einige Augenblicke. Beyseits zum Licida.
LICIDAS. Warum, wollet Ihr …
MEGACLES. Gehet nur, und verlasset Euch auf mich. Ich muß der Aristäa alles erklären. Wie oben.
LICIDAS. Kan ich denn nicht zugegen seyn?
MEGACLES. Nein: Die Sache muß mit grösserer Behutsamkeit, als Ihr glaubet, behandelt werden. Wie oben.
LICIDAS. So seye es dann: Ich füge mich Eurem Begehren, und will mich ein wenig entfernen; Ihr darfet mir nur wincken, wenn ich wieder kommen soll. Ach! Mein Freund, erinnert Euch aber, von was, und für wen Ihr redet. Habe ich jemals etwas für Euch gethan, so eure Liebe und Danckbarkeit verdienet, so beweiset es jetzo. Ich will hiermit eurem getreuen Beystand meine Gemüths-Ruhe samt dem Leben überlassen haben. Gehet ab.

Achter Auftritt.

Megacles und Aristäa.

MEGACLES. (O grausame Erinnerung!)
ARISTÄA. Endlich sind wir alleine. Nun kan ich Euch ohne Scheu mein Vergnügen vollkommen entdecken, und Euch meine Hoffnung, meinen Geliebten, mein Leben, meinen …
MEGACLES. Nein, Prinzeßin: Solch trefliche Namen gebühren mir nicht. Sparet sie nur einem andern und glücklichern Liebhaber …
ARISTÄA. Ist dieses die Zeit, daß Ihr auf solche Art mit mir redet? Endlich ist der Tag erschienen … Allein wie bin ich so einfältig! Ihr scherzet, Geliebter, und ich bekümmere mich.
MEGACLES. Ach! Ihr bekümmert Euch nicht umsonst.
ARISTÄA. So erkläret Euch dann.
MEGACLES. Höret; seyd aber beherzt, Aristäa, und machet Euch gefaßt, die stärckste Probe eurer Tugend abzulegen.
ARISTÄA. Redet. (O wehe! Was wollt Ihr mir sagen? Ich zittere vor Angst.)
MEGACLES. Höret: Habt ihr nicht tausendmal gesagt, daß Ihr mein danckbares Herz, mein aufrichtiges Gemüth, und meine Ehr-Begierde mehr liebet, als meine Person?
ARISTÄA. Ja, es ist wahr. So hab ich Euch angesehen, so erkenne und verehre ich Euch auch.
MEGACLES. Wenn sich aber ohngefehr Megacles veränderte? Wenn er gegen seine Freunde ungetreu, gegen die Götter meineidig, und gegen seinem Gutthäter, der ihne aus der Todes-Gefahr errettet, undanckbar würde, und ihme selbsten das Leben nähme? Würdet Ihr ihne noch lieben, und für euren Bräutigam erkennen?
ARISTÄA. Wie sollte ich mir aber den Megacles so lasterhaft vorstellen können?
MEGACLES. So wisset dann, daß dieses durch ein besonderes Verhängniß eben damit geschehen würde, wann Megacles Euer Bräutigam werden sollte.
ARISTÄA. Wie so?
MEGACLES. Ich will Euch das ganze Geheimniß entdecken. Der Prinz von Creta seufzet vor Liebe gegen Euch. Er hat mich beym Leben erhalten, und fordert dafür nun Mitleiden von mir. Ach! Prinzeßin, saget selbst, ob ich ihme solches abschlagen könne.
ARISTÄA. Ihr habt ja gekämpfet …
MEGACLES. Aber statt Seiner.
ARISTÄA. Wollet Ihr mich verlieren …
MEGACLES. Ja, damit ich Eurer würdig bleibe.
ARISTÄA. Also muß ich …
MEGACLES. Ihr müsset meinem angefangenen Werck ein rühmliches Ende machen. Ja, großmütig- und wertheste Aristäa, unterstüzet die Triebe eines danckbaren Herzens, lasset den Licidas fürterhin meine Stelle vertreten, und liebet ihne; denn der theure Freund ist eines so grossen Glückes werth: Ich lebe auch in seinem Herzen, und wenn er Euch erlanget, so verliere ich Euch nicht gänzlich.
ARISTÄA. Ach! Was ist dieses vor ein Vortrag! Das ist ein Abfall vom Himmel bis in den Abgrund. Ey! Mit nichten: man suche ein besseres Mittel. Ach! Ohne Euch kan ich nicht leben.
MEGACLES. Schönste Aristäa, verschwöret Euch nicht auch wider meine Tugend. Es kostet mich ohnehin schon genug, mich zu einem so wichtigen Unternehmen gefaßt zu machen. Was könnte nicht eine einzige dieser zärtlichen Regungen auf einmal wiederum zernichten?
ARISTÄA. Und mich zu verlassen ….
MEGACLES. Bin ich entschlossen.
ARISTÄA. Ihr seyd entschlossen? Und wann?
MEGACLES. Dieses …. (Ich sterbe vor Leid!) Dieses, ist der letzte Abschied.
ARISTÄA. Der Letzte? Undanckbarer …. Ihr Götter stehet mir bey! Mein Fuß wanket, ein kalter Angst- Schweis überfällt mich, und mir ist nicht anderst, als ob mir das Herz im Leibe zerspringen wollte.
MEGACLES. Ich fühle, daß meine Kräften abnehmen. Je länger ich hier verweile, je weniger kan ich weggehen. Frisch gewagt! Aristäa, ich gehe: Lebet wohl.
ARISTÄA. Wie? Verlasset Ihr mich schon?
MEGACLES. Geliebte, es muß einmal geschieden seyn.
ARISTÄA. Gehet Ihr denn ….
MEGACLES. Ich gehe, und will nicht wieder kommen. Im Begriff wegzugehen.
ARISTÄA. Höret. Ach! nein …. Wo gehet Ihr hin?
MEGACLES. Um weit von Euch, Megacles geht ganz beherzt ab. mein Leben, entfernt zu sterben. Bleibt aber bey der Scene still stehen.
ARISTÄA. Kommet mir zu Hülfe … ich … sterbe. Sie fällt in Ohnmacht auf einen Stein.
MEGACLES. Ich Armseliger! Was sehe ich? Indem er sich umwendet. Ach! der Schmerz hat sie dahin geworfen. Meine einzige Hoffnung, Indeme er zurück kommt. schönste Aristäa, verzaget nicht: höret mich an: Megacles ist hier: Ich will nicht weggehen. Ihr sollt seyn …. Was rede ich? Sie höret mich nicht. Ihr Sternen! Habt Ihr noch grösseres Ubel über mich verhänget? Nein: Dieses einzige blieb mir noch übrig zu versuchen. Wer rathet mir? Worzu entschliesse ich mich? Was soll ich thun? Ich will gehen. Dieses wäre eine Grausamkeit, eine Tyranney. Ich will hier bleiben. Was hülft es? Daß ich vielleicht ihr Bräutigam werden möge? Würde es wohl der hintergangene König, der verrathene Freund, meine Treue, und meine Ehre zugeben? So will ich doch wenigstens später von hier gehen. Ach! Es würde wieder das vorige Elend seyn. Nunmehro ist die Grausamkeit ein Mitleiden. Lebet wohl mein Herz! Er nimmt sie bey der Hand, und küsset dieselbe. Lebet wohl, meine verlohrne Hoffnung! Der Himmel mache Euch glückseliger, als mich. Ewige Götter, erhaltet dieses herrliche Geschöpffe eurer Allmacht, und setzet meine verlohrne Tage denen Ihrigen bey! Licidas! (Wo ist er doch?) Licidas! Gegen der Scene.

Neunter Auftritt.

Licidas, und die vorige.

LICIDAS. Ist nun die Aristäa von allem berichtet?
MEGACLES. Von allem. Eilet, mein Prinz, Im Begriff wegzugehen. und kommet eurer Braut, zu Hülfe.
LICIDAS. O wehe mir! Was sehe ich? Was ist geschehen? Zum Megacles.
MEGACLES. Ein unversehenes Leid hat sie in diesen sinnlosen Zustand gesetzet. Im fortgehen, wie oben.
LICIDAS. Und Ihr verlasset mich?
MEGACLES. Ich gehe …. Im wiederkommen. Ach! Gedenket an die Aristäa. (Was wird sie wohl sagen, Im weggehen. wenn sie zu sich kommen wird? Er bleibt stille stehen. Ich kan mir ihr verzweiflendes Wesen vorstellen.) Licidas, ach! höret:
Wenn sie sich umsiehet, und fraget wo ihr Freund seye, so gebet Ihr zur Antwort: Der Unglückselige ist gestorben.
Ach! nein: Machet Ihr um meinetwillen kein so grosses Herzenleid, sondern saget nur: er ist weinend fortgegangen. Was für eine unbeschreibliche Pein ist es, die Geliebte verlassen, auf ewig, und auf solche Art! Gehet ab.

Zehender Auftritt.

Licidas, und Aristäa.

LICIDAS. Was für eine Verwirrung ist dieses? Ich verstehe es nicht. Die halb todte Aristäa … Der betrübte Megacles ….
ARISTÄA. O ihr Götter!
LICIDAS. Sie kommt doch schon wieder zu sich. Liebste Prinzeßin öffnet eure holdselige Augen.
ARISTÄA. Ungetreuer Bräutigam! Ohne ihne zu sehen.
LICIDAS. Ach! nennet mich nicht so. Hier habt Ihr zum Pfand meiner Treue die Hand. Er nimmt sie bey der Hand.
ARISTÄA. Wenigstens …. O Himmel! Sie siehet, daß es nicht der Megacles ist. Wo ist Megacles? Und ziehet die Hand zurück.
LICIDAS. Er ist fortgegangen.
ARISTÄA. Ist der Undanckbare fortgegangen? Hat er mich in diesem Zustande verlassen können?
LICIDAS. Euer Bräutigam aber ist hier geblieben.
ARISTÄA. Ist also alle Menschlichkeit, Treue, Stehet schnell auf. Liebe, und Mitleiden bey Ihme verlohren? O Ihr Götter, wenn eure Straffe diesen Ruchlosen nicht verfolget, so weiß ich nimmer, wo selbige statt finden solle!
LICIDAS. Ich bin ausser mir. Saget, Geliebte, wer hat Euch beleidiget? Redet. Verlanget Ihr, daß ich Euch rächen solle: Sehet, hier ist euer Bräutigam, Licidas ist hier ….
ARISTÄA. O ihr Götter! Ihr seyd Licidas? Fliehet, fliehet, verberget Euch vor mir. Ich bin um eurentwillen, Treuloser, in diesen Zustand gerathen.
LICIDAS. Was hab ich denn verschuldet? Ich erstaune vor Verwunderung.
ARISTÄA. Grausamer, Ihr raubet mir meinen Geliebten, und bringet mich ums Leben: Alles Leid, so ich fühle, kommet von Euch.
Nein, hoffet nimmermehr, daß Ihr Ruhe haben werdet: Ich hasse dieses falsche Herz; Ja ich werde Euch allezeit als den Gegenstand meines Greuels verabscheuen. Gehet ab.

Eilfter Auftritt.

Lycidas, und hernach Amyntas.

LICIDAS. Mich einen Grausamen nennen? O ihr Götter! Einen Treulosen? Ich will Ihr folgen, und wenigstens wissen … Mein Freund könnte …. Wo ist er aber hingegangen? Ich will ihne suchen. Megacles kan mir wenigstens einen Rath und Trost geben. Er will weggehen.
AMYNTAS. Megacles ist todt.
LICIDAS. Was sagt Ihr, Amyntas?
AMYNTAS. Ich sage, leider! die Wahrheit.
LICIDAS. Wie? Warum? Was für ein Bösewicht hat ihne um sein edles Leben gebracht? Ich will ihn aufsuchen. Er soll deßwegen andern zum Beyspiel der Rache dienen.
AMYNTAS. Mein Prinz, suchet ihne nicht: Ihr habt ihn umgebracht.
LICIDAS. Ich? Fabelt Ihr?
AMYNTAS. Es wäre zu wünschen, ich fabelte. Höret. Eben jetzo, da ich zu Euch gehen wollte, hörte ich ganz unvermuthet jemanden in diesem Gebüsche seufzen. Ich bliebe stille stehen, wandte mich nach dem Ort zurück, und sahe endlich einen Menschen, der einen blossen Degen vor sich hatte, und eben darauf hinzufallen im Begriff stunde. Ich liefe eilends hinzu, hielte ihn mit der einen Hand zurück, und griffe mit der andern nach dem Degen. Da ich aber sahe, daß es Megacles ware, so könnt Ihr Euch vorstellen, wie wir beyde erstaunen. Ich wollte ihn fragen; was Ihne doch zu diesem gewaltsamen Vorhaben bewogen hätte? Er liesse mich aber nicht ausreden, sondern kame mir nach einem tieffwiederholten Seufzer, mit diesen Worten zuvor: Amyntas, ich habe genug gelebet. Denn ohne die Aristäa kan und will ich nicht leben. Es sind bereits zehen Jahre, daß ich nur in Ihr lebe. Ach! Licidas bringt mich ums Leben, und weißt es nicht. Er beleidiget mich aber nicht, denn mein Leben ist sein Geschencke, und er nimmt es wieder zurück.
LICIDAS. O ohnvergleichlicher Freund! Und hernach?
AMYNTAS. Da er kaum dieses ausgeredt hatte, flohe er vor mir wie ein Pfeil. Herr, sehet Ihr diesen erhabenen Felsen dort, der über den Fluß Alpheus hervor raget? Auf selbigen stiege er wie ein Bliz, und stürzte sich herunter, ohne daß ich ihne durch heftiges Zuruffen davon abhalten konnte. Das Wasser theilte sich durch den Fall von einander, vereinigte sich unter schnellen Wirbeln wieder, und bedeckte denselben. Die ganze Gegend wiederschallete theils von dem Geräusche, theils von meinem Geschrey, und ich sahe ihn nicht mehr.
LICIDAS. Ach! Was für einen neuen und erschröcklichen Auftritt macht diese unglückliche Begebenheit in meinem Gemüthe! Er bleibt eine Weile in Erstaunung.
AMYNTAS. Man suche wenigstens den Leib, den eine so edle Seele bewohnet, und beweise ihme darmit den lezten Dienst, worzu betrübte Freunde verpflichtet sind. Gehet ab.

