Luigi Cherubini
Die beiden Reisen oder Der Wasserträger
Oper in drei Aufzügen
Personen
Graf Armand, Parlamentspräsident (Tenor)
Constanze, seine Gemahlin (Sopran)
Micheli, ein Savoyarde, Wasserträger (Baß)
Daniel, sein Vater (Baß)
Antonio, sein Sohn (Tenor)
Marzellina, seine Tochter (Sopran)
Semos, ein reicher Pächter in Gonesse (Tenor)
Rosette, dessen Tochter, Antonios Braut (Sopran)
Hauptmann,
Lieutenant,
Sergeant,
Korporal,
Erster Soldat,
Zweiter Soldat,
Eine Schildwache, von den italienischen Truppen im Solde Mazarins (Tenor und Baß)
Ein Mädchen von Gonesse (Sopran)
Ein französischer Gardeoffizier. Vier französische Gardesoldaten. Italienische Soldaten. Hochzeitsgä ste. Bewohner von Paris und Gonesse. Bauern. Bäuerinnen. Bauernbursche und Mädchen. Kinder
Ort der Handlung: Paris und das nahe gelegene Gonesse.
Zeit: 1617.
Ouverture.
Erster Aufzug.
Das Innere der Wohnung des Savoyarden und Wasserträgers Micheli in einfacher Ausstattung.
Mitte rechts ein Himmelbett mit zugezogenen Vorhängen. Mitte links die mit einem Riegel versehene Eingangsthür, welche unmittelbar auf die Straße führt. Eine Seitenthür rechts führt in eine Kammer. Links ein Fenster, mit einem Holzstuhl daneben. Zur Rechten ein viereckiger Tisch mit einer brennenden Lampe; hinter dem Tisch ein Lehnstuhl, zu beiden Seiten Holzstühle. Zwischen dem Himmelbett und der Eingangsthür ein Tischchen mit zwei Holzstühlen, worauf eine Handlaterne, eine große Krücke, ein paar Pantoffeln und alte Männerkleider liegen.
Rechts und links vom Darsteller.
Erster Auftritt.
Marzellina. Daniel. Antonio.
Alle drei sitzen um den Tisch rechts.
Daniel nimmt den Lehnstuhl in der Mitte ein; er hat eine Brille auf und liest in einem alten Folianten; neben ihm steht eine kleine Krücke.
Marzellina sitzt zu seiner Rechten.
Antonio ebenso zu seiner Linken; beide sind beschäftigt, Blumenkränze zu winden.
ANTONIO spricht. Nun, Schwester, hast du deinen Kranz bald fertig?
MARZELLINA hebt den ihrigen in die Höhe. I, mein Kranz wird immer größer, wie du siehst. Ach, wie freue ich mich auf die Hochzeit! Nicht wahr, ich setze deiner Braut doch den Kranz auf?
ANTONIO. Ganz gewiß, liebe Schwester! Niemand anders als du.
MARZELLINA. Und morgen früh gehen wir doch gleich, sowie der Tag anbricht, nach Gonesse?
ANTONIO. O so früh du willst! Weißt du wohl, daß ich nun schon zwei ganze Tage von meiner Rosette weg bin? Ja, wenn ich dich nicht hätte hinausholen wollen, wäre ich gewiß nicht nach Paris gekom men.
MARZELLINA. Ei, das wäre schön gewesen, wenn du mich nicht hättest zu deiner Hochzeit holen wollen? O wie fröhlich werden wir sein! Wir tanzen doch auch?
ANTONIO. Ei freilich, und singen auch dazu?
DANIEL nimmt seine Brille ab. Und du wirst doch dabei dein Savoyardenlied nicht vergessen?
ANTONIO. O das hab ich viel zu lieb! Das vergesse ich in meinem ganzen Leben nicht.
MARZELLINA. Sing es uns doch noch einmal vor: da vergeht auch die Zeit desto besser.
DANIEL. Ja, sing, lieber Antonio! Das Lied erinnert mich immer an meine Jugendjahre und rührt mich jedesmal aufs neue!
Antonio legt seine Blumenarbeit auf den Tisch.
Nr. 1. Romanze.
ANTONIO.
Einst fiel ein kleiner Savoyard
Erblaßt dahin von Frost und Schmerzen.
Ihn hört jammernd ein Franke dort,
Naht sich mit mitleidvollem Herzen. –
Bald kehrt Leben zum Knaben zurück,
Ihm half der Edle brav und bieder.
Ja, dir vergelt ein Gott es wieder,
Jede Wohlthat find’t ihren Lohn.
ALLE DREI.
Ja, dir vergelt ein Gott es wieder,
Jede Wohlthat find’t ihren Lohn.
ANTONIO steht auf und nimmt die linke Seite.
Ach, jetzt ward unser heimisch Land
Des Krieges Schrecken preisgegeben!
Auch der Franke, der Biedre, fiel
In Feindes Hand, mit ihm sein Leben. –
Ihn verurteilt des Feindes Gericht,
Blutend das Leben zu verlieren.
Freunde! Euch wird sein Schicksal rühren,
Doch die Wohlthat find’t ihren Lohn.
ALLE DREI.
Freunde! Euch wird sein Schicksal rühren,
Doch die Wohlthat find’t ihren Lohn.
ANTONIO.
Schnell gab der Kleine sich auch nun
Gefangen, trotzte den Gefahren,
Ihn belebet des Danks Gefühl,
Er täuscht voll Mut der Wache Scharen. –
Es gelinget, sein Freund wird frei,
Staunend, dem Kerker schnell entrissen.
Ja, Freunde, ja, ihr sollt es wissen:
Jede Wohlthat find’t ihren Lohn!
ALLE DREI.
Ja, Freunde, ja, ihr sollt es wissen:
Jede Wohlthat find’t ihren Lohn!
DANIEL spricht. Es ist wahr, mein guter Junge, das Lieb ist allerliebst.
ANTONIO setzt sich wieder zu seiner Arbeit an seinen vorigen Platz. Weil es eine wahre Geschichte ist, die mir selbst vor zehn Jahren in Bern begegnete. Ihr wißt es, Großvater, ich war damals zwölf Jahre alt.
MARZELLINA. Ja, du lagst mit deinem Murmeltierchen an einer Ecke in der Straße. Du weintest, weil du den ganzen Tag nichts verdient hattest und starbst fast vor Hunger.
ANTONIO rasch einfallend. Und da hält mit einem Male eine Kutsche vor mir still, ein Fremder steigt heraus. Er fragt mich, was mir fehle, ich klage ihm meine Not. Er hebt mich auf und schenkt mir fünf Goldstücke, wovon ich das letzte noch immer aufgehoben habe. Ihr wißt, ich trage es beständig hier. Er zieht es an einem Bande um den Hals hervor. Ja, in meinem ganzen Leben lasse ich das Geld nicht von mir.
MARZELLINA. Laß mich’s noch einmal besehen, ich betrachte es gar zu gern.
DANIEL. Guter dankbarer Junge!
MARZELLINA. Und du hast nicht erfahren können, wer der gute Fremde war?
ANTONIO. Niemals, aber an seiner Kleidung und besonders an seiner Sprache merkte ich wohl, daß er ein Franzose war.
MARZELLINA. Unser Vater bleibt auch heute recht lange aus! Er hat mir doch versprochen, bei guter Zeit nach Hause zu kommen und mir das Ding – wie heißt es doch gleich – daß man zum Thore hinaus kann?
ANTONIO. Den Paß.
MARZELLINA. Ja, den Paß –
ANTONIO. Ach ja, ohne den darf man jetzt weder hinaus noch herein; und sie beschreiben einen so genau, daß nicht das geringste fehlen darf.
DANIEL. Das war sonst nicht so – nur seitdem die italienischen Soldaten in die Stadt gekommen sind.
MARZELLINA. Aber sagt mir doch, warum geschieht denn das?
DANIEL. Um die Herren vom Parlamente anzuhalten, die sich vor dem Minister geflüchtet haben.
ANTONIO. Ach, was thut dieser Mazarin doch Böses in unserm Frankreich!
DANIEL. Noch erst neulich ließ er ein Edikt ergehen, daß das arme Volk von Paris ganz zu Boden drückte. Das Parlament wollte seine Zustimmung nicht dazu geben, da ließ er die vornehmsten Parlamentsmitglieder arretieren; der Präsident, der am meisten die Partie des Volkes nahm, hat sich geflüchtet, und es ist ein großer Preis auf seinen Kopf gesetzt.
MARZELLINA. Ach ja, weißt du, Bruder! Das war’s, wovon wir schon diesen Morgen in der Stadt hörten.
ANTONIO nachahmend. Ja, sagte der eine: »Sie wollen den reichen Grafen Armand hinrichten lassen, der dem Volke so viel Gutes thut und den wir alle lieb haben.«
MARZELLINA. »Und auch seine Gemahlin« – sagte der andere – »sie ist schön und gut, eine wahre Mutter der Armen.«
ANTONIO. »Und das sollten wir leiden?« rief ein dritter. »Nein, nimmermehr!« Darauf lief das Volk von allen Seiten herbei – und man hörte überall ein Gemurmel. O es soll mich wundern, wenn es morgen nicht wieder Lärm gäbe.
Man hört Michelis Stimme von außen.
MARZELLINA. Ach, da kommt der Vater, er wird recht müde sein!
ANTONIO. Ja, wenn man so den ganzen Tag das Wasser durch Paris fährt. Er ist es.
MARZELLINA. Er ist es!
Marzellina und Antonio stehen auf und eilen zur Eingangsthür Mitte links, die sie vor dem eintretenden Micheli öffnen.
Daniel bleibt sitzen.
Die Wasserträger Micheli kommt in einem breiten runden Hut, über die Schultern einen ledernen Tragriemen, zwei Wassereimer in den Händen, durch die Eingangsthür Mitte links.
Zweiter Auftritt.
Daniel in seinem Lehnsessel hinter dem Tische. Der Wasserträger Micheli an der Eingangsthür, Marzellina zu seiner Rechten, Antonio zu seiner Linken.
Marzellina und Antonio nehmen dem Vater die Tragriemen und Eimer ab und stellen sie beiseite.
Antonio stellt den Stuhl von links vorn zurecht.
MARZELLINA. Seid Ihr wieder da, lieber Vater? Ach, wie Ihr Euch erhitzt habt!
MICHELI kommt näher, trocknet sich den Schweiß mit seinem Sacktuch ab und sinkt in den Stuhl links. Uff!
ANTONIO. Ihr seid wohl recht müde, nicht wahr?
MICHELI immer mit froher Zufriedenheit. So ziemlich, mein Sohn! Aber das thut nichts. Zu Daniel. Guten Abend, Vater! Zu Marzellina. Ist das Abendessen fertig? Er steht auf, hängt seinen Hut hin und setzt eine grobe wollene Mütze auf.
MARZELLINA. Ja, schon lange. Aber lieber Vater, ehe wir uns an den Tisch setzen, müßt Ihr erst mit mir zum Kommissär gehen, wegen des Erlaubnisscheines.
MICHELI setzt sich. Dazu ist’s morgen früh auch noch Zeit.
ANTONIO. Nein, nein, wir wollen gleich mit dem Frühesten aufbrechen, um nicht in der Sonnenhitze zu gehen.
MICHELI mit Laune. Und um desto früher deine Braut zu sehen, nicht wahr? Er lacht. Na, ich weiß ja, wie mir’s war als Bräutigam. Er steht auf.
Antonio stellt den Stuhl an seinen früheren Platz.
MICHELI nimmt Marzellina und Antonio bei den Händen und tritt mit ihnen einige Schritte vor. Kinder, ich kann aber heute nicht mehr gut ausgehen, denn ich erwarte hier jemand!
MARZELLINA. Wie? Noch so spät?
MICHELI lächelnd, indem er ihr die Hand auf die Schultern legt. O es giebt Dinge, für die es nie zu spät ist, mein Kind!
Daniel steht auf, faßt die kleine Krücke, die an seinem Lehnstuhl lehnt und tritt Marzellina näher.
Marzellina geht ihm entgegen, ergreift seine linke Hand und führt ihn vor.
DANIEL. Hört, Kinder! Der Kommissär wohnt nicht weit von hier, ich könnte wohl an deiner Statt hingehen und meine kleine Enkelin hinführen.
MICHELI. Wird Euch das nicht zu beschwerlich werden, lieber Vater?
DANIEL. Ach nein, ich habe den ganzen Tag hier im Stuhle gesessen; ein wenig Bewegung wird mir nicht schaden. Muß doch auch etwas thun für das Brot, das ich bei dir esse.
Antonio zündet von dem Tischchen hinten eine Handlaterne an der Lampe an.
MARZELLINA. Wollt Ihr nicht Eure andre Krücke nehmen, Großvater? Sie zeigt nach der Krücke auf dem Tischchen hinten. Sie ist stärker.
DANIEL. Nein, nein! Er nimmt sie beim Arm. Ich nehme lieber die da. Zu Antonio, indem er sich mit Marzellina zum Gehen wendet. Du willst auch mit, Antonio?
ANTONIO zu ihm tretend. Ja, muß ich denn nicht meinen Paß visieren lassen, den ich mit von Gonesse gebracht habe? Ohne das hielte man mich gewiß am Thore an.
MICHELI. Nun, so geht, Kinder, geht! Klopft nur sachte, wenn ihr wiederkommt.
Marzellina, Daniel und Antonio gehen durch die Eingangsthür Mitte links hinaus.
Daniel stützt sich dabei mit der einen Hand auf Marzellinas Schulter, mit der andern auf seine kleine Krücke.
Dritter Auftritt.
Der Wasserträger Micheli allein.
MICHELI schließt die Eingangsthür ab. Sie werden kommen! Ha, ha, ha! Das muß wahr sein, die Herren Aufpasser hab ich schön angeführt. Der arme gute Mann, wie er mir die Hand drückte! Und seine Frau, wie herzlich sie mir dankte! Ich habe auch verzweifelt viel gewagt, und doch sind sie noch nicht ganz gerettet – aber ich ruhe nicht eher, als bis ich sie aus Paris herausgeschafft habe. Doch wie, wie das anfangen? Er setzt sich rechts. Alle Ausgänge sind von den verwünschten italienischen Soldaten besetzt, die der Minister im Solde hat. Niemand darf hinausgehen, ohne aufs schärfste examiniert zu werden. Nach einigem Nachdenken. Jetzt hab ich’s! Aber es ist sehr viel gewagt. – Ei was! Für eine gute Sache muß man schon etwas wagen. Er steht auf.
Nr. 2. Arie.
MICHELI.
Ja, segne Gottheit mein Bestreben,
Ja, kröne glücklich mein Bemühn!
Schenk mir die Wonne, laß die Teuren
Mich den Gefahren bald entziehn!
Ha, welch Gefühl! Ha, welch Entzücken
Strömt durch die Brust, regt mächtig sich,
Wenn diese Stimme leise rufet:
Bedrängte Unschuld rette ich.
Ließ mein Geschick mich nur im Staube,
Ward mir gleich Dürftigkeit zu teil;
Nun denn, so sei doch dieses Leben
Ganz nur bestimmt für Menschenheil!
Dann soll doch einst ein Stein es sagen,
Wenn still bei ihm der Wandrer steht:
Hier dieser half und brachte Rettung,
Wo sonst bedrängte Unschuld fleht!
Zwar muß ich arm und dürftig leben
Und hart und schwer ist mein Geschick,
Allein mir ward ein Herz gegeben,
Empfänglich für der Menschheit Glück.
Einst soll auf meinem Grab man lesen:
Wandrer, hier ruht ein braver Mann;
Er ist der Schwachen Schutz gewesen
Und nahm sich seiner Brüder an.
Er spricht. Aber wenn mir’s doch fehl schlüge – wenn man’s entdeckte, es wäre um mein Leben geschehen, da ist gar kein Zweifel!
Was nun thun? Wozu mich entschließen?
Ha, denkst du deiner Kinder nicht?
Und für ihn, den alten Vater,
Wird Selbsterhaltung mir zur Pflicht.
Doch ach! Der Seele sanfte Regung
Giebt mir Zufriedenheit und Ruh.
Sie rufet mir mit leiser Stimme:
Bedrängte Unschuld rette du.
Nachdem er einige Augenblicke nachgedacht hat, spricht er. Ei, was da! Mag es doch gehen wie es will! Mein Entschluß ist gefaßt! Nur frisch gewagt! Vor allen Dingen muß ich alles dazu vorbereiten. Ich habe ja die ganze Nacht vor mir und mit meines Sohnes Hilfe – und dann: der Gedanke, etwas Gutes gethan zu haben, o der giebt Stärke, der giebt Mut!
Man klopft an die Eingangsthür.
Das werden sie sein! Ich darf ihnen nichts von meinem Vorhaben entdecken, sie würden für mein Leben zittern und niemals einwilligen.
Man klopft etwas stärker.
Aber ich will’s nun einmal und es muß gehen! Sapperment, ja, es muß gehen! Er öffnet die Eingangsthür Mitte links.
Graf Armand kommt, als Offizier gekleidet, mit schwarzem Lockenhaar und Knebelbart, im Gürtel zwei Pistolen, durch die Eingangsthür Mitte links.
Constanze seine Gemahlin, in einen braunen seidenen Mantel gehüllt, Hut mit einer weißen Feder, folgt ihm schüchtern.
Vierter Auftritt.
Constanze rechts. Der Wasserträger Micheli in der Mitte, Graf Armand zu seiner Linken. Dann ein Hauptmann der italienischen Truppen von außen.
Micheli verschließt die Eingangsthür, eilt vor und reicht Constanze die Rechte.
Constanze drückt sie mit Herzlichkeit.
Micheli reicht gleichzeitig dem Grafen Armand die Linke.
Armand umarmt Micheli mit Junigkeit.
Nr. 3. Terzett.
ARMAND.
O mein Erretter du!
CONSTANZE.
Dir nur dank ich das Leben!
ARMAND.
Ja, mein Erretter du!
CONSTANZE.
Dir nur dank ich das Leben!
CONSTANZE UND ARMAND.
Ja, bis zum Tod sei’s mein Bestreben –
MICHELI.
Ich that, was Menschlichkeit mich lehrte!
CONSTANZE UND ARMAND.
Dir dies Herz voll Dank zu weihn!
MICHELI.
Mein Herz muß mir Belohnung sein!
CONSTANZE UND ARMAND.
Ja, bis zum Tod sei’s mein Bestreben,
Dir dies Herz voll Dank zu weihn! –
ARMAND.
O mein Erretter du!
CONSTANZE.
Dir nur dank ich das Leben!
MICHELI.
Ich that, was Menschlichkeit mich lehrte!
ARMAND.
Ja, mein Erretter du!
CONSTANZE.
Dir nur dank ich das Leben!
MICHELI.
Ich that, was Menschlichkeit mich lehrte!
CONSTANZE UND ARMAND.
Ja, bis zum Tod sei’s mein Bestreben,
Dir dies Herz voll Dank zu weihn!
MICHELI.
Mir muß mein Herz Belohnung sein!
ARMAND.
Dir, nur dir, dir dank ich Constanze wieder!
CONSTANZE.
Den Gatten dank ich dir allein!
MICHELI.
Wahr ist’s, ich gesteh selbst es ein:
Mit List schlug ich doch den Pöbel nieder!
CONSTANZE UND ARMAND.
Voll Wut sah ich sie schon sich nahn,
Das Volk dräugt ergrimmt an uns an.
MICHELI.
Jetzt such ich Madame, halb tot vor Schrecken,
Der wilden Menge zu verstecken.
Zu Armand.
Euch, Euch schleudre ich den Hut aufs Ohr
Und spann Euch meinem Karren vor.
Vorbei eilt nun die tolle Menge,
Läßt als Wasserträger Euch gehn,
Bald, bald zerteilt ist das Gedränge!
Hahahahahahaha! ja, ja! Der Streich war schön!
CONSTANZE UND ARMAND.
So viel Güte ohnegleichen,
Solch ein Mut kaum zu erreichen!
MICHELI.
Alles wag ich, die Unschuld zu retten,
Umsonst drohn dann mir Gefahren und Ketten!
ARMAND.
Ha, mein Erretter du!
CONSTANZE.
Dir nur dank ich das Leben!
MICHELI.
Ich that, was Menschlichkeit mich lehrte!
ARMAND.
Ja, mein Erretter du!
CONSTANZE.
Dir nur dank ich das Leben!
MICHELI.
Ich that, was Menschlichkeit mich lehrte!
ARMAND.
Ja, bis zum Tod sei’s mein Bestreben,
Dir dies Herz voll Dank zu weihn!
Ja, mein Erretter du! Ja, mein Erretter du!
Ja, bis zum Tod sei’s mein Bestreben,
Dir dies Herz voll Dank zu weihn!
MICHELI.
Mein Herz muß mir Belohnung sein!
Ich that, was Menschlichkeit mich lehrte,
Mein Herz muß mir Belohnung sein!
CONSTANZE.
Ja, bis zum Tod sei’s mein Bestreben,
Dir dies Herz voll Dank zu weihn!
Dir nur dank ich das Leben!
Ja, bis zum Tod sei’s mein Bestreben,
Dir dies Herz voll Dank zu weihn!
CONSTANZE spricht. Guter Mann, Ihr kennt uns nicht und habt Euch doch unserer so herzlich angenommen.
MICHELI. Sie sind unglücklich, das ist mir genug!
ARMAND. Nein, ich darf dich nicht länger in Ungewißheit lassen, wer ich bin. Du siehst in mir den Präsidenten des Parlaments von Paris – mit einem Wort – ich bin Graf Armand.
MICHELI. Wie? Sie wären der Mann -?
ARMAND. Derselbe, der die ihm anvertrauten Rechte des Volkes selbst mit Gefahr seines Lebens verteidigte. Ein Preis von sechstausend Dukaten steht auf meinem Kopfe. Du siehst also, welche Gefahr dir droht, wenn –
MICHELI. Wenn ich Sie bei mir verberge? Das weiß ich wohl. Jetzt kommt’s nur darauf an, Sie von mir hier wegzupraktizieren – dem mächtigen Herrn Minister zum Trotze. Sie sind zwar jetzt in meinem Hause, wo es Ihnen an nichts fehlen soll, das heißt, soweit meine Kräfte reichen; aber ich fürchte doch, daß man eine Haussuchung anstellen dürfte, und wenn man Sie hier fände –
ARMAND. Dann wäre es um dich geschehen, braver Mann und mein Unglück würde durch das deinige nur vergrößert werden.
MICHELI. I nun, mein Kopf fiele mit dem Ihrigen, aber mit einem Blick gen Himmel dort fänden wir uns doch wieder! Indessen, so gut es dort auch sein mag, so denke ich, wir kommen dorthin immer noch zeitig genug! Er lacht. Nicht wahr? Meine Meinung wäre nun, zu eilen, daß Sie morgen aus Paris kämen.
CONSTANZE. Und wie wollt Ihr das anfangen?
MICHELI. Morgen früh schaffe ich Ihren Herrn Gemahl vor die Stadtthore.
ARMAND. Aber wie? Durch welches Mittel?
MICHELI. Lassen Sie mich nur machen! Das ist mein Geheimnis. Mein Sohn geht morgen nach Gonesse zurück, wo er eine reiche Pachterstochter heiraten soll; Sie begleiten ihn dahin – und sind Sie einmal dort, dann können Sie sich schon so lange verborgen halten, bis nichts mehr zu fürchten ist. Sehen Sie, das ist mein Plan. Steht er Ihnen an?
ARMAND. Ganz vortrefflich! Ich nehme ihn ohne Bedenken an.
CONSTANZE. Lieber Micheli, welchen Dank –
MICHELI. Was Sie aber betrifft, Frau Gräfin, so werden Sie schon so lange bei mir bleiben müssen, bis sich eine gute Gelegenheit findet, Sie mit Ihrem Gemahl wieder zusammenzubringen. Er trägt den Wassereimer und den Tragriemen in die Kammer rechts und hört dann zurückstehend mit teilnehmender Aufmerksamkeit zu.
Nr. 4. Duett.
CONSTANZE.
Mich trennen soll ich von dem Gatten?
ARMAND.
Denk der Gefahren, die uns umgeben,
Sie drohen zu schwer.
CONSTANZE.
Ich verachte sie nur.
ARMAND.
Und fürchtst du nicht der mächt’gen Feinde wütend Drohn?
Welcher Schutz bleibt dir noch, um ihnen zu entgehn?
CONSTANZE.
Ha, schützt mich Liebe nicht und Treue?
ARMAND.
So fürchte –
CONSTANZE.
Nein, ich fürchte nur für dich!
ARMAND.
Ach, opfre nicht dein Leben,
Erhalt es nur für mich!
CONSTANZE.
