003
Der Sünder hob vom schauderhaften Mahle
Den Mund, ihn rein-sich-wischend an den Haaren
Des Hinterkopfs, dem er zerbrach die Schale,
La bocca sollevò dal fiero pasto
quel peccator, forbendola a' capelli
del capo ch'elli avea di retro guasto.
006
Drauf sprach er: »Soll ich wieder offenbaren
Verzweiflungspein, drob mir das Herz will brechen
Beim Denken schon, und soll sie neu erfahren?
Poi cominciò: "Tu vuo' ch'io rinovelli
disperato dolor che 'l cor mi preme
già pur pensando, pria ch'io ne favelli.
009
Doch kann ich Worte säen, draus dem Frechen,
Den ich zerfleische, Schmach und Schande sprießen,
Sollst du zugleich mich weinen sehn und sprechen.
Ma se le mie parole esser dien seme
che frutti infamia al traditor ch'i' rodo,
parlare e lagrimar vedrai insieme.
012
Nicht weiß ich, wer du bist, noch wer erschließen
Das Höllentor dir durfte - doch mir scheint,
Ich hörte Florentiner Wohllaut fließen.
Io non so chi tu se' né per che modo
venuto se' qua giù; ma fiorentino
mi sembri veramente quand'io t'odo.
015
Vernimm: dass Ugolono vor dir weint,
Erzbischof Rogier ist’s, den ich zerbissen;
Nun hör, warum dem Nachbar ich vereint.
Tu dei saper ch'i' fui conte Ugolino,
e questi è l'arcivescovo Ruggieri:
or ti dirò perché i son tal vicino.
018
Dass sein Verrat die Freiheit mir entrissen,
Weil ich vertrauend ihm ins Garn gegangen,
Und dann den Tod erlitt - das wirst du wissen.
Che per l'effetto de' suo' mai pensieri,
fidandomi di lui, io fossi preso
e poscia morto, dir non è mestieri;
021
Doch nicht zu Ohren konnte dir gelangen,
Welch schändlich-martervollen Tod ich fand -
Vernimm und sprich: ob Schlimmres wer empfangen?
però quel che non puoi avere inteso,
cioè come la morte mia fu cruda,
udirai, e saprai s'e' m' ha offeso.
024
Ein enges Loch in meines Kerkers Wand -
Den man nach mir den ‚Hungerturm’ benennt
Und der seitdem noch manchen festgebannt -
Breve pertugio dentro da la Muda,
la qual per me ha 'l titol de la fame,
e che conviene ancor ch'altrui si chiuda,
027
Ließ manchen Monat mich vom Firmament
Ablesen schon, bis mir ein Traum voll Grauen
Der Zukunft dunkeln Schleier jäh zertrennt.
m'avea mostrato per lo suo forame
più lune già, quand'io feci 'l mal sonno
che del futuro mi squarciò 'l velame.
030
Ich sah hier den als Jagdherrn durch die Auen
Zu j e n e m Berg hinhetzen Wolf samt Jungen,
Der Pisa wehrt, nach Lucca hinzuschauen.
Questi pareva a me maestro e donno,
cacciando il lupo e ' lupicini al monte
per che i Pisan veder Lucca non ponno.
033
Als Treiber sah ich frisch-vorausgesprungen
Gualandi schon, Sismondi und Lanfranken
Mit Hunden sehnig, gierig, stark von Lungen,
Con cagne magre, studïose e conte
Gualandi con Sismondi e con Lanfranchi
s'avea messi dinanzi da la fronte.
036
Und sah nach kurzem Lauf ermattend schwanken
Den Wolf und seine Wölflein, sah geschlagen
Rings scharfer Zähne Wut in ihre Flanken.
In picciol corso mi parieno stanchi
lo padre e ' figli, e con l'agute scane
mi parea lor veder fender li fianchi.
039
Drauf, jäh-erwacht, eh es begann zu tagen,
Hör ich im Schlafe wimmern meine Kleinen,
Um Brot mich anflehn und vor Hunger klagen.
Quando fui desto innanzi la dimane,
pianger senti' fra 'l sonno i miei figliuoli
ch'eran con meco, e dimandar del pane.
