Ambroise Thomas
Mignon
Oper in drei Akten
Personen
Mignon (Sopran)
Philine (Sopran)
Wilhelm Meister (Tenor)
Lothario (Bariton)
Laertes (Tenor)
Friedrich (Tenor)
Jarno (Baß)
Der Fürst (Tenor)
Der Baron (Bariton)
Antonio,
Ein Souffleur,
Ein Bedienter, (Sprechrollen)
Zigeuner. Schauspieler. Herren und Damen. Bürger. Bauern und Bäuerinnen
Der erste und zweite Aufzug spielen in Deutschland, der dritte spielt in Italien gegen 1790.
Ouvertüre
Erster Aufzug
Der Hof eines deutschen Wirtshauses.
Links Gebäude, deren eines dem Publikum gegenüber. Im ersten Stock eine Glastür auf eine Treppe nach außen führend, die in den Hof hinabgeht. Rechts ein Schuppen, Tische und Tonnen.
Erster Auftritt
Bürger. Später Lothario. Die Bürger sitzen und trinken und werden von einigen Kellnern bedient.
Nr. 1. Introduktion.
CHOR DER BÜRGER.
Auf, ihr lustigen Zecher,
Füllt wieder eure Becher
Und trinkt und raucht, wie’s euch gefällt.
Das Bier ist kühl, ihr Leute,
Und wie der Schaum sich hält.
Wir haben Sonntag heute,
Ruh‘ ist für alle Welt.
LOTHARIO erscheint im Hintergrunde auf der Schwelle des Wirtshauses. Langsam schreitet er vor, bleibt in der Mitte des Hofes stehen und singt, sich auf der Laute begleitend.
Ohne Rast, ohne Ziel irr‘ ich von Haus zu Hause,
Wohin der Zufall mich führet, selbst in Sturmes Gebrause!
Gott ist des Elends einz’ger Hort!
Doch sie lebt! Ja, sie lebt! Ich muß sie wiedersehen!
Ruh’n will ich einer Tag, ach, und dann wieder gehen
Und wandern fort und immerfort!
EINIGE BÜRGER. Seht, ’s ist Lothario, der alte fremde Sänger.
ANDERE BÜRGER. Man sagt, daß seine Sinne verworren und krank.
DIE ERSTEN BÜRGER. Woher kommt er?
DIE ANDEREN BÜRGER. Niemand weiß es!
ALLE zu Lothario.
Nun, Freund, traure nicht länger,
So trinke und laß für heute den Klagegesang.
CHOR.
Auf, ihr lustigen Zecher,
Füllt wieder eure Becher
Und trinkt und raucht, wie’s euch gefällt.
Das Bier ist kühl, ihr Leute,
Und wie der Schaum sich hält.
Wir haben Sonntag heute,
Ruh‘ ist für alle Welt.
Zweiter Auftritt.
Die Vorigen. Jarno. Zigeuner. Bauern des Schwarzwaldes. Später Philine und Laertes (auf dem Balkon); dann Mignon.
EINIGE BAUERN auftretend.
Platz gemacht, weicht zurücke! Platz da, es nahn die Zigeuner,
Weit aus Böhmer Land kommen sie her.
Marsch.
Da ist die ganze Bande, an ihrer Spitze Jarno
Und sein Gefährte Zafari.
Auftritt der Zigeuner. Die Bande zieht um die Bühne herum. Ein Wagen, mit grober Leinwand verdeckt und mit Flitterwerk aller Art beladen, wird durch zwei oder drei Zigeuner nach dem Vordergrund der Bühne gezogen. Jarno steht aufrecht im Wagen. Mignon, in einem durchlöcherten Mantel, schläft auf dem Stroh im Hintergrunde des Wagens. Eine Gruppe von Tänzern, Tamburins in den Händen, springt auf die Bühne. Zafari ergreift seine Geige und gibt das Zeichen zum Tanze; ein Tamburin und eine Oboe begleiten die Musik.
GANZER CHOR. Platz da!
PHILINE erscheint auf dem Balkon, gefolgt von Laertes.
Laertes! Sehn Sie doch diese Kinder aus Böhmen,
Ein Schauspiel, das unterhaltend zu werden verspricht;
Doch, Nachsicht üben Sie, und höhnen Sie sie nicht,
So mögen sie den Platz hier nehmen.
Laertes setzt sich neben Philine.
Zigeunertanz.
EINIGE ALTE BÜRGER.
Die Mädchen der Zigeuner
Mit ihrem Blick so schlau,
Ja, wie sie tanzet keiner,
Auch selbst nicht meine Frau.
LAERTES die Zigeuner betrachtend.
Die Mädchen der Zigeuner
Mit braunem Angesicht,
Ja, wie sie tanzet keiner,
Auch selbst Philine nicht.
PHILINE lachend.
Die Mädchen der Zigeuner,
Sie haben leichtes Blut,
Ihr Herz betrübet keiner,
Stets frei, so ist es gut.
CHOR.
La la ralla la, tralalala.
Sind wie der Vogel im Ätherblau,
Ja, ja, die Mädchen der Zigeuner.
Nun so singt und so springt, ihr Zigeuner!
Ach, der tolle Reigen!
Ihr Tanz, so wild,
Mit Lust erfüllt.
Ja, so singt und so trinkt!
Lasset uns singen,
Tanzen und springen
In wildem Kreise
Nach lust’ger Weise.
JARNO tritt in die Mitte der Bühne und grüßt die Versammlung. Einige Geldstücke fallen zu seinen Füßen. Zafari hebt sie auf.
Um der Gaben, der Nachsicht würdig mich zu zeigen,
Folgt also jetzt ein Stück, unsrer Kunst höchster Glanz;
Gesehn ist es wohl nie der Art in diesen Kreisen,
Mignon zeiget sogleich den berühmten Eiertanz!
ALLE.
Hurra! Lasset nah uns gehn,
Den Eiertanz anzusehn.
LAERTES zu Philine.
Wohlan, auch wir wollen sehn!
JARNO zu Zafari.
Du, Zafari, bereite
Den schönsten Schmaus für jedes Ohr!
Zu einem andern Zigeuner.
Den bunten Teppich auf die Erde breite;
Er nähert sich dem Wagen und weckt Mignon.
Und du, Mignon, steh auf! Tritt vor, tritt vor!
Zafari beginnt das Vorspiel auf der Geige. Eine alte Zigeunerin breitet einen Fetzen von Teppich auf der Erde aus. Die Eier werden von einem Kinde daraufgelegt. Mignon ermuntert sich bei Jarnos Stimme und tritt in die Mitte der Zuschauer. Sie hält einen Strauß von wilden Blumen in der Hand und scheint aus einem Traume zu erwachen.
PHILINE vom Balkon aus zu Jarno.
Holla, mein werter Herr, mögt Ihr uns nicht erst sagen:
Wer ist das arme Kind, des Antlitz scheint zu klagen,
Daß man so es erweckt und zum Tanz Befehl ihm gab,
Ist es ein Mädchen? Ist es ein Knab?
JARNO.
Oh, keins von beiden, schöne Dame,
Weder Knab noch Mädchen, auch Frau nicht.
PHILINE.
Und wer ist es denn?
JARNO schlägt den Mantel zurück, der Mignon bedeckt.
’s ist Mignon!
Die Zuschauer lachen laut.
MIGNON für sich.
Aller Augen ruh’n auf mir, dies Lachen mich beleidigt –
O Herz, sei mutig stolz, da niemand dich verteidigt.
JARNO. Auf zum Tanze! Tanze, Mignon!
MIGNON mit dem nackten Fuß auf die Erde stampfend
Nein, nein! Nimmermehr!
Ich trotze deinem Willen
Und weigre mich, den Befehl zu erfüllen!
JARNO.
Wie, du trotzest?
Zu den Zigeunern.
Holla, gebt schnell den Stock mir her!
MIGNON. Nein, nein!
JARNO.
Tanze, Mignon, und zögre nicht,
Sonst zeigt der Stock dir deine Pflicht!
DIE MÄNNER.
Tanze! siehe den Stock!
Tanze, Mignon, und zögre nicht,
Der Wütrich hält, was er verspricht.
DIE FRAUEN.
Sie hat ganz recht,
Sie tanzet nicht.
LOTHARIO steht auf und läuft zu Mignon, die er in seine Arme schließt.
O fasse Mut
Und bau auf mich,
Gegen seine Wut
Beschütz‘ ich dich.
JARNO zornig.
Zum Teufel, elender Bettler, so geh zum Teufel!
Er erhebt den Stock gegen Mignon.
Gleich tanzest du und zögerst nicht,
Sonst zeigt der Stock dir deine Pflicht.
ALLE.
Tanze sogleich und zögre länger nicht,
Der Wütrich hält, was er verspricht.
MIGNON.
Nein, nimmermehr! Ich tanze nicht.
Dritter Auftritt
Die Vorigen. Wilhelm.
WILHELM tritt auf, gefolgt von einem Diener, der seinen Koffer trägt. Er eilt Mignon zu Hilfe und hält Jarnos Arm zurück.
Da, Schurke du, halt ein! Sieh, die Not kennt kein Gebot!
Er zieht eine Pistole aus der Tasche und legt auf Jarno an.
JARNO.
Wie? Was beliebt?
WILHELM.
Wagst du noch einen Schritt, bist du tot!
JARNO.
Nun gut, ich gebe nach!
Mit kläglichem Ton.
Doch ich bin ruiniert,
Meine Einnahme ist weg, bin am Bettelstabe.
PHILINE wirft vom Balkon Jarno ihre Börse zu.
So, nimm da und schweig! ’s ist mehr, als dir gebührt.
MIGNON teilt ihr Bukett zwischen Wilhelm und Lothario.
O nehmt die Blumen an, sie sind all meine Habe!
Ensemble.
PHILINE für sich.
Wer kennt jenen fremden Herrn,
Der sein Leben wollte wagen?
Möchte jemand nur ihn fragen,
Wer er ist, ich wüßt‘ es gern.
LAERTES für sich.
Wer ist er? Zu Philine. Wer
Jener Fremde, wüßten Sie wohl gar zu gern.
Der schöne Mann, und voll Mut, wer ist er?
WILHELM.
Nicht ahnte ich heut von fern,
Was sich eben zugetragen!
Oh, Ärmste, nicht durft‘ ich zagen,
Was ich tat, ich tat es gern.
MIGNON.
Oh, Jungfrau, mein Hoffnungsstern,
O höre des Kindes Klagen,
Was du forderst, will ich tragen,
Beug‘ mich vor der Macht des Herrn.
LOTHARIO unbeweglich und starren Auges seine Laute spielend.
Naht im Dunkeln ein Ritter von fern,
Kannte ihn wohl in alten Tagen,
O eile, mir Trost zu sagen,
Du bist mein Hoffnungsstern.
JARNO.
Jetzt nur fort, haltet euch nicht zu fern.
Wer er ist, ich wüßt‘ es gern.
CHOR.
Wer ist er? seht von fern.
Die Bürger gehen durch den Hintergrund ab. Jarno und die Zigeuner ziehen sich in den Schuppen zurück. Mignon folgt ihnen, und Lothario entfernt sich langsam. Philine spricht leise zu Laertes, mit dem Finger auf Wilhelm deutend. Sie geht langsam in das Haus. Laertes steigt auf der äußeren Treppe in den Hof hinab.
Vierter Auftritt
Wilhelm. Laertes.
WILHELM zu seinem Diener. Sorge für unsere Pferde und sieh danach, daß mein Koffer an einen sicheren Ort komme. Ich werde hier im Freien frühstücken.
Der Diener geht in das Wirtshaus ab.
LAERTES Wilhelm begrüßend. Mein Herr! Wilhelm grüßt wieder. Die junge Dame, welche soeben mit mir auf jenem Balkon saß, hat mich beauftragt, Ihnen ihren Dank abzustatten für die wahrhaft ritterliche Weise, mit welcher Sie die kleine Zigeunerin von den Schlägen ihres reizenden Gebieters befreiten.
WILHELM. Was ich getan, würde jeder andere an meiner Stelle auch getan haben.
LAERTES. Gewiß! Ich gestehe Ihnen, daß ich eben hinuntereilen wollte, als Sie wie ein rettender Engel erschienen. Unsere Herzen begegneten sich, sie werden sich darum auch verstehen. Erlauben Sie mir, Ihnen nun zu sagen, wer wir sind. Ich heiße Laertes, die Dame auf dem Balkon heißt Philine. Sie sehen in uns die letzten Überreste einer Schauspielertruppe, deren Direktor – wie das ja wohl vorkommt – verschwunden ist, ohne jemanden zu bezahlen. Einige unserer Kollegen sind in der Stadt geblieben, um eine günstige Gelegenheit abzuwarten; Philine vertraut ihrem guten Stern, ohne sich wegen der Zukunft zu beunruhigen, und ich, ich benutze meine Freiheit, um alle die Albernheiten zu vergessen, die ich auf Befehl der Herren Autoren in mein Gehirn hineinpfropfen mußte.
Eine Magd deckt den Tisch.
WILHELM. Ist es Ihnen recht, so teilen Sie mein bescheidenes Frühstück mit mir.
LAERTES. Mit Vergnügen.
WILHELM zu der Magd. Zwei Kuverts! Zu Laertes. So werden wir plaudern und mit dem Glase in der Hand unser Zusammentreffen feiern. Und nun – Vertrauen gegen Vertrauen – hören Sie, wen Sie vor sich haben. Ich heiße Wilhelm Meister, bin der Sohn eines rechtschaffenen Bürgers in Wien, welcher vor einem Jahre die Universität verließ, seine väterliche Erbschaft in Empfang nahm, um in das Leben zu treten. Ich bin jung, reich, frei, verliebt, ein Freund schöner Verse wie aller schönen Dinge, neugierig, die Welt zu sehen, ungeduldig, tolle Abenteuer zu erleben. Er steht auf. Ich will unser altes Deutschland durchreisen, ich will Frankreich und Italien sehen und Geld unter die Leute bringen.
Nr. 2. Arie.
WILHELM.
Froh und frei will ich eilen
Durch die herrliche Welt,
Kommen, gehn und verweilen,
Heut hier und morgen dort; ich tu, was mir gefällt!
Neu sind mir alle Dinge,
Alles reizt, bezaubert mich,
Und ich lache, und ich singe,
Mein eigner Herr bin ich.