Nein – nein! –
Und gält es auch gleich mein Leben,
Mich trennt selbst der Tod nicht von dir! –
Mein bist du! – Ich rufe mutig:
Aus meinen Armen reißt ihn mir!
Nein, nein, nein, nein, mich trennt nicht Tod von dir!
Und gält es auch gleich mein Leben,
Mich trennt selbst der Tod nicht von dir!
Nein, nicht der Tod trennt mich von dir!
Laß selbst Gewalt auch, laß alle Rache
Mir zwiefach Schrecken drohn,
Nie trägt Constanze, von dir entrissen,
Nie der Trennung Schmerzenslohn!
ARMAND.
Laß mich, teure Gattin, fliehen,
O laß mich fliehn, entreiß dich der Gefahr!
CONSTANZE.
Nein! – Nein! – Nein!
ARMAND.
O laß mich fliehn, o teure Gattin!
Ach, laß mich fliehn, entreiß dich der Gefahr!
CONSTANZE.
Nein, gält es auch gleich mein Leben,
Mich trennt selbst der Tod nicht von dir!
Und gält es auch gleich mein Leben,
Ich spotte mutig der Gefahr!
ARMAND.
Laß, teure Gattin, laß mich fliehen,
Entreiß dich der Gefahr!
MICHELI tritt vor, zwischen Constanze und Armand, spricht. Sie hat mein‘ Seel‘ recht! Ich macht‘ es grad auch so.
ARMAND. Aber sie kann doch nicht aus Paris, ohne uns alle dem gewissen Tod preiszugeben?
MICHELI. Das ist meine Sorge. Ich bringe Sie aus der Stadt ohne die geringste Gefahr. Hm! Was sagen Sie dazu?
ARMAND. Und wie wolltest du das anfangen?
MICHELI lacht. Das ist wieder eins von meinen Geheimnissen.
ARMAND. Was bist du doch für ein sonderbarer Mann! Aber wie – und durch welches Wunder?
CONSTANZE. Er ist ein Engel, den Gott uns zur Rettung sandte.
MICHELI. Weder Engel noch Wunder, sondern nur eine gute ehrliche Haut, die brave Leute nicht mit kaltem Blute in Not sehen kann. Zu Constanze. Sagen Sie mir, Madame, da ich Sie aus den Händen der italienischen Soldaten befreite, waren Sie nicht so gekleidet.
CONSTANZE. Guter Mann! Sie wirft ihren Mantel und Hut ab und steht als Savoyardin da. Hier in diesem Anzuge habt Ihr mich gefunden.
MICHELI. Schön! schön! So sind Sie grade recht.
CONSTANZE. In dieser doppelten Verkleidung gehe ich nun schon drei Tage umher, ihr verdanke ich meine Rettung und das Glück, Euch angetroffen zu haben. Ihr seht, es erfordert bloß einen Augenblick, um mich aus einer Verkleidung in die andere zu werfen.
MICHELI lachend. Ganz allerliebst, ganz scharmant! Man sollte darauf schwören, daß Sie eine geborene Savoyardin wären. Ernsthaft. Nun gut, Madame, Sie trauen sich also Standhaftigkeit genug zu, in den schlechten Kleidern hier bei mir zu bleiben?
CONSTANZE. Sie sind mir so lieb geworden.
MICHELI. Ja, wenn ich mein Vorhaben ausführen soll, müssen Sie sich schon ein wenig herunterlassen –
CONSTANZE. Wie das, guter Mann?
MICHELI. Die Schwester von meinem Antonio vorzustellen, mit einem Worte, meine Tochter zu sein.
ARMAND ihm die Hand drückend. Wer wird sich wohl nicht gern zu deiner Familie zählen, ehrlicher Mann!
Es wird stark an die Eingangsthür Mitte links geklopft.
CONSTANZE UND ARMAND zugleich. Ach, das sind vermutlich Eure Kinder?
MICHELI. Nein, die würden sich nicht so plump anmelden. Er tritt an die Thür. Wer ist da?
EIN ITALIENISCHER HAUPTMANN von außen. Aufgemacht! Im Namen des Königs!
CONSTANZE leise, angstvoll. Gott!
MICHELI leise, beruhigend. Still, still!
ARMAND leise. Was sollen wir nun thun?
MICHELI wirft seine Augen auf das Bett Mitte rechts, leise zu Armand. Geschwind hier in das Bett! Sie stellen meinen alten Vater vor. Nur geschwind! Er reicht Armand seine Mütze und führt ihn zu dem Bett.
Armand steigt hinein und zieht die Mütze über die Ohren.
MICHELI deckt ihn zu und trägt die alten Männerkleider von den Stühlen und dem kleinen Tischchen hinten auf einen Stuhl an das Bett; leise. Den Kopf gegen die Mauer – in die Bettdecke gewickelt – die wollne Mütze ins Gesicht – so – so -! Er legt die große Krücke vom Tischchen quer über das Bett und verbirgt Constanzes Hut und Mantel zu Armands Füßen.
Constanze stellt in ängstlicher Eile die Pantoffeln vom Tischchen hinten vor das Bett und schließt die Vorhänge.
HAUPTMANN von außen, stärker klopfend. Nun, werdet Ihr bald aufmachen?
MICHELI laut. Ja, ich komme schon! Nur Geduld ein wenig! Leise zu Constanze. Sie stellen sich dort ans Bett – recht einfältig und schüchtern. Nur brav Courage, Madame, brav Courage! Er öffnet die Eingangsthür Mitte links.
CONSTANZE stellt sich an das Kopfende des Bettes, für sich. O Schicksal, wann wirst du aufhören, uns zu verfolgen!
Der italienische Hauptmann kommt mit vier Soldaten durch die Eingangsthür.
Der erste Soldat trägt ein Register unter dem Arm.
Der zweite Soldat trägt eine Laterne.
Fünfter Auftritt.
Graf Armand im Bett. Constanze am Kopfende des Bettes Mitte rechts. Der italienische Hauptmann in der Mitte, der Wasserträger Micheli zu seiner Linken. Die vier Soldaten zurückstehend.
HAUPTMANN weist zwei Soldaten vor die Eingangsthür. Bewacht die Thür und laßt niemand weder hinein noch heraus!
Der dritte und vierte Soldat stellen sich an die Eingangsthür.
HAUPTMANN laut, zu Micheli. Warum ließt Ihr uns so lange draußen stehen, ohne aufzumachen?
MICHELI halblaut, brummend. Ach, man ist so müde – so gliederlahm, wenn man den ganzen Tag Wasser durch die Stadt geschleppt hat. Leise. Aber thun Sie mir den Gefallen, etwas sachte zu reden – ich habe da er zeigt nach dem Bett meinen kranken Vater liegen. Was steht denn zu Diensten?
HAUPTMANN. Das Haus wollen wir durchsuchen und sehen, ob du nicht irgend ein Parlamentsmitglied versteckt hast.
MICHELI immer brummend. Ei ja, dazu hätte ich eben Lust.
HAUPTMANN nach rechts zeigend. Wo führt die Thür hin?
MICHELI. In meine Schlafkammer.
HAUPTMANN zu dem ersten und zweiten Soldaten, nachdem er sich das Register hat überreichen lassen. Geht hin und sucht überall nach, ob ihr nicht jemand findet.
Der erste und zweite Soldat gehen mit der Laterne nach rechts hinein, lüsterne Blicke auf Constanze werfend.
HAUPTMANN. Ich will indessen das Hausregister nachsehen. Er tritt an den Tisch rechts zur Lampe, öffnet das Register und liest. Anton Micheli, Savoyard von Geburt, Wasserträger.
MICHELI macht einen Kratzfuß. Der bin ich – das ist meine Wenigkeit!
HAUPTMANN betrachtet ihn nach seiner Liste. Gut! Er nähert sich dem Bett.
Constanze tritt von demselben nach rechts vor.
HAUPTMANN. Daniel Micheli, sein Vater, einundsiebzig Jahre alt, krank und schwach. Er geht ans Bett, zieht die Vorhänge weg, sieht den darin Liegenden, untersucht die Pantoffeln, die Krücke, die alten Kleider, fixiert Micheli einen Augenblick und zeigt eine Miene des Mitleids. Es ist gut! Er geht an den Tisch rechts zurück.
Constanze tritt wieder ans Bett, drückt, von den anderen unbemerkt, ein freudiges Gefühl über die nunmehr Überstandene Angst aus, macht die Vorhänge wieder zu.
DIE BEIDEN SOLDATEN kommen von rechts zurück, meldend. Nichts! Sie nehmen Aufstellung bei den andern an der Mittelthür.
HAUPTMANN. Marzelline Micheli, seine Tochter, einundzwanzig Jahre alt.
MICHELI zeigt auf die zitternde Constanze, nimmt sie ungestüm beim Arm. Da komm doch näher! Seh ‚mal einer, wie das dumme Ding zittert. Er zieht sie in die Mitte vor.
CONSTANZE. Ach, Vater!
MICHELI nachspottend. Ach, Vater! Meinst du etwa, daß die Herren dir etwas thun werden?
CONSTANZE. Ach nein – es ist nur – man ist’s doch nicht gewohnt.
MICHELI scheinbar heftig. Man ist’s nicht gewohnt? Nun, so mach‘ Sie doch einen Knix, Mamsell! Er drückt sie auf die Schultern. Wirst du bald einen Knix machen, wie ich ihn dir gelehrt habe?
Constanze macht einen steifen Knix.
MICHELI. Na, so! Einfältiges Ding du!
Constanze tritt wieder ans Bett zurück.
ERSTER SOLDAT halblaut. Das Mädchen ist allerliebst.
ZWEITER SOLDAT ebenso. Wässert dir der Mund schon danach?
HAUPTMANN zu Micheli. Das ist alles, was hier im Hause ist?
MICHELI. Ja, das ist alles!
Antonio erscheint sehr erhitzt in der Eingangsthür Mitte links.
Sechster Auftritt.
Die Vorigen. Antonio.
ANTONIO unter der Thür, für sich. Ach, du lieber Gott! Ich glaube, das nimmt kein Ende bei dem Kommissär -! Er erblickt die beiden Schildwachen, das Wort erstirbt ihm im Munde und er bleibt erstarrt stehen.
MICHELI beiseite. Mein Sohn! Mit einigen Schritten nach links. Wie werden wir uns da herausziehen?
Antonio will eintreten.
DRITTER SOLDAT. Halt! Wohin?
ANTONIO. Ich gehöre hier ins Haus.
Die beiden Soldaten kreuzen ihre Hellebarden.
ANTONIO. Aber wenn ich sage, daß ich der Sohn –
MICHELI läuft auf ihn zu und fällt ihm ins Wort. Schweig, du dummer Junge! Was schreist du so? Siehst du nicht, daß der Großvater schläft? Er zeigt auf das Bett.
ANTONIO sieht mit Erstaunen bald das Bett, bald seinen Vater an; in völliger Geistesabwesenheit. Er schläft?
HAUPTMANN zu Micheli. Wer ist der junge Mensch? Er giebt einen Wink.
Die Soldaten nehmen die Hellebarden weg und lassen Antonio eintreten.
Antonio kommt vor und tritt zwischen den Hauptmann und Micheli.
MICHELI. Mein Sohn –
HAUPTMANN. Aber er steht nicht mit auf der Liste, und Ihr sagtet, das sei alles.
MICHELI nimmt Antonio bei der linken Hand und zieht ihn vor. Ja, weil er nicht bei mir wohnt; er ist in Gonesse, wo er eine Frau nehmen will, und nur hereingekommen, seine Schwester auf Constanze zeigend zur Hochzeit abzuholen.
CONSTANZE stotternd. Du bist recht lange ausgeblieben, lieber Bruder!
Antonio sieht Constanze mit Befremdung an.
HAUPTMANN zu Antonio. Wenn das so ist, so müßt Ihr einen Paß von Eurer Obrigkeit in Gonesse haben.
MICHELI. Er hat ihn soeben visieren lassen, oder wie man’s nennt. Na, Antonio! Mach, laß deinen Paß sehen! – Steht er nicht da, wie ein dummer Junge! Mein Gott, wie wird man doch einfältig auf dem Lande!
Antonio giebt dem Hauptmann seinen Paß, tritt wieder zu Micheli.
Hauptmann sieht den Paß aufmerksam an der Lampe durch.
MICHELI inzwischen leise zu Antonio. Wenn du ein einzig Wort sagst, so sind wir verloren.
HAUPTMANN. Und dein Name also?
MICHELI. Er heißt –
HAUPTMANN schnell einfallend. Laßt ihn nur selbst antworten –
ANTONIO zögernd und in Verwirrung. Wie ich heiße?
HAUPTMANN. Ja! – Weißt du nicht, wie du heißt?
MICHELI. Nun, so gieb Antwort, Tölpel!
ANTONIO verlegen. Antonio Micheli.
HAUPTMANN vergleicht jedesmal Antonios Antworten mit dem Passe. Alt?
ANTONIO. Nein, jung!
HAUPTMANN. Dein Alter?
ANTONIO auf Micheli zeigend. Da steht er!
HAUPTMANN. Ach, wie alt du bist?
ANTONIO. Zweiundzwanzig Jahr.
HAUPTMANN sieht in dem Passe nach. Du wohnst?
ANTONIO sehr schnell. In Gonesse – vorgestern bin ich draußen weggegangen und morgen früh gehe ich mit meiner Schwester wieder hinaus und übermorgen heirate ich.
MICHELI. Aha, das bringt ihn doch endlich in Gang! Hat man nicht Mühe, die paar Worte von ihm herauszubringen.
HAUPTMANN. Es ist gut! Er giebt Antonio den Paß zurück. Warum zitterst du so, junger Mensch? Ich bin streng, wenn’s die Erfüllung meiner Pflicht betrifft, aber ich sehe es lieber, wenn ich keine Schuldigen finde. Zu seinen Soldaten. Laßt uns weitergehen! Marsch! Er geht durch die Eingangsthür Mitte links ab.
Die vier Soldaten machen, wenn der Hauptmann durch die Thür verschwindet, rechts und links um und gehen ihm zu Zweien nach.
Micheli begleitet den Hauptmann bis zur Thür.
Constanze giebt Antonio, während Micheli den Hauptmann und die Soldaten begleitet, einen Wink, sich in acht zu nehmen.
Antonio bleibt unbeweglich und staunend stehen.
Siebenter Auftritt.
Die Vorigen ohne den Hauptmann und die Soldaten.
CONSTANZE wenn die Soldaten verschwunden sind. Dank dir, Gott! Sie sinkt am Bett auf die Kniee.
ANTONIO zu Micheli. Aber lieber Vater, sagt mir doch nur –
MICHELI kommt Antonio zur Linken vor. Du sollst alles erfahren, aber sage, wo mein Vater und deine Schwester bleiben?
ANTONIO. Sie sind beim Seidenhändler nebenau, Marzellina will sich ein neues Tuch zur Hochzeit kanfen.
MICHELI. Lauf geschwind und laß sie nicht eher nach Hause kommen, als bis die Soldaten nicht mehr in unserer Nähe sind.
ANTONIO. Aber sagt mir doch erst –
MICHELI stößt ihn fort. Thue, was ich dir sage; unser aller Leben steht auf dem Spiele!
ANTONIO. Ich laufe schon! Er eilt durch die Eingangsthür ab.
Micheli verschließt, wenn Antonio fort ist, die Eingangsthür Mitte links und tritt an das Bett.
Achter Auftritt.
Graf Armand im Bett. Constanze vor dem Bett knieend. Der Wasserträger Micheli zur Linken des Bettes. Dann Antonio außerhalb.
Constanze erhebt sich.
MICHELI aufatmend. Uff! Schon wieder ein Sturm vorbei. Er öffnet die Vorhänge; zu Armand. Euer Schlaf war wohl ein wenig unruhig? Nicht wahr? Er lacht.
Armand erhebt sich, wirft die Mütze ab, springt aus dem Bett und nimmt die Mitte.
CONSTANZE Armand zur Rechten. Lieber Micheli!
MICHELI Armand zur Linken. Und doch haben Sie Ihre Rolle vortrefflich gespielt! Es war zum totlachen!
ARMAND. Guter Micheli, welchen Gefahren setzen wir dich aus! Er tritt langsam und unauffällig hinter Micheli weg auf dessen linke Seite.
MICHELI. Ei was, Gefahr! Dafür kann ich aber auch sagen: da seht einmal den Parlamentspräsidenten und seine Gemahlin, die habe ich gerettet! Die schließen mich jeden Morgen und Abend in ihr Gebet, und so lange sie leben, werden sie den armen ehrlichen Micheli nicht vergessen.
CONSTANZE UND ARMAND halten ihn umschlungen. Nein! nie! nie!
MICHELI. Na, jetzt wird man uns doch wohl keinen zweiten Besuch machen. Nun wollen wir auch frisch Atem holen und ein wenig an unsern Plan denken. Zu Constanze. Sie also, Madame, bestehen darauf, Ihren Gemahl zu begleiten?
CONSTANZE. Ja, ich bin fest entschlossen. Aber wie? Durch welches Mittel?
MICHELI. Ich hab’s. Meine Tochter ist zum Kommissär gegangen und holt sich einen Erlaubnisschein, weil sie morgen früh mit ihrem Bruder nach Gonesse gehen will. Den nehmen Sie und gehen an ihrer statt zur Hochzeit, und so werden Sie Ihren Gemahl ohne Gefahr begleiten können.
ARMAND. Aber wie glaubt Ihr, daß ich -?
MICHELI. Das wollen wir sehen, ich habe mir schon etwas ausgedacht. Es gehört nur ein wenig Courage dazu, und um die zu bekommen, wollen wir erst ein kleines Abendbrot zu uns nehmen und morgen, wenn wir alle zusammen ausgeschlafen haben, gehen wir ans Werk. Es wird leise an die Eingangsthür Mitte links geklopft. Wer ist da?
ANTONIO von außen. Wir sind’s, Vater!
MICHELI. Ach, es sind meine Kinder und der Vater! Seien Sie ganz ruhig, ich will ihnen öffnen! Er öff net die Eingangsthür und verschließt sie hinter den Eingetretenen wieder.
Antonio, Daniel auf seine Krücke und auf Marzellina gestützt, die ein neues Mieder in der Hand trägt, kommen durch die Eingangsthür.
Neunter Auftritt.
Constanze und Graf Armand rechts, der Wasserträger Micheli und Antonio in der Mitte, Daniel und Marzellina links.
Nr. 5. Finale.
Sextett.
ANTONIO.
O Gott, täuscht mein Auge mich nicht?
MICHELI.
Was giebt’s?
ANTONIO.
Er ist’s, er ist’s, ach, Vater!
MICHELI.
Wer ist’s?
ANTONIO.
Er ist’s, er ist’s, ach, Vater!
MICHELI.
Nun, wer?
ANTONIO.
Ja, mir sagt’s sein Gesicht,
Der edle Franke, mein Erretter!
MICHELI, DANIEL UND MARZELLINA.
Wie? Dieser edle Franke hier?
ANTONIO.
Ja, ja, er ist’s! Mein Auge sagt es mir!
MICHELI.
Kaum kann ich die Freude ertragen!
ARMAND.
Dein Retter, ich? Was willst du sagen?
MICHELI.
Kaum kann ich die Freude ertragen!
ANTONIO.
Wie, Herr? Ach, wißt Ihr denn nicht mehr?
Der Savoyard, er fror so sehr,
Ermattet, wie ihn, ihn Schmerz und Hunger plagten.
ARMAND.
Wie, das warst du? Der Savoyard Antonio?
MICHELI, ANTONIO, DANIEL UND MARZELLINA.
Jawohl!
ARMAND.
Der Savoyard Antonio?
Antonio geht an seinem Vater vorüber zu Armand und drückt ihm dankend die Hände.
CONSTANZE UND ARMAND.
Wie, das warst du. Du selbst, Antonio,
Des braven Wasserträgers Sohn?
MICHELI, DANIEL UND MARZELLINA.
Jawohl, er war’s, er selbst, Antonio,
Des armen Wasserträgers Sohn!
ANTONIO.
Jawohl, ich war’s, ich selbst, Antonio,
Des armen Wasserträgers Sohn!
ALLE.
Güt’ge Gottheit, welch Entzücken!
Ha, welch Gefühl hebt diese Brust!
Ach, nie empfand ich höhre Lust!
ANTONIO.
Welch Gefühl hebt diese Brust!
ALLE.
Kein Wort vermag sie auszudrücken!
Welch Gefühl hebt diese Brust!
Ach, nie empfand ich höhre Lust!
Güt’ge Gottheit, welch Entzücken!
Ha, welch Gefühl hebt diese Brust! –
ANTONIO.
Und Ihr lagt im Bette da,
Als schon sich die Soldaten -?
MICHELI.
Ei ja! Ei ja! Wie leicht hättst du’s verraten!
ARMAND.
Ja, war er nicht, dein edler braver Vater,
Dann wär ich – ach, und sie, jetzt
Dem Tode schon nah!
MICHELI.
Nun genug! Unsre Sorge ist jetzt,
Drauf zu denken, daß Ihr
Ganz sicher kommt von hier!
Marzellina geht an Daniel vorüber zu Micheli.
ANTONIO, MARZELLINA UND DANIEL.
Ei freilich, ja, daß Ihr ganz sicher kommt von hier,
MICHELI.
Daß sicher Ihr auch kommt von hier.
Hört mich an, sprecht, wollt ihr wohl was mit mir wagen?
ANTONIO UND MARZELLINA.
So sprecht doch nur! Was ist zu wagen?
MICHELI.
Wohl, du giebst mir den Paß,
Den du jetzt erhalten hast.
Marzellina giebt Micheli den Paß.
MICHELI.
Und nun, nun hört mich weiter!
Er geht an Antonio und Armand vorüber zu Constanze.
Habt wohl acht, nehmt jetzt Kunde
Vom Namen, vom Alter, Stand und Quartier,
Und morgen zur ganz frühen Stunde,
Ja, ja, morgen früh marschiert
Mein Sohn mit Euch von hier.
Daniel tritt etwas zurück und setzt sich auf den Stuhl links.
MARZELLINA.
Wie, mein Vater? Er nur soll gehen?
MICHELI geht an Armand und Antonio vorüber zu Marzellina und führt sie ganz nach links vor.
Für dich ist kein Hochzeitsschmaus!
MARZELLINA.
Wie? Was? Wie, für mich kein Hochzeitsschmaus?
MICHELI.
Für dich ist kein Hochzeitsschmaus!
MARZELLINA.
Dazu kann ich mich nicht verstehen.
MICHELI.
Und ich will es, es muß so sein!
MARZELLINA.
Dazu kann ich mich nicht verstehen!
MICHELI.
Kurz, ich will es, es muß so sein!
MARZELLINA.
Das ist sehr schlimm, ich ganz allein!
MICHELI.
Holla! Willst wohl noch widersprechen?
MARZELLINA.
Das ist sehr schlimm, ich ganz allein!
MICHELI.
Holla! Willst wohl noch widersprechen?
MARZELLINA.
Ach, ich soll nicht bei meines Bruders Feste –
CONSTANZE UND ARMAND zu Micheli.
Ach, kränkt sie nicht, ach, laßt sie nicht allein!
MICHELI zu Marzellina.
Nur kurz, ich will’s, es muß so sein!
Es muß so sein, nur kurz und ich will’s!
Er geht an Antonio vorüber zu Armand.
MARZELLINA.
Mich seines Glücks mit andern freun?
Ach, ich soll nicht mich mit ihm freun?
Sie wendet sich weinend ab nach links.
Ach, ich soll nicht, ach, ich soll nicht
Mich seines Glücks mit andern freun,
Ach, ich soll nicht mich seiner Freun?
MICHELI.
Still!
ANTONIO tritt zu Marzellina und faßt sie besänftigend bei der Hand.
Schwester, ach, tröste dich!
Sieb, deines Bruders Retter wird durch dich befreit!
MARZELLINA.
Wie? Wie? Wie, dein Retter wird durch mich befreit?
Sie geht beschämt an Antonio vorüber ihrem Vater entgegen.
MICHELI.
Tochter, ja, tröste dich! Sieh, deinem Vater
Wird dann das schönste Glück zu teil!
MARZELLINA.
Wie? Wie? Euch wird dann ein Glück zu teil?
CONSTANZE UND ARMAND.
Ach, dies Opfer ist uns nur geweiht!
MICHELI.
Ja, mir wird das schönste Glück zu teil!
MARZELLINA.
Und dein Erretter wird dann befreit?
Euch wird ein Glück dann auch zu teil?
Durch mich zu teil? – Ein Glück zu teil? –
Durch mich? – Durch mich?
ANTONIO.
Ja, mein Erretter wird durch dich befreit!
Ja, er wird dann durch dich befreit!
MARZELLINA zu Antonio.
Nun wohl!
So geht zu Eurem Glück, ich bleibe hier zurück!
Daniel steht auf, tritt zwischen Marzellina und Antonio, erstere in ihrem Entschluß belobend; dann geht er an Antonio vorüber auf die linke Ecke.
CONSTANZE UND ARMAND.
Ein herrlich Kind! Ein edles Herz! –
MICHELI UND DANIEL zu Marzellina.
Ach, hier erkenn ich ganz dein Herz,
Des braven Kindes zärtlich Herz! –
ANTONIO zu Marzellina.
Ach, hier erkenn ich ganz dein Herz,
Der braven Schwester zärtlich Herz! –
ALLE.
Güt’ge Gottheit, welch Entzücken!
Ha, welch Gefühl hebt diese Brust!
Ach, nie empfand ich höhre Lust!
ANTONIO.
Welch Gefühl hebt diese Brust!
ALLE.
Kein Wort vermag sie auszudrücken!
Welch Gefühl hebt diese Brust!
Ach, nie empfand ich höhre Lust!
Güt’ge Gottheit, welch Entzücken!
Ha, welch Gefühl hebt diese Brust!
Sie wenden sich nach hinten.
Zweiter Aufzug.
Nr. 6. Zwischenakt und Chor.
Fünfzehn Takte Zwischenaktsmusik.
Es schlägt hinter dem Vorhang sechs Uhr.
Fünfzehn Takte Zwischenaktsmusik.
Morgentrommelwirbel hinter dem Vorhang.
Der Vorhang hebt sich nach dem dritten Takte des Andantino.
Eine Barriere vor den Thoren von Paris.
Eine hohe Mauer mit einem breiten Mittelthor, durch welches man ins Freie gelangt, schließt den Hintergrund ab. Durch das Thor sind, wenn es geöffnet wird, dicht belaubte Bäume am Saum einer Fahrstraße in eine freie Gegend hinaus sichtbar. Zur Rechten des Thores das Schilderhaus. Rechts das Wachthaus mit einer Eingangsthür, mit einem Gestell für Hellebarden und einem Trommelstock zur Linken und einer Bank zur Rechten der Thür. Links eine Bank unter einem etwas zurückstehenden großen Baum.
Erster Auftritt.
Der italienische Lieutenant. Der Sergeant. Der Korporal. Italienische Soldaten. Bauern. Bäuerinnen. Kinder.
Der Trommler ist eben im Begriff, seine Trommel auf den Trommelstock links vom Wachthause abzuhängen.
Die Schildwache geht am Mittelthore auf und ab.
Soldaten sitzen und stehen auf und vor der Bank am Wachthause rechts.
Einige Bäuerinnen welche die Thoröffnung erwarten, stehen bei ihnen.
Der Lieutenant steht mit einigen Soldaten vor der Bank links unter dem Baum.
Einige Bäuerinnen sprechen in Erwartung der Thoröffnung mit ihnen.
Der Sergeant und der Korporal kommen mit drei Soldaten aus dem Wachthause rechts.
Die drei Soldaten schließen das Mittelthor für die dahinterstehenden Passanten, Bauern, Bäuerinnen und Kinder auf.
Der Lieutenant, der Sergeant und der Korporal prüfen die Pässe der durch das Thor Ein- und Austretenden.
Ein Bauer wird arretiert und in das Wachthaus rechts abgeführt.
Die Soldaten freuen sich darüber und kommen mit der gegenseitigen Versicherung, keinen Pardon geben zu wollen, nach vorn.
Das Mittelthor ist stets von Passanten belebt.
Der Lieutenant hält sich immer nahe dem Thore, um Pässe in Empfang zu nehmen und zu prüfen.
Chor.
SOLDATEN.
Nichts von Pardon, ganz ohne Gnade!
Aufgepaßt! Mann für Mann!
Wer’s auch sei, halt‘ ihn an!
So ist’s befohlen ohne Gnade!
Wer’s auch sei, halt‘ ihn an, halt‘ ihn an!
LIEUTENANT ist mit dem Sergeanten und Korporal vorgekommen.
Soldaten auf, habt acht!
Seid wach und spannt mit scharfen Blicken
Auf jeden Schritt und Tritt!
SOLDATEN gruppieren sich um den Lieutenant.
Wir spannen hin mit scharfen Blicken
Auf jeden Schritt und Tritt!
LIEUTENANT.
Ha, sollt‘ uns der Fang noch glücken
Was erwartet uns für Lohn!
Drum seid wach, laßt euch nichts drohn!
Ja, unsern Mut soll nichts ersticken!
SOLDATEN.
Unsern Mut soll nichts ersticken!
LIEUTENANT.
Nichts von Pardon!
SERGEANT rechts vom Lieutenant.
Nichts von Pardon!
KORPORAL links vom Lieutenant.
Nichts von Pardon!
LIEUTENANT.
Ganz ohne Gnade!
SERGEANT.
Ganz ohne Gnade!
KORPORAL.
Ganz ohne Gnade!
LIEUTENANT.
Nichts, nichts, nichts von Pardon!
SERGEANT.
Nichts von Pardon!
KORPORAL.
Nichts, nichts!
LIEUTENANT, SERGEANT UND KORPORAL.
Ganz ohne Gnade!
Nichts von Pardon, ganz ohne Gnade!
SOLDATEN.
Nein, nein, nichts von Pardon,
Nein, nein, ganz ohne Gnade!
Nichts von Pardon! –
Aufgepaßt! Mann für Mann!
Wer’s auch sei, halt‘ ihn an!
So ist’s befohlen ohne alle Gnade!
Wer’s auch sei, halt‘ ihn an, halt‘ ihn an!
LIEUTENANT spricht. Das muß wahr sein, wir haben diese Nacht treffliche Fänge gemacht. Es müßte mich alles trügen, wenn wir nicht ein flüchtiges Parlamentsmitglied darunter haben sollten.
SERGEANT. Wenn doch der darunter wär, auf dessen Kopf ein hoher Preis gesetzt ist.
KORPORAL. Ah, der Graf Armand! Nun, da bekämen wir etwas zu teilen.
SERGEANT. So wie es ausgemacht ist. Die Hälfte für unsere Herren Offiziere, die andere Hälfte für uns.
LIEUTENANT. Diese Barriere ist die wichtigste von Paris und so leicht soll uns keiner durchschlüpfen. Bei dem geringsten Versehen, bei dem kleinsten Unterschiede in der Beschreibung – gleich in die Wache!
SERGEANT steht nach links. Da kommt unser Hauptmann!
LIEUTENANT. In Ordnung!
Alle Soldaten legen die Rechte an den Hut.
Der Hauptmann kommt von links vor der Mauer.
Zweiter Auftritt.
Die Vorigen. Der Hauptmann nimmt die Mitte.
HAUPTMANN. Nun, Herr Lieutenant, was giebt’s neues?
LIEUTENANT. Nichts, Herr Kapitän! Am Tage giebt’s nicht leicht etwas zu fangen, nur des Nachts versucht man hinauszuwischen.
HAUPTMANN. Und doch muß ich Ihnen sagen, daß wir vielleicht, ehe der Morgen vergeht, eine sehr wichtige Person in unsere Hände bekommen werden.
LIEUTENANT. Wie das?
HAUPTMANN mit halblauter Stimme, indem die Soldaten dicht um ihn gedrängt, mit großer Aufmerksamkeit zuhören. Ich habe Befehl, bekannt zu machen, daß nach den zuverlässigsten Nachrichten unserer Spione, der Graf Armand –
LIEUTENANT. Nun?
HAUPTMANN. Hier in dies Viertel geflüchtet sei – daß er hier die Nacht zugebracht und wahrscheinlich diesen Morgen versuchen wird, in der ausgesuchtesten Verkleidung durch diese Barriere aus Paris zu kommen.
LIEUTENANT. Wir wollen ihn entdecken – und wenn er unter der Erde hinginge!
HAUPTMANN. Hier seine Beschreibung! Gebt genau darauf acht. Er zieht ein Papier hervor und liest. Julius Hippolit, Graf von Armand, erster Parlaments-Präsident von Paris, alt 26 bis 28 Jahr, Größe 5 Fuß 3 Zoll, schwarze Haare und Augenbrauen, blaue Augen voll Feuer, stolzer und fester Gang, leichthin sechstausend Dukaten Belohnung.
LIEUTENANT. Wenn er uns entwischt, will ich zeitlebens Wasser trinken. Ich gehe diesen ganzen Morgen nicht hier von dem Thore weg und examiniere selbst jeden, der hinaus will.
HAUPTMANN. Einige von euch sollen zu dem Detachement stoßen, das unter meinem Kommando auf die nächst gelegenen Dörfer marschieren wird, um nachzusuchen, ob sich nicht schon die vorige Nacht eins von den Parlamentsmitgliedern hinausgeschlichen hat. Zum Lieutenant. Die Expedition ist von Wichtigkeit, Herr Lieutenant. Sie werden mir die sichersten Leute dazu aussuchen. Mein Wille ist, daß die Ordre aufs genaueste ausgeführt werde und wehe dem, der sie mißbrauchen sollte. Sobald das Detachement kommt, wird es mir gemeldet. Er geht nach rechts in das Wachthaus ab.
Die zwei Soldaten aus dem ersten Aufzug folgen ihm.
Lieutenant geht wieder an das Mittelthor und prüft die Pässe der Ein- und Ausgehenden.
Sergeant, Korporal und die Soldaten sitzen und stehen in Gruppen auf und an den Bänken rechts vorn und links unter dem Baum.
Allerlei Leute kommen von links vorn und von außerhalb an die Barriere und übergeben dem Lieutenant ihren Paß.
Lieutenant prüft und giebt der Schildwache ein Zeichen.
Schildwache läßt die Leute passieren.
Constanze in ihrer Verkleidung als Savoyardin, ein zugedecktes Körbchen in der Hand, eine Kürbisflasche umgehängt, und Antonio, einen Pack auf dem Rücken und einen großen Knotenstock in der Hand, kommen von links vorn.
Dritter Auftritt.
Der Lieutenant. Der Sergeant. Der Korporal. Soldaten. Allerlei Leute. Antonio und Constanze zur Linken des Lieutenants.
Antonio überreicht dem Lieutenant seinen Paß.
LIEUTENANT sieht den Paß durch und vergleicht stillschweigend das Signalement darin mit Antonios Figur; indem er den Paß zurückgiebt, zur Schildwache. Passiert!
Constanze tritt an Antonio vorüber zum Lieutenant, übergiebt nun mit einem Knix auch ihren Paß.
LIEUTENANT nimmt den Paß und vergleicht genau. Der Paß gilt nicht.
ANTONIO. Wie? Der gilt nicht?
LIEUTENANT. Die Beschreibung ist falsch.
ANTONIO. Ei, Herr, wir können ihn doch nicht anders geben, als wir ihn bekommen haben.
LIEUTENANT Constanze scharf ansehend. Wie ist dein Name?
ANTONIO will an Constanze vorüber zum Lieutenant hin. I nun, Sie sehen’s ja da im Papier.
LIEUTENANT heftig. Du schweigst!
Antonio tritt erschreckt wieder zurück.
LIEUTENANT zu Constanze. Wie heißt du?
ANTONIO heimlich zu ihr. Anna Marzellina Micheli.
CONSTANZE naiv und etwas linkisch. Anna Marzellina Micheli.
LIEUTENANT liest im Paß nach. Wie alt?
CONSTANZE. Einundzwanzig Jahr.
LIEUTENANT. Wohnst?
CONSTANZE. Bei meinem Vater.
LIEUTENANT. Heißt?
ANTONIO. Antonio Micheli, Savoyard von Geburt, Wasserträger in der Straße d’Anjou hier im nächsten Viertel.
LIEUTENANT. Wo geht ihr hin?
CONSTANZE weist auf Antonio. Auf die Hochzeit meines Bruders Antonio, der hier steht, und der deswegen von Gonesse gekommen ist, um mich dazu abzuholen Indem sie auf den Paß zeigt, den Antonio in der Hand hält. wie das alles auf dem Papiere steht.
Die zwei Soldaten die mit dem Hauptmann in das Wachthaus gegangen sind, kommen zurück.
LIEUTENANT. Das trifft alles zu, aber Mädchen, hier stehen braune Haare und du hast schwarze. Hier stehen blaue Angen und du hast braune.
Nr. 7. Melodram, Ensemble und Chor.
LIEUTENANT spricht. Aufgesehen! –
Constanze vermeidet seinen Blick.
LIEUTENANT heftig. Nun, so sieh mich doch an! –
CONSTANZE furchtsam und zitternd. Euer Blick ist so fürchterlich.
LIEUTENANT nimmt sie bei der Hand. Dein Blick hält den meinigen nicht aus! Deine Verlegenheit – das Zittern – alles verrät –
ANTONIO. Aber mein Himmel, Ihr habt sie gleich so erschreckt!
LIEUTENANT. Marsch, marsch, auf die Wache! –
Einige Soldaten wollen sich Constanzes bemächtigen.
CONSTANZE flieht an Antonio vorüber nach links.
Ach, mein Bruder, ach, hör mein Flehen!
O mein Antonio! O mein Antonio!
Verlaß, verlaß mich nicht!
Ach nein, ach, verlaß mich nicht!
ANTONIO.
Ha, sollt ich zu Grunde gleich gehen,
Entreißen laß ich mir dich nicht.
Er schließt Constanze in den linken Arm und schwingt mit der Rechten seinen Knotenstock.
LIEUTENANT.
Unbesonn’ner, du willst es wagen,
Noch Widerstand zu leisten hier.
Widerstand wagst du hier?
ANTONIO.
Für meine Schwester alles wagen,
Ha, das befiehlt die Pflicht in mir.
CONSTANZE.
Ach, verzeiht, ach, verzeiht des Bruders Eifer,
Hört mich doch nur an, hört mich nur auf ein Wort!
LIEUTENANT.
Nein!
CONSTANZE.
Ach, hört nur ein Wort!
LIEUTENANT.
Nein, nein, ich will kein einzig Wort!
CONSTANZE.
Ach, hört nur ein Wort!
LIEUTENANT.
Nein, nein, ich will kein einzig Wort,
Kein einzig Wort, kein einzig Wort!
ANTONIO für sich.
Mein Blut will mir die Adern sprengen!
Mein Blut will mir die Adern sprengen!
CONSTANZE.
Ach, verzeiht ihm des Bruders Drängen!
DIE SOLDATEN treten näher.
Ha, Unbesonn’ner, du willst’s wagen –
LIEUTENANT.
Noch Widerstand zu leisten hier?
ANTONIO.
Für meine Schwester alles zu wagen,
Ha, das befiehlt die Pflicht ja mir! –
Mein Blut will mir die Adern sprengen!
LIEUTENANT.
Nein, nein, ich will kein einzig Wort!
CONSTANZE.
Ach, hört mich doch an! Nur ein Wort!
Ach, verzeiht ihm sein Drängen,
Ach, hört mich doch an!
DIE SOLDATEN.
Ha, Widerstand zu leisten hier!
Bube, du willst’s wagen,
Noch Widerstand zu leisten hier?
Du willst es wagen, du willst es wagen?
Unbesonn’ner, du willst es wagen,
Noch Widerstand zu leisten hier?
LIEUTENANT zu den Soldaten.
Marsch fort, ihr müßt sie trennen!
ANTONIO.
Du willst, Barbar, uns trennen?
CONSTANZE.
Ach, mein Bruder!
ANTONIO.
Nun, so teil ich – ja – ja –
Ja, so teil ich auch ihr Geschick!
LIEUTENANT.
Nur fort, gehorcht! Ihr müßt sie trennen!
Fort, fort, gehorcht! Fort, fort, gehorcht!
Fort, fort, gehorcht!
ANTONIO.
Du willst, Barbar, uns trennen? –
Die Soldaten nähern sich Antonio.
ANTONIO.
Wer sich naht, stürzt erblaßt zurück!
CONSTANZE.
Mein Bruder, ach, verlaß mich nicht! –
Mein Bruder! Mein Bruder!
DIE SOLDATEN bedrohen Antonio.
Unbesonn’ner!
ANTONIO spricht.
Der erste, der sich mir naht, ist des Todes!
Einige Soldaten fallen Antonio in den Arm, trennen ihn von Constanze, entwinden ihm den Knotenstock und wenden sich mit ihm und Constanze nach dem Wachthaus.
Der Hauptmann tritt ihnen von dort entgegen.
Vierter Auftritt.
Die Vorigen. Der Hauptmann rechts vom Lieutenant. Dann entfernt der Wasserträger Micheli.
HAUPTMANN. Was ist das für ein Lärm? Was giebt’s?
LIEUTENANT. Hier der junge Bursche hat sich thätlich widersetzt!
HAUPTMANN ernst. Wie? Ihr untersteht Euch -?
ANTONIO. Ich bin der Sohn von Micheli und das ist seine Tochter.
HAUPTMANN erkennt sie, mit mildem Ton. Es ist wahr, ich habe sie dort gesehen. Er tritt ihr, am Lieutenant vorübergehend, näher.
LIEUTENANT erstaunt. Sie kennen sie?
CONSTANZE läuft, an Antonio vorüber, auf den Hauptmann zu. Ach, der Himmel schickt Sie zu unserer Rettung! Nicht wahr, Herr Offizier, ich bin Michelis Tochter?
HAUPTMANN legt ihr lächelnd die Hand unters Kinn. Ja, ja, Kleine, das kann ich bezeugen!
CONSTANZE. Sie haben mich ja gestern Abend gesehen, wie Sie unser Haus durchsuchten, nicht wahr?
HAUPTMANN. Ja, das ist wahr.
CONSTANZE zum Lieutenant. Nun werden Sie mir doch ein andermal glauben?
LIEUTENANT. Aber sind Sie auch sicher, Herr Kapitän?
HAUPTMANN. Ob ich sicher bin? Auf seine beiden Begleiter aus dem Wachthause zeigend. Fragen Sie nur die beiden Soldaten, die bei mir waren.
ERSTER SOLDAT. Ja, sie ist es.
ZWEITER SOLDAT. Ja, es ist das hübsche Mädchen, daß wir gestern Abend bei dem Savoyarden Micheli sahen.
Der Hauptmann und der Lieutenant sprechen eifrig und leise miteinander und treten ein wenig nach rechts hinten zurück.
MICHELI ruft links vorn entfernt. Wasser! Wasser!
Nr. 8. Melodram.
ANTONIO. Ah, eben recht! Da kommt er selber! –
Der Wasserträger Micheli kommt von links vorn, in einen zweiräderigen Karren gespannt, auf dem ein großes Wasserfaß liegt, an welchem hinten zwei Eimer hängen; er zieht den Karren, indem er sogleich Constanze und Antonio erblickt, nur einige Schritte vor.
Fünfter Auftritt.
Der Hauptmann und der Lieutenant rechts etwas zurückstehend. Constanze, Antonio und der Wasserträger Micheli auf der linken Ecke. Die Soldaten in Gruppen rückwärts.
MICHELI zu Constanze und Antonio. Was der Geier! – – Was macht ihr denn noch hier? – – Ich dachte, ihr wärt schon lange über alle Berge. – –
ANTONIO. Ach, Vater, sie haben uns ja hier angehalten. –
MICHELI sich auf sein Faß lehnend. Was? Euch angehalten?
CONSTANZE weinerlich. Ach ja, Vater! Weil da in dem fatalen Papier blaue Augen und schwarze Haare stehen, und weil ich gerade keine solchen habe, so wollen sie mir nicht glauben, daß ich Eure Tochter bin.
Lieutenant und Hauptmann kommen nach rechts vor.
MICHELI indem er sich ausspannt. Nun, wer sollst du denn sein? Er geht, die Blicke auf die beiden Offiziere gerichtet, an Antonio und Constanze vorüber und nimmt die Mitte.
ANTONIO. Sie wollten und schon in die Wache wer fen.
CONSTANZE in Michelis Arme fliegend. Ach, lieber Vater, nun fürchte ich mich nicht mehr, da Ihr da seid.
MICHELI sie liebkosend. Sei ruhig, liebes Mädchen, sei ruhig, sie sollen dir nichts thun. Aber darf ich fragen, Herr Offizier, warum Sie eigentlich –
LIEUTENANT. Das macht hier der Paß! Wo sich so große Unrichtigkeiten wie hier befinden, da muß man Überzeugung haben. Indessen, um nichts zu versehen, Herr Kapitän, dächt ich, ließen wir sie zum Kommissär führen, der den Paß ausgestellt hat.
CONSTANZE leise zu Micheli. Nun sind wir verloren!
MICHELI. Daß sie meine Tochter ist, das, dächte ich, könnte niemand besser wissen als ich.
LIEUTENANT heftig. Davon ist hier nicht die Rede, sondern von der Unrichtigkeit der Beschreibung.
MICHELI. Es war gestern Abend spät, als das Mädel bei dem Kommissär war, und da hat er bei Licht vermutlich Braun für Blau und Schwarz für Braun angesehen, das kann wohl passieren. Sie wissen ja, wie’s im Sprichwort heißt: »Bei Nacht sind alle -« Lachend. Aber daß sie meine Tochter ist, das ist ganz gewiß. Mit Humor. Sapperment, es ist meine kleine liebe Marzellina. Er umarmt sie. Mein lie bes Kind, bist so in Angst gewesen! Bittend. Nun, meine Herren, werden Sie mir aber einen Gefallen thun, wenn Sie das Mädchen mit ihrem Bruder ihre Straße gehen lassen; sehen Sie, sie kommen sonst zu spät zur Hochzeit und müssen vorher den ganzen beschwerlichen Weg in der Sonne machen.
LIEUTENANT. Ach, was geht uns das an! Ich muß –
MICHELI ein wenig hitzig. Was Teufel! Ich bin hier bekannt, jedes Kind in dem Viertel kennt mich. Ich bin Bürge für meine Kinder. Sapperment – ich bin Bürge!
HAUPTMANN zieht den Lieutenant auf die Seite. Ich sehe nicht ein, Herr Lieutenant, warum wir sie nicht wollen passieren lassen. Unsere Pflicht ist zwar, für die Sicherheit von Paris zu wachen, aber nicht, die Einwohner zu tyrannisieren. Es ist nicht das geringste dabei zu wagen, sage ich Ihnen, ich nehme alles auf mich.
LIEUTENANT. Wenn das ist, hab ich nichts mehr zu sagen. Zu Constanze. Da, nimm! Er geht zu Constanze, giebt ihr den Paß und kehrt dann wieder auf seinen Platz zurück. Ein andermal aber, Mädchen, laß du dich so beschreiben wie du aussiehst. Er giebt der Schildwache einen Wink.
MICHELI lustig wie immer. Da müßte sie erst lesen können. Unsereins geht dahin, wohin man uns stößt. Zu Antonio. Na, Antonio, so geh mit deiner Schwester, aber lauf nicht zu geschwind – vergiß, daß du zu deiner Braut gehst! Das arme Mädchen ist’s nicht gewohnt. Zu Constanze, sie unter dem Kinne fassend. Und du, sei immer hübsch artig! Und wenn etwa bei der Hochzeit ein paar junge Burschen wären, die ein Auge auf dich hätten, so höre nicht auf sie mit Bedeutung und mit einem Blick auf sein Faß und bedenke, daß ich hier einen Mann für dich habe.
CONSTANZE freudig ausrufend. Ach! Sich wieder besinnend. O sorgt nicht, Vater!
MICHELI. Nun, so geht, Kinder, geht! Er küßt sie auf die Stirn.
CONSTANZE mit leiser Stimme, ihren Arm um Micheli schlagend. Guter Micheli, wie kann ich Euch danken!
MICHELI leise. Aller Augen sind auf uns gerichtet. Laut. Allons! Fort! Fort!
CONSTANZE macht beiden Offizieren eine Verbeugung, zum Hauptmann. Ich bedanke mich auch schön!
HAUPTMANN nimmt seinen Hut ab. Reise glücklich, liebes Kind!
MICHELI. Nun adieu, Kinder! Adieu! Kommt glücklich zurück!
ANTONIO UND CONSTANZE. Adieu! Adieu! Sie drücken sich wechselseitig die Hände und gehen nach dem Mittelthor.
Constanze wirft immer noch Micheli bedeutsame Blicke des Dankes zu und macht noch unter dem Thor den beiden Offizieren einen linkischen Knix.
Antonio und Constanze verschwinden draußen unter den Bäumen.
Sechster Auftritt.
Die Vorigen ohne Antonio und Constanze.
LIEUTENANT. ’s ist ein hübsches Mädchen, Eure Tochter!
MICHELI sich an seinen Wagen spannend. Passiert! Die Wahrheit zu sagen, sie ist im ganzen Viertel beliebt. Noch ein wenig blöde ist sie, das ist wahr, aber das wird sich geben. Er zieht seinen Karren bis dicht ans Mittelthor und wendet ihn, so daß der zu öffnende Boden dem Thore entgegensteht.
SCHILDWACHE. Zurück!
MICHELI in komischer Verwunderung. Wie? Warum? Er hält still. Hab ich etwa auch unechte Haare?
LIEUTENANT. Wir haben die schärfste Ordre, keinen Wagen passieren zu lassen.
MICHELI ein wenig verwirrt, in komischer Naivetät. Aber ist das ein Wagen, das?
LIEUTENANT heftig. Allons! Nicht räsonniert! Ihr könnt nicht passieren!
MICHELI. Nun, nun, ich verstehe. Brauchen sich darüber nicht zu erzürnen, Herr Offizier! Meine Kunden in der Vorstadt mögen sich heute einmal ohne Wasser behelfen. Man muß alles gewohnt werden.
ERSTER SOLDAT. Trag uns lieber dafür ein paar Eimer in unsere Wache, daß wir unsre Töpfe ans Feuer setzen können.
MICHELI. Herzlich gern, so viel Ihr wollt! Er zieht den hintersten Hahn und läßt zwei Eimer voll laufen.
LIEUTENANT pocht ans Faß. Wie viel ist wohl da drinnen?
MICHELI einen Augenblick verlegen. In dem Faß da? Ja, da ist mehr drinnen, als Sie wohl denken. Zehn Eimer ungefähr. Indem er fortwährend die Eimer voll laufen läßt, mit seiner vorigen Munterkeit. Ja, es ist ein schweres Stück Arbeit, den ganzen Tag so eine Last herumzuschleppen.
HAUPTMANN. Armer Teufel! Du hast ein schweres Gewerbe.
MICHELI. Ich klage nicht, Herr Kapitän! Ja, es giebt sogar Zeiten, wo ich mein Gewerbe mit keinem in der Welt vertauschen würde. Leicht. Ja, ja, mit keinem in der Welt wollte ich tauschen. Er legt ein paar Steine hinten an den Karren und trägt das Wasser in das Wachthaus rechts.
Alle Soldaten folgen ihm.
Siebenter Auftritt.
Der Lieutenant, der Hauptmann zu seiner Linken. Die Schildwache am Mittelthor.
HAUPTMANN. Seine Lustigkeit gefällt mir.
LIEUTENANT. Der närrische Kerl ist bei aller seiner Arbeit guter Dinge.
HAUPTMANN. Wie ehrwürdig ist diese nützliche Volksklasse und wie sehr verdient sie, daß man für ihr Glück besorgt ist.
LIEUTENANT. Ha, wenn sich’s der Graf Armand nur einfallen ließe, sich durchzuschleichen, wie Sie uns Hoffnung machten, Herr Kapitän, was für ein Tag sollte das für uns sein!
HAUPTMANN. Sagen Sie für sich!
LIEUTENANT. Wieso? Bekommen Sie denn nicht die Hälfte von der Belohnung, die der Minister –
HAUPTMANN. Ich Geld nehmen, das auf den Kopf eines Menschen gesetzt ist? Nimmermehr!
LIEUTENANT. Ach, was kümmert das uns, wir thun unsre Schuldigkeit. Aber war es nicht hier in dem Viertel, in dem der Wasserträger wohnt, wo der Graf Armand diese Nacht zugebracht haben soll?
HAUPTMANN. Ja.
LIEUTENANT. So muß man den Savoyarden doch ein wenig ausforschen. Diese Art Leute wissen immer alles, sie sind überall bekannt. Vielleicht – um ihn zu locken, müssen wir ihm anbieten, mit uns in Teilung zu gehen. Vielleicht, daß ihn eine so große Summe blendet.
Der Wasserträger Micheli kommt mit den leeren Eimern aus dem Wachthause zurück und hängt sie an den Karren.
Achter Auftritt.
Die Vorigen. Der Wasserträger Micheli.
LIEUTENANT leise zum Hauptmann. Da kommt er wieder! Lassen Sie mich machen, Herr Kapitän! Laut zu Micheli. Hör einmal, guter Freund, komm näher!
Micheli kommt näher und nimmt die Mitte, während er die beiden Offiziere scharf fixiert.
LIEUTENANT. Wohnst du nicht hier in der Straße d’Anjou?
MICHELI. Ja, zur rechten Hand, wo man hineingeht, dicht an der langen Allee.
LIEUTENANT. Wir wissen, daß sich diese Nacht der Graf Armand dort verborgen hat und wir suchen ihn überall.
MICHELI in scheinbarer Verwunderung. I, seh nur ein Mensch! So ein vornehmer Herr in unserer schlechten Straße!
LIEUTENANT. Solltest du nicht von ihm gehört haben?
MICHELI wie von einer plötzlichen Erinnerung ergriffen. Ja, doch – wart’t einmal!
LIEUTENANT lebhaft. Nun? Wenn du uns etwas entdecken kannst, so ist dein Glück gemacht!
MICHELI scheinbar begierig. Mein Glück? Ei, so laßt doch hören! Wieso denn?
LIEUTENANT. Sechstausend Dukaten sind dem versprochen, der ihn tot oder lebendig dem Minister überliefert.
MICHELI. Sechstausend Dukaten!
LIEUTENANT. Und wir versprechen dir tausend davon für deinen Anteil, wenn du uns Nachricht geben kannst, wo wir den Flüchtling finden.
MICHELI. Tausend für meinen Anteil? Hören Sie! Er zieht die beiden Offiziere vertraulich an sich. Es ist noch keine halbe Stunde, daß ich, wie ich so meinen Karren hinter mir herschleppte, einen Mann gesehen habe, der sich fest in seinen Mantel gehüllt hatte. Ja, es war ein brauner Mantel! Er schlich dort er zeigt nach links hinten ganz dicht an den Häusern hin und schien einen Ort zu suchen, wo er sich verstecken könnte.
HAUPTMANN. Wie alt ungefähr?
MICHELI. I, so dreißig Jahre!
LIEUTENANT. Seine Größe?
MICHELI. So mittelmäßig, sechs Fuß.
LIEUTENANT. Schwarzes Haar, schwarzer Bart?
MICHELI. Ganz richtig!
HAUPTMANN. Stolzer Blick?
MICHELI bei jeder Angabe mit größerer Freude. Ja, ja! »Mein Freund,« sagte er leise zu mir, »könnt Ihr mir nicht sagen, ob das Thor dort von französischen Soldaten besetzt ist?« – »Mit Italienischen,« antwortete ich. – »Mit Italienischen?« rief er heftig aus. »Und ohne Zweifel sind es ihrer viele?« fragte er weiter. – »Es mögen ungefähr dreißig Mann mit zwei Offizieren sein.« – »Dreißig Mann!« sagte er mit starker Stimme und mit Augen, die wie Feuer blitzten.
LIEUTENANT freudig. Sicher ist es der Graf.
HAUPTMANN. Es hat einige Wahrscheinlichkeit.
MICHELI immer lustiger über ihre Leichtgläubigkeit. Und wie er die paar Worte gesagt hatte, verdoppelte er seine Schritte mit einer Unruhe, woraus man wohl sah, daß ihm nicht wohl ums Herz war. Darauf hielt er wieder inne, sah sich überall schüchtern um und schlich sich endlich ganz heimlich durch eine offenstehende Hausthür und so hab ich ihn aus dem Gesicht verloren –
LIEUTENANT. Würdest du die Hausthür wiedererkennen?
MICHELI. So gut wie meine eigene.
HAUPTMANN. Und es ist noch keine halbe Stunde?
MICHELI. Höchstens!
HAUPTMANN. Hier in dem Viertel?
MICHELI. I, keine hundert Schritte von hier!
LIEUTENANT. Soll ich sogleich Generalmarsch schlagen lassen?
HAUPTMANN. Nein, das würde alles verderben und –
MICHELI. Und unser Mann würde desto eher entwischen.
LIEUTENANT. Er hat recht.
MICHELI. Soll ich Ihnen einen guten Rat geben? Hören Sie! Sie gehen jetzt beide in Ihre Wachtstube, suchen die bravsten Leute aus und teilen sie dann in zwei Teile; einer von Ihnen geht mit mir, als wenn er Patrouille machte, dann bleib ich vor dem Hause stehen! sie dringen hinein, umringen das Haus von allen Seiten und auf die Art seh ich nicht ein, wie uns der Mann im braunen Mantel entwischen sollte.
LIEUTENANT. Richtig, ich nehme die Expedition auf mich!
HAUPTMANN geht an Micheli vorüber zum Lieutenant. Und ich suche indes die vertrautesten Leute dazu aus.
Nr. 9. Finale.
HAUPTMANN.
Nun marsch! – Marsch fort! –
Marsch fort! Hier ist nicht mehr zu weilen!
Wir wählen uns die Bravsten aus!
LIEUTENANT.
Bald lacht uns der herrlichste Schmaus,
Ja, Freunde, den wollen wir teilen!
MICHELI.
Für mich wird das ein schöner Schmaus,
Ha, welch ein Schmaus, ha, welch ein Schmaus!
LIEUTENANT UND HAUPTMANN.
Marsch fort! – Marsch fort!
Marsch fort, laßt das Werk uns vollbringen!
Auf, Freunde, der Mut führt uns an!
Marsch, laßt das Werk uns vollbringen!
MICHELI für sich.
O Gott, o Gott!
Laß meine List gelingen!
Ach, nimm dich der Unschuld doch an!
Ach Gott! – Ach Gott!
LIEUTENANT UND HAUPTMANN.
Auf, Freunde, der Mut führt uns an!
Marsch, ihr Freunde, der Mut führt uns an!
Auf, der Mut führt uns an!
Auf, ihr Freunde, auf! Der Mut führt uns an!
Sie gehen beide ab in das Wachthaus rechts.
Neunter Auftritt.
Der Wasserträger Micheli. Graf Armand. Die Schildwache.
MICHELI macht sich auf der nach dem Mittelthor hin gerichteten Seite seines Wasserfasses zu schaffen, indem er bemüht ist, den Boden im günstigen Augenblick zu öffnen.
Nun mutig, nun mutig! Frisch gewagt!
Der Augenblick ist günstig!
Die Schildwache geht am Mittelthor derart auf und ab, daß sie im Augenblick der Flucht des Grafen Armand dem Wasserfasse den Rücken wendet.
MICHELI hebt im geeigneten Augenblick den nach dem Mittelthor zu gerichteten Boden des Fasses, aus dem Graf Armand steigt und durch das Mittelthor entflieht; dann schließt er schnell den Boden wieder und tritt mit ersichtlichem innern Frohlocken in den Vordergrund links.
Nun ist er frei, der brave Mann!
Jetzt will ich mich freuen, so viel ich kann!
Ha, liebes Faß, mehr wert als Kronen!
Du halfst mir retten den braven Mann.
Hahahahahahahahahahahaha!
Wahrlich, der Spaß ist nicht zu lohnen!
Der Hauptmann und der Lieutenant kommen mit den Soldaten, die sogleich ihre Hellebarden ergreifen, aus dem Wachthaus rechts.
Zehnter Auftritt.
Der Hauptmann und der Lieutenant rechts vorn. Der Wasserträger Micheli links vorn. Die Soldaten am Wachthaus rechts in Reih und Glied stehend. Die Schildwache am Mittelthor.
CHOR DER SOLDATEN.
Marsch fort! Marsch fort! Marsch fort!
Jetzt wollen wir’s beginnen!
MICHELI für sich.
Gott, laß sie beide gerettet doch sein!
Laß den einz’gen Lohn mir gewinnen!
HAUPTMANN, LIEUTENANT, SOLDATEN.
Still, nur ganz still!
Er kann uns nicht entrinnen!
CHOR DER SOLDATEN.
Nur still, nur still, er kann uns nicht entrinnen,
Bald wird er uns geliefert sein!
HAUPTMANN.
Doch sträubt er sich, will er sich widersetzen –
CHOR DER SOLDATEN.
Dann soll’s mit seinem Leben gewiß zu Ende sein!
HAUPTMANN.
Doch sträubt er sich, will er sich widersetzen –
CHOR DER SOLDATEN.
Ja! – Ja! –
Dann soll’s mit seinem Leben gewiß zu Ende sein!
Marsch fort! Marsch fort! Jetzt wollen wir’s beginnen!
MICHELI.