Zwölffter Auftritt.

Licidas, und hernach Alcander.

LICIDAS. Wo bin ich? Was ist mir begegnet? Ach! Hat denn der Himmel all seinen Zorn über mich ausgeschüttet? Megacles, o ihr Götter! Megacles, wo bist du? Was mache ich in der Welt ohne dich? Ungerechte Götter, gebet mir meinen Freund wieder. Ihr habt mir denselben genommen, und ich fordere ihn wieder von Euch.
ALCANDER. Holla!
LICIDAS. Wer seyd Ihr.
ALCANDER. Ich bin ein Abgeordneter vom König.
LICIDAS. Was will der König?
ALCANDER. Daß Ihr weit von hier Euch ins Elend begeben, und nach Sonnen Untergang bey Todes- Straffe nicht mehr in Elis finden lassen sollt.
LICIDAS. An mich gehet dieser Befehl?
ALCANDER. Lernet hieraus, was vor ein grosses Verbrechen es seye, den Namen verfälschen, die Treue brechen, und einen König hintergehen.
LICIDAS. Wie, Vermessener, Ihr getrauet Euch noch ….
ALCANDER. Genug davon. Prinz, ich habe meine Schuldigkeit beobachtet. Ihr möget nun ein gleiches thun. Gehet ab.

Dreyzehender Auftritt.

LICIDA allein. Nichtswürdiger, ich will dir mit diesem Stahl das Herz durchboren … Entblöset den Degen. Ich Thörichter, was sage ich? Mit wem zürne ich? Ich bin der Schuldige, ich bin der Bösewicht. Dieses Blut wird selbigen mit grösserem Recht benezen. Ja, stirb unglückseliger Licidas …. Ach! Warum zitterst du, furchtsame Hand? Wer hält dich zurück? Ach! Dieses ist wohl das gröste Elend. Ich hasse das Leben, und doch schrecket mich der Tod. Indessen aber fühle ich, wie sich das Herze in tausend Stücke zertheilet. Die Wuth, Rache, Zärtlichkeit, Freundschaft, Reue, Mitleiden, Scham, und Liebe peinigen mich um die Wette. Ach! Wer hat jemals eine von so vielen und so widrigen Regungen gemarterte Seele gesehen? Ich weiß selbsten nicht, wie es möglich ist, daß man drohend zittern, erstarrend brennen, zürnend weinen, und endlich den Tod wünschend leben kan.
Ich seufze, und tobe vor Zorn zu gleicher Zeit: der Tag scheinet mir verfinstert zu seyn: tausend Schrecken-Bilder schweben um mich herum, und eben so viele Furien bestürmen das Herz.
Megära entzündet meine Brust mit ihrem blutigen Angesicht, und Alethus füllt meine Adern mit seinem eiskalten Gift an. Gehet ab.

Ende der zweyten Abhandlung.

Reinaldus und Armida, ein pantomimischer Helden-Tanz, aus dem Gedichte des Tasso, das Jerusalem betitult, genommen.

Die Schaubühne stellet das Ufer des Flusses Orontes vor.

Reinaldus, nachdeme er die Gefangene der Armida in Freyheit gesetzet, wird durch die Künste dieser Zauberin, die sich deßwegen an ihme zu rächen entschlossen, auf eine Insul des Flusses Orontes gebracht.

Erster Auftritt.

Bey Ankunst des Reinaldus auf der Insul kommen ihme drey Nymphen, die aus dem Flusse steigen, entgegen, und bereden denselben durch Schmeichelungen, daß er dem Ruhm der Waffen absagen, und sich ganz und gar denen Wollüsten ergeben solle. Nach einem kurzen Wiederstand läßt sich endlich der junge Kriegs-Held überreden, und von denenselben auf einengrünen Wasen führen, wo er entschläft.

Zweyter Auftritt.

Die erzürnte Armida erscheinet. Sie ergreift bey dem Anblick des eingeschlafenen Reinaldus einen Dolch, und nähert sich denselben ums Leben zu bringen, wird aber, da sie eben solches zu thun im Begriff ist, von der Schönheit und von dem edlen Ansehen dieses Helden so eingenommen, daß sie ihr Vorhaben auszuführen nicht im Stande ist. Sie entrüstet sich anfangs über ihre Schwachheit, und will sich selbsten erstechen. Kan aber auch dieses nicht vollziehen, der Dolch entfällt ihr, und die Liebe überwindet endlich die Rache. Sie betrachtet stets ihren Besieger, setzet sich ihme zur Seite, umhänget denselben mit zerschiedenen Blumen-Kränzen, und verwandelt durch ihre Zauberkünste den Wasen in einen prächtigen Wagen, worauf sie Ihne mit sich durch die Luft entführet.

Dritter Auftritt.

Die vorige Scene verwandelt sich in die Gärten des Pallasts der Armida.

Armida und Reinaldus kommen mit einem Gefolge von Spielen und Kurzweilen. Die Nymphen und Wasser-Geister, welche aus denen Brunnenquellen steigen, gesellen sich zu diesen, bezeigen mit ihnen ihrer Gebietherin ihre Ehrerbietung, und zieren das Kleid des Reinaldus mit Blumen.

Vierter Auftritt.

Der Dänische Ritter und Ubaldus, nachdeme sie alle Hindernissen, die ihnen durch Zauberey in den Weg gelegt worden,überstiegen, kommen in der Absicht zum Vorschein, den Reinaldus von diesem wollüstigen Aufenthalt ab- und auf den Weg der Ehren zurückzuführen, werden aber durch höllische Geister, die sich unter einer angenehmen Gestalt vorstellen, abgehalten. Der Dänische Ritter scheinet alllerdings sein Vorhaben, den Reinaldus zu erretten, gänzlich zu vergessen, und indeme er seine Geliebte wieder zu finden vermeynet, sich dem Vergnügen, welches ihme die Wollust darbietet, zu überlassen. Es kostet ihne auch grosse Uberwindung und den Ubaldus viele Mühe, biß endlich seine Tugend die Macht der Liebe und Zauberey bemeistert.

Fünfter Auftritt.

Reinaldus und Armida mit ihrem Gefolge bezeugen durch lustige Tänze ihr beiderseitiges Vergnügen. Indessen verlassen Armida und die ihrige den Reinaldus: Dieser hingegen, als er seiner Geliebten folgen will, wird durch die beede Rittere aufgehalten; Sie stellen ihm seine begangene Schwachheit vor, und der Dänische insbesondere zeiget ihm den diamantenen Schild, welcher die Krafft hat, die Menschen zu entlarven und in ihrer wahren Gestalt darzustellen. Reinaldus bestehet sich darinnen, schämet sich über seinen gegenwärtigen Zustand, erröthet über seiner. Schwachheit, erzürnet sich und reißt die Blumen, womit seine Kleidung gezieret ware, ab. Die beede Rittere bezeugen ihr Vergnügen über diesen glücklichen Erfolg, und lassen vor denen Augen deß jungen Helden einen Sabel und Schild blincken; Er nimmt sogleich beedes mit Begierde zu Handen, und gibt zu erkennen, wie er wünschte, daß sie ihne von einem Ort entfernen möchten, der ihme nunmehro ganz verhaßt seye. Indeme sie sich aber zur Abreisse anschicken, so erscheinet Armida,

Sechster Auftritt.

