003
Noch zweifelt' ich ob der erloschnen Sehkraft;
Da ging ein Hauch von jener lichten Flamme,
Die sie geblendet, aus und hieß mich lauschen.
Mentr' io dubbiava per lo viso spento,
de la fulgida fiamma che lo spense
uscì un spiro che mi fece attento,
006
Er sagte: Bis in dir der Sinn des Auges
Erwacht ist, welchen du an mir verzehrtest,
Ziemt es, durch Reden ihm Ersatz zu bieten.
dicendo: «Intanto che tu ti risense
de la vista che haï in me consunta,
ben è che ragionando la compense.
009
Beginne denn, und wohin deine Seele
Sich kehre, sprich; doch halte dich versichert,
Daß deine Sehkraft schläft, nicht aber tot ist,
Comincia dunque; e dì ove s'appunta
l'anima tua, e fa ragion che sia
la vista in te smarrita e non defunta:
012
Indem die Herrin, die durch diesen hehren
Bezirk dich führt, in ihrem Blick die Kraft hat,
Die in der Hand des Ananias lag. -
perché la donna che per questa dia
regïon ti conduce, ha ne lo sguardo
la virtù ch'ebbe la man d'Anania».
015
Und ich: Früh oder spät genesen mögen,
Wie's ihr gefällt, die Augen, welche Pforten
Der Glut gewesen, die mich stets entzündet.
Io dissi: «Al suo piacere e tosto e tardo
vegna remedio a li occhi, che fuor porte
quand' ella entrò col foco ond' io sempr' ardo.
018
Das Heil, das diesen Hof zufriedenstellt,
Ist jeder Schrift, die laut mir oder leise
Die Liebe zum Gesetz macht, A und O. -
Lo ben che fa contenta questa corte,
Alfa e O è di quanta scrittura
mi legge Amore o lievemente o forte».
021
Dieselbe Stimme, welche mir die Furcht
Der plötzlichen Erblindung abgenommen,
Belud mich mit der Sorge weitren Redens.
Quella medesma voce che paura
tolta m'avea del sùbito abbarbaglio,
di ragionare ancor mi mise in cura;
024
Sie sagte: Wahrlich, ein noch eng'res Sieb
Bedarf's zu deiner Klärung; sagen sollst du,
Wer auf dies Ziel gerichtet deinen Bogen. -
e disse: «Certo a più angusto vaglio
ti conviene schiarar: dicer convienti
chi drizzò l'arco tuo a tal berzaglio».
027
Und ich: Durch Gründe der Philosophie
Und manches Zeugnis, das von hier herabstieg,
Hat solche Liebe sich mir eingeprägt.
E io: «Per filosofici argomenti
e per autorità che quinci scende
cotale amor convien che in me si 'mprenti:
030
Das Gut, sobald es nur als Gut erkannt wird,
Entzündet Liebe, und zwar um so größre,
Je mehr von Güte es in sich begreift.
ché 'l bene, in quanto ben, come s'intende,
così accende amore, e tanto maggio
quanto più di bontate in sé comprende.
033
Deshalb muß zu dem Wesen, das an Güte
So reich ist, daß von seinem Strahl ein Licht nur,
Was Gutes außer ihm sich findet, ist,
Dunque a l'essenza ov' è tanto avvantaggio,
che ciascun ben che fuor di lei si trova
altro non è ch'un lume di suo raggio,
036
Die Seele jedes, der die Wahrheit einsieht
Auf der mein Schluß beruht, in größrer Liebe
Als zu jedwedem andren sich bewegen.
più che in altra convien che si mova
la mente, amando, di ciascun che cerne
il vero in che si fonda questa prova.
039
Und meinen Geist versichert dieser Wahrheit
Der mir die erste Liebe schildert, welche
Die ewig dauernden Substanzen fühlen.
Tal vero a l'intelletto mïo sterne
colui che mi dimostra il primo amore
di tutte le sustanze sempiterne.
042
Gleichfalls versichert mich der Mund der Wahrheit
Die, von sich selber redend, sagt zu Mose:
Ich will dir alle meine Güter zeigen.
Sternel la voce del verace autore,
che dice a Moïsè, di sé parlando:
'Io ti farò vedere ogne valore'.
045
Auch du versicherst mich's in deiner hohen
Verkünd'gung Anfang, die vor allen andren,
Dort unten eu'r Geheimnis offenbart. -
Sternilmi tu ancora, incominciando
l'alto preconio che grida l'arcano
di qui là giù sovra ogne altro bando».
048
Und ich vernahm: Nach menschlicher Erkenntnis
Und nach dem Wort der Schrift, das jener beistimmt,
Gehört die höchste deiner Lieben Gott;
E io udi': «Per intelletto umano
e per autoritadi a lui concorde
d'i tuoi amori a Dio guarda il sovrano.
051
Doch sage ferner, ob noch andre Fäden
Dich zu ihm ziehn, so daß, mit wie viel Zähnen
Dich diese Liebe beiße, du verkündest. -
Ma dì ancor se tu senti altre corde
tirarti verso lui, sì che tu suone
con quanti denti questo amor ti morde».
054
Verborgen war mir nicht die heil'ge Absicht
Des Adlers Christi, und gar wohl erkannt' ich,
Wohin er leiten wollte mein Bekenntnis.
Non fu latente la santa intenzione
de l'aguglia di Cristo, anzi m'accorsi
dove volea menar mia professione.
057
Darum begann ich wieder: All' die Bisse,
Durch die das Herz zu Gott gewendet wird,
Sie haben mitgewirkt zu meiner Liebe.
Però ricominciai: «Tutti quei morsi
che posson far lo cor volgere a Dio,
a la mia caritate son concorsi:
060
Das Sein der Welt, sowie mein eignes Dasein,
Der Tod, den er erlitt, damit ich lebe,
Und das, was jeder Gläub'ge mit mir hofft.
ché l'essere del mondo e l'esser mio,
la morte ch'el sostenne perch' io viva,
e quel che spera ogne fedel com' io,
063
Sie haben mich, vereint mit jener sichren
Erkenntnis, aus dem Meere der verkehrten
Gerettet an der rechten Liebe Ufer.
con la predetta conoscenza viva,
tratto m'hanno del mar de l'amor torto,
e del diritto m'han posto a la riva.
066
Die Blätter, die des ew'gen Gärtners Garten
Belauben, lieb' ich alle in dem Maße,
In dem sie Heil von ihm empfangen haben. -
Le fronde onde s'infronda tutto l'orto
de l'ortolano etterno, am' io cotanto
quanto da lui a lor di bene è porto».
069
Sobald ich schwieg, ertönte durch den Himmel
Ein wundersüßes Lied, und meine Herrin
Rief mit den andren: Heilig, heilig, heilig!
Sì com' io tacqui, un dolcissimo canto
risonò per lo cielo, e la mia donna
dicea con li altri: «Santo, santo, santo!».
072
Und wie bei grellem Licht der Schlaf entweicht,
Weil, wie der Glanz in's Auge tief und tiefer
Eindringt, zurück der Sehkraft Geister eilen
E come a lume acuto si disonna
per lo spirto visivo che ricorre
a lo splendor che va di gonna in gonna,
075
Und den Erwachten, dessen neues Wachsein
Bewußtlos ist, bis ihm die Urteilskraft
Zu Hilfe kommt, zurückschreckt was er sieht,
e lo svegliato ciò che vede aborre,
sì nescïa è la sùbita vigilia
fin che la stimativa non soccorre;
078
Also vertrieb Beatrix jede Trübung
Von meinen Augen durch den Strahl der ihren,
Die tausend Meilen weit und weiter glänzten.
così de li occhi miei ogne quisquilia
fugò Beatrice col raggio d'i suoi,
che rifulgea da più di mille milia:
081
Nun sah ich besser als zuvor ich sah,
Und schleunig frug nach einem vierten Licht ich,
Das ich bei uns gewahrte, voll Erstaunens.
onde mei che dinanzi vidi poi;
e quasi stupefatto domandai
d'un quarto lume ch'io vidi tra noi.
084
In jenem Lichtglanz, sagte meine Herrin,
Beschaut die erste Seele, die die Urkraft
Jemals geschaffen, liebend ihren Schöpfer. -
E la mia donna: «Dentro da quei rai
vagheggia il suo fattor l'anima prima
che la prima virtù creasse mai».
087
Wie, wenn der Wind vorüberzieht, der Baum
Den Wipfel neigt, und dann durch eigne Spannkraft,
Die ihn nach oben treibt, empor sich richtet,
Come la fronda che flette la cima
nel transito del vento, e poi si leva
per la propria virtù che la soblima,
090
So tat ich staunend während ihrer Worte;
Dann aber gab mir neue Zuversicht
Der Wunsch zu reden, welcher mich entflammte,
fec' io in tanto in quant' ella diceva,
stupendo, e poi mi rifece sicuro
un disio di parlare ond' ïo ardeva.
093
Und ich begann: O Apfel, der allein du
Schon reif geschaffen bist, uralter Vater,
Dem jede Gattin Tochter ist und Schnur,
E cominciai: «O pomo che maturo
solo prodotto fosti, o padre antico
a cui ciascuna sposa è figlia e nuro,
096
So ehrfurchtsvoll ich kann beschwör' ich dich
Zu mir zu reden. Mein Verlangen siehst du,
Doch sag' ich's nicht, auf daß ich bald dich höre. -
divoto quanto posso a te supplìco
perché mi parli: tu vedi mia voglia,
e per udirti tosto non la dico».