Lebe wohl denn, ich scheide,
Du mein väterlich Haus,
Das Vögelein, voll Freude,
Breitet die Flügel aus.
Froh und frei will ich eilen
Durch die herrliche Welt,
Kommen, gehn und verweilen,
Heut hier und morgen dort; ich tu, was mir gefällt!
Wenn die Lieb‘ auf meinen Wegen
Noch heute zu mir spricht,
Folg‘ ich Trieben, die sich regen,
Und bis morgen wart‘ ich nicht.
Mein Herz mag sich nicht sträuben
Vor der süßen Lust,
Läßt sich doch so gern betäuben
Die lieberfüllte Brust.
Doch die beste der Frauen,
Die ein Traum uns verspricht,
Noch konnt‘ ich sie nicht schauen,
Fand sie bis jetzt noch nicht.
Ob sie von hoher Herkunft, wie ist ihr Haar, ihr Auge?
Was kümmert’s mich!
Ja, frei will ich eilen
Durch die herrliche Welt,
Kommen, gehn und verweilen,
Heut hier und morgen dort; ich tu, was mir gefällt!
Die Magd trägt das Essen auf.
LAERTES. Das Frühstück ist serviert!
WILHELM. Nun denn, zu Tisch!
LAERTES. Zu Tisch! Lachend. Wahrhaftig, so ein Frühstück unter wirklichen Bäumen in Gesellschaft eines liebenswürdigen Mannes, der nie Komödie gespielt hat, dieses Huhn, das nicht nur ein Theaterhuhn von Pappe, dieser Wein, den nicht der Requisiteur geliefert, das ist alles herrlich! Er zerschneidet das Huhn.
WILHELM einschenkend. Auf Ihr Wohl!
LAERTES das Glas ergreifend. Und auf das Ihre! Er ißt und trinkt. Und nun, mein lieber Herr – Wilhelm Meister, Sie haben sich vorgenommen, die ganze Welt zu durcheilen; nehmen Sie sich nur in acht, daß Sie nicht auf der ersten Station sitzenbleiben.
WILHELM. Wie das?
LAERTES. Ich meine irgendeine Liebesfalle, in die Sie geraten könnten. Er trinkt. Wie Sie, lieber Herr Meister, reiste ich mit meinen zwanzig Jahren und den Talern meines verstorbenen Onkels in der Tasche, von meinem Dorfe ab, um die Welt zu erobern. Auf der ersten Station trete ich in eine Scheune, in welcher eine wandernde Schauspielertruppe Komödie spielte. Beim Scheine der Talglichte fällt mir ein junges Mädchen von fünfzehn Jahren auf, blond wie Stroh, mit Vergißmeinnichtaugen – es war die muntre Liebhaberin der Truppe. Den Morgen darauf gestehe ich ihr meine Liebe, nach acht Tagen waren wir verheiratet. Noch am Abend des Hochzeitstages überraschte ich meine Julia mit einem fremden Romeo zu ihren Füßen; ich duelliere mich, werde verwundet, und der Sieger verschwindet mit meiner Frau und meinem Gelde. In dem Zeitraum weniger Tage hatte ich die Empfindungen des Liebhabers, des Bräutigams, des Ehemanns und Witwers durchgekostet. Er trinkt. Mein Verlangen nach Reisen hatte sich gelegt, mein Durst nach Abenteuern war befriedigt. Der Teufel machte schließlich aus mir einen Schauspieler. Sie sehen, daß ich nicht gerade aus Nei gung meinem Stande angehöre und daß ich wohl Grund habe, wenn ich Sie vor den Frauen warne!
WILHELM lächelnd. Und dennoch schienen sie sich mit der Dame auf dem Balkon recht gut zu verstehen.
LAERTES. Sie meinen Philine? Das will nichts sagen, mein Wort zum Pfande! Wir beide kennen uns zu gut, um uns zu lieben. Philine tritt auf den Balkon, um zu lauschen; sie hat ihren früheren Morgenanzug mit einem eleganten Reisekleid vertauscht. Wir haben uns abends vor dem Publikum so viel schöne Dinge gesagt, daß uns für das Privatleben nichts mehr übriggeblieben ist.
WILHELM lachend. Wirklich?
LAERTES. Und außerdem sagt ja das Sprichwort sehr wahr: Ein Wolf verschlingt den anderen nicht. Aber mit Ihnen ist das etwas ganz anderes. Sie gehören nicht zum Bau, Sie sind jung, feurig, wißbegierig, voller Illusionen. Trauen Sie jener Dame nicht; ich bin zu sehr ihr Freund und möchte zu gern Ihr Freund werden, als daß ich Ihnen nicht dringend den guten Rat erteilte. Philine ist lebhaft, kokett, verschmitzt, lügenhaft und eitel, wie alle ihresgleichen, leichter als der Wind, treuloser als die Welle, veränderlicher als der Mond. Und mit all ihren Fehlern ist sie das gefährlichste Weib, das ich kenne. Trinken wir auf ihre Gesundheit! Sie trinken und stoßen an. Während der letzten Rede ist Philine die Treppe hinabgestiegen.
Fünfter Auftritt
Die Vorigen. Philine.
Nr. 3. Terzett.
PHILINE Laertes mit der Spitze ihres Fächers auf die Schulter klopfend.
Ei was, teurer Laertes, da Ihr Glas Sie geleeret,
Vollenden Sie dies reizende Porträt denn nicht?
LAERTES lachend zu Philine.
Sie hier? Wir saßen zu Gericht!
WILHELM Philine grüßend.
Er ist als Freund ein strenger Richter,
Ihr schönes Aug‘ sagt, daß er nicht Wahrheit spricht.
PHILINE zu Wilhelm.
Ich danke für das Kompliment.
WILHELM heiter, für sich.
Welche Anmut, welches Sehnen
Spricht der Blick, voll Gefühl;
Ach, die Seufzer und Tränen
Führen hier nicht zum Ziel.
LAERTES.
Er glaubt, bei dieser Schönen
Kommt so leicht er zum Ziel,
Er wird geliebt sich wähnen,
Doch treibt sie nur ihr Spiel.
PHILINE für sich.
Ich erwecke sein Sehnen,
Rache nur ist mein Ziel,
Wird geliebt er sich wähnen,
Der Rest ist leichtes Spiel.
Wie ist’s in der Welt zu beklagen,
Wenn alle Frauen so sind wie ich,
Kokett und leicht fürchterlich.
Die Männer, was soll man da sagen,
Nach Laertes zeigend.
Gar viele sind grad so wie er,
Sie schleppen die Langweil‘ uns her,
Rühmen sich, zu hassen alle Frauen,
Weil ihr Herz nicht eine ihm gibt;
Sie schwören, uns sei nicht zu trauen,
Und nur weil man nicht jeden liebt.
WILHELM lächelnd.
Gut gesagt! Daß nenn‘ ich gerächt!
LAERTES.
Sehr gut! Nur vorwärts ins Gefecht!]
Ohne Umschweif erlauben Sie mir,
Sie gleich einander vorzustellen.
Wilhelm Philine vorstellend.
Ein liebenswürd’ger Mann, Wilhelm Meister steht hier,
Der für Ihre Lieb‘ gern sein Herz will verlieren.
Philine Wilhelm vorstellend.
Hier, Signora Philine, ein Engel in Person,
Die Sie findet scharmant und es wünscht auszudrücken.
Zu Philine.
Und jetzt lassen Sie los ein Lächeln zum Entzücken!
Zu Wilhelm.
Sie reichen der Signora Ihr Bukett!
Er nimmt Wilhelms Bukett und gibt es Philine.
Schon da!
WILHELM für sich.
Welche Anmut, welches Sehnen
Spricht der Blick, voll Gefühl;
Ach, die Seufzer und Tränen
Führen hier nicht zum Ziel.
PHILINE für sich.
Ich erwecke sein Sehnen,
Rache nur ist mein Ziel,
Wird geliebt er sich wähnen,
Der Rest ist leichtes Spiel.
LAERTES lachend.
Er glaubt bei dieser Schönen
Kommt so leicht er zum Ziel,
Er wird geliebt sich wähnen,
Doch treibt sie nur ihr Spiel.
PHILINE zu Wilhelm. Mein Herr, ich bitte Sie, die Scherze meines Freundes zu entschuldigen! Zu Laertes. Sie geben mir Ihren Arm.
LAERTES. Wir gehen?
PHILINE. Ja, ich entführe Sie, um Herrn Meister Ihren schlechten Ratschlägen zu entziehen.
LAERTES lachend. Und zu fliehn. Deklamierend. »Durchbohrend ihm das Herz mit gift’gem Pfeil!« Mit natürlichem Ton. Wohin gehen wir?
PHILINE. In die weite Welt. Leise. Meine Börse ist leer.
LAERTES. Teufel, die meinige auch.
PHILINE. Ich will in der Stadt einen anständigen Juwelier suchen, welchem ich etwas Schmuck verkaufen kann.
LAERTES leise. Sie haben noch Schmuck zu verkaufen? Sie Glückliche!
PHILINE Laertes‘ Arm nehmend. Apropos, haben Sie nichts von unserem Freunde Friedrich gehört?
LAERTES. Nicht das mindeste.
PHILINE. Er hat mich seit acht Tagen nicht aufgesucht – er muß gestorben sein.
LAERTES. Sehr wahrscheinlich! Zu Wilhelm. Wir finden Sie wieder hier? Nicht wahr?
PHILINE lachend. Sicher! Verschwindet man denn so schnell, wenn man mich gesehen hat?
LAERTES. Man täte gescheiter, wenn man verschwände.
PHILINE. Unverschämter! Zu Wilhelm. Bis später, Herr Meister! Mit Laertes ab.
Sechster Auftritt
Wilhelm. Später Mignon.
WILHELM fröhlich. Bei Gott! ein reizendes Mädchen! Etwas närrisch – und ohne Zweifel sehr kokett – aber reizend.
MIGNON kommt furchtsam aus dem Schuppen; für sich. Er ist allein.
WILHELM. Laertes mag noch so viel reden, ich glaube, trotz seiner weisen Ermahnungen werde ich verliebt. Mignon bemerkend. Ach du bist’s, armes Kind!
MIGNON. Jarno ist eingeschlafen, und nun komme ich, dir zu danken.
WILHELM. Hast du dich denn nicht schon bedankt, indem du mir dein Bukett gabst?
MIGNON. Mein Bukett –
WILHELM für sich. Teufel, das hat mir ja Philine genommen!
MIGNON für sich. Was hat er damit gemacht?
WILHELM. Der Dienst, den ich dir geleistet, verdient wahrhaftig, nicht so viel Dank. Der Elende wollte dich schlagen; ich schüchterte ihn durch Drohungen ein, und so bist du diesmal seiner Wut entgangen. Morgen freilich werde ich nicht mehr hier sein, um dich verteidigen zu können.
Nr. 4. Rezitativ und Romanze.
MIGNON.
Morgen, sagst du; wer weiß, morgen sind wir wohl weit!
Unsre Zukunft steht bei Gott, er bestimmt die Zeit.
WILHELM gesprochen. Wie heißt du?
MIGNON.
Mignon nennen sie mich.
Nichts andres weiß ich.
WILHELM gesprochen. Wie alt bist du denn?
MIGNON.
Die Bäume wurden grün,
Der Schnee bedeckte das Feld,
Für mich war niemand da,
Der meine Jahre gezählt.
WILHELM gesprochen. Wer ist dein Vater? Wer deine Mutter?
MIGNON.
Die Mutter ruht von ihrer Not,
Und der große Teufel ist tot!
WILHELM. Der große Teufel? Was willst du damit sagen?
MIGNON. Das war mein erster Herr.
WILHELM. Der, welcher dich jenem Menschen verkaufte! Sie mit Teilnahme prüfend. Aber wie bist du in seine Hände gefallen? Sprich! Vielleicht kann ich dir helfen und dich diesem elenden Leben entreißen. Ohne Zweifel hat man dich deiner Familie gestohlen. Bewahrst du nicht irgendeine Erinnerung aus deiner Kindheit? Mignon sieht ihn an, ohne zu antworten. Du schweigst! Du wagst nicht, dich mir anzuvertrauen.
MIGNON sucht ihre Erinnerungen zurückzurufen und spricht wie zu sich selbst. Von meiner Kindheit ist nur eine einzige Tatsache in meinem Geiste geblieben, genau wie am ersten Tage. Ich hatte mich von dem Hause meines Vaters weit entfernt und irrte aufs Geratewohl im Felde umher, als ich mich von Männern in seltsamen Tracht umgeben sah. Ich bat sie, mich zu meinem Vater zurückzuführen und beschrieb ihnen den Weg, den sie einschlagen sollten; sie versprachen mir es auch und führten mich mit sich fort. Aber in der Nacht, als sie mich im Schlafe glaubten, hörte ich, wie einer von ihnen sagte: »Sie kann uns nützlich sein, wir müssen sie so schnell als möglich aus dem Lande entfernen.«
WILHELM gesprochen. Weißt du noch etwas von den Gegenden, welche du durchwandertest, ehe du hierher kamst? Schweben dir ferne Orte vor, welche du wiedersehen möchtest?
MIGNON gesprochen. Ich weiß ein Lied, das meine Gedanken, meine Gefühle wiedergibt.
Romanze.
MIGNON.
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunklen Land die Goldorangen glühn,
Ein sanfter Wind von blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?
Kennst du es wohl?
Dahin, dahin
Möcht‘ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.
Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach;
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Was hat man dir, du armes Kind, getan?
Kennst du es wohl?
Dahin, dahin
Möcht‘ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!
WILHELM. Dieses zauberische Land, von dem du sprichst, diese glückliche Gegend, welche du im Herzen bewahrtest, ist es nicht Italien, liebe Kleine?
MIGNON träumerisch. Italien – weiß nicht!
WILHELM für sich. Seltsames Wesen!
JARNO kommt aus dem Schuppen.
Siebenter Auftritt
Die Vorigen. Jarno.
JARNO. Ah, wie es scheint, gefällt Ihnen das Kind – mein Prinz, Sie wollen mir es abwendig machen?
WILHELM. Elender! Ich hätte nicht übel Lust, dich dem Gericht zu überliefern, damit es dich zwänge, diese arme Kleine ihrer Familie, der du sie ohne Zweifel gestohlen hast, zurückzugeben.
JARNO. Gestohlen! Alle Welt kann bezeugen, daß ich sie nicht gestohlen habe, wohl aber ernährt, erzogen wie mein Kind, wie mein eigenes Kind.
WILHELM. Woher stammt sie denn?
JARNO mit mürrischem Ton. Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß ich sie von meinem Bruder, der, seiner merkwürdigen Talente wegen, den Beinamen »der große Teufel« führte, geerbt habe. – Im übrigen, wenn Sie sich so sehr für sie interessieren, zahlen Sie mir wieder, was sie mich an Kleidung und Nahrung gekostet, und Sie mögen über ihr Schicksal nach Belieben verfügen.
WILHELM. Gut! Ich nehme deinen Vorschlag an.
JARNO erstaunt. Ah – was?
MIGNON für sich. Was sagte er?
WILHELM zu Jarno. Kommt mit mir, ich zahle dir sogleich das Geld, welches du forderst, und dafür unterzeichnest du mir eine Schrift, welche Mignon ihre Freiheit wiedergibt.
JARNO. Wenn ich bezahlt werde, unterzeichne ich alles, was Sie wollen.
WILHELM. So kommt! Zu Mignon. Im Augenblick wirst du frei sein. Bald bin ich wieder hier, mein liebes Kind.
Mit Jarno ins Wirtshaus ab.
Achter Auftritt
Mignon. Später Lothario.
Nr. 5. Rezitativ und Duett.
MIGNON. Frei! Frei! Ist es wahr? Hab‘ ich recht gehört? Sie bemerkt Lothario, welcher aus dem Hintergrunde kommt. Ach komm und freue dich mit mir; wie er, sei auch du gesegnet, der mich verteidigte.
LOTHARIO. Ich suchte dich, um dir Lebewohl zu sagen; ehe ich ging, wollte ich dich noch einmal sehen.
MIGNON. Aber weshalb gehst du schon?
LOTHARIO. Ich muß!
MIGNON. Allein; ohne Führer! Für sich. Armer Greis, des Verstandes beraubt. Laut, teilnehmend. Gehst du nach Nord oder Süd?
LOTHARIO. Die Schwalben, welche du am Himmel schweben siehst, sie fliehen nach dem Süden; wohin sie gehen, gehe ich auch.
MIGNON traurig. Oh, warum kann ich nicht wie sie durch alle Räume fliegen, in mein Heimatland. Gib mir deine Laute. Sie singt, sich auf der Laute begleitend.
Duett.
MIGNON.
Ihr Schwalben in den Lüften,
In Gottes blauem Reich,
Schwebt über Seen und Triften,
O könnt‘ ich ziehn mit euch!
LOTHARIO.
Klinge, süße Laute,
Unter ihrer Hand,
Erinnerung wecke, traute,
Die längst ihr entschwand.
MIGNON.
O flieht zu lichten Auen,
O flieht zu dem Horizont, so hell, so rein;
Wie glücklich, zu erschauen
Schon morgen jenes Land voll Sonnenschein.
O könnt‘ ich fliehn mit euch!
BEIDE.
Ihr Schwalben in den Lüften,
In Gottes blauem Reich,
Schwebt über Seen und Triften,
O könnt‘ ich ziehn mit euch.
Man hört hinter der Bühne Philine laut lachen.
MIGNON. Schon wieder diese Frau! Ich mag sie nicht sehen, komm! Sie zieht Lothario nach dem Schuppen.
Neunter Auftritt
Philine. Friedrich. Später Wilhelm und Jarno. Philine tritt laut lachend auf; Friedrich folgt ihr, den Staub von seinen Kleidern abschüttelnd.
PHILINE. Nein, lassen Sie mich zu Ende lachen, lieber Friedrich. Diese Art und Weise, über den Kopf Ihres Pferdes hinweg mir zu Füßen zu fallen, ist wahrhaftig ebenso originell wie galant. Ich wußte gar nicht, daß Sie ein so fertiger Voltigeur sind.
FRIEDRICH. Spotten Sie nur. Das arme Pferd hat meine Sehnsucht nach Ihnen fast mit dem Leben bezahlt.
PHILINE. Sagte ich es Ihnen nicht, daß Sie fern von mir nicht existieren können? Sie lacht.
WILHELM kommt mit Jarno aus dem Hause. Abgemacht! Mignon ist frei!
JARNO. Abgemacht! Ich werde ihr ihre Lumpen übergeben und sie Ihnen herschicken. Für sich. Hundert Dukaten! Ein gutes Geschäft. Geht in den Schuppen.
Zehnter Auftritt
Wilhelm. Philine. Friedrich.
PHILINE zu Wilhelm tretend. Wie, was höre ich da? Sie haben der jungen Zigeunerin ihre Freiheit erkauft? Sehr edelmütig! Was wollen Sie aber mit ihr beginnen?
WILHELM. Ich denke sie hier bei ehrlichen Leuten irgendeine Arbeit erlernen zu lassen.
PHILINE lachend. Geben Sie sie mir! Sie soll Komödie spielen lernen und mich dafür in dem famosen Eiertanz unterrichten.
WILHELM. O spotten Sie der Unglücklichen nicht, es wäre Ihrerseits zu grausam.
FRIEDRICH zu Philine wütend. Was will denn der eigentlich? Er will zwischen Wilhelm und Philine treten, Philine verhindert es.
PHILINE zu Friedrich. Bitte, nur Ruhe! Zu Wilhelm. Herr Meister, ich stelle Ihnen hier den jungen Friedrich vor, welcher meinetwegen der Universität entlaufen ist, und den ich zu seinen Eltern zurückführen werde, sobald ich sie kennenlerne. Um bei mir zu sein, ist er zu allem fähig. Er wäre ebenso gern Souffleur, Lampenputzer, Ballettmeister oder Friseur der Truppe. Hauptsächlich ist er einer meiner hartnäckigsten und eifersüchtigsten Anbeter, der mich regelmäßig alle acht Tage verläßt, um regelmäßig acht Tage nachher wiederzukommen. Friedrich bei der Hand nehmend. Herr Friedrich, ich stelle Ihnen Herrn Wilhelm Meister vor, einen Mann, welchen Sie ganz gewiß liebgewinnen werden, da er unserm Freund Laertes versprochen hat, mir nicht den Hof zu machen.
WILHELM leise und lächelnd. Ich habe gar nichts versprochen.
PHILINE für sich. Er liebt mich schon. Laut. Aber wo bleibt Laertes?
LAERTES hinter der Szene. Philine – teure Philine!
WILHELM. Da ist er schon.
Elfter Auftritt
Die Vorigen. Laertes.
LAERTES lebhaft, einen Brief in der Hand. Sieg! Sieg!
PHILINE. Was gibt’s?
LAERTES. Endlich triumphieren wir über unsern bösen Stern. Wir werden in den Genüssen Kapuas schwelgen und vor einer unserer Talente würdigen Versammlung spielen.
PHILINE. Wie das?
LAERTES. Unsre Kollegen bereiten sich schon zur Abreise vor und werden uns sogleich hier abholen. Und hier Den Brief hochhaltend. der Brief, der uns und Zu Philine. hauptsächlich Sie ruft. Zu Wilhelm. Sie erlauben! Öffnet den Brief und liest. »Meine Allerschönste, um die Anwesenheit des Fürsten von Tiefenbach, welcher auf der Durchreise einige Tage auf meinem Schlosse verweilt, würdig zu feiern, denke ich ihm durch einige Schauspielvorstellungen ein besonderes Vergnügen zu bereiten. Ich habe infolgedessen Ihre Kollegen benachrichtigen lassen, daß ich sie noch heute erwarte. Ihnen, meine Allerschönste, dem Stern der Gesellschaft, schicke ich einen Wagen, damit Sie bequem reisen. Ich hoffe, daß Sie meine Einladung annehmen, und verspreche Ihnen, daß Sie sich nicht über die Gastfreundschaft zu beklagen haben werden, welche Sie finden sollen bei Ihrem ergebenen Anbeter und Freunde. Der Baron von Rosenberg.«
FRIEDRICH. Mein Onkel!
PHILINE in Lachen ausbrechend. Ihr Onkel? Der Baron Ihr Onkel!
FRIEDRICH. Leider!
PHILINE. Nun, besorgen Sie nichts. Ich werde ihm von Ihnen nur Gutes erzählen.
FRIEDRICH. Sie nehmen also seine Einladung an?
PHILINE. Mit Wonne! Und seinen Wagen auch.
FRIEDRICH. Schändlich! Er geht nach dem Hintergrund zu Laertes, mit dem er spricht.
PHILINE zu Wilhelm. Und Sie, werter Herr, hätten Sie nicht Lust, uns zu begleiten? Ich stelle Sie dem Baron als unseren Dichter vor. Kommen Sie mit, Sie bereiten mir dadurch ein besonderes Vergnügen. Also nicht wahr, Sie willigen ein! Sie geht nach dem Wirtshause.
FRIEDRICH. Philine!
PHILINE. Sie! Auf der Treppe, welche zu ihrem Zimmer führt. Wenn Sie sich einfallen lassen sollten, uns zu folgen, so werden Sie Ihrem Onkel überliefert. Geht lachend hinein und schließt die Tür zu.
LAERTES. Sie macht sich über Sie lustig, mein Lieber.
FRIEDRICH. Verdammte Kokette! Verdammter Baron! Verdammter Brief! Laertes die Hand gebend. Auf Wiedersehn, Laertes! Wilhelm den Rücken kehrend. Sie, mein Herr, Sie grüße ich nicht. Läuft wütend ab.
WILHELM. Was will der? Will ihm nach, Laertes hält ihn zurück.
Zwölfter Auftritt
Laertes. Wilhelm.
LAERTES. Die Eifersucht läßt ihn den Verstand verlieren. Er glaubt Sie schon in der Gunst der Schönen.
WILHELM. Ich! Welcher Wahn!
LAERTES. Ja, die Verliebten sind stets verrückt, besonders die von Philine Verzauberten, wie der da. Sie erinnern sich, was ich Ihnen in dieser Beziehung sagte. Jetzt will ich meine Rechnung bezahlen, alsdann komme ich wieder, um von Ihnen Abschied zu nehmen, wenn wir uns trennen müssen. Geht ins Wirtshaus ab.
WILHELM träumerisch. Ihr ins Schloß folgen, und warum nicht?
Dreizehnter Auftritt
Wilhelm. Mignon. Später Lothario.
Nr. 6. Terzett und Finale.
MIGNON.
Da bin ich! Du hast mich erworben,
Was du willst, geschehe mit mir.
WILHELM.
Ich kenne hier am Ort, wo wir sind, wackre Leute,
Da hast du’s gut, dorthin bringe ich dich noch heute.
MIGNON lebhaft.
Weshalb trennest du mich von dir?
WILHELM lächelnd.
Ach, nicht wohl kann ich dich armes Kind um mich lassen;
Denn wenig würde ich zum Familienvater passen.
MIGNON.
Kleide mich wie ’nen Knaben und kauf mir Livree,
Gern will ich als dein Diener sie tragen.
WILHELM.
Und was dann?
MIGNON innig.
Ach dem, der mich befreite,
Zeig‘ ich dankbar mich,
Gern folg‘ ich in die Weite
Und nicht mehr verlass‘ ich dich.
WILHELM.
Aus jenes Wütrichs Ketten
Machte ich dich frei,
Und du willst, dich zu retten,
Nur neue Sklaverei?
MIGNON bittend.
Nicht verlass‘ ich dich.
WILHELM.
Nein! nein!
MIGNON.
Nun wohl, da deine Hand mich verstößt ohne Mitleid,
So gehe ich mit ihm!
Auf Lothario zeigend, der aus dem Schuppen tritt.
LOTHARIO.
Komm! Schön ist das freie Leben!
Im schatt’gen, grünen Wald, nachts die Stern‘ ohne Zahl,
Wird uns der grüne Rasen ein Lager auch geben,
Und der Verbannte, er teilet gern mit dir sein Mahl.
Er will Mignon fortführen.
WILHELM hält ihn zurück.
Nein, armes Kind, nicht so darf dein Los sich gestalten!
Bleibe bei mir! Mag es geschehn!
Entscheide du allein, ich will glücklich dich sehn.
Gütig.
Der Freund, der dich befreite,
Nicht verläßt er dich.
MIGNON.
Ach dem, der mich befreite,
Gerne zeig‘ ich dankbar mich,
Gern folg‘ ich in die Weite,
Und nicht mehr verlass‘ ich dich.
LOTHARIO.
Oh, Gott, mein Gott, laß leben mich,
Und lasse mich singen zu deiner Ehr‘!
Vierzehnter Auftritt
Die Vorigen. Schauspieler und Schauspielerinnen. Philine. Laertes. Jarno. Zigeuner. Bürger und Bauern.
Die Schauspieler beleben den Hof des Wirtshauses; sie sind im Reisekleid und tragen Pakete oder Koffer, die ihre Theatergarderobe enthalten, auf der Schulter oder in der Hand. Die Darstellerin der Mutterrollen hat einen kleinen Hund auf dem Arm; die Liebhaberin der Truppe trägt einen leichten grünen Sonnenschirm.
WILHELM gesprochen. Ah, da kommt ja schon die reisefertige Gesellschaft.
CHOR.
Ihr Freunde, kommt, fort auf die Reise!
Es lacht uns ja endlich das Glück,
Der Frohsinn herrscht in alter Weise,
Wir lassen den Mangel zurück.
Daß der Hunger, der Durst uns drückte,
Unser Bett der harte Stein,
Daß Künstler man also beglückte,
Es wird ja bald vergessen sein!
ZIGEUNER.
Das Schicksal wendet,
Das Elend endet;
Das Schicksal wendet zum Guten sich.
DIE SCHAUSPIELERINNEN.
Um Philine zu tragen
Ist gewiß jener Wagen.
Die Lakain seht nur an
Und das mut’ge Gespann.
CHOR.
Ihr Freunde, kommt, fort auf die Reise!
Es lacht uns ja endlich das Glück,
Der Frohsinn herrscht in alter Weise,
Wir lassen den Mangel zurück.
Daß der Hunger, der Durst uns drückte,
Unser Bett, der harte Stein,
Daß Künstler man also beglückte,
Es wird ja bald vergessen sein!
Bürger und Bauern drängen sich im Hintergrund der Szene. Ein Lakai durchbricht die Menge und begrüßt Philine, welche an Laertes‘ Arm die Treppe hinuntersteigt.
PHILINE.
Wer treu mir ergeben,
Den sehe ich auch dort;
Gott Amor soll leben!
Er ziehet mit uns fort.
LAERTES zu den Lakaien.
Wir folgen euch!
Zu den Kellnern des Wirtshauses, die Philines Gepäck tragen.
Tragt nur hinaus die Sachen.
Zu den Schauspielern.
Ich mach‘ Quartier für euch und empfang‘ euch am Ort,
Ein splendides Souper besorge ich euch dort.
DIE SCHAUSPIELER.
Hurra!
PHILINE Wilhelm die Hand reichend, leise.
Und Sie, mein Herr, Sie woll’n uns nicht begleiten?
Dank sei jenem Kunstmäzen,
Der spielen uns will sehn,
Schnell läßt er hin uns tragen.
Und wir reisen so sein
Wie im Hochzeitswagen.
WILHELM galant.
Heut abend bin ich da,
Ich bleibe Ihnen nah,
Drum nicht Abschied genommen!
Küßt ihr die Hand.
PHILINE.
Hoffnung, sie bleibt mir ja,
Sie sind mir heut abend nah
Der Dichter sei willkommen!
LAERTES. Wozu ist er auch da! Er bleibt ihr nah.
PHILINE. Und hier ist mein Bukett zum Feste!
Sie zeigt ihm das Bukett, das sie von ihm erhalten hat. Mignon kommt, ihr Bündel in der Hand, lebhaft herbei und erkennt die Blumen, die sie Wilhelm gab.
MIGNON. Mein Bukett.
WILHELM. Was ist dir?
PHILINE für sich.
Ha, er liebt mich!
LAERTES für sich.
Sie versteht’s!
MIGNON zu Wilhelm, auf Lothario zeigend.
Sieh, meine armen Blumen, du hast sie nicht mehr,
Er verachtet sie nicht, hält sie wert, er!
WILHELM lächelnd.
Verzeihung, gab nicht die Blumen ihr,
Man nahm sie mir.
MIGNON.
Nun wohl, führe mich fort, ich bin ja dein für immer.
Zu den Zigeunern.
Ich, die mit ertrugt das Elend und die Schande,
Lebt wohl!
Zu dem Kinde, indem sie ihm eine Medaille umhängt.
Du armes Kind, mag die kleine Medaille
Einst Glück dir verleihen!
Zu Jarno.
Und du, des Wut ich gefürchtet,
Der oft mich grausam zwang zur Pflicht,
Ihm die Hand reichend.
Leb wohl! Mignon zürnt deshalb dir nicht.
ZIGEUNER zu Mignon.
Hab Mut und Glück auf deiner Reise!
DIE SCHAUSPIELER. Adieu, Philine, glückliche Reise!
DIE BÜRGER. Adieu, adieu, glückliche Reise!
LOTHARIO. Schon naht der Sturm aus fernem Kreise!
DIE SCHAUSPIELER UND ZIGEUNER.
Ihr Freunde, kommt, fort auf die Reise!
Es lacht uns ja endlich das Glück,
Der Frohsinn herrscht in alter Weise,
Wir lassen den Mangel zurück.
Daß der Hunger, der Durst uns drückte,
Unser Bett der harte Stein,
Daß Künstler man also beglückte,
Es wird ja bald vergessen sein!
MIGNON.
Ach! Freiheit und Hoffnung, o heller Schein,
Der mich beschützet, wird bei mir sein.
Hoffnung leitet mich auf der Reise.
Endlich lacht mir das Glück. Nun fort!
WILHELM.
Schönheit und Liebe hier im Verein,
Werde heut abend so glücklich sein.
Blieb‘ ich hier, es wäre wohl weise.
Heut abend lacht mir das Glück. Nun fort!
LOTHARIO.
Ach! Strahlt Hoffnung mit hellem Schein,
Wird sie bald gefunden sein.
Schon nahet der Sturm aus fernem Kreise!
Ach, lachte endlich mir das Geschick!
Sie wiedersehn, o welches Glück! Nun fort!
ALLGEMEINER CHOR, PHILINE, LAERTES UND JARNO.
Ihr Freunde, nun, fort auf die Reise!
Es lacht euch ja endlich das Glück.
Es lacht uns ja endlich das Glück.
Daß der Hunger, der Durst euch drückt,
Freunde, der Mangel, das Bett auf Stein,
Alles wird bald vergessen sein.
Der Frohsinn herrscht auf jegliche Weise,
Ihr Freunde, auf, zur Reise fort!
Wilhelm winkt Philine einen Abschiedsgruß. Die Schauspieler brechen zur Abreise auf. Lothario setzt sich nachdenkend im Vordergrunde nieder. Mignon bleibt in der Mitte der Bühne stehen, die Augen auf Wilhelm gerichtet.
Zweiter Aufzug
Nr. 7. Entreakt.
Elegantes Boudoir.
Mitteltür und Seitentüren. Rechts ein Fenster, links ein Kamin.
Toilettentisch, Stühle usw.
Erster Auftritt
Philine sitzt vor dem Toilettentisch. Laertes. Es klopft.
LAERTES von außen. Darf man eintreten?
PHILINE. Sie sind’s, Laertes?
LAERTES eintretend, ist etwas angetrunken. Nur ich! Ich störe doch nicht? Hier also wohnen Sie?
PHILINE. So ist’s. Hier, in dem Boudoir der Frau Baronin.
LAERTES. Zu welchem doch gewiß der Herr Baron den Schlüssel hat?
PHILINE. Impertinent! Wie es scheint, haben Sie sehr gut soupiert, und der Wein des Barons versetzt Sie in angenehme Laune.
LAERTES. Das will ich glauben. Er deklamiert. »Nichts auf der Welt kann mehr erfreun, als guter und so billiger Wein.« Ich fühle mich wunderbar aufgelegt; ich bin fähig, heute abend eine gute Komödie zu spielen, das wird komisch sein.
PHILINE. Und auch neu!
LAERTES. Und auch neu! Ich bin selbst fähig, Ihnen Artigkeiten zu sagen, und Sie in einem Madrigal zu besingen, das dürfte noch viel neuer sein.
PHILINE. Aber weniger unterhaltend.
LAERTES. Wer weiß! Ich kann sehr galant sein, wenn ich will. Hören Sie einmal.
Nr. 8 a. Madrigal.
LAERTES.
Habe Mitleid, schönes Kind,
O senke deine Augenlider,
Denn ach, jeder Blick so sanft und lind
Ist ein Pfeil, ein Gott schickt ihn nieder,
Der uns alle trifft so geschwind.
Tralala, tralala.
PHILINE. Bravo! Fast sollte man glauben, man hörte den jungen Friedrich oder selbst den Baron. Ihre Galanterie rührt mich um so mehr, als Sie mich bis jetzt durch Artigkeiten nicht verwöhnt haben. Sich vertraulich auf seine Schulter stützend. Gestehen Sie nur ein, daß Sie sich glücklich schätzen, mein Freund zu sein; Sie hätten sonst wie die übrigen den Weg hierher zu Fuß machen müssen und auch nicht ein treffliches Abendbrot vorgefunden. Doch sprechen wir vor andern Dingen. Haben Sie Nachrichten von unserem Freunde? Ich meine natürlich den jungen Mann, welchen wir heute morgen im Wirtshaus kennenlernten.
LAERTES. Ach, Herrn Wilhelm Meister? Spöttisch. In der Tat, ich erinnere mich; haben Sie ihn nicht eingeladen, hierher zu kommen? Wollten Sie ihn nicht dem Baron als Theaterdichter vorstellen? Und er versprach Ihnen, zu erscheinen?
PHILINE lächelnd. Ich glaube, ja!
LAERTES. Nun, er wird nicht kommen. Wenigstens habe ich ihm geraten, Ihnen fern zu bleiben. Den junge Mann gefällt mir, ich interessiere mich für ihn; ich wäre untröstlich, wenn ihm ein Unglück passierte.
PHILINE. Recht nett! Sie werden mir das bezahlen, Laertes. Was Herrn Meister betrifft –
LAERTES. Wir werden ihn nicht mehr sehen.
PHILINE. Meinen Sie? Lachend. Er ist schon längst auf dem Wege hierher. In diesem Augenblick klopft er an das Schloßtor, verlangt mich zu sprechen, man führt ihn hierher und –
EIN BEDIENTER meldend. Herr Wilhelm Meister!
PHILINE. Er ist da! Zum Bedienten. Er möge eintreten.
Zweiter Auftritt
Die Vorigen. Wilhelm. Später Mignon.
WILHELM eintretend. Reizende Philine! Mein lieber Laertes –
PHILINE. Ich bin entzückt, daß Sie Ihr Versprechen gehalten haben. Ich werde Sie dem Baron vorstellen.
LAERTES. Und ich der Baronin. Doch für den Augenblick erlauben Sie mir, die Vorbereitungen zum Theater etwas zu kontrollieren. Die Bühne ist in dem Gewächshaus des Schlosses, zwei Schritte von hier, am Ende der Galerie eingerichtet. Heute abend spielen wir den »Sommernachtstraum« von einem gewissen Shakespeare, einem englischen Dichter, der nicht ohne Talent ist. Der herrliche Aloysius, unser Souffleur, hat das Stück für unsere Verhältnisse umgearbeitet und dem Tagesgeschmack angepaßt. Philine im Kostüm der Titania wird anbetungswürdig sein; ich werde als Theseus erscheinen. Deklamierend. So lebt denn wohl, bald bin ich wieder hier. Zu Philine. Ich lasse Sie bei ihm – Zu Wilhelm. Ich lasse Sie bei ihr! Er geht durch die Mitte, bleibt aber an der Tür stehen. Aber wer ist denn das Kind hier draußen hinter der Tür?
Nr. 8 b. Melodram.
WILHELM. Das ist Mignon, die sich nicht von mir trennen wollte; sie hat ihre Zigeunerkleider abgelegt und ist mir gefolgt. Darf ich sie hereinrufen?
PHILINE. Gewiß! Ich bin neugierig, sie zu sehen.
WILHELM rufend. Mignon!
MIGNON in der Tür. Du hast mich gerufen, Herr! Sie tritt furchtsam ein; sie ist als Knabe gekleidet und trägt ein kleines Bündel, das sie an der Tür fallen läßt.
PHILINE lachend. Hahaha! Eine komische Verkleidung!
WILHELM zu Mignon. Tritt ohne Furcht näher, liebes Kind. Hier findest du Feuer, um dich wieder zu erwärmen. Bitte Philine um die Erlaubnis, dich einen Augenblick niederlassen zu dürfen – hier in diesem schönen Sessel.
PHILINE. Wohl, erwärme dich, Mignon! Für sich. Merkwürdige Idee, die Zigeunerin mitzubringen.
LAERTES leise zu Mignon. Wenn du deinen Herrn lieb hast, verlasse ihn nicht und mißtraue Philine; verstehst du wohl? Gib acht! Ab.
Dritter Auftritt
Wilhelm. Mignon. Philine.
Nr. 9 a. Terzett.
WILHELM.
Sei nicht von Sorgen schwer,
Nicht bang und traurig mehr,
Erwärme deine kalten Hände
An diesem traulich stillen Herd.
MIGNON.
Vergessen ist das Leid
Und die Vergangenheit;
Ich friere nicht,
Freu‘ mich des Glücks, das mir gewährt.
PHILINE.
O Gott, wie rührend, des Lobes wert!
Hahahaha! O lassen Sie mich lachen,
Fast genug hab‘ ich schon.
MIGNON für sich.
Was meint sie mit dem Lachen?
Wie grausam ist ihr Hohn!
WILHELM zu Philine.
Sie haben Recht, zu lachen,
Auf Ihrer Schönheit Thron.
PHILINE.
Ach, welch wunderbare Sachen,
So viel Ergebenheit,
Wohl muß ich lachen.
Statt daß der Diener dort soll seinen Herrn verstehen,
Sind Sie’s, der ihn bedient.
WILHELM sich Philine nähernd.
Zu Ihren Füßen hier
Möcht‘ ich, wenn Sie’s gestatten mir,
Schönren Dienst versehen.
PHILINE.
Ist’s wahr?
Bezeichnet einen Leuchter auf dem Kamin.
So bringen Sie gleich den Leuchter hierher!
Sie setzt sich vor den Toilettentisch. Wilhelm ergreift den Leuchter und bringt ihn geschäftig zu Philine. Mignon folgt mit dem Blick allen seinen Bewegungen, ohne ihren Sessel zu verlassen.
WILHELM.
Will als Sklav‘ Sie umgeben! Zu Befehl!
Was noch mehr?
PHILINE.
Schön Dank!
Schrecklich sitzt mir das Haar, wie ich soeben sehe!
Doch bald werd‘ ich mich zeigen als strahlende Fee!
Glaub‘ schon zu hören,
Wie, zu betören,
Liebe mir schwören
Ach, jung und alt.
Es muß mir glücken,
Sie zu entzücken,
Sie zu berücken
Mit Allgewalt.
WILHELM.
Dies Auge, es blendet mich bald,
Und diese Stimme stets zu hören,
Diese Reize, die mich betören,
Des spöttischen Lächelns Gewalt.
PHILINE singt ausgelassen fort, während sie sich vor dem Spiegel schminkt.
MIGNON für sich, tut, als ob sie schliefe.
Will hören nicht, was um mich schallt.
WILHELM leidenschaftlich.
Schöne Philine, könnt‘ ich Sie bewegen!
Ach, Ihr sanfter Blick, dies Antlitz siegreich schön,
Müssen die Welt zu Ihren Füßen sehn.
PHILINE zeigt ihr Armband.
Nicht wahr, des Fürsten Armband ist schön!
WILHELM.
Entzünden schnell jenes mächtige Regen;
Jedes Herz liebet da und betet an und es bricht,
Mein Gott, und Sie, Sie lieben nicht?!
PHILINE betrachtet ständig das Armband.
Ganz allerliebst, was er spricht!
Zum Baron nun gehen wir hinüber.
WILHELM.
Ein Wort! Ach, nur ein einzig Wort!
PHILINE auf Mignon zeigend.
Zu laut sind wir. Unser Wirt erwartet uns,
Ihren Arm geben Sie mir!
WILHELM.
Wie, ohne Antwort?
PHILINE reicht ihm die Hand.
Nun wohl; ich bin zu gut, mein Lieber.
Wilhelm drückt Philinens Hand an seine Lippen; bei dem Geräusch des Kusses macht Mignon eine Bewegung, ohne die Augen zu öffnen.
Ich wußt‘ es wohl, daß alles sie belauscht.
WILHELM.
O Philine, o Kokette, die betäubt und die berauscht!
Ach möchten Sie doch nur mich erhören.
Ein einz’ger Blick nur aus Ihrem Auge,
Ein Wort nur lassen Sie hören!
MIGNON.
Wird er Liebe ihr schwören?
Nichts will ich weiter hören.
Ob er sich wohl betören läßt?
Augen zu!
Daß ich schlaf‘, glaubt man bald.
WILHELM gibt Philine seinen Arm und geht mit ihr durch die Mitte ab.
Vierter Auftritt
Mignon allein.
Prosa.
MIGNON. Da bin ich allein! Sie steht auf. Ach, arme Mignon, sie gehen forte, ohne sich nur mit einem Blick um dich zu bekümmern. Er denkt nicht mehr an dich, er vergißt dich schon um diese Philine. Nach einer Pause. Ach, was geht das dich an? Bist du seiner Freundschaft nicht gewiß? Hat er deine höchsten Wünsche nicht erfüllt, als er dir erlaubte, ihm zu folgen und ihn zu bedienen? Worüber beklagst du dich, Undankbare? Weshalb weinst du? Sie trocknet rasch die Augen. Nein, nein, es ist nichts! Es ist schon vorüber! Ich weine nicht mehr – ich bin glücklich! Sie geht neugierig im Boudoir umher und besieht Möbel und Vorhänge. Wie schön hier alles ist! Dergleichen Dinge habe ich noch nie gesehen! Nein, nie! Diese vergoldeten Möbel, diese seidenen Vorhänge, diese blitzenden Spiegel! Sie nähert sich dem Toilettentisch. Hier saß sie noch soeben, während Meister ihr sagte – was so viele andere ihr täglich sagen. Sie setzt sich an den Toilettentisch. Hier sind Buketts, auch Briefe, gewiß von ihren Verehrern. Da ist Schmin ke, welche sie auflegt. Wenn ich auch einmal versuchte, mich zu schminken! Sie versucht, sich zu schminken. Ach, meine bleiche Farbe verschwindet schon – meine Augen leuchten ganz anders! Sie lacht und singt.
Nr. 10 a. Steirisches Lied.
MIGNON.
Kam ein armes Kind von fern,
Zigeuner brachten es eben,
Traurig, bleich, seine Glieder beben.
Hahaha! Das tolle Märchen! Vergäß‘ es doch so gern!
Jetzt seh‘ ich besser aus, blieb‘ gerne so fürs Leben.
Tralalalala,
Ist das Mignon wohl? Ja, ach ja!
Armes Kind liebt seinen Herrn;
Dahin allein geht ihr Streben,
Zu gefallen, dem treu sie ergeben.
Hahaha! Das tolle Märchen! Vergäß‘ es doch so gern!
Jetzt seh‘ ich besser aus, blieb‘ gerne so fürs Leben.
Tralalalala,
Ist das Mignon wohl? Ja, ach ja!
Nr. 10 b. Melodram.
MIGNON. Kaum erkenne ich mich wieder. Ach, die glückliche Philine; jetzt begreife ich, daß man sie schön findet. Sie öffnet die Tür des Kabinetts. Hier hinein hat man wohl ihre prächtigen Kleider gebracht? Sieht neugierig in das Kabinett. Ja! Wenn ich auch – ich bin ja allein, niemand sieht mich – welch eine tolle Idee fährt mir da durch den Kopf. Sie geht in das Kabinett.
Das Fenster öffnet sich plötzlich. Friedrich erscheint auf dem Balkon.
Fünfter Auftritt
Friedrich allein.
FRIEDRICH. Da bin ich! Springt ins Zimmer. Das Gitter brach unter meinen Füßen, der Wind riß mir den Hut vom Kopfe, und bald wäre ich auf dem Wege in den Bäumen hängengeblieben. Doch was schadet’s? Ich bin auf dem Platze! Sieht umher. Ganz sicher hat mein Onkel Philine dieses Zimmer angewiesen – das Boudoir meiner Tante! Ah, Herr Onkel, ich bin entschlossen, Ihnen Philine streitig zu machen, Ihnen, dem Fürsten von Tiefenbach, der ganzen Welt! Die Hand am Degen. Und, wenn es sein muß, mit dem Degen in der Hand. Wehe dem ersten Liebesritter, der mir in mein Gehege kommt.
Sechster Auftritt
Wilhelm. Friedrich.
WILHELM die Mitteltür öffnend. Mignon! Tritt ein. Ich habe Philine versprechen müssen, sie zu entfernen, und ich – Friedrich bemerkend. Ah! Verbeugt sich.
FRIEDRICH für sich. Ist das nicht der neue Ritter, welchen man mir heute morgen vorstellte?
WILHELM für sich. Das ist ja der junge Geck aus dem Wirtshause.
FRIEDRICH laut. Sie hier – in diesem Schloß?
WILHELM. Wie Sie sehen. Ich fungiere hier als Theaterdichter.
FRIEDRICH. Aber mit welchem Rechte erlauben Sie sich, in Mademoiselle Philines Zimmer einzudringen?
WILHELM. Und mit welchem Rechte, mein Herr, sind denn Sie hier?
FRIEDRICH. Ich bin durchs Fenster gestiegen, auf die Gefahr hin, mir den Hals zu brechen. Denn, mein Herr – denn – ich bete sie an, ich vergöttere sie!
WILHELM. Ich, mein Herr, bin rasend verliebt in sie!
FRIEDRICH. Also sind wir Nebenbuhler?
WILHELM. So scheint es.
FRIEDRICH. Und Mademoiselle Philine gibt Ihnen hier ein Rendezvous? Und Sie denken, mir ihre Liebe streitig zu machen?
WILHELM. Ja, beim Himmel!
FRIEDRICH. Das genügt, mein Herr! Seinen Degen ziehend. Wir schlagen uns!
WILHELM lachend. Wie, hier in diesem Salon?
FRIEDRICH. Gewiß! Bei Philine, in ihrem Boudoir, das ist originell!
WILHELM den Degen ziehend. Nun, wenn es sein muß, vorwärts! Sie kreuzen die Degen. Mignon mit einer von Philines Roben gekleidet, tritt aus dem Kabinett.
Siebenter Auftritt
Die Vorigen. Mignon.
MIGNON sich zwischen beide werfend. Ah – Meister – Gott im Himmel!
WILHELM. Mignon!
FRIEDRICH. Mignon! Welche Mignon? Was heißt das? – Aber ich täusche mich nicht, das ist ja ein Kleid Philines? Lacht. Hahaha!
WILHELM. Mein Herr!
FRIEDRICH. Beruhigen Sie sich! Wir werden uns noch wiederfinden. Gott behüte mich, daß ich dieses schöne Kind Ihretwegen töten sollte. Aber Philine muß ich doch gleich erzählen – Lacht. Haha! Läuft lachend ab.
Achter Auftritt
Wilhelm. Mignon.
WILHELM. Du, Mignon, in diesem Anzug! Wozu diese Verkleidung? Erkläre dich!
MIGNON verwirrt. Oh, ich habe gefehlt, ich weiß es wohl! Ich hatte nicht das Recht, mich mit diesen schönen Dingen zu schmücken, die nicht mir gehören; aber ich glaubte mich allein – und ich konnte nicht widerstehen –
WILHELM. Wirst du närrisch? Willst du mich zum Gelächter aller Leute hier machen? Denkst du auf diese Weise deinem Herrn zu dienen? Dann ist es besser, wir trennen uns.
MIGNON traurig. Du jagst mich fort – schon jetzt?
WILHELM. O nein, ich jage dich nicht fort! Ich werfe dir auch nichts vor. Ich bin dir dankbar für den edlen Zug, daß du dich zwischen uns warfst, um mich vor dem Degen jenes jungen Wüterichs zu beschützen. Aber ich sehe doch ein, daß ich Unrecht tat, deinen Bitten nachzugeben. Heiter. Ich kann dich wahrhaftig nicht länger in meinem Gefolge behalten – einen Pagen deiner Art.
MIGNON naiv. Weshalb?
WILHELM verlegen. Weshalb? Nun – weil ein Mädchen wie du nicht einen Mann meines Alters bedie nen kann; weil – weil – nun – weil du ein Weib bist! Ich hatte das vergessen; du selbst aber erinnerst mich daran, da du mir in diesem Anzug entgegentrittst.
MIGNON. Ich glaubte – ich hatte mir eingebildet – ach, ich war wirklich närrisch! Schnell will ich diese schönen Kleider wieder ablegen, da sie mich in Euren Augen noch häßlicher und linkischer machen.
WILHELM sie lächelnd betrachtend. O nein, das gar nicht – im Gegenteil. Mignon sieht ihn an. Geh schnell, geh! Er treibt sie gegen das Kabinett. Wenn Philine zurückkäme –
MIGNON. Ah, Ich fürchtet die Spötteleien der Mademoiselle Philine; die hat auch wohl den Rat gegeben, mich fortzuschaffen – gewiß sie allein! Nun wohl, ich muß gehorchen.
WILHELM sanft. Sieh doch, liebe Kleine, überlege ein wenig; ich darf dich wahrlich nicht um mich behalten. Was würde man sagen, was würde man denken? Lachend. Schließlich müßte man gar glauben, ich sei in dich verliebt.
MIGNON schnell. Ja, ja, du hast recht, wir müssen uns trennen!
WILHELM. Ich verlasse dich deshalb nicht; ich schicke dich zu einer alten Verwandten, welche dich wie ihre Tochter behandeln wird.
MIGNON sinkt in einen Sessel. O mein Gott!
Nr. 11 a. Lied.
WILHELM.
Gib Kraft, Mignon, dem Herzen,
O weine nicht!
Die Jugend verwindet noch leicht alle Schmerzen!
Durch schwarze Wolken bricht
Der Hoffnung tröstend Licht,
Drum weine nicht!
Sieh, der Wunsch geht mit dir: Mög‘ der Tag bald erscheinen,
Der dir ruhiges Glück in der Heimat gewährt,
Der die Lieben dir bringt, die so lang dich beweinen,
Und die so schmerzlich dich entbehrt!
Gib Kraft, Mignon, dem Herzen,
O weine nicht!
Die Jugend verwindet noch leicht alle Schmerzen!
Durch schwarze Wolken bricht
Der Hoffnung tröstend Licht,
Drum weine nicht!
O klage mich nicht an! Nicht würdst du mich verstehen,
Wenn du geglaubt: mich bannte andre Liebe hier!
Ich halte fest daran, daß wir uns wiedersehn,
Schwer scheide ich von dir!
Gib Kraft, Mignon, dem Herzen,
O weine nicht!
Die Jugend verwindet noch leicht alle Schmerzen!
Durch schwarze Wolken bricht
Der Hoffnung tröstend Licht,
Leb wohl, doch weine nicht!
MIGNON entschlossen. Ich bin dir dankbar für all deine Freundlichkeit, aber ich kann das Asyl, welches du mir bietest, nicht annehmen. Für dich gab ich die Freiheit auf, ohne dich will ich frei sein.
WILHELM. Teures Kind, höre auf die Vernunft!
MIGNON. Die Vernunft ist kalt und grausam; das Herz gilt mehr.
WILHELM. Aber was soll aus dir werden?
MIGNON. Was früher war: Mignon! Zeigt auf ihr Bündel an der Mitteltür. Ich hatte wohl recht – du siehst es nun – meinen armen Zigeuneranzug zu behalten; ihn lege ich wieder an und scheide! Gib mir noch einmal deine Hand. Ergreift seine Hand und drückt sie an ihre Lippen. Nun scheide ich froh! Leb wohl, habe Dank, heißen Dank!
WILHELM. Nein, nicht so kann ich dich von mir lassen!
MIGNON. Es muß sein!
Nr. 11 b. Rezitativ.
MIGNON. Schon morgen bin ich weit, und nicht mehr siehst du mich.
WILHELM gesprochen. Und wohin gehst du?
MIGNON. Wohin der Zufall führt; die Wege finden sich.
WILHELM gesprochen. Wer soll dich schützen?
MIGNON. Gott, seine Engel dort in den Höhen, sie werden gnädig auf mich sehn.
WILHELM gesprochen. Wie willst du deinen Unterhalt finden?
MIGNON. Es gibt Herzen in der Not! Und ohne zu warten, bis man’s befiehlt, beginn ich meinen Tanz, ach, für ein Stückchen Brot. Sich zum Lachen zwingend, bricht sie endlich in Tränen aus. Hahahaha!
Neunter Auftritt
Die Vorigen. Philine. Friedrich. Später Laertes. Souffleur.
PHILINE. Sie sagten die Wahrheit, Friedrich! Tritt vor. Mignon in einer meiner Roben – Mignon in den Armen des Herrn Meister!
WILHELM verlegen. Mignon bittet um Ihre Verzeihung für die kindische Laune, eines Ihrer Kleider anprobiert zu haben. Sie sagte mir soeben Lebewohl!
PHILINE. Sie geht fort?
WILHELM leise. Haben denn nicht Sie es gewünscht?
PHILINE. Ich? Ganz und gar nicht. Und weshalb? Im Gegenteil, ich will Mignons Freundin sein! Und wenn meine Robe ihr gefällt, schenke ich sie ihr mit Vergnügen. Betrachtet Mignon mit spöttischer Miene. Wahrhaftig, sie sieht so sehr gut aus – sehr gut – ihr früherer Herr – der Jarno – der Mann mit dem Stock würde sie so nicht wieder erkennen. Mignon reißt voll Wut an den Bändern ihres Kleides. O warum denn diese Wut gegen meine armen Spitzen? Mignon richtet sich auf, betrachtet sie mit festem Blick, dann nimmt sie schnell ihr Bündel an der Tür und läuft in das Kabinett rechts. Und welcher Blick! Leise und lächelnd zu Wilhelm. Gott verzeih mir, man möchte sagen, diese kleine Wilde ist eifersüchtig auf mich!
WILHELM. Eifersüchtig!
Nr. 11 c. Melodram.
Einige Schauspieler im Kostüm der Theatervorstellung gehen über die Galerie im Hintergrunde; vor ihnen Lakaien mit Lichtern. Laertes erscheint in der Tür des Hintergrundes, seine Rolle in der Hand, als Fürst Theseus angekleidet.
LAERTES. Holla! Puck, Ariel, Oberon, vorwärts! Ich folge gleich. Zu Philine. Nun, wo bleiben Sie denn? Alles ist bereit, die Musik beginnt sogleich, und Titania fehlt noch!
PHILINE. Ich habe hinlänglich Zeit, mich hinter der Bühne als Fee anzuziehen. Zu Friedrich. Holen Sie da aus dem Kabinett mein Kostüm! Zeigt auf das Kabinett links.
FRIEDRICH. Ich bringe es sogleich aufs Theater! Ab.
LAERTES zu Philine. Ich weiß kein Wort mehr von meiner Rolle – und du?
PHILINE. Ich? Ich habe an ganz etwas anderes zu denken.
LAERTES lachend. Nun, die Vorstellung verspricht unterhaltend zu werden. Zu Wilhelm. Kommen Sie mit?
WILHELM zerstreut. Ich folge sogleich nach.
LAERTES leise zu Philine. Was ist ihm denn?
PHILINE. Ich werde es Ihnen erzählen.
WILHELM für sich. Eifersüchtig!
PHILINE zu Laertes. Ich habe ihn hier mit der jungen Mignon überrascht, welche sich, um ihm zu gefallen, mit einer meiner Roben herausgeputzt hatte. Das arme Kind ist, glaub‘ ich, in ihren Herrn verliebt!
DER SOUFFLEUR erscheint im Hintergrunde. Laertes! Philine! Man fängt an.
LAERTES läuft zu ihm. Ach, teurer Aloysius, souffliere gut, oder ich bin verloren!
PHILINE zu Wilhelm. Herr Meister!
WILHELM aus seiner Träumerei aufschreckend. Verzeihung! Er bietet Philine seinen Arm.
MIGNON öffnet die Tür des Kabinetts zur Rechten.
PHILINE zu Wilhelm. Was träumen Sie denn? Haben Sie mich nicht mehr lieb?
WILHELM. Ich, Philine, ich bete Sie an!
Ab mit Philine durch die Galerie.
MIGNON wie im ersten Akt gekleidet. Diese Philine – ich hasse sie! Läuft ab.
Verwandlung
Entreakt.
Ein Winkel des Parks.
Im Hintergrunde rechts ein zum Schlosse gehöriges Treibhaus, im Innern erleuchtet; links ein großes Wasser mit Rohrdickicht umgeben.
Zehnter Auftritt
Mignon allein. Musik und Beifallsrufe hinter der Szene. Mignon schleicht unter den Bäumen und bückt sich im Schatten, um zu lauschen.
Nr. 12 a. Rezitativ-Kantabile und Duett.
MIGNON.
Dort bei ihm ist sie jetzt; den Triumph abzuwarten!
Und ich irr‘ umher; weiß nicht wohin in diesem weiten Garten!
Sie wird geliebt! Er liebt sie! Nun wohl, ich hab’s gewußt,
Ich litt Qual in tiefster Brust.
Nein! Noch hab‘ ich selbst es nicht gehört aus seinem Munde
Dies Wort, das zerreißet mein Herz!
Hoffst du: er fühlt, daß er dir schlug diese Wunde?
Ach, Mignon, nein! Er liebt sie! Und sein spöttischer Scherz,
So bitter ach, für mich – fürchtet nicht, daß er mich verwirre!
Er liebt sie! O Gott, mein Geist wird irre!
Ich bebe vor Zorn und Schmerz.
Den See betrachtend.
Ach, dies Wasser, ruhig und weich,
Es zieht mich an! – Schon hör‘ ich im Schilfe – o fasse Mut –
Eure Stimmen, ihr Töchter der Flut,
Ihr ruft mich zu euch!
Sie will sich in den See stürzen, da ertönen aus den Bäumen die Akkorde einer Laute.
Gott! Was hör‘ ich? Welcher Ton?
Sie kommt nach dem Vordergrunde.
Der böse Engel floh!
Ach, ich will leben!
Lothario erscheint.
Bist du’s, Lothario?
Elfter Auftritt
Mignon. Lothario.
LOTHARIO.
Wer ist denn hier?
MIGNON.
Er ist’s!
LOTHARIO.
Wer ist es, der hier mich rufet?
Mignon erkennend und sie liebevoll betrachtend.
Ach, bist du’s, Sperata? O sag, find‘ ich dich?
MIGNON.
Nein!
LOTHARIO sie sanft zurückweisend.
Mein Herz täuscht sich aufs neue; weh mir! ’s ist nicht Sperata!
Jenes Kind, das mit mir gehen wollte, Mignon ist’s!
MIGNON traurig.
Ja, ja! Erinnre dich wohl, Mignon heiße ich!
LOTHARIO.
Armes Kind, o du armes Wesen,
Dich wiedersehn wollt‘ ich, dir folgt‘ ich unbewußt!
In meinem Arm, an meiner Brust
Sag dein Weh, o laß mich in deiner Seele lesen!
Er schließt Mignon in seine Arme.
Duett.
MIGNON.
Drückt Kummer dich, hast du geweint,
Dein Dasein ist ohn‘ alle Freude,
Wenn kein Stern der Hoffnung dir scheint,
Ja dann weißt du auch, was ich leide.
LOTHARIO.
Ach, wie du, einsam und verstoßen,
Gebeugt unter strengem Gericht,
Meine Tränen zur Erde flossen,
Der Himmel erhörte mich nicht!
MIGNON.
O grausam Los, o streng Gericht!
Man hört Beifallsrufe aus dem Schloß. Sich schnell aus Lotharios Armen reißend.
O höre! Ihren Namen nur hört man erschallen!
Nur sie, die man begehrt, die gefeiert von allen!
Sich mit drohender Gebärde gegen das Schloß wendend.
Oh, daß doch Gottes Hand
Wollte schleudern den Donner gleich auf sie hernieder,
Machte diesen Palast zu Schutt und Asche wieder!
Daß ihn verschläng‘ ein mächt’ger Feuerbrand!
Entflieht durch die Bäume.
Zwölfter Auftritt
Lothario allein.
LOTHARIO verwirrt.
Ha, dort, dort brennt’s! Feuer ist’s!
Er durchschreitet langsam die Bühne und verschwindet im Schatten.
Dreizehnter Auftritt
Herren und Damen. Philine und die Schauspieler. Friedrich. Der Baron. Der Fürst. Diener, Fackeln tragend. Die Vorstellung ist zu Ende. Die Türen des Treibhauses öffnen sich, die Gäste und die Schauspieler treten heraus. Philine und die Schauspieler sind noch in den Kostümen ihrer Rollen.
Nr. 12 b. Chor.
CHOR.
Ah, bravo, bravo!
Ja, Titania hat uns erfreut,
Herzen und Blumen sind ihr geweiht
Wie mit Stolz man sie nennt,
Man sieht sie mit Entzücken,
So viel Reiz und Talent,
Die müssen uns berücken.
Ehre, Ehre für Titania. Bravo!
Nr. 12 c. Rezitativ, Polonäse und Finale.
PHILINE.
Ja, für den Abend bin ich Königin der Feen,
Seht hier den Zauberstab, und dann hier meine Kampftrophäen!
Sie zeigt den Stab und die Kränze.
FRIEDRICH, DIE SCHAUSPIELER UND EINIGE HERREN.
Zwanzig, die verliebt,
Seht nur das Gedränge,
Blumen, Lob in Menge
Es für sie nur gibt.
Polonäse.
PHILINE.
Titania ist herabgestiegen,
Die Fee der Luft, vom blauen Wolkensitz,
Will die Welt lachend nun durchfliegen,
Noch schneller als der Vogel, schneller als der Blitz.
Mein Wagen durch die blaue Luft zieht,
Die Elfenschar mit leichtem Tritt flieht!
Weit um mich her erschallt der Klang, lang,
Der Liebe und der Lust Gesang.
Wo im Morgenrot Blumen sprießen, uns zu grüßen,
Über Wiesen durch den Wald schweb‘ ich bald,
Und auf schaumbedeckten schnellen Silberwellen
Flücht’gen Fußes mit leichtem Sinn zieh‘ ich hin.
CHOR.
Bravo! Titania! Hoch, ja hoch!
Die Gäste gehen nach dem Hintergrunde, wandeln unter den Bäumen umher und bilden Gruppen.
Vierzehnter Auftritt
Die Vorigen. Wilhelm. Später Mignon und Lothario. Dann Laertes.
PHILINE Wilhelm bemerkend.
Ach, endlich hier! Wie leicht können Sie mich entbehren!
WILHELM zerstreut zu Philine.
Verzeihen Sie!
PHILINE mit dem Blick des Vorwurfs.
Sie waren gar nicht dort, mich zu hören!
FRIEDRICH für sich, Philine beobachtend.
Immer er! Ihm allein scheint Huld sie zu gewähren!
WILHELM unruhig umherblickend.
Verzeihn Sie mir, ich suchte Mignon hier!
PHILINE schmollend.
Weiß ich?
Nun, mein Herr, immer suchen Sie! Was kümmert’s mich?
Sie gehen im Gespräch nach dem Hintergrunde. Mignon und Lothario begegnen sich im Vordergrunde der Szene.
LOTHARIO zu Mignon, leise.
Gib zufrieden dich nun, Mignon, mein Kind, mir so teuer;
Rächen wollte ich dich; sieh, das Haus steht in Feuer!
MIGNON.
Gott! Was sagst du?
LOTHARIO.
Ich tat so, wie du begehrt.
MIGNON.
Gott!
LOTHARIO.
Diese Mauern, sieh nur hin, sind bald vom Brande verzehrt!
MIGNON sucht unruhig Wilhelm mit den Augen.
WILHELM bemerkt es und kommt zu ihr.
Ah! Mignon, endlich da! Ich suchte dich.
PHILINE zu Mignon.
Heda, mein Kind, so höre!
MIGNON zu Philine.
Was wünschen Sie?
PHILINE.
Zu prüfen deinen Eifer,
Zeigt auf das Treibhaus
Lauf schnell dorthin und suche mir auf dem Theater
Ein Bukett, das dieser Herr heut abend mir gegeben
Und das mir dort entfallen ist; ich sucht‘ es eben.
WILHELM.
Wozu das?
MIGNON zu Wilhelm.
Zu Befehl, Herr, ich gehe schon!
Eilt ins Treibhaus.
LAERTES eilt herbei.
Gott! Philine, Freunde, sehet dort, das Theater brennt!
Blicket hin!
ALLE.
Was sagt er?
PHILINE.
Ich sterbe! Mein Blut, es stockt mir!
WILHELM die Menge zerteilend.
Ach, unglückselig Kind!
PHILINE.
Die Gefahr wußt‘ ich nicht, der Himmel kann’s bezeugen,
Wilhelm!
LAERTES Wilhelm zurückhaltend.
Bleibt zurück!
WILHELM.
O haltet mich nicht auf!
Stürzt Mignon nach.
CHOR.
Die Flamme leuchtet wieder,
Wie schnell sie um sich greift;
Keine Rettung! o seht!
Der Schreck lähmt unsre Glieder,
Alle Hilfe umsonst, sie kommt doch zu spät!
LOTHARIO mit erhobener Gestalt in der Mitte der Szene, die Verwirrung beherrschend.
Ohne Rast, ohne Ruh irr‘ ich von Haus zu Hause,
Wohin der Zufall führet, selbst in Sturmes Gebrause!
Gott ist des Elends einziger Hort!
Doch sie lebt, ich muß sie wiedersehen.
Das Glaswerk springt und stürzt ein. Die Gäste fliehen mit dem Schrei des Entsetzens nach dem Vordergrund.
ALLE.
Gott!
WILHELM erscheint, Mignon in seinen Armen haltend, keuchend.
Dank, o Gott, der über uns geschwebt!
Bald erblickte ich sie, geweiht dem sichern Tod,
Verzweifelnd lief sie umher, kein Ausweg in der Not!
Der Flamme schon entriß ich sie: Dank, o Gott, sie lebt!
ALLE.
Dank, o Gott, sie lebt!
Wilhelm legt die betäubte Mignon auf eine Rasenbank. Mignon hält in den Händen krampfhaft ein Bukett verwelkter und halbverbrannter Blumen.
Dritter Aufzug
Eine italienische Galerie mit Statuen geschmückt. Rechts ein offenes Fenster, auf das Land gehend. Im Hintergrunde große, geschlossene Tür. Seitentüren. Wenn sich der Vorhang hebt, ist die Bühne leer.
Erster Auftritt
Chor hinter der Szene.
Nr. 13 a. Introduktion, Chor und Berceuse.
CHOR.
Sobald der Wind das Segel schwellt,
Und es blinken die Sterne,
Dann winkt dem Schiffer die Ferne,
Treibt’s ihn hinaus in die Welt.
In der Nacht das Ruder leuchtet,
Hinter ihm her eine Furche von Glut
Auf blauer Flut.
Zweiter Auftritt
Lothario erscheint in der Tür rechts.
LOTHARIO spricht. Sie schläft!
Berceuse.
Endlich kehrt die Ruhe ihr wieder,
Sanftes Lächeln zeigt ihr Mund,
Schlaf, o träufle Balsam hernieder
Tief in ihres Herzens Grund.
Armes Kind!
Mit dir die Engel Gottes sind!
Schlummre sanft, armes Kind!
Auf der Stirne himmlischer Frieden,
Den ein Engel treu bewacht,
Fromme Seelen finden hienieden
Sanften Schlummer, süße Nacht.
Armes Kind!
Mit dir die Engel Gottes sind!
CHOR hinter der Szene.
Ah! Nachts das Ruder leuchtet,
Hinter ihm her eine Furche von Glut
Auf blauer Flut.
Sobald der Wind die Segel schwellt,
Und es blinken die Sterne,
Dann winkt dem Schiffer die Ferne,
Treibt’s ihn hinaus in die Welt.
Die Stimmen verhallen in der Ferne. Lothario bleibt in Träumerei versunken.
Dritter Auftritt
Wilhelm. Antonio. Lothario.
WILHELM. Gut! Stelle diese Lampe dorthin.
ANTONIO setzt die Lampe auf einen Tisch, dann zeigt er auf das Fenster. Von diesem Fenster aus kann der gnädige Herr diese Nacht sehen, wie alle Villen der Umgegend glänzend erleuchtet werden und unsere Schiffer bei den Klängen der Gitarren und unter fröhlichem Gesang auf dem Wasser kreuzen. Morgen ist das Fest des Sees.
WILHELM. Ich weiß wohl.
ANTONIO traurig. Hier dieser Palast allein bleibt dunkel und nimmt keinen Teil mehr an dem Feste – seit fünfzehn Jahren.
WILHELM. Man erzählte mir von einem Unglück, das sich einst hier ereignet. Ein junges Mädchen ertrank im See, nicht wahr?
ANTONIO. Ein Kind, Signor. Ich war’s, der ihren Hut am Ufer aufnahm. Arme Kleine! Sie konnte nicht einmal in christlicher Erde bestattet werden, denn wir fanden sie nicht wieder. Ihre Mutter starb vor Gram, ihr Vater, im Schmerz wahnsinnig geworden, verschwand, und heute ist der alte Palast meiner Herrschaft zu verkaufen. Wenn der gnädige Herr noch die Absicht hat, ihn zu erstehen –
WILHELM. Morgen sollt Ihr Näheres darüber erfahren.
ANTONIO. Befiehlt der gnädige Herr noch etwas?
WILHELM. Nein!
ANTONIO beobachtet Lothario, der noch immer in Träumerei versunken ist. Für sich. Die Züge dieses Greises sind mir nicht unbekannt! Geht ab.
Vierter Auftritt
Wilhelm. Lothario.
WILHELM berührt Lotharios Schulter. Nun, Lothario, Mignon schlummert?
LOTHARIO bebend. Ja!
WILHELM. Armes Kind. Wie bin ich Ihnen dankbar, lieber Lothario, daß Sie mich hierher begleiteten und zur Hälfte die Sorgen mit mir trugen. Ihre Freundschaft ist für Mignon viel wertvoller als die meine; Sie verstehen es, das Fieber, welches sie verzehrt, zu bannen.
LOTHARIO. Das Kind fiebert nicht mehr.
WILHELM. Ist’s wahr? So hätte das Heimatland bei ihr schon Wunder bewirkt? Denn nach einigen Worten, welche ihr im Fieber entschlüpften, zu schließen, muß sie in dieser Gegend Italiens geboren sein. Hat sie zu Ihnen nichts gesprochen?
LOTHARIO. Nichts!
WILHELM. Wir werden uns hier niederlassen, Lothario; und Mignon, so hoffe ich, soll hier wieder genesen. Hörten Sie, was der alte Diener mir soeben sagte? Diese Herrschaft ist zu verkaufen, und wenn Mignon sich hier wohl fühlt, so kaufe ich für sie den Palast Cypriani.
Nr. 13 b. Melodram.
LOTHARIO erhebt sich zitternd. Cypriani!
WILHELM für sich. Was ist ihm? Lothario läßt stillschweigend seine Blicke umherschweifen, dann geht er nach der großen Tür im Hintergrunde und versucht sie zu öffnen. Sie können dort nicht hinein; jenes Zimmer war, wie man mir gesagt, das des alten Marquis und ist seit fünfzehn Jahren nicht geöffnet worden.
LOTHARIO. Fünfzehn Jahre! Er blickt um sich, als wolle er sich etwas zurückrufen, dann geht er nach der Tür links. Ah – dort!
WILHELM. Was wollen Sie beginnen?
Lothario, auf der Schwelle der Tür, bedeutet ihm, er möge schweigen. Er entfernt sich langsam, einen Finger auf den Mund gelegt und starren Blickes.
Fünfter Auftritt
Wilhelm allein.
WILHELM. Seltsamer Blick! Welch neuer Wahn verwirret sein Gehirn? Ach, mehr als sein Verstand es könnte, führt sein Herz ihm die Worte zu, welche Mignon trösten und heilen. Er nähert sich der Tür rechts, öffnet sie und beugt sich nieder, um zu lauschen. Sie ruht sanft! Sie spricht ganz leis meinen Namen! Ach, teure Mignon! Kommt nach dem Vordergrunde. Wie konnte ich ihr Geheimnis nicht früher erraten?
Nr. 14 a. Romanze.
WILHELM.
Wie ihre Unschuld auch sich das Gefühl verhehlte,
Das schon so lange tief in ihrem Herzen schlief;
Daß ein geliebtes Bild ihr ganzes Sein beseelte,
Ihr kindlich reines Herz zu neuem Leben rief;
Soll früh nicht die Blume enden
Und aufs neu‘ frisch und blühend sein,
Dann, holder Lenz, dann magst du den Tropfen Tau ihr spenden,
Herz, mein Herz, gib du ihr deinen Sonnenschein!
Fruchtlos ersehne ich Aufschluß aus ihrem Munde,
Daß ihr geheimes Weh endlich dem Freund sie sagt;
Fürchte stets, daß mein Blick, daß sie mein Wort verwunde,
Ihr schönes Auge dann in heißen Tränen klagt.
Soll früh nicht die Blume enden
Und aufs neu‘ frisch und blühend sein,
Dann, holder Lenz, dann magst du den Tropfen Tau ihr spenden,
Herz, mein Herz, gib du ihr deinen Sonnenschein!
Sechster Auftritt
Antonio. Später Laertes. Wilhelm.
ANTONIO eintretend. Signor! Draußen ist ein Freund, welcher Sie zu sprechen wünscht.
WILHELM. Ein Freund?
LAERTES in der Tür. Ja, lieber Wilhelm – ich bin’s!
WILHELM. Laertes! Zu Antonio. Laßt uns allein!
Antonio ab.
Siebenter Auftritt
Wilhelm. Laertes.
LAERTES. Sie staunen?Wilhelm sieht unruhig nach der Tür. Fürchten Sie nichts – ich bin allein!
WILHELM kalt. Vor allen Dingen, bitte, sprechen Sie leise. Nach der Tür rechts zeigend. Dort befindet sich ein mir teures Wesen, das der Ruhe bedarf.
LAERTES. Mignon?
WILHELM. Ja!
LAERTES. Also jenes kranke Mädchen, welches Sie seit acht Tagen in diesem alten italienischen Palast vor aller Augen verbergen?
WILHELM. Sie ist’s!
LAERTES. Philine hat es erraten!
WILHELM mißtrauisch. Philine! So sind Sie wohl von ihr abgeschickt?
LAERTES schnell. O nein, im Gegenteil! Zieht Wilhelm beiseite. Sie werden gleich verstehen. Denken Sie ein wenig an die Ereignisse auf Schloß Rosenberg zurück. Mit dem Brande war das Fest zu Ende. Unsere Kostüme, Bühne, Requisiten lagen in Asche, an Komödie war nicht mehr zu denken. Leise. In der allgemeinen Verwirrung, ohne den Anbruch des Tages abzuwarten, ohne jemanden Lebewohl zu sagen, verschwand Mignon mit ihrem Retter. Titania war wütend: »Der Undankbare, der Verräter! Wie bestraf‘ ich ihn? Friedrich, ich liebe Sie!« – »Mich? ah was? – Schnell einen Wagen, Pferde, ich entführe Sie, Laertes reist mit uns!« – Und nun, Kutscher, fahr zu, Viva l’Italia! Und Friedrich, der Dummkopf, der nicht errät, und ich dreifacher Narr, der auch nicht einsieht, daß Sie es sind, welcher wir Schritt vor Schritt, von Gasthaus zu Gasthaus verfolgen! Endlich sind wir auf venezianischem Gebiet und diesen Abend an den Ufern des Gardasees, gegenüber dem Palast Cypriani. Philine befragt leise den ersten Bauer, der uns begegnet; ich lausche und höre von einem jungen, kranken Mädchen sprechen, von einem fremden Herrn, von einem Greise mit weißem Barte, alle seit acht Tagen miteinander hier angelangt. »Sie sind’s!« ruft Philine aus, und dieser Schrei des Herzens enthüllt mir ihre List, ich errate ihre Pläne, und ich denke an die arme, zweimal von Ihnen gerettete Mignon. Ohne zu wissen weshalb, zittere ich für Mignons Wohl und für das Ihrige, und so komme ich denn, selbst auf die Gefahr hin, Sie zu belästigen, und Ihnen zuzurufen: Freund Wilhelm, Philine ist hier, sei’n Sie auf der Hut!
WILHELM warm. Guter Laertes, daran erkenne ich Sie! Reicht ihm die Hand. Vergeben Sie mir, daß ich einen Augenblick geglaubt –
LAERTES. Ich vergebe Ihnen gern, aber Philine wird mir nicht vergeben. Doch das tut nichts! Lachend. Ihre Freundschaft steht mir höher als die Philines; ich will mich freuen, wenn ich Ihnen in irgend etwas dienlich sein kann.
WILHELM. Oh, der Dienst, welchen Sie mir in diesem Augenblick leisten, ist ein viel größerer als Sie denken können. Leise. Lieber Laertes, ich verdanke Ihnen Mignons Leben.
LAERTES. Was sagen Sie?
WILHELM. Mignon stürbe, wenn sie Philine wiedersähe! Der Name schon allein würde das hitzige Fieber wieder zurückführen, dem Mignon fast erlegen ist. Der Ton von Philines Stimme wäre imstande, ihren angegriffenen Geist auf immer zu verwirren; der Anblick jener Person würde sie in meinen Armen töten.
LAERTES. Ich verstehe – Mignon liebt Sie!
WILHELM. Mignon hat mich noch nicht in ihr Herz blicken lassen, sie vermeidet es, mit mir darüber zu sprechen. Aber ich habe geschworen, diese gebrochene Seele zu neuem Leben zu erwecken, und ich werde meinen Schwur halten. Dies ist die Ursache, wegen welcher Sie mich hier in dieser verlassenen Wohnung wiederfinden. Doch, was will Philine von mir? Wie entfernen wir sie?
LAERTES. Oh, ich habe ein Mittel. Denken Sie, ich bin Witwer!
WILHELM. Ah!
LAERTES. Ja, ich empfing diese gute – nein, diese angenehme – nun, diese Nachricht! Lassen Sie mich nur machen! Beim Himmel, um Ihnen meine Freundschaft zu beweisen, bin ich zu allem fähig. Entschlossen. Philine wird abreisen, und sollte ich –
WILHELM lauschend. Still – ich höre Mignon, die erwacht; sie darf Sie hier nicht finden.
LAERTES. Wie bewegt Sie sind, Ihre Hand glüht!
WILHELM. Oh, ich liebe sie!
LAERTES. Glücklicher Wilhelm! Glückliche Mignon! Er geht.
WILHELM. Adieu und herzlichen Dank! Laertes geht ab. Es war die höchste Zeit! Er geht nach dem Hintergrunde und tritt beiseite in den Schatten.
Achter Auftritt
Wilhelm. Mignon, in langem weißen Kleide, tritt auf. Sie geht langsam; ihr Haar ist aufgelöst. Im Orchester ertönt das Motiv der Romanze des ersten Aktes: »Kennst du das Land.«
Nr. 14 b.
Melodram.
MIGNON. Wo bin ich? Ich atme freier; die Luft scheint mir lind und rein. Sieht erstaunt um sich. Dieser Saal, diese Marmorbilder, welche mich umgeben! Geht zum Fenster. Der tiefe blaue Himmel – dort der große See – Legt die Hand an die Stirn, als wollte sie ihre Gedanken sammeln. Wo habe ich das alles schon gesehen? Ich will mich erinnern und vermag es nicht. – Aber weshalb läßt man mich allein? Ach, Lothario, Wilhelm! Wo seid ihr?
WILHELM stürzt zu ihr hin. Mignon!
MIGNON. Ach, Wilhelm, dich rief ich ja! Sie fällt in seine Arme.
Nr. 15. Duett.
MIGNON.
Wie strahlt das Glück auf mich hernieder,
Fort sind die Schmerzen aus meiner Brust,
Neu erwacht fühl‘ ich mich wieder
Zum Leben. O welche Lust!
WILHELM.
Armes Kind, laß die Angst entschwinden,
Bald gibt dir neue Kraft die Luft so rein,
Du wirst ein neues Dasein finden,
Ja, du sollst leben der Lieb‘ allein!
MIGNON.
Ach, glaub‘ es gern, dir will ich glauben,
O so sprich – sprich noch mehr – immerzu!
WILHELM.
Wer möchte dir den Himmel rauben,
Littest so lang, du Arme, du!
MIGNON.
Wie strahlt das Glück auf mich hernieder,
Fort sind die Schmerzen aus meiner Brust!
WILHELM.
Ja, glaub dem Glück,
Es strahlt auf dich hernieder,
Die Schmerzen sind fort aus der Brust.
Neu erwacht fühlst du dich wieder,
Der Liebe lebst du, o welche Lust!
MIGNON.
Neu erwacht fühl‘ ich mich wieder,
Gern lebt Mignon, o welche Lust.
WILHELM.
Ach, daß die Seele dein meiner Seele sich eine,
Du teures Kind, laß mich in deine Augen sehn,
In diesem weißen Kleid, mit diesem Heil’genschein
Bist du ein Engel aus Himmelshöh’n.
MIGNON traurig lächelnd.
Nein, Mignon bin ich nur!
WILHELM zu ihren Füßen.
Oh, daß sie’s ewig bliebe!
MIGNON für sich, freudig.
O Gott, soll ich’s denn glauben?
WILHELM.
Nur dein mein ganzes Herz,
Du allein, die ich liebe!
MIGNON.
Du, mich lieben? Ist es wahr?
Sich seinen Armen entwindend.
Oh, erinnere dich nur,
Denk an Philine zurück!
WILHELM.
Philine ist weit von hier, nie hab‘ ich sie geliebt!
MIGNON kehrt wieder zurück und breitet die Arme aus.
Ist das wahr? O unaussprechlich süßes Glück!
Laß endlich sagen dir, doch nur geheim und ganz leis‘ –
PHILINE hinter der Szene.
Titania ist herabgestiegen,
Die Fee der Luft, vom blauen Wolkensitz,
Will die Welt lachend nun durchfliegen,
Noch schneller als der Vogel, schneller als der Blitz!
WILHELM für sich.
Philine!
MIGNON.
Immer sie! Ich kann ihr nicht entgehen,
Was in mir lebt, o es bleibt nun verschwiegen!
Ach! Weh, welcher Ton für mich,
Wie er klingt fürchterlich,
Ein Blitzstrahl fährt hernieder,
Ha, sie findet dich wieder;
Oh, frage mich nicht mehr;
Fällt es mir noch so schwer,
Ich spreche nimmermehr! Nein, nein!
Sie sinkt in einen Sessel.
WILHELM.
Ach, ich höre ja nur dich,
Mignon, nur dich sehe ich,
Oh, erheitre dich doch wieder,
Schau auf mich hernieder,
Ich liebe dich so sehr
Und du liebst mich nicht mehr!
Für sich.
Gott!
WILHELM. Mignon! Unglückliches Kind! Ihre Lippen werden bleich, ihre Hand eisig! O mußte jenes Weib uns bis hierher verfolgen! Mignon, komme zu dir! Ach, sie schlägt die Augen auf!
MIGNON nach und nach zu sich kommend. Ich höre nichts mehr! War das nicht ihre Stimme? Ist nicht sie wieder hier?
WILHELM. Nein, sammle dich, teures Kind! Der Fieberwahn war es, der dich glauben ließ –
MIGNON. Fieberwahn – sprichst du wahr? Wilhelms Hand zurückstoßend. Ah, du lügst! Lothario täuscht mich nicht! Er, er liebt mich.
WILHELM. Wünschest du, daß ich ihn rufe?
MIGNON. Ja!
WILHELM. Horch! Schritte hier auf dieser Seite!
MIGNON. Nun?
WILHELM. Dieses Zimmer – niemand kam hinein!
MIGNON. Sieh, die Tür öffnet sich!
WILHELM. Wirklich! Was bedeutet das?
MIGNON erstaunt. Er ist es.
Die Tür im Hintergrunde öffnet sich. Lothario erscheint in derselben; er ist in reichem Kleide von schwarzem Samt, trägt eine kleine Kassette und schreitet langsam vor.
Neunter Auftritt
Die Vorigen. Lothario. Später Philine. Laertes und Friedrich.
Nr. 16. Terzett.
LOTHARIO.
Mignon! Wilhelm! Ich grüße euch!
Wie gerne seh‘ ich euch bei mir!
WILHELM für sich.
Was soll das heißen?
MIGNON erstaunt.
Dieses reiche Gewand? Wie erscheinet er hier?
LOTHARIO.
Alles mein, was ihr seht!
Zu Mignon.
Betrachte und staune,
Ich war einst Herr hier in diesem Palast.
WILHELM leise zu Mignon.
Es ist ein Wahn ja nur, was er da spricht!
MIGNON.
Die Stimme und der Blick – so sah ich ihn noch nicht.
LOTHARIO stellt die Kassette auf den Tisch und nähert sich Mignon.
Hat auch Elend schwer uns betroffen,
Sieh, ein kostbar Kleinod bring‘ ich heut,
Schönre Zukunft stehet uns offen,
Die dich von der Sorge befreit.
MIGNON UND WILHELM für sich.
O welch Geheimnis! Darf ich wohl hoffen?
Er verheißt uns schönre Zeit.
LOTHARIO zu Mignon.
Diese Kassette hier, seit lang gehört sie mir!
So öffne sie, mein Kind!
MIGNON.
Was ist darinnen?
LOTHARIO ohne den Kopf zu wenden.
Schau hinein!
MIGNON öffnet die Kassette.
Eine Kinderschärpe hier!
LOTHARIO mit starrem Blick, unbeweglich, in der Mitte der Bühne.
Gestickt mit Gold und Silber,
Ja, ich hatt‘ treu so lange sie bewahrt.
MIGNON.
Und was bedeutet sie, und wer war’s, der sie trug?
Rede!
LOTHARIO.
Sperata!
MIGNON.
Sperata!
Den Namen hört‘ ich schon einmal erklingen;
Erinnerung so süß
Will bei dem Namen ins Herz mir dringen!
Ein Echo aus vergangener Zeit ist’s gewiß?!
LOTHARIO für sich, schmerzlich.
Sperata!
WILHELM UND MIGNON.
Er weint von Schmerz erfüllt!
LOTHARIO immer unbeweglich und ganz in Erinnerung versunken.
Und siehst du nicht ein Armband von Korallen dabei?
MIGNON nimmt ein Armband aus der Kassette und versucht es um ihren Arm zu legen.
Wohl hier ist’s! Meinem Arm ist’s zu klein!
LOTHARIO traurig.
Zu groß für sie, um die mein Klagen!
Ach, daß die Zeit zum nächsten Tag so langsam schwand,
Wo sie sollt‘ diesen Schmuck zum ersten Male tragen!
Sie hielt den Schmuck, und ach, er entglitt ihrer Hand!
MIGNON für sich, sehr bewegt.
Er entglitt ihrer Hand –
WILHELM zu Mignon.
Was ist? Du zitterst! O Mignon, du weinst?
LOTHARIO zu Mignon.
So schau nur weiter!
MIGNON nimmt aus der Kassette ein kleines Buch mit silbernen Ecken.
Ein Gebetbuch!
LOTHARIO.
O Gott! Noch seh‘ ich sie vor mir,
Wie sie spricht ihr kindlich Abendgebet.
MIGNON öffnet das Buch und liest.
O Jungfrau Maria, bei dem Herrn in Himmels Höh’n,
Auf dein bittend Kind schau herab und erhör sein Flehen.
Läßt das Buch fallen, sinkt auf die Knie, die Augen zum Himmel und mit gefalteten Händen wie ein betendes Kind.
LOTHARIO nach ihr hingeneigt.
So betete auch sie!
MIGNON.
Jungfrau so rein,
Suchend.
ich schaue dich,
Sich erinnernd.
In dem Arm den Erlöser der Erde;
Daß des Himmels Gnade mir werde,
O Madonna, bitte für uns, bitt auch für mich!
LOTHARIO die Hände nach Mignon ausstreckend.
Auf ihr ruht Himmels Klarheit,
Kindestraum wird zur Wahrheit!
MIGNON steht auf, immer erregter.
Lothario! O Wilhelm! Ist’s ein Wahn, der mich quälet?
Ich errate, ich sehe, ich fühle, die Sprache fehlet!
Wohin hast du mich geführet und wie heißt dieses Land?
WILHELM.
Italien!
MIGNON.
Italien! Himmelsstrahl, der auf einmal erleuchtet!
Welche Erinnerung!
Nachdem sie sich bemüht hat, ihre Erinnerungen zu sammeln, stürzt sie mit einem Schrei nach der Tür im Hintergrunde, verschwindet einen Augenblick, dann kommt sie bleich und wankend zurück.
Dort, dort, das Bildnis meiner Mutter!
Doch verlassen ist ihr Zimmer!
LOTHARIO der allen ihren Bewegungen mit Angst folgte, streckt ihr die Arme entgegen und eilt zu ihr.
Ach, meine Tochter!
MIGNON stürzt in Lotharios Arme.
Mein Vater!
WILHELM.
Ach! O mein Gott!
LOTHARIO.
Mein teures Kind, sie ist es!
MIGNON.
Ja, du bist es selbst!
MIGNON UND WILHELM.
O gesegnet Gottes Hand,
Sie gab mir / ihr wieder den Vater und mein / ihr Heimatland.
LOTHARIO.
Oh, gesegnet Gottes Hand, ach, meine Tochter, mein Kind!
Ja, glücklich darfst du nun leben, von ihm geliebt, meinem Sohn
O Wilhelm, mein Sohn, gesegnet Gottes Hand.
PHILINE singt hinter der Szene.
Titania ist herabgestiegen usw.
MIGNON von einer Bewegung getroffen.
Ach! Wohl hab‘ ich’s gewußt, kein Traumbild ist’s gewesen!
WILHELM.
Komm!
Mignon stößt seine Hand zurück.
LOTHARIO zu Mignon.
Was ist dir?
MIGNON zu Wilhelm.
Zeig ihr Verachtung, auf ewig heiße sie gehn,
Oder willst du vor ihr mich im Schmerz sterben sehn?
Sie läuft durch den Hintergrund rasch ab.
LOTHARIO.
Meine Tochter!
WILHELM.
Halt ein! Verzweiflung spricht aus ihr;
O folgen wir ihr!
Beide folgen Mignon.
Verwandlung
Die Ufer des Gardasees.
In der Ferne italienische Villen. Der Tag beginnt. Die jungen Mädchen und Männer der ländlichen Bevölkerung in Festkleidern tanzen am Ufer des Sees. Einzelne Boote fahren vorüber auf dem See.
Erster Auftritt
Junge Mädchen und Männer. Tanz. Eine reichgezierte Barke hält im Hintergrund. Philine und Friedrich steigen aus.
Nr. 17. Tanz und Forlana.
JUNGE KNABEN UND MÄDCHEN.
Tanzet, Freunde!
Und fröhlich singt,
Daß weit es klingt!
Tanzt und springt.
PHILINE zu Friedrich.
Nun fort! Sie finden mich hier!
Bezahlen Sie die heitren Gesellen,
Und alsdann mögen Sie ein gutes Frühstück bestellen.
Zeigt auf das Wirtshaus.
FRIEDRICH.
Endlich werd‘ ich frühstücken doch, und mit ihr!
Ab ins Wirtshaus.
PHILINE zu Bauern.
Nun, da ich den Befehl zum Feste gegeben,
Will singen ich für euch, und ihr, ihr tanzt daneben.
ALLE.
Zum Tanze!
Forlane.
PHILINE.
Bauernkind oder Dame fein,
Wähle dir den Liebsten dein,
Denn so lang der Sonnenschein,
Wird auf Erden Liebe sein.
Tanzet fröhlich in der Runde,
Ach, die Zeit entflieht,
Haltet fest die schöne Stunde,
Da die Liebe glüht.
Traue, Mädchen, nicht dem Schein,
Denn der Vielgeliebte dein
Täuscht vielleicht dich schlau und fein
Und wird bald verschwunden sein.
Nehmt euch in acht, ihr Männer mit leichtem Sinn,
Der stets euch zu Neuem zieht;
Wenn veränderlich ihr flieht
Und Treue schwört mit falschem Munde,
Denkt, es naht die schöne Stunde,
Wo für uns die Rache glüht.
Bauernkind oder Dame fein,
Der dich täuscht mit falschem Schein,
Er kommt wieder ganz allein,
Süß wird dann die Rache sein.
CHOR.
O wie fein,
Das muß herrlich sein!
Zweiter Auftritt
Philine. Laertes.
Melodram.
LAERTES außer Atem herbeieilend. Ach! Da ist sie!
PHILINE heiter. Laertes. Seinen Arm ergreifend. Lassen Sie uns Friedrich aufsuchen!
LAERTES kurz. Sprechen Sie nicht mehr von Friedrich. Mit fürchterlicher Miene. Ich hasse ihn!
PHILINE. Wieso?
LAERTES. Sie begreifen also nicht? Philine, du begreifst also nicht? Nun ja, ich habe dir noch nichts gesagt: Ich bin Witwer, bin frei, glücklich, mein eigner Herr! Ich liebe dich – ich entführe dich – ich heirate dich! Für sich. Das Wort ist heraus! Laut. Ja, ich heirate dich! Er will sie fortziehen. Komm, komm, laß uns unser Glück am Ende der Welt verbergen, in Smyrna, in Bagdad, in einer Wüste, wo du willst.
PHILINE bricht in lautes Gelächter aus und entreißt sich seinen Armen. Hahaha! Armer Laertes, du wirst ewig ein schlechter Komödiant bleiben. Du kommst aus dem Schlosse Cypriani, dort hast du Wilhelm und Mignon gesehen. Nun wohl, so sage ich dir, daß ich nur hier bin, um mich an Mignon zu rächen.
LAERTES. Das wirst du nicht! So vernimm denn: Mignon ist glücklich, von Wilhelm geliebt, ein Wort von dir tötet sie. Mignon im Hintergrunde bemerkend. Ah, da kommt sie!
Dritter Auftritt
Die Vorigen. Mignon. Später Wilhelm und Lothario. Mignon tritt sehr rasch auf, Philine geht ihr entgegen, lächelnd, fast höhnisch. Mignon senkt den Kopf bei ihrem Anblick. Sie stößt einen leisen Schrei aus, legt die Hand ans Herz und eilt zu ihrem Vater, der sie umarmt, wie um sie zu beschützen. Lange Pause.
Nr. 18. Finale.
MIGNON für sich.
Gott! Welch Lächeln voll Hohn! Wie ihre Blicke siegreich sind!
LOTHARIO zu Mignon.
Sperata! Meine Tochter! Ach, mein Kind!
WILHELM.
Ja, nur dich lieb‘ ich, Mignon, dich allein, teures Kind.
LAERTES leise zu Philine.
Philine, hab Mitleid und schone dieses Kind!
PHILINE für sich.
Welch Schreck ergreift sie doch! Welcher Schmerz! Armes Kind!
Zu Wilhelm, mit etwas Ironie.
Wohl anders dacht‘ ich Sie zu finden;
Täuschung war’s, nun, mag es drum sein!
O wer kann Männerherzen ergründen?
Sind Sie glücklich, so soll es mich freun.
Zu Mignon mit Teilnahme.
Er hat dich zur Gattin erwählet,
Morgen knüpfet ihr das heilige Band,
Wenn Eifersucht auch mich noch quälet,
Dennoch reicht dir Philine die Hand.
Verzeih, mein Kind, gib mir die Hand!
MIGNON.
Philine, hier meine Hand!
Vierter Auftritt
Die Vorigen. Antonio. Später Friedrich.
ANTONIO auf Lothario zeigend.
Da ist er! Der Marquis von Cypriani!
ALLE.
Der Marquis von Cypriani!
LOTHARIO.
Ja, Freunde, ja! Eure Herzen kennen mich wohl noch!
ALLE.
Der Marquis, er lebe hoch!
LOTHARIO.
Seht ihn wieder bei euch, dem Gott so viel Gnad‘ erwies,
Er gab mir heut zurück die heißgeliebte Tochter!
ALLE.
Seine Tochter!
FRIEDRICH erscheint auf der Treppe des Wirtshauses.
PHILINE auf ihn zulaufend, ihn bei der Hand fassend und vorstellend.
Herr Friedrich, mein Gemahl!
FRIEDRICH erstaunt.
Wer, ich? Wieso?
PHILINE zu Friedrich.
Nur stille!
Leise zu Laertes.
Laertes, so rächt sich Philine!
LAERTES.
Gut! Als Opfer fällt der Narr dort,
Sonst nahm sie wirklich mich beim Wort!
WILHELM Mignon in seine Arme schließend.
Mein teures Kind, welch Wonnetag für mich!
MIGNON zu Wilhelm.
Und jetzt darf ich dir gestehen: ich lieb‘ dich!
ALLE.
O Tag der Wonne,
O Tag der Feier,
Tag der Freud‘
Für alle Zeit!