Abend-Lied

Die Sonne birgt nunmehr ihr angenehmes Licht/
Der Abend will die Welt der Arbeit überheben/
Es fordert meine Pflicht/
Dem Höchsten für den Schutz des Tages Danck zu geben.

Was mein Beruff erheischt/ ist wohl zu Ende bracht/
Leib und Vermögen sind noch frey von allem Schaden/
Ich kan mich mit der Nacht
Ohn Unglück und Beschwer der Sorgen-Last entladen.

Viel/ leyder/ klagen sich verlezt durch Feind und Glutt/
Und andre fühlen sich bekränckt durch alle Glieder/
Durch Gottes Engel-Hutt
Leg ich mich unversehrt zur sanfften Ruhe nieder.

Wie werd ich dir/ O Gott/ dafür nun danckbar seyn?
Mein schnödes Hertz ist voll von leeren Eitelkeiten:
Stell ichs zum Opffer ein/
So kan ich solches doch nicht nach Gebühr bereiten.

Mein Auge scheuet sich den Himmel anzusehn/
Der Abend-Röthe Glantz beschämet meine Wangen/
Was diesen Tag geschehn/
Hat Straffe nur verdient (nicht Segen) zu erlangen.

Doch denck ich an die Nacht/ da Jesus mich vertrat
Für deinem Richter-Stul in tuncklem Oelbergs-Schatten/
Was er da thät und bat/
Kömmt mir und aller Welt noch heilsamlich zu statten.

Die schwere Nacht verbirgt und decket meine Schuld/
Mein Heyland hat sie selbst gebüsset und begraben/
Erworben deine Huld/
Läst mich zu dir in Buß und Glauben Zutritt haben.

Drum klag ich mich zwar selbst mit Reue bey dir an/
Glaub aber auch durch dich Verzeihung zu erwerben/
Wenn meiner Hoffnung Kahn
Den starcken Ancker fast/ so kan ich nicht verderben.

Ich dancke für die Gnad entwichner Tages-Zeit/
Und kan ich diese Nacht derselben auch genüssen/
Werd ich aus Schuldigkeit/
Dir neuen Morgen-Danck zu bringen seyn beflissen.

III. Himmelschlüssel oder Geistliche Gedichte 5

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