Ein alter Weiser lehrt, daß Tugend vielerlei,
Doch stets ein Mittleres von zweien Äußern sei;

Im Wesen selber eins, doch von verschiednen Namen,
Wie viele Schößlinge aus einer Wurzel kamen.

Gerechtigkeit, entfernt von Zu- und Gegenneigung,
Von Vorlieb' und Mislieb', Abgunst und Gunstbezeigung.

Leutseligkeit, entfernt von Schmeichelei und Trutz,
Wie Wohlanständigkeit von Flitterpracht und Schmutz.

Mannhaftigkeit, entfernt von Trotzigkeit und Zagnis,
Und Tapferkeit, von Furcht und übermüth'gem Wagnis.

Freigebigkeit, gleichfern von Geiz und von Verschwendung;
Besonnenheit, so fern von Arglist als Verblendung.

Der Glaube, gleich entfernt von Un- und Überglauben,
Der nichts dir dringet auf, und nichts sich lässet rauben.

Die Nüchternheit, entfernt von Schlemmerei und Fasten;
Die Rührigkeit, entfernt von Übereil' und Rasten.

Demuth, gleichweit von Stolz und Niederträchtigkeit,
Wie Leibeswohlgestalt von Fett und Schmächtigkeit.

Das Mittelmaß ist gut dem Alter wie der Jugend,
Nur Mittelmäßigkeit allein ist keine Tugend.

Im Mittelmaß vereint sich zweier Äußern Kraft,
Doch Mittelmäßigkeit ist beider untheilhaft.

Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2, 1837, V. 194

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