042
Hart wärst du, würde dir nicht hart erscheinen,
Was ahnend ich empfand im Herzensgrunde,
Und weinst du nicht, wann wirst du jemals weinen? -
Ben se' crudel, se tu già non ti duoli
pensando ciò che 'l mio cor s'annunziava;
e se non piangi, di che pianger suoli?
045
Die Kinder werden wach - es naht die Stunde,
Wo man uns sonst gespeist - im Antlitz spiegelt
Sich Unglücksahnung jedem in der Runde.
Già eran desti, e l'ora s'appressava
che 'l cibo ne solëa essere addotto,
e per suo sogno ciascun dubitava;
048
Da hör ich: - unten wird der Turm verriegelt -
Der ‚Hungerturm’ - vernagelt! - - Auf die Kleinen
Blick ich starr - bleich - den Mund vom Schreck versiegelt! ....
e io senti' chiavar l'uscio di sotto
a l'orribile torre; ond'io guardai
nel viso a' mie' figliuoi sanza far motto.
051
Ich weinte nicht, ich ward zu Stein im Innern
Sie weinten, und mein kleiner Anselmuccio
Sagte: "Du schaust so, Vater, fehlt dir etwas"
Io non piangëa, sì dentro impetrai:
piangevan elli; e Anselmuccio mio
disse: "Tu guardi sì, padre! che hai?".
054
Kein Wort - keine Träne ... ich saß und sagte
Kein Wort - und Tag und Nacht blieb ich im Schweigen,
Bis abermals das Licht des Ostens tagte,
Perciò non lagrimai né rispuos'io
tutto quel giorno né la notte appresso,
infin che l'altro sol nel mondo uscìo.
057
Das sich als goldner Streif beim Höhersteigen
In unsern Schreckenskäfig mühsam stahl,
Mir vier Gesichter - bleich wie meins - zu zeigen.
Come un poco di raggio si fu messo
nel doloroso carcere, e io scorsi
per quattro visi il mio aspetto stesso,
060
Da biss ich beide Hände mir vor Qual!
Die Kinder wähnten, es geschäh aus Gier
Und Hunger - und sie baten allzumal:
ambo le man per lo dolor mi morsi;
ed ei, pensando ch'io 'l fessi per voglia
di manicar, di sùbito levorsi
063
‚Vater, iss uns! und minder leiden wir.
Es ist dein Fleisch, das wir von dir empfangen;
Nimm das unselge wieder, nimm es dir!’
e disser: "Padre, assai ci fia men doglia
se tu mangi di noi: tu ne vestisti
queste misere carni, e tu le spoglia".
066
Sie zu ermutgen, musst ich mich bezwingen -
Es ward kein Laut zwei Tage lang vernommen - -
O Erde, konntest d u uns nicht verschlingen?
Queta' mi allor per non farli più tristi;
lo dì e l'altro stemmo tutti muti;
ahi dura terra, perché non t'apristi?
069
Und als das vierte Morgenrot entglommen,
Fiel Gaddo hin vor mir mit dumpfem Flehen:
‚O Vater, Vater, will nicht Hilfe kommen?’
Poscia che fummo al quarto dì venuti,
Gaddo mi si gittò disteso a' piedi,
dicendo: "Padre mio, ché non m'aiuti?".
072
Er lallt’s und stirbt. - So musst ich alle sehen,
Den - den - am fünften, sechsten Tag erbleichen -
Dicht vor mir, wie du m i c h siehst vor dir stehen! -
Quivi morì; e come tu mi vedi,
vid'io cascar li tre ad uno ad uno
tra 'l quinto dì e 'l sesto; ond'io mi diedi,
075
Blind tapp’ ich hin, zwei Tage lang die Leichen
Anrufend - bis auch m i r das Herz gebrochen,
Weil Schmerz der Macht des Hungers musste weichen!« -
già cieco, a brancolar sovra ciascuno,
e due dì li chiamai, poi che fur morti.
Poscia, più che 'l dolor, poté 'l digiuno".
078
Und stieren Auges, als er dies gesprochen,
Fiel er den Schädel wieder an, - der brach,
Als ob ein Hundsgebiss zermalmt den Knochen. -
Quand'ebbe detto ciò, con li occhi torti
riprese 'l teschio misero co' denti,
che furo a l'osso, come d'un can, forti.
081
Weh, Pisa, dir, des schönen Landes Schmach,
Wo man das Si hört süß und lieblich klingen -
Träg sehn die Nachbarn deinen Freveln nach!
Ahi Pisa, vituperio de le genti
del bel paese là dove 'l sì suona,
poi che i vicini a te punir son lenti,
084
Drum stauen soll und stillzustehen zwingen
Capraja und Gorgona Arnos Flut,
Dass er sie mag ersäufen und verschlingen!
muovasi la Capraia e la Gorgona,
e faccian siepe ad Arno in su la foce,
sì ch'elli annieghi in te ogne persona!
087
Sei’s wahr, dass Ugolinos Frevelmut
Verräterisch die Schlösser übergeben -
Warum hast du gequält das junge Blut?
Che se 'l conte Ugolino aveva voce
d'aver tradita te de le castella,
non dovei tu i figliuoi porre a tal croce.
090
Als Fürsprech diente doch - du neues Theben -
Dem Hugo, dem Brigata samt den beiden,
Die schon mein Lied genannt, ihr zartes Leben! - -
Innocenti facea l'età novella,
novella Tebe, Uguiccione e 'l Brigata
e li altri due che 'l canto suso appella.
093
Fortschritten wir aufs neu zu neuen Leiden
Und sahn Gestalten, rücklings-aufgestemmt,
Und so im Liegen ganz mit Eis sich kleiden.
Noi passammo oltre, là 've la gelata
ruvidamente un'altra gente fascia,
non volta in giù, ma tutta riversata.
096
Das Weinen selbst das Weinen ihnen hemmt,
Das Herzleid, das nicht kann nach außen tauen,
Wird innen angstvermehrend festgeklemmt.
Lo pianto stesso lì pianger non lascia,
e 'l duol che truova in su li occhi rintoppo,
si volge in entro a far crescer l'ambascia;
099
Eiszapfig sich die ersten Tränen stauen,
Dass sie, kristallnen Brillen zu vergleichen,
Die Augenhöhlen füllen vor den Brauen. -
ché le lagrime prime fanno groppo,
e sì come visiere di cristallo,
rïempion sotto 'l ciglio tutto il coppo.
102
Mir drohte von Empfindung jedes Zeichen
Zu schwinden zwar, weil durch den Frost mich schien
Hornhaut zu decken statt der frühern weichen -
E avvegna che, sì come d'un callo,
per la freddura ciascun sentimento
cessato avesse del mio viso stallo,
105
Jedoch ich fühlte einen Lufthauch ziehn
Und forschte: »Meister, kann sich Luft hier regen?
Muss nicht hier unten aller Dunst entfliehn?«
già mi parea sentire alquanto vento;
per ch'io: "Maestro mio, questo chi move?
non è qua giù ogne vapore spento?".
108
Und er: »Du gehst der Antwort bald entgegen;
Am rechten Ort wird dir dein Auge sagen,
Wie und warum sich Lüfte hier bewegen.« -
Ond'elli a me: "Avaccio sarai dove
di ciò ti farà l'occhio la risposta,
veggendo la cagion che 'l fiato piove".
111
Drauf hört’ ich eisumkrustet einen klagen:
»O Seelen, also sündhaft, dass vom Lichte
Zum tiefsten Schlund euch euer Los verschlagen,
E un de' tristi de la fredda crosta
gridò a noi: "O anime crudeli
tanto che data v'è l'ultima posta,
114
Löst mir den spröden Schleier vom Gesichte,
Macht Luft der Herzensangst mir armem Schemen,
Bevor sich neu zu Eis das Nass verdichte.«
levatemi dal viso i duri veli,
sì ch'ïo sfoghi 'l duol che 'l cor m'impregna,
un poco, pria che 'l pianto si raggeli".
117
Ich sprach: » Soll ich von dir die Binde nehmen,
Sag: wer du bist? Wenn ich mich falsch erzeige,
Will ich mich gleich zum tiefsten Eis bequemen.«
Per ch'io a lui: "Se vuo' ch'i' ti sovvegna,
dimmi chi se', e s'io non ti disbrigo,
al fondo de la ghiaccia ir mi convegna".
