Wolfgang Amadeus Mozart
Idomeneus
Ein musikalisches Schauspiel
Inhalt.
Idomeneus König von Kreta, einer der vorzüglichsten Helden, die sich bey gänzlicher Zerstöhrung der berühmten Stadt Troja auszeichneten, befand sich auf dem hohen Meere im Begriffe, nach seinem Reiche zurückzukehren, als ihn unweit der Stadt Sidon ein so gewaltsamer Sturm überfiel, daß er in der Angst dem Wassergott Neptun ein Gelübde that, vermöge welchem er ihm, wenn er mit den Seinigen glücklich ans Ufer kommen sollte, den ersten Menschen, der ihm beym Aussteigen begegnen würde, wer es auch immer seyn möchte, zum Dankesopfer zu schlachten versprach. Idamantes sein Sohn, welcher bereits einen ungegründeten Bericht von dem Untergange seines geliebten Vaters hatte, lief untröstlich dem Gestade zu, in der Hoffnung sich eines bessern zu überzeugen, und ward so unglücklicher Weise der Erste, der seinem Vater, da er eben einsam am Ufer das versprochene Opfer aufsuchte, begegnete.
Die lange Abwesenheit des Idomeneus von seinem Vaterlande, allwo er seinen Sohn noch als ein Kind zurücke ließ, machte, daß sich beyde erst nach einer langen Unterredung erkannten.
Idamantes liebte die Prinzess inn Ilia, die Tochter des trojanischen Königs Priamus. Diese Prinzess inn ward durch die vorsichtigen Anordnungen des Idamantes, da sie als eine Gefangene nacher Kreta gebracht wurde, von einem erschrecklichen Sturm gerettet. Sie liebte Idamanten hingegen.
Die Prinzess inn Elektra, Tochter des Agamemnons Königs von Argos, welche sich wegen zerschiedenen Aufruhren, die damals in ihrem Vaterland herrschten, nach Kreta geflüchtet hatte, liebte ebenfalls Idamanten, fand aber keine Gegenliebe.
Die mancherley Gemüthsregungen des Vaters, und des Sohnes, als sie sich erkannten; die väterliche Liebe des Idomeneus; die Pflicht seines Gelübdes, die unglückselige Lage des Idamantes, welcher sein Schicksal nicht weis; die gegenseitige häftigste Liebe, und der bittere Schmerz beyder Verliebten, als Idomeneus gezwungen ward sein Geheimniß zu entdecken, und sein Gelübd zu erfüllen; die Eifersucht, und Verzweiflung der Prinzess inn Elektra, sind der Stof des gegenwärtigen Schauspiels, das übrige wird die Bühne zeigen.
Man lese das französische Trauerspiel, welches der italiänische Dichter, durch Veränderung des Ausganges, in ein Schauspiel umgearbeitet, und hie und da nachgeahmet hat.
Die Handlung geschieht zu Sidon, der Hauptstadt in Kreta.
Veränderungen der Scenen.
Im ersten Aufzuge.
Die an die Zimmer der Prinzessinn Ilia anstossende Gallerie im königl. Pallaste.
Das Ufer des noch unruhigen Meeres, welches an die Felsen schlägt. Einige zerbrochene Schife am Gestade.
Im zweyten Aufzuge.
Die königlichen Zimmer.
Der Meerport von der Stadt Sidon, und die Schife am Ufer.
Im dritten Aufzuge.
Der königliche Garten.
Der grosse mit Statuen besetzte Platz vor der königlichen Burg.
Seitwärts die Aussicht auf den Vordertheil des Pallastes.
Die äussere Aussicht des prächtigen Tempels des Neptunus nebst dessen geräumigen Vorhof, an der Seite entdeckt man in der Ferne das Meerufer.
Die Auszierungen des Theaters sind von der Erfindung des Herrn Lorenz Guaglio, Sr. kurfl. Durchl. zu Pfalzbaiern Hofkammerrath, Professor bey der Akademie der sch. W. zu Düsseldorf und Theaterbaumeister.
Personen
Idomeneus, König von Kreta
Idamantes, sein Sohn
Die Prinzessinn Ilia, Tochter des trojanischen Königs Priamus
Elektra Prinzessinn Tochter des Agamemnons Königs von Argos
Arbaz, Vertrauter des Königs. Herr Dominikus von Panzachi
Der hohe Priester des Neptunus
Gefolge, und Chöre von Priestern, gefangenen Trojanern, Männern, und Weibern von Kreta, Schifleuten
Die Tänze sind von der Erfindung des Herrn le Grand. Sr. kurfl. Durchl. etc. etc. Balletdirector.
Erster Aufzug.
Auftritt I.
Die an die Zimmer der Prinzess inn Ilia anstossende Gallerie im königl. Pallaste.
ILIA allein. Wann werden doch meine harte Unglücksstreiche einmal ein Ende nehmen! Unselige Ilia! Du einzig bist nun der betrübte Ueberrest des grausamen Sturms; das Blut des Vaters, und der Brüder floß, mit dem Feindlichen vermengt, als ein rühmliches Opfer in einem Strome dahin.
Zu was für einen grössern Unheil wollt ihr mich, o Götter! noch aufbehalten?
Ihr habt zwar den Schaden von Troja, und den Schimpf meines Vaters, durch den Untergang der griechischen Flote gerächet, und Idomeneus wird vieleicht schon eine Speise des unersättlichen Meerdrachens geworden seyn – Allein, o Himmel! was nützet mich das? ich habe dem ungeachtet beym ersten Anblicke des tapfern Idamantes, der mich den Wellen entriß, allen Haß ablegen, und ihm eher mein Herz gefangen geben müssen, als ich gewahr wurde, daß ich selbst seine Gefangene war.
O ihr Götter! was für entgegengesetzte Pflichten von Liebe und Hasse bürdet ihr meinen Herzen auf! Meinem Erzeuger bin ich Rache schuldig, und dem Erretter meines Lebens Dankbarkeit. O Ilia! o Vater! o Prinz! o Schicksal! unglückseliges Leben! erwünschter Tod!
Aber wie? Lieber mich denn Idamantes? – – O nein! Der Undankbare, liebt Elektra, die Elende, diese nach dem Untergange des Orestes aus Argos Verwiesene, und in diesem Lande herumirrende Prinzessinn ist meine Nebenbuhlerinn.
Wie viele Henkersknechte wüthen in diesen gekränkten Busen?
Wohlan denn, Rache, Eifersucht, Haß und Liebe, zerreisset dieses mein armes Herz!
Arie.
Vater, Brüder sind entwichen,
Todt durch dich, o Griechenland!
Schickt sich wohl für einen Griechen
Dieses Herz, und diese Hand?
Ach mein Blut müßt mich verdammen!
Aber daß sein Angesicht
Meinen Busen konnt entflammen,
Wahrlich dafür kann ich nicht.
Was sehe ich? Idamanten? o Weh! Er kömmt. Bedauernswürdiges Herz, du zitterst, und zagest.
O meine Qualen, gestattet mir nur einen Augenblick Ruhe.
Auftritt II.
Idamantes Ilia.
Das Gefolg des Idamantes.
IDAMANTES zum Gefolge. Gehet, versammelt die Trojaner, und verkündiget dem Hofe, daß er sich bereiten soll, diesen grossen Tag zu seyern. Zur Ilia. Der Strahl einer so entzückenden Hoffnung vermindert schon einen grossen Theil meiner Schmerzen. Minerva, die Schutzgöttinn Griechenlandes hat meinen Vater der Wuth der Wellen etztrissen, nicht weit von hier erblicket man schon seine Schife auf dem Meere. Arbazes suchet bereits die Gegend ausfindig zu machen, deren Entfernung uns noch des königlichen Antlitzes beraubet.
ILIA spöttisch. Fürchte nichts: Minerva beschützet Griechenland, der ganze Vorrath des Zornes der Götter ist schon über Troja ausgeschüttet worden.
IDAMANTES. Seufze nicht mehr über das Schicksal der Trojaner, ich werde für sie eben das thun, was mein Vater, und jeder großmüthige Sieger thun würde. Sieh, Prinzessinn, so gleich sollen ihre Klagen ein Ende haben.
Ich gebe Ihnen die Freyheit, und nur ein einziger aus uns soll ein Gefangner bleiben, nur der, den deine Schönheit gefesselt hat.
ILIA. Herr! was muß ich vernehmen? haben die unerbittlichen Götter ihren Zorn, und Haß durch den Umsturz der herrlichen Mauern von Troja noch nicht genug ersättigen können? ach, sie sind zerstöhrt, diese Mauern, sie sind nun eine weite wüste Ebne! und unsre schwachen Augen sind nun schon zu ewigen Thränen verdammet.
IDAMANTES. Die Venus hat uns gestraft, sie sieget über uns. Wie viel hat mein Vater, o bitters Angedenken! im stürmenden Meere erlitten? Agamemnon hatte sein Siegeszeichen theuer erkauft, er ward am Ende in Argos selbst das Opfer dafür. Und diese feindselige Göttinn noch nicht zufrieden mit so mancher Niederlage, was hat sie endlich gethan? so gar mein Herz hat sie mit den durchdringenden Blicken deiner Augen, die selbst die ihrigen beschämen, durchstochen, und allen deinen Schaden an mir gerächet.
ILIA. Was sagst du?
IDAMANTES. Ja! der Sohn der Citerea hat Qualen in dieses Herz geleget, die mir bisher noch unbekannt waren. Dir hat Mars Schrecken und Thränen verursachet, und Cupido hat sich deinetwegen an mir gerächet, und deine reitzende Blicke, und dein einnehmendes Wesen als Waffen dazu gebraucht – – – – aber wie? Du erröthest vor Zorn und Scham, da ich dir meine Liebe entdecke?
ILIA. Ich kann die Vermessenheit solcher Ausdrücke nicht erdulden. O Himmel! denke doch, Idamant! wer dein Vater ist, und wer der Meinige war.
IDAMANTES.
Arie.
Ich suche deiner Liebe Huld,
Du zörnst, und ich bin ohne Schild;
Ist meine Liebe ein Verbrechen:
So mußt du es an Göttern rächen:
Sie nahmen mir durch dich die Ruh,
Ich trag die Straf, die Schuld trägst du.
Doch soll ich selbst mein Herz durchstechen,
So fodre auch dein Mund den Tod,
Den mir dein blitzend Auge droht,
Ich will von keinem Lohn mehr sprechen.
ILIA sieht die Gefangenen bringen. Sieh da den elenden Rest der Trojaner, den die feindliche Wuth noch übrig gelassen hat.
IDAMANTES. Ich werde also gleich ihre Fessel zerreissen, und sie trösten, ach! warum kann ich das mir selber nicht thun! Zu sich.
Auftritt III.
Idamantes, Ilia.
Die gefangenen Trojaner, kretensische Männer, und Weiber.
IDAMANTES. Man entfeßle sie. Heut meine getreue Unterthanen von Sidon, heut soll die Welt zwey herrliche Völker mit dem festesten Bande der wahren Freundschaft verbunden sehen.
Helena hat Griechenland, und Asien bewaffnet; und itzt hat eine neue Heldinn, die sie an Schönheit und Reitze übertrift, Asien, und Griechenland entwaffnet, und wieder verbunden.
Chor.
ALLE.
Herrsche Liebe! deine Kraft
Hat uns Fried und Ruh verschaft.
Freut euch alle, o Entzücken!
Fried und Ruh soll uns erquicken.
ZWEEN KRETENSER.
Die Kriegesfackeln sind zerstöhrt,
Dankt denen, die sie abgethan,
Des Kriegeswuth hat aufgehört;
Itzt fängt der Erde Ruhe an.
ALLE.
Herrsche Liebe! deine Kraft
Hat uns Fried und Ruh verschaft.
Freut euch alle, o Entzücken!
Fried und Ruh soll uns erquicken.
ZWEEN TROJANER.
Wir danken euch, ihr guten Götter!
Ihr waret unser Schutz und Schild,
Auch Ilia! du warst unser Retter,
Durch deiner Augen holdes Bild.
ALLE.
Herrsche Liebe! deine Kraft
Hat uns Fried und Ruh verschaft.
Freut euch alle, o Entzücken!
Fried und Ruh soll uns erquicken.
Auftritt IV.
Elektra. Die Vorigen.
ELEKTRA eifersüchtig. Prinz, Herr! du beleidigest das ganze Griechenland, da du den Feind beschützest.
IDAMANTES. Griechenland mag zufrieden seyn den Feind überwunden zu sehen, itzt will ich, o Prinzessinn, ihm ein Werk zeigen, das meiner noch weit würdiger ist: Es soll den Ueberwundenen glücklich sehen. Sieht Arbazen kommen.
Auftritt V.
Arbaz traurig, und die Vorigen.
IDAMANTES.
Arbazes kömmt.
Furchtsam.
Du weinest? was soll das bedeuten?
ARBAZES.
O mein Prinz!
Das schrecklichste aus allen Uebeln. – –
IDAMANTES ängstlich.
Wie, lebet etwa
Mein Vater nicht mehr?
ARBAZES. Nicht mehr: was Mars nicht vermochte, ist dem unerbittlichen Gotte Neptunus gelungen.
Eben habe ich vernommen, daß der Würdigste aller Helden nahe bey einem fremden Ufer versunken seye.
IDAMANTES. Ilia! da siehst du, daß ich der Unglücklichste unter allen Menschen bin. Nun wird wohl der Himmel deiner Rache genug gethan haben? – – Grausames Verhängniß. – – Ich eile zum Ufer – – Weh mir – – Ich bin verzweiflungsvoll. Geht ab.
ILIA. Der Schaden Asiens durchdringet zwar meine ganze Seele aufs empfindlichste, und doch scheinet mein Herz bey Anhörung des Namens, und des Unglückes dieses so grossen Helden bewegt zu seyn, ich kann ihm mein Mitleid nicht versagen. Geht seufzend ab.
Auftritt VI.
ELEKTRA allein. Idomeneus todt? – – so hat sich der ganze Himmel wider mich verschworen. Itzt kann Idamantes nach seinem Belieben mit seinem Reiche und mit seinem. Herzen machen, was er will, und mir bleibt nicht ein Schatten einer Hoffnung übrig! Ach ich Ohnmächtige werde mir zum Schimpfe, und zur Schande des ganzen Griechenlandes, erleben müssen, daß eine trojanische Sklavinn den Thron und das Ehebette des Idamantes besteiget. – – Vergebens Elektra liebest du den Undankbaren – – Ha! soll die Tochter eines Königs, dem selbst Könige fröhnen, gleichgiltig zusehen, da diese niedrige Sklavinn ihre Gedanken so hoch zu spannen sich erkühnet? o Zorn! o Raserey! o Schmerz! – – ich kann es nicht aushalten.
Aria.
Nun alle Furien aus der Hölle,
Vereinigt euch in meiner Seele,
Denn fern von mir, bey solcher Pein,
Soll Liebe, Gnad, und Mitleid seyn.
Der, so dieses Herz verachtet,
Und auch die, nach der er schmachtet,
Sollen fühlen, was die Wuth
Meiner glühenden Rache thut.
Geht ab.
Auftritt VII.
Das Ufer, wo das noch unruhige Meer an die Felsen schlägt. Einige zertrümmerte Schife am Gestade.
Chor der Leute, welche in der Gefahr des Schifbruches schweben.
ALLE.
Ihr Götter, ach Barmherzigkeit!
Gerechte Götter! kehrt die Blicke
Auf unser trauriges Geschicke! – –
EIN THEIL DES CHORS.
Ihr Götter, ach Barmherzigleit!
Wir sterben sonst vor Angst und Zagen,
Eh Sturm und Hagel uns zerschlagen.
EIN ANDERER THEIL.
Ihr Götter, ach Barmherzigkeit!
Seht, wie wir mit dem Tode ringen,
Die Wellen droh’n uns zu verschlingen.
ALLE mit leiser Stimme.
Ihr Götter, ach Barmherzigkeit!
Auftritt VIII.
Pantomime.
Neptunus gehet aus dem Meere hervor, gebiethet den Winden, nach ihren Höhlen zurückezukehren, das Meer wird nach und nach still. Idomeneus, da er den Neptunus erblicket, fleht ihn um Hülfe an. Neptunus wirft ihm einige finstern Blicke zu, drohet ihm, und verschwindet.
Auftritt IX.
Idomeneus. Das Gefolg.
IDOMENEUS zum Gefolge. Endlich sind wir glücklich am Porte. Nun getreue Gefährten! ihr waret bisher zu Wasser und zu Lande, im Glücke, und Unglücke immer an meiner Seite.
Lasset mich itzt auf kurze Zeit allein. Ich will nun in Ruhe hier unter dem vaterländischen Himmel meine erlittene Drangsalen ausschitten. Das Gefolg entfernet. Idomeneus zieht sich tiefsinnig nach dem Gestade zurücke.
Das Meer ist ruhig, es bläst ein sanfter Wind über seinen ebenen Spiegel dahin, und die Sonne wirft spielend ihren goldenen Glanz auf die blaue Decke desselben. Wo ich mich immer hinwende, ruhet, und erfreuet sich alles in dem lieblichen Busen des Friedens. Ich allein, nur ich allein steh hier auf trockenem Sande, geschwächt von der Angst so vieler überstandenen Leiden, und fühle in meinem Herzen die Ruhe nicht, die du o Neptun! meinetwegen in deinem ganzen Reiche hergestellet hast. In Mitte der Wellen, und Felsen, worein mich dein empörter Zorn geschleudert hat, habe ich von dir Rettung erlanget, als ich in der Angst deinem Altare den ersten mir begegnenden Menschen zum Ver söhnungsopfer versprach. Durch dieses grausame Gelübd bin ich nun zwar in Sicherheit, aber nicht in Ruhe. – – O Himmel! da sehe ich ja die geliebten Mauern, wo ich das erstemal den Athem meines Lebens eingesogen habe? O es ist schon lange, daß ich euch nicht mehr gesehen habe; und mit was für einen Herzen komme ich itzt in euern Schoos zurücke! Ich muß hier das unschuldige Blut eines armseligen Menschen vergiessen! o unsinniges, entsetzliches Gelübd! unmenschliches Versprechen! Ach ihr Götter! was für einer aus euch erhält mir das verhaßte Leben, oder was für einer kömmt mir itzt zu Hilfe?
Arie.
Sein Schatten wird, zu meiner Pein,
Stets meiner Blicke Vorwurf seyn.
Bey Tag und Nacht wird er mich plagen,
Und kläglich seufzend immer sagen:
Sieh da, der Unschuld Blut, Tyran!
Was hat dir dieses Herz gethan?
Dann wird er seinen Arm erheben,
Und Zeichen seiner Rache geben.
Weh mir! vor Schrecken, Angst, und Pein
Zerspringet mir das Herz in Stücke,
So oft ich seinen Geist erblicke:
So werd ich selbst des Todes seyn.
Er sieht Jemanden kommen.
O Himmel! was sehe ich? schon kömmt mir das unglückliche Opfer entgegen. – – O Weh! es nähert sich – – welch ein Schmerz verbreitet sich auf seinem Gesichte! – – das Blut stockt mir in den Adern, ein kalter Schauer durchzittert mein ganzes Eingeweide. – – Wie, ihr Götter! und so ein unschuldiges Menschenblut könnte für euch ein angenehmes, und rechtmäßiges Opfer seyn? und meine Hände sollen es vergiessen? verfluchte Hände, harte, ungerechte Götter! verabscheuungswürdige Altäre!
Auftritt X.
Idamantes, Idomeneus, in einiger Entfernung.
IDAMANTES. Einsames Ufer, und du ungebahnter Felsen, seyd Zeuge meiner Schmerzen,
Und vergönnet meiner aufwallenden Brust einen ruhigen Unterstand.
Eure stillen Schrecken, und eure Härte ist das wahre Ebenbild meines Schicksales.
Ich sehe dort zwischen den zertrümmerten Schifen einen unbekannten Krieger. – – Ich will ihn sprechen, ihn trösten, und seine Traurigkeit in Freude verwandeln. Er nähert sich, und redet Idomeneen an.
Tapferer Krieger, wer du auch immer seyn magst, lege deinen Kummer ab, du siehst hier einen, der bereit ist dir zu helfen, und der in dieser Gegend auch fähig ist dir zu helfen.
IDOMENEUS bey sich. Je mehr ich ihn betrachte, desto mehr wächset mein Schmerz. Zu Idamant. Ich werde dir meine künftigen Tage schuldig seyn, aber was für einen Lohn wirst du dafür von mir haben?
IDAMANTES. Das Vergnügen dir gedienet zu haben, ist Lohn genug für mein Herz.
O mein Freund! mein eigenes Unglück hat mich ge lehrt mit dem Unglücke anderer Mitleid zu haben.
IDOMENEUS bey sich. Was für eine Stimme! Was für ein Mitleid durchbohret mir das Herz! Zu Idamanten. Du wärest unglücklich, sagest du? kennest du schon alle deine Unglücke in ihrer ganzen Grösse?
IDAMANTES. Der theuerste Gegenstand meiner Liebe, o Himmel! ist nicht mehr, er schwebet schon jenseits des Flusses Cocito.
Der in Waffen so berühmte König, die Geisel seiner Feinde, der Abgott seines Hofes, der Schrecken, und die Liebe der ganzen Welt, ist von den ungerechten Göttern verfolgt, unterdrückt, und (sage nun, ob meine Klagen ungerecht sind) von der Wuth der grausamen Wellen – – –
IDOMENEUS weinet und seufzet. Hartes Verhängniß!
IDAMANTES. In den Abgrund des Meeres hinabgestossen liegt der Held Idomeneus begraben. Aber wie? du seufzest, und weinst? Ist dir Idomeneus bekannt?
IDOMENEUS. Kein so elender Mensch, wie er, ist auf der ganzen Erde; nichts ist, das sein schreckliches Schicksal lindern kann.
IDAMANTES. Was redest du? lebet er denn noch? Zu sich. Gott! ich fange wieder an zu hoffen. Freund! sage mir, wo ist er? wo ist er? o sage mir es, wo kann ich das Antlitz finden, das mir wieder ein neues Leben giebt?
IDOMENEUS. Wo kommet denn die zärtliche Liebe her, die du für ihn in deinem Busen nährest?
IDAMANTES. Ach könnte ich doch wenigstens ihm selbst die regen Empfindungen meines Herzens entdecken! die berühmten Thaten, wegen welchen Griechenland sich vor seinem herrlichen Namen mit Ehrfurcht niederbeuget, sind meinem Herzen allzeit ein anspornendes Beyspiel gewesen.
O warum konnte ich nicht dort in den trojanischen Feldern nicht dabey seyn, wo er so viele Siegeszeichen, und rühmliche Lorber gesammelt hat: warum konnte ich nicht ein Zeuge und Nachahmer seiner Tapferkeit, und Trotz den Gefahren des Todes ein Theilnehmer seines erworbenen Ruhmes seyn!
IDOMENEUS. Edelmüthiges Feuer! o Tugend! würdig, daß sie der Himmel mit Ruhm und Ehren krönte! Zu sich. aber wie? diese Gesichtszüge sind mir nicht gänzlich fremd, ich finde so was darinnen, ich weis selbst nicht – – –
IDAMANTES für sich. Nachdenkend betrachtet er mich steif mit traurigen Gebährden – – Sein Gesicht, seine Stimme, seine Mine lassen mich vermuthen, als wenn ich ihn schon bey Hofe, oder sonst wo gesehen hätte, oder wohl gar sein Freund gewesen wäre.
IDOMENEUS. Du stehest vertieft in Gedanken?
IDAMANTES. Du betrachtest mich, und schweigest?
IDOMENEUS. Warum machen mich deine Reden so verwirrt?
IDAMANTES. Und warum fühle auch ich die nämliche Verwirrung in meiner Brust? ach! ich kann meine Thränen nicht mehr zurückhalten! Weinet.
IDOMENEUS. Aber sage mir, was für einen Grund haben wohl diese deine Thränen, und woher kömmt der herbe Schmerz, der dich so sehr für Idomeneen einnimmt. – –
IDAMANTES. Ach! er ist der Vater – –
IDOMENEUS hastig drauf. Gott! rede, wessen Vater ist er?
IDAMANTES traurig. Er ist mein Vater.
IDOMENEUS zu sich. Unbarmherzige Götter!
IDAMANTES. Beweinest du auch mit mir das traurige Schicksal meines Vaters?
IDOMENEUS betrübt. Ach! mein Sohn!
IDAMANTES entzückt. O mein Vater! – –
Wo bin ich? – – ich bin entzückt. – Erlaube o mein theuerster Erzeuger, daß ich deinen väterlichen Busen umarme – – Will ihn umarmen, aber Idomeneus verweigert es ihm, und tritt voll Verwirrung zurücke.
Weh mir! was ist das? du zörnst, du fliehest mich? wohin? ach! wohin?
IDOMENEUS. Folge mir nicht nach, ich verbiethe dir es: Es wäre besser für dich gewesen, wenn du mich da nicht gesehen hättest. Zittere, wenn du mir nochmal unter die Augen kömmst. Geht eilends ab.
IDAMANTES. Mein Blut wird zu Eis, alle meine Sinnen sind verwirrt, ich sehe, ich erkenne ihn kaum, und währender Anhörung der zärtlichsten Ausdrücke meiner Liebe, entfliehet er, wie im Blitz, meinen Augen. Ich armseliger, wodurch habe ich ihn beleidiget? wie habe ich seinen Zorn, und seine Drohungen verdient? ich will ihm nacheilen, und sehen, ob mir das Verhängniß noch ein grösseres Unheil zubereitet hat.
Arie.
Ich find ihn, und verlier ihn wieder
Den Vater, ihn, mein höchstes Glück;
Sein grimmig Auge schlägt mich nieder,
Er flieht, und stößt den Sohn zurück.
Ich dachte hier vor Lust und Freud,
Umarmt von ihm, zu sterben,
Nun fühl ich, daß mich Gram und Leid,
Getrennt von ihm, verderben.
Geht voll Schmerz ab.
Ende des ersten Aufzuges.
Zwischenspiel.
Das Meer ist vollkommen ruhig. Die Kretensischen Kriegsleute, die mit Idomeneus anlangten, steigen ans Land, und singen folgenden Chor zu Ehren des Neptunus. Die Weiber aus Kreta eilen herbey ihre angekommenen Angehörigen zu umarmen, und geben ihre ausserordentliche Freude durch einen grossen Reihentanz zu erkennen, welcher sich mit diesem Chor endiget.
Ein kriegerischer Marsch währendem Aussteigen.
Chor der angelangten Krieger.
ALLE.
Nun ehret all‘ zusammen
Des Gotts Neptunus Namen;
Bethet an, erweiset Ehr:
Seine Macht beherrscht das Meer.
EIN THEIL DES CHORS.
Er kennt schon von fern aus der donnernden Stimm
Des wüthenden Jupiters Grimm;
Er schlüpfet schnell, gleich einem Blitze,
Nach seinem königlichen Sitze
Hinunter in das egeische Meer,
Und stellet gute Anstalt her.
Er sendet so gleich, wie geflogen
Die schuppichten Pferde aus stürmischen Wogen,
Ihm tretten Trittonen als Herolden vor,
Und blasen ihr Horn aus den Fluten empor.
Dann nimmt er als Herrscher den Dreyzack zur Hand
Und bringet die Ruh seines Reiches zu Stand.
ALLE.
Nun ehret all‘ zusammen
Des Gotts Neptunus Namen,
Bethet an, erweiset Ehr:
Seine Macht beherrscht das Meer.
EIN THEIL DES CHORS.
Auf einer Muschel reich von Gold
Erscheinet majestätisch hold
Der Wassergott Neptun;
Und unten, in der Muschel Mitte,
Scherzt als ein Kind Portun
Mit der Delphin und Amphitrite.
Nun ist Gefahr und Roth vorbey,
Wir sind vom Untergange frey.
Ihr holden Nymphen Nereiden,
Die nebst der schönen Galathe beschieden,
Im Dienst der grossen Königinn
Als Schutz und Zierde mitzuziehn,
Dankt an unser statt den Göttern,
Unsern theuern Lebensrettern.
ALLE.
Nun ehret all‘ zusammen
Des Gotts Neptunus Namen,
Bethet an, erweiset Ehr:
Seine Macht beherrscht das Meer.
Ende des ersten Aufzuges, und des Zwischenspiels.
Zweyter Aufzug.
Auftritt I.
Die königlichen Zimmer.
Idomeneus, Arbazes.
IDOMENEUS. Wir sind allein. Höre mich Arbaz! aber verschliesse das grosse Geheimniß tief in dein Herz. Aus langer Erfahrung ist mir schon deine Treue bekannt.
ARBAZES. Die Treue eines Unterthans darf sich keines Verdienstes rühmen, die Schuldigkeit ist keine Tugend. Mein Blut und Leben steht dir zu Diensten.
IDOMENEUS. Nur einzig deinen Rath habe ich itzt nöthig, höre mich!
Du weist, mit welchem Gewichte mein Schwert auf Troja fiel, und wie viele Köpfe mir diese stolze Hydra entgegen gesetzet hat.
Dort, als Neptun auf den hochen Felsen von Samos zusah, wie uns Jupiter unterdrückte, und vom Mitleide gerührt entgegen floh uns Muth einzuflössen, schlug ich den Otrionius, den Asius, Alkatous, Enomaus, und den Erimantes, und den Festus todt, ich verwundete die Brust des Hektors, und foderte den Deifobus zum Zweykampfe.
ARBAZES. Dieses alles ist mir bekannt.
IDOMENEUS. Da ich nach so vielen Glückesstreichen stolz ward, widersetzte sich mir am Ende der grausame Neptunus bey meiner Zurückfahrt.
ARBAZES. Und ich weis auch, daß er sich zu deinen Schaden mit dem Eolus und Jupiter verschwur, und sein ganzes Reich wider dich empörte.
IDOMENEUS. Und zwar so, daß er mir ein Menschenblut zum Opfer abgedrungen hat.
ARBAZES. Wessen Blut? –
IDOMENEUS. Desjenigen, der mir zuerst an dem Ufer begegnen würde.
ARBAZES. Ausserordentliches Gelübd!
IDOMENEUS. Und doch – – –
Neptunus hat es angenommen, und mich erhört. Sollte ich wohl schuldig seyn dieses Gelübd zu erfüllen?
ARBAZES. Ein König ist den Göttern unterworfen, also muß er die Rechte der Götter schützen; Er besitzt unverdienter Weise das Recht seinen Unterthanen Foderungen, und Strafen aufzulegen, wenn er nicht selbst nach ihrem Beyspiele gerecht, und seinen Versprechen getreu ist.
IDOMENEUS. Ich verstehe es Arbaz, ich verstehe es wohl, der Himmel fodert meine Treu, und die Welt mein Beyspiel. Aber du reissest mir meine Wunde noch weiter auf.
ARBAZES. Der Arzt kann die Wunde nicht heilen, ohne sie anzurühren. Der Himmel hat dein Gelübd aufgenommen, er wird dir auch Kräfte geben es zu erfüllen.
IDOMENEUS aufgebracht. Das Gelübd ist aber ungerecht.
ARBAZES. Verzeih, uns ist nicht erlaubt von den Göttern Rechenschaft zu fodern. Ueberlegest du nicht, wie hoch die Götter das Leben eines Monarchen schätzen? dein Leben muß dir gewiß einen unschätzbaren Preis kosten.
IDOMENEUS seufzend. Darunter steckt eben das Geheimniß.
ARBAZES. Sage mir nun, wer dir am ersten begegnete?
IDOMENEUS. Erschrick! – Es war mein Sohn. –
ARBAZES zurückbebend. Idamantes? – – ich vergehe! – – Hat er dich gesehn? hast du ihn gesehen?
IDOMENEUS. Er hat mich gesehn, er hielt mich für einen Fremden, und wollte mir zu Hilfe kommen. Er beweinte seinen Vater als todt, und erst nach einer langen Unterredung erkannten wir einander, Gott! was war das für eine Erkäntniß! –
ARBAZES. Hast du ihm sein Schicksal schon entdecket?
IDOMENEUS. Nein! vom Schrecken betäubt floh ich von ihm, und ließ ihn der Verzweiflung über.
ARBAZES. Armer Vater! Elender Sohn!
IDOMENEUS. Ach Arbaz! habe Mitleiden, gieb mir Rath, rette mir meinen Sohn.
ARBAZES nach kurzem Nachdenken. Sende ihn in ein anders Land.
IDOMENEUS. Betrübte Nothwendigkeit! – – aber wo? wo kann ich ihn vor den Augen der Gottheit verbergen?
ARBAZES. Wenn er nur dem Volke verborgen bleibt; so wird sich unterdessen schon ein Mittel finden, den Neptun zu besänftigen, vieleicht wird ihn ein andrer Gott in seinen Schutz nehmen.
IDOMENEUS. Wahrhaftig, du hast recht – – Sieht Ilia kommen. Ilia kömmt, wie ungelegen kömmt sie mir itzt! – – Denkt nach. Nach Argos will ich ihn schicken, er soll die Prinzessinn Elektra wieder in die Rechte ihres Thrones einsetzen. – – Geh zu ihr, und auch zu ihm, bereite sie vor, und bring alles sorgfältig in Richtigkeit. Aber sey verschwiegen, ich vertrau mich ganz deiner Treue, ich werde dir meine Ruhe, und mein Sohn wird dir sein Leben zu danken haben.
ARBAZES.
Arie.
Auf schnellen Fliegeln will ich fliehen,
Und deines Willens Zweck vollziehen.
Ach flög‘ dein Schmerz so schnell dahin;
So schnell ich ich dir gehorsam bin.
O Herrschsucht! mäß’ge die Begierde
Nach des erhabnen Thrones Würde!
Doch wenn die Krone dich entzückt:
So leide auch, wenn sie dich drückt.
Geht ab.
Auftritt II.
Idomeneus, Ilia.
ILIA. Wenn jemals die Sonne am griechischen Horizonte prächtig erschienen ist; so ist es, o König! gewiß am heutigen Tage geschehen, wo du deinen geliebten Unterthanen, die dich bereits als todt beweinten, durch deine glückliche Zurückkunst ein neues Leben, und neue Zufriedenheit bringest.
IDOMENEUS. Gütigste Prinzessinn! eben diese Zufriedenheit soll auch dir dein ausgestandenes Leiden vergüten, und deine vergossene Zähren abtrocknen.
ILIA. Ich habe geweint, es ist wahr, und vergebens o Minerva! habe ich deinen Altar mit meinen Thränen benetzet. O Hekuba, meine Mutter, du weist es! Ich habe geweint, wie ich meinen alten Vater Priamus in der schweren Kriegesrüstung gesehen habe, wie er sich von uns beurlaubet hat, wie man uns die traurige Botschaft seines Todes hinterbrachte; Ich habe geweint, wie Tempel, und Vaterland von Feuer und Waffen zerstöhrt waren, und ich in diesem zarten Alter mich geraubt im stürmenden Meere, unter den Händen meiner Feinde, und endlich als eine Gefangene unter einer fremden Himmelsgegend erblicken mußte. – – –
IDOMENEUS.
Du hast sehr viel gelitten – – –
Vergiß aber itzt alles traurige Andenken.
ILIA. Seitdem dein liebenswürdiger Sohn mir die Freyheit geschenkt, und mit Ehrenbezeigungen, und Wohlthaten mich überhäufet hat, empfinde ich, daß alle die Freuden der Deinigen sich in meinem Herzen versammelt haben. Nimm also die Huldigung von mir an, und mein, dem Vater, und dem Sohne, verpflichtetes Herz, das nun nicht mehr unglücklich ist, soll der schuldige Tribut seyn; Herr! sieh nicht auf die geringe Gabe, denke, daß sie aus einer aufrichtigen Seele kömmt.
IDOMENEUS. Als dir mein Sohn die Freyheit ertheilte, war er nur der glückliche Vollbringer des väterlichen Willens. Ich bestättige alles dasjenige, worinnen er mir dich zu vergnügen vorgekommen ist. Bediene dich meiner, und aller meiner Schätze nach Belieben o Prinzessinn; Ich werde mich sorgfältigst bemühen, dir überzeugende Proben meiner Freundschaft zu geben.
ILIA. Ich bin dessen versichert, mein Zweifeln wäre sträflich. Gütige Sterne! durch was für einen glücklichen Einfluß habt ihr mein Schicksal verbessert! da, wo ich Marter, und Tod befürchtete, finde ich ein neues, und vergnügtes Leben; wo ich zu verschmachten geglaubt habe, ärndte ich die süssen Früchte meiner bittern Leiden ein.
Arie.
Vater, Vaterland, und Ruh
Ist zwar von mir geschieden,
Aber, wie mein Vaterland,
Giebt mir Kreta Unterstand,
Und mein Vater, Herr! bist du:
Drum bin ich ganz zufrieden.
Ich denk nicht mehr, was ich gelitten,
Der Himmel will mir es vergüten:
Vergnügen, Wonne, Freud und Lust
Ersetzt mir reichlich den Verlust.
Geht ab.
Auftritt III.
IDOMENEUS allein. Ihr zweydeutiges Reden verwirret meine Sinnen – – In ihrer so betrübten Lage zeiget die frigische Prinzessinn auf einmal eine so unvermuthete Freude? – Wie? wenn die zärtlichen Ausdrücke, mit welchen sie von meinem Sohne spricht ihren Ursprung von der Liebe hätten? und, o weh! wenn ihre Freude von der Hoffnung herkäme? – – Ich irre nicht, es ist gegenseitige Liebe. O Idamantes! zu sehr hast du geeilt ihr die Ketten abzunehmen – – Sieh da, wie die Götter dein Vergehen bestraffen. – – Ja, ja, der Vater, der Sohn, und Ilia werden ein dreyfaches Opfer auf dem nämlichen Altare des Gottes Neptunus werden, von gleichem Elende gedrückt, wird eines durch den Dolch, die zwey andern vor Schmerz sterben.
Aria.
Ich bin dem Meer entronnen,
Doch hab ich nichts gewonnen:
Ein ärgers Meer ist itzt in mir,
Und wüthet in dem Busen hier;
Und dieses Meer will gar nicht ruhn,
Auch da noch drohet der Neptun.
Du harter Gott! willst mein Verderben;
Was hältst du mich zurück vom Sterben?
Ist denn selbst des Todes Pein,
Deinem Grimme noch zu klein.
Ha! da kömmt Elektra, ganz eilends und fröhlich.
Auftritt IV.
Idomeneus, Elektra.
ELEKTRA. Herr! ich habe von Arbaz vernommen, wie weit sich deine Großmuth gegen mich erstrecket: wahrhaftig deine Gnaden, und meine Verbindlichkeit dagegen, haben beyde schon den höchsten Grad erreichet. Dir habe ich die grünende Hofnung meines Herzens, mit welcher ich bereits der nahen Bezähmung der stolzen Rebellen entgegen sehe, zu verdanken. Wie werde ich dir so viele Liebe erwiedern können?
IDOMENEUS. Idamantes hat den Auftrag dich zu beschützen. So gleich will ich zu ihm gehen, und machen, daß er unverzüglich, seiner Schuldigkeit gemäß, meinen Willen, und dein Verlangen befriedige. Geht ab.
Auftritt V.
ELEKTRA allein. Wer hat jemals ein süssers Vergnügen empfunden, als ich itzt empfinde? Ich reise, und der einzige Gegenstand, den ich liebe, und anbethe, begleitet mich. O Gott! mein Herz ist zu eng eine so grosse Freude zu fassen. Wenn ich mich nur einmal von meiner Nebenbuhlerinn entfernt sehe; so will ich durch meine reitzende Schmäucheleyen und Liebkosungen, das Feuer, welches ihre Augen augezunden, und ich bisher nicht dämpfen konnte, gänzlich auslöschen, und durch meine Blicke von neuem anflammen.
Arie.
Da meine Nebenbuhlerinn
Mir dich, mein Abgott! will entzieh’n:
Vermehrt der Gott der süssen Triebe,
Selbst, durch die Eifersucht, die Liebe.
Mein Trost muß seyn: sie bleibet hier,
Und du, mein Prinz! du gehst mit mir.
Was je Cupido soll verbinden,
Das muß er ja beysammen finden.
Man höret von weitem einen Marsch.
Ich höre schon in der Ferne die wohlklingende Musik, die mich zur Einschifung rufet. Ich muß eilen. Geht ab.
Nach dem Masse, wie die Scenen verändert werden, hört man den Marsch immer näher.
Auftritt VI.
Der Meerport von Sidon, mit den Schifen am Ufer.
Elektra mit ihrem Gefolg aus Argos. Das Gefolg der Kretenser, und die Schifleute.
ELEKTRA. Mein versammeltes Gefolge erwartet mich schon mit Ungeduld am Ufer. O Sidon! du warst bisher ein unangenehmer Aufenthalt für mich, Thränen, Schmerzen, und unfreundliche Liebe waren immer meine Gefährten, aber da mich itzt ein gütigeres Geschicke von dannen ruft; verzeihe ich dir alles, ich reise vergnügt, und sage dir im Frieden das letzte Lebe wohl.
Chor.
ALLE.
Das Meer ist still, wir wollen gehen,
Das Glück wird uns zur Seite stehen.
Auf! alles ist in Sicherheit,
Auf! auf! verlieret keine Zeit.
ELEKTRA.
Ihr Zephir! wehet sanft und still,
Begleitet mich zum frohen Ziel.
Du kalter Boreas hingegen
Magst dich indeß zur Ruhe legen.
Die holde Liebe will allein
Von milder Luft umflattert seyn.
ALLE.
Das Meer ist still, wir wollen gehen,
Das Glück wird uns zur Seite stehen.
Auf! alles ist in Sicherheit,
Auf! auf! verlieret keine Zeit.
ELEKTRA.
Die Hoffnung, die dem Zunder gleicht,
Giebt, wenn sie sich in Busen schleicht,
Auch nach fast ganz erloschner Liebe
Dem Herzen wieder neue Triebe,
Daraus erwächst in kurzer Zeit
Die Treue und Beständigkeit;
Und diese kann dann nicht mehr weichen
Die Hoffnung muß sein Ziel erreichen.
ALLE.
Das Meer ist still, wir wollen geben,
Das Glück wird uns zur Seite stehen.
Auf! alles ist in Sicherheit,
Auf! auf! verlieret keine Zeit.
ELEKTRA.
Die Hoffnung ist das beßte Kraut,
Wenn sich mit ihr die Treue traut;
Erzeugen sie zu letzt mitsammen
Die sichre Frucht der Liebesflammen.
O Hoffnung! du sollst immerhin
In aller Menschen Herzen blüh’n.
ALLE.
Das Meer ist still, wir wollen gehen,
Das Glück wird uns zur Seite stehen.
Auf! alles ist in Sicherheit,
Auf! auf! verlieret keine Zeit.
Auftritt VII.
Idomeneus, Idamantes, Elektra, das Gefolg des Königs.
IDOMENEUS. Zieh hin, Prinz!
IDAMANTES. O Himmel!
IDOMENEUS. Du zögerst zu lange.
Reise, und ehe du zurücke kömmst, soll mir ein unfehlbarer Ruf tausend heldenmäßige Unternehmungen von dir verkündigen. Wenn du die schwere Kunst zu regieren begreiffen willst; so fang damit an, daß du die Unterdrückten unterstitzen lernest; auf diese Weise kanst du dich deines Vaters und deiner selbst immer würdiger machen.
Arie von Dreyen.
IDAMANTES.
O Himmel! welch ein Leiden
Bringt mir dein harter Schluß!
Nimm denn, vor meinem Scheiden,
O Vater! diesen Kuß.
ELEKTRA.
Herr! geziemend dir die Pflichten
Meines Abschieds zu entrichten;
Sag ich reinsten Dankes voll:
Würdiger König! lebe wohl!
IDOMENEUS zu Elektra.
Geb nur, du wirst dich glücklich nennen,
Sohn! lerne da dein Glück erkennen.
ALLE.
O daß mein Wunsch geschehen soll!
ELEKTRA.
In meiner Hoffnung grünt mein Glücke!
IDAMANTES.
Ich geh,
Zu sich.
mein herze bleibt zurücke bey meinem Abgott da.
IDOMENEUS, IDAMANTES zu sich.
Ihr harten Götter!
IDAMANTES zu sich.
Ilia!
IDOMENEUS.
Sohn!
IDAMANTES.
Vater! welch ein Scheiden!
ELEKTRA.
Was werden wir noch leiden!
ALLE.
O Himmel! reich uns deine Hand
Erhöre unsre Bitte,
Thu unserm Unglück Widerstand
Erzeig uns Gnad und Güte.
Sie gehen den Schifen zu.
Während daß sie sich den Schifen nähern, um einzusteigen, erhebet sich unvermuthet ein gewaltiger Sturm. Dann singet das Volk diesen
CHOR.
O welch ein neuer Schrecken!
Der Zorn der Götter will aufs neu
Die Wuth des Meers erwecken:
Weh uns, Neptun! ach sieh uns bey!
Der Sturm wird immer häftiger, das Meer schwillt auf, es donnert, es blitzet, wiederholte Donnerkeile zinden die Schife an. Ein fürchterliches Ungeheuer steigt aus dem Meere heraus. Das Volk singt folgenden
CHOR.
Was will, Neptun! dein Zorn und Wüthen!
Wer raubet uns der Götter Huld?
Was ist an uns für eine Schuld
Welch sträflicher soll sie vergüten?
IDOMENEUS. Sieh da, unbarmherzige Gottheit! an mir den Schuldigen, ich allein habe gesündiget, ich allein muß bestrafet seyn; laß allen deinen Zorn über mich fallen, mein Tod mag dich endlich besänftigen. Aber wenn du ein anders, ein unschuldi ges Opfer von mir begehrest; so werde ich dirs nicht geben, und wenn du es mit Gewalt verlangst; so ist deine Foderung höchst ungerecht.
Der Sturm wüthet immerfort. Die Kretenser entfliehen vor Furcht, und zeigen im folgenden Chor durch Singen, und pantomimische Tänze, welche zur Handlung passen, ihre Angst und Schrecken an, und schliessen damit den Aufzug.
CHOR.
Laßt uns vor dem Drachen flieh’n
Lauft, sonst sind wir alle hin!
Lauft, es wird uns schnell erreichen!
Ach es ist zu spät zum Weichen!
O Verhängniß! welche Pein!
Könntest du wohl härter seyn!
Ende des zweyten Aufzugs.
Dritter Aufzug.
Auftritt I.
Der königliche Garten.
ILIA allein. O freundliche Einsamkeit, o liebliche Luft, geblümte Pflanzen, und reitzende Gewächse! höret die Klagen einer unglücklichen Liebhaberinn, die sie euch schmachtend anvertraut. Wie viele Qual kostet meinem Herzen das Schweigen, und die Verstellung gegen meinen Ueberwinder.
Arie.
Holder Zephir! bring mein Herz
Schnell dem liebsten Schatz entgegen,
Zeig ihm meiner Liebe Schmerz,
Bring mir seine Treu zuwegen.
Ihr Pflanzen sagt ihm mit Entzücken,
Daß meine Thränen euch erquicken:
Erahlt ihm, daß an Lieb und Treu,
Kein Herz mir zu vergleichen sey.
O ihr Götter! er kömmt selbst! – – soll ich reden, oder schweigen? – – bleibe ich, oder gehe ich? oder soll ich mich verbergen? ach ich bin zuverwirrt, ich kann nichts entschliessen.
Auftritt II.
Ilia, Idamantes.
IDAMANTES. Prinzessinn! ich komme nicht, wie vormals, dich mit vermessener Liebe zu beunruhigen, die Ursache, warum ich es wage, dir nochmal unter die Augen zu tretten, ist, ich will dich befriedigen, und sterben.
ILIA. Sterben? du, Prinz?
IDAMANTES. Je länger ich bey dir bin, je mehr entbrennet meine Liebe, und vergrössert mein Schuld: warum soll ich meine Strafe noch länger verschieben?
ILIA. Aber was für eine Ursache treibet dich an, den Tod zu suchen?
IDAMANTES. Mein Vater ist voller Zorn, und Wuth, er begegnet mir mit finstern Blicken, flieht mich, und verschweiget mir die Ursache seines Grimmes;
Ich schmachte in deinen Ketten, und deine Strenge verdammet mich immer mehr zu neuem Jammer; Ein gräuliches Ungeheuer macht überall erschreckliche Niederlagen, mit diesen will ich nun kämpfen, und es entweder überwinden, oder der Tod soll meiner Qual ein Ende machen.
ILIA. Zäme o Prinz! diesen übereilten und traurigen Entschluß; denk, daß du die einzige Hoffnung dieses großen Reiches bist.
IDAMANTES. Da ich deine Liebe, und dich, Ilia! nicht erhalten kann; weis ich nichts mehr, das meinen Wunsch verdienet.
ILIA. Ich unglückselige! – – o erhalte deine Tage!
IDAMANTES. Ich muß meinem harten Verhängnisse folgen.
ILIA. Ach! lebe! Ilia fodert es von dir.
IDAMANTES.
Himmel! was höre ich?
Angebethete Prinzessinn! – –
ILIA. Mein verwirrtes Herz kann dir meine Schwachheit nimmer länger verbergen: Zu sehr ist meine Brust von Liebe und Furcht bestritten.
IDAMANTES. Höre ich recht, oder betrügen sich meine Ohren mit leerer Einbildung dessen, was sie gerne hören möchten, oder hat mir unmäßige Brunst meiner zu grossen Liebe die Sinnen verrückt, und meinem schwachen Herzen diesen süssen Traum vorgespiegelt?
ILIA. Ha! warum habe ich mich von den Flammen meiner Liebe nicht eher verzehren lassen, als ich sie entdecket habe! ich empfinde tausend Vorwürfe in meiner Seele. – – Der heilige Bund meiner Pflicht, meine Ehre, mein Vaterland, das annoch rauchende Blut der Meinigen, ach! alles wirft mir die Befriedigung meiner rebellischen Liebe vor. – – Aber, was soll ich endlich thun? da ich dich mein Geliebter in der äussersten Gefahr sehe, wofür ich dich allein retten kann; so höre mich, ich sage es dir nochmal, ich liebe dich, ich bethe dich an, und wenn du sterben willst: so wird der Schmerz, den mir dein Tod verursachet, gewiß auch mich entseelen.
Arie von Idamantes, Ilia.
IDAMANTES.
Könnte Liebe, und Entzücken,
Wie man sagt, das Herz erdrücken;
Lebte ich itzt wohl nicht mehr,
Da ich dich so reden hör‘.
ILIA.
Nun höre auf zu klagen:
Denn ich kann mit Wahrheit sagen,
Daß dir meine Lieb und Treu
Ganz allein bestimmet sey.
IDAMANTES.
Also willst du dich mein Leben –
ILIA.
Ja ich will mich dir ergeben.
IDAMANTES.
Ilia! du meine Braut?
ILIA.
Herz und Hand sey dir vertraut.
BEYDE.
Welche Lust, und welche Freuden
Enden unser herbes Leiden,
Segne uns o Liebesgott!
Du besiegest alle Roth.
Auftritt III.
Idomeneus, Elektra. Die Vorigen.
IDOMENEUS zu sich. Himmel! was sehe ich?
ILIA zu Idamanten. Ach! nun sind wir entdeckt, mein Geliebter!
IDAMANTES zu Ilia. Fürchte nichts, mein Abgott!
ELEKTRA zu sich. Ha, Undankbarer!
IDOMENEUS zu sich. Das habe ich mir so vorgestellt. Grausames Verhängniß!
IDAMANTES. Herr! ich getraue mir nicht mehr dich Vater zu nennen, doch als deinem unglückseligen Unterthan wirst du mir eine einzige Gnade nicht versagen?
IDOMENEUS. Rede.
ELEKTRA zu sich. Was wird er sagen?
IDAMANTES. Womit habe ich dich beleidiget? warum fliehest du mich, warum hassest, und verabscheuest du mich?
ILIA zu sich. Ich zittre.
ELEKTRA. Ich wollte dir es wohl sagen.
IDOMENEUS. Sohn! der wider mich erzörnte Gott Neptun hat mein Herz gegen dich verhärtet; jede deine Zärtlichkeit verdoppelt meinen Schmerz, jedes deiner Leiden fällt wie Bley auf meine Brust; Ich kann dich ohne Schauder, und Entsetzen nicht ansehen.
ILIA zu sich. O Gott!
IDAMANTES. Ist vieleicht meinetwegen Neptunus auf dich erbittert? aber was wäre denn mein Verbrechen?
IDOMENEUS. Ach könnte ich ihn ohne dich besänftigen!
ELEKTRA zu sich. O könnte ich itzt seine Verachtung rächen!
IDOMENEUS zu Idamant. Geh, ich befehle dir es, verlaß dein Vaterland, und suche dir anderswo eine sichere Freystadt.
ILIA zu Elektra. Weh mir! o tröste mich gütige Prinzessinn!
ELEKTRA. Ich soll dich trösten? und wie? Zu sich. Die Unwürdige spottet meiner noch.
IDAMANTES. Wohlan, ich will gehen – – aber wohin? – – o Ilia! o Vater!
ILIA muthig. Ich will dir folgen mein Geliebter! oder sterben.
IDAMANTES. Nein! meine Geliebte! bleib, beruhige dich – – Lebe wohl.
Arie von Idamantes, Ilia, Idomeneus, Elektra.
IDAMANTES.
Irrend auf entfernten Gründen
Such‘ ich einsam meinen Tod,
Den ich hier nicht weis zu finden.
ILIA.
Ich will stets an deiner Seiten
Als Gefährtinn jeder Noth
Auch im Sterben dich begleiten.
IDAMANTES.
O Nein!
IDOMENEUS
Grausamer Wassergott!
Wer giebt aus Mitleid mir den Tod!
ELEKTRA zu sich.
Wann wird die Rache mich vergnügen?
IDAMANTES, ILIA zu Idomen.
Laß Mitleid deinen Zorn besiegen.
IDOMENEUS, ILIA, IDAMANTES.
Ach! mein Herz will sich zerspalten!
IDOMENEUS, IDAMANTES, ILIA, ELEKTRA.
Es ist nimmer auszuhalten.
So ein Leiden übertragen
Uebertrifft des Todes Plagen;
Nie empfand ein Menschenherz
Einen Schmerz, wie diesen Schmerz
Idamantes geht betrübt ab.
Auftritt IV.
Arbazes, Idomeneus, Ilia, Elektra.
ARBAZES. Herr! eine gewaltige Menge zugelaufnen Volkes dringet sich mit grossem Lärme vor deine Residenze, und verlanget dich zu sprechen.
ILIA zu sich. Bereite dich mein Herz zu einer neuen Drangsal.
IDOMENEUS zu sich. Nun ist mein Sohn verloren.
ARBAZES. Der hoche Priester des Neptunus ist der Anführer dieses Volkes.
IDOMENEUS zu sich. Ach! itzt ist sein Untergang gewiß. – Arbaz! ich habe dich verstanden.
ELEKTRA. Welch ein neuer Unstern.
ILIA. Das Volk in Aufruhr?
IDOMENEUS verwirrt ab. Ich gehe, und will es hören.
ELEKTRA geht ab. Ich begleite dich.
ILIA. Auch ich folge euch nach. Geht ab.
Auftritt V.
ARBAZES allein. Unseliges Sidon! was für traurige Auftritte, von Schrecken, Mord, und Niederlagen zeigest du meinen Augen! ach! du bist nicht mehr Sidon, du bist der Aufenthalt des Trauerns, und diese Burg ist der Sitz der Schmerzen – – Der Himmel hat also gar kein Mitleiden mehr für uns? – – Aber wer weis es, ich hoffe es wird noch ein empfindsamer Gott übrig seyn, den vieleicht so viel vergossenes Blut bewegen wird, und dieser einzige Gott ist genug alle die übrigen zu besänftigen, das Mitleid dieses einzigen wird die Strenge aller überwinden. – – Aber noch kann ich diesen Gott nicht entdecken, auf dessen Erbarmen ich warte. – – Ach! der Himmel ist taub! o Kreta! ich sehe wohl, all dein Ruhm, alle deine Herrlichkeit wird in Staube zerfallen, eher wird dein Elend nicht aufhören.
Arie.
Ihr Götter! wenn nach euerm Schluß
Dieß Reich ein Laster büssen muß;
So stürzet Kreta ins Verderben,
Nur schützt den König, und den Erben.
Doch läßt sich eure Rach besiegen
Durch eines einz’gen Menschen Blut,
Und bin euch ich zum Opfer gut;
So fleußt mein Blut euch mit Vergnügen:
Ich geb‘ es ohne Widerstand
Für mein bedrangtes Vaterland.
Auftritt VI.
Der grosse mit Statuen besetzte Platz vor der königlichen Burg. Seitwärts sieht man den Vordertheil des Pallastes.
Idomeneus vom Arbazes und seinem Gefolge begleitet, setzt sich auf den Thron um jedermann Gehör zu geben. Der hoche Priester. Eine Menge Volks.
DER HOCHE PRIESTER. Wende deine Augen o König in deinem herrlichen Reiche herum, und betrachte, was für grausame Niederlagen das wüthende Ungeheuer verübet hat; sieh die öffentlichen Strassen vom Blute der Deinigen überschwemmt, mit jedem Schritte wirst du einen Sterbenden erblicken, der röchelnd seinen Geist aus dem von Gifte aufgeschwollenen Körper zu hauchen beginnet. Ich selbst habe tausend und tausend gesehen, welche dieses Ungeheuer lebendig verschlungen hat; je mehr sein Rachen vom Blute träufelt, je gieriger sehnet er sich nach neuem Morde.
Bey dir allein steht nun die Vermittelung, du kannst den übrigen Rest deiner Unterthanen, die ängstlich um Hilfe schreyen, noch erretten: darfst du wohl noch zaudern, es zu thun? – – Auf! eile zum Tempel! welch ein Opfer hast du versprochen? wo ist es? giebohne Verzug dem Wassergotte, was ihm gehört. – –
IDOMENEUS. Nichts weiter! ehrwürdiger Vorsteher des Heiligthumes! und ihr versammelte Völker vernehmet: das Opfer ist Idamantes. So gleich werdet ihr sehen, wie der Vater, Himmel! welch ein Schauder! das Blut seines eigenen Sohnes verspritzen wird. Geht äusserst beklommen ab.
Chor.
DAS VOLK.
Welch ein Gelübd, o herbe Qual!
Was läßt dieß Trauerspiel uns hoffen?
Schon hält der Tod zu unserm Fall
Den aufgesperrten Rachen offen.
DER HOCHE PRIESTER.
Unmenschliches Opfer! Himmel! Huld!
Der arme Sohn ist ohne Schuld;
Ach hielt‘ ein gütiges Geschicke
Des Vaters frommen Arm zurücke!
DAS VOLK.
Welch ein Gelübd! o herbe Qual!
Was läßt dieß Trauerspiel uns hoffen?
Schon hält der Tod zu unserm Fall
Den aufgesperrten Rachen offen!
Alle betrübt ab.
Auftritt VII.
Die äussere Aussicht des prächtigen Tempels des Neptunus nebst dessen geräumigen Vorhof, an der Seite entdeckt man in der Ferne das Meerufer. Der Vorhof und die Gallerien des Tempels sind mit Volke angefüllt. Die Priester, welche Anstaltungen zum Opfer machen. Der König in Begleitung eines zahlreichen Gefolgs.
Chor.
IDOMENEUS.
O Gott des Meers hör‘ unser Bitten,
Besänftige dein strenges Wüthen!
DIE PRIESTER.
O Gott des Meers hör‘ unser Bitten,
Besänftige dein strenges Wüthen!
IDOMENEUS.
Zurück ihr ungestümmen Winde,
Zurück in eure tiefen Gründe!
Erschein‘ o holder Zephir du,
Und bring dem wilden Meere Ruh!
Nimm auf Neptun! zum Opfer die Herzen der Deinen,
Und laß uns Huld, und günstige Gnade erscheinen.
IDOMENEUS UND DIE PRIESTER.
O Gott des Meers hör‘ unser Bitten,
Besänftige dein strenges Wüthen!
CHOR HINTER DER SCENE.
O heldenmäßige Tapferkeit
Auf, auf, ihr Krieger!
Es sey dem Sieger
Triumpf zum ew’gen Ruhm bereit.!
IDOMENEUS.
Was für ein Siegesgeschrey erschallet hier?
Auftritt VIII.
Arbazes, eilfertig. Die Vorigen.
ARBAZES. O König! der Prinz, Idamantes, der Held fand da, wo er in verzweifelnder Wuth seinen Tod suchen wollte, Sieg und Triumpf; er stürzte sich rasend über das gräuliche Ungehin, überwande, und tödtete es, nun sind wir von ihm befreyt.
IDOMENEUS. O weh! eine neue Beleidigung, welche die Wuth des Neptunus wider uns empören muß! – – bald, bald o Arbaz! wirst du mit Schmerzen sehen, daß Idamantes, was er suchte, gefunden hat, nun wird er selbst dem Tode zur Beute werden.
ARBAZES sieht Idamanten bringen. Was sehe ich? o ihr Götter!
Auftritt IX.
Idamantes in weisser Kleidung mit einem Blumenkranze auf dem Haupte, von Priestern, und Wächtern umgeben. Eine grosse Menge traurigen Volkes, und die übrigen.
IDAMANTES. Vater, liebster Vater! o entzückender Name! hier siehst du mich zu deinen Füssen. Erlaube, daß ich in den lezten Augenblicken meines Lebens die Hand noch küsse, die deinem in mir wallenden Blute den Ausbruch aus meinem Busen verschaffen muß. Itzt begreiffe ich erst, daß deine ehmalige Verwirrung kein Zorn, sondern väterliche Zärtlichkeit war. O tausend, und wieder tausendmal bist du beglückt Idamantes, daß derjenige dir das Leben nimmt, der es dir gegeben hat, und daß er, da er dirs nimmt, es den Göttern opfert, und zum Tausche dafür nicht nur sein eigenes, sondern auch den beständigen Frieden seiner Unterthanen, und die theuerste, und vollkommenste Liebe der Götter erhält.
IDOMENEUS. Sohn! o mein geliebter Sohn! – – vergieb mir: dieses mein unmenschliches Amt hanget nicht von meiner Wahl ab, es ist die Strafe des Schicksals, des grausamen, und ungerechten Schicksals. – – Aber nein! unmöglich vermag ich den scharfen zweyschneidigen Dolch wider einen unschuldigen Sohn zu zücken. – – Allen meinen Nerven entweichet die Kraft, und dichte Finsternissen schweben vor meinen Augen. – – O mein Sohn!
IDAMANTES. O Vater! – komm, laß dich nicht länger von unnützen Erbarmen aufhalten; überwinde die schmäuchelnde Zärtlichkeit der väterlichen Liebe; gieb mir muthig den Stoß, der uns beyde von unsern Schmerzen befreyet.
IDOMENEUS. Ach! die ganze Natur schaudert, und sträubt sich dagegen.
IDAMANTES. Die Natur muß ihren Schöpfer weichen, du weist, es ist der Willen des Jupiters, dem du Gehorsam schuldig bist. Durch den Verlust deines Sohnes wirst du dir hundert Götter zu Freuden machen, und du hast noch Söhne genug an deinen Unterthanen. Aber wenn du an meiner Stelle ein Kind verlangst, das dir gehorsamen, dich lieben und mit dir deine Sorgen theilen soll; so empfehle ich dir Ilia. Ach erhöre die Bitte und den Rath deines sterbenden Sohnes, da sie meine Braut nicht seyn kann; so lasse sie doch deine Tochter werden.
Arie.
Ich fürchte nicht zu sterben,
Wenn Vaterland, und Vater du!
Von Göttern heitre Friedensruh
Durch meinen Tod erwerben.
Mein Geist verlangt zur Ruh zu geh’n,
Ich seufze nach Elisien
Ach wäre Ruh und sanfter Frieden
Prinzessinn dir
Auf Erde hier,
Wie mir in jener Welt beschieden!
Aber was zauderst du noch? sieh ich bin bereit, erfülle deine Pflicht, und dein Gelübd.
IDOMENEUS. Ha! was fühle ich izt auf einmal für eine ungewöhnliche Kraft in allen meinen Gliedern! Ich bin gefaßt! empfang die lezte Umarmung, – – und stirb.
IDAMANTES. O Vater!
IDOMENEUS. O mein Sohn!
IDOMENEUS UND IDAMANTES. Ihr Götter!
IDAMANTES zu sich. O Ilia, o Schmerz! – – Zu Idomeneus. Lebe vergnügt:
IDOMENEUS UND IDAMANTES. Lebe wohl!
Währender Vollziehung des Stoffes kömmt Ilia, und verhindert ihn.
Auftritt X.
Ilia eilfertig. Elektra, die Vorigen.
ILIA hält den Stoß auf. Halt ein, o König! was thust du?
IDOMENEUS. Ich erfülle das Gelübd, so ich dem Neptunus schuldig bin.
IDAMANTES. Ilia! beruhige dich.
DER HOCHE PRIESTER zu Ilia. Prinzessinn! verhindere das Opfer nicht.
ILIA. Umsonst versuchest du den Dolch in eine andere Brust zu drücken, als in die Meiniger hier bin ich, ich will das Opfer seyn.
ELEKTRA zu sich. Welch eine Verwirrung!
ILIA zu Idomen. Idamantes ist unschuldig, er ist dein Sohn, er ist die Hoffnung des Reiches, die Götter sind keine Tyranen. Ihr alle seyd falsche Dolmetscher, des Willens der Götter. Der Himmel will Griechenland von auswärtigen Feinden, und nicht von seinen eigenen Söhnen befreyen. Ich bin zwar auch unschuldig, und dermal eure Freundinn; aber ich bin die Tochter des Priamus eine gebohrne Frigierinn, und folglich von Natur eine gebohrne Feindinn des griechischen Namens. Auf also, durchbohre meine Brust!
IDAMANTES. Ilia! du bist gar zu großmüthig; mein Vater hat dem Neptunus kein so kostbares Opfer versprochen, mich nur, mich hat das Verhängniß erwählet. Frigien lebet noch in dir: wer weis in was für Absichten der Himmel dein Leben hier im Busen des Griechenlandes erhalten hat.
ILIA. Du schmäuchelst mir vergebens.
IDAMANTES. Vergebens foderst du deinen Tod.
IDOMENEUS. O ich bin ausser mir, ihr Götter! steht mir bey!
ARBAZES. O Himmel! was wird aus uns werden – mir zerspringet das Herz.
ELEKTRA zu sich. Wuth und Raserey glühen in meiner Seele.
DER HOCHE PRIESTER. Herr! entschließ dich doch einmal!
ILIA. Sieh da, ich eile zum Altar.
IDOMENEUS. Du bist nicht das rechte Opfer –
ILIA. Ein freywilliges Opfer muß den Göttern desto angenehmer seyn.
IDAMANTES. Komm meine Geliebte! gieb mir das lezte Pfand deiner Liebe.
ILIA. Hier ist mein Blut.
IDAMANTES. Ach nein! laß mir den Ruhm für mein Vaterland ruhig zu sterben
ILIA. Meinen Tod verlanget es.
IDAMANTES. O Gott!
ILIA. Bey mir erfodert es die Dankbarkeit,
IDAMANTES. Bey mir erfodert es die Pflicht.
ILIA. Aber die Liebe will dich schadlos halten; Läuft zum Altar will niederknien, aber Idamant hält sie ab. Nimm o Neptun diesen Tausch an.
IDAMANTES. Entweder lebe, und entferne dich; oder wir sterben miteinander.
ILIA.
Nein ich will allein Sterben.
Thu dein Pflicht du geweihter Priester –
Fällt vor dem hochen Priester auf die Knie.
Während daß Ilia niederkniet, höret man ein grosses unterirrdisches Getöse; die Statue des Gottes Neptunus erschittert sich; der hoche Priester steht in Entzückung vor dem Altar; alles erstaunt, und bleibt vor Furcht unbeweglich; ein tiefe und majestätische Stimme verkündiget auf folgende Weise den Willen der Götter.
Die Lieb‘ hat überwunden. – –
Als Vater hat nun Idomen
Für sein so gräuliches Vergeh’n
Beym Himmel Gnad gefunden,
Allein als König nicht:
Denn dieser ist, Kraft seiner Pflicht,
Zur Haltung seines Worts verbunden:
Er darf nicht ferner König seyn;
Es tretten, Idamant,
Und Ilia an seiner Hand,
Als Herrscher dieses Reichs in seine Stelle ein:
So wird Neptun begnügt, der Himmel wird zufrieden,
Der Unschuld wird ihr Lohn beschieden,
Und dieser würdige Bund wird alle Götter freu’n,
Und Fried, und Ruh im ganzen Reich erneu’n.
IDOMENEUS. Gütigster Himmel!
IDAMANTES. Ilia!
ILIA. Idamantes! hast du es gehört?
ARBAZES. O Freude! o Liebe! o ihr Götter?
ELEKTRA. O Raserey! o Verzweiflung! hoffnungslose Elektra! flieh o Liebe! fliehet ihr reitzenden Aussichten! Ha, die unbarmherzigen Furien verbrennen mir schon das Herz in meinem Busen.
Ich unglückselige, was verweile ich noch länger hier? Soll ich eine traurige Zuschauerinn der Freuden und des Triumpfes abgeben?
Soll ich Idamanten in den Armen meiner Nebenbuhlerinn, und mich von beyden verspottet sehen?
Nun! ich will meinem Bruder Oresten in den finstern Abgrund der Hölle nacheilen! Unseliger Schatten! komm meinem Geiste entgegen, du sollst ihn bald als Gefährten deines unaufhörlichen Elends und Jammers bey dir haben.
Arie.
Des Aiax und Orestes Plagen
Muß ich vereinnt im Busen tragen,
Alekto stößt mit wilder Lust
Mir ihre Fackel an die Brust.
So kommt denn von Rattern und Schlagen umgeben,
Und endet, ihr Furien eilends mein Leben,
Entreisset, zerstückt dieses Herz meiner Brust
Sonst raubt euch mein eigener Dolch eure Lust
Geht wüthend ab.
Letzter Auftritt.
Idomeneus, Idamantes, Ilia, Arbazes. Das Gefolg des Idomeneus, Idamantes, und der Ilia.
IDOMENEUS. Ihr Völker! vernehmet den lezten Befehl, den euch Idomeneus als König giebt. Ich verkündige euch den Frieden, das Opfer ist vollbracht; ich bin von den Gelübden befreyt. Neptun, und alle übrigen Götter sind wieder Freunde dieses Reiches.
Es ist nichts anders mehr übrig, als daß ich den Willen der Götter in Erfüllung bringe. O ihr mächtigsten Götter! wie angenehm ist mir dieser euer Willen.
Sehet hier euern neuen König, mein anders ich: Ich trette Idamanten meinem geliebten Sohne den Kretensischen Thron, und die unumschränkte Macht dieses Reiches ab. Erzeiget seinen Befehlen alle gebührende Ehrfurcht, und vollziehet sie mit eben dem schuldigsten Gehorsame, wie ihr mir, der ich es mit Dank erkenne, bisher gethan habt. Dieses ist mein Befehl.
Sehet da auch die neue Königinn, betrachtet in diesem schönen Brautpaare ein Geschenk, welches euch der Himmel aufbewahret hat.
Was könnt ihr izt nicht alles hoffen! Wie glücklich o Kreta bist du! wie glücklich bin ich!
Arie.
Nur erst nach ausgeprüften Leiden
Ertheilt die Fügung reife Freuden,
Der Geist und Muth, den ich verlor,
Steigt doppelt frisch in mir empor.
So lassen auch die weisen Schlangen
Die Haut gestreift an Dörnern hangen,
Um sich nach solcher blut’gen Pein
Verjüngt in neuer Tracht zu freun.
Dann folget die Krönung des Idamantes, welche in einer Pantomime vorgestellt wird; während dieser wird folgender Chor gesungen, und getanzt.
CHOR.
Du Gott der Lieb, du Gott der Ehe?
Und Juno du! eilt von der Höhe
Herab den würd’gen Brautpaar zu,
Und bringt ihm Wonne, Fried, und Ruh.
Zevs giebt den Zepter zum regieren,
Apoll mag sie mit Purpur zieren,
Und dann zum Kranz, der beyde krönt,
Dient das Gestirn am Firmament.
Selbst Hymeneus trägt Belieben
Den Schnellen Fuß im Tanz zu üben,
Kupido theilt die Reihen ein,
Und so muß alles fröhlich seyn.
Und leztlich zinden diese beyde
Dem Brautpaar und dem Unterthan,
Zum Zeichen ew’ger Ruh, und Freude
Vereinigt ihre Fackeln an.
Du Gott der Lieb! du Gott der Ehe!
Und Juno du! eilt von der Höhe
Herab dem würd’gen Brautpaar zu,
Und bringt ihm Wonne, Fried, und Ruh.
Ende des Schauspieles.