Gott, laß sie beide gerettet sein!
Laß den einz’gen Lohn mir gewinnen!
HAUPTMANN, LIEUTENANT, SOLDATEN.
Still, nur ganz still!
Er kann uns nicht entrinnen!
CHOR DER SOLDATEN.
Nur still, nur still, er kann uns nicht entrinnen,
Bald wird er uns geliefert sein!
HAUPTMANN UND LIEUTENANT.
Marsch ab von hier! Marsch laßt uns jetzt beginnen!
Marsch fort! Marsch fort! Marsch fort! Marsch fort!
Er wird uns bald geliefert sein!
Still, nur ganz still, er kann uns nicht entrinnen,
Er kann uns nicht entrinnen, nicht entrinnen!
CHOR DER SOLDATEN.
Marsch fort, marsch fort, jetzt wollen wir’s beginnen!
Still, nur ganz still! Er kann uns nicht entrinnen!
Er wird uns bald geliefert sein!
Marsch fort, marsch fort, marsch fort, marsch fort!
Er kann uns nicht entrinnen, nicht entrinnen,
Bald wird er uns geliefert sein!
HAUPTMANN UND LIEUTENANT.
Nur stille!
MICHELI für sich.
Gott, laß sie beide gerettet doch sein!
CHOR DER SOLDATEN.
Bald wird er uns geliefert sein!
HAUPTMANN UND LIEUTENANT.
Nur stille!
MICHELI für sich.
Gott, laß sie beide gerettet doch sein!
CHOR DER SOLDATEN.
Bald wird er uns geliefert sein!
LIEUTENANT UND CHOR DER SOLDATEN.
Marsch fort, marsch fort!
HAUPTMANN.
Nur stille!
CHOR DER SOLDATEN.
Nur stille!
HAUPTMANN kommandiert.
Achtung!
Die Soldaten nehmen die Hellebarden hoch.
LIEUTENANT kommandiert.
Marsch!
Er marschiert links hinten vor der Mauer ab.
Sechs Mann Soldaten folgen dem Lieutenant paarweise.
Micheli tritt an seinen Karren; er fügt sich mit demselben dem Zuge ein und folgt.
Sechs Mann Soldaten folgen Micheli paarweise.
DER HAUPTMANN steht mit den übrigen Soldaten am Wachthause; er kommandiert, wenn der Zug in Bewegung ist.
Wegtreten!
Er tritt ins Wachthaus rechts.
Seine Soldaten stellen ihre Hellebarden ab und folgen ihm.
Nr. 10. Zwischenaktsmusik.
Dritter Aufzug.
Ländliche Gegend am Dorfe Gonesse.
Im Hintergrund von rechts nach links eine hölzerne Brücke über den Fluß, welcher das Dorf durchfließt. Links das Haus Semos‘, zur Rechten gegenüber ein hoher Felsen mit Gesträuch bewachsen, worüber ein gangbarer Fußsteig führt. In der Mitte ein alter hohler Baum, worin man sich ungesehen verbergen kann, mit einem einzigen noch grünen großen Aste; am Baume eine Rasenbank.
Erster Auftritt.
Der Pächter Semos. Seine Tochter Rosette.
Rosette auf der Brücke, nach links hinten hineinsehend, von wo sie Antonio erwartet.
SEMOS kommt aus dem Hause links und ruft. Rosette! Rosette!
ROSETTE auf der Brücke. Da bin ich, Vater!
SEMOS. Nun, hast du noch nichts auf der Straße gesehen?
ROSETTE kommt zu seiner Rechten vor, weinend.
Ach Gott, nein, noch nichts!
SEMOS. Der Morgen ist doch bald vorüber und die Sonne steht schon voll über unserm Dorfe.
ROSETTE. Diesen Morgen soll unsere Hochzeit sein und Antonio kommt noch nicht.
SEMOS. Seine Schwester wird ihn wohl unterwegs aufhalten, sie ist das Laufen nicht gewohnt.
ROSETTE. Das ist eben nicht hübsch von hier. Ihr Bruder hat uns doch gesagt, daß sie ein so liebes Mädchen wäre. Nun, wir werden sie ja kennen lernen. Der garstige Antonio, wie er doch so lange zögert, ehe er mein Mann wird!
SEMOS. Mir wird die Zeit ebenso lang wie dir; ich weiß, Antonio liebt dich und wird dich glücklich machen.
ROSETTE. Ja, das wird er gewiß, Vater! Und dabei ist er so geschickt und arbeitsam. Er hat Euch allein die Felder am allerbesten bestellt und diese schöne Ernte verschafft, die Euch so reich gemacht hat; gewiß, Vater! Es war aber kein anderes Mittel, ihn zu belohnen, als daß Ihr mich ihm zur Frau gebt.
Man hört eine ländliche Musik, die nach und nach näher kommt.
Ach, da kommen schon die jungen Mädchen, die mich zur Trauung führen wollen, mir ihre Hoch zeitsgeschenke zu bringen und der Bräutigam ist noch nicht da!
Einwohner des Dorfs: Männer, Frauen, junge Bursche und Mädchen mit Blumen geschmückt und mit Guirlanden in den Händen, Kinder mit Geschenken kommen als Gratulanten von links hinter dem Hause.
Zweiter Auftritt.
Die Vorigen. Männer. Frauen. Bursche. Mädchen. Kinder.
Dann eine Abteilung italienische Soldaten.
Rosette und Semos gehen ihnen entgegen und begrüßen sie freundlich.
Einige Mädchen umwinden den hohlen Baum mit Guirlanden.
Andere führen Rosette unter die darunter befindliche Bank.
Ein Mädchen bringt ihr ein Paar mit einem weißen Band umwundene Täubchen entgegen.
Die Kinder überreichen ihr Hochzeitsgeschenke, aus Blumen und kleinen Hausgeräten bestehend.
Rosette nimmt hocherfreut die Geschenke entgegen.
Nr. 11. Chor der Landleute und Marsch.
LANDLEUTE.
Mädchen voll Jugend, still reiner Tugend,
Euch ruft die Flur!
Fröhlich nach alter Weise bringen wir hier zum Preise
Dem Brautpaar Opfer der Natur!
DAS MÄDCHEN mit den Tauben.
Nimm hier das Muster treuer Liebe,
Das Sinnbild der zärtlichsten Triebe,
Das sanfte Turteltaubenpaar!
Liebe so treu, daß jeder Tag so neu
Wie dieser dich lohne!
ROSETTE.
O schöne Tage! Welche Freude, welch ein Glück!
Für sich.
Doch ach, Antonio noch nicht zurück!
Das Mädchen und die Kinder verbringen die Geschenke ins Haus und kehren dann auf ihre Plätze zurück.
DIE FRAUEN.
Mädchen voll Jugend, still reiner Tugend,
Euch ruft die Flur!
ALLE LANDLEUTE.
Mädchen voll Jugend, still reiner Tugend,
Euch ruft die Flur!
DIE FRAUEN.
Fröhlich nach alter Weise bringen wir hier zum Preise
Dem Brautpaar Opfer der Natur!
ALLE LANDLEUTE.
Fröhlich nach alter Weise bringen wir hier zum Preise
Dem Brautpaar Opfer der Natur!
Wir bringen hier die Opfer der Natur!
Marsch.
ALLE ziehen sich, sowie der Marsch beginnt, nach der linken Seite und sehen nach rechts hinein.
Doch was für Lärm läßt sich dort hören? –
SEMOS.
Ein Trupp Soldaten kommt dort her! –
ROSETTE.
Auf unser Dorf schreitet eilig dies Heer! –
SEMOS.
’s geht nach dem Kirchhof dort hinüber!
ALLE.
Auf, laßt uns entgegen doch gehn!
Eine Abteilung italienische Soldaten, an deren Spitze der Hauptmann, der erste und zweite Soldat ziehen von rechts nach links über die Brücke.
Alle Landleute folgen ihnen über die Brücke nach links.
Semos nachdem er vorher leise mit Rosette gesprochen und sie bedeutet hat, die Hausthür zu verschließen, geht mit den Landleuten ab.
ROSETTE geht nach dem Hause links und verschließt die Thür.
Ach, nur Antonio läßt sich nicht sehn!
Sie folgt traurig.
Graf Armand, Constanze, Antonio kommen nach einer Pause über den Felsen rechts.
Dritter Auftritt.
Constanze rechts. Graf Armand in der Mitte, Antonio zu seiner Linken.
Antonio erscheint zuerst, sieht sich vorsichtig um und winkt den andern, ihm nachzukommen.
Constanze und Armand folgen langsam und sich überall schüchtern umsehend.
ANTONIO steigt zuerst herab, spricht halblaut. Sie sind vorbei. Kommen Sie nur herunter, nur ganz sachte – wir sind hier dicht vor dem Hause.
CONSTANZE von Armand im Herabsteigen unterstützt. Es ist, als ob sich das Schicksal eine Freude daraus machte, daß uns gerade diese Soldaten überall verfolgen.
ARMAND. Wie gut war der Einfall, lieber Antonio, uns hier über diesen Felsen zu führen!
ANTONIO. Sie haben aber auch brav klettern müssen, die gute Frau muß recht müde sein.
CONSTANZE. Die Hoffnung auf Rettung verlieh mir Kräfte.
ANTONIO. Das hier ist die Wohnung von meinem Schwiegervater! Kommen Sie nur geschwind mit hinein und ruhen Sie aus. Er klopft verschiedene Male am Hause links. Nun? Hört denn niemand? – Sollten sie nicht zu Hause sein? Heute, am Hochzeitstage!
ARMAND. Welch ein unglücklicher Zufall!
ANTONIO. Sie sind gewiß den Soldaten nach.
CONSTANZE. Gott! Wenn man uns hier entdeckte!
ARMAND. Was sollen wir thun?
ANTONIO sieht den hohlen Baum. Mir fällt etwas ein! Zu Armand. Der Baum hier ist hohl. Sie haben vielleicht Platz darin.
ARMAND. In diesem Baume? Ich will’s versuchen. Er versucht, von oben in den Baum zu steigen.
Constanze und Antonio helfen ihm.
CONSTANZE erschrocken. Ich höre Leute.
ANTONIO nach einem Augenblick des Stillschweigens. Nein, es ist niemand, geschwind hinein!
ARMAND steigt in den Baum und zeigt seinen Kopf durch die oben befindliche Öffnung. Es geht!
ANTONIO. Nehmen Sie sich ja in acht, daß Sie kein Geräusch machen.
CONSTANZE. Versprich mir’s, daß du nicht eher aus dem Baume steigen willst, bis du mich dreimal hast in die Hände schlagen hören. Ich werde dir das Zeichen nicht eher geben, als bis alles ganz sicher ist.
ANTONIO. Steigen Sie hinunter, ich fürchte jeden Augenblick, daß jemand kommen möchte.
Armand verschwindet.
CONSTANZE ruft noch in den Baum. Nur Klugheit und Geduld, mein Geliebter; vor allem vergiß ja das Zeichen nicht! Hörst du? Dreimal!
ARMAND im Baume. Sei unbesorgt, ich werde genau acht geben.
ANTONIO. Es kommt jemand! Zu Constanze. Gehen Sie hier weg, damit Sie keinen Argwohn erregen. Er zieht sie von dem Baume weg weiter vor.
Rosette und Semos kommen mit Landleuten, jungen Burschen und Mädchen als Hochzeitsgäste von links hinter dem Hause.
Vierter Auftritt.
Constanze rechts. Rosette und Antonio in der Mitte. Semos links. Die Hochzeitsgäste zurückstehend.
ROSETTE erblickt Antonio und fliegt auf ihn zu. Ach, da ist er, Vater! Da ist er!
SEMOS. Na, bist du endlich da, Antonio?
ANTONIO schüttelt ihm die Hand. Guten Tag, lieber Vater Semos! Er wendet sich zu Rosette. Meine gute Rosette!
ROSETTE. Mein lieber Antonio! Sie umarmen sich.
ANTONIO. Hier ist auch meine Schwester, meine liebe Marzellina! Er zeigt auf die Gräfin.
ROSETTE umarmt sie. Meine liebe Schwester!
CONSTANZE geht an Rosette und Antonio vorüber zu Semos, mit einem Knix. Wollt Ihr wohl erlauben –
SEMOS schließt sie in die Arme. O mein gutes liebes Kind!
ROSETTE zu Antonio. Was sie allerliebst ist! Ich bin ihr schon recht gut.
SEMOS. Warum kommt ihr aber so spät?
ANTONIO. