Ferruccio Busoni
Doktor Faust
Personen
Doktor Faust
Wagner, sein Famulus, dann Rector magnificus
Ein schwarzgekleideter Mann,
Mönch,
Herold,
Hofkaplan,
Kurier,
Nachtwächter, Mephistopheles
Der Herzog von Parma
Die Herzogin von Parma
Der Zeremonienmeister
Des Mädchens Bruder, Soldat
Ein Leutnant
Drei Studenten aus Krakau
Theologe
Jurist
Naturgelehrter
Vier Studenten in Wittenberg
Gravis,
Levis,
Asmodus,
Beelzebuth,
Megäros, Fünf Geisterstimmen
Chor von Kirchengängern, Soldaten, Hofleute, Jäger, katholische und lutherische Studenten, Landleute
Inhalt
Symphonia (Ostervesper und Frühlingskeimen) – Der Dichter an die Zuschauer – Vorspiel I – Vorspiel II – Intermezzo (Kapelle im Münster) – Orchesterzwischenspiel (Cortège) – Hauptspiel. 1. Bild: Der herzogliche Park zu Parma – Orchesterzwischenspiel (Sarabande) – Zweites Bild: Schänke in Wittenberg – Letztes Bild: Straße in Wittenberg
Erscheinungen
Salomon und die Königin von Saba; Samson und Dalila; Johannes und Salome; Scharfrichter; Helena
Symphonia.
Ostervesper und Frühlingskeimen.
Vor dem Vorhang.
Der Dichter an die Zuschauer.
Von Kind auf hat ein Stück mich hingerissen,
darin der Teufel was zu sagen hat,
des Kindes Ahnung wird, im Mann, zum Wissen,
doch hälfe Wissen nicht, würd‘ es nicht Tat;
würde nicht Regung in Bewußtsein fließen,
und in Anschauung dies, aus einer Saat:
Es liegt im Kind, wie in des Keims Gewalten,
der volle Trieb zum späteren Gestalten.
Die Bühne zeigt vom Leben die Gebärde,
Unechtheit steht auf ihrer Stirn geprägt;
auf daß sie nicht zum Spiegel-Zerrbild werde,
als Zauberspiegel wirk‘ sie schön und echt;
gebt zu, daß sie das Wahre nur entwerte,
dem Unglaubhaften wird sie erst gerecht:
und wenn ihr sie, als Wirklichkeit, belachtet,
zwingt sie zum Ernst, als reines Spiel betrachtet.
In dieser Form allein ruft sie nach Tönen,
Musik steht dem Gemeinen abgewandt;
ihr Körper ist die Luft, ihr Klingen Sehnen,
sie schwebt … Das Wunder ist ihr Heimatland.
Drum hielt ich Umschau unter allen jenen,
die mit dem Wunder wirkten, Hand in Hand:
Ob gut, ob böse, ob verdammt, ob selig,
sie ziehn mich an mit Macht unwiderstehlich.
Von dreien, die ich weiß, der Teufelsritter,
ward einer von dem Bösen selbst gezeugt;
die Jungfrau überfällt’s wie ein Gewitter,
aus ihrem Schoß darauf Merlin entsteigt;
den dunklen Mächten späterhin entglitt er,
wenn er sich vor dem Höheren gebeugt:
Allwissenheit, vom Vater mitgegeben,
er nützt sie aus zu einem Segensleben.
Beim zweiten miß ich ganz die Widersprüche,
als Einheit steht er da, ein Mann und echt,
sein Wagmut steigt ins Ungeheuerliche
und tausend Künste weiht er – dem Geschlecht,
wo ist der Zwang, dem Don Giovanni wiche?
Ein solcher wär‘ als Held mir eben recht:
doch Meister Wolfgang ist’s zu gut gelungen,
für immer hat er diesen Sang gesungen.
Der dritte meiner Reih‘ ist nicht geringer,
ein trotz’ger Geist, ein Einzelner, auch er:
ein Tiefbelesener, ein Höllenzwinger,
vieldeutiger zumal, und sonst auch mehr,
ein schwacher Mensch und doch ein starker Ringer
den Zweifel tragen hin und wieder her:
Herr des Gedankens, Diener dem Instinkt,
dem das Erschöpfen keine Lösung bringt.
Das End‘ ist Schrecken, doch sein Name steht,
die Chronik hält ihn, artet in Legende,
die Dichtung folgt, Unsterblichkeit umweht,
und des Nachbildens, Schmückens ist kein Ende;
als lebensähnlich die Gestalt ersteht,
täuschend bewegt durch unsichtbare Hände:
das Puppenspiel vom Faust zieht durch die Zeiten,
Ergriffenheit und Staunen zu bereiten.
Zu Frankfurt war’s, am Tag, und vor den Toren,
unter dem Volk ein Zaubrer fand sich ein;
der griff entschlossen nach des Spiels Figuren,
da schwand die Schau, als wär‘ sie Dunst und Schein.
Gemächlich erst, und in den alten Spuren,
haucht er den Sinn des Lebens ihnen ein:
sie wachsen fort, ins Mystische gelenkt,
zu Höchst geschleudert und zu Tiefst versenkt.
Und mit dem letzten Spruch von hinnen reist er.
Der Rätselbau zeigt jegliche Gestalt;
von allen Seiten zieht er an die Geister,
er ist die Form für jeglichen Gehalt.
Doch was vermöcht‘, gen Zauberer, ein Meister!
Des Menschen Lied am Göttlichen verschallt:
also belehrt erkannt‘ ich meine Ziele
und wandte mich zurück – zum Puppenspiele.
Besah mir nah die schlicht geformten Bilder,
die waren schöner jetzt, durch höheres Alter;
ich firnißte, hantierte als Vergülder –
(es wirkt die Zeit nicht minder als Zerspalter)
ich schärfte Eines, Andres strich ich milder,
und aus der Larve flog herauf ein Falter:
ins Altgewebte flocht ich neue Maschen,
vergess’nes Muster wird euch überraschen.
So stellt mein Spiel sich wohl lebendig dar,
doch bleibt sein Puppenursprung offenbar.
Vorspiel I.
Wittenberg.
Vormittags. Studierzimmer. Hoher gotischer Raum, halb Bibliothek und halb alchemistische Küche, der sich in undeutliche Tiefe verliert; etwas verwittert. Faust, am Herde, mit der Beobachtung eines werdenden chemischen Vorganges beschäftigt und völlig darin vertieft. Nach kurzer Stille tritt Wagner ein.
WAGNER. Euerer Magnifizenz Verzeihung … Da Faust keine Antwort gibt, verbleibt Wagner in respektvoller Erwartung. Euerer Magnifizenz Verzeihung: allein, es melden sich drei Studenten.
FAUST. Ihr Wunsch?
WAGNER. Sie wollen ein Buch überreichen -.
FAUST. Wagner, wahrhaftig! Ich mag so nicht weiter. Das Leben rollt rascher und – nicht mehr aufwärts. Nicht darf ich so breite Zeit an andre wenden. Und dem hilft doch kein Rat, der sich nicht selber besinnt! – Macht mich bei ihnen entschuldigt.
WAGNER. Euerer Magnifizenz Verzeihung. Es ist keine Arbeit diesmal, die man von Ihnen heischt. Das Buch mag sein eine seltene Handschrift, denn es trägt einen sonderlichen Titel: Clavis Astartis Magica …
FAUST in höchster Überraschung. Clavis Astartis -? Irrt Ihr Euch nicht? Wollt Ihr mich gar nasführen! Fangt Ihr Grillen? Seht Ihr Geister?
WAGNER. Nein, nein, ich kann Magnifizenz versichern.
FAUST mit einfachem Entschluß. Also laßt die Studenten ein.
Wagner ab.
FAUST. Faust, Faust, nun erfüllt sich dein Augenblick! Die Zaubermacht in meine Hand gegeben, die ungeheueren Zeichen mir erschlossen, heimliche Gewalten mir geknechtet, und ich kann – ja, ich kann – o, ihr Menschen, die ihr mich gepeinigt, hütet euch vor Faust! In seine Hand die Macht gegeben, heimliche Gewalt ihm zu Gebot, er wird euch zwingen, euch bezwingen. Wehe, wehe über euch! Er läßt den Kopf sinken. … Wenn Wagner dennoch irrte … vielleicht zum Heile …? Faust seufzt tief.
WAGNER tritt ein. Euere Magnifizenz, die Studenten sind hier.
FAUST gefaßt. Sie sollen kommen. Wagner gibt ein Zeichen nach der Tür hin.
Es treten auf drei schwarzgekleidete Studenten.
FAUST. Wer seid ihr?
DIE DREI. Studenten aus Krakau.
FAUST. O, mein altes, mein teures Krakau! Eure Gestalten rufen die Jugend mir zurück. Träume! Pläne! Wieviel hatt‘ ich gehofft! – Seid willkommen. Die Studenten verneigen sich zu dritt. Und was führt euch zu mir?
DER ERSTE. Dieses Buch leg‘ ich in Eure Hand.
Faust unterdrückt eine Bewegung des Ungestüms.
DER ZWEITE. Von mir erhaltet Ihr den Schlüssel.
DER DRITTE. Diese Briefschaft macht es zu Euerem Eigentum.
FAUST. Wie kommt ein solches Geschenk mir zu?
DIE DREI. Du bist der Meister!
FAUST. Also darf ich es eignen?
DIE DREI. Es ist deines.
FAUST. Und wie soll ich euch dieses vergelten?
DIE DREI. Später. Leb‘ wohl, Faust.
FAUST. Verweilet, bleibet meine Gäste!
DIE DREI. Leb‘ wohl, Faust.
FAUST. So saget, daß ich euch wiederseh.
DIE DREI. Vielleicht. Leb‘ wohl, Faust. Sie gehen ab.
FAUST sieht ihnen kopfschüttelnd nach. Sonderlinge!
Wagner tritt wieder ein.
FAUST. Habt Ihr den Studenten begegnet? Und wollt Ihr nicht sie geleiten?
WAGNER. Euere Magnifizenz, ich begegnete keinem.
FAUST. Soeben gingen sie.
WAGNER. Ich sah niemanden.
FAUST. Ihr habt sie versäumt. Ach, nun weiß ich, wer sie gewesen.
Der Metallbrei auf dem Herd überkocht mit lautem Geprassel. Wagner eilt geschäftig hinzu.
Vorspiel II.
Der nämliche Raum um die Mitternacht.
FAUST. Die Sanduhr zeigt die Mitternacht: ich darf beginnen. Rätselvolles Geschenk, nun sollst du dich bewähren. Faust entschließt sich und schlägt das Buch des Astartis auf. So wäre dies die erste Handlung! Er löst seinen Gürtel und bildet mit ihm einen Kreis auf dem Boden; tritt in den Kreis, den Schlüssel in der Hand. Luzifer! Luzifer! Gefallener Engel, du, der Stolzeste, herbei! Er hebt den Schlüssel, der erstrahlt. Luzifer! Hierher zu mir!
Fahlgrünes Leuchten durchtanzt den Raum. Der Schlüssel erstrahlt mehr und mehr. Eine sichtliche Erregung überfällt Faust.
UNSICHTBARER CHOR. Dein Begehr?
FAUST. Entsende mir deine Diener.
CHOR. Du willst?
FAUST. Ich will.
CHOR. Du beharrst?
FAUST. Ja, ich will!
CHOR. Sie kommen! Sie kommen!
Die Studierlampe und der Schlüssel erlöschen. Sechs Zungenflammen schweben im Raum.
FAUST. Was tat ich! Drückende Stille. Wie konnt‘ es alsobald gelingen? Darf ich mich weiter wagen? Gedrückt. Ich sollte sie befragen, doch es ekelt mich davor, schon ihre Stimmen könnten mich töten.
CHOR. Frage, immerhin.
FAUST. Wohlan. So sprich, du Erster, du Tiefster: gib deinen Namen.
ERSTE STIMME. Gravis.
FAUST. Sag‘ an, wie sehr du geschwind bist.
ERSTE STIMME. Wie der Sand in dem Uhrglas.
FAUST höhnisch. Wie der Sand in dem Uhrglas? Heftig. Hinweg, kriechendes Wesen. Verlösche.
Die erste Flamme erlischt.
Für sich. Sie gehorchen. Laut. Der Zweite! Welcher bist du?
ZWEITE STIMME. Levis. Ich bin geschwind wie das fallende Laub.
FAUST. Der Mensch fällt hurtiger als du: verschwinde.
Die zweite Flamme erlischt.
FAUST bereits sicherer. Gib Rede, Dritter, gleich den andren.
DRITTE STIMME. Ich bin Asmodus. Ich eile wie der Bach, der sich vom Felsen stürzt: über Berges kämme, durch die Felder sprudelnd, hin bis zum Ozean!
FAUST. Ein Prahler bist du. Dich zieht es nur abwärts: fort mit dir! Fort!
Die dritte Flamme erlischt.
Für sich. Mein Hoffen sinkt, ob auch mein Mut sich hebt. Offenbare dich, Vierter.
VIERTE STIMME. Ich bin Fürst Beelzebuth.
CHOR. Beelzebuth.
VIERTE STIMME. Ich schnelle wie die Kugel aus dem Rohre; genügt’s dir?
CHOR. Genügt’s dir?
FAUST. Nein. Ein Spottfürst! Ist die Flinte nicht etwa Menschenwerk? Ist des Menschen Wunsch, ist denn nicht sein Traum höherzielend, weitertragend? Wie könntest du mir, Faust, genügen? Entweiche.
Die vierte Flamme erlischt.
FAUST. – und du, und du, Zweitletzter, nenn‘ dich, bezeichne dich, Fünfter!
FÜNFTE STIMME. Schaue hier, Megäros -.
CHOR. Schaue hier, Megäros.
FÜNFTE STIMME. – wie der Sturm behende.
FAUST. Das klingt nach Etwas, doch es erschöpft nicht. Ich blase, Sturm, dich aus: verwehe.
Die fünfte Flamme erlischt.
CHOR höhnend. Üh!
FAUST gebietend. Schweiget!
FAUST tritt aus dem Kreise. Ein einzelner blieb. Ich zög’re, die letzte Hoffnung zu zerstören: mir bangt vor der eklen Leere, die folgen muß. So wäre dies der ganze Höllenprunk! Wie steht doch eines Menschen Geist darüber. In ihm ist des Gottes Hauch. Wie ich euch verachte, die ihr hier gedämmert, und nun dunkelt, ihr Dünkelhaften! Ich kehre mich ab von euch. –
Welchem Wahn gab ich mich hin!
Arbeit,
heilende Welle,
in dir bade ich mich rein.
SECHSTE STIMME. Faust!
FAUST erregt. Wie hell flackert das Licht. Ist es von ihm aus, daß die Stimme ruft? Wie hoch züngelt es auf! Wirst auch nicht mehr vermögen, als die andren, o du lichtere Flamme. Ich mag nichts erfahren von dir.
SECHSTE STIMME. Faust!
FAUST. Noch einmal? Und dringender? So magst du reden.
SECHSTE STIMME. Faust, ich bin geschwind als wie des Menschen Gedanke.
FAUST betroffen. Als wie des Menschen Gedanke!? Was will ich mehr? Konnt‘ ich so viel erhoffen? Was will ich mehr denn! Als daß Erfüllung schreite mit dem Wunsche; als daß die Tat zugleich ins Leben trete mit der Absicht! Dein Name?
SECHSTE STIMME. Mephistopheles.
FAUST. »Mephistopheles?« So zeige dich in greifbarer Gestalt.
Mephistopheles tritt unbemerkt ein und verbleibt in serviler Haltung. Er trägt ein anliegendes schwarzes Gewand. – Faust, der noch die Flamme anstarrte, erblickt ihn unerwartet und unterdrückt eine Regung des Widerwillens.
FAUST. Willst du mir dienen?
MEPHISTOPHELES. Fragt sich, in welcher Weise?
FAUST nach Sammlung ringend.
Beschaffe mir für meines Lebens Rest
die unbedingte Erfüllung jeden Wunsches,
laß mich die Welt umfassen,
– den Osten und den Süden, die mich rufen –
laß mich des Menschen Tun vollauf begreifen
und ungeahnt erweitern;
gib mir Genie,
und gib mir auch sein Leiden,
auf daß ich glücklich werde wie kein andrer.
MEPHISTOPHELES. Weiter, nur weiter, falls Ihr etwa nicht zu Ende wär’t.
FAUST.
O, laß mich die Welt umfassen,
der Menschen Tun begreifen,
es ungeahnt erweitern; gib mir Genie,
gib mir auch sein Leiden.
MEPHISTOPHELES. Was noch mehr?
FAUST.
Mache mich frei!
So dientest du mir recht, bis an die Erschöpfung, hernach –
Jetzt fordre du.
MEPHISTOPHELES. Hernach dienest du mir, fortab.
FAUST. Ich dir dienen? Dir? In aller Zeiten Ewigkeit?! Ich – kann nicht. Ich kann – und will nicht. Mache dich fort.
MEPHISTOPHELES kalt. Höre, Faust. Draußen stehn die Gläubiger zuhauf; die du hast betrogen. Über dein Mädchen hast du Unglück gebracht: der Bruder trachtet dir nach dem Leben. Die Pfaffen, sie sind hinter dir her: sie wittern, und nicht mit Unrecht: der Scheiterhaufen wartet deiner!
FAUST. Genug, genug! Ich weiß!
MEPHISTOPHELES.
Hehe! So seid ihr Menschen,
die ihr unablässig
einander aufreizt und jagt!
FAUST. Laß den Gemeinplatz, spar deine Weisheit.
MEPHISTOPHELES.
Kommt es einmal zum Letzten,
dann sind meinesgleichen,
dann bin ich geringerer Teufel,
als Retter gefällig zur Stelle.
Höre Faust: Ich gebe dir Reichtum und Macht, Freuden der Liebe, weitesten Ruhmesglanz, weltlichen Ruhm. Offen sind dir die Herrlichkeiten dieser Erde.
FAUST. Ende!
MEPHISTOPHELES. Und draußen drängen die Gläubiger, lauert der Bruder, wittern die Pfaffen, sie fordern, sie morden, sie brennen! Lacht lautlos. FAUST. Ich weiß, ich weiß! Ende!
MEPHISTOPHELES. So stehn die Dinge. Wähle!
Verbeugt sich ironisch.
FAUST ruhig. Schlau wußtest du die Schlingen zu legen.
MEPHISTOPHELES. Schlag‘ ein.
FAUST. Niemals!
Klopfen an der Tür.
MEPHISTOPHELES. Deine Schergen stehn dahinter. Ein Wort von dir, und sie sind nicht mehr!
Stärkeres Klopfen.
FAUST dumpf. Töte sie.
MEPHISTOPHELES kalt. Es ist geschehn.
Faust sinkt in einen Stuhl.
Möchtet Ihr das Übrige abwarten?
FAUST bezwungen. Kaum! – Ich geb mich dir. Aber jetzt – verlaß mich.
MEPHISTOPHELES lauernd. Nur noch ein Geringes.
FAUST heftig. Fort, fort, fort! Ich kann dich nicht ertragen!
MEPHISTOPHELES kreuzt die Arme, abwartend. Du mußt es lernen.
CHOR. Credo in unum Deum. Patrem omnipotentem, creatorem coeli et terrae visibilium, omnium et invisibilium.
FAUST in schmerzhafter Anspannung. Was verlangst du noch?
MEPHISTOPHELES. Ein kurzes Schreiben, mit deinem Blut gezeichnet, rot auf weiß.
FAUST. So gib her.
MEPHISTOPHELES. Brav.
FAUST. Wo ist mein Wille, wo mein Stolz geblieben! Unseliger Faust, das Höllenwerk begann. Tritt an das Fenster. Wie wird mir -!
Es wird Tag.
Osterchor. Glocken.
CHOR. Et resurrexit tertia die – secundum scripturam et ascendit in coelum, – sedet ad dexteram Patris.
FAUST. Ostertag! Da ziehen die Guten zum Münster. Oh, Tag meiner Kindheit!
MEPHISTOPHELES. Kehr‘ dich nicht an das Gesäusel.
MÄNNER. Et iterum venturus est – cum gloria judicare vivos, – vivos et mortuos.
FAUST. Du, Faust, bist nun ein Toter. Ich werde gerichtet! Wer hilft mir?
Ein Rabe fliegt herbei, Feder im Schnabel, die Mephistopheles ihm abnimmt.
MEPHISTOPHELES. Ein Mann, Faust, du hast dein Wort zu halten: Vollziehe!
FAUST abwehrend. Noch hat es Zeit. Fauch mich nicht an. Verzweifelt. Es gibt kein Erbarmen. Es gibt keine Seligkeit, keine Vergeltung, den Himmel nicht und nicht die Höllenschrecken: dem Jenseits trotz‘ ich!
MEPHISTOPHELES. Tüchtig, tüchtig! Das nenn‘ ich fortgeschritten: nun seid Ihr eben auf der rechten Fährte!
FAUST zitternd, indem er Mephistopheles das unterschriebene Blatt entgegenstreckt. Hier – nach Schwinden meiner Frist – es wird sich zeigen – vielleicht unterliegst noch du – bin ich – nicht dein Herr – Er fällt ohnmächtig nieder.
CHOR. Gloria in excelsis Deo et in terra pax.
Mephistopheles weidet sich eine Zeitlang an dem Anblick seines Opfers – und entreißt ihm das Blatt.
MEPHISTOPHELES. Gefangen!
Die Bühne wird stetig heller. Von dem Fenster her, und wie durch alle Ritzen, fluten Morgensonnenstrahlen in das Gewölbe herein.
CHOR DER MÄNNER UND FRAUEN. Allelujah!
Vorhang.
Zwischenspiel.
Uralte romanische Kapelle im Münster. Kahle graue Wände, Holzbänke, ein Kruzifix. Orgelspiel vom Hauptschiffe her vernehmbar. Gretchens Bruder, durchaus in Eisen gekleidet, ist (fast von hinten anzusehen), knieend im Gebet.
DER SOLDAT. Du, der du nicht allein der Gott der Milde und der Gnade bist; zu Zeiten auch des Zornes, und der Rache, und der Schlachten, als der du mir bist vertrauter: erhöre mein Gebet! Ich hatte nichts auf der Welt, als mein Geschwister, nicht Eltern, noch Weib und nichts, das mir’s ersetze. Man hat es mir genommen, hat es verdorben: Laß du den Mann mich finden und laß ihm Recht geschehn. Herr, der du nicht allein der Gott der Milde und der Gnade, erhöre mein Gebet! Er versinkt im Gebet.
Faust und Mephistopheles am Eingang.
MEPHISTOPHELES. Der Mann sinnt auf deinen Tod.
FAUST. Räum ihn aus dem Wege.
MEPHISTOPHELES. Auf deine Rechnung.
FAUST. Nein, ich will meine Hände rein wahren!
Such ein andres.
MEPHISTOPHELES. Wenn er dich jetzt erkennt, kein andrer Ausweg, als daß du selbst ihn tötest.
FAUST. Find einen andren.
Der Soldat macht eine Bewegung.
MEPHISTOPHELES. Aufgepaßt!
FAUST gequält. Nicht ich, nicht ich –
MEPHISTOPHELES. Er oder du.
FAUST. Er schleppt sein Leben in eitler Qual, ich bin ein Mann der Tat. –
MEPHISTOPHELES. Einverstanden.
Faust und Mephistopheles ziehen sich eilig zurück.
DER SOLDAT stöhnend. Den Mann, den Mann, den ich suche! Erbarmen! Versinkt im Gebet.
Mephistopheles als grauer Mönch tritt langsam auf und kniet Seite an Seite des Soldaten nieder.
MEPHISTOPHELES. Möchtest du mir nicht beichten?
DER SOLDAT. Ich habe nicht an Bösem was getan.
MEPHISTOPHELES. Aber du hast welches vor.
DER SOLDAT. Ich habe vor, was Rechtens ist. Weißt du’s, brauch ich zu beichten um so weniger.
MEPHISTOPHELES. Vielleicht wär’s doch an der rechten Zeit!
DER SOLDAT. Gott ist bei mir. Du bist mir lästig.
MEPHISTOPHELES. Wer weiß, deine Stunde ist nicht weit.
DER SOLDAT. Teufelsmönch, zeig deine Fratze! Ich bin ein offener Mann.
MEPHISTOPHELES. Du wirst sie bald sehen.
DER SOLDAT. Hervor damit!
MEPHISTOPHELES. Geduld, sieh lieber nach der Tür.
Hurtig. Wehr dich! Springt auf.
Entfernte Trommeln und Trompeten.
MEPHISTOPHELES triumphierend. Man rückt heran. Es sind ihrer sechs gegen Einen. Sticht dich nicht deine Rauflust? Meine Fratze? Da!
Er streckt ihm die Zunge. Mephistopheles schleicht in einen Beichtstuhl. Der Soldat zieht entsetzt seinen Degen und stellt sich mit dem Rücken gegen die Wand. Es dämmert tief. An der Tür zeigt sich der Leutnant, der eine Patrouille anführt.
LEUTNANT. Dort! Seht ihn! Verkrochen in der Kirche, der unsern Hauptmann niederschlug von hinten: Gleiches mit Gleichem, haut den Mann zu Boden! Der Oberst wird’s uns danken! Sie kämpfen. Kurz darauf fällt der Soldat erschlagen.
MEPHISTOPHELES aus dem Beichtstuhl, mit gereckten Armen. Hier? Am heiligen Ort? Ihr seid des Teufels! Mürbe für die Hölle! Im übrigen: gut gemacht, und meinen Segen.
LEUTNANT. Der Mönch ist toll. Laßt ihn laufen.
Die Soldaten ziehen ab.
MEPHISTOPHELES. Möcht euch wohl nicht anders raten. Ziehn wir die Rechnung: vorerst, Kirchenschändung; Bruder Soldat, mit einem Mordplan, ab; der weise Faust ladet’s auf sein Gewissen: drei Ratten in einer Falle.
Ein Strahl des Mondes senkt sich auf den am Boden hingestreckten Toten.
Langsam fällt der Vorhang.
Hauptspiel
Erstes Bild.
Der herzogliche Park zu Parma. Herren und Damen des Hofes. Festlich gekleidete Landleute, voran Sackpfeifer. – Jäger mit Hörnern, Falken, Hunde-Meute. – Fechtspielende Pagen. Kränzeschlingende Edelfräulein. Der Zeremonienmeister, von einem Fähnlein Leibwachen und Trommlern gefolgt, tritt geschäftig auf; ordnet die Gruppen, macht sich wichtig und bemerkbar. Die Landleute werden zurückgedrängt. Pagen und Edelfräulein aufgestellt, allen – dem Range nach, die Plätze angewiesen. Abwechselnd verschwindend und wiederauftauchend, aufgeregt und autoritativ zugleich, empfängt den Herzog und die Herzogin.
CHOR. Sie nahn! Der Fürst, die Fürstin! O schauet! O Pracht. Hoch das Paar! Heil dem Fürsten! Das Herzogspaar tritt zu Pferde auf.
ZEREMONIENMEISTER meldet sich, mit Verbeugung, zur Ansprache. Nach dieser Feste rauschend bunter Reihe, wagt ich noch kaum auf Größeres zu hoffen, der Abend kündet sich besonders an.
HERZOG. Was ist denn Seltenes eingetroffen?
ZEREMONIENMEISTER. Ein höchst gewandter Mann.
Kein andrer als der Doktor Faust.
CHOR. Doktor Faust!
ZEREMONIENMEISTER zur Herzogin Wenn Euch nicht etwa vor diesem graust.
HERZOGIN. Und weshalb grausen?
ZEREMONIENMEISTER.
Hohe Frau,
der weise Doktor ist nicht recht geheuer,
er brenzelt gleichsam von unheiligem Feuer,
ich fürchte fast, daß ich mir viel getrau.
Wenn Ihr befehlt, will ich ihn präsentieren,
introduzieren, doch jede Verantwortung refüsieren.
HERZOGIN leichtfertig. Wir wollen’s wagen. –
Der Zeremonienmeister mit Verbeugung ab.
MEPHISTOPHELES plötzlich als Herold auftauchend.
Wagen – und dabei gewinnen.
Schönheit gefällt sich im Gefahrenspiel.
Drum, schönste Frau, Ihr waget nicht zuviel,
erlaubt Ihr meinem Herrn sich einzufinden.
Hier ist er selbst, Euch zu dienen.
Faust, von oben, und von weitem, langsam herankommend, müßte ein phantastisches Gefolge (schleppentragende Mohrenknaben, oder Affen) haben; und es sollte sein Erscheinen auffällig, wenn auch nicht marktschreierisch wirken. Der Zeremonienmeister, halb führend, halb einladend, tänzelt der Gruppe voran.
CHOR.
Er naht mit ihm das Wunderbare.
Wir werden staunen und erschauern.
Ringsum verborgene Geister lauern,
umranken trügerisch das Wahre.
Das läßt uns ahnen, wie das Nächtliche zutage tritt,
so daß wir stumm geworden sind und zittern.
Er sieht gebieterisch und schön,
das Ungewohnte ist an ihm natürlich.
Säh er nicht stolz, wir hielten ihn für zierlich,
er schüchtert uns, doch müssen wir ihn ansehn.
HERZOGIN für sich.
Er ist ein Fürst in Wesen und Geberde,
noch niemals hat ein Mann mich so bestrickt.
HERZOG für sich.
Mich dünkt, die Hölle hat ihn hergeschickt.
MEPHISTOPHELES für sich.
Der Wachthund bellt. Es blökt die Herde.
CHOR.
Seltener Mann,
seltsamer Gast!
Was wird sich zeigen?
FAUST für sich.
Du stolzeste der Frauen, sollst mir der Preis sein!
HERZOG kurz angebunden.
Herr Doktor, seid an unserem Hof begrüßt,
und Dank, daß Eure Kunst Ihr uns erschließt.
Wir hoffen, daß Ihr die Fürstin nicht enttäuscht.
Mögt Ihr beginnen?
HERZOGIN leise für sich.
Was wird sich zeigen?
FAUST halb für sich.
Seid unbesorgt! Es sei!
Er erhebt die Hände. Kurze Beschwörungsgeste oder Handlung Fausts.
Ein Schwarm faunartiger Teufelchen dringt von allerwärts herein und verteilt sich behende in die Büsche.
FRAUEN aufschreiend.
Ah!
MÄNNER lachend.
Ha ha ha ha ha!
FAUST.
Verzeiht, wenn ich zu eigen handle,
Tag ist dem Wunder abgewandt,
Licht, sei verbannt,
in Nacht dich wandle,
Sterne herauf,
am Himmels Rand!
Es wird sternenhelle Nacht.
Die Umstehenden schreien gedämpft auf.
FAUST.
Was wünscht die schöne Herrin zu erschauen?
HERZOGIN.
Hab ich zu wählen? Sie überlegt.
HERZOG zur Herzogin.
So wählet!
Heimlicher.
Fordert, verlangt Unmögliches!
HERZOGIN mit Beziehung.
Ob jene Fürsten
frühester Zeiten
besseren Anstand
trugen als jetzt?
Dieses zu schauen
möchte mir frommen,
lasset den König
Salomo kommen.
Es erscheint der König Salomo auf dem Thron.
HERZOG.
Ein würdiges Bild.
ZEREMONIENMEISTER.
Gewiß, ganz scharmant.
HERZOGIN.
Doch gar zu streng. War er nicht auch galant?
FAUST.
So ihr es wünscht – zeigt er sich Euch
als Pfleger schönen Umgangs.
Eine Harfe steigt auf vor Salomo. König Salomo greift in die Saiten. Ein zweiter Thron steigt auf. Die Königin von Saba tritt auf.
HERZOGIN.
Wer ist die Schöne?
HERZOG stirnrunzelnd.
Sie gleicht Euch sehr!
ZEREMONIENMEISTER.
Ist es Helene?
HERZOGIN für sich.
Wohl gleicht sie mir und Faust dem mit der Krone.
Salomo steigt vom Thron und kniet vor ihr nieder.
HERZOG.
Das ist recht dreist, es wird beinah zum Hohne!
FAUST.
Balkis war sie und Sabas Königin.
Den weisen Mann bezwang ihr weiserer Sinn.
Salomo und die Königin von Saba besteigen beide den Thron.
CHOR.
Seht hier und dort,
ein gleiches Paar.
Was hier gemeint
wird offenbar.
Das kecke Spiel
beschwört Gefahr.
HERZOGIN.
Ein andres jetzt. Könnt Ihr den Wunsch erraten?
FAUST.
Wendet den schönen Blick zu diesen Schatten.
HERZOG mißtrauisch.
Was ist’s, das Ihr Euch wünschet?
HERZOGIN.
Ihr werdet’s sehn.
Es erscheinen Samson und Dalila.
Samson, Dalila, stehn in Lieb umschlungen.
ZEREMONIENMEISTER.
Von dieser Frau Verrat
wird vieles erzählt und gesungen.
HERZOGIN.
Daß Liebe so mit Tücke sich verbände -!
FAUST.
Was man erzählt, gehört in die Legende.
Hinter dem Paar erscheint eine schwarze Sklavin, die Dalila die Schere reicht.
CHOR.
Sie hebt die Schere –
das ist bekannt –
die listige Mähre –
Ha, wird er entmannt?
HERZOGIN nervös.
Genug davon! Ein neues Bild.
Die Erscheinung erlischt.
Und gebet jetzt, wozu Ihr selbst gewillt.
Johannes und Salome erscheinen; daneben der Scharfrichter mit erhobenem Schwert. Letzterer trägt die Züge des Herzogs.
CHOR. Johannes und Salome!
FAUST. Auf einen Wink Salomes fällt das Haupt.
HERZOGIN sich verratend. Er darf nicht sterben!
FAUST. Also liebt Ihr mich.
Bewegung, Gemurmel.
HERZOGIN. Ich – bin des Herzogs Gattin.
FAUST. Dennoch liebt Ihr mich – -.
HERZOGIN. Schweigt! Gepreßt. Ich bin nicht ehrlos, bin nicht frei!
FAUST sie in seinen Bann zwingend. Komm, o komm! Folge mir nach. – Ich führe dich in die Unermeßlichkeit der Welten. Die Erde sei dein Reich, du ihre Königin, die Pracht des Orients.
Komm! Die Kunst des Westens, was späte Zeiten einst zu Tage fördern: jetzt sind sie dein. Du kommst – du kommst –
HERZOGIN für sich, beklommen. Ach, er berückt mich, betört mich, ergreift mich! Laßt mich, o laßt mich! Bin ich Euch feil?! O still, o schweiget!
HERZOG. Endet das Spiel!
MEPHISTOPHELES plötzlich zwischen das Paar tretend und gleichsam verkündend. Das Spiel – es ist so gut als wie beendet.
Er räumt vor dem hinzutretenden Herzog den Platz.
HERZOG grimmig zu Faust.
Ergötzlich war die Schau.
Habt unsern Dank.
Ihr seid mein Gast am herzoglichen Tische.
Kurze betroffene Stille, darauf eiliges ungeordnetes Abziehen der Gruppen. Er wendet Faust den Rücken und bietet der Herzogin den Arm.
CHOR.
Fort, zieht Euch zurück. Unheil schwebt.
Fort! fort! fort!
MEPHISTOPHELES. Folgt ihnen nicht!
FAUST. Du sagst?
MEPHISTOPHELES. Entflieht. Verlaßt den Hof! Den Herzog habt Ihr aufgereizt. Die Speisen sind vergiftet. Ich wag mich nicht hinein. Der hohe Klerus sitzt, im Ornat, beim Mahle. Nützet den Augenblick.
FAUST. Ich ziehe nicht allein.
MEPHISTOPHELES. Ich weiß. Das macht sich ganz wie von selbst. Es liegt in meinem Plan: also geschieht’s. Nun kommt.
Sie ziehen zugleich mit den letzten Gästen schnell ab. Leere Bühne. Eine fahle Dämmerung beleuchtet die Szene.
HERZOGIN tritt auf die Bühne, wie im Traume schreitend, die Arme vorgestreckt.
Er ruft mich
wie mit tausend Stimmen,
er zieht mich
wie mit tausend Armen;
ich fühl, in einem, tausend Augenblicke
und jeder einzelne verkündet ihn, ihn allein.
Wer ich gewesen, und was ich vorstellte,
ist mir entschwunden – seh nur den einen Weg,
den Weg zum teuren Manne.
Ja, ja, ich komme,
schreite mit dir
durch unbegrenzte Räume;
die Erde wird mein Reich,
ich ihre Königin!
Was späte Zeiten einst zu Tage fördern,
bald ist dies alles mein – mein!
Ich schreite dann an seiner Hand
in unbegrenzte Bezirke.
Bei dir, bei dir
die Unermeßlichkeit.
Faust,
du, mein Faust! –
ich komme! –
Faust, du mein Faust,
ich folge dir!
Sie schreitet langsam hinaus. Plötzlicher Tag.
Der Herzog und Mephistopheles, der als Hofkaplan erscheint.
DER HERZOG heimlich und aufgeregt. Was Wichtges sagt Ihr? Was ist’s, mein Vater?
MEPHISTOPHELES. Ergebt Euch, Fürst, die Herzogin entkam!
HERZOG. Mit – ihm? Mephistopheles nickt.
Man setze ihnen nach!
MEPHISTOPHELES.
Wonach? Ins Blaue?
Mit diesen beiden Augen sah ich sie
auf Flügelrossen durch die Lüfte treiben.
Er nickt wieder.
Am besten wär’s, man hielte reinen Mund.
Herzog bekreuzigt sich und kniet nieder.
Süßlich. Die Macht des … Bösen ist nicht unterschätzbar. Ich rate, Sohn, schaut Euch nach Neuem um.
HERZOG. Was sagt Ihr?
MEPHISTOPHELES. Hört nur. Ferraras Herzog droht Euch mit Krieg.
Um dessen Schwester werbet.
So läuft’s in Güte ab.
HERZOG aufstehend, fromm. Der Himmel spricht aus Euch.
MEPHISTOPHELES für sich.
Der Staat Venedig schluckt sie bald selbander,
beim Rat der Drei weiß ich mich wohl gelitten,
und hoffe diese Kleinigkeit schicklich zu fördern.
Zum Herzog, laut, heuchlerisch.
Mein Sohn, fasse Vertrauen!
Der Herzog küßt Mephistopheles die Hand. Mephistopheles erhebt die Rechte wie zu segnender Geberde, aber die Hand spreizt sich zur Kralle. – Vorhang.
Zweites Bild.
Schenke in Wittenberg. Faust und Studenten.
CHOR noch hinter dem Vorhang
So lang man Jugend hat,
lebt man als Nimmersatt.
Bah!
Juvenes dum sumus!
Gaudeamus igitur. –
Prosit, prosit, prosit!
Studenten an verschiedenen Tischen in geteilten Gruppen. Die Disputierenden enger um Faust sitzend; die Unbeteiligten mehr abseits.
ERSTER STUDENT. Daß ihr mir die Platonische Lehre recht begreifet.
EIN STUDENT , andere Gruppe, angeheitert.
So lang du trinken kannst,
füll dir den schlappen Wanst.
CHOR.
Still! Denn es wird hier diskutiert.
ERSTER STUDENT.
Daß ihr mir Platos Lehre ja recht begreifet:
den Teller hier, den runden, ganzen Teller,
mach ich zu Scherben.
Er zerbricht einen Teller.
CHOR.
Klatsch!
ERSTER STUDENT.
Doch der Begriff des Tellers bleibt bestehn.
CHOR parodierend.
Doch der Begriff des Tellers bleibt bestehn!
ZWEITER spöttisch klagend.
Doch der ist hin, dein Witz kann ihn nicht kitten.
ERSTER zurückgebend.
Dank Gott, wenn deiner noch zusammenhält.
THEOLOGE.
Dagegen eifern die Kirchenväter;
was Gott geschaffen, gilt als unzerstörbar,
doch jedes Menschen Bau zerfällt in Nichts.
EINIGE parodierend.
Zerfällt in Nichts! – Nichts!
VIERTER. Beim nächsten Gang prügl ich dich windelweich, schonungslos, um festzustellen, ob Gott dich geschaffen.
CHOR.
Hahaha! Um festzustellen, ob Gott ihn erschaffen.
VIERTER.
Und ob du unzerstörbar bist.
CHOR.
So lang man Jugend hat,
lebt man als Nimmersatt.
Gaudeamus igitur
Juvenes dum sumus.
JURIST belehrend.
Nach dem Gesetz ist Eigentum geschützt
vor Raub und vor Zerstörung.
Zum ersten gewandt.
Mit dem zerbrochenen Teller machst du dich strafbar.
ERSTER. War es doch eine reine platonische Handlung.
NATURGELEHRTER. Alles zerfällt, doch bildet es sich neu, verwandelt sich unendlich,
geht über in verschiedne Formen und Gattungen.
EIN ANDERER. Als wie dein lustiger abendlicher Affe zum melancholschen Kater des Morgens wird.
ERSTER STUDENT. Doch die platonische Lehre –
THEOLOGE schneidet ihm das Wort ab. Was Gott geschaffen, das gilt.
JURIST ebenso. Nach dem Gesetz bleibt Eigentum geschützt.
NATURGELEHRTER ebenso. Alles zerfällt, verwandelt sich ewig.
CHOR.
Prosit, Prosit! So werden wir nicht fertig
bis zum Morgen,
mit Kater nicht, noch ohne Kater.
Gaudeamus
Juvenes sumus.
ERSTER. Der Meister spreche.
MEHRERE. Ja, der Meister spreche.
FAUST.
Nichts ist bewiesen und nichts ist beweisbar.
Bei jeder Lehre hab ich neu geirrt.
Gewiß ist nur, daß wir kommen um zu gehen:
Was zwischen liegt, ist das, was uns betrifft.
Drum weis‘ ich auf des großen Protestanten lebendigen Spruch –
ERSTER. Den Spruch eines Abtrünnigen –
Hier gruppieren sich die beiden Studenten-Chöre in Katholiken und Protestanten.
ZWEITER. Eines Helden und Heiligen –
DRITTER. Eines Prahlers –
VIERTER. Eines Ketzers.
EIN STUDENT. Ich seh‘ ihn ganz als einen neuen Heiland, einen aufrechten deutschen Mann –
ERSTER. Bah! der rechte Heiland war doch gar kein Deutscher! –
CHOR Protestanten. Ihr Päpstlichen bleibt doch die ärgsten Ketzer –
CHOR Katholiken. Säß’t ihr in Spanien, wär’t ihr längst verbrannt –
CHOR Protestanten. Und ihr seid ausgebrannt, ein Häufchen Asche –
KATHOLIKEN. Zum Teufel ihr –
PROTESTANTEN.
Und ihr zur tiefsten Hölle -, zum Teufel selber – –
ist ein Held und ein Heiliger,
ist ein aufrechter deutscher Mann,
der neugeborne Heiland.
FAUST belustigt, gütig beschwichtigend. Ihr Freunde, seid mir doch über Teufel und Hölle einer Meinung. Der Spruch, auf den ich wies, wird euch versöhnen. Er sagt, daß Wein, daß Frauen, Kunst und Liebe zu den vernünftigen tröstlichen Dingen des Lebens zu rechnen sind, und schließet mir mit ein die zarten, heiteren, jubelnden Weisen der heiligen Tonkunst.
PROTESTANTEN. Hoch die Frauen!
KATHOLIKEN. Heil dem Gesange.
PROTESTANTEN. Doktor Martin, er lebe! Vivat!
KATHOLIKEN.
Samt Teufel und Hölle.
Te, Deum, laudamus,
qui fecisti vinum,
Te, Dominum, glorificamus,
qui feminam creavisti.
Dum puellas adoramus,
te eiscum exultamus.
Circulate pocula
in saeculorum saecula.
PROTESTANTEN springen glaubensbesessen auf.
»Ein‘ feste Burg ist unser Gott,
ein‘ starke Wehr und Waffen,
er hilft uns frei aus aller Not,
die uns jetzt hat betroffen.«
Tumult. Man steigt auf Bänke und Tische, entkorkt Flaschen, umarmt einander. – Die Protestanten gehen, im Gänsemarsch, entrüstet ab, mit hochgehobener Hand. – Die Studenten leeren sämtlich die vollen Gläser und setzen sie, mit einem Schlage, auf den Tisch nieder.
EIN STUDENT. Ihr, Doktor, weit gereist, erfahren, müsset den Frauen viel begegnet sein.
Zögernd.
Möchtet Ihr nicht ein Weniges verraten?
Faust wird nachdenklich.
EINIGE. Wie die Erinn’rung ihn sichtbar ergreift.
ANDERE. Er sieht nicht glücklich aus.
FAUST der die letzten Worte aufgegriffen, still.
Nur der blickt heiter, der nach vorwärts schaut.
Er versinkt in Erinnerung – zur Mitteilung sich entschließend.
Von allen Frauen, die mich geliebt, die Schönste,
war eine Herzogin aus welschem Lande -.
EINIGE. Hört, eine Fürstin –
ANDERE. Gar eine Fränzin.
FAUST.
An ihrem Hochzeitstag gab sie sich mir zu eigen.
EINER. Ihr habt sie wohl verzaubert und behext?
FAUST.
Wenn Wohlgestalt und Geist und Mannheit zaubern,
so hab ich sie behext in aller Form.
EINER. Ist’s lange seither?
FAUST. Wohl kaum ein Jahr ist’s her, doch ferne liegt’s hinter mir. Die Spur hab ich verloren.
Ob sie noch meiner denkt -?
MEPHISTOPHELES als bestaubter Kurier, zeigt sich am Eingang. Unruhe, Bewegung unter den Studenten. Laßt euch nicht stören. Zu melden hab ich: Die Herzogin von Parma ward begraben; dies schickt sie Euch als ein letztes Gedenken!
Er wirft Fausten ein totes neugeborenes Kind vor die Füße.
ALLE.
Wer ist der Mann? Entsetzlich!
Verdächtiger Geselle! –
Sicher ein gedungner Helfer,
ein Mörder, ein Verbrecher,
ein verdächtiger Schurke! Bekennet!
MEPHISTOPHELES.
Gemach, ihr Herren, den Boten trifft keine Schuld. Ich selber leide,
daß ich mit nichts Gefälligerem kann aufwarten;
denn so verhält sich die Begebenheit,
sie spielt in Parma.
Dort war ein dummer Herzog, der freit‘ eine geile Frau,
der Bräutigam ihr schwer wog,
denn er war so fromm und so flau.
Da kam daher ein Doktor, trat auf mit großer Pracht,
Der nahm sie ohne weit’res an ihrer Hochzeitsnacht.
CHOR.
Gut gemacht!
MEPHISTOPHELES.
Auf Höllenflügelrossen entführt er sie durch die Luft,
sie schwoll mit einem Sprossen,
und er sich erwies ein Schuft.
Die Frau mit ihrem Kinde, er ließ sie, wo sie stand,
daß ich ihn hier wiederfinde, erscheint mir ungalant.
CHOR betreten.
Sollt‘ er es sein?!
MEPHISTOPHELES.
Auf ihrem Sterbebette hat sie ihm den Balg vermacht,
es fehlt nicht viel, ich hätte lebendig ihn hergebracht.
Doch unterwegs krepiert er, ich hielt ein Aas im Arm.
Ich hoffe, diese Geschichte klingt gänzlich ohne Harm.
Ich berichte diese Geschichte noch eben brühewarm.
CHOR.
Hört, o hört, o schändlich, o grausig.
Was meint der Mann? Erklärt Euch!
Genug, genug! Wehe dem Bösen.
Sich zusammendrängend.
MEPHISTOPHELES.
Nehmt’s nicht zu tragisch. Seht genauer hin.
Ein Püppchen ist’s aus Stroh.
Er holt von der Stelle, wo das Kind lag, ein Strohbündel hervor.
Schaut! und nicht einmal recht täuschend nachgeahmt.
Er zeigt das Strohbündel im Kreise umher.
CHOR.
Ein Strohwisch!
MEPHISTOPHELES.
Und zur Ergötzung wollen wir es verbrennen,
auf daß der böse Schreck sei ausgetilgt.
Er zündet das Bündel an und schürt es durch Beschwörungsgesten.
Also verbrenn‘ ich das, was gewesen ist,
zu Asche wandl‘ ich, was nicht mehr lebt,
ein Schöneres soll dir
zum Trost erstehn.
FAUST.
Was gaukelst du mir vor?
MEPHISTOPHELES.
Hab‘ erst Geduld!
Geheimnistuerisch.
Sie schreitet aus entlegenen Zeiten
und schleppet nach sich das Schicksal zweier Völker,
maßlos an Schönheit, unerschöpft an Liebe,
an Jugend unvergänglich, Helena.
Die Flamme steigt höher.
FAUST. ungläubig, doch erregt.
Helena, sie sollt‘ ich schauen?
MEPHISTOPHELES.
Und sie fassen.
FAUST.
Ein Trugbild.
MEPHISTOPHELES.
Nein, sie selbst.
FAUST.
Er spricht nicht wahr.
MEPHISTOPHELES. wendet sich wieder zum Feuer.
Ducke dich, Flamme.
Rauchsäule steige,
Nimm an Gestalt.
FAUST.
Mich durchschauert
Vollkommenheitsgewalt!
Werd‘ ich’s ertragen?
CHOR.
Ist’s Scherz, ist es Betrug?
Sakrileg?
Die Studenten schleichen sich fort.
MEPHISTOPHELES.
Sieh, wie die Laffen sich seitwärts schlagen.
He he he he he he!
Der Akt vollzieht sich.
Die Luft ist rein.
Ein Dritter müßte stören,
Ich laß euch drum allein,
hoffe noch davon zu hören.
Er geht ab.
FAUST allein.
Traum der Jugend,
Ziel des Weisen!
Reinster Schönheit
Bildvollendung:
Dich zu üben,
Dich zu preisen,
Dich zu lehren
War mir Sendung.
Unerkannte,
Unerreichte,
Unerfüllte,
tritt hervor!
Durch Rauch und Flamme treten die Umrisse der Figur stetig deutlicher hervor.
Was ich sehnte,
was ich wähnte:
höchsten Wunsches
Rätselformen.
Ein vollkommen schönes, junges Weib, in durchsichtigem Schleier, im übrigen nackt, steht unbeweglich.
Zugleich hat der neue Hintergrund das Bild der Schenkstube völlig verdrängt.
FAUST.
Ich schaue dich …
Und nun werd ich dich halten!
Nur Faust, berührte je das Ideal!
Faust nähert sich der Gestalt; diese weicht zurück.
Du weichst, entfliehst, …
kannst du dich vielgestalten?
Helena, endlich zu mir!
Als er sie endlich zu halten wähnt, zerfließt die Erscheinung in Nichts.
Ach, abermals betrogen!
Verschwunden nun für immer!
Der Mensch ist dem Vollkommenen
nicht gewachsen.
Resigniert.
Er strebe denn
nach seinem eigenen Maße
und streue Gutes aus,
wie es ihm gegeben.
Ich weiser Narr,
ich Säumer, ich Verschwender!
Nichts ist getan,
alles zu beginnen;
der Kindheit fühl‘ ich wieder mich genähert.
Seherisch.
Weithin schaut auf mein junges Gelände,
dort unbebaute Hügel, schwellendes Erdreich,
führen zu neuem Aufstieg.
Wie verheißend lächelt das Leben
im erwachenden sonnelichten Tag!
Als er sich umblickt, gewahrt er, schemenhaft umrissen, drei Gestalten.
FAUST. Naht das Verhängnis? Laut.
Nennt euch mit Namen!
DIE DREI. Studenten aus Krakau.
FAUST. Ihr seid’s. Und welcher Art sind heute eure Wünsche? Sprecht!
ERSTER. Das Buch abzufordern.
ZWEITER. Den Schlüssel.
DRITTER. Mir die Briefschaft.
FAUST. Zu spät, sie hab‘ ich vernichtet.
DIE DREI starr. Faust, deine Frist ist um. Zu dieser Mitternacht bist du vergangen.
FAUST. Was wollt ihr wissen?
Ihr seid entlassen, entfernt euch.
Mit weltmännisch- gebietender Geberde weist er die drei hinaus, die in Dunst aufgehen.
DIE DREI. Fahr‘ hin, Faust.
FAUST befreit.
Vorbei, endlich vorbei!
Frei liegt der Weg, willkommen
du meines Abends letzter Gang, –
willkommen bist du.
Schickt sich an zu gehen.
Vorhang.
Letztes Bild.
Verschneite Straße in Wittenberg. Links einer der Eingänge zum Münster. Um die Ecke, an der nämlichen Mauer, ein lebensgroßes Kruzifix mit Kniestufe davor. Es ist Nacht.
DES NACHTWÄCHTERS STIMME (Mephistopheles).
Ihr Männer und Frauen, laßt euch sagen,
die Glocke hat Zehn geschlagen.
Zehn geschlagen.
Bewahrt das Feuer, bewahrt das Licht,
daß kein Schaden der Stadt geschieht,
Zehn ist die Glock‘.
Es treten, nacheinander, einzelne Gruppen von Studenten auf, die vor dem Eingange des Hauses, das rechts dargestellt erscheint, sich aufstellen und versammeln. Zuletzt Wagner, ehemaliger Famulus, jetzt Rector Magnificus, umgeben von seinen Vertrauten.
ERSTER STUDENT. Die Antrittsrede Euerer Magnifizenz war unvergleichlich. –
EINIGE. Musterhaft. –
ANDERE. Meisterlich. –
ANDERE. Cum perfectione! –
ALLE akklamierend. Meinen Glückwunsch! Gratulor, – Doctor Christophorus Wagnerus, – Rector Magnificus.
WAGNER. Qualis orator, talis oratio. – Ich war wahrlich darauf nicht gefaßt.
MEHRERE. Sie hätten nicht glänzender Ihr hohes Amt antreten können.
EINER. Endlich der eines Fausten würdige Erbfolger!
ALLE. Gratulor, gratulor, gratulor!
WAGNER. Je nun, der Faust war mehr von einem Phantasten; als Gelehrter nicht eigentlich vollwichtig, und, gnad‘ uns Gott, sein Wandel war anstößig. Genug: ich bin das Feiern nicht gewohnt – die späte Stunde – die gewaltige Arbeit – kurzum, ihr Herren, gute Nacht.
Er zieht sich in das Haus zurück.
STUDENTEN.
Euerer Magnifizenz wohl zu ruhen.
Stimmet an! lala, lalala Silentium!
Klatschen dreimal in die Hände, mit den Akkorden zugleich.
Sie stimmen an.
Wenn das Wissen mit der Tugend
Würde sich dem Manne paart,
dann ergreifet unsre Jugend
Ehrfurcht vor dem langen Bart.
Hut ab vor dem alten Haus,
ihm gebühret summa laus.
Euerer Magnifizenz
alleruntertänigste Reverenz.
STIMME DES NACHTWÄCHTERS.
Ihr Männer und Frauen, laßt euch sagen,
die Glocke hat Elf geschlagen.
Bewahrt das Haus, bewahrt die Ehr‘,
daß der Nachbar nicht sich beschwer‘.
Elf ist die Glock‘.
Die Studenten, befangen geworden, brechen das Ritornell ab.
STUDENTEN nehmen das unterbrochene Ritornell wieder auf.
Wenn die Schöne mit der Tugend
Anmut sich den Mädchen eint,
dann ergreifet unsre Jugend – –
Der Nachtwächter schreitet im Hintergrunde über die Bühne.
Die Studenten flüchten wie Knaben um die nächste Ecke.
EINIGE.
– – die Flucht.
ANDERE.
Fugam.
ALLE.
Fugam, die Flucht.
Man hört die Studenten draußen zu Ende singen.
Dann ergreifet unsre Jugend
etwas, das am hellsten scheint.
Würde schreitet hölzern-alt,
Weisheit fühlt sich an so kalt.
Vor des Weibs Magnifizenz
allertiefste Reverenz.
Faust tritt auf. Auf den Eingangsstufen des Hauses eine Bettlerin, einen Säugling im Arm.
FAUST. Das Haus ist mir bekannt, es war das meine. Weiß auch, wessen das Licht einst, das dahinter glimmt. Da sitzest du, Pedant, auf meinem Stuhl, und wähnst dich sitzend höher als ich saß. O Nacht der Nächte, Stunde du der Stunden. Wie fass‘ ich euch, daß ihr mein krankes Herz mit mir versöhnet!
CHOR vom Innern der Kirche her.
Der Tag des Gerichts ruft uns herauf,
Alle Seelen folgen dem tönenden Licht.
Auferstehet!
Verhüllten Auges harren sie bang des erlösenden Richterwortes,
doch die Böses vollbrachten,
sind auf ewig verbannt.
FAUST. Quälendes Herz! Du kennst keine Vernunft!
Die Mutter lehrte mich, ein gutes Werk bringt Heilung dem, der’s tut – -.
Welches Werk denn -?
Er erblickt, auf den Eingangsstufen des Hauses gekauert, eine Bettlerin, ein Kind im Arme.
Du ärmstes Weib, nicht elender als ich,
mein letztes Gut sei dein; ah!
Er erkennt die Herzogin.
– die Toten leben fort!
HERZOGIN streckt Faust das Kind entgegen.
Nimm, nimm das Kind,
zum dritten Male
schenk‘ ich es dir.
Noch ist es Zeit –
noch ist es Zeit, vollende,
vollende du vor Mitternacht das Werk.
Faust empfängt das Kind, die Bettlerin verschwindet.
FAUST.
Meine bösen Geister sie treiben ihr Spiel.
Ein Höherer soll euch bannen. Nun stehe,
Gott, mir bei!
Er will in die Kirche dringen, die plötzlich von innen hell erleuchtet erscheint. Aus der Kirchentür tritt der geharnischte Bruder und wehrt den Eingang.
CHOR.
Gott, der nicht immerdar
der Herr der Milde
und der Gnade ist,
zu Zeiten auch der Rache,
der Vergeltung und der Strafe,
als den du sollst ihn erkennen,
er hört nicht dein Gebet, nein, nein.
FAUST.
Auch du! Laß mich, laß mich!
Der Geharnischte streckt ihm das Schwert entgegen.
FAUST.
Hinweg, ich hab‘ zu beten!
Zergehe, du Höllenspuk, noch bin ich Herr!
Die Erscheinung schwindet. Faust schleppt sich, das Kind im Arm, zu den Stufen des Kruzifixes.
FAUST.
O, beten, beten! Wo die Worte finden?
Sie tanzen durchs Gehirn wie Zauberformeln. – –
Ich will wie ehmals aufschauen zu dir.
Er richtet den Kopf auf.
Der Nachtwächter, von hinten herangeschlichen, hebt seine Laterne. In ihrer Beleuchtung verwandelt sich der Gekreuzigte in Helena.
FAUST. Verdammnis! Gibt es keine Gnade? Bist du unversöhnbar?
Der Nachtwächter entfernt sich.
Faust reckt sich neu gekräftigt auf.
FAUST.
So sei das Werk vollendet.
Hilf, Sehnsucht,
Urzeugerin,
zwingende,
erfüllende Kraft,
dich ruf‘ ich an zu höchstem Tun.
Faust legt das tote Kind auf den Boden, deckt es mit seinem Mantel, löst den Gürtel, … tritt in den Kreis.
FAUST beschwörend, verzückt.
Blut meines Blutes
Glied meines Gliedes,
Ungeweckter,
Geistig-reiner,
noch außerhalb aller Kreise
und mir in diesem
innigst verwandt,
dir vermach‘ ich mein Leben:
es schreite
von der erdeingebissenen Wurzel
meiner scheidenden Zeit
in die luftig knospende Blüte
deines werdenden Seins.
So wirk‘ ich weiter in dir,
und du zeuge fort
und grabe tiefer und tiefer
die Spur meines Wesens
bis an das Ende des Triebes.
Was ich verbaute,
richte du grade,
was ich versäumte,
schöpfe du nach,
so stell‘ ich mich
über die Regel,
umfaß in Einem
die Epochen
und vermenge mich
den letzten Geschlechtern:
ich, Faust,
ein ewiger Wille!
Er stirbt.
STIMME DES NACHTWÄCHTERS (Mephistopheles).
Ihr Männer und Frauen, laßt euch sagen,
das Wetter hat umgeschlagen,
der Frost kündigt sich an,
die Glocke schlägt die Mitternacht.
An der Stelle, wo das tote Kind lag, ist ein nackter, halbwüchsiger Jüngling aufgestiegen, einen blühenden Zweig in der Rechten. Mit erhobenen Armen schreitet er über den Schnee in die Nacht und in die Stadt hinein. Der Nachtwächter (Mephistopheles) erscheint und leuchtet mit der Laterne über den dahingestreckten Faust.
MEPHISTOPHELES.
Sollte dieser Mann verunglückt sein?
Vorhang
Finis.