120
Und er: »Ich hab mit Obst vom bösen Zweige
Als Bruder Albrich meinen Feind verdorben,
nun speist mich hier die Dattel statt der Feige.« -
Rispuose adunque: "I' son frate Alberigo;
i' son quel da le frutta del mal orto,
che qui riprendo dattero per figo".
123
»Was?« rief ich aus, »auch du bist schon gestorben?«
Und er: »Wie’s oben meinem Körper gehe,
Drob hab ich keine Kenntnis noch erworben.
"Oh", diss'io lui, "or se' tu ancor morto?".
Ed elli a me: "Come 'l mio corpo stea
nel mondo sù, nulla scïenza porto.
126
Denn das ist Ptolemäas Vorzug: e h e
Noch Atropos mit ihrer Schere naht,
Stürzt schon die Seele her ins ewge Wehe.
Cotal vantaggio ha questa Tolomea,
che spesse volte l'anima ci cade
innanzi ch'Atropòs mossa le dea.
129
Doch dass du, williger zur Liebestat,
Von den verglasten Tränen mich befreist,
So wisse: wenn die Seele übt Verrat,
E perché tu più volontier mi rade
le 'nvetrïate lagrime dal volto,
sappie che, tosto che l'anima trade
132
Nimmt gleich Besitz vom Leib ein böser Geist,
Der statt der Seele darf darin regieren,
Bis wirklich einst ihr Lebensfaden reißt,
come fec'ïo, il corpo suo l'è tolto
da un demonio, che poscia il governa
mentre che 'l tempo suo tutto sia vòlto.
135
Sie aber stürzt zu diesen Eisrevieren.
Und so vielleicht auch weilt der Leib noch oben
Von jenem, den du hinter mir siehst frieren.
Ella ruina in sì fatta cisterna;
e forse pare ancor lo corpo suso
de l'ombra che di qua dietro mi verna.
138
Wissen musst du’s, der eben kommt von droben:
Herr Branca d’Oria ist’s, der jämmerlich
Vor Jahren in dies Eisloch ward geschoben.« -
Tu 'l dei saper, se tu vien pur mo giuso:
elli è ser Branca Doria, e son più anni
poscia passati ch'el fu sì racchiuso".
141
»Herr Branca d’Oria ist nicht tot,« sprach ich,
»Ich glaube wohl, du hast mich jetzt belogen,
Denn Branca isst, trinkt, schläft und kleidet sich.«
"Io credo", diss'io lui, "che tu m'inganni;
ché Branca Doria non morì unquanche,
e mangia e bee e dorme e veste panni".
144
Er aber sprach: »Noch eh vom Brückenbogen,
Allwo die Schar der Grausetatzen wacht,
Herr Michel Zanche tief ins Pech geflogen,
"Nel fosso sù", diss'el, "de' Malebranche,
là dove bolle la tenace pece,
non era ancora giunto Michel Zanche,
147
War Brancas Leib schon in des Dämons Macht,
Wie gleichfalls jenes Anverwandten Glieder,
Der mit als Helfer den Verrat vollbracht.
che questi lasciò il diavolo in sua vece
nel corpo suo, ed un suo prossimano
che 'l tradimento insieme con lui fece.
150
Jetzt aber, bitt ich, löse mir die Lider,
Streck’ aus die Hand! » - Doch fruchtlos blieb die Bitte -:
Zum Schelm an ihm zu werden, schien mir bieder!
Ma distendi oggimai in qua la mano;
aprimi li occhi". E io non gliel'apersi;
e cortesia fu lui esser villano.
153
O Genueser, Feinde jeder Sitte,
Zermalmte euch und alle eure Schande
Ein Strafgericht doch unter seinem Tritte!
Ahi Genovesi, uomini diversi
d'ogne costume e pien d'ogne magagna,
perché non siete voi del mondo spersi?
156
Traf ich beim schlimmsten aus Romagnas Lande
Doch eurer einen, dem schon arges Handeln
Die Seele schlug in des Cocytus Bande,
Ché col peggiore spirto di Romagna
trovai di voi un tal, che per sua opra
in anima in Cocito già si bagna,
159
Indes sein Leib noch droben scheint zu wandeln!
e in corpo par vivo ancor di sopra.

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