Gioacchino Rossini

Die diebische Elster

Oper in zwei Akten

Personen

  • Fabrizio Vingradito, ein reicher Pachter
  • Luzia, seine Frau
  • Johann, ihr Sohn, Soldat
  • Ninetta, Dienstmädchen im Hause des Fabrizio
  • Ferdinand Villabella, Ninettens Vater, Soldat
  • Gotthard, Oberrichter des Fleckens
  • Pippo, ein Bauernbursche in Fabrizio’s Dienst
  • Isaak, ein Handelsjude
  • Anton, Gefängnißwärter
  • Georg, Diener des Oberrichters
  • Gregorio, Schreiber des Oberrichters
  • Ein Häscher
  • Gensd’armes
  • Landleute
  • Dienstleute von Fabrizio

Die Scene ist in einem großen Flecken unweit Paris.

Erster Akt.

Erste Scene.

Ein weiter Hof in Fabrizio’s Hause. Vorn ein ländliches Thor mit einer Weinlaube davor. An einem Pfeiler hängt ein offner Käfig, in welchem man eine Elster sieht. In der Mitte des Hintergrundes eine Gitterthüre, durch welche man in den Hof kommt. Darüber hinaus Hügel und Landschaft.

Landleute. Dienstleute Fabrizio’s, welche die zum Decken eines Tisches nöthigen Gegenstände aus dem Hause bringen. Pippo tritt eilig auf, nach ihm Luzia mit einem Korbe mit Tafelzeug u.s.w.; endlich Fabrizio und Knechte mit Weinflaschen.

CHOR.
Welcher Tag voll hohen Glückes!
Welche Freud‘ erlebt man heut!
PIPPO.
Nach so vielen langen Monden,
Zugebracht in Krieg und Schlachten,
Kommt der junge Herr nun endlich
Zu den Eltern heut zurück.
EIN THEIL DES CHORS UND PIPPO.
Ja, er kommt, der Sohn vom Hause.
ALLE.
Ja, er kommt, der brave Junge!
Welcher Tag voll hohen Glückes,
Welche Freud‘ erlebt man heut.
DIE ELSTER.
Pippo, Pippo!
PIPPO.
Wer doch rief mich?
CHOR.
Keiner, keiner!

Sie werden die Elster gewahr.

Ha, ha, ha!
DIE ELSTER.
Pippo!
PIPPO.
Wieder?
CHOR auf die Elster deutend.
Diese war es.
PIPPO.
Du verwünschtes Thier da oben,
Wart‘, ich will Dir es gedenken!
DIE ELSTER.
Pippo, Pippo!
PIPPO.
Halt Dein Maul!
CHOR.
Pippo, Pippo! – ha, ha, ha!
LUZIA.
Ihr Schlingel, was macht Ihr?
Das nennt Ihr gehorchen?
So rührt doch die Hände,
Den Tisch da gedecket,
Hier unter der Laube
Da speist sich’s so gut!
Wie langsam! macht vorwärts!
Da nehmt doch! nun rührt Euch!
Mein Sohn, wie Ihr wisset,
Wird kommen nun bald.
PIPPO UND CHOR.
Welch‘ fröhliche Stunden
Erblicken wir schon.
LUZIA.
So sind denn die Sorgen
Doch endlich entflohn.
Hör, Ninette! Wenn ich rufe
Liegen Alle auf den Ohren!
Und mein Mann ist nicht zu haben,
Wo er jetzt nur bleiben mag?
PIPPO UND CHOR.
Herr Fabrizio ist schon hier.
FABRIZIO.
Gleich dem Bachus kommt gezogen
Er einher auch im Triumphe,
Und er bringt mit sich die Freude,
Bringt den klaren hellen Nektar,
Welcher in den Adern stärket
Jugendkraft und Heiterkeit!
ALLE.
Bachus lebe, und sein Keller,
Jedes Alters bester Arzt.
LUZIA zu Fabrizio.
Endlich kommt mit seinem Abschied
Heut mein liebes Söhnchen wieder.
FABRIZIO.
Sicher, und bald wollen wir nun
Ihn im Ehestande sehen.
LUZIA.
Ich, ich muß die Frau ihm wählen,
Das ist meine Sache, Alter!
Nehmen muß er sich –
DIE ELSTER.
Ninette.
FABRIZIO.
Ha! die Elster hat’s errathen.
LUZIA.
Dumme Streiche!
FABRIZIO.
Wollen sehn.

Er geht zur Clster und liebkost sie.

Bravo, bravo!

Sie beißt ihn.

Au!
LUZIA.
Was gabs denn?
FABRIZIO.
Mich gebissen –
LUZIA.
Nun, da hast Du’s.
FABRIZIO.
Aber sie hat’s doch errathen.
LUZIA.
Schnick! schnack!
FABRIZIO.
Nun, wir wollen sehn.
ALLE.
Hat die Elster es errathen,
Sind wir Alle hochvergnügt.
EIN THEIL DES CHORS auf den Tisch zeigend.
Dort wird euer Hänschen sitzen!
FABRIZIO MIT ANDERN.
Nah bei’m Vater und bei’m Bräutchen.
PIPPO MIT DEN UEBRIGEN.
Nah bei Mütterchen und Mädchen.
LUZIA.
Nah bei seiner lieben Mutter.
ALLE.
Mit Entzücken ihn erzählen
Hören wir die Schlachtgeschichten.
Bald wird er in Muth entbrennen,
Seufzen bald mit mildem Sinn!
Und indessen mit den Gläsern
Stößt ein Lebehoch man an.

Die Landleute gehen ab.

FABRIZIO. Was zum Henker, schon 11 Uhr vorbei, und Johann schrieb doch, daß er zu Mittage hier sein wollte.
LUZIA. Alle Wetter, schon so spät! – und noch läßt sich Ninette nicht sehen! Wo ist sie nur? Weißt Du’s, Pippo?
PIPPO. Ich denke, sie ist auf den Hügel dort gegangen, um Erdbeeren dort zu pflücken.
LUZIA. Fabriz! Ich bin seit einiger Zeit recht unzufrieden mit Ninetten. – He! Pippo! Anton! Ignaz! schert Euch fort und bringt Alles in Ordnung. Pippo und die Knechte gehen ab. Wenn ich sie nur einmal kriege, das Püppchen.
FABRIZIO. Sei doch nur einmal gut. Du zankst beständig mit ihr, und immer ohne Ursache.
LUZIA. Allerliebst! – So! Wenn sie unterm Lachen und Schäkern die silbernen Gabeln verliert, und mir dann darüber ein wenig die Galle überläuft, da soll ich wohl keine Ursache dazu haben?
FABRIZIO. Ei freilich, große Ursache! Am Ende ist’s eine einzige Gabel gewesen, die durch Zufall verloren gegangen ist, und wer weiß denn, ob wir sie nicht einmal wieder finden. Nein, nein, Luzchen, Du mußt das arme Mädchen freundlicher behandeln.
LUZIA spottend. Ei seht doch einmal.
FABRIZIO. Du mußt wenigstens in ihr ihr Unglück beachten. Wer nun einmal zu einer niedrigen Lage bestimmt ist, den müssen wir deshalb nicht hart behandeln.
LUZIA. Nun, sage ich denn das nicht auch? – Doch still davon, die Zeit hat Eile. Jetzt will ich nur einen Augenblick in die Küche laufen, und wenn Dir’s dann recht ist, gehn wie unserm Sohne entgegen. Ab in’s Haus.
FABRIZIO. Schön! Ich geh‘ indeß in den Küchengarten, und warte dort auf dich. Ab.

Zweite Scene.

Ninetta mit einem Körbchen voll Früchten. Sie kommt den Hügel herab durch das Gitterthor. Dann Fabrizio , zuletzt Luzia mit dem Körbchen, worinnen Löffel, Messer u.s.w. liegen.

NINETTA.
Lust und Freude schwellt mein Herz!
Alle Wünsch sind erfüllet!
Vater und Geliebten soll
Heut ich endlich wiedersehen!
Dieser drückt mich an die Brust!
Jener – jener? – ja! was der? –
Gott der Liebe mein Vertraun
Hofft auf dich, belohn‘ die Tren!
Alles umlächelt
Fröhlich mich heute,
Schön’re Stunden
Lebt ich noch nie.
Schon sind vegessen
Leiden und Schmerzen,
Wonnen nur winken.
Reizend mir zu.

Sie stellt ihr Körbchen auf den Tisch.

FABRIZIO er kommt aus dem Garten mit Obst, das er auf den Tisch legen will. Ey, wie wird meinem guten Sohne das schmecken!
NINETTA zu Fabrizio. Guten Tag! guten Tag!
FABRIZIO. Bist Du endlich da, Ninettchen? Hast Du Erdbeeren gepflückt?
NINETTA. Ein ganzes Körbchen voll. Da!
FABRIZIO. O schön und frisch wie Du! – Höre, Schätzchen, heut muß Alles hier vor Lust, Freude und Liebe springen.
NINETTA. O ja, das hoff ich auch. – Euer Sohn –
FABRIZIO. Ha, ha, mein Sohn! – ich weiß schon, er gefällt Dir! – Nun, schon gut.
NINETTA. Wie glücklich bin ich.
FABRIZIO. Still, da kommt meine Frau.
NINETTA. Ach, mein theurer Herr! Sie küßt ihm die Hand, er liebkoset sie.
LUZIA. Ei seht einmal, das ist ja ganz scharmant! – Alter! wenn wirst Du denn einmal gesetzt werden? – Zu Ninetta. Da nimm hier die Gedecke und hab‘ wohl acht, daß nichts verloren geht.
NINETTA. Ach Gott, nein, ich wollte lieber sterben, als daß noch einmal was fehlen sollte.
LUZIA. Das sagst Du immer, und doch ist die Gabel davonspazirt.
NINETTA. Ich bin unschuldig daran.
LUZIA. Aber doch!
FABRIZIO. Laß Du’s doch gut sein und komm. Er nimmt nicht ohne Unmuth Luzia. bei’m Arme.
LUZIA. Nun, ja, ich gehe schon.
FABRIZIO. Leb wohl, Ninetta! Macht sich von Luzia los und sagt Ninetta etwas ins Ohr.
LUZIA. Seht einmal an, wie zärtlich! – Mit einem Dienstmädchen muß man nicht so vertraut sprechen. Sie zieht Fabrizio zu sich.
FABRIZIO. Nun, weine nur nicht, Liebchen! Habe nur Geduld.

Luzia und Fabrizio gehn über den Hügel fort. Ninetta macht das Thor zu und tritt dann in das Haus.

Dritte Scene.

Isaak, erst in der Scene, dann zeigt er sich mit seinem Krame am Gitterthor. Bald darauf Pippo, der etwas auf den Tisch trägt.

ISAAK.
Schwefel, Schnüre, Strumpfenbänder,
Federmesser, Gabeln, Spangen,
Kämme, Schwefel, Feuersteine,
Dochte und solch andre Sachen.

Vorwärts, vorwärts,
Wer will kaufen
Und verkaufen,
Tauschen auch!
PIPPO. Ach, da läßt sich der alte Isaak wieder einmal hören. Spart Euch die theure Lunge, lieber Freund, heut wird nichts, gar nichts, denn wir haben kein Geld im Beutel.
ISAAK. Nun, so kaufe ich, oder tausche, wenn’s gefällig ist. Da seht nur einmal das schöne Käppchen da. Das müßte Euch herrlich stehn. Alles schöne Waaren, Alles nach der neuesten Mode, Alles gut und ächt.
PIPPO. Geht nur, ich sag’s Euch ja.
ISAAK. Nun, so grüßt mir die schöne Ninetta, und sagt ihr, daß wenn sie etwas von mir brauchen sollte, so könnte sie mich finden im neuen Gasthofe, da bin ich eingekehrt. Ab.

Vierte Scene.

Pippo. Ninetta mit Blumen für die Tafel.

NINETTA zu Pippo. War mir’s doch, als hätte ich die Stimme von dem alten Handelsjuden gehört, der immer alle Jahre hier durch kommt.
PIPPO. Freilich war er’s. Er fragte auch nach Euch.
NINETTA. Verbunden!
PIPPO. Einen größern Spitzbuben habe ich noch nie gesehen.

Man hört hinter dem Hügel eine ländliche Musik.

NINETTA. Welcher Ton!
CHOR DER LANDLEUTE von weitem. Er lebe! er lebe!
NINETTA. Ach was ruft man?
LANDLEUTE wie oben. Seid willkommen!
PIPPO. Es ist Hänschen!
NINETTA.
O Geliebter!
Komm und tröste wieder mich.
Augenblick der größten Wonne!
Wie das Herz mir freudig klopft.
PIPPO.
Nun heraus, heraus, sie kommen!
Aufgeschaut, er ist nun da!

Er läuft in’s Haus und ruft die Dienstleute.

Fünfte Scene.

Ninetta, Pippo, Johann, Fabrizio und Landleute beiden Geschlechts kommen von dem Hügel herab. Fabrizio’s Dienstleute aus dem Hause. Als Johann Ninetta sieht, eilt er voraus, und trifft mit ihr an dem Gitterthore zusammen.

CHOR.
Bravo! bravo! seid willkommen!
Bleiben müßt Ihr immer hier.
JOHANN zu Ninette.
O komm in meine Arme,
Mir klopft das Herz voll Lust!
Denn wahre Liebe spricht
In Worten sich nicht aus.
In Sturm und Kampf und Siegen
Stand’st immer Du vor mir,
Und flößtest Muth und Kräfte
Mir unerschöpflich ein.
Doch was ich heut‘ empfinde,
Ninetta, ist so köstlich,
Ist solche neue Wonne,
Daß ich’s nicht sagen kann.
PIPPO, FABRIZIO UND CHOR.
Sie sind zwei Turteltäubchen,
Wie mich das glücklich macht

Alle begrüßen Johann Auf ein Zeichen Luziens geht Pippo mit den Dienstleuten in’s Haus. Sodann bringen sie von da Präsentirteller mit Gläsern und vertheilen diese unter die Landleute. Pippo stellt sich mit einem großen Becher in der Hand mitten in das festliche Getümmel und stößt mit allen im folgenden Gesange an:

PIPPO.
Auf, trinket und klinget,
Stoßt an um die Wette,
Im Herzen erwache
Die heiterste Luft.
ALLE.
Auf, trinket und klinget,
Die Freude zieht ein.
PIPPO.
Wenn’s perlt im Gläschen,
Wenn glänzet so golden,
So freuen sich Arme
Wie Reiche der Lust.
ALLE.
Auf, trinket, es würzet
Die Freude den Wein.
PIPPO.
Das Glas ist für Pippo.
Das Pfeifchen und Weibchen,
Der Becher ertödtet
Die Leiden der Brust.

Hier endet das Fest und die Landleute entfernen sich.

JOHANN. Mein gutes Mutterchen, Ihr habt mir ja noch nichts von meinem lieben Oheim erzählt. Wie gehts ihm denn?
LUZIA. Ach, der hat noch immer sein Podagra.
JOHANN. Ich muß ihn sehn, muß ihn umarmen.
FABRIZIO. Gut, wir können Alle mit einander zu ihm gehen. Was meinst Du, Frauchen?
LUZIA. Ein guter Gedanke. – Ninetta, gieb auf Alles fein Acht. – Pippo
PIPPO. Was beliebt?
LUZIA. Schere Dich mit unsern Leuten in die Küche und eßt und trinkt da, so viel Ihr in Euch bringen könnt.
PIPPO. Nun, wir wollen Euch schon Ehre machen. Ab ins Haus.
JOHANN. Auf Wiedersehn, Theure! Zu Ninetta.
NINETTA. Auf Wiedersehn, aber bald.
LUZIA zur Elster. Nun, du armes Thierchen, komm her. Küß mir die Hand. Adieu, du Mätzchen.

Fabrizio, Luzia und Johann gehen zur Thür ab, die nach der Straße führt. Von oben die Hügel herab sieht man Ferdinand kommen, der sich immer schüchtern umsieht.

Sechste Scene.

Ninette. Bald darauf Ferdinand

NINETTA. O mein Geliebter! – Doch jetzt geschwind die Gedecke durchgezählt – Ach, wie tief fühl‘ ich’s, daß ich ihn unaussprechlich liebe.
FERDINAND erkennt Fabrizio’s Haus. Ich irre mich nicht.
NINETTA. Richtig, Alles da.
FERDINAND. Gott! – Das ist gewiß meine Tochter Welch eine schreckliche Nachricht muß ich ihr bringen!
NINETTA. Mein Himmel! – Ein Mann! – Er scheint zu weinen. Sie naht sich ihm furchtsam. Womit kann ich Euch helfen?
FERDINAND er entdeckt sich ihr schmerzlich. Meine theure Tochter!
NINETTA in höchster Freude sich in seine Arme stürzend. O mein Vater!
FERDINAND. Still! verrathe mich nicht.
NINETTA. Wie? – Was sagt Ihr?
FERDINAND. Höre und zitt’re. – Gestern Abend rückte meine Schwadron in Paris ein. Ich bat sogleich den Rittmeister um die Erlaubniß, Dich zu besuchen. Hart und grausam schlug er es mir ab. Dies setzte mich in Wuth, und ich entgegnete leb haft. Schurke! rief er da ans, und wollte mit dem Degen auf mich ein. Auch vor meine Augen zog die Wuth einen Schleier, ich ziehe den Degen, setzte mich zur Wehre und wir kamen schon mit den Klingen an einander, da tritt sogleich einer meiner Kameraden ein und fällt mir in die Arme.
NINETTA. Nun, – weiter, theurer Vater!
FERDINAND. O schreckliches Schicksal! Ich ward entwaffnet und zum Tode verurtheilt.
NINETTA. Weh mir!
FERDINAND. Freunde halfen mir entflieh’n. Der edle Ernst bedeckte mich mit diesen Lumpen und begleitete mich bis an’s erste Dorf, wo wir uns unter Thränen trennten. Freund! rief er noch aus; ach, seine Lippen vermochten kein Lebewohl hinzuzusetzen.
NINETTA.
Heiß fließen meine Thränen!
Der Muth geht mir verloren!
Doch glänzt mir noch voll Hoffnung
Ein lichter Himmelsstrahl.
FERDINAND.
Nein, nein, es giebt kein Hoffen
In dieser Schreckenslage,
Nur ewige Verbannung
Kann schützen mich vor’m Tod.
BEIDE.
In meine Arme, Vater! / Tochter!

Für sich.

Ach! ich kann mich nicht fassen,
Wer sah wohl grö’ßre Schmerzen,
Wer tief’res Leiden je?
FERDINAND.
Höre, Theure!
NINETTA.
Sprich, mein Vater!
FERDINAND.
Unter diesen Schicksalsstürmen
Wüßt ich nur …

In diesem Augenblick sieht man den Oberrichter vom Hügel herabkommen.

NINETTA.
O Gott! wer kommt da?
FERDINAND.
Nun, wer ist’s?
NINETTA.
Der Oberrichter.
FERDINAND.
Wie, was sagst Du? Gott! Verloren!
Was nun thun?
NINETTA.
Da setzt Euch nieder.

Sie führt ihn an den Tisch.

FERDINAND.
Wenn er mich erblickt –
NINETTA.
Verberget
Diese Kleider –
FERDINAND.
Doch wenn dennoch –
O schreckliches Geschick!
NINETTA.
Muth, nur Muth! ich bitt Euch d’rum!
BEIDE.
Ich zitt’re, ich bebe!
O welches Entsetzen!
Welch Loos voller Schrecken!
Der Tod ist selbst milder!
Schon flammen die Blitze;
Es rollen die Donner,
Ich trag es nicht mehr!

Ferdinand hüllt sich in seinen Ueberrock und setzt sich an die entfernteste Ecke des Tisches. Ninetta räumt den Tisch vollends ab.

Siebente Scene.

Der Oberrichter, Ninetta und Ferdinand

Der Oberrichter naht sich der Wohnung und spricht das folgende für sich, indeß schenkt Ninetta ihrem Vater ein, und sucht ihn zu trösten.

OBERRICHTER.
Ja, mein Plan ist vorbereitet,
Fehlen kann mir’s nun nicht mehr.
Erst wohl wird geschickterweise
Ihrem Stolze fein geschmeichelt.
»Nein, ich kann nicht – ach! ich will nicht!«

Er macht Ninettens Stimme nach.

»O Herr Oberrichter; fort!«
O man kennt schon solches Zieren,
Solche abgetrag’ne Formen,
Wenn das Herz schon einverstanden,
Anschickt sich zum schönen Ja.
Ja mein Plan ist vorbereitet,
Fehlen kann mir’s nun nicht mehr.

