003
»O du, der jenseits steht des heil'gen Stromes«,
So wandte nun auf mich sie mit der Spitze
Ihr Wort, dess' Schneide schon mir herb erschienen,
"O tu che se' di là dal fiume sacro",
volgendo suo parlare a me per punta,
che pur per taglio m'era paruto acro,
006
Als unverweilt fortfahrend sie begann,
»Sag, sag, ob wahr dies ist: denn bei so großer
Anklage muß man dein Geständniß hören.« -
ricominciò, seguendo sanza cunta,
"dì, dì se questo è vero; a tanta accusa
tua confession conviene esser congiunta".
009
Es waren meine Geister so verwirret,
Daß zwar die Stimm' anstrebte, doch erlosch,
Eh sie entlassen konnten die Organe.
Era la mia virtù tanto confusa,
che la voce si mosse, e pria si spense
che da li organi suoi fosse dischiusa.
012
Ein wenig sah sie zu; sprach dann: »Was sinnst du?
Antworte, denn das traurige Gedächtniß
Hat dir dies Wasser noch nicht weggespült.« -
Poco sofferse; poi disse: "Che pense?
Rispondi a me; ché le memorie triste
in te non sono ancor da l'acqua offense".
015
Schreck und Verwirrung, die in mir sich mischten,
Entrangen meinem Mund ein solches Ja,
Das zu verstehn die Augen nöthig waren.
Confusione e paura insieme miste
mi pinsero un tal "sì" fuor de la bocca,
al quale intender fuor mestier le viste.
018
Wie eine Armbrust, wenn sie losgeht, bricht,
Weil Senn' und Bogen zu gespannt gewesen,
Und schwach der Bolzen nur das Ziel erreichet:
Come balestro frange, quando scocca
da troppa tesa, la sua corda e l'arco,
e con men foga l'asta il segno tocca,
021
So brach ich unter jener Last zusammen,
In Seufzern und in Thränen mich ergießend,
Und matt nur machte sich die Stimme Luft.
sì scoppia' io sottesso grave carco,
fuori sgorgando lagrime e sospiri,
e la voce allentò per lo suo varco.
024
Drum sie zu mir: »In meinen Wünschen allen,
Die dich dahin gebracht, ein Gut zu lieben,
Jenseits desselben man kein andres suchet,
Ond'ella a me: "Per entro i mie' disiri,
che ti menavano ad amar lo bene
di là dal qual non è a che s'aspiri,
027
Was fandest du für quergelegte Gräben
Und was für Ketten, daß du dich der Hoffnung
Des Fürderschreitens so berauben mußtest?
quai fossi attraversati o quai catene
trovasti, per che del passare innanzi
dovessiti così spogliar la spene?
030
Was für Erleichterungen, welchen Vortheil
Hast du gesehen an den Stirnen andrer,
Daß ihnen du voraus selbst wandeln mußtest?« -
E quali agevolezze o quali avanzi
ne la fronte de li altri si mostraro,
per che dovessi lor passeggiare anzi?".
033
Nach einem schwer heraufgeholten Seufzer
Hatt' ich die Stimme kaum zu einer Antwort,
Und nur mit Mühe formten sie die Lippen.
Dopo la tratta d'un sospiro amaro,
a pena ebbi la voce che rispuose,
e le labbra a fatica la formaro.
036
Ich sprach zerknirscht: »Die gegenwärt'gen Dinge
Verlockten mich mit ihrer falschen Lust
Sogleich, als sich dein Antlitz mir verborgen.« -
Piangendo dissi: "Le presenti cose
col falso lor piacer volser miei passi,
tosto che 'l vostro viso si nascose".
039
Und sie: »Schwiegst du auch oder leugnetest,
Was du bekennst, so wäre deine Schuld
Doch minder nicht bekannt; der Richter kennt sie.
Ed ella: "Se tacessi o se negassi
ciò che confessi, non fora men nota
la colpa tua: da tal giudice sassi!
042
Weil aber von der eignen Wange dir
Die Schuldanklage strömt, so wendet sich
An unserm Hof das Rad der Schneid' entgegen.
Ma quando scoppia de la propria gota
l'accusa del peccato, in nostra corte
rivolge sé contra 'l taglio la rota.
045
Dennoch, damit du größre Reu' empfindest
Ob deines Irrthums und ein andermal
Dich stärker zeigest, hörst du die Sirenen:
Tuttavia, perché mo vergogna porte
del tuo errore, e perché altra volta,
udendo le serene, sie più forte,
048
Leg' ab des Weinens Grund und hör' mich an;
Dann wirst du hören, wie zum Gegentheile
Dich mein begrabner Leib bewegen mußte.
pon giù il seme del piangere e ascolta:
sì udirai come in contraria parte
mover dovieti mia carne sepolta.
051
Nie schufen dir Natur und Kunst die Wonne,
Wie diese schönen Glieder, die mich einstmals
Umschlossen und als Staub zerstreut nun liegen.
