Sie erwägt seine Lieblichkeit an den Kreaturen

1
Keine Schönheit hat die Welt,
Die mir nicht vor Augen stellt
Meinen schönsten Jesum Christ,
Der der Schönheit Ursprung ist.

2
Wenn die Morgenröt entsteht
Und die güldne Sonn aufgeht,
So erinner ich mich bald
Seiner himmlischen Gestalt.

3
Ofte denk ich an sein Licht,
Wenn der frühe Tag anbricht.
Ach, was ist für Herrlichkeit
In dem Licht der Ewigkeit.

4
Seh ich dann den Mondenschein
Und des Himmels Äugelein,
So gedenk ich, der dies macht,
Hat viel tausend größre Pracht.

5
Schau ich in dem Frühling an
Unsern bunten Wiesenplan,
So bewegt es mich zu schrein:
Ach, wie muß der Schöpfer sein!

6
Schöne gleißt der Gärten Ruhm,
Die erhabne Lilienblum.
Aber noch viel schöner ist
Meine Lilie, Jesus Christ.

7
Wenn ich sehe, wie so schön
Weiß und rot die Rosen stehn,
So gedenk ich, weiß und rot
Ist mein Bräutigam und Gott.

8
Ja, in allen Blümelein,
Wie sie immer mögen sein,
Wird gar hell und klar gespürt
Dessen Schönheit, der sie ziert.

9
Wenn ich zu dem Quellbrunn geh
Oder bei dem Bächlein steh,
So versenkt sich stracks in ihn,
Als den reinsten Quell, mein Sinn.

10
Meine Schäflein machen mich
Oft erseufzen inniglich:
Ach, wie mild ist Gottes Lamm,
Meiner Seelen Bräutigam.

11
Nie wird Honig oder Most
Oder Tau von mir gekost,
Daß mein Herz nicht nach ihm schreit,
Als der ersten Süßigkeit.

12
Lieblich singt die Nachtigall,
Süße klingt der Flöten Schall.
Aber über allen Ton
Ist das Wort: Marien Sohn.

13
Anmut gibt es in der Luft,
Wenn die Echo wieder ruft.
Aber nichts ist überall
Wie des Liebsten Widerschall.

14
Ei nun, Schönster, komm herfür,
Komm und zeig dich selbsten mir.
Laß mich sehn dein eigen Licht
Und dein bloßes Angesicht.

15
O, daß deiner Gottheit Glanz
Meinen Geist umgebe ganz!
Und der Strahl der Herrlichkeit
Mich verzückt aus Ort und Zeit!

16
Ach, mein Jesu, nimm doch hin,
Was mir decket Geist und Sinn!
Daß ich dich zu jeder Frist
Sehe, wie du selber bist.

Heilige Seelenlust oder geistliche Hirtenlieder - Drittes Buch 45

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