Ja, ja Ninettchen,
Ganz, ganz alleine
Find‘ ich Dich doch.
Da foll Dein Mündchen
Ein holdes Lächeln
Für mich umziehn.
Und wenn im Wogen
Der Liebesgluth,
Das schöne Händchen
Du legst auf’s Herz,
So will ich wieder
Zum Jüngling werden;
Feiern Triumph!
Mein feines Plänchen,
Es wirkt gewiß!
NINETTA ihrem Vater einschenkend. Noch ein Glas, es wird Euch Kräfte auf den Weg geben.
OBERRICHTER welcher Ninettens Stimme gehört hat und sie nur allein bemerkt. Guten Morgen, mein schönes Kind.
NINETTA. Ich bin Eure Dienerin!
OBERRICHTER wird Ferdinand gewahr. Wer ist denn der Mensch?
NINETTA. Ein armer Wand’rer, der um Hülfe bat.
OBERRICHTER. Und Du gabst ihm zu trinken, Du liebes Mädchen, was das brav ist: Aber auch ich habe großen Durst.
NINETTA. Gleich will ich Euch bedienen.
OBERRICHTER hält sie zurück. Nein, nein, mein Durst ist nicht mit Wein zu löschen.
NINETTA. Also mit Wasser?
OBERRICHTER ihr die Hand reichend. Du willst mich nicht verstehen.
NINETTA. Laßt mich doch los. Zu ihrem Vater. Nun, wie gehts Euch? Leis. Stellt Euch, als ob Ihr schläft. Zum Oberrichter wieder gehend. Wißt Ihr denn auch, daß mein Johann wieder da ist?
OBERRICHTER. Ich komm‘ eben her, um ihm meinen Gruß zu bringen.
NINETTA. Das thut mir leid. Sie sind Alle fort.
OBERRICHTER. Das schadet nichts, Du bist noch da, und das ist für mich genug. Aber der da – Er zeigt auf Ferdinand, welcher thut, als schlafe er, doch aber von Zeit zu Zeit den Kopf in die Höhe hebt, um zu sehen, was vorgeht. Warum scheert sich der nicht fort! – Sag’s ihm doch, daß er gehen soll.
NINETTA. Seht nur, er ist so müde, daß er ganz eingeschlafen ist.
OBERRICHTER für sich. Wer schläft, kann uns nicht behorchen, noch belauschen. Laut. Ach, wenn Du wüßtest, mein Täubchen, wie so lange ich schon die Gelegenheit gesucht habe, Dich allein zu finden.
NINETTA. Ach, geht doch, Ihr spaßt mit mir.
OBERRICHTER. Närrchen, Närrchen, sei doch nicht so spröde; antworte mir doch freundlich, mein Herzchen!

Achte Scene.

Die Vorigen. Georgio.

GEORGIO. Der Gerichtsschreiber Gregorio schickt mich zu Euch.
OBERRICHTER. Potz Wetter! – Das ist mir ganz ungelegen.
GEORGIO. Hier sei ein Schreiben an Euch, mit dem es große Eile habe.
OBERRICHTER. Ha! ha! – Wer hat’s denn gebracht?
GEORGIO. Ein Landreiter.
NINETTA UND FERDINAND bei Seite voll Schrecken. Was ist das?
OBERRICHTER. Georgio, gieb mir einen Stuhl! – Wir müssen doch sehen, was das ist. – Geh‘ nur, geh!

Georgio geht ab.

Neunte Scene.

Der Oberrichter. Ninetta und Ferdinand

Der Oberrichter sitzt in der Mitte der Bühne. Er nimmt ein Taschenbuch heraus und aus diesem eine Scheere, womit er das Siegel des Schreibens löset. Dann sucht er seine Brille, und da er diese nicht findet, wird er ungeduldig, daß er ohne sie nicht lesen kann. Unterdessen spricht Rinetta mit ihrem Vater folgendes bei Seite, welches zu seiner Zeit der Oberrichter unterbricht.

NINETTA. Habt ihr’s gehört! – Ach ich zittre! – Flieht, flieht während er das Schreiben liest.
FERDINAND. Kann ich denn, mein Kind! Ich habe ja keinen Heller Geld!
NINETTA. O Gott! und ich habe auch kein’s.
FERDINAND. Nun so nimm dieses Besteck, das einzige, was mir von meinem ganzen Vermögen übrig geblieben ist, Verkaufe es so bald Du kannst – heute noch – aber insgeheim – dort jenseit des Hügels steht ein großer Kastanienbaum, den die Zeit ausgehöhlt hat.
NINETTA. Ich kenne ihn.
FERDINAND. Darein lege das Geld, das Du bekömmst. Ich verstecke mich indeß im dichten Wald, und bitte Dich, laß mich, sobald es dunkel wird, dort wenigstens einen kleinen Zehrpfennig finden.
NINETTA für sich. Ach, wenn doch der alte Jude wieder käme, der vorhin – Laut. Verlaßt Euch darauf, lieber Vater, ich will Alles besorgen, geht nur, jetzt geht.
FERDINAND. Noch einen Abschiedskuß, meine Tochter!
OBERRICHTER aufstehend. Ninetta!
NINETTA. Gerechter Gott!
OBERRICHTER zu Ferdinand, der gehen wollte. Bleibt doch, guter Freund!
FERDINAND. Ich bebe!
NINETTA. Ich zittre. Leise zu Ferdinand welcher sich wieder hinsetzt, und zu schlafen sich stellt. Haltet Euch nur im Hintergrunde.
OBERRICHTER. Es kommt mir vor, als stünde in diesem Schreiben das Signalement eines Deserteurs. Zu Ninetta. So viel ich lesen kann, heißt er Ferdinand
NINETTA auf ihren Vater blickend, für sich. Ferdinand!
FERDINAND für sich. O schreckliches Schicksal!
OBERRICHTER. Das Uebrige kann ich aber ohne Brille nicht lesen. – Schätzchen, thu mir doch den Gefallen‘ und lies es mir einmal vor.
NINETTA ergreift das Blatt und fliegt es durch: für sich. Guter Gott, tödte mich, oder laß mich meinen Vater retten. Sie liest. »Ich beeile mich, Euch das Signalement eines Soldaten meines Regiment’s, der zum Tode verurtheilt war, und aus dem Gefängnisse entsprungen ist, zu übersenden. Er nennt sich«
OBERRICHTER. Nur weiter!
NINETTA. »Fer – Fer – Ferdinand« Für sich. O Gott stehe mir bei, daß ich ihn täusche.
OBERRICHTER für sich. Die Betrübniß macht sie noch schöner.
NINETTA. »Er nennt sich Ferdinand Vi – Vinella!« Sie sieht ihren Vater an, um ihm ihre Absicht verständlich zu machen.
OBERRICHTER. Weiter, weiter!
NINETTA für sich. Guter Gott! wenn ich Alles vollends lese, ist er verloren! Still für sich lesend. »Alter, 40 Jahre, Statur, 5 Fuß -«
OBERRICHTER. Nun, was hast Du nur? Kannst Du denn nicht lesen?
NINETTA für sich. Wehe mir. Laut. Es ist so eine abscheuliche Hand.
OBERRICHTER. Hätte ich nur meine Brille bei mir. Will ihr das Blatt wegnehmen, und sucht nochmals in der Tasche.
NINETTA. Erlaubt mir nur! Sie behält das Blatt. Für sich. Der Himmel helfe! Liest laut. »Alter, 25 Jahre, Statur, 5 Fuß 11 Zoll.«
OBERRICHTER. Schade um den Menschen. – Weiter!
NINETTA. »Blonde Haare, blaue Augen, breite Stirn, längliches Gesicht.«
OBERRICHTER. »Seht einmal an, das muß ein Adonis gewe! sen sein. – Also längliches Gesicht.« Nun sort
NINETTA. »Weiße Uniform. Sie sieht stets auf ihren Vater, um die Uniformsbezeichnung anders zu beschreiben, als er sie trägt. Rothe Aufschläge. Wenn ein solcher sich in Eu’rem Gerichtssprengel sollte blicken lassen, so nehmt ihn sogleich gefangen.«
OBERRICHTER. Ist meine Sorge! Er läßt sich von Ninetta das Blatt wieder geben, und steckt es in die Tasche. Laßt doch einmal sehen, ob etwa zufällig – Heda, mein Freund!
NINETTA für sich. O Gott!
FERDINAND. Mein Herr! Thut, als ob er aufwache. OBERRICHTER. Steht einmal auf. – Nehmt den Hut ab.
NINETTA für sich. Ich sterbe für Angst.
OBERRICHTER lachend. Ha, ha, ha! 25 Jahr! – Ganz recht! Zu Ninetta. Blonde Haare, breite Stirn, blaue Augen, längliches Gesicht. Nein, nein, so ein Adonis ist der Herr hier noch nicht.
NINETTA für sich. Ich athme.
OBERRICHTER sie bei der Hand nehmend. Mein Täubchen!
FERDINAND zu Ninetta der er etwas sagen will. Ich möchte
OBERRICHTER heftig. Gleich packt Euch!
NINETTA zu Ferdinand zärtlich. O Lieber!
OBERRICHTER zu Ferdinand.
Verstanden?
Ihr räumet den Platz!

Ferdinand geht, versteckt sich aber hinter einem Pfeiler an der Thür. Ninetta begleitet ihn mit ihren Blicken.

NINETTA, UND FERDINAND bei Seite.
O Vater im Himmel,
Der Recht Du beschützest,
Sei gnädig, und schenke
Uns Rettung und Schutz.
OBERRICHTER eben so.
Die Stunde ist günstig!
Sei hülfreich, o Liebe!
Entflammst Du ihr Herz mir,
Welch Glück dann für mich.

Nachdem er Ferdinand hat weggehen seher, laut.

Keine Zeugen! Ja die Liebe
Lächelt günstig meinen Wünschen.
Sei Du auch nicht länger gransam,
Schenke mir Dein schönes Herz.
NINETTA.
Ohne Zeugen kann ich dennoch,
Frevler! Euch erbeben lassen,
Denn ich fühl‘ in tieffter Seele
Haß und Wuth nur gegen Euch.
OBERRICHTER, NINETTA UND FERDINAND der indeß wieder in den Hof getreten ist. Alle für sich.
O mir lodert in den Adern
Wilde Rache und Empörung!
Donner rollen dumpf, und Blitze
Leuchten schon entbrennend drein.
OBERRICHTER für sich.
Doch jetzt gilt es sich zu mäß’gen,
Und die Güte wird versucht.
NINETTA UND FERDINAND für sich.
Doch jetzt gilt es sich zu mäß’gen,
Denn für sie / ihn erbeb‘ ich nur.

Ferdinand zeigt auf Ninetta. Ninetta auf Ferdinand

OBERRICHTER.
Liebes Kind, sei nicht so strenge,
Komm mit mir und werde klug.
FERDINAND mit Heftigkeit vortretend.
Ha! Entehrung! Schmach! Verbrechen!
Lang genug hab‘ ichs erduldet!
Oberrichter, Mann bei Jahren,
Schämen solltet Ihr Euch doch.
OBERRICHTER ihm entgegen.
Alle Wetter.
FERDINAND zu ihm.
Habet Achtung
Vor der Unschuld und der Schaam.
NINETTA bei Seite zu Ferdinand.
Theu’rer Vater! Gott! Nur Mäß’gung!
OBERRICHTER zu Ferdinand.
Wie? Verwegner!
FERDINAND heftig.
Nicht geschrieen!
NINETTA bei Seite zu Ferdinand.
Stürzt nicht selbst ins Unglück Euch.
OBERRICHTER zu Ninetta.
Du kommst mit mir!
NINETTA ihn zurückstoßsend.
Fort! Abscheulich!
FERDINAND zum Oberrichter.
Ehret doch der Unschuld Stimme.
OBERRICHTER zu Ferdinand.
Wer ist dieser Uebermüth’ge?
NINETTA bei Seite zu Ferdinand.
O! entfernt Euch!
FERDINAND eben so zu Ninetta und dann langsam fortgehend.
Ich verstehe.
OBERRICHTER.
Alter Schurke, wenn Du länger –

Zu Ninetta, indem er sie bei der Hand nehmen will.

Und Du höre.
NINETTA sich losreißend.
Ungeheuer!
OBERRICHTER.
Zitt’re, Kühne! Früher, später
Will ich Dir’s vergelten schon.
FERDINAND UND NINETTA für sich.
Unglücksel’ge! / Unglücksel’ger! Auf mich blickst Du,
Und verlassen muß ich Dich.
ALLE DREI.
Ich bebe, zitt’re, rase.
Bei diesen Höllenqualen
Zerdrückt es mir die Brust.

Während der Oberrichter abgeht und Ninetta die Arme nach ihrem Vater ausstreckt, den man über den Hügel sich entfernen sieht, kommt die Elster auf den Tisch, stiehlt einen Löffel, und fliegt damit fort. In demselben Augenblick verwandelt sich die Bühne.

Zehnte Scene.

Ein Zimmer zur ebnen Erde in Fabrizio’s Hause.

Im Hintergrunde eine Thüre neben Fenstern, die auf die Straße gehen.

Pippo. Dann Ninetta von der Seite mit dem Körbchen voll Tischgeräthe. Zuletzt Isaak.

PIPPO. Nun, mein liebes Mägelchen, heut kannst du doch einmal zufrieden sein. Essen und Trinken war so im Ueberfluß, daß ich mir einbildete, ich sei ein großer Herr, wo nicht gar der große Mogul.
ISAAK auf der Straße. Stiefelzieher, Schwefelhölzchen!
PIPPO. Geh zum Henker!
NINETTA eintretend. War das nicht der Handelsjude? der kommt mir gerade gelegen. Die Thüre nach der Straße öffnend. Isaak!
ISAAK tritt ein. Da bin ich schon, mein schönes Kind.
NINETTA verlegen. Pippo! Ich glaube, es wird anfangen zu regnen. Da wär’s doch besser, wir nehmen den Käfig mit der Elster herein. Pippo geht ab. Nun, Isaak, komm her, ich möchte gern dies Besteck verkaufen. Sie nimmt aus einer Tasche ihrer Schürze das Besteck, das ihr der Vater gab.
ISAAK. Da bin ich dabei.
NINETTA. Wie viel giebst Du mir?
ISAAK. Nun, schwer ist’s eben nicht, aber 2 Scudi gebe ich doch.
NINETTA. Pfui, das ist ja noch nicht einmal das Drittel von dem, was es wiegt.
ISAAK. Nur nicht böse, mein Schätzchen! Weil Ihr es seid, gebe ich Euch einen Dukaten.
NINETTA. Das zieht noch nicht.
ISAAK. Nun, meinetwegen. Ich will mir Gewalt anthun. Da sind 3 Scudi. Seid Ihr nun zufrieden?
NINETTA. Nun, ich muß es auch mit Gewalt sein.
ISAAK. Eins – zwei – drei. Da, nehmt! Aber ich büße noch selbst dabei ein. Für sich. Es ist mehr als 4 werth.
NINETTA. Mach nur, daß Du sortkommst, und sag‘ Niemand –
ISAAK. Bewahre, bewahre! Geht ab.

Eilfte Scene.

Ninetta, dann Pippo mit dem Vogelkäfig.

NINETTA. Mein armer Vater! Sie steckt das Geld in die Schürzentasche.
PIPPO. Da ist der Vogelbauer, mit dem Beest von einer Elster. Er stellt den Vogelbauer an den gewöhnlichen Ort.
DIE ELSTER. Pippo.
NINETTA. Da siehst Du, wie sie Dich auslacht.
PIPPO. Die Hexe wird mich toll machen. Aber sagt mir nur, wenn ich fragen darf, warum Ihr den häßlichen Juden hereinrieft?
NINETTA. Ich brauchte Geld, und deshalb verkaufte ich ihm –
PIPPO. Verstehe! so ein Paar Galanteriesächelchen –
NINETTA. Richtig, die ich aber nicht gebrauche.
PIPPO. Aber wozu das? Hättet Ihr es mir denn nicht sagen können, liebes Ninettchen! Ueber mein Spaarbüchschen könnt Ihr ja zu jeder Tageszeit gebieten.
NINETTA. Ich danke Dir. Aber laß mich jetzt, Du weißt, daß ich so viel zu thun habe –
PIPPO. Und ich nun vollends, ich habe noch tausendmal mehr zu thun, und bin schon ganz abgemattet.
NINETTA. Jetzt muß ich nur geschwind geh’n und das Geld in den hohlen Baum tragen. O! wenn ich doch dabei meinen Vater noch einmal sehen könnte. Geht ab.

Zwölfte Scene.

Im Abgehen führt Lucia Ninetten wieder zurück. Fabrizio, der Oberrichter, der Gerichtsschreiber und Johann treten mit ein, später Pippo.

LUZIA. Willst Du zu Hause bleiben, Du abscheuliches Mädchen! Nun warte nur, wenn ich Dich wieder so –
NINETTA für sich. Geduld, Geduld! Für jetzt muß ich hier bleiben.
LUZIA zum Oberrichter, ihm ihren Sohn porstellend. Hier habe ich die Ehre, Euch meinen Sohn vorzustellen, der sich so brav aufgeführt hat. Sie läßt sich nun von Ninetten das Körbchen mit den Bestecken geben und zählt sie durch.
OBERRICHTER zu Johann. Ich freue mich sehr darüber. Mehr als einmal habe ich Euern Namen in den Zeitungen gelesen. Wohl erinnere ich mich noch, daß Ihr dem Feinde seine Fahne genommen habt, wobei Euch zwei Pferde unterm Leibe getödtet wurden. So jung, und doch solch ein Held.
JOHANN. So großen Lobes bin ich nicht werth.
FABRIZIO. Bravo! bravo! – Zum Oberrichter. Nun, was sagt Ihr?
LUZIA. Neun, zehn, eilf – Da siehst Du, Du gottloses Mädchen, da fehlt nun wieder ein Löffel.
NINETTA. Wie?
LUZIA. Ja, ein Löffel! Zähle nur selbst. Ninetta fängt selbst zu zählen an. Was meinet Ihr dazu? Zu den Andern. Heut fehlt ein Löffel, und neulich fehlte eine Gabel. Nein, das ist zu viel.
OBERRICHTER. Ihr habt Recht, böse zu sein. Da muß ein Spitzbube dahinterstecken. Wir wollen doch die Sache gründlich untersuchen im Wege Rechtens. – Gregorio!
FABRIZIO. Ei, ich will keine Rechtsuntersuchung in meinem Hause. – Wie ist’s denn Ninette?
NINETTA. Ja, es fehlt jetzt wirklich einer, und vor Kurzem waren sie doch noch alle da, das könnt Ihr mir glauben. Sie weint.
FABRIZIO. Na, na, weine nur nicht. Wir werden ihn schon wieder finden.
JOHANN. Pippo! Er ruft in die Coulissen. Pippo kommt sogleich. Sieh doch nach, ob etwa unten in der Laube noch ein Löffel liegt, etwa auf der Erde.

Pippo ab.

LUZIA. Ich wette darauf, daß sich keiner finden wird.
OBERRICHTER. Hat nichts zu bedeuten, wir wollen ihn schon finden. Für sich. Die Grausame soll wenigstens in Angst gerathen. Zu Luzia. Papier und Feder.
LUZIA. Gleich.
FABRIZIO zum Oberrichter. Ich sag’s Euch noch einmal, ich mag keinen Prozeß in meinem Hause.
LUZIA. Halt doch Dein Maul. Wer unschuldig ist, dem schadets ja nicht, und wenn wir den Dieb finden, so wollen wir ihn schon züchtigen, das ist ihm ganz recht.
JOHANN. Mein Gott, wegen einer solchen Kleinigkeit –
OBERRICHTER. Ei, die Gesetze sind darin sehr streng. Ein Hausdiebstahl wird mit dem Tode bestraft.
JOHANN. Mit dem Tode!

Dreizehnte Scene.

Pippo und die Vorigen.

PIPPO. Ich habe oben und untergesucht und gesucht, und nichts gefunden.
NINETTA für sich. Weh mir!
OBERRICHTER. Folglich ist hier ein Diebstahl vorgefallen.
PIPPO. Ich bin unschuldig.
NINETTA. Auch ich.
OBERRICHTER. Das wird sich zeigen. Er setzt sich mit dem Gerichtsschreiber an einen Tisch.
FABRIZIO. Aber auf wen könnte auch hier ein Verdacht fallen?
JOHANN. Ein Dieb in unserm Hause. Wer könnte das sein?
DIE ELSTER. Ninetta.
NINETTA zur Elster. Abscheulich! Auch Du beschuldigst mich?
JOHANN zu Ninetta. Gott, Du weinst.
NINETTA. Habt Ihr es denn nicht gehört?
JOHANN. Ach, laß Dich das nicht kümmern. Darauf giebt Niemand etwas.
FABRIZIO zum Oberrichter. Kurz ich bitte Euch nochmals, laßt die Geschichte hier sein.
OBERRICHTER. Nein, das kann ich nicht.
JOHANN empfindlich zum Oberrichter. Aber –
OBERRICHTER zum Gerichtsschreiber.
Im Haus‘ des Eigenthümers
Fabrizio Vingradito
Ist heut‘ gestohlen worden –
JOHANN.
Gestohlen nicht, verloren.
OBERRICHTER.
Nur still, das ist dasselbe.
Gestohlen.

Zum Gerichtsschreiber.

Ist’s geschrieben?
Ein Löffel schwer von Silber
Zu einem Tischgedeck.
NINETTA, FABRIZIO UND JOHANN auf den Oberrichter zeigend, Alle für sich.
Wie boshaft, und wie albern!
Es ist abscheulich doch.
PIPPO.
Das für ein kluges Köpfchen!
Ich bin vor Staunen stumm.
OBERRICHTER.
Ich fühl‘ noch die Verschmähung,
Jetzt räch‘ ich endlich mich.
LUZIA.
Wohl muß ichs‘ nun bereuen,
Denn der macht selbst mir bang
OBERRICHTER zu Ninetta.
Sprich, der Name Deines Vaters?
NINETTA.
Ferdinando Villabella.
OBERRICHTER.
Wie? Ist’s möglich?
Jetzt versteh‘ ich Dich, Du Feine!
Jener Schurke war Dein Vater!
Aber bebe! meine Leute
Bringen sicher ihn noch ein.
JOHANN, FABRIZIO, LUZIA UND PIPPO.
Welch ein Räthsel!
OBERRICHTER.
Nichts! O gar nichts!
Dieses unschuldsvolle Mädchen
Will uns Alle hintergehn.
NINETTA.
Nicht länger kann ich’s tragen.

Sie zieht das Schnupftuch aus der Tasche, um sich damit die Augen zu trocknen, und wirft zugleich das Geld heraus, das sie von Isaak erhielt.

LUZIA mit Verwund’rung.
Was sind denn das für Gelder?
NINETTA das Geld ängstlich wieder auflesend.
Mein ist es, mir gehört es.
LUZIA.
Ei, wie Du lügst!
OBERRICHTER zum Gerichtsschreiber.
Geschwinde
Geschrieben!
NINETTA.
Ja, ich schwör es,
Es ist mir zugehörig!
PIPPO.
So ist’s, ich kann’s bezeugen, Ihr gab’s der Jude heut.
OBERRICHTER, JOHANN, LUZIA UND FABRIZIO staunend.
Der Jude.
OBERRICHTER zu Pippo.
Und weswegen?
PIPPO.
Für ein Paar Kleinigkeiten,
Die sie an ihn verkauft.
OBERRICHTER spöttisch zu Ninetta.
Für ein Paar Kleinigkeiten?
Das sind –
NINETTA.
Ich kann nicht sprechen.
OBERRICHTER.
Selbst gingst Du in die Falle.
JOHANN zonrig zum Oberrichter.
Jetzt still!

Zu Ninetta.

O sag‘ die Wahrheit.
NINETTA.
Ich kann nicht!
JOHANN mit dringender leidenschaftlicher Liebe.
Rede! Rede!
LUZIA.
Du zitterst! Du bist ängstlich.
NINETTA.
Ich nicht – o nein, ich hoffe –
OBERRICHTER aufstehend.
Hier giebts nichts mehr zu hoffen,
Und keinen Ausweg mehr.
NINETTA für sich.
Mir schwinden Muth und Kräfte.
O Gott! was wird aus mir?
JOHANN, FABRIZIO UND LUZIA eben so.
Was sich jetzt zugetragen,
Bringt mich ganz außer mich.
PIPPO eben so.
O welche böse Dinge
Ich bin ganz außer mir.
OBERRICHTER eben so.
Jetzt kannst Du Dich nicht retten,
Jetzt mußt Du doch mit mir.

Sichtlich froh.

JOHANN heftig.
Man hol‘ den Juden!
PIPPO will fort.
Eiligst
FABRIZIO zu Pippo, der abgeht.
Du find’st ihn auf dem Markte.
LUZIA, FABRIZO UND JOHANN während der Oberrichter die Schrift durchsieht.
Wenn werden diese Leiden
Ihr Ende finden nur?
NINETTA für sich.
Mein Vater! O, Du weißt es,
Ob ich hier sprechen kann.
OBERRICHTER zu Ninetta.
Dieses Geld herausgegeben!
NINETTA ihm das Geld gebend; für sich.
Dies auch noch! O! Himmel, rette!
OBERRICHTER steckt es ein.
Es gehört jetzt dem Gerichte.
NINETTA.
Welcher neue Unglücksschlag.
OBERRICHTER auf Ninetta zeigend, für sich.
Warte nur, den Stolz, den Hochmuth
Will ich Dir schon jetzt vertreiben,
Und der Augenblick ist nahe,
Wo ich triumphiren kann.
NINETTA für sich.
Theu’rer Vater! für Dich bebe
Ich in meines Herzens Tiefen,
Und zum Uebermaß der Qualen
Kann ich Hülfe Dir nicht weih’n.
FABRIZIO, LUZIA UND JOHANN auf Ninetta zeigend; für sich.
Diese Blässe! dieses Beben!
Es zerreist mein Herz im Busen!
Jetzt noch hoff‘ ich, jetzt verzweifl‘ ich.
Gott: wie wird sich’s enden doch!

Vierzehnte Scene.

Die Vorigen. Pippo mit Isaak.

ISAAK demüthig.
Ihr habt mich gerufen?
OBERRICHTER zu ihm auf Ninetta zeigend.
Was hast Du vor Kurzem
Von dieser erkauft?
ISAAK zitternd.
Ein silbernes Löffelchen
Mit silbernen Gäbelchen.
JOHANN mit dem Tone der Verzweiflung.
Ninetta! Ninetta!
So bist Du doch schuldig?
Und Alles gegeben
Hätt‘ ich doch für Dich!
OBERRICHTER, FABRIZIO UND LUZIA jedes in dem verschiedenen Ausdrucke seiner Empfindungen.
Sie ist überwiesen,
Kein Zweifel ist mehr.
PIPPO.
Ach! wenn ich das wußte!
Doch wer hätt’s gedacht?
NINETTA entschlossen zu Isaak.
Wo ist das Bestecke?
Gleich zeig‘ es!

Zu den Andern.

Nun sehet!
ISAAK.
O weh mir! was soll das?
Ich hab’s schon verkauft.
NINETTA.
Grausames Schicksal!
OBERRICHTER zum Gerichtsschreiber, dem er etwas in’s Ohr sagt, und der dann abgeht.
Doch macht geschwinde.
JOHANN heftig zu Isaak.
Wie war es bezeichnet
NINETTA mit dem Ausdruck der Verzweiflung; für sich.
Auch dieses noch, Himmel!
Die Buchstaben lauten
Sich völlig gleich.
ISAAK nach einigem Nachdenken.
Es war darauf ein F.
Und auch noch ein V.
ALLE außer dem Oberrichter und Isaak.
Das ist das Ensetzlichste!
Die Hoffnung verschwindet!
O Himmel! nie gab es
Ein härteres Loos.
OBERRICHTER.
Vortrefflich! vortrefflich!
Nichts giebts nun zu hoffen

Für sich.

Du selbst sollst noch flehen
Um Rettung mich an.
JOHANN.
Doch welch‘ ein Lärmen?
ALLE außer dem Oberrichter.
Bewaffnete Leute!
JOHANN, FABRIZIO, LUZIA UND PIPPO zum Oberrichter.
Gestrenger Herr Richter!
O Gnade! Verzeiht!

Fünfzehnte Scene.

Vorige. Gregorio mit Gens’darmes, viele Landleute und Fabrizio’s Hausgesinde

OBERRICHTER zu den Gens’d. auf Ninetta zeigend.
In das Gefängniß wird diese geführet.
JOHANN sich der Wache entgegen stellend.
O haltet, ich schwöre bei’m Himmel – o fürchtet –
OBERRICHTER zu den Gens’d.
Gehorchet!
NINETTA.
Allmächt’ger!
FABRIZIO, LUZIA UND PIPPO zum Oberrichter und den Gens’d.
O schonet, o haltet!
OBERRICHTER.
Ich kann nicht.

Zu den Gens’d.

Erfüllet, was ich Euch geboten.
NINETTA, LUZIA, FABRIZIO, PIPPO, JOHANN UND CHOR.
O Geschick!

Die Wache umgiebt Ninetta.

JOHANN.
O! zu viel

Zu dem Oberrichter.

Erbarmet –
OBERRICHTER.
Ich bin taub.

Für sich.

Jetzt ist sie mein, ich
bin glücklich.
Sie bleibt mir nun nahe, es findet sich alles,
Und Angst und Entsetzen macht milder sie bald.
NINETTA.
Mir in den Busen stürmen die Qualen,
Furcht und Entsetzen bricht mir das Herz.
JOHANN, FABRIZIO, LUZIA, PIPPO UND CHOR.
Furien kämpfen mir rasend im Busen,
Furcht und Entsetzen durchtoben mich wild.
NINETTA zu Johann.
O mein Theurer!
JOHANN.
Geliebte.

Sie umarmen sich.

OBERRICHTER zur Wache.
Auf! trennt sie!
NINETTA UND JOHANN.
Grausame!
ALLE AUSSER DEM OBERRICHTER.
Welches Gebot!
OBERRICHTER.
Auf! sie gefesselt!
JOHANN, FABRIZIO, LUZIA UND PIPPO bittend zum Oberrichter.
Habet doch Mitleid!
OBERRICHTER.
Nein!

Zu der Wache.

Vollzieht den Befehl.
NINETTA zu Johann Fabrizio und Luzia.
Lebet denn wohl!
JOHANN, FABRIZIO UND LUZIA.
O Ninetta!
OBERRICHTER heftig.
Von dannen!
ALLE AUSSER NINETTA UND DEM OBERRICHTER auf letztern zeigend.
Möcht‘ ihn ein Dolch doch in’s Leben jetzt treffen!
Könnt‘ ich zerreißen in Stücken sein Herz.
NINETTA zu Fabrizio Johann und Luzia.
Denket an mich, o gedenket der Armen,
Ach, und beweinet mein schreckliches Loos.
OBERRICHTER auf Ninetta zeigend; für sich.
Ha! wie die Freude das Herz mir durchdringet!
Sicher erworben ist mir nun der Schatz.

Der Oberrichter und Gerichtsschreiber gehen mit den Gensd armen ab, welche durch die Landleute Ninetta abführen. Luzia steht unbeweglich und verbirgt ihre Thränen in ihre Schürze. Fabrizio hält seinen Sohn, welcher Ninetta nach will, mit Gewalt zurück. Pippo und das Hausgesinde drücken ihren Schmerz und ihre Bestürzung aus. Unter dieser Gruppe fällt der Vorhang.

Ende des ersten Aktes.

Zweiter Akt.

Erste Scene.

Vorhalle der Gefängnisse im Gerichtshause

Antonio, dann Ninetta, zuletzt Johann

ANTONIO. Und in dem häßlichen Loche dort muß nun das arme Mädchen schmachten. Wer sollte mit ihr nicht das größte Mitleid haben. Gutes Kind, ich will wenigstens versuchen, Dein Elend zu lindern. Heda, Ninetta! Er sagt die letzten Worte, indem er das Gefängniß Ninettens öffnet, und auf dessen Schwelle tritt.
NINETTA innerhalb. Gott!
ANTONIO. Fürchtet Euch nur nicht. Ich bin Antonio. Steht auf. Er tritt in den Kerker ein. Kommt nur, kommt. Er kommt mit Ninetta an der Hand aus dem Gefängnisse heraus. Ihr müßt wenigstens einmal frischen Athem holen und das Tageslicht sehn.
NINETTA. Wie danke ich Euch dafür? – Kennt Ihr Pippo?
ANTONIO. Den Burschen –
NINETTA. Ganz recht. Seid doch so gut, und laßt es ihm gleich sagen, daß ich ihn gern sprechen möchte.
ANTONIO. Ja – wenn ich nur wüßte? – Nun, wir wollen sehn. Man hört klopfen. Wer da?
JOHANN. Aufgemacht. Von Außem.
ANTONIO. Was soll’s denn? Er sieht durch ein Fensterchen in der Thüre. Ach, seid Ihr es? Freund Johann!
NINETTA. Johann!
JOHANN wie oben. Ich bitte Euch, macht auf.
ANTONIO. Das darf ich nicht.
NINETTA nimmt Anton. zärtlich bei der Hand. O! mein Wohlthäter!
ANTONIO. Ja, wer könnte da widerstehn? – Sich bös‘ stellend, zu Ninetta. Wollt Ihr bleiben! Für sich. Was ist’s denn für ein Unglück? Laut. Kommt nur herein. Er öffnet.

Zweite Scene.

Die Vorigen. Johann

ANTONIO zu Johann, der ihm Geld giebt, und indem er zur Eintrittsthüre abgeht. O, zu viele Güte!
JOHANN Ninetta die Hand drückend. Theure!
NINETTA. Ist es denn wirklich wahr? Du hast mich also nicht ganz verlassen?
JOHANN. Ich Dich verlassen? – O Himmel! Hättest Du nur nicht damals mich verlassen! – Was sage ich! – O Verzeihung! – Nein, ich glaub‘ es nicht – Und doch. Ach, wenn ich Dir theuer bin, wenn ich nicht für Schmerz sterben soll, so nimm mir meine Zweifel, öffne mir Dein Herz, und sage mir, ob Du schuldig bist?
NINETTA würdevoll. Ich bin unschuldig.
JOHANN. Warum machst Du, Theure! aber Deine Unschuld nicht geltend?
NINETTA. Weil ich nichts zu meiner Vertheidigung sagen kann. Will ich das Wesen nicht verrathen, das ein hartes Geschick schon tief niedergedrückt hat, muß ich schweigen.
JOHANN. So darf ich nicht hoffen
NINETTA. Vergebliche Hoffnung!
JOHANN für sich. Ich weiß nicht mehr, was ich den ken soll Laut. Ach, meine Ninetta, man verfolgt Dich der grausame Oberrichter wird Dein Urtheil zu beschleunigen suchen. Du kennst die Strenge der Gesetze. O Gott, wenn Du nicht redest, wenn Du dabei beharrst, Dein unglückliches Geheimniß zu verbergen – ich bebe – o fürchterlicher Tag –
NINETTA. Mein Urtheil gesprochen werden. – Wohl! ich verstehe Dich.

Vielleicht noch werdet Ihr erkennen
Dereinst, wie schuldlos ich gelitten,
Ihr werdet Euern Fehl beweinen,
Doch Eure Thränen ich nicht sehn,
Denn schon dort oben werd‘ ich sein.
JOHANN.
Schweig, o schweig! Bei Deinen Worten
Rinnt zu Eis mein Blut vor Schrecken.

Für sich.

Nein, in solchem schönen Herzen
Kann die Schuld nicht heimisch sein.
Und verlieren sollt‘ ich sie!
BEIDE.
O! selbst der Tod kann nimmer
So harte Qual verleih’n!
Zu schwer drückt’s auf die Seele,
Ich kann nicht athmen mehr.

Dritte Scene.

Die Vorigen. Antonio eiligst.

ANTONIO zu Johann.
O eilet gleich von hinnen,
Ich seh‘ den Oberrichter.
JOHANN zu Ninetta.
Mein Leben!
NINETTA zu Johann.
Meine Wonne!
AOTONIO zu Ninetta.
Und Ihr, in Eu’rem Kerker.
JOHANN UND NINETTA.
O! schreckliches Geschick.
JOHANN.
Ich geh, doch Dich zu retten
Versuch ich Alles, Theu’re!
D’rum hoffe!
JOHANN UND NINETTA.
Lebe wohl!
O welcher herbe Schmerz!
Ich trag es, Gott! nicht länger,
Die Kräfte schwinden mir.
JOHANN.
O Himmel, rette mir
Die Theuerste.
NINETTA.
O Himmel, rette mir
Den Theuersten.
JOHANN UND NINETTA.
Sonst laß des Blitzes Gluth
Verzehren mich.

Johann geht fort. Ninetta wird in das Gefängniß zurückgeführt.

Vierte Scene.

Antonio, dann der Oberrichter. Später Ninetta und endlich Wachen.

OBERRICHTER. Antonio! bringt mir die Gefangene heraus. – Nun, ich will doch sehen, ob ich noch Unartigkeit und Verachtung von ihr werde zu erfahren haben? – Fort! Zu Anton, welcher Ninetta herausgebracht hat, dann für sich. Jetzt Verschlagenheit! Laut. Nur näher, armes Mädchen! Sieh ich bin hierhergekommen aus Mitleid, aus Zuneigung zu Dir. Ich denke nicht mehr daran, wie garstig Du gegen mich gewesen bist. Ich möchte Dich gern retten, aber wie das anfangen, wenn Dich Alles als schuldig verurtheilt?
NINETTA. Ich, schuldig? Und das glaubt Ihr wirklich?
OBERRICHTER. Ach, ich muß ja wohl!
NINETTA. Wahr ist’s, Alles hat sich zu meinem Nachtheil verschworen, aber Gott weiß, daß ich unschuldig bin.
OBERRICHTER. Nun, schön, so hoffe ich auch noch. Du kannst, liebes Ninettchen, alles mögliche Gute von mir erwarten. Ja, ja, fürchte Dich nicht. Ich will Dich noch heute aus dem Gefängnisse hier wegnehmen.
NINETTA. O, Herr Oberrichter, wenn Ihr mir nicht versprechen könnt, daß Ihr meine Ehre wieder herstellen wollt, und daß ich in den Augen Aller von jedem Flecken gereinigt werde, so will ich lieber noch hier bleiben.
OBERRICHTER.
Ich verspreche es Dir.
Ja, für Euch, Ihr holden Aeug’lein
Will ich Alles möglich machen;
Doch für mich auch, schönes Mädchen,
Mußt Du ein klein Wenig thun.
NINETTA.
Nimmer, nimmer!
OBERRICHTER.
Nun, so zitt’re!
CHOR DER WACHEN von außen.
Unglückselige Ninette!
OBERRICHTER.
Welche Stimmen!

Dringend.

Nur ein Küßchen
CHOR eintretend.
Schon ist das Gericht versammelt,
Nur der Oberrichter fehlt.

Antonio kommt und bleibt seitwärts stehen.

OBERRICHTER für sich.
Wieder einmal abgefahren!

Laut.

Hab’s gehöret! – Gut! Ich komme.

Zu Ninetta.

Hörtest Du? Und willst noch immer
NINETTA.
Ja, ich sag Euch stets dasselbe.
OBERRICHTER.
Aber Tod?
NINETTA.
Ich scheu‘ nicht diesen.
OBERRICHTER.
Nun, so geh! wir wollen sehen,
Ob Dein Stolz nicht endlich bricht?
Das Urtheil wirst Du hören,
Wirst um Vergebung flehen;
Allein vergebens bitten,
Zu spät wird dann es sein.
CHOR UND ANTONIO für sich.
Was mag dies bedeuten?
Ich schöpfe Verdacht.
OBERRICHTER.
In Haß und Wuth verwandelt
Ist nun die heiße Liebe,
Und Mitleid hat im Herzen
Mir nun nicht länger Raum.

Man hört von Weitem den Schall von Trommeln, welche dem Volke verkünden, daß die Sitzung des Gerichts eröffnet ward.

CHOR.
O höret!
OBERRICHTER.
Ich folge.
CHOR.
Das ist schon das Zeichen.
OBERRICHTER zu Ninetta.
Nun?
NINETTA.
Ich bin entschlossen.
OBERRICHTER für sich.
Welch‘ Loos sie erwartet,
Das weiß sie noch nicht.
CHOR UND ANTONIO für sich.
Sein wüthendes Antlitz,
Erfüllt mich mit Angst.

Gehen mit dem Oberrichter ab.

NINETTA.
Du Mann, den ich hasse,
Entferne Dich schnell.

Fünfte Scene.

Antonio, Ninetta, dann Pippo.

ANTONIO. Herr Oberrichter, Herr Oberrichter! Ihr habt diesmal etwas vor! Die Sachen gehen nicht so, wie sie in der Regel gehen sollten! Ach, wollte doch Gott! –
PIPPO zu Antonio. Ihr ließt mich rufen. Sieht Ninetta und eilt zu ihr. O meine theure Freundin!
NINETTA zu Pippo. Ich will Dich um etwas bitten.
ANTONIO zu Ninetta. Macht’s nur kurz, ich will unten die Schildwache vorstellen. Ab.
PIPPO. Liebes Ninettchen! was ich habe und vermag, es ist freilich nicht viel, das steht Euch Alles zu Dienste.
NINETTA. Nein, mein lieber Pippo, ich will Dein gutes Herz nicht mißbrauchen. Nimmt ein Kreuzchen ab, das sie am Halse trägt. Ich bitte Dich blos, mir 3 Scudi zu verschaffen, und sie dahin zu tragen wohin ich Dich schicken werde. Verpfände also dieses Kreuzchen
PIPPO. Nur sachte, nur sachte! Wohin soll ich denn das Geld bringen?
NINETTA. Erinnerst Du Dich der großen Kastanie, die hinter den nächsten Hügel steht?
PIPPO. Und die so hohl ist, daß ein Mann beinahe sich darin verstecken könnte?
NINETTA. Ja, ja, eben die. Da hinein bitte ich Dich, lege das Geld noch heute Abend.
PIPPO sich verwundernd. In die alte Kastanie?
NINETTA. Ja, aber so, daß Dich Niemand sieht.
PIPPO will fort. Schon gut.
NINETTA. Du vergißt ja das Kreuzchen!
PIPPO. Ich vergesse nichts. Sei so gut, und behalte es nur.
NINETTA. Wenn Du das nicht nimmst, darf ich auch Dein Anerbieten nicht annehmen.
PIPPO. Das wollen wir schon sehen. Da ich nun einmal weiß, was ich zu thun habe, so soll mich kein Mensch zurückhalten. Es ist ja so etwas Angenehmes, wohlzuthun.
NINETTA ihn zurückhaltend. Bedenke nur, daß morgen, vielleicht noch heute, dieser Schmuck ohne dies nicht mehr mein sein wird.
PIPPO. O bewahre! Glaubt das nicht. Das ist nicht möglich. Das fühl‘ ich hier. Auf’s Herz deutend. D’rum behaltets nur.
NINETTA.
Nun denn, zum Angedenken
An mich, sollst Du’s behalten.
Jetzt darfst Du Dich nicht weigern.
Da, nimm es hin von mir.
PIPPO das Kreuzchen küssend.
Du theures Pfand der Freundschaft,
Nie sollst du von mir weichen,
Und immer mich begleiten,
So lang mein Herz noch schlägt.
NINETTA UND PIPPO.
Ich muß bei seinem / ihrem Kummer
Als sei’s mein eigner, weinen.
Ein Herz, schön wie das seine / ihre,
Ein Herz, schön wie das ihre,
Sei immer mir vor’m Aug‘.
NINETTA.
Uebergieb in meinem Namen
Diesen Ring dem Heißgeliebten.
PIPPO.
Solche Treue, solche Liebe,
Hab‘ ich niemals noch geseh’n.
NINETTA.
Sag ihm, daß nur seine Liebe
Bis zum letztem Athemzuge –
Aber sag ihm nichts vom Schmerze –
Von dem Herzen – daß ich weine!
Denn ich seh‘ ihn nun nicht mehr.
PIPPO.
Um Gotteswillen! Stille! –
Ja, ja – will alles machen –
Verlaßt Euch nur auf mich.

Will gehen.

NINETTA.
Vergiß nur nichts
PIPPO kommt lebhaft wieder.
Vergessen?
Da kennt Ihr mich ja wohl.
NINETTA.
Leb‘ wohl! Du armer Pippo!
PIPPO.
Lebt wohl!

Für sich.

Wenn ich noch bleibe,
Bricht mir das Herz wohl gar.
NINETTA.
Es ist die letzte Stunde,
In der wir uns noch seh’n.
PIPPO für sich.
In ihren Augen Thränen!
Ach! wein‘ ich selbst nicht auch?
NINETTA für sich.
In seinen Augen Thränen!
Er weinet sie um mich.
BEIDE.
Wo findet wohl auf Erden
Sich solche edle Treu‘?
Lebt wohl

Für sich.

Wenn ich noch bleibe,
So bricht mir ganz das Herz.

Ninetta geht in ihr Gefängniß und Pippo in die Mitte ab.

Sechste Scene.

Saal des Gerichts im Hause des Oberrichters.

Der Vorsitzer des Gerichts. Richter. Der Oberrichter. Johann Fabrizio. Volk. Wachen an der Thüre. Gerichtsdiener.

Die Richter sitzen auf ihren Plätzen. Mitten unter ihnen der Vorsitzende, vor dem ein Tischchen steht. Der Oberrichter. nimmt Platz an einem Seitentisch. Auf einer Seite erblickt man als Zuschauer die Landlente, unter ihnen Fabr. und Johann So wie sich die Hintergardine hebt, sieht man vom Gerichtsdiener die Stimmen in ein Gefäß sammeln. Eine ernste Musik kündigt diesen wichtigen Augenblick an. Der Gerichtsdiener giebt die Urne nach beendigtem Geschäft dem Oberrichter, welcher, da er alle Kugeln schwarz findet, ausruft:

OBERRICHTER.
Einstimmig zum Tode verurtheilt.
JOHANN.
Gott! Und das duldest Du!
OBERRICHTER.
Still!
FABRIZIO.
Fasse Dich.
OBERRICHTER zum Gerichtsdiener, der abgeht.
Bringt die Schuldige her.

Zu einem Richter.

Vollstrecke die Sentenz.
OBERRICHTER UND DIE RICHTER.
Erzittert, o Völker!
Beim sträflichen Beispiel.
Dies ist der Gerechtigkeit
Geheilgter Tempel,
Der Göttin, die schrecklich
Und unerbittlich
Auf richtiger Waage
Die Thaten wägt.
Sie rettet, befreiet
Und schützet Gerechte;
Doch sendet die Blitze
Sie nimmer ermüdend
Verbrechern auf’s Haupt.

Siebente Scene.

Die Vorigen. Ninetta.

Sie wird beim Eintreten von Wachen begleitet, die sich schnell zurückziehen. Der Gerichtsdiener geht voraus, und zeigt ihr die Stelle an, wohin sie treten soll.

OBERRICHTER. Unglückliches Mädchen, jetzt bleibt dir keine Hoffnung mehr, als der Himmel! – Gebt her! Zu dem Richter, der das Urtheil entwarf, und es ihm jetzt übergiebt. Er liest es ab. »Im Betracht, daß die angeschuldigte Ninetta Villaballa eines Hausdiebstahls überführt wurde, verurtheilt einstimmig in Kraft zu Recht bestehenden Gesetze der Königliche Gerichtshof sie zum Tode.«
ALLE AUSSER DEM VORS. UND DEN RICHTERN.
Welch ein Schlag! Schon hör‘ ich wimmern
Um mich her des Todes Röcheln!
Schon auf jedem / ihrem Angesichte
Steht das Schrecken und der Schmerz.
JOHANN vor die Richter tretend.
Haltet ein, o geht nicht weiter!
Eine schuldlos Angeklagte
Straft ihr! Ein Geheimniß birgt sie
In der festverschloß’nen Brust.
ALLE.
Ein Geheimniß.
DIE RICHTER zu Ninetta.
Nun, so rede.
NINETTA.
Ehret auch noch jetzt mein Schweigen.
JOHANN.
O Ninetta! Rede, rede!
NINETTA.
Mehre nicht noch meinen Schmerz.
OBERRICHTER für sich.
Meine Wuth verwünsch‘ ich nun.
JOHANN UND FABRIZIO.
Ach, in Stücken springt mein Herz.
DER VORGEF. UND DIE RICHTER.
Seht! sie schweigt, fort denn mit ihr
Zu dem Richtplatz!

Zu den Wachen.

Achte Scene.

Die Vorigen. Ferdinand stürzt herein.

FERDINAND.
Nein! o haltet!
NINETTA.
Ihr hier, Vater!
JOHANN, FABRIZIO UND OBERRICHTER.
Ha! was seh ich?
FERDINAND zu den Richtern.
Ja, ich komm‘, mit meinem Blute
Meine Tochter zu befrei’n.
NINETTA für sich.
Unglücksel’ger! Laß, o Hinmel!
Ihm nur Rettung angedeih’n.
FERDINAND.
Möchte Gott nur meinen Eifer
Mit Erfolge krönen noch.
JOHANN UND FABRIZIO.
Muth, nur Muth, es wird der Himmel
Eurem Muthe Glück verleih’n.
OBERRICHTER aufstehend.
Meine Herren, dies ist derselbe,
Der als Deserteur verfolget
Vom Gerichte wird, die Ordre
Ihn zu fesseln könnt Ihr sehen,
Und auch das Signalement.
OBERRICHTER UND RICHTER.
Wache!
NINETTA, JOHANN UND FABRIZIO.
Gott!
DER RICHTER.
Ihn festgenommen!

Die Wachen umgeben Ferdinand

NINETTA, JOHANN UND FABRIZIO.
O Gott! so wär‘ es unmöglich?
FERDINAND.
Hier! nehmt mich gefangen,
Verurtheilt mich zum Tode,
Nur laßt das Blut nicht fließen
Der schuldlos Angeklagten,
Die nicht Vertheid’gung kennt.
DER VORS. UND DIE RICHTER.
Das Urtheil ist gesprochen,
Das ändert nun nichts mehr.
FERDINAND.
Allein –
DER VORS. UND DIE RICHTER.
Ihn in’s Gefängniß,
Und sie nun fort zum Richtplatz!
Gesetz ist unumstößlich!
Der Schuldigen den Tod.
FERDINAND, NINETTA, JOHANN, FABRIZIO UND DER OBERRICHTER.
Welch ein Abgrund von Qualen!
Ich kann mich nicht fassen!
O schrecklich’re Martern
Hat Hölle selbst nicht.
Ein Vater, eine Tochter
In Todesgefahren!
Wie wird sich dies enden,
Wer rettet sie noch?
DER VORS. UND DIE RICHTER.
Wachen herbei!
FABRIZIO UND JOHANN.
Nicht länger
Kann ich’s ertragen!
DIESELBEN, FERDINAND UND DER OBERRICHTER.
Welch ein Schmerz!
NINETTA.
Vater! was habt Ihr begonnen!
Nur für Euch geh ich im Tod,
Und Ihr selbst kehr in’s Gefängniß
Ganz freiwillig jetzt zurück?
FERDINAND.
O! was sagst Du?
FERDINAND, JOHANN UND FABRIZIO.
Rede! rede!
DER VORS. UND DIE RICHTER.
Keinen Aufschub nun nicht länger!
Fort zum Kerker, fort zum Tod!
NINETTA.
Theurer Vater, eh‘ ich sterbe –

Will ihn umarmen.

FERDINAND zu den Wachen, die ihn zurückhalten.
Tochter! – Tiger! laßt mich zu ihr!
DER VORS. UND DIE RICHTER zu den Wachen, die Ninetta und Ferdinand fortreißen.
Schleppt sie fort!
FERDINAND UND NINETTA.
O Himmel! Hülfe!
JOHANN UND FABRIZIO.
O Ninette!
OBERRICHTER für sich.
Welche Reue.
NINETTA.
Mein Johann! o mein Fabrizio!
DER VORS. UND DIE RICHTER zu den Wachen.
Fort zum Kerker, zu dem Tod!
ALLE AUSSER DEM VORS. UND DEN RICHTERN.
Nicht einmal noch die Umarmung,
Zu viel Grausamkeit ist das.
Die Thränen versiegen im brennenden Auge,
Der Seufzer erstickt in der bebenden Brust.
Mächtige Gottheit, reich‘ Hülfe den / uns Armen,
Hilf uns tragen dies schreckliche Loos.
DER VORS. DIE RICHTER UND DER OBERRICHTER.
Es nässen die Augen schon Thränen des Mitleids,
Der Jammer bewegt die verhärteste Brust.
Doch muß das Gesetz uns Gehorsam gebieten,
Und Hülfe zu spenden vermögen nicht.

Die Wachen führen auf der einen Seite Ferdinand ins Gefängniß, auf der andern Ninette zum Richtplatz. Der Vorsitzende, die Richter und der Oberrichter nebst allen übrigen begleiten die letztere voll Kummer.

Neunte Scene.

Freier Platz im Flecken. Links vom Zuschauer die Kirche mit einem Thurme. Rechts das Hauptthor des Geichtshauses. Weiter vor eine kleine Thüre, welche den Eingang zu Fabrizio’s Garten bildet.

Pippo, dann Georg. Endlich Antonio.

PIPPO. Jetzt habe ich nun das Geld in die Kastanie gesteckt, da will ich doch einmal nachzählen, was mir übrig bleibt. Er setzt sich auf eine steinerne Bank an Fabrizio’s Garten, und zählt seine Baarschaft. Ei, ich bin noch reicher, als ich glaubte. – Ha! ha! da ist das Goldstück! noch so neu, als ob es eben aus der Münze käme, das mir einmal Ninetta gegeben hat. Nein, das stecke ich bei Seite zu dem Kreuzchen. Er steckt das Goldstück bei Seite, in demselben Augenblick erscheint die Elster über’m Gartenthor. Du häßliches Thier! Bist Du schon wieder da! Warte, wenn ich Dich erwische!
GEORGIO. Mit wem zankst Du Dich denn?
PIPPO. Mit der garstigen Elster. Er steht auf, und steckt das übrige Geld ein. Ei da kommt Antonio! Nun, was bringst Du gutes Neues. Wie steht’s mit Ninettchen?
ANTONIO weinend. Ach, es ist Alles aus!

Die Elster kommt hier auf die Bank herab, stiehlt das blanke Geldstück und fliegt damit nach dem Thurme

GEORGIO auf die Elster zeigend. Heda! heda!
PIPPO. Du Teufelsvogel! – Und mir grade das Geldstück zu mausen, an dem mir so viel liegt! – Spitzbube! – Da ist sie auf dem Gerüst! Wenn ich nur da hinauf kommen könnte, fände ich vielleicht mein Geldstück wieder, nun, wir wollens versuchen.
ANTONIO. Suche nur.
PIPPO. Verwünschtes Thier. Geht mit Antonio ab.

Zehnte Scene.

Ninette wird von Gensd’armen geführt. Landleute. Georgio zieht sich bei Seite und drückt seine Theilname aus.

Wachen wehren den Andrang des Volkes im Hintergrunde ab. Ninetta steigt, von andern Wachen begleitet, die Stufen des Gerichtshauses herab und geht langsam nach der Straße an der Kirche zu. Landleute gehen voraus und folgen.

CHOR.
Unglücksvolles, armes Mädchen!
O ergieb Dich in Dein Schicksal!
Nein, der Tod ist dann nicht herbe,
Wenn der Qual er Ende macht.
NINETTA bleibt bei der Kirche stehen.
Gott der Gnade walte mächtig
Jetzt in dem gepreßten Herzen.
Sei dem Vater ein Erbarmer
Und laß g’nügen meinen Tod.

Zu den Wachen.

Jetzo führet mich zum Tode,
Daß die Qual sich ende bald.
CHOR.
O! ein Stein selbst müßte weinen,
Wenn er so sie leiden säh.

Ninetta geht weiter, vom Volke begleitet, und ist bald in der Scene verschwunden. Der Trauermarsch endet. Georgio geht traurig und langsam über die Bühne.

Eilfte Scene.

Georgio. Pippo auf dem Thurme. Antonio. Dann Johann, Fabrizio, Lucia und verschiedene Dienstleute.

PIPPO.
Georgio! Antonio! O wie glücklich!

Er zieht etwas aus einem Loche heraus, in das er den Arm gesteckt hatte.

GEORGIO.
Nun, was ist denn vorgefallen?
PIPPO.
Alles hab‘ ich dort gefunden!
Sich nur her! Jetzt schreit auch recht!
ANTONIO.
Nein, wir lassen sie nicht morden.
GEORGIO.
Bist Du toll?
ANTONIO UND PIPPO.

Ueberlaut schreiend, da sie von weitem noch den Zug erblicken.

Wohin geht Ihr? O was thut Ihr! –
Ach! sie hören mich nicht an.
PIPPO.
O wie grausam – Nun, ich will schon –

Geht in den Thurm zurück.

GEORGIO.
Ich beklage Dich, mein Pippo!
Den Verstand hast Du verloren.

Pippo läutet gewaltig im Thurme.

Welch ein toller Teufelslärmen!
Ist er denn ganz unklug, der!
JOHANN schnell aus dem Garten kommend.
Was ist das?
FABRIZIO UND LUZIA eben so, hinter ihnen Dienstleute.
Was ist geschehen?
ANTONIO UND PIPPO auf dem Thurme.
Ganz unschuldig ist Ninetta!
ALLE AUSSER DEN BEIDEN.
Wie? unschuldig?
ANTONIO UND PIPPO.
Wie die Sonne!
PIPPO.
Ja, der Löffel, und die Gabel,
Und mein Geldstück, sie sind da.
ANTONIO.
Die vermaledeite Elster
War der Dieb.
JOHANN, FABRIZIO, LUZIA UND GEORGIO.
Gerechter Himmel!
DIESELBEN UND CHOR.
So etwas ist unerhört!
PIPPO.
Frau Luzia, haltet
Jetzt auf nur die Schürze!

Pippo wirft von oben das Besteck in Luzia’s Schürze!

FABRIZIO UND JOHANN.
Der / Die selbe! O seht nur!

Der eine nimmt die Gabel, der andre den Löffel, und zeigen sie Luzia

VORIGE UND CHOR.
Geschwind! zu verhüten
Den schrecklichen Mord!
LUZIA, PIPPO, GEORGIO UND ANTONIO.
O eilt, zu verhüten
Den schrecklichen Mord.

Fabrizio und Johann eilen mit dem Besteck ab, hinter ihnen die Dienstleute. Pippo geht wieder in den Thurm und läutet von neuem

Zwölfte Scene.

Der Oberrichter. Vorige, außer Johann und Fabrizio.

OBERRICHTER.
Was ist das für ein Läuten,
Was ist denn vorgefallen?
LUZIA ihm entgegen eilend.
Ach Gott, wie ich mich freue,
Kann ich aussprechen nicht.
OBERRICHTER.
Noch kann ich’s nicht begreifen –
LUZIA.
Ninetta, ach die Arme,
Sie hatte nichts verschuldet!

Zu Georgio und dem Oberrichter.

O kommt entgegen ihr!
GEORGIO.
Wohlan! entgegen ihr!
OBERRICHTER.
Mir scheint es noch ein Traum.

Während Luzia, Georgio und der Oberrichter entgegen gehen wollen, hört man von Weitem eine Flintensalve. Pippo schauet auf dem Thurme aufmerksam in’s Feld hinaus.

LUZIA.
Was war das für ein Knallen:
Sie ist nun todt! verloren!

Sie sinkt ohnmächtig in Georgio’s Arme.

OBERRICHTER.
O Himmel!
Welch eine Angst! Welch‘ Schrecken
Ruht zentnerschwer auf mir!
ANTONIO UND PIPPO.
Wir seh’n sie! – Ha! sie nahet!
Triumpf! Triumpf! O Freude!
CHOR von innen.
Ninetta! sie soll leben!
Es leb‘ ihr edles Herz!
OBERRICHTER UND GEORGIO.
Was hör‘ ich? – Welche Wunder?

Einige Dienstleute.

Welche wieder kommen.

ANTONIO UND PIPPO zu Luzia.
Sie kommt. Seid nicht mehr bange!
LUZIA.
Wahrhaftig!
OBIGE.
Sollt es sehen!
OBERRICHTER.
Die Schüsse?
VORIGE.
Freudensalven!
Da seht nur, seht!

Letzte Scene.

Die Vorigen. Ninetta. Fabrizio. Johann. Einwohner. Wachen. Dann Ferdinand

Ninetta wird auf einem in der Eile mit Zweigen und Blumen geschmückten Wagen von Landleuten hereingefahren. Johann, Fabrizio und Andere begleiten sie.

LUZIA sie eilt Ninetta entgegen.
O Tochter!
JOHANN eine Schrift lesend, die er dem Oberrichter einhändigt.
»Befreit ist nun Ninetta!
Das urtheilt das Gericht.«
FABRIZIO, JOHANN UND LUZIA.
Wenn die Freude nicht erwartet,
Wird sie um so größer nur.
OBERRICHTER für sich.
O! wie schändlich ist die Rache!
Reue nagt mir an die Brust.
PIPPO, ANTON UND CHOR.
Hoch soll nun Ninetta leben!
Und ihr edles treues Herz.

Pippo steigt vom Thurme herab.

NINETTA.
Dieser Ruf der reinen Freud?
Schenket Balsam meinen Schmerzen.
Doch ist noch mein Herz nicht ruhig,
Doch kann ich mit Euch, Ihr Freunde,
Mich nicht ganz des Lebens freu’n.
FABRIZIO, JOHANN UND LUZIA.
Was verlangst Du noch, Ninetta?
Jede Furcht ist nun entfloh’n!
NINETTA.
Nein, o nein! – Wo ist mein Vater?
Keine Antwort! – Guter Himmel!
Lebt er? ist er –
FERDINAND schnell herbeieilend.
Meine Tochter!
Ja er lebt in Deinem Herzen,
Wird nun immer bei Dir sein.

Sie umarmend.

NINETTA.
O Vater! Ja, nun schwinden
Die überstand’nen Leiden,
Nun kann mein Herz genießen
Die höchste, reinste Lust.
ALLE, AUSSER DEM OBERRICHTER.
Wer hat noch je empfunden
Ein solches reines Glück.
OBERRICHTER auf Ferdinand zeigend.
Doch wie ist er befreiet
Aus seinem Kerker worden?
FERDINAND.
Durch eine Gnadenordre,
Die der Monarch verlieh.
ALLE, AUSSER CHOR UND OBERRICHTER.
Hoch soll unser König leben,
Der mit Vaterliebe herrscht.
OBERRICHTER für sich.
Ich bin ganz verwirrt, zerschmettert,
Vor mir selbst beb‘ ich zurück.
CHOR auf den Oberrichter zeigend.
Er ist ganz verwirrt, zerschmettert,
Wie er blaß bald wird, bald roth.
NINETTA.
Und, Freund Pippo? Sagt, wo er ist?
PIPPO.
Holde Freundin, bin schon da.

Ninetta liebkoset ihn, hinter ihm kommt Anton.

LUZIA Johanns Hand mit Ninettens Hand einend.
Hier, Dein Bräutigam, o Tochter!
FERDINAND, JOHANN UND NINETTA.
Augenblick voll froher Wunder!
LUZIA.
Doch vergieb mir meine Dummheit.

Ninetta und Johann umarmen sie.

FABRIZIO.
Bravo, Weib! das ist vernünftig.
JOHANN UND NINETTA.
O mein Leben! Solcher Wonne
Fast erliegt das frohe Herz.
ALLE DIE ANDERN, AUSSER DEM OBERRICHTER.
Ja, ein Auftritt so wie dieser,
Locket Freudenthränen vor.
OBERRICHTER für sich.
Ja, ein Auftritt so wie dieser,
Preßt mir Schmerzensthränen aus.
JOHANN, NINETTA, FERDINAND UND PIPPO.
Die wilden Stürme schweigen,
Es schwellen sanft die Wogen,
Im Hafen eingezogen,
Erfreut sich nun das Herz.
OBERRICHTER für sich.
Der Sturm will noch nicht schweigen,
Es rollen noch die Wogen.
Im Hafen eingezogen
Sind sie, mich peitscht noch Schmerz.
ALLE außer dem Oberrichter.
In Freude und Entzücken
Verwandelt sich der Schmerz.
OBERRICHTER für sich.
Gewissensbisse zücken
Mir rächend durch mein Herz.

Ende der Oper.