Ich denke, daß auch dich zu Zeiten noch verwirret,
Was in der Jugend mich so manichfach geirret;

Wenn den Aussprüchen ich der Weisen aller Zeiten
Gieng gläubig nach und mich von ihnen gern ließ leiten;

Da stellt' ich jeden mir als einen Leitstern vor,
Und jede Perle nahm ich freudig in mein Ohr.

Wenn meine Sprüche nun, die goldnen, ich verglich,
Mit Staunen nahm ich wahr: sie widersprachen sich.

Und weil ich konnte nun nicht alle mehr zusammen
Annehmen, hatt' ich Lust sie alle zu verdammen.

Denn welchen hätt' ich Recht dem andern vorzuziehn,
Da mir an seinem Platz jeder der rechte schien?

Bis mir die Einsicht kam, daß alle Weisheit bringt
Bedingte Wahrheit nur, nicht Wahrheit unbedingt;

Daß alles, was ist wahr in eigener Verbindung,
Und wie hervor es gieng aus eigener Empfindung,

Falsch wird, sobald man der Verbindung es entzieht,
Und mit veränderter Empfindung es besieht.

Seitdem ließ ich gestellt, und so magst dus auch lassen,
Jedes an seinem Ort, und sah ein jedes passen,

Dankbar den Weisen all' für ihre Weisheitsspendung,
Und vorbehaltend mir die eigne Nutzanwendung.

Ich räume gleiches Recht dir ein auf dieses Buch;
So widerspricht sich nicht der Sprüche Widerspruch.

Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4, 1838, IX. 128

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert