Georg Friedrich Händel
Orlando
Personen
Orlando
Angelica, Königin von Catai
Medoro, afrikanischer Prinz
Dorinda, Schäferin
Zoroaster, persischer Magier
Erster Akt.
I. Scene.
Nacht. Ebene mit der Aussicht auf einen Berg. Zoroaster, die Sterne beobachtend.
ZOROASTER.
Hieroglyphische Zeichen,
Die ihr in goldner Schrift dort oben strahlet,
Ach, daß dem Menschengeist ihr mehr nicht
Als schöne Räthselschrift bedeutet!
Doch glaubt mein kühnes Auge
Deutlich den Spruch droben zu schau’n in den Sternen:
Orlando, der tapfere Degen,
Wird dem Ruhme auf immerdar nicht entsagen.
Er sieht Orlando kommen.
Siehe, er naht, folgend dem Rufe zu den Waffen.
II. Scene.
Orlando und Zoroaster.
ORLANDO.
Angespornt, ach, von der Ehre,
Und getrieben von der Liebe,
Was zu thun, elende Seele?
ZOROASTER.
Läutere sie von weibisch schlaffen Sitten!
ORLANDO.
Wer spricht? wer bist du? was begehrst du? was willst du?
ZOROASTER.
Deines Ruhmes Verwalter
Ermahn‘ ich sein zu denken.
Sporne dein Herz nun zu großen Thaten!
ORLANDO.
Ah, mir hat Lieb‘ es entrissen.
ZOROASTER.
Gebe Muth dir’s zurück!
ORLANDO.
So stirbt’s im Busen.
ZOROASTER.
Spielzeug willst du denn des winz’gen Knäbchens bleiben?
Auf ein Zeichen seiner Zauberruthe erscheint Amor thronend in seiner Hofburg, verschiedene Helden des Alterthums schlafend zu seinen Füßen.
Siehe, und merke die Warnung!
Weih‘ dein Gelübde nur im Tempel des Ruhmes!
Banne die Lieb‘ und greif‘ zum Schwerte, auf!
Und ringe du nach Schlachtenruhm.
Flucht allein kann dich erretten,
Sie nur ist der Weg zu edlem Sieg!
Ab.
III. Scene.
ORLANDO allein.
Verhängnisvolle Bilder, die den Geist ihr zerrüttet!
Und könnt‘ ich nicht euere Macht bemeistern?
Ja ich entflieh‘ euch, ich fliehe,
Kühnen Muths zu erhöhn neue Trophäen.
Du sei fortan, o Ehre, all mein Lieben!
Doch, was sag ich, ich Bethörter?
Ich ließe sie, die Wonne meiner Seele?
Nein, nimmer! Denn edler, dünkt mir,
Sei der Dienst in der Liebe als Schlacht und Siegsruhm.
Nicht war’s Schmach, daß der Alcide
Einst zum Schoße Omphale’s, der schönen,
Die gewalt’gen Waffen trug;
So hat kühn auch der Pelide
Im Gewand der lieblichen Jungfrau
Troja’s stolze Macht bedroht!
Geht ab.
IV. Scene.
Hain mit Hirtenhütten. Dorinda, dann Orlando.
DORINDA.
O wie selig war einst ich in diesen Hainen,
Wenn ich das Aug‘ am muntren Spiel geweidet
Der Rehe und der Hirsche,
Am Schlangenlauf des wellenklaren Baches,
Am Blumenglanz, am Wogen der Gefilde,
Am Gesang all der Vögel,
Am linden Hauch der sanften Frühlingslüfte.
O Tage, so wonnig damals,
Nun ach für mich so schmerzlich!
O was ist, was ist diese – Regung –
Die ich empfinde tief in dem Herzen?
Mir ward gesagt, dies sei das Werk der Liebe.
Waffenlärm von innen. Orlando, das Schwert in der Hand, geleitet eine befreite Prinzessin.
ORLANDO.
Fahret dahin in Grausen, feige Gesellen,
Gehet, die Reiche der Hölle zu bevölkern.
Du, o Herrin und Gebietrin, frei bist du nun,
Und in dem Rath meines Herzens
Weicht dem Dienste bei dir jeglicher Siegesruhm.
Ab.
DORINDA.
Dies ist der berühmte Orlando, auch ihn treibt,
Wie ich gewahre, auch ihn treibt die Liebe.
Die Scham macht mich zaudern,
Was ich fühle, zu deuten,
Ob’s Freude, ob Leiden,
Ob Glühen, ob Schaudern,
Ob am Ende – wer weiß –
Ob gar – ich weiß es nicht.
Doch wenig bekümmert
Und härmt mich, was es sein mag,
Ob Freuden, ob Schmerzen,
Wenn still ich’s im Herzen
Zu bergen nur weiß.
V. Scene.
Angelica, dann Medoro.
ANGELICA.
Du hast besiegt, besiegt mich, o blinde Gottheit!
O mein Herz, nicht vermiß dich
Auch noch fortan der sonst gewohnten Siege!
Und du, Orlando, wo verweilst du?
Ergieb dich drein: der Abgott meiner Seele
Ist Medor nun, der Theure.
Ach, ich fand ihn verwundet, ich sorgte ihn zu pflegen,
Doch da die Wunden auf seiner Brust vernarbten.
Ach, schlug mir Amor
In meiner eignen Brust viel tiefre Wunden.
Mich gefesselt hielt sein Antlitz,
Roth und Weiß deckt‘ ihm die Wangen,
Zart vereinet Ros‘ und Lilie,
Nicht das Dunkel mehr der Veilchen.
MEDORO.
Und mein Herz, das du mir raubtest,
Es zerfloß in sanftem Feuer,
Wie des Schnee’s Flockengestöber
Schmilzt im heißen Strahl der Sonne.
VI. Scene.
Angelica und Medoro.
ANGELICA.
Denke, o Freund, daß bald du in störungslosem Glücke
Mir in dem heim’schen Reiche,
Wie du mir schon in Liebe bist, vereint wirst.
MEDORO.
So großen Glückes kann ich nichtwerth mich achten.
ANGELICA.
Wer mächtig thronet
In meinem Herzen,
Der nennet König
Sich ohne Stolz.
Mir, die verschmähte
So manche Reiche,
Hast du bezwungen
Die trotz’ge Seele,
Und manchen Thron ist
Mein Treuwort werth.
Ab.
VII. Scene.
Dorinda und Medoro.
MEDORO.
Da ist Dorinda, und ich kann nicht entweichen.
DORINDA.
Medor, so endlich find‘ ich ein einzig Mal allein dich;
Denn seltne Male seh‘ ich ferne von dir weilen
Deine schöne Verwandte; und ich besorge,
Daß nicht das Blut dich, nein, Liebe an sie fesselt.
MEDORO.
Nein, Dorinda, du irrst dich.
Bald wird vielmehr sie scheiden von hier,
Und sie geleiten muß ich dann.
DORINDA.
Du giebst ihr das Geleit?
MEDORO.
Mit ihr ja kam ich; mein Leben, das sie rettete,
Mahnt zu tiefem Dank mich.
DORINDA.
Doch mich verlassend
Bist du gar nicht in Furcht, du seist undankbar?
MEDORO.
Nie werd‘ ich’s sein;
Denn deine süße Liebe, dein Gesichtchen –
DORINDA.
Wie gern, Medor, Geliebter,
Möcht‘ ich dir treulich glauben,
Mein Herz nur will nicht trauen, und daß mir’s sagt,
Daß du mich trügst, das macht mich ganz untröstlich.
MEDORO.
Wenn je dein Herze spricht,
Daß ich vergessen dich,
So schelte du’s für mich,
Daß es gelogen;
Das Bild so trauter Stunden,
Nie wird’s der Seel‘ entwunden,
Nein, selbst im Tode nicht
Dem Geist entzogen.
VIII. Scene.
DORINDA allein.
Arme Dorinda!
Ich seh, daß er mich ködert mit eitel falscher Rede
Und auch so – gefällt er doch mir,
Und jeder Laut seiner Lippen
Giebt meinem Ohre liebe, süße Klänge,
Die zu des Herzens Wünschen stimmt die Hoffnung.
O theure, liebe Laute, süße Blicke,
Seid ihr voll Trug und Tücke,
Ich will euch doch vertrau’n;
Und doch, was werd‘ ich thun,
Sollt‘ einst – o Mißgeschicke –
Ich euren Trug durchschau’n?
IX. Scene.
Angelica. Zoroaster und dann Orlando.
ZOROASTER.
Wohl mir bekannt ist
Dein unheilvolles Tändeln mit Medor;
Und nicht fürchtest du die Rache Orlando’s?
ANGELICA.
Fürwahr, ich danke Vieles diesem Helden,
Doch –
ZOROASTER bei Seite.
Er erscheint; verborgen will ich hier überwachen Beider Geschicke.
ORLANDO bei Seite.
Wann und wo soll die Spur ich wieder finden
Angelica’s, der schönen?
ANGELICA bei Seite.
O Götter!
Wenn nun Medor kommt, den hier ich erwarte,
Mit ihm zu fliehn! Vielleicht doch,
Wenn ihn hierher getrieben die neue Liebe
Zu ihr, die er befreit aus Feindeshänden,
So bedarf’s nicht so schrecklicher Befürchtung.
Ich spiel‘ die Eifersücht’ge,
Um leichter zu entdecken, was er sinnt.
Sie zeigt sich Orlando.
Orlando!
In Wahrheit seh‘ ich endlich dich wieder?
ORLANDO.
O Himmel! O Theure, wie hätt‘ ich
Zu finden hier gehofft so große Freude!
Angelica, Geliebte!
ANGELICA.
Tausche den Namen! Isabella ja ist’s,
Die dort dein harret.
ORLANDO.
Ich bin der edlen Fürstin
Nur Beschützer, nicht Geliebter.
ANGELICA.
Als Geliebten
Erklärte dich Dorinda so eben, und wenn du –
ORLANDO.
Nur Angelica ist die Liebe Orlando’s.
ANGELICA gewahrt Medoro in der Ferne.
O Götter, dort ist Medor –
Ich muß Orlando rasch entfernen von hier.
Der Zauberer tritt vor und giebt mit der Ruthe ein Zeichen. Ein Springbrunnen quillt aus der Erde und verbirgt den Medoro, indem sich die Scene in einen Garten verwandelt.
ORLANDO.
Fordre, Theure, jede Probe der Liebe.
ANGELICA.
O der Rettung in Noth! Hör‘ mich, Orlando,
Wenn du willst, daß ich glaube, du seist mir treu,
Schleunig von dir entferne
Die Schöne, die du dort gewaltsam entführtest,
Sonst siehest du Angelica nicht wieder.
Soll ich deiner Treue trauen,
Laß mich schauen,
Wie echt deine Treu‘;
Weil ich noch mit Zweifeln quäle
Meine Seele,
Ist sie nicht für Liebe frei.
X. Scene.
ORLANDO allein.
Es wird geschehn, Grausame! Du sollst sehn
Noch diese Stunde, daß dieser edlen Fürstin
Beschützer nur ich war und nicht Geliebter.
Sende zu Fehden mich
Grimmiger Kriege,
Wenn neue Siege
Du willst von meiner Hand!
Heiß‘ Städt und Länder mich
Im Sturm zerstören,
Soll ich gewähren
Treuer Liebe Pfand.
XI. Scene.
Medoro und Angelica die ihn zurückhält.
MEDORO.
Angelica, o laß mich –
ANGELICA.
Bleibe doch, o bleib, wo willst du hin, Medor?
MEDORO.
Ich will sehn, wer der Mann war,
Den eben ich gesehn mit dir im Gespräche.
ANGELICA.
Bleibe nur! Du gehst zum Tod,
Denn jener ist Orlando.
MEDORO.
Du entziehst mich dem Ruhme.
ANGELICA.
Dich erhalt‘ ich der Liebe.
MEDORO.
Ich muß gehorchen.
ANGELICA.
Rasch laß uns fliehn,
Eh‘ wiederkehrt Orlando.
Geh, bei der Lorbeerquelle mich zu erwarten:
BEIDE.
Um fester noch der Liebe Band zu knüpfen.
Sie umarmen sich, indem Dorinda kommt und Medoro zurückhält.
XII. Scene.
Dorinda zu den Vorigen.
DORINDA.
O Angelica, o Medor!
Umsonst sucht eure Lieb‘ ihr fortan zu hehlen;
Denn die Hände sich drücken und Küsse tauschen
Ist denn doch etwas mehr als Blutsverwandtschaft.
ANGELICA.
Dorinda, du sagst die Wahrheit;
Und es ist Zeit, dir nicht mehr zu verschweigen,
Daß Medor mein Gemahl ist.
Ich scheide nun mit ihm, dankbar auf ewig
Für die Zuflucht, die gastfrei du uns gewährt.
Nimm hier und bewahre freundlich
Dies als Erinn’rung unsrer dankbaren Liebe.
DORINDA.
Ich nehme, doch ich hoffte
Süßre Freuden zu theilen mit Medor,
Den auch ich selbst so liebte.
MEDORO.
Schöne Dorinda, gieb Verzeihung mir.
DORINDA.
Der Himmel mag’s verzeihen! Du hast weh mir gethan.
Mehr als du denkst mit diesem Streiche.
MEDORO.
Sei fröhlich, du Feine,
ANGELICA.
Du liebliche Kleine,
Dir, Amor’s Erkornen,
Zur Liebe Gebornen,
Krönt Liebe das Haupt!
DORINDA.
Nicht Freud‘ ist zum Leben,
Nicht Trost mir geblieben,
Nicht wieder kann geben
Der Gott mir den Lieben,
Den mir er geraubt.
ANGELICA.
Entsage den Klagen,
Laß ab vom Verzagen,
MEDORO.
Dein glänzendes Theil ist,
Was der Lieb‘ all zum Heil ist;
DORINDA.
Nein, Klagen und Tragen
Ist einzig mein Theil!
Zweiter Akt.
I. Scene.
Hain. Dorinda allein.
Hör‘ ich eure Klagen schallen,
Liebetrunkne Nachtigallen,
Scheint’s, ihr singt und klagt zumal
Zum Geleite meiner Qual.
II. Scene.
ORLANDO zu ihr.
Warum hast Du, Dorinda, überallhin verkündet,
Daß befreit Isabellen aus Liebe Orlando?
DORINDA.
Ich, o Herr? schlecht verstand mich, wer so gesagt;
Angelica nur nannt‘ ich.
ORLANDO.
Wer ist diese Angelica? wen meinst du?
DORINDA.
Dieselbe, die hier weilte,
Und die dann mit Medor von hier geschieden,
Den sie so sehr geliebt hat, wie ich selber ihn liebte,
Meinen Abgott und Liebling; sie ließ verhöhnt zurück mich,
Wiewohl sie dies Kleinod mir geschenkt hat.
ORLANDO.
Was seh‘ ich! Fürwahr dies ist das Armband, das einst ich
Empfing von Ziliante als Ehrengeschenk
Und das ihr ich dann gegeben!
Ach, länger zweifeln kann ich nicht,
Daß es sie ist, die mich verrathen! Doch wer ist
Der Mann, der waget sie mir zum Trotz zu werben?
Ist’s der Cirkasse? ist’s Farragut, der Schwarze?
DORINDA.
Wie ich sagte, er nennet sich Medor,
Voller Jugendreiz und Schönheit, voller Zierde und Anmuth.
Ach könnt‘ ich seiner vergessen!
Doch Alles, Alles was ich sehe,
Scheinet mir, sei Medor, nach dem mich’s sehnet.
Wandre ich hin zur Wiese,
So zeiget sie den Süßen
In jeder Blume mir;
Geh‘ ich zum Hain, zur Quelle,
So dünket mir, daß rauschend
Das Blätterlaub, die Welle
Sagen, es harre lauschend
Medor, der Holde, hier.
III. Scene.
ORLANDO allein.
Und dieses ist dein Dank denn,
Angelica, Grausame,
Für so treuinnige Liebe?
Doch nicht gelingt es dir, vor mir zu fliehen,
Denn bis zu Acheron’s verhaßten Ufern
Verfolgt fortan dich mein Ingrimm, verfolgt mein Schwert dich!
Himmel, ist dies dein Wille,
Dann gieb, daß mir den Busen
Der grause Stahl zerreißt,
Daß er so wilden Schmerzen
Aus dem beladnen Herzen
Klaffend durch offne Wunden
Die Bahn und Pforte weist.
IV. Scene.
Aussicht aufs Meer in der Ferne. Auf einer Seite ein Lorbeerhain, auf der andern eine Grottenöffnung. Angelica. Medoro. Zoroaster.
ZOROASTER.
Ah wie treibt in Gefahr euch
Die blinde Liebe, sorgloses Paar!
ANGELICA.
Wir müssen fern fliehen von Orlando.
ZOROASTER.
Wenn er euch einholt -?
MEDORO.
Auch ich hab‘ Muth im Herzen.
ANGELICA.
Nicht gegen mich kann er hart sein und grausam.
ZOROASTER.
Wird er verzeih’n Untreue und Verrath dir?
Doch beeilt eure Schritte, seinem Grimm zu entgehen,
Und meine Hilfe zu eurer Rettung biet‘ ich.
Rathlos irrt auf nächt’gem Pfade
Schwankend stets die Menschenseele,
Die der blinde Gott umschleiert;
Noch zu scheitern am Gestade
Ist beschieden ihr vom Verhängnis,
Wenn nicht Geisteskraft sie steuert.
V. Scene.
Angelica und Medoro.
ANGELICA.
Von diesen trauten Bäumen
Für immer nun zu scheiden, härmt mich im Herzen.
MEDORO.
Ich trau‘, daß ihrer Einer, o theure Seele,
Das Gedächtnis bewahrt an unsre Liebe.
ANGELICA.
Doch dem Weg unsrer Flucht
Ist es nun Zeit in raschem Lauf zu folgen.
Eile und bereite für uns die Rosse schleunig,
Hier harr‘ ich deiner.
MEDORO.
Achtsam deinen Geboten
Eil‘ ich sie zu befolgen. Lebt wohl, ihr Thäler,
Lebt wohl, ihr Quellen und Haine für immer!
Traute Lorbeern, stets verkündet
Unsre Namen treu verbündet,
Wie die Herzen verschlungen sind.
Und sagt Allen, die euch betrachten,
Welche Hände, wie und wann, sie haben
Euren Rinden eingegraben,
Und dann achtet, wie sie schmachten
Und von Neid durchdrungen sind!
VI. Scene.
ANGELICA allein.
Nach so vielen Gefahren, so vielen Leiden,
Kehr‘ ich zum Vaterlande mit Medor
In beglückter Zurückkunft. Nur daß Undank
Ich Orlando beweise, fürwahr,
Dem Leben und Ehr‘ ich danke. Doch, kann ich’s ändern?
Selbst aus Erfahrung weiß er, daß dem Zauber der Liebe
Nicht Tugend widersteht, Verdienst und Kraft nicht.
Nicht Er darf mir’s verweisen,
Wenn mir durch Amor’s Eisen
Das Herz nicht ganz und heil;
Weil, als es ihn versehrte,
Nur schwach er selbst sich wehrte
Vor dem so mächt’gen Pfeil.
VII. Scene.
ORLANDO allein.
Wo nun, wo lenket hin ihr
Furien, die ihr mich geißelt, die irren Schritte
Mir auf der Spur des frechen Paares,
Das sich verbirgt vor meinem Blick?
Er liest in den Rinden der Bäume.
Doch ha, was seh‘ ich? Ihr Götter!
Geschnitten in die Bäume den Namenszug
Angelica, Medor, des Verrathes Besieglung!
Und ich ertrag‘ es?
Doch wo ist diese Hand, die sie eingegraben?
Wie, wenn in dieser Grotte,
Der Zuflucht ihrer Liebe, sie sich verbärgen?
Ich suche sie in jedem, in dem dunklen
Und tiefsten Grund der Hölle.
Geht in die Grotte.
VIII. Scene.
Angelica, dann Orlando.
ANGELICA.
Alles ist schon gerüstet, bereit zur Reise
Durch meinen holden Liebsten. Lebt wohl nun,
Denn ich muß scheiden, ihr trauten Bäume.
Schatt’ge Bäume und frische Matten,
Klare Quellen und bunte Blüthen,
Mild sei euch des Himmels Licht!
Ihr geheimnisvollen Schatten,
Störe euch den schönen Frieden
Sturm und Regenschauer nicht!
IX. Scene.
Orlando verfolgt sie, als Medoro auftritt.
ORLANDO.
Ha, Schändliche, da bist du!
ANGELICA.
Wer steht mir bei, ihr Götter!
MEDORO.
Weh mir, was seh ich! Angelica, verfolgt
Von einem Ritter, entfliehet nach dem Haine?
Rasch eil‘ ich hin, ihr zu folgen.
Ab in den Hain.
X. Scene.
Angelica fliehend, dann Orlando.
ANGELICA.
O Amor, mächt’ger Amor,
O stehe mir bei, dich fleh‘ ich um Hilfe!
Ah Geliebter, Medor!
ORLANDO.
Vergebens rufst du ihn!
ANGELICA.
Ha, wie entflieh‘ ich?
ORLANDO.
Nicht wirst du fliehen, es sei denn aus dem Leben!
Angelica flieht dem Meere zu von Orlando verfolgt. Eine Wolke umhüllt sie, in der sie von vier Genien getragen durch die Luft entführt wird.
XI. Scene.
ORLANDO allein.
Ah styg’sche Gespenster! ah ihr verhaßten Geister,
Die das treulose Weib ihr so mir entrücket,
Warum gebt die Verräth’rin
Meinem strafenden Zorn nicht ihr zurück?
Unglücklicher und Verschmähter!
Ihr Undank trifft mich zum Tod!
Nur noch mein Geist bin ich, mir selbst entrissen,
Nur ein Schatten, und als Schatten
Will nun ich hinunter zur Unterwelt,
Zum Reiche des Entsetzens.
Als ob er in eine Barke trete.
Da ist die styg’sche Barke;
Und dem Charon zum Verdrusse durchschneid‘ die schwarze Fluth ich;
Dort ist die Schwelle
Zu Pluto’s mächt’gem Hause und Schreckensthrone.
Laut brüllt der Höllenhund, und aus der Schatten Reich
Steigt die entsetzliche schaurige Furienschar
Zu mir empor! Doch die Furie,
Die mich allein gefoltert, wo ist sie?
Das ist Medor. Zum Schoß Proserpina’s
Seh‘ ich ihn flüchten. Ich eil‘ ihn dort zu erhaschen!
Wie, die Beschützerin weinet? Still ebbet die Fluth des Grimmes,
Da man weint in der Hölle selber um Liebe.
Liebliche Augen, o weint, o weinet nicht mehr,
Weil im Reich der Thränen selbst ihr
Jedes Herz zerreißt in Gram!
Und doch, und doch, ihr Augen, doch,
Ja weinet nur, denn taub für euren Zauber
Starrt fest mein Herz wie Eisen
Und nicht stillt sich die Wuth!
Doch ja, ihr Augen, weinet, weinet nur –
Er stürzt wüthend in die Grotte, die zerspaltet, indem man den Zaubrer im Wagen sieht, wie er, Orlando in den Armen, durch die Luft entfliegt.
Dritter Akt.
I. Scene.
Palmenhain. Medoro, dann Dorinda.
MEDORO.
Zu Dorindens Behausung sollt‘ ich zurückgehn,
War der Geliebten Wille,
Als durch ein schwer Verhängnis ein neuer Unfall
Mich von ihr geschieden.
DORINDA.
Medor! So unverhofft seh‘ ich dich wieder?
Ist es wahr? Soll ich’s glauben?
Angelica ist hier?
MEDORO.
Hierhin zu kehren, war ihr Gebot.
DORINDA.
Fast, fast hätt‘ ich gesagt,
Daß meinethalb du hättest kehren sollen.
Doch sei nun, was da wolle, Grund und Anlaß,
Immer ist offen für dich mein armes Häuschen;
Nur halte dich verborgen, denn Orlando
Verfolgt dich, und um dich in Angst vergeh‘ ich,
Ob du’s gleich nicht verdientest;
Mehr als an meinem, liegt mir an deinem Leben.
MEDORO.
Wie gerne wär‘ ich dein,
Gäb‘ gern dir Herz und Sinn,
Doch sind sie nicht mehr mein.
Und gäb ich’s dir dahin,
Dies Herz, an Treue leer,
Du glaubtest ihm nicht mehr.
II. Scene.
DORINDA allein.
Noch mehr gefällt mir der Theure;
Da er mir sagt die Wahrheit, bin ich ruhig,
Er ist offen; und wenn ich auch nichts hoffe und nichts verlange,
So muß ich auch so ihn dennoch und immer lieben.
III. Scene.
ORLANDO zu ihr.
Ah da bist du, o Geliebte!
Und nach so langem Irren
Seh‘ wieder ich dein liebes Antlitz.
DORINDA.
(Orlando, der Held Orlando, er nennt mich Geliebte?)
Willst du Scherz mit mir treiben, o tapfrer Held?
ORLANDO.
Ich scherze nicht mit Feuer;
Das mich für dich durchglühet, ist so gewaltig,
Daß es lodert in Flammen.
DORINDA.
(Scheint es doch, es sei Ernst ihm!)
ORLANDO.
Du giebst nicht Antwort?
DORINDA.
O was soll ich sagen? will er mich zur Gemahlin;
Meinethalb gern; werd ich des Helden Bente –
Wer weiß! Zeus war ja auch entflammet für Leda!
ORLANDO.
Noch immer stehst du schweigend? Sage, Grausame,
Ob du mir Leben, ob Tod giebst?
ORLANDO.
Vereine Lieb‘ in uns mit meiner deine Gluth,
Göttin der Schönheit!
DORINDA.
Und einen willst du so mit deinem Heldenstamme
Mich arme Hirtin? O Herr, reiflich erwäge.
Ich bin Dorinda!
ORLANDO.
Weiß ich es doch, du bist die Erzeugte der Götter!
Doch nein, du bist Argalia,
Der Bruder meiner Liebsten, den Farragus, der Frevler, getödtet!
Der Ingrimm entbrennt mir in dem Busen.
DORINDA.
(Fahr hin, o Hoffnung! O fürwahr, er raset!)
ORLANDO.
Für Angelica bist du zum Tod gegangen,
Nun will ich Rache nehmen!
DORINDA.
(Welcher Schrecken für mich!) O Herr, bedenke –
ORLANDO.
Ja ja, ich sehe schon, mahnen mich willst du,
Daß Farragut nicht Helm hat und nicht Degen;
So leg‘ ich selber sie nieder.
Wirft Helm und Schwert ab.
Hinweg denn! Da lieget!
Sieh‘, wie ich ohne Waffen gerüstet bin zur Rache.
Und schon fass‘ ich und ergreif‘ ihn
Mit der Stärke meines Armes,
Gleich Antäus heb‘ ich vom Grund ihn,
Und wenn nicht er sich besiegt giebt,
Weil der Kriegsgott ihn beschirmt,
Fordr‘ ich Mars auch selbst zum Kampfe!
Ich sterbe, theures Leben!
Von wildem Schmerz bewältigt sink‘ ich entseelt zu Boden.
IV. Scene.
Angelica und Dorinda.
ANGELICA.
In Dorindens Behausung hoff‘ ich Medor zu finden.
DORINDA.
O liebe Herrin, der Sinne beraubt ist Orlando!
ANGELICA.
Was sagst du, Dorinda?
DORINDA.
Seiner Sinnesverwirrung einziger Grund ist
Die Eifersucht um dich und heft’ge Liebe.
ANGELICA.
Er thut mir leid, und verräth’risch schien ich mir selbst,
Weil ich ihn so verlassen, wäre Lieb‘
Eig’nen Willens Werk und nicht Verhängnis.
Doch wenn Orlando, ah gewährt es, große Götter!
Genesen könnte von seiner Geistesirrung,
Noch hofft‘ ich dann, daß er bemeist’re sich selber.
So gerecht ist diese Hoffnung,
Daß die Seele, wenn noch fürchtend,
Selbst sich täuschte in eitler Furcht.
Nur wo echte Angst der Seele,
Da wird Hoffnung leicht zu Täuschung,
Die die Lust verkehrt in Leid.
V. Scene.
DORINDA allein.
Ist Herz von Herz erwiedert,
Wird es doch in Zweifeln ringen;
Und ist es nicht erwiedert,
Trägt es die Pein und Folterqual der Hölle.
Im Meer der Lieb‘ ist Alles Fels und Klippe.
Und ich versteh‘, daß Lieb‘ ein schlimmer Handel.
Die Lieb‘ ist ein Schwindel,
Die Köpfe verwirrend;
Wohl hör‘ ich, daß Manchen
Sie ködernd und kirrend
Mit Wonne wohl weide,
Doch schwindet die Freude,
Das Leid aber bleibt.
Wenn einig zwei Herzen
Im Glücke sich sonnen,
Tauscht Argwohn mit Schmerzen
Die Freuden und Wonnen;
Von Wahnsinn erfaßt wird
Ein Herz, das gehaßt wird –
Und dies ist das Spiel,
Das Lieb‘ in uns treibt.
VI. Scene.
ZOROASTER begleitet von Geistern.
Du lehrst die Welt, Orlando,
Wie ein Held selbst den Geist berücket durch Liebe.
Zu den Geistern.
Wohlauf, ihr meiner Macht erles’ne Diener,
Eure Kraft und Gewalt vereint der meinen;
Den Hain verwandelt zur Höhle!
Auf sein Zeichen verwandelt sich die Scene in eine Höhle.
Dort auf die Wuth des Gewalt’gen achtet mir sorgsam;
Denn nicht lange, so seht ihr den Sieg mich feiern,
Daß genesen der Held wieder zum Ruhm ist.
Unheilvoll erhebt ein Sturm sich,
Der in Nacht hüllt Erd‘ und Himmel;
Dann erglänzen Segenssterne,
Daß das Herz in Wonne lacht.
So versinkt ein Geist in Irrung,
Doch, erlöst aus der Verwirrung,
Wird, was ihn mit Pein gefoltert,
Quell ihm unermeßnen Heils.
VII. Scene.
Angelica und Dorinda weinend.
ANGELICA.
Dorinda, und warum weinst du?
DORINDA.
Frage mich nicht!
Denn wenn du erst es weißt, weinst du mehr noch als ich.
ANGELICA.
Sage, was giebt es?
DORINDA.
Der empörte Orlando
Hat zertrümmert mir die Wohnung, o Himmel und Erde!
Und lebend drin begraben Medor den Holden!
ANGELICA.
Was hör‘ ich? o grauses Schicksal!
Barbar! so raubst du mir Leben und Seele!
VIII. Scene.
Orlando und Angelica.
ORLANDO.
Länger entrinnst du nicht, schändliche Falerina!
ANGELICA.
Erkenn‘ in mir
Angelica, die du vordem geliebt hast,
Nun aber hassend verabscheust. Öffne die Brust mir,
Blutend entreiße das Herz ihr, wie die Seele du raubtest,
Die mit Medor du lebendig begrubst!
ORLANDO.
Fürwahr, Tod ist dein Los, o Undankbare!
ANGELICA.
In Jammer klag‘ ich Medor’s Verhängnis, nicht meines.
ANGELICA.
Bis du raubest auch das Blut mir,
Weid‘ indessen deine Augen
An der meinen Thränenfluth.
ORLANDO.
Nur nach Blute verlanget mein Herz!
ANGELICA.
Denn der lebensmüden Seele
Heiße Thränen, sie auch sind Blut!
ORLANDO.
Nicht versöhnen sie mir meine Wuth!
Er ergreift sie mit Gewalt.
Nieder schleudern dich meine Arme
Vom jähen Felsen hinab zum tiefsten Schlunde!
ANGELICA.
Götter! Mitleid!
Er schleudert sie wüthend in die Höhle, die sich in einen Tempel des Kriegsgottes verwandelt, wo Angelica auf erhöhter Stelle thront, von Genien umgeben.
ORLANDO.
So hat die Hand Orlando’s
Von der Scheusale größtem die Erde gesäubert.
Und nun nahet die Nacht sich aus den Cimmerischen Grotten,
Und der Schlaf senkt sich nieder,
Der mir kränzet mit Mohn die müde Stirne
Und mir zu kosten reicht der Lethe Fluthen.
