Engelbert Humperdinck

Hänsel und Gretel

Märchenspiel in drei Bildern

hänsel und gretel Libretto

Libretto von Adelheid Wette

Uraufführung: 23.12.1893, Großherzogliches Hofheater, Weimar

Personen

  • Peter, Besenbinder (Bariton)
  • Gertrud, sein Weib (Mezzo-Sopran)
  • Hänsel (Mezzo-Sopran),
  • Gretel (Sopran), deren Kinder
  • Die Knusperhexe (Mezzo-Sopran)
  • Sandmännchen (Sopran)
  • Taumännchen (Sopran)
  • Kinder (Sopran und Alt)
  • Die vierzehn Engel

Vorspiel

hexe

Abendsegen – Knusperhexe – Furcht, Trost und Freude der Kinder

Erstes Bild

Daheim

Kleine, dürftige Stube. Im Hintergrund rechts eine niedrige Tür, in der Mitte ein kleines Fenster mit Aussicht in den Wald. Links ein Herd mit einem Rauchfang darüber. Gegenüber an der Wand hängen Besen in verschiedenen Größen. Tisch und Schemel.

Erste Szene

Hänsel, an der Türe mit Besenbinden, Gretel, am Herde mit Strumpfstricken beschäftigt, sitzen einander gegenüber.

  • GRETEL.
    Suse, liebe Suse,
    was raschelt im Stroh?
    Die Gänse gehen barfuß
    und haben kein‘ Schuh‘!
    Der Schuster hat’s Leder,
    kein Leisten dazu,
    drum kann er den Gänschen
    auch machen kein‘ Schuh‘!
    HÄNSEL sie unterbrechend.
    Ei so gehn sie halt barfuß! …
    Eia popeia,
    das ist eine Not!
    Wer schenkt mir einen Dreier
    für Zucker und Brot?
    Verkauf ich mein Bettlein
    und leg mich aufs Stroh,
    sticht mich keine Feder
    und beißt mich kein – Floh!
    GRETEL unterbrechend.
    Ei, wie beißt mich der Hunger! …
    HÄNSEL wirft seine Arbeit fort und steht auf.
    Ach, käm‘ doch die Mutter nun endlich nach Haus!
    GRETEL erhebt sich.
    Ach ja, auch ich halt’s kaum noch vor Hunger aus.
    HÄNSEL.
    Seit Wochen nichts als trocken Brot:
    ist das ein Elend, potz schwere Not!
    GRETEL.
    Still, Hänsel, denk daran, was Vater sagt,
    wenn Mutter manchmal so verzagt:
    »Wenn die Not aufs Höchste steigt,
    Gott der Herr die Hand euch reicht!«
    HÄNSEL.
    Jawohl, das klingt recht schön und glatt,
    aber leider wird man davon nicht satt.
    Ach, Gretel, wie lang‘ ist’s doch schon her,
    daß wir nichts Gut’s geschmauset mehr!
    Eierfladen und Butterwecken –
    kaum weiß ich noch, wie die tun schmecken.
  • Dem Weinen nahe.
  • Ach, Gretel, ich wollt‘ …
    GRETEL hält ihm den Mund zu.
    Still, nicht verdrießlich sein:
    Gedulde dich fein, sieh freundlich drein!
    Dies lange Gesicht – hu, welcher Graus!
    Siehst ja wie der leibhaftige Griesgram aus!
  • Nimmt einen Besen zur Hand.
  • Griesgram, hinaus!
    Fort aus dem Haus!
    Ich will dich lehren,
    Herz zu beschweren,
    Sorgen zu mehren,
    Freuden zu wehren!
    Griesgram, Griesgram, greulicher Wicht,
    griesiges, grämiges Galgengesicht,
    packe dich, trolle dich, schäbiger Wicht!
    HÄNSEL faßt mit an den Besen.
    Griesgram, hinaus!
    Halt’s nicht mehr aus!
    Immer mich plagen,
    Hungertuch benagen,
    muß ja verzagen,
    kann’s nicht ertragen!
    Griesgram, Griesgram, greulicher Wicht,
    griesiges, grämiges Galgengesicht,
    packe dich, trolle dich, schäbiger Wicht!
  • Gebärde des Hinausfegens.
  • GRETEL.
    So recht! Und willst du nun nicht mehr klagen,
    so will ich dir auch ein Geheimnis sagen.
    HÄNSEL.
    Ein Geheimnis? Wird wohl was Rechtes sein!
    GRETEL.
    Ja, hör nur, Brüderchen, darfst dich schon freun!
  • Holt den Milchtopf herunter.
  • Guck her in den Topf. Milch ist darin,
    die schenkte uns heute die Nachbarin.
    Die Mutter kocht uns, kommt sie nach Haus,
    gewiß einen leckeren Reisbrei daraus.
    HÄNSEL jubelnd.
    Reisbrei! Hei!
    Reisbrei, Reisbrei, herrlicher Brei!
    Gibt’s Reisbrei, da ist Hänsel dabei!
    Wie dick ist der Rahm auf der Milch? Laß schmecken!
  • Nascht mit dem Finger.
  • Herrjemine, den möcht ich ganz verschlecken!
    GRETEL.
    Wie, Hänsel, naschen? Schämst du dich nicht?
    Fort mit den Fingern, du naschhafter Wicht!
  • Gibt ihm eins auf die Finger und stellt den Topf auf den Tisch.
  • Und jetzt an die Arbeit zurück, geschwind,
    daß wir beizeiten fertig sind!
    Kommt Mutter heim und wir taten nicht recht,
    Dann, weißt du, geht es den Faulpelzen schlecht!
    HÄNSEL.
    Arbeiten? Wo denkst du hin?
    Danach steht mir nicht der Sinn.
    Immer mich plagen fällt mir nicht ein,
    jetzt laß uns tanzen und fröhlich sein!
    GRETEL entzückt.
    Tanzen? Das wär‘ auch mir eine Lust!
    Dazu ein Liedchen aus froher Brust!
    Was uns die Muhme gelehrt zu singen:
    Tanzliedchen soll jetzt lustig erklingen!
  • Klatscht in die Hände.
  • Brüderchen, komm, tanz mit mir,
    beide Händchen reich ich dir,
    einmal hin, einmal her,
    rund herum, es ist nicht schwer!
    HÄNSEL versucht’s, jedoch ungeschickt.
    Tanzen soll ich armer Wicht,
    Schwesterchen, und kann es nicht!
    Darum zeig mir, wie es Brauch,
    daß ich tanzen lerne auch!
    GRETEL.
    Mit den Füßchen tapp tapp tapp,
    mit den Händchen klapp klapp klapp,
    einmal hin, einmal her,
    rund herum, es ist nicht schwer!
    HÄNSEL.
    Mit den Füßchen tapp tapp tapp,
    mit den Händchen klapp klapp klapp,
    einmal hin, einmal her,
    ‚rum, es ist nicht schwer!
    GRETEL.
    Ei, das hast du gut gemacht,
    ei, das hätt‘ ich nicht gedacht!
    Seht mir doch den Hänsel an,
    wie der tanzen lernen kann!
  • Klatscht fröhlich in die Hände.
  • Mit dem Köpfchen nick nick nick,
    mit dem Fingerchen tick tick tick,
    einmal hin, einmal her,
    rund herum, es ist nicht schwer!
    HÄNSEL.
    Mit dem Köpfchen nick nick nick,
    mit dem Fingerchen tick tick tick,
    einmal hin, einmal her,
    ‚rum, es ist nicht schwer!
    GRETEL.
    Brüderchen, nun gib mal acht,
    Was die Gretel weiter macht!
    Laß uns Arm in Arm verschränken,
    unsre Schrittchen paarweis lenken! – Komm! –
    BEIDE.
    Ich liebe Tanz und Fröhlichkeit
    und bin nicht gern allein;
    ich bin kein Freund von Traurigkeit,
    und fröhlich will ich sein.
    GRETEL umtanzt ihn und gibt ihm einen Stoß.
    Tralala, tralala, tralala la la,
    drehe dich herum, mein lieber Hänsel,
    dreh dich doch herum, mein lieber Hans!
    Komm her zu mir, komm her zu mir,
    zum Ringelreigentanz!
    HÄNSEL barsch.
    Geh weg von mir, geh weg von mir,
    ich bin der stolze Hans!
    Mit kleinen Mädchen tanz ich nicht,
    das ist mir viel zu dumm!
    GRETEL.
    Geh, stolzer Hans, geh, dummer Hans,
    ich krieg dich doch herum!
  • Umtanzt Hänsel.
  • Tralala, tralala, tralala la la,
    drehe dich herum, mein lieber Hänsel,
    dreh dich doch herum, mein lieber Hans!
    HÄNSEL.
    Ach Schwesterlein, ach Gretelein,
    Du hast im Strumpf ein Loch!
    GRETEL.
    Ach Brüderlein, ach Hänselein,
    Du willst mich hänseln noch?
    Mit bösen Buben tanz ich nicht,
    das wär‘ mir viel zu dumm!
    HÄNSEL.
    Nicht böse sein, lieb Schwesterlein,
    Ich krieg dich doch herum!
    GRETEL.
    Tanz lustig, heißa, lustig tanz,
    laß dich’s nicht gereu’n!
    Und ist der Strumpf auch nicht mehr ganz,
    die Mutter strickt dir ’n neu’n!
    Tralala, tralala usw.
    HÄNSEL.
    Tanz lustig, heißa, lustig tanz,
    laß dich’s nicht gereu’n!
    Und ist der Schuh auch nicht mehr ganz,
    der Schuster flickt dir ’n neu’n!
    Tralala, tralala usw.

Sie fassen sich bei den Händen und drehen sich immer schneller im Kreise, bis sie schließlich das Gleichgewicht verlieren und übereinander auf den Boden hinpurzeln. In diesem Augenblick geht die Türe auf, die Mutter wird sichtbar, worauf die Kinder schnell vom Boden aufspringen und auf ihre Plätze eilen.

Zweite Szene

MUTTER mit einer Kiepe auf dem Rücken.
Holla!
HÄNSEL UND GRETEL.
Himmel, die Mutter!
MUTTER.
Was ist das für eine Geschichte?

Verlegenheit.

GRETEL.
Der Hänsel –
HÄNSEL.
Die Gretel –
GRETEL.
Er wollte –
HÄNSEL.
Ich sollte –
MUTTER tritt herein, schnallt ihre Kiepe ab und setzt sie nieder.
Wartet, ihr ungezogenen Wichte!

In Zorn ausbrechend.

Nennt ihr das Arbeit? Johlen und singen?
Wie auf der Kirmes tanzen und springen?
Indes die Eltern vom frühen Morgen
bis in die Nacht sich mühen und sorgen.
Daß dich!

Gibt Hänsel einen Puff.

Laßt seh’n, was habt ihr beschickt?
– Wie, Gretel, den Strumpf nicht fertig gestrickt?
– Und du? – du Schlingel! In all den Stunden
nicht mal die wenigen Besen gebunden?
Ihr unnützes Volk, den Stock will ich holen,
und euch den Faulpelz weidlich versohlen!

In ihrem Eifer hinter den Kindern her, stößt sie den Milchtopf vom Tisch, daß er klirrend zu Boden fällt.

Jesses! Nun auch den Topf noch zerbrochen!

Weinend.

Was nun zum Abend kochen?

Besieht ihren mit Milch begossenen Rock; Hänsel kichert verstohlen.

Was, Bengel, du lachst mich noch aus?

Mit dem Stock hinter Hänsel her, der zur offenen Tür hinausrennt.

Wart, kommt nur der Vater nach Haus –

Reißt einen kleinen Korb von der Wand und drängt ihn Gretel in die Hand.

Marsch, fort – in den Wald!
Dort sucht mir Erdbeeren !- Nun, wird es bald?

Treibt auch Gretel zur Stube hinaus und droht mit dem Stocke den sich furchtsam umschauenden Kindern.

Und bringt ihr den Korb nicht voll bis zum Rand,
so hau ich euch, daß ihr fliegt an die Wand!

Die Kinder laufen in den Wald. Die Mutter setzt sich erschöpft an den Tisch.

Da liegt nun der gute Topf in Scherben!
Ja, blinder Eifer bringt immer Verderben. –
Herrgott, wirf Geld herab! Nichts hab ich zu leben,
kein Krümchen, den Würmern zu essen zu geben;
kein Tröpfchen im Topfe, kein Krüstchen im Schrank,
schon lange nur Wasser zum Trank.

Stützt den Kopf mit der Hand.

Müde bin ich – müde zum Sterben –
Herrgott, wirf Geld herab –

Legt den Kopf auf den Arm und schläft ein.

Dritte Szene

Man hört eine Stimme von weitem.

DER VATER.
Rallalala, rallalala,
heisa Mutter, ich bin da!
Rallalala, rallalala,
bringe Glück und Gloria!

Etwas näher.

Ach, wir armen, armen Leute!
Alle Tage so wie heute:
In dem Beutel ein großes Loch
und im Magen ein größ’res noch –
Rallalala, rallalala,
Hunger ist der beste Koch!

Am Fenster wird der Kopf des Vaters sichtbar, der während des Folgenden in angeheitertem Zustande mit einem Kober auf dem Rücken in die Stube tritt.

Ja, ihr Reichen könnt euch laben,
wir, die nichts zu essen haben,
nagen, ach, die ganze Woch‘,
sieben Tag‘ an einem Knoch‘!
Rallalala, rallalala,
Hunger ist der beste Koch!
Ach, wir sind ja gern zufrieden;
denn das Glück ist so verschieden,
aber, aber wahr ist’s doch:
Armut ist ein schweres Joch!
Rallalala, rallalala –
Hunger ist der beste Koch!

Er setzt seinen Kober nieder.

Ja, ja, der Hunger kocht schon gut,
sofern er kommandieren tut.
Allein was nützt der Kommandeur,
fehlt euch im Topf die Zubehör?
Rallalala, rallala!
Kümmel ist mein Leiblikör!
Rallalala, rallalala!
Mutter, schau, was ich bescher!

Gibt ihr einen derben Schmatz.

MUTTER sich die Augen reibend.
Hoho! –
Wer spek – spektakelt mir da im Haus
und rallalakelt aus dem Schlaf mich heraus?
VATER lallend.
I wo! –
Das tolle Tier,
im Magen hier,
das bellte so, das glaube mir!
Rallalala, rallalala,
Hunger ist ein tolles Tier,
Rallalala, rallalala,
beißt und kratzt, das glaube mir!
MUTTER.
So, so!
Das tolle Tier,
es ist wohl schier
stark angezecht – das glaube mir!
VATER.
Nun ja -! ’s war heut‘ ein heiterer Tag,
fandst du nicht auch, lieb Weib?
MUTTER ärgerlich.
Ach geh! du weißt, nicht leiden mag
ich Wirtshaus-Zeitvertreib!
VATER zu seinem Kober sich wendend.
Auch gut! So sehen wir, wenn’s beliebt,
was es für heut‘ zu schmausen gibt.
MUTTER.
Höchst einfach ist das Speisregister,
der Abendschmaus – zum Henker ist er!
Teller leer,
Keller leer,
und im Beutel ist gar nichts mehr.
VATER.
Rallalala, rallalala,
lustig, Mutter, bin auch noch da!
Rallalala, rallalala,
bringe Glück und Gloria!

Nimmt den Kober und kramt aus.

Schau, Mutter!
Wie gefällt dir dies Futter?
MUTTER.
Mann, was seh ich? Speck und Butter!
Mehl und Würste … vierzehn Eier –
– Mann! Sie sind jetzunder teuer! –
Bohnen, Zwiebeln und – herrje!
Gar ein viertel Pfund Kaffee!
VATER kehrt den Kober vollends um. Ein Haufen Kartoffeln rollt zur Erde. Beide fassen sich am Arm und tanzen in der Stube umher.
Rallalala, hopsassa!
Heute woll’n wir lustig sein!
Ja, hör nur, Mütterchen, wie’s geschah!

Die Mutter kramt die Sachen in den Schrank ein, macht Feuer im Herd an, schlägt Eier in eine Schüssel, kocht Kaffee usw. Der Vater setzt sich.

Drüben hinterm Herrenwald
da gibt’s prächt’ge Feste bald:
Kirmes, Hochzeit, Jubiläum,
Böllergeknall und groß Tedeum.
Mein Geschäft kommt nun zur Blüte,
dessen froh sei dein Gemüte!
Wer will feine Feste feiern,
der muß kehren, schrubben und scheuern.
Bot drum meine Waren aus,
zog damit von Haus zu Haus:
»Kauft Besen! Gute Feger!
Feine Bürsten! Spinnejäger!«
Sieh, da verkauft‘ ich massenweise
meine Waren zu dem höchsten Preise! –
Schnell nun her mit Topf und Pfanne,
her mit Schüssel, Kessel und Kanne!

Er stößt geräuschvoll einige blecherne Gefäße vom Herde hinunter.

BEIDE.
Vivat hoch die Besenbinder!
VATER setzt die Kümmelflasche an den Mund, hält jedoch plötzlich inne.
Doch halt – wo bleiben die Kinder?
Hänsel! Gretel! – Wo steckt der Hans?
MUTTER zuckt verlegen die Achseln.
Wo er steckt? Ja, wüßte man’s!
Doch das weiß ich klar wie Tag,
daß der Topf zu Scherben brach.
VATER zornig.
Was? der neue Topf entzwei?
MUTTER.
Und am Boden quoll der Brei!
VATER mit der Faust auf den Tisch schlagend.
Donnerkeil! So haben die Rangen
wieder Unfug angefangen?
MUTTER.
Unfug viel und Arbeit keine
hatten sie getrieben hier alleine;
hörte schon draußen sie johlen,
hopsen und springen wie wilde Fohlen,
na, da wußt‘ ich nicht, wo mir stand der Kopf,
und vor Zorn –
VATER.
– zerbrach der Topf.

Lacht aus vollem Halse, die Mutter stimmt ein.

Na, Zornmütterchen, nimm mir’s nicht krumm,
solche Zorntöpfe find ich recht dumm!
Doch sag, wo mögen die Kinderchen sein?
MUTTER schnippisch.
Meinethalben am Ilsenstein!
VATER erschrocken.
Am Ilsenstein? – Ei, juckt dich das Fell?

Nimmt einen Besen von der Wand.

MUTTER.
Den Besen laß nur an seiner Stell.
VATER läßt den Besen fallen und ringt die Hände.
Wenn sie sich verirrten im Walde dort,
in der Nacht, ohne Stern und Mond!
MUTTER betroffen.
O Himmel!
VATER.
Kennst du nicht den schauerlich düstern Ort?
Weißt nicht, daß die Böse dort wohnt?
MUTTER.
Die Böse? Wen meinst du?
VATER mit geheimnisvollem Nachdruck.
Die Knusperhexe!
MUTTER fährt zusammen.
Die Knusperhexe! –

Zurückweichend, da der Vater den Besen wieder aufnimmt.

Mein! Sag doch, was soll denn der Besen?
VATER.
Der Besen! Der Besen!
Was macht man damit? Was macht man damit?
Es reiten drauf, es reiten drauf
die Hexen!
Eine Hex‘, steinalt,
haust tief im Wald,
vom Teufel selber hat sie Gewalt!
Um Mitternacht,
wenn niemand wacht,
dann reitet sie aus zur Hexenjagd.
Zum Schornstein hinaus,
auf dem Besen, o Graus,
über Berg und Kluft,
über Tal und Schluft,
durch Nebelduft,
im Sturm durch die Luft:
Ja so reiten, ja so reiten,
juchheißa, die Hexen!
MUTTER.
Entsetzlich! – Doch die Knusperhex‘?
VATER.
Ja, bei Tag, o Graus:
zum Hexenschmaus
im Knisper-Knasper-Knusperhaus
die Kinderlein,
Armsünderlein,
mit Zauberkuchen lockt sie hinein.
Doch übelgesinnt
ergreift sie geschwind
das arme Kuchen knuspernde Kind.
In den Ofen hitzhell,
schiebt’s die Hexe blitzschnell,
dann kommen zur Stell,
gebräunet das Fell,
aus dem Ofen, aus dem Ofen:
die Lebkuchenkinder!
MUTTER.
Und die Lebkuchenkinder?
VATER.
Sie werden gefressen!
MUTTER.
Von der Hexe?
VATER.
Von der Hexe!
MUTTER händeringend.
O Graus!
Hilf, Himmel! Die Kinder! Ich halt’s nicht mehr aus!

Rennt aus dem Hause.

VATER nimmt die Kümmelflasche vom Tisch.
He, Alte, wart doch! Nimm mich mit!
Wir wollen ja beide zum Hexenritt!

Eilt ihr nach. Der Vorhang fällt schnell.

Überleitung zum zweiten Bild

Der Hexenritt

Zweites Bild

Im Walde

Erste Szene

Tiefer Wald. Im Hintergrunde der Ilsenstein, von dichtem Tannengehölz umgeben. Rechts eine mächtige Tanne, darunter sitzt Gretel auf einer moosbedeckten Wurzel und windet einen Kranz von Hagebutten; neben ihr liegt ein Blumenstrauß. Links, abseits im Gebüsch, Hänsel, nach Erdbeeren suchend. Abendrot.

GRETEL.
Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm,
es hat von lauter Purpur ein Mäntlein um.
Sagt, wer mag das Männlein sein,
das da steht im Wald allein
mit dem purpurroten Mäntelein?
Das Männlein steht im Walde auf einem Bein
und hat auf seinem Kopfe schwarz Käpplein klein.
Sagt, wer mag das Männlein sein,
das da steht im Wald allein
mit dem kleinen schwarzen Käppelein?

Sie hält das Hagebuttenkränzchen in die Höhe und betrachtet es von allen Seiten.

HÄNSEL kommt hervor und schwenkt jubelnd sein Körbchen.
Juchhe!
Mein Erbelkörbchen ist voll bis oben;
wie wird die Mutter den Hänsel loben!
GRETEL aufstehend.
Mein Kränzel ist auch schon fertig, sieh!
So schön wie heute ward’s noch nie!

Will den Kranz Hänsel auf den Kopf setzen.

HÄNSEL barsch abwehrend.
Buben tragen doch so was nicht,
’s ist nur für ein Mädchengesicht!

Setzt ihr den Kranz auf.

Hei, Gretel, feines Mädel!
Ei, der Daus,
siehst ja wie die Waldkönigin aus!
GRETEL.
She‘ ich wie die Waldkönigin aus,
so reich mir auch den Blumenstrauß.
HÄNSEL gibt ihr den Strauß.
Waldkönigin mit Zepter und Kron‘,
da, nimm auch die Erbeln, doch nasch nicht davon!

Er gibt ihr das Körbchen voll Erdbeeren in die andere Hand und läßt sich gleichsam huldigend auf die Knie vor ihr nieder. In diesem Augenblick ertönt der Ruf eines Kuckucks.

HÄNSEL mit der Hand deutend.
Kuckuck! Eierschluck!
GRETEL schalkhaft.
Kuckuck! Erbelschluck!

Nimmt eine Beere aus dem Körbchen und schiebt sie Hänsel in den Mund, der sie schlürft, als ob er ein Ei austränke.

HÄNSEL springt auf.
Hoho! Das kann ich auch! Gib nur acht!

Nimmt einige Beeren und läßt sie Gretel in den Mund rollen.

Wir machen’s, wie der Kuckuck schluckt,
wenn er in fremde Nester guckt!

Der Kuckuck ruft abermals. Es beginnt zu dämmern.

HÄNSEL greift wieder zu.
Kuckuck! Eierschluck!
GRETEL ebenso.
Kuckuck! Erbelschluck!
HÄNSEL.
Setzest deine Kinder aus!
Kuckuck!
Trinkst die fremden Eier aus!
Gluckgluck!

Läßt sich eine Handvoll Beeren in den Mund rollen.

GRETEL.
Sammelst Beeren schön zuhauf,
Kuckuck!
Schluckst sie, Schlauer, selber auf!
Schluckschluck!

Sie werden immer übermütiger und raufen sich schließlich um die Beeren. Hänsel trägt den Sieg davon und setzt den Korb vollends an den Mund, bis er leer geworden. Indessen hat die Dunkelheit immer mehr zugenommen.

GRETEL Hänsel den Korb entreißend.
Hänsel, was hast du getan? O Himmel!
Alle Erbeln gegessen, du Lümmel!
Wart nur, das gibt ein Strafgericht,
denn die Mutter, die spaßt heute nicht!
HÄNSEL ruhig.
Ei was, stell dich doch nicht so an,
du, Gretel, hast es ja selber getan!
GRETEL.
Komm, wir wollen rasch neue suchen!
HÄNSEL.
Im Dunkeln wohl gar, unter Hecken und Buchen?
Man sieht ja nicht Blatt, nicht Beere mehr!
Es wird schon dunkel ringsumher!
GRETEL.
Ach, Hänsel, Hänsel! Was fangen wir an?
Was haben wir törichten Kinder getan?
Wir durften hier nicht so lange säumen!
HÄNSEL.
Horch, wie es rauscht in den Bäumen! –
Weißt du, was der Wald jetzt spricht? –
»Kindlein, Kindlein«, fragt er, »fürchtet ihr euch nicht?«

Er späht unruhig umher. – Endlich wendet er sich verlegen zu Gretel.

Gretel! Ich weiß den Weg nicht mehr!
GRETEL bestürzt.
O Gott! Was sagst du? den Weg nicht mehr?
HÄNSEL sich mutig stellend.
Was bist du für ein furchtsam Wicht!
Ich bin ein Bub und fürcht mich nicht!
GRETEL.
Ach, Hänsel! Gewiß geschieht uns ein Leid!
HÄNSEL.
Ach, Gretel, geh, sei doch gescheit!
GRETEL.
Was schimmert denn dort in der Dunkelheit?
HÄNSEL.
Das sind die Birken im weißen Kleid.
GRETEL.
Und dort, was grinset daher vom Sumpf?
HÄNSEL stotternd.
D-d-das ist ein glimmender Weidenstumpf!
GRETEL hastig.
Was für ein wunderlich Gesicht
macht er soeben – siehst du’s nicht?
HÄNSEL sehr laut.
Ich mach dir ’ne Nase, hörst du’s, du Wicht?
GRETEL ängstlich.
Da sieh, das Lichtchen – es kommt immer näh’r.
HÄNSEL.
Irrlichtchen hüpfet wohl hin und her!
Gretel, du mußt beherzter sein –
wart, ich will einmal tüchtig schrei’n!

Er geht einige Schritte zum Hintergrund und ruft durch die hohlen Hände.

Wer da?
ECHO.
Er da!

Die Kinder schmiegen sich erschreckt aneinander.

GRETEL zaghaft.
Ist Jemand da?
ECHO leise.
Ja!

Die Kinder schaudern zusammen.

GRETEL.
Hast du gehört: ’s rief leise: Ja!
Hänsel, sicher ist jemand nah!

Weinend.

Ich fürcht mich, ich fürcht mich!
O wär‘ ich zu Haus!
Wie sieht der Wald so gespenstig aus!
HÄNSEL.
Gretelchen, drücke dich fest an mich!
Ich halte dich, ich schütze dich!

Ein dichter Nebel steigt auf und verhüllt den Hintergrund gänzlich.

GRETEL.
Da kommen weiße Nebelfrauen,
sieh, wie sie winken und drohend schauen!
Sie kommen, sie kommen,
sie fassen uns an!

Schreiend.

Vater, Mutter!

Eilt entsetzt unter die Tanne und verbirgt sich, auf die Knie stürzend, hinter Hänsel.

In diesem Augenblick zerreißt links der Nebel; ein kleines graues Männchen, mit einem Säckchen auf dem Rücken, wird sichtbar.

HÄNSEL.
Sieh, dort das Männchen, Schwesterlein!
Was mag das für ein Männlein sein?

Zweite Szene

SANDMÄNNCHEN nähert sich mit freundlichen Gebärden den Kindern, die sich allmählich beruhigen, und wirft ihnen während des Folgenden Sand in die Augen.
Der kleine Sandmann bin ich – s-t!
und gar nichts Arges sinn ich – s-t!
Euch Kleinen lieb ich innig – s-t!
bin euch gesinnt gar minnig – s-t!
Aus diesem Sack zwei Körnelein
euch Müden in die Äugelein;
die fallen dann von selber zu,
damit ihr schlaft in sanfter Ruh.
Und seid ihr fein geschlafen ein:
dann wachen auf die Sterne,
aus hoher Himmelsferne
gar holde Träume bringen euch die Engelein.
Drum träume, Kindchen, träume!

Verschwindet.

HÄNSEL schlaftrunken.
Sandmann war da!
GRETEL ebenso.
Laß uns den Abendsegen beten!

Sie kauern sich nieder und falten die Hände.

BEIDE.
Abends, will ich schlafen gehn,
vierzehn Engel um mich stehn:
zwei zu meinen Häupten,
zwei zu meinen Füßen,
zwei zu meiner Rechten,
zwei zu meiner Linken,
zweie, die mich decken,
zweie, die mich wecken,
zweie, die mich weisen
zu Himmels Paradeisen!

Sie sinken aufs Moos zurück und schlummern, Arm in Arm verschlungen, alsbald ein. – Völlige Dunkelheit.

Dritte Szene

Plötzlich dringt von oben her ein heller Schein durch den Nebel, der sich wolkenförmig zusammenballt und die Gestalt einer in die Mitte der Bühne hinabführenden Treppe annimmt. Vierzehn Engel, die kleinsten voran, die größten zuletzt, schreiten paarweise, während das Licht an Helligkeit zunimmt, in Zwischenräumen die Wolkentreppen hinab und stellen sich, der Reihenfolgedes Abendsegens entsprechend, um die schlafenden Kinder auf, das erste Paar zu Häupten, das zweite zu Füßen, das dritte rechts, das vierte links; dann verteilen sich das fünfte und sechste Paar zwischen die übrigen Paare, so daß der Kreis der Engel vollständig geschlossen wird.

Zuletzt tritt das siebente Paar in den Kreis und nimmt als »Schutzengel« zu beiden Seiten der Kinder Platz, während die übrigen sich die Hände reichen und einen feierlichen Reigen um die Gruppe aufführen. Indem sie sich zu einem malerischen Schlußbilde ordnen, schließt sich langsam der Vorhang.

Einleitung zum Dritten Bild

Waldmorgen vor dem Knusperhaus

Drittes Bild

Das Knusperhäuschen

Erste Szene

Wie am Schlusse des zweiten Bildes. Der Hintergrund noch von Nebel verhüllt, der sich während des Folgenden langsam verzieht. Die Engel sind verschwunden. – Früher Morgen. Taumännchen tritt auf und schüttelt aus einer Glockenblume Tautropfen auf die schlafenden Kinder.

TAUMÄNNCHEN.
Der kleine Tau-mann heiß ich – kling!
Und mit der Sonne reis ich – klang!
Von Ost bis Westen weiß ich – kling!
Wer faul ist und wer fleißig – klang!
Ich komm mit goldnem Sonnenschein
und strahl in eure Äugelein
und weck mit kühlem Taue,
was schläft auf Flur und Aue.
Dann springet auf, wer munter
in früher Morgenstunde,
denn sie hat Gold im Munde,
drum auf, ihr Schläfer, erwachet,
der lichte Tag schon lachet!

Eilt davon. Die Kinder regen sich.

GRETEL öffnet die Augen, richtet sich halb auf und blickt verwundert um sich, während Hänsel sich auf die andere Seite legt, um weiterzuschlafen.
Wo bin ich? Wach ich? Ist es ein Traum?
Hier lieg ich unterm Tannenbaum.
Hoch in den Zweigen da lispelt es leise,
Vöglein singen so süße Weise.
Wohl früh schon waren sie aufgewacht
und haben ihr Morgenlied dargebracht.
Ihr lieben Vöglein, guten Morgen!

Sie erblickt Hänsel.

Sieh da, der faule Siebenschläfer!
Wart nur, dich weck ich!

Sie bückt sich zu ihm nieder und singt.

Tirelireli,
’s ist nicht mehr früh!
Die Lerche hat’s gesungen
und hoch sich aufgeschwungen.

Aufspringend.

Tirelireli!
HÄNSEL der während des Liedes erwacht ist, reibt sich die Augen und stimmt, gleichfalls aufspringend, munter in Gretels Weise ein.
Kikeriki!
’s ist noch früh!
Ja, hab’s wohl vernommen,
der Morgen ist gekommen,
Kikeriki!

Dehnt sich.

Mir ist so wohl, ich weiß nicht wie;
so gut wie heute schlief ich noch nie!
GRETEL.
Doch höre nur! Hier unter’m Baum,
hatt‘ ich ’nen wunderschönen Traum.
HÄNSEL.
Richtig! Auch mir träumte was!
GRETEL.
Mir träumte, ich hör ein Rauschen und Klingen,
wie Chöre der Engel, ein himmlisches Singen.
Lichte Wölkchen in rosigem Schein
wallten und wogten ins Dunkel herein.
Siehe, hell ward’s mit einem Male,
lichtdurchflossen vom Himmelsstrahle;
eine gold’ne Leiter sah ich sich neigen,
Engel herniedersteigen,
Engel mit gold’nen Flügelein –
HÄNSEL sie lebhaft unterbrechend.
Vierzehn müssen’s gewesen sein!
GRETEL erstaunt.
Hast du denn alles dies auch gesehen?
HÄNSEL.
Freilich! ’s war wunderschön –
und dorthin sah ich sie gehn!

Er wendet sich nach dem Hintergrunde. In diesem Augenblick zerreißt der letzte Nebelschleier. An Stelle des Tannengehölzes erscheint glitzernd im Strahl der aufgehenden Sonne das »Knusperhäuschen« am Ilsenstein. Links davon in einiger Entfernung befindet sich ein Backofen, diesem rechts gegenüber ein großer Käfig, beide mit dem Knusperhäuschen durch einen Zaun von Kuchenmännern verbunden.

Zweite Szene

GRETEL hält Hänsel betroffen zurück.
Bleib stehn! Bleib stehn!
HÄNSEL überrascht.
O Himmel, welch Wunder ist hier geschehn!
Nein, so was hab ich mein Tag nicht gesehn!

Beide blicken wie verzaubert auf das Knusperhäuschen.

GRETEL gewinnt allmählich die Fassung wieder.
Wie duftet’s von dorten,
o schau nur diese Pracht!
Von Kuchen und Torten
ein Häuslein gemacht!
BEIDE.
Mit Fladen, mit Torten
ist’s hoch überdacht!
Die Fenster wahrhaftig
wie Zucker so blank,
Rosinen gar saftig
den Giebel entlang!
Und – traun!
Rings zu schau’n
gar ein Lebkuchen-Zaun!
O herrlich Schlößchen,
wie bist du schmuck und fein!
Welch‘ Waldprinzeßchen
mag da wohl drinnen sein?
Ach wär‘ doch zu Hause
die Waldprinzessin fein,
sie lüde zum Schmause
bei Kuchen und Wein,
zum herrlichsten Schmause
uns beide freundlich ein!
HÄNSEL lauscht.
Alles bleibt still, nichts regt sich da drinnen.
Komm, laß uns hineingeh’n!
GRETEL erschrocken ihn zurückhaltend.
Bist du bei Sinnen?
Junge, wie magst du so dreist nur sein?
Wer weiß, wer da drin wohl im Häuschen fein?
HÄNSEL.
O sieh nur, sieh, wie das Häuschen uns lacht!

Begeistert.

Ha! Die Englein haben’s uns hergebracht.
GRETEL sinnend.
Die Englein? – Ja, so wird es wohl sein!
HÄNSEL.
Ja, Gretel, sie laden freundlich uns ein! –
Komm, wir knuspern ein wenig vom Häuschen!
BEIDE.
Ja, knuspern wir, wie zwei Nagemäuschen!

Sie hüpfen Hand in Hand nach dem Hintergrunde, bleiben wiederum stehen und schleichen dann vorsichtig auf den Fußspitzen bis an das Häuschen heran. Nach einigem Zögern bricht Hänsel an der rechten Kante ein Stückchen Kuchen heraus.

STIMME AUS DEM HÄUSCHEN.
Knusper, knusper Knäuschen,
wer knuspert mir am Häuschen?

Hänsel läßt erschrocken das Stück Kuchen zu Boden fallen.

GRETEL zaghaft.
Der Wind!
HÄNSEL ebenso.
Der Wind!
BEIDE.
Das himmlische Kind!
GRETEL hebt das Stück Kuchen wieder auf und versucht es.
Hm!
HÄNSEL Gretel begehrlich anschauend.
Wie schmeckt das?
GRETEL ihn beißen lassend.
Da hast du auch was!
HÄNSEL legt entzückt die Hand auf die Brust.
Hei!
GRETEL ebenso.
Hei!
BEIDE.
O köstlicher Kuchen,
wie schmeckst du nach mehr!
Mir ist ja, als wenn ich
im Himmel schon wär!
HÄNSEL.
Hei, wie das schmeckt! ’s ist gar zu lecker!
GRETEL.
Vielleicht gar wohnt hier ein Zuckerbäcker!
HÄNSEL ruft.
He, Zuckerbäcker, nimm dich in acht,
ein Loch wird dir jetzt vom Mäuslein gemacht!

Bricht ein großes Stück aus der Wand heraus.

STIMME AUS DEM HÄUSCHEN.
Knusper, knusper Knäuschen,
wer knuspert mir am Häuschen?
HÄNSEL UND GRETEL.
Der Wind, der Wind,
das himmlische Kind!

Sie springen vergnügt nach vorn.

Dritte Szene

Der obere Teil der Haustüre öffnet sich leise, und der Kopf der Knusperhexe wird sichtbar. Die Kinder bemerken sie nicht und schmausen lustig weiter.

GRETEL.
Wart, du näschiges Mäuschen,
gleich kommt die Katz‘ aus dem Häuschen!
HÄNSEL.
Knuspre nur zu
und laß mich in Ruh!
GRETEL entreißt ihm ein Stück Kuchen.
Nicht so geschwind,
Herr Wind, Herr Wind!
HÄNSEL nimmt es ihr wieder ab.
Himmlisches Kind,
ich nehm, was ich find!

Sie lachen beide hell auf. Während des letzten Gespräches ist die Türe des Häuschens aufgegangen, und die Hexe tritt, von den Kindern nicht bemerkt, daraus hervor, behutsam auf diese zuschleichend. Rasch wirft sie dem ahnungslosen Hänsel einen Strick um den Hals, eben in dem Augenblick, als die Kinder lachen.

HEXE grell lachend.
Hihi, hihi, hihihi!

Die Kinder blicken sich erschrocken um.

HÄNSEL entsetzt.
Laß los! – Wer bist du? – Laß mich los!
HEXE die Kinder an sich ziehend.
Engelchen!
Und du, mein Bengelchen!
Ihr kommt mich besuchen? – Das ist nett!
Ihr lieben Kinder, so rund und fett!
HÄNSEL macht verzweifelte Anstrengungen, sich loszumachen.
Wer bist du, Garstige? – Laß mich los!
HEXE.
Na, Herzchen, zier dich nicht erst groß!
Wißt denn, daß euch vor mir nicht graul:
Ich bin Rosina Leckermaul,
höchst menschenfreundlich stets gesinnt,
unschuldig wie ein kleines Kind.
Drum hab ich die kleinen Kinder so lieb,
So lieb – ach, zum Aufessen lieb!

Sie streichelt die Kinder.

HÄNSEL barsch abwehrend.
Geh! – bleib mir doch aus dem Gesicht!
Hörst du! Ich mag dich nicht!

Stampft mit dem Fuß.

HEXE.
Hihihihi!
Was seid ihr für leckere Teufelsbrätchen,
besonders du, mein herziges Mädchen!
Kommt, kleine Mäuslein,
kommt in mein Häuslein!
Ihr sollt’s gut bei mir haben,
will drinnen köstlich euch laben.
Schokolade, Torten, Marzipan,
Kuchen, gefüllt mit süßer Sahn‘,
Johannisbrot und Jungfernleder
und Reisbrei-auf dem Ofen steht er -,
Rosinen und Mandeln und Datteln sich zeigen:
’s ist alles im Häuschen euer eigen!
HÄNSEL.
Ich geh nicht mit dir, garstige Frau! –
Du bist gar zu freundlich!
HEXE.
Schau, schau, wie schlau!
Ihr Kinder, ich mein’s ja so gut mit euch,
ihr seid ja bei mir wie im Himmelreich!
Kommt, kleine Mäuslein!
Kommt in mein Häuslein!
Ihr sollt’s gut bei mir haben,
will drinnen köstlich euch laben!

Sie will Hänsel fortziehen.

GRETEL.
So sprich:
Was willst du meinem Bruder tun?
HEXE.
I nun, ich will ihn füttern und nudeln
mit allerhand vortrefflichen Sachen,
ihn zart und wohlschmeckend machen.
Und ist er dann recht zahm und brav,
geduldig und fügsam wie ein Schaf,
dann – Hänsel, ich sag dir’s ins Ohr:
dir steht eine große Freude bevor!
HÄNSEL.
So sag’s doch laut und nicht ins Ohr:
Welch große Freude steht mir bevor?
HEXE.
Ja, liebe Kinder, Hören und Seh’n,
wird euch bei diesem Vergnügen vergeh’n!
HÄNSEL.
Ei, meine Augen und Ohren sind gut,
haben wohl acht, was Schaden mir tut!
Gretel, trau nicht dem gleißenden Wort –
Komm, Schwesterchen, wir laufen fort!

Er hat sich allmählich von der Schlinge befreit und will mit Gretel fortlaufen; sie werden aber von der Hexe zurückgehalten, die gebieterisch ihren Zauberstab gegen die beiden erhebt.

HEXE.
Halt! –

Macht mit dem Stabe die Gebärde des Hexenbannes.Die Bühne verfinstert sich.

Hokuspokus, Hexenschuß!
Rühr dich, und dich trifft der Fluß!
Nicht mehr vorwärts, nicht zurück,
bann dich mit dem bösen Blick;
Kopf steh starr dir im Genick!

Neue Gebärde; die Spitze des Stabes fängt an zu leuchten.

Hokuspokus, nun kommt Jokus!
Kinder, schaut den Zauberknopf!
Äuglein, stehet still im Kopf! –
Nun zum Stall hinein, du Tropf!
Hokuspokus, bonus, jokus,
Malus lokus, hokuspokus!

Leitet den starr auf den Knopf blickenden Hänsel zum Stalle und schließt hinter ihm die Gittertüre, während Gretel regungslos dasteht. Die Bühne erhellt sich wieder.

HEXE vergnügt zu Gretel.
Nun, Gretel, sei vernünftig und nett! –
Der Hänsel wird nun balde fett.
Wir wollen ihn, so ist’s am besten,
mit süßen Mandeln und Rosinen mästen.
Ich geh ins Haus und hole sie schnell –
Du, rühre dich nicht von der Stell‘!

Sie droht grinsend mit dem Finger und hinkt ins Hans.

GRETEL starr und unbeweglich.
Hu – wie mir vor der Hexe graut!
HÄNSEL.
Gretel! Pst! Sprich nicht so laut!
Sei hübsch gescheit und gib fein acht
auf jedes, was die Hexe macht.
Zum Schein tu alles, was sie will –
da kommt sie schon zurück – Pst! still!
HEXE kommt hervor, überzeugt sich, ob Gretel noch stille steht, worauf sie dem Hänsel aus einem Korb Mandeln und Rosinen hinhält.
Nun, Jüngelchen,
ergötze dein Züngelchen!

Steckt Hänsel eine Rosine in den Mund.

Friß, Vogel, oder stirb –
Kuchen-Heil dir erwirb!

Wendet sich zu Gretel und entzaubert sie mit einem Wacholderbusch.

Hokuspokus, Holderbusch!
Schwinde, Gliederstarre, husch!

Gretel rührt sich wieder.

Nun, wieder kregel, süßes Kleinchen,
rühr mir geschwind die runden Beinchen!
Geh, mein Püppchen, flink und frisch,
decke drinnen hübsch den Tisch!
Schüsselchen, Tellerchen, Messerchen, Gäbelchen,
Serviettchen für mein Schnäbelchen;
und mach alles recht hurtig und fein,
sonst sperr ich dich auch in den Stall hinein!

Sie droht kichernd; Gretel eilends ab ins Haus.

HEXE zu dem sich schlafend stellenden Hänsel.
Der Lümmel schläft ja, nun sieh mal an,
wie doch die Jugend schlafen kann!
Na, schlaf nur brav, du gutes Schaf,
bald schläfst du deinen ewigen Schlaf.
Doch erst die Gretel muß mir dran;
mit dir, mein Liebchen, fang ich an,
bist so niedlich, zart und rund,
wie gemacht für Hexen-Mund!

Sie öffnet die Backofentür und riecht hinein.

Der Teig ist gar, wir können voran machen.
Hei, wie im Ofen die Scheite krachen!

Schiebt noch ein paar Holzscheite unter und reibt sich dann schmunzelnd die Hände.

Ja, Gretelchen,
wirst bald ein Brätelchen!
Schau, schau!
Schau, wie schlau!
Sollst gleich in Backofen hucken
und nach den Lebkuchen gucken.
Und bist du dann drin-schwaps,
geht die Tür – klaps!
Dann ist fein Gretelchen
mein Brätelchen!
Das Brätlein, das soll sich verwandeln
in Kuchen mit Zucker und Mandeln;
im Zauberofen mein
wirst du ein Lebkuchen fein!

In wilder Freude ergreift sie einen Besen und reitet ausgelassen auf ihm ums Haus. Gretel steht lauschend am kleinen Fenster. – Blitz und Donner.

Hurr hopp hopp hopp,
Galopp, Galopp,
mein Besengaul,
hurr hopp, nit faul!
Sowie ich’s mag
am lichten Tag,
spring kreuz und quer
ums Häuschen her!
Bei dunkler Nacht,
wenn niemand wacht,
zum Hexenschmaus
am Schornstein raus!
Aus fünf und sechs,
so sagt die Hex‘,
mach sieb‘ und acht,
so ist’s vollbracht;
und neun ist eins,
und zehn ist keins,
und viel ist nichts,
die Hexe spricht’s.
So reitet sie
bis morgens früh –
Brr! Besen! hüh!

Vom Besen steigend hinkt die Hexe zu Hänsel und kitzelt ihn mit einem Besenreis wach.

Auf! wach auf, mein Jüngelchen,
zeig mir dein Züngelchen!

Hänsel streckt die Zunge heraus.

Schnalzend.

Schlicker, schlecker,
lecker, lecker!
Kleines leckeres Schlingerchen,
zeig mir dein Fingerchen!

Hänsel steckt ein Stöckchen heraus.

Jemine! O je!
Wie ein Stöckchen, o weh!
Bübchen, deine Fingerchen
sind elende Dingerchen!

Ruft.

Mädel! Gretel!

Gretel zeigt sich an der Tür.

Bring Rosinen und Mandeln her;
Hänsel meint, es schmeckt nach »mehr«!

Gretel springt ins Haus und kehrt mit einem Körbchen zurück.

GRETEL.
Da sind die Mandeln!

Sie stellt sich, während die Hexe den Hänsel füttert, hinter sie und macht gegen Hänsel die Entzauberungsgebärde mit dem Wacholderbusch.

GRETEL leise.
Hokuspokus, Holderbusch!
Schwinde, Gliederstarre – husch!

Hänsel wird wieder beweglich.

HEXE sich rasch umwendend.
Was sagtest du, mein Gänselchen?
GRETEL etwas verlegen.
Meint‘ nur: wohl bekomm’s, mein Hänselchen.
HEXE schwerhörig.
He?
GRETEL lauter.
Wohl bekomm’s, mein Hänselchen!
HEXE hat von der Entzauberung Hänsels nichts bemerkt.
Hihihi! Mein gutes Tröpfchen,
da – steck dir was ins Kröpfchen!

Steckt Gretel eine Rosine in den Mund.

Friß, Vogel, oder stirb –
Kuchen-Heil dir erwirb!

Sie öffnet die Backofentür; Hänsel gibt Gretel lebhafte Zeichen.

HÄNSEL leise die Stalltür öffnend.
Schwesterlein,
hüt dich fein!
HEXE Gretel gierig betrachtend.
Wie wässert mir das Mündchen
nach diesem süßen Kindchen!
Komm, Gretelchen,
Zuckermädelchen!
Sollst in den Backofen hucken
und nach den Lebkuchen gucken,
sorgfältig schaun – ja,
ob sie schon braun da,
oder ob’s zu früh –
’s ist kleine Müh!

Gretel zaudert.

HÄNSEL aus dem Stall schleichend.
Schwesterlein,
hüt dich fein!
GRETEL sich ungeschickt stellend.
Ei, wie fang ich’s an,
daß ich komme dran?
HEXE.
Mußt dich nur eben
ein bißchen heben.
Kopf vorgebeugt –
’s ist kinderleicht!
HÄNSEL Gretel am Kleide zurückhaltend, hinter ihr verborgen.
Schwesterlein,
hüt dich fein!
GRETEL schüchtern.
Bin gar so dumm,
nimm mir’s nicht krumm;
drum zeige mir eben:
wie soll ich mich denn heben?
HEXE macht eine ungeduldige Bewegung.
Kopf vorgebeugt!
’s ist kinderleicht!

Sie will es ihr zeigen; indem sie sich vorbeugt und mit halbem Leibe hineinkriecht, geben ihr Hänsel und Gretel von hinten einen derben Stoß, so daß sie vollends hineinfliegt, und schlagen dann rasch die Tür zu.

HÄNSEL UND GRETEL ihr nachspottend.
Und bist du dann drin – schwaps!
Geht die Tür – klaps!
Du bist dann statt Gretelchen
ein Brätelchen!

Hänsel und Gretel fallen sich jubelnd in die Arme, fassen sich bei der Hand und tanzen.

Juchhei! Nun ist die Hexe tot,
mausetot, und aus die Not!
Juchhei, nun ist die Hexe still, mäuschenstill!
Kuchen gibt’s die Füll!
Nun ist zu End der Graus, Hexengraus!
Und der Spuk ist aus!
Ja, laßt uns fröhlich sein,
tanzen im Feuerschein,
halten im Knusperhaus
herrlichsten Freudenschmaus!
Hei! Juchhei, juchhei!

Sie umfassen sich und walzen miteinander zum Knusperhaus, wo sie alle Herrlichkeiten in Besitz nehmen. Im Hexenofen knistert es gewaltig, die Flamme schlägt hoch empor; dann erfolgt ein starker Krach, und der Ofen stürzt donnernd zusammen. Hänsel und Gretel fallen vor Schreck zu Boden; dann blicken sie erstaunt um sich. Ihre Verwunderung steigt aufs höchste, als sie die Kinder gewahr werden, deren Kuchenhülle inzwischen abgefallen ist.

Vierte Szene

GRETEL. nach einer Weile.
Da, sieh nur die artigen Kinderlein!
HÄNSEL.
Wo mögen die hergekommen sein?
DIE KUCHENKINDER ganz leise und unbeweglich.
Erlöst – befreit – für alle Zeit!
GRETEL.
Geschlossen sind ihre Äugelein;
sie schlafen und singen doch so fein!
KUCHENKINDER leise.
O rühre mich an,
daß ich erwachen kann!
HÄNSEL verlegen.
Rühr du sie doch an – ich trau mir’s nicht.
GRETEL.
Ja, streicheln wir dies hübsche Gesicht!

Sie streichelt das nächste Kind; dieses öffnet die Augen und lächelt.

ANDRE KUCHENKINDER.
O rühr auch mich-auch mich rühr an,
daß ich die Äuglein öffnen kann.

Gretel geht streichelnd zu den übrigen Kindern, die lächelnd die Augen öffnen, ohne sich zu rühren; endlich ergreift Hänsel den Wacholder.

HÄNSEL Entzauberungs-Gebärde.
Hokuspokus, Holderbusch!
Schwinde, Gliederstarre – husch!
DIE KUCHENKINDER springen auf, schließen sich zu einem Ringelreigen um Hänsel und Gretel.
Habt Dank, habt Dank euer Leben lang!
Die Hexerei ist nun vorbei;
nun singen und springen wir froh und frei!
Kommt, Kinderlein, zum Ringelreihn,
reicht alle euch die Händchen fein!
Drum singt und springt,
drum tanzt und singt,
daß laut der Jubelruf durchdringt
den Wald,
und rings erschallt von Lust der Wald.
HÄNSEL UND GRETEL.
Die Englein haben’s im Traum gesagt,
in stiller Nacht,
was nun so herrlich uns der Tag
hat wahr gemacht.
Ihr Englein, die uns so treu bewacht
bei Tag und Nacht,
habt Lob und Dank für all die Pracht,
die uns hier lacht.
DIE KUCHENKINDER drängen sich hinzu, um Hänsel und Gretel die Hände zu schütteln.
Habt Dank, habt Dank
euer Leben lang!

Letzte Szene

Aus dem Hintergrund ertönt die Stimme des Vaters.

VATER.
Rallalala, rallalala,
wären doch unsre Kinder da!
Rallalala, rallalala. –

Er erblickt Hänsel und Gretel.

Juch -! Ei, da sind sie ja!
HÄNSEL UND GRETEL den Eltern entgegeneilend.
Vater! Mutter!
MUTTER.
Kinderchen!
VATER.
Da sind ja die armen Sünderchen!

Frohe Umarmung. Unterdes haben zwei Knaben dieHexe als großen Lebkuchen aus den Trümmern des Zauberofens gezogen. Bei ihrem Anblick bricht alles in ein Jubelgeschrei aus. Die Knaben stellen die Hexe in die Mitte der Bühne.

VATER.
Kinder, schaut das Wunder an,
wie die Hexe hexen kann.
Wie sie hart,
knusperhart,
selber nun zum Kuchen ward!
Merkt des Himmels Strafgericht:
böse Werke dauern nicht!
Wenn die Not aufs Höchste steigt,
Gott der Herr die Hand uns reicht!
ALLE.
Wenn die Not aufs Höchste steigt,
Gott der Herr die Hand uns reicht!

Indem die Kinder einen lustigen Reigen um die Gruppe tanzen, fällt der Vorhang.