099
Wenn sich ein Tier bewegt, das überdeckt ist,
Erkennt durch die entsprechende Bewegung
Der Hülle oft man was das Tier begehrt.
Talvolta un animal coverto broglia,
sì che l'affetto convien che si paia
per lo seguir che face a lui la 'nvoglia;
102
Nicht anders ließ der Erstling aller Seelen
Durch seine Flammenhüll' hindurch mich sehn,
Wie gern bereit er sei, mir zu genügen.
e similmente l'anima primaia
mi facea trasparer per la coverta
quant' ella a compiacermi venìa gaia.
105
Dann haucht' er: Dante, ob mir gleich dein Wunsch
Nicht ausgesprochen ist, kenn' ich ihn besser
Als du kennst was am besten dir bekannt ist;
Indi spirò: «Sanz' essermi proferta
da te, la voglia tua discerno meglio
che tu qualunque cosa t'è più certa;
108
Denn ich erblick' ihn im wahrhaften Spiegel,
Der alle Dinge macht nach seinem Bilde,
Indes kein Ding zu seinem Bild ihn macht.
perch' io la veggio nel verace speglio
che fa di sé pareglio a l'altre cose,
e nulla face lui di sé pareglio.
111
Vernehmen willst du, vor wie langer Zeit
Mich Gott gesetzt hat in den hohen Garten
Wo diese dich gereift zur hohen Stiege.
Tu vuogli udir quant' è che Dio mi puose
ne l'eccelso giardino, ove costei
a così lunga scala ti dispuose,
114
Sodann, wie lang' er meinen Blick erfreute,
Was wahrer Grund des großen Zornes war,
Und welche Sprach' ich bildete und brauchte.
e quanto fu diletto a li occhi miei,
e la propria cagion del gran disdegno,
e l'idïoma ch'usai e che fei.
117
Nun denn, mein Sohn, daß ich vom Baum gekostet,
War nicht an sich der Grund so schweren Bannes;
Allein der Schranke Überschreitung war es.
Or, figliuol mio, non il gustar del legno
fu per sé la cagion di tanto essilio,
ma solamente il trapassar del segno.
120
Viertausend und dreihundert zweimal kreiste
Die Sonne, während ich, wo deine Herrin
Virgil berief, nach diesem Chor mich sehnte.
Quindi onde mosse tua donna Virgilio,
quattromilia trecento e due volumi
di sol desiderai questo concilio;
123
Und während ich auf Erden weilte, sah ich
Zu allen Lichtern ihrer Bahn die Sonne
Neunhundertdreißig Male wiederkehren.
e vidi lui tornare a tutt' i lumi
de la sua strada novecento trenta
fïate, mentre ch'ïo in terra fu'mi.
126
Die Sprache, die ich redete, war eh' noch
Zum Werke, das sich nie vollenden ließ,
Sich Nimrod's Völker wandten, ganz erloschen;
La lingua ch'io parlai fu tutta spenta
innanzi che a l'ovra inconsummabile
fosse la gente di Nembròt attenta:
129
Denn kein vernünftiges Erzeugnis war
Von ew'ger Dauer je, weil das Gefallen
Der Menschen wechselt mit dem Drehn des Himmels.
ché nullo effetto mai razïonabile,
per lo piacere uman che rinovella
seguendo il cielo, sempre fu durabile.
132
Natur gebeut dem Menschen, daß er rede;
Ob aber diese oder jene Sprache,
Das überläßt sie euch und eurer Willkür.
Opera naturale è ch'uom favella;
ma così o così, natura lascia
poi fare a voi secondo che v'abbella.
135
Eh' ich zur Angst der Hölle niederstieg,
Ward L das höchste Gut genannt auf Erden,
Von dem die Freude kommt, die mich umgürtet.
Pria ch'i' scendessi a l'infernale ambascia,
I s'appellava in terra il sommo bene
onde vien la letizia che mi fascia;
138
Dann heiß es El, und solcher Wechsel ziemt sich;
Denn gleich dem Laub' am Zweige ist der Brauch
Der Menschen, dieser geht, ein andrer kommt.
e El si chiamò poi: e ciò convene,
ché l'uso d'i mortali è come fronda
in ramo, che sen va e altra vene.
141
Den Berg, der aus der Flut am höchsten ragt,
Bewohnt' ich, reinen und gefallnen Lebens,
Vom Morgen bis zur Stunde, die der sechsten
Nel monte che si leva più da l'onda,
fu' io, con vita pura e disonesta,
da la prim' ora a quella che seconda,
144
Nach dem Quadrantentausch der Sonne folgt. -
come 'l sol muta quadra, l'ora sesta».

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