Mai non t'appresentò natura o arte
piacer, quanto le belle membra in ch'io
rinchiusa fui, e che so' 'n terra sparte;
054
Und wenn die höchste Wonne so dich trog
Durch meinen Tod, welch sterblich Wesen durfte
Dich, seiner zu begehren, noch verlocken?
e se 'l sommo piacer sì ti fallio
per la mia morte, qual cosa mortale
dovea poi trarre te nel suo disio?
057
Beim ersten Pfeil der trügerischen Dinge,
Da hättest du empor dich schwingen sollen,
Mir nach, die nicht zu jenen mehr gehörte.
Ben ti dovevi, per lo primo strale
de le cose fallaci, levar suso
di retro a me che non era più tale.
060
Nicht durfte dir die Schwingen niederhalten,
Mehr Streiche zu erwarten noch, ein Mädchen
Oder ein andrer Tand von kurzem Brauche.
Non ti dovea gravar le penne in giuso,
ad aspettar più colpo, o pargoletta
o altra vanità con sì breve uso.
063
Ein junger Vogel wartet zwei, ja drei ab;
Doch vor des ausgewachsnen Vogels Augen
Stellt Netze man vergebens oder schießet.« -
Novo augelletto due o tre aspetta;
ma dinanzi da li occhi d'i pennuti
rete si spiega indarno o si saetta".
066
Wie kleine Kinder, die sich schämen, stumm
Zuhören, mit den Augen fest am Boden,
Und ihre Schuld erkennend, reuig dastehn:
Quali fanciulli, vergognando, muti
con li occhi a terra stannosi, ascoltando
e sé riconoscendo e ripentuti,
069
So stand auch ich, und sie begann: »Wenn dich
Schon schmerzt das Hören, so erheb den Bart,
Und größrer Schmerz wird sich beim Schaun erfassen.« -
tal mi stav'io; ed ella disse: "Quando
per udir se' dolente, alza la barba,
e prenderai più doglia riguardando".
072
Mit minderm Widerstand wird eine starke
Steineich' entwurzelt, sei's durch heim'schen Sturm,
Sei's durch den Wind vom Lande des Ïarbas,
Con men di resistenza si dibarba
robusto cerro, o vero al nostral vento
o vero a quel de la terra di Iarba,
075
Als ich auf ihr Gebot das Kinn erhob.
Und da sie mit dem Bart das Antlitz meinte,
Erkannt' ich wohl den Stachel in den Worten.
ch'io non levai al suo comando il mento;
e quando per la barba il viso chiese,
ben conobbi il velen de l'argomento.
078
Und als ich mein Gesicht empor nun streckte,
Ersah mein Blick, daß jene schönen Wesen
Jetzt innehielten mit dem Blumenwerfen;
E come la mia faccia si distese,
posarsi quelle prime creature
da loro aspersïon l'occhio comprese;
081
Und meine Augen, die noch wenig sicher,
Sahn hingewandt Beatrix nach dem Greifen,
Dem zwei Naturen sind in einem Wesen.
e le mie luci, ancor poco sicure,
vider Beatrice volta in su la fiera
ch'è sola una persona in due nature.
084
Jenseits des grünen Bachs und unterm Schleier,
Schien sie ihr frühres Selbst zu übertreffen
Mehr noch, als Andre sonst, als sie noch hier war.
Sotto 'l suo velo e oltre la rivera
vincer pariemi più sé stessa antica,
vincer che l'altre qui, quand'ella c'era.
087
Da brannte also mich der Reue Nessel,
Daß alles andere, je mehr mich's lockte
Zu seiner Liebe, desto mehr mich abstieß.
Di penter sì mi punse ivi l'ortica,
che di tutte altre cose qual mi torse
più nel suo amor, più mi si fé nemica.
090
So große Selbsterkenntniß traf das Herz mir,
Daß ich besiegt hinsank; wie mir geworden,
Weiß Jene nur, die Ursach davon war.
Tanta riconoscenza il cor mi morse,
ch'io caddi vinto; e quale allora femmi,
salsi colei che la cagion mi porse.
093
Drauf, als das Herz die äußre Kraft zurückgab,
Erblickt' ich über mir die Frau, die ich
Allein gefunden; diese sagte: »Faß mich!«
Poi, quando il cor virtù di fuor rendemmi,
la donna ch'io avea trovata sola
sopra me vidi, e dicea: "Tiemmi, tiemmi!".
096
Sie zog mich in den Fluß bis an die Kehle,
Und so mich hinter sich her führend, schritt sie
Leicht wie ein Weberschiffchen über's Wasser.
Tratto m'avea nel fiume infin la gola,
e tirandosi me dietro sen giva
sovresso l'acqua lieve come scola.
099
Als nah ich dem glücksel'gen Ufer war,
»Asperges me« hört' also süß ich singen,
Daß kaum ich's denken kann, geschweige schreiben.
Quando fui presso a la beata riva,
'Asperges me' sì dolcemente udissi,
che nol so rimembrar, non ch'io lo scriva.
102
Drauf öffnete die schöne Frau die Arme,
Umfaßte mir das Haupt und tauchte mich,
Wo von der Flut ich schlucken sollte, unter.
La bella donna ne le braccia aprissi;
abbracciommi la testa e mi sommerse
ove convenne ch'io l'acqua inghiottissi.
105
Dann zog sie, so gebadet, mich heraus
Und führte mich zum Reigen der vier Holden,
Und alle legten ihren Arm um mich.
Indi mi tolse, e bagnato m'offerse
dentro a la danza de le quattro belle;
e ciascuna del braccio mi coperse.
108
»Hier sind wir Nymphen und im Himmel Sterne.
Eh zu der Welt Beatrix niederstieg,
Erkor man uns zu ihren Dienerinnen.
"Noi siam qui ninfe e nel ciel siamo stelle;
pria che Beatrice discendesse al mondo,
fummo ordinate a lei per sue ancelle.
111
Wir werden dich vor ihre Augen führen;
Doch für das süße Licht drin werden deine
Die drei dort schärfen, welche tiefer blicken.« -
Merrenti a li occhi suoi; ma nel giocondo
lume ch'è dentro aguzzeranno i tuoi
le tre di là, che miran più profondo".
114
So fingen sie zu singen an und führten
Mich dann mit sich zur Brust des Greifen hin,
Wo, gegen uns gekehrt, Beatrix weilte.
Così cantando cominciaro; e poi
al petto del grifon seco menarmi,
ove Beatrice stava volta a noi.
117
Drauf sagten sie: »Nun spare nicht die Blicke:
Wir haben dich gebracht vor die Smaragde,
Draus Amor sein Geschoß dir einst gesendet.«
Disser: "Fa che le viste non risparmi;
posto t'avem dinanzi a li smeraldi
ond'Amor già ti trasse le sue armi".
120
Es drängten tausend Wünsche, heiß wie Flammen,
Die Augen mir zu jenen Strahlenaugen,
Die unabwendlich auf dem Greifen ruhten.
Mille disiri più che fiamma caldi
strinsermi li occhi a li occhi rilucenti,
che pur sopra 'l grifone stavan saldi.
123
Gleichwie die Sonn' in einen Spiegel, strahlte
Das Doppelthier in sie hinein und zeigte
Sich bald mit den Geberden, bald mit andern.
Come in lo specchio il sol, non altrimenti
la doppia fiera dentro vi raggiava,
or con altri, or con altri reggimenti.
126
Nun denke, Leser, ob ich mich verwundert,
Wie ich die Sach' in sich sah ruhig dastehn,
Und doch sie anders ward in ihrem Abbild.
Pensa, lettor, s'io mi maravigliava,
quando vedea la cosa in sé star queta,
e ne l'idolo suo si trasmutava.
129
Indem noch meine Seele voll Verwundrung,
Und freudig kostete von jener Speise,
Die, sättigend mit sich, nach sich doch Durst macht:
Mentre che piena di stupore e lieta
l'anima mia gustava di quel cibo
che, saziando di sé, di sé asseta,
132
Da traten vor die andern Drei, die zeigten
Vom höchsten Range sich in ihrer Haltung,
Und sangen dort zu ihrem Engelsreigen.
sé dimostrando di più alto tribo
ne li atti, l'altre tre si fero avanti,
danzando al loro angelico caribo.
135
»Kehr, o Beatrix, kehr die heil'gen Augen«,
So sangen sie, »nach deinem Treuen hin,
Der, dich zu sehen, that so viele Schritte.
"Volgi, Beatrice, volgi li occhi santi",
era la sua canzone, "al tuo fedele
che, per vederti, ha mossi passi tanti!
138
Erzeig' aus Gnaden uns die Gnad', enthülle
Dein Angesicht vor ihm, damit er schaue
Die zweite Schönheit, welche du verbirgst.« -
Per grazia fa noi grazia che disvele
a lui la bocca tua, sì che discerna
la seconda bellezza che tu cele".
141
O Glanz des ewigen, lebend'gen Lichtes!
Wer machte wohl im Schatten des Parnasses
So bleich sich, oder trank aus seiner Quelle,
O isplendor di viva luce etterna,
chi palido si fece sotto l'ombra
sì di Parnaso, o bevve in sua cisterna,
144
Daß nicht sein Geist befangen müßt' erscheinen,
Wollt' er dich schildern, wie du dort erschienest,
Als, von des Himmels Harmonien beschattet,
che non paresse aver la mente ingombra,
tentando a render te qual tu paresti
là dove armonizzando il ciel t'adombra,
147
Nun du in offner Luft den Schleier löstest?
quando ne l'aere aperto ti solvesti?

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