Sie lobt seine Schönheit

1
Schönester, vor dem sich neiget
Alles, was die Schönheit ehrt,
Dem sich dienstbarlich erzeiget,
Was dem Himmel zugehört!
Deine Liebe reizet mich,
Abermal zu loben dich,
Daß ich muß die Saiten zwingen
Und von deiner Schönheit singen.

2
Du bist schöner als die Sonne,
Auserlesner als der Mon,
Freudenreicher als die Wonne
Um des Salomonis Thron.
Deines Angesichtes Glanz
Ist, der uns verzücket ganz,
Drum will ich die Saiten zwingen
Und von deiner Schönheit singen.

3
Nun dein Augen zu erheben,
Sag ich, daß sie Himmel sein,
Die mir Kraft und Einfluß geben
Zu der süßen Liebespein.
Sind Kristalle, die den Brand
Deiner Lieb in mich gewandt.
Sind zwei Meere, sind zwei Bronnen,
Sind zwei Spiegel und zwei Sonnen.

4
Mehr sinds Bücher, draus wir lernen
Lauter Zucht und Ehrbarkeit,
Sind meins Herzens Wirbelsterne,
Die ihm zeigen Ort und Zeit.
Sind zwei Feuerkügelein,
Die mir falln ins Herz hinein.
Anmut und die Charitinnen
Haben ihren Sitz darinnen.

5
Deine tausendschönen Wangen
Sind zwei edle Hügelein,
Da mans Morgenrot sieht prangen
Bei dem frühen Tagesschein.
Sind zwei Felder, deren Zier
Unverwelkt bleibt für und für.
Sind zwei Berge, da die Flammen
Und der Schnee bestehn beisammen.

6
Weiter sind sie wie ein Garten
Zu der besten Maienzeit,
Dessen Lilien schönster Arten
Mit viel Purpursaft bespreit.
Sind zwei Rosenhäufelein,
Die mit Milch begossen sein.
Sind zwei Polster, die vor allen
Meiner Seelen wohlgefallen.

7
Soll ich deine Haar abmalen,
Sag ich, daß dieselben sein
Güldne Faden, güldne Strahlen
Und ein güldnes Lustwäldlein.
Äste, voll von Honigseim
Und bewährtem güldnen Leim.
Netze, die mein Herze fangen,
Bande, die ich tu verlangen.

8
Deine Lippen sind Korallen,
Sind zwei Pfosten von Rubin,
Die den Göttern wohlgefallen.
Sind ein Tuch von Kermesin,
Sind zwei Sammetröselein,
Die mein bestes Labsal sein.
Sind zwei Kissen, drauf ich wollte,
Daß mein Mund stets liegen sollte.

9
Nektar fließt auf deiner Zungen
Und ein angenehme Luft
Kommt durch deinen Mund geklungen,
Wenn mir deine Stimme ruft.
Deine Zähne, die so schön
In der besten Ordnung stehn,
Sind den Perlen überlegen,
Die wir fein zu nennen pflegen.

10
Deine Stirne, der ich diene,
Ist ein Thron von Helfenbein,
Ist der Schönheit offne Bühne,
Da sie will geschauet sein.
Ist der Liebe Hofestadt,
Da sie ihr Gepränge hat.
Ist ein Schild voll güldner Strahlen,
Die kein Maler nach kann malen.

11
Alabaster wird geringe,
Wenn er deinem Halse naht,
Der so schön ist aller Dinge,
Daß er nicht seins Gleichen hat.
Marmelstein verliert den Preis
Und was sonst ist zart und weiß
Gegen deinen schönsten Händen,
Die ich lob an allen Enden.

12
Nun ein solcher, ihr Jungfrauen,
Ist, den meine Seele liebt,
Ohne was kein Mensch kann schauen
Und sein Kuß zu schmecken gibt.
Seines Geistes Süßigkeit,
Die er nach dem Lauf der Zeit
Seiner Psyche ein will gießen,
Kann kein Herz auf Erden wissen.

13
Und darum will ich mein Leben,
Meine Seel und was ich bin,
Ihm von Herzen übergeben.
Ihm soll stets mein Geist und Sinn
Unverrückt sein zugetan,
Soll ihn lieben, was er kann,
Bis ich seinen Mund, den süßen,
Unaufhörlich werde küssen.

Heilige Seelenlust oder geistliche Hirtenlieder - Erstes Buch 37

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert