Die schwere Wahl

Wie Hercules im Zweifel stand/
Auff welchem Weg er solte treten/
Da Tugend auff der rechten Hand
Und Lust zur Lincken ihn gebeten/
So stehen auch izt meine Sinnen
In Furcht und Hoffnung mitten innen.

Doch sah er ihren Unterscheid/
Und konte nicht im Urtheil fehlen/
Ihm für die Bahn der Sinnligkeit
Den Pfad der Ehre zu erwehlen:
Wer aber lehret mich ergründen
Wo ich das beste Theil soll finden.

Ich sehe gleichen Stand für mir/
Und frische Blüthe gleicher Jugend/
Den Augen weist sich gleiche Zier/
Dem Hertzen gleiche Frucht der Tugend:
Wer hier den Unterscheid kan kennen/
Ist wohl ein Oedipus zu nennen.

Verblendet einer Sonne Licht/
Was soll von mehrern nicht geschehen?
Wenn man dort braune Nägeln bricht/
Läst sich der Liljen Schnee hier sehen/
Die beyderseits den Liebes-Bienen
Zu angenehmer Nahrung dienen.

Diß ist des Zweiflers ärgste Qual/
Wenn er ihm keinen Schluß kan fassen.
Ich muß dem Hertzen schon die Wahl
Nach seiner Neigung überlassen/
Und nachzufolgen mich bemühen
Wohin mich Glück und Sternen ziehen.

Vielleichte weist sich der Magnet/
Der meiner Seele Stahl gezogen/
(Wie mein getreues Hoffen steht/)
Auch desto eher mir gewogen.
Ich wag' es drauff: Verhängnis schicke
Zu meinem Fürsatz Heyl und Glücke!

II. Anemons und Adonis Blumen 85

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