Welche alle mögliche Reizungen anwendet um den Reinaldus von seinem Vorhaben abzuwenden. Sie wirfft sich ihme zu Füssen, und bittet ihne innständigst sie nicht zu verlassen. Auch dieses mal muß noch die Ehrbegierde der Liebe weichen, er kan sich nicht enthalten, ihro die Hand zu küssen. Die beede Rittere machen ihm hierüber tausend Vorwürffe, und erinnern ihne seiner Schuldigkeit. Armida, welche ihre Hoffnung verlohren und sich in Kurzem verlassen siehet, fällt in Ohnmacht. Reinaldus nimmt noch den zärtlichsten Abschied von ihr, die beede Rittere aber reissen ihne aus denen Armen seiner Geliebten, und nehmen ihn mit sich fort.

Lezter Auftritt.

Armida kommet wieder zu sich selbst, verfällt aber, da sie den Reinaldus nimmer siehet, und selbigem vergeblich ruset, in die gröste Verzweiflung über seiner Untreue; Sie ruft alle Höllen-Geister und Furien zu Hülffe, die ihro auch gehorchen, und mit Dolchen und Schlangen bewafnet herbey kommen. Der Haß und die Rache fliegen ihro zur Seiten. Sie befiehlet, alles zu verheeren, ihren Pallast und Gärten zu verwüsten. Die Geister und Furien nehmen ihre Facklen zur Hand, und zünden damit den Pallast an. Die Flammen verzehren selbigen, und alles gehet zu Grunde. Armida wird, mit dem Haß und der Rache zur Seiten, auf einem Wagen in die Lufft abgeführet, nachdeme der Ort ihres bißherigen Aufenthalts sich in eine von wilden und ungeheuren Thieren bewohnte Einöde verwandelt hat.

Dritte Abhandlung.

Erster Auftritt.

Ein alter Renn- oder Kampf-Platz, welcher durch Verwüstung gleichsam in zween Theile abgesondert, und grossen Theils schon mit Epheu, Dornen und andern wilden Gesträuchen bewachsen ist.

Megacles auf einer Seite, welcher von dem Amyntas: hernach Aristäa auf der andern, welche von der Argene aufgehalten wird, ohne daß diese von jenen gesehen werden.

MEGACLES. Lasset mich gehen. Es ist umsonst, daß Ihr Euch meinem Vorhaben widersezen wollet.
AMYNTAS. Ach! Mein Freund, gehet doch einmal in Euch selbsten. Glaubet mir, es wird sich nicht allezeit, wann Ihr in Lebens-Gefahr seyd, ein Fischer finden, der Euch das Leben rettet. Der Himmel wird endlich auch müde, demjenigen, der seiner nur spottet, beystand zu leisten.
MEGACLES. Grausame Hülfe, unmenschliches Mitleiden! Warum will man mir den Tod versagen, da das Leben vor mich ein beständiger Tod ist. Amyntas, um des Himmels willen, lasset mich gehen.
AMYNTAS. Mit nichten.
ARISTÄA. Argene, lasset mich gehen.
ARGENE. Machet Euch keine Hofnung.
MEGACLES. Ich kan und soll nicht mehr ohne die Aristäa leben.
ARISTÄA. Ich will sterben, wo der Megacles gestorben ist.
AMYNTAS. Wartet. Zum Megacles.
ARGENE. Höret. Zur Aristäa.
MEGACLES. Warum soll ich warten?
ARISTÄA. Was soll ich hören?
MEGACLES. Es ist kein Trost mehr vor mich übrig.
ARISTÄA. Ich habe in der Welt nichts mehr zu hoffen.
MEGACLES. Mich beym Leben zu erhalten ….
ARISTÄA. Mich an dem Tode zu hindern ….
MEGACLES. Bemühet Ihr Euch umsonst.
ARISTÄA. Hoffet Ihr vergeblich.
AMYNTAS. Bleibet hier. Indem er den Megacles aufhalten will, der ihme entfliehet.
ARGENE. Höret Unglückselige. Indeme sie die Aristäa aufhalten will, wie oben.
ARISTÄA. O Himmel! Da sie in der Mitte der Schaubühne einander begegnen.
MEGACLES. O ihr Götter!
ARISTÄA. Megacles!
MEGACLES. Prinzeßin!
ARISTÄA. Undanckbarer! Also hasset Ihr mich der gestalten, daß, wenn ich, um mit Euch vereinbaret zu werden, dem Tod entgegen eile, Ihr so gar wieder lebendig werdet?
MEGACLES. Wertheste Aristäa, sehet, auch so weit erstrecket sich mein Unglück, daß ich nicht einmal sterben kan, sondern alle Zugänge nach dem Tode verschlossen finde.
ARISTÄA. Was hat Euch aber für eine mitleidige Hand …

Zweyter Auftritt.

Alcander, und die vorige.

ALCANDER. O eine gottlose, unsinnig- und lasterhafte Vermessenheit!
ARISTÄA. Alcander, kommt ihr abermalen, um uns ein neues Unglück zu verkündigen?
ALCANDER. In diesem Augenblick hat es wenig gefehlt, daß der König euer Vater das Leben verlohren hätte.
ARISTÄA. Wie so?
ALCANDER. Ihr wisset, daß nach altem Gebrauch dieser Tag mit einem feyerlichen Opfer beschlossen werden solle. Da nun der König in Begleitung seiner Leibwache in solcher Absicht sich nach dem Tempel erhobe, so kame der freche Licidas mit gewafneter Hand auf einmal ganz unvermuthet zum Vorschein, drang mit Ungestümm auf uns los, warffe die Leibwache übern Haufen, überfiele den König mit entblößtem Dolch, und schrye mit rasender Stimme: Du must sterben ….
ARISTÄA. O ihr Götter!
ALCANDER. Der König veränderte weder Farbe noch Stellung, sondern sahe ihne mit ernsthaften Blicken starr an, und sprache auf eine gebieterische Weise: Vermessener, was thust du? Auf diese Worte, (sehet, wie der Himmel das Leben der Könige beschüzet) erstarrete der ergrimmte Jüngling, hielte den ausgeregten Arm mitten im Groß unbeweglich in der Höhe, erstaunte vor dem Anblick des Königs, erblaßte, fienge an zu zittern, liesse den Dolch fallen, und weinete bitterlich.
ARISTÄA. Ich erhohle mich wieder.
ARGENE. O Raserey!
AMYNTAS. O Unbesonnenheit!
ARISTÄA. Was thut aber anjezo mein Vater?
ALCANDER. Er hat den Schuldigen in Fesseln legen lassen.
AMYNTAS. (Ach! Man suche diesen Unglückseligen zu retten.) Gehet ab.
MEGACLES. Und was sagt denn Licidas?
ALCANDER. Er antwortet auf keine Frage. Er ist des Todes schuldig, und scheinet doch, als wüste er es entweder nicht, oder bekümmerte sich nichts darum. Er ruffet immer mit kläglicher Stimme seinem Megacles, fraget bey jedermann nach ihme, und will ausser ihme von nichts wissen, und nichts hören.
MEGACLES. Ich kan mich nicht länger enthalten. Wer führet mich, um des Himmels willen, zu meinem Freund?
ARISTÄA. Unbesonnener, zu was solle es dienen? Mein Vater weißt, daß Ihr Megacles seyd, und ihne hintergangen habt. Ihr gehet Eurem eigenen Unglück entgegen, wenn Ihr Euch vor dem König sehen laßt, ohne daß Ihr Euren Freund zu retten im Stande seyd.
MEGACLES. So theile ich doch selbiges mit meinem Prinzen, und sterbe wenigstens mit Ihme. Er will weggehen.
ARISTÄA. Höret. Haltet Ihr nicht für besser, wenn ich selbst hingehe, und den beleidigten Vater zu besänftigen trachte?
MEGACLES. Ach Prinzeßin! Sollte ich Euch wohl dieses zumuthen dörffen?
ARISTÄA. Ja. Es ist nichts, so ich Euch nicht gerne zu Gefallen thue.
MEGACLES. O großmüthige, und mitleidige Aristäa! Ich habe ja gleich von dem Augenblick an, da ich Euch das erstemal gesehen, Eure ohnvergleichliche und die Menschheit übertreffende Eigenschafften bewundert. Gehet meine Geliebte ….
ARISTÄA. Ach! Es ist genug, und ohnnöthig, mich dazu aufzumuntern. Ein Blick von Euch vereiniget schon meinen Willen mit dem Eurigen.
Geliebter, ich bin dergestalten mit Euch verbunden, daß ich die Regungen eures Herzens auch in dem Meinigen fühle.
Ich theile Leid und Freude mit Euch, und all mein Verlangen stimmt mit dem Eurigen überein. Gehet ab.

Dritter Auftritt.

Megacles, und Argene.

MEGACLES. O ihr Götter! Unterstützet das Mitleiden der Aristäa.
ARGENE. Ach! Bekümmert Euch nicht so viel um ihne; Ihr sehet ja, daß der Himmel seiner müde ist: Uberlasset ihn seinem Schicksal.
MEGACLES. Ich solle meinen Freund verlassen, und nicht alles mögliche zu seiner Rettung anwenden! Nein, so niederträchtig könnte ich nicht seyn.
Ich habe dennselben in glücklichen Umständen gefolget: Ich will ihne nun auch im Unglück nicht verlassen.
Gleichwie das Gold durchs Feuer gereiniget wird, also werden getreue Freunde durch widrige Zufälle bewähret. Gehet ab.

Vierter Auftritt.

Argene, hernach Amyntas.

ARGENE. Auch Ich habe wider meinen Willen Mitleiden mit Ihme. Ich möchte Ihm zwar gerne feind seyn, hätte auch Ursache dazu, allein mitten im Zorn, und da der Mund voll Drohens ist, fängt das Herz zu seufzen an.
AMYNTAS. Ich Armseliger! Wo fliehe ich hin? O betrübter Tag! O unglückseliger Licidas!
ARGENE. Ist er vielleicht todt?
AMYNTAS. Nein, er wird es aber bald seyn.
ARGENE. O armer Prinz! O ihr Götter!
AMYNTAS. Was hilft das Weinen?
ARGENE. Ist Aristäa noch nicht beym Könige gewesen?
AMYNTAS. Ja, hat aber nichts erlangen können. Entweder will, oder kan Er ihr nicht willfahren.
ARGENE. Und was macht dann Megacles?
AMYNTAS. Der Elende ist unter die Wache, die ihre eben aufsuchte, gerathen. Nun liegt Er in Fesseln, und verlangt nichts anders als für seinen Freund zu sterben. Er würde es auch ohne Zweifel erhalten, wenn er nicht selbsten ein Ubelthäter wäre; ein Schuldiger aber kan für den andern nicht sterben.
ARGENE. Er hat doch das Seinige gethan. O Herz hafftigkeit! O Großmuth! Kan ich es wohl ohne Scham anhören? Soll denn die Freundschaft stärcker als die Liebe seyn? Ach! Wie heftig fühle ich mich zur Nachahmung angetrieben! Ja: wir wollen uns verherrlichen, und der Nachwelt ein Exempel geben: Meine That soll bewunderung und Mitleiden verursachen, und mit der Zeit Niemand meinen Namen, ohne Thränen zu vergiessen, nennen können.
Eine unbekannte Flamme steiget in meiner Seelen auf: Ich empfinde die Kraft der Liebe, die mich begeistert, entzündet, und über mich selbsten erhebet.
Ich habe schon die Eisen und Bande, die Beile, und andere Schrecken-Bilder des Todes vor Augen. Ich sehe sie, ohne mich davor zu entsezen. Gehet ab.

Fünfter Auftritt.

AMYNTAS allein. Fliehe, rette dich, Amyntas; denn hier ist alles voll Schrecken und Tod. Wohin soll ich aber ohne den Licidas gehen? Ich habe ihne mit so grosser Mühe auferzogen, und als ein Kind von unbekandtem Herkommen zu einem Königlichen Prinzen erhöhet: Und jezo solle ich mich ohne denselben von hier begeben? Nein. Ich will nach dem Tempel zurück kehren, mich dem erzürnten und beleidigten König unter Augen stellen, an dem Unglück des Licidas auch Theil nehmen, und wenigstens vor Leidwesen mit ihme zu gleicher Zeit sterben.
Ich bin gleich einem Reisenden, der auf einem unbekannten Meer Schiffbruch gelitten, und nun schwimmend mit dem Tode ringet.
Bald verlieret er ein Brett, wordurch er sich retten wollte, bald einen Stern, der ihme als Wegweiser diente: Endlich entgehet ihme auch die Hoffnung, und er muß sich denen Wellen überlassen. Gehet ab.

Sechster Auftritt.

Der grosse Tempel des Olympischen Jupiters nach seiner äusserlichen Gestalt, mit einer grossen und sehr kostbaren Treppe, welche mit zerschiedenen Ruhe-Plätzen versehen ist. Ein Vorhof, und in der Mitte desselben ein zum Opfer zugerichteter Altar. Rings umher ein Wald von wilden Oliven, deren man sich zu Verfertigung der Kränze vor die überwindende Kämpfere zu bedienen pflegte.

Clisthenes steiget von dem Tempel herab, vor welchem ein zahlreiches Volck, die Leibwache, der Licida in weisser Kleidung mit Blumen gekrönet, der Alcander, und der Priester-Chor gehet, deren einige auf goldenen Becken die zum Opfer erforderliche Werckzeuge tragen.

CHOR. Ach! Du Vater der Götter, und König aller Könige, wende deinen Zorn von uns ab.
CLISTHENES. Unglückseliger Jüngling! Es ist nun an deme, daß du in wenigen Augenblicken den Lauff deines Lebens beschliessen sollest. Die Götter wissen es, daß ich dich ohne besonderes Mitleiden nicht ansehen kan. Ich wollte wünschen, mein Sohn, daß ich dein begangenes Verbrechen nachsehen könnte; es stehet aber nicht bey mir. Die Kö nigliche Majestät und Würde, welche ich von meinem Vorfahrer unverletzet empfangen habe, muß ich eben auch so unverlezet oder wenigstens nicht ungerochen meinem Nachfolger abtretten. Seinem Mitleiden gewisse Schrancken sezen, ist zwar eine beschwehrliche aber nothwendige Regenten- Pflicht, wovon ich dahero auch gegenwärtig, ob ich gleich gerne wollte, nicht abgehen kan. Woferne du aber, ausser dem Leben noch sonsten etwas zu verlangen hättest, so sage es frey heraus: ich verspreche dir darinnen zu willfahren. Fordere, mein Sohn, was du willst, und schliesse hernach deine Augen im Frieden.
LICIDAS. Mein Vater, (denn diese Austrücke sind mehr eines Vaters als Richters und Königes,) ich verdiene keine Gnade, hoffe, begehre, und wünsche mir auch keine, indeme mir das Schicksal mein Leben dergestalten entleidet, daß ich selbiges mehr als den Tod verabscheue. Das einzige so ich wünsche, und die lezte Gnade, um welche ich bitte, bestehet darinnen, daß ich meinen Freund, weil er ja noch am Leben ist, vor meinem Ende noch einmal sehen, und umarmen möchte; alsdann will ich mit Freuden sterben.
CLISTHENES. Es soll geschehen. Zu der Wache. Ihr von der Wache bringet den Megacles herbey.
ALCANDER. Herr, Ihr weinet? Was für ein ausseror dentliches Mitleiden hat Euch eingenommen?
CLISTHENES. Alcander, wenn ich die Wahrheit sagen solle, so verursachet mir die Gestalt und die Stimme dieses Jünglings ganz ausserordentliche Bewegungen, die ich in allen Andern empfinde. Ich mag dencken und mir vorstellen, was ich will, so kan ich keine Ursache davon finden. Gerechte Götter, was soll dieses bedeuten?
Ich weis nicht, wo diese zärtliche Neigung, diese ungewöhnliche Milde und das eißkalte Weesen, so mir durch alle Adern dringet, herrühret.
Das bloße Mitleiden kan meines Erachtens nicht hinlänglich seyn, dergleichen heftige Regungen in meinem Gemüthe zu verursachen.

Siebender Auftritt.

Megacles mit der Wache, und die vorige.

LICIDAS. Ach, werthester Megacles, herrliches Beyspiel der wahren Freundschaft, mein theurester Megacles, kommet!
MEGACLES. Ach, armseliger Prinz, in was für einem Zustande erblicke ich Euch!
LICIDAS. Nun sterbe ich mit Freuden, da ich Euch wieder am Leben sehe.
MEGACLES. Was hilft mich ein Leben, so ich vergeblich für das Eurige darbiete. Ihr werdet aber gewißlich nicht lange vorangehen, Licidas. Auch unsere Geister sollen in unzertrennlicher Gemeinschafft die Todes-Straffe durchwandern.
LICIDAS. Ihr waret bisher, je nachdeme es dem Schicksal gefallen, in Freud und Leid mein theurer Gefährde, und jezo müssen wir voneinander scheiden …. Weil dieses nun die lezte Augenblicke unserer Gesellschaft sind, so reichet mir eure getreue Hand, und höret mich an: Ihr möget es als eine Bitte, oder als einen Befehl annehmen, so will ich, daß Ihr leben sollet. Ach! mitleidiger Freund, drucket mir doch mit eigener Hand die Augen zu, und erinnert Euch meiner. Kehret nach Creta zu meinem Vater zurück …. (O armer Vater! Wie sehr wird dir mein Schicksal zu Herzen gehen.) Ach! Traget Ihme diese betrübte Geschicht auf keine so empfindliche Art vor. Helfet dem bekümmerten Alten, stehet ihme bey, tröstet ihne, und lasset Euch denselben empfohlen seyn. Wenn er weinet, so mildert seinen Schmerzen, und wenn er einen Sohn will, so lasset Euch dafür aufnehmen.
MEGACLES. Schweiget: Ihr machet mich vor Leyd sterben.
CLISTHENES. Alcander, ich kan mich des Mitleidens nicht mehr enthalten. Beobachtet diese Gebärden, die wiederhohlte Umarmungen, die zärtliche Seufzer, und die lezte mit bittern Thränen vermischte Küsse. Was thut nicht die Menschheit!
ALCANDER. Herr, die zum Opfer bestimmte Zeit vergehet.
CLISTHENES. Es ist wahr. Holla! Ihr Priester nehmet das Schlachtopfer. Und Ihr von der Wache sondert diesen von dem unglückseligen Freund. Sie werden durch die Priester, und die Wache von einander getrennt.
MEGACLES. Grausame, Ihr habt mir mein Herz aus meiner Brust gerissen.
LICIDAS. Ach liebster Freund!
MEGACLES. Ach theurer Prinz!
LICIDA, MEGACLES. Lebet wohl!
LICIDAS. Liebster Freund, der Himmel lege euren Tagen diejenige bey, deren mich das Schicksal beraubet.
MEGACLES. Ach! Ich will auch mit Euch sterben.
CLISTHENES. Was für ein schmerzlicher Zeit- Punct, o ihr Götter! Es gibt keine grössere Pein.
LICIDAS. Ihr sollt leben.
MEGACLES. Was ist dieses für ein Befehl?
CLISTHENES. O trauriges Schauspiel!
LICIDAS. Ihr sollt mich …
MEGACLES. Lasset Euch …
LICIDAS, MEGACLES. Nochmals umarmen.
CLISTHENES, LICIDAS, MEGACLES. Ich kan dieses Herzenleid nicht mehr ausstehen.
MEGACLES. Prinz …
LICIDAS. Freund …
MEGACLES, LICIDAS. (O ihr Götter!) Lebet wohl.
CHOR. Ach! Du Vater der Götter, und König aller Könige, wende deinen Zorn von uns ab. Mittlerweile, als der Chor gesungen wird, kniet Licidas vor dem Altar neben den Priester hin. Der König nimmt das geheiligte Beil, welches ihme von einem Priester auf einem Becken gereichet wird, und, indeme er dasselbe dem Hohenpriester zustellet, finget er unter einer kläglichen Music folgende Verse.
CLISTHENES. Grosser Jupiter, du Vater der Menschen, und Gott aller Götter, nach dessen Winck der Himmel, die Erde, und das Meer sich beweget: Von dessen Kraft alles Geschaffene erfüllet ist: Und von dessen Hand die Ursachen aller und jeden Zufälle in einer unzertrennlichen Folge abhangen: Lasse dir dieses geheiligte Schlachtopfer gefallen, damit selbiges uns von der androhenden Straffe befreyen möge. Da er eben das Beil dem Priester geben will, kommt die Argene dazwischen.

Achter Auftritt.

Argene, und die vorige.

ARGENE. Herr, haltet ein. Haltet ein Ihr Priester.
CLISTHENES. Was ist das vor eine verwegene That! Schäferin, weißt du nicht, was für ein Werck du stöhrest?
ARGENE. Ich komme vielmehr, dasselbe dem Jupiter desto angenehmer zu machen. Ich biete Euch hier ein freywillig- und unschuldiges Opfer an, welches für den Schuldigen zu sterben willig und bereit ist.
CLISTHENES. Und was für eines?
ARGENE. Mich Selbsten.
MEGACLES. (O edle Treu!)
LICIDAS. (O wie werde ich beschämet!)
CLISTHENES. Du solltest aber wissen, daß dem weiblichen Geschlecht für das Männliche zu sterben nicht erlaubt ist.
ARGENE. Man verwehret aber einer Gemahllin nicht, für ihren Gemahl zu sterben. Auf solche Art weis ich, daß die Alceste den Admetus von Thessalien beym Leben erhalten hat, deren Beyspiel hernachmals zu einem Gesetz unter uns erwachsen ist.
CLISTHENES. Was folget daraus? Bist dann du des Licidas Gemahlin?
ARGENE. Er hat mir deswegen Hand und Treue ge geben.
CLISTHENES. Lycoris, ich bin thörichter als du, weilen ich dich so lange anhöre. Also soll eine verächtliche Schäferin eines Königlichen Prinzen ….
ARGENE. Ich bin keine verächtliche Person, und nenne mich auch nicht Lycoris: Argene ist mein Name: in Creta bin ich gebohren, und stamme von einem vornehmen Geschlecht ab. Licidas soll sagen, ob ich die Wahrheit rede oder nicht.
CLISTHENES. Licidas, rede.
LICIDAS. (Die Unwahrheit ist dieses mal ein Mitleiden.) Nein es ist nicht wahr.
ARGENE. Wie könnet Ihr dieses läugnen? Undanckbarer, wendet Euch um, und erkennet euer Geschencke, wenn Ihr mich nicht erkennen wollet. Dieses Halsband habe ich von Euch zu eben der unglückseligen Zeit bekommen, als Ihr mir geschworen habt, daß ich Eure Gemahlin seyn solle.
LICIDAS. (Es ist leider! nur gar zu wahr.)
ARGENE. Herr, sehet es hier.
CLISTHENES. Man führe Sie hinweg. Zur Wache, die sie mit Gewalt fortführen will.
ARGENE. Ich bezeuge hiermit öffentlich vor dem ganzen Volck, vor denen Priestern, und vor allen Göttern, wenn je zu glauben ist, daß einer diesem ungerechten Opfer anwohnen könne: und schwöre zugleich, daß ich des Licidas Gemahlin bin, und für ihne sterben will: Es solle auch kein …. Prinzeßin, ach! kommet, und stehet mir bey, denn euer Vater will mich nicht anhören.

Neunter Auftritt.

Aristäa, und die vorige.

ARISTÄA. Glaubet mir, mein Vater, sie verdienet Mitleiden.
CLISTHENES. Also wollet Ihr, ich solle eben so leichtglaubig wie Ihr seyn? Redet; aber mit wenigen Worten. Zur Argene.
ARGENE. Dieses mit Edelgesteinen besezte Halsband solle reden, Sie reichet dem Clisthenes das Halsband. ich will schweigen. Prangen die Schäferinnen in Elis mit dergleichen Kostbarkeiten?
CLISTHENES. O wehe! Was sehe ich? Er beschauet es, und ist darüber bestürzt. Alcander, kennet Ihr dieses Halsband?
ALCANDER. Warum solle ich es nicht kennen? Es ist das nemliche, welches euer Prinz um sich hatte, als Ihr mir den Befehl ertheiltet, selbigen bey seit zu thun.
CLISTHENES. Licidas, (O ihr Götter! ich zittere am ganzen Leibe.) Licidas, stehe auf, und siehe: Ist es wahr, daß sie dieses von dir zum Geschencke bekommen?
LICIDAS. Sie darf deßwegen dennoch nicht für mich sterben; denn der Verspruch geschahe in geheim, und ware mithin ungültig: so ist auch die Vermäh lung noch nicht würcklich zu stande gekommen.
CLISTHENES. Ich will nur wissen, ob dieses ein Geschencke von dir seye.
LICIDAS. Ja.
CLISTHENES. Von wem hast du es bekommen?
LICIDAS. Amyntas hat es mir gegeben.
CLISTHENES. Wer ist dieser Amyntas?
LICIDAS. Er ware mein Hofmeister.
CLISTHENES. Wo ist er?
LICIDAS. Er ist mit mir anhero nach Elis gekommen.
CLISTHENES. Man suche diesen Amyntas.
ARGENE. Hier ist er wircklich.

Zehender Auftritt.

Amyntas, und die vorige.

AMYNTAS. Ach! Licidas …. Er will ihne umarmen.
CLISTHENES. Schweige. Antworte, und sage die Wahrheit. Woher hast du dieses Halsband?
AMYNTAS. Herr, ich habe es schon vor fünfzehen Jahren von einer unbekannten Hand zum Geschencke bekommen.
CLISTHENES. Wo warest du damals?
AMYNTAS. Nicht weit von Corinth, dorten, wo der Asopus ins Meer lauft.
ALCANDER. (Was sehe ich? Indeme er den Amyntas genau betrachtet. Dieses Gesicht ist mir bekandt: Ich betriege mich nicht: er ist es gewiß.) Mein König, ich bekenne meinen begangenen Fehler. Er wirft sich dem König zu Füssen. Ach! Verzeihet mir: ich will alles getreulich sagen.
CLISTHENES. Stehet auf, und redet.
ALCANDER. Ich habe aus Mitleiden das Kind nicht, wie Ihr befohlen gehabt, an dem Meer ausgesezt, sondern diesem Fremden und Unbekannten, der eben von ohngefehr zu mir kam, geschencket, in Hoffnung, daß er selbiges in weit entfernte Länder mit sich fortnehmen würde.
CLISTHENES. Und wo ist dieses Kind, Amyntas? Was hast du damit gemacht?
AMYNTAS. Ich … (Was für ein Geheimniß muß ich entdecken!)
CLISTHENES. Du erblassest? Rede und gestehe was hast du damit angefangen? Sonsten wirst du dich durch Stillschweigen nur eines neuen Verbrechens schuldig machen.
AMYNTAS. Herr, es stehet neben Euch: Licidas ist es.
CLISTHENES. Wie? Ist denn Licidas nicht ein Prinz von Creta?
AMYNTAS. Der ächte Prinz von Creta ist in der Wiegen gestorben. Zu eben derselbigen Zeit bin ich mit dem Licidas, der von gleichem Alter gewesen, nach Creta zurück gekommen, und habe selbigen dem König, welcher noch über jenen Todesfall betrübt gewesen, angebotten, auf mein Anrathen hat er Ihne an des verstorbenen Kindes statt aufgenommen, und als seinen Prinzen erziehen lassen.
CLISTHENES. Ach, ihr Götter! Dieses ist Philintus, dieses ist mein Sohn. Indeme er ihn umarmet.
ARISTÄA. O Himmel!
LICIDAS. Ich bin euer Sohn?
CLISTHENES. Ja. Du wurdest mir zu gleicher Zeit mit der Aristäa gebohren. Allein das Oracul zu Delphi verkündigte mir die bevorstehende Gefahr, daß du mir nach dem Leben trachten würdest. Um dieser zu entgehen, habe ich dich als ein Kind an dem Meere aussetzen lassen.
LICIDAS. Jezt verstehe ich, warum mich so ein Grauen überfiele, als ich die Hand gegen Euch ausgestreckt hatte.
CLISTHENES. Jezt verstehe ich, warum ich so ein ausserordentliches Mitleiden fühlte, als ich dich ansahe.
AMYNTAS. Glückseliger Vater!
ALCANDER. Ihr könnet heute viele auf einmal glücklich machen.
CLISTHENES. Ich wünschte es auch, und möchte gerne der Argene den Philintus, meinen Sohn, und der Aristäa den Megacles zum Bräutigam geben; alleine Philintus ist des Todes schuldig.
MEGACLES. Er ist dessen nicht mehr schuldig, wenn er euer Sohn ist.
CLISTHENES. Also wären die Fehler dererjenigen, die mir zugehören unsträflich? Alle meines gleichen haben sich hierinnen starckmüthig bewiesen, und ich solle allein ein Beyspiel der Schwachheit abgeben? Nein, die Welt solle dieses nicht von mir hören und erfahren. Holla, ihr Priester, zündet das Feuer auf dem Altar wieder an. Und, du mein Sohn sterbe: ich werde dir in weniger Zeit folgen.
AMYNTAS. O unmenschliche Gerechtigkeit!
ALCANDER. O barbarische Tugend!
MEGACLES. Herr, haltet ein. Ihr könnet ihne nicht verurtheilen. Ihr seyd König in Sicyon, nicht aber in Olympia. Der Tag eures Richter-Amts ist verflossen, und der Schuldige ist nunmehro dem allgemeinen Urtheil des Volcks unterworfen.
CLISTHENES. Wohlan, so lasse man es dann auf den allgemeinen Ausspruch ankommen. Ich will zum Besten des Schuldigen weder bitten, noch befehlen, oder anrathen.
CHOR DER PRIESTER, UND DES VOLKES. Es lebe der schuldige Sohn, auf daß nicht um seinetwillen der unschuldige Vater gestrafet werde.
So soll auch weder die heutige Freude in Leid verwandelt, noch das heilige Werk durch ein so hartes Verfahren gestöret werden.

Ende der dritten Abhandlung.

Admetus und Alceste, ein Tragischer Tanz.

Die Schaubühne stellt einen nach alter Art erbauten Tempel vor. In der Mitte desselben stehet ein Altar, und um denselben der Hohe- und die übrige Priester.

Erster Auftritt.

Alceste und Admetus nebst ihrem zahlreichen Gefolge befinden sich zu beeden Seiten. Amor führet den Admetus, und Himen die Alceste zum Altar, allwo sie einander ewige Treue schwöhren. Beede Liebes-Götter zünden ihre Facklen an, und das Volck bezeuget durch einen Tanz sein Vergnügen über diese glückliche Verbindung.

Zweyter Auftritt.

Admetus will die Alceste überreden, ihren Schleyer, der ihne, ihre schöne Gesichts-Bildung zu sehen, verhindert, abzunehmen; und, da sie solches zu thun verweigert, erscheinet Amor, und ziehet selbigen hinweg: worauf Alceste sich in die Arme ihres Gemahls übergibt.

Dritter Auftritt.

Läßt sich ein unterirdisches Getöse hören. Der Tempel wird durch ein dickes Gewölcke verfinstert; Der Altar zittert; Apollo erscheinet in einer Glorie mit einem Dolch in der Hand, und wirfft selbigen mitten unter das Volck; Zu gleicher Zeit siehet man den Altar in Flammen, und an demselben mit feuerigen Buchstaben die Worte:

Admetus wird sein Leben verliehren, woferne sich nicht jemand vor Ihne zum Schlachtopfer dargeben wird.

Admetus und Alceste entsetzen sich hierüber vor Schrecken; Das Volck weichet vor Angst zurück; Die Priester geben ihre Verrichtungen auf, und Niemand will sein Leben vor seinen König anbieten. Admetus empfindet schon die Würckungen dieser erschrecklichen Verkündigung: seine Höfflinge verlassen ihne, sein Volck fliehet ihn, und sein Vater und Mutter, ob sie schon bey Jahren sind, weigern sich doch vor ihne zu sterben; feine Leibes und Gemüths-Krässten nehmen einstweilen mercklich ab, sein Cörper verliehret nach und nach alle Empfindung, sein Gesicht erblaßt, die Füsse zittern und entgehen ihm. Alceste, welche hierüber verzweiflen will, thut alles mögliche um ihme zu Hülffe zu kommen; da aber solches vergeblich ist, und er endlich sterbend vor den Altar hinsincket: so ergreifft sie ohne längeres Verweilen einen Dolch, stosst sich selbigen in die Brust, und fällt in die Arme ihres Frauenzimmers: worauf Admetes augenblicklich wiederum zu sich selber kommt. Wie groß aber ist nicht seine Betrübniß, als er die Alceste in solchen Umständen erblicket? Er gehet eilends auf sie zu, faßt sie in seine Arme, und gibt sich vergebliche Mühe, sie wiederum lebend zu machen; aus Verzweiflungüber diesen Verlust, will er sich entleiben. Er ruft die Götter, den Dolch in der Hand haltend, zu Hülffe, und da er keine Erhörung findet, ist er im Begriff sich zu erstechen. Seine Freunde aber lauffen hauffenweiß hinzu, wiedersezen sich seinem grausamen Vorhaben, und reissen ihme den Dolch aus der Hand. Admetus, deme sein Leben entleidet ist, gerathet hierüber in völlige Raserey, und schlägt sich mit allen herum, muß aber endlich doch der Ueberlegenheit weichen, und fällt ganz entkräfftet und sinnloß in die Arme seiner Hofbedienten zurück. Alsdann vergehet das finstere Gewölcke, die Lufft haitert sich wiederum auf, und der ganze Olympus kommt mit allen Gottheiten zum Vorschein. Alceste und Admetus werden durch Hülffe des Amors wiederum lebendig, worüber sie ihre Bestürzung und Freude zu erkennen geben. Beede lauffen gegen einander: Admetus wirfft sich der Alceste zu Füssen, die ihne mit allen Kennzeichen der wahren Zärtlichkeit umarmet.

Hierauf fangt der allgemeine Tanz an, welcher sich durch die darzwischen kommende Tänze der Gottheiten auf mancherley Art verändert. Am ende des Tanzes kommen alle auf einem Hauffen zusammen, über welchem sich alsdann ein Baldachin von oben herab ausbreitet, der von Liebes-Göttern und Zephiren unterstüzet und getragen wird.