Die schlaftrunknen Wimpern, vom lieblichen Saft bewältigt,
Erschlaffen zur Ruh‘. Du, Amor, Verräter,
Dein Flattern und Schwirren erwecke mich nicht.
Schläft auf dem Felsen ein.
IX. Scene.
Zoroaster. Orlando schlafend. Dann Dorinda.
ZOROASTER.
So erschien denn die Stunde! Thu, Amor, was du kannst!
Orlando spottet nun all‘ deiner Kunst.
Nach dem Himmel schauend.
Du, dem der große Donn’rer
In die göttlichen Klauen den Himmelsstrahl gegeben,
Mein Gebot ist nun dieses: daß aus dem Sternenreiche
Du rasch dich niederschwingest; reiche den Göttertrank mir,
Zu heilen nun das kranke Herz Orlando’s.
Auf das Zeichen seiner Ruthe geleiten vier Genien einen Adler durch die Luft, der eine Goldschale im Schnabel trägt; Zoroaster nimmt die Schale, und der Adler entfliegt wieder mit einer der Genien. Der Zaubrer nähert sich Orlando als auftritt.
DORINDA.
Ha, was thust du, o Herr?
Wenn er erwachet, wird er uns Beide tödten!
ZOROASTER.
Fürchte nichts, diese Stunde soll er genesen.
DORINDA.
O hör‘ auf mich, und laß ihn ruhig schlummern.
Zoroaster wirft den Trank über Orlando’s Gesicht. Er erwacht geheilt.
ORLANDO.
Bin im Schlaf ich, oder wach‘ ich? Wie kam ich hier zur Stelle,
Entblößet vom Helm und dem berühmten Schwerte?
Wer nahm die Waffen mir, sprich, o Dorinda?
DORINDA.
Gern sagt‘ ich’s dir, doch fürcht‘ ich,
Daß aufs Neue deiner Wuth du verfallest,
Und daß ich’s büßen muß mit meinem Leben,
Wie es jenen gescheh’n ist, Angelica und Medor,
Die dort du erschlagen.
ORLANDO.
Zu viel, ach, mir sagst du! zu viel, ach, hab‘ ich vernommen!
Und nicht verschlang der Grund mich?
Nicht zerschmetterte der Blitz mich?
Wo nun, elender Orlando,
Wo suchst du Einen nun, der mit dem Tode
Dich deiner Schmach entziehe?
DORINDA.
Sagt‘ ich es nicht? Die Wuth erwacht aufs Neue,
Und gut scheint’s zu entflieh’n.
Läuft weg.
ORLANDO.
Für dich geht, Geliebte,
Dich rächend, sich strafend,
Orlando zum Tode!
Letzte Scene.
Angelica. Orlando. Medoro. Zoroaster. Dorinda.
ANGELICA.
Nein, leben noch sollst du!
ORLANDO.
Was seh‘ ich, o Götter! Angelica, du lebst?
ANGELICA.
Ja ich leb‘, und so auch lebet,
Der deinen Ingrimm reizte, mein Los zu theilen.
MEDORO.
O Herr, gieb mich dem Tode;
Nicht begehr‘ ich das Leben
Ohne dies Gut, das mir allein es werth macht.
ZOROASTER.
Orlando, in deinem Wahnsinn –
Ein Pfleger deines Ruhms – hab‘ ich bewacht dich,
Und ich entzog dem Tode
Angelica und Medor, und für Beide
Bei dir erfleh‘ ich Gnade.
DORINDA.
O Herr, so fleh‘ auch ich dich,
Die den Liebling – o des Leids! – Medor, doch einbüßt.
ORLANDO.
Nichts mehr! Vernehmet Alle,
Was nun Orlando seines Ruhmes achtet.
Aus dem Grunde erhebt sich in des Tempels Mitte das Bild des Kriegsgottes, und das Feuer auf dem Altare entflammt. Vier Amoretten entfliegen durch die Luft.
Zauber besiegt‘ er und Helden und Ungeheuer,
Über Liebe und sich selbst siegt er heute!
Angelica mit Medor sei fortan verbunden.
ALLE.
Wer kündet würdig je dir Dank, und Preis dir!
ORLANDO.
Siegprangend steht mein Herz;
Auf solche Morgensonne
Wird eurer Liebe glänzend
Ein neuer Lenz erblüh’n!
ANGELICA, MEDORO.
Siegprangend steht mein Herz;
Und noch in höh’rer Wonne
Wird Treue uns und Frieden
In laut’rer Gluth durchglüh’n.
DORINDA.
Vergessen ist mein Schmerz,
Verschmerzt, was ich erlitten,
Kommt mit zu meinen Hütten
Zu Fest und Spiel und Scherz.
ALLE.
Preis singt aus voller Brust, –
Nun All‘ aus vollen Kelchen
In vollem Glücke schwelgen, –
Dem Ruhm, der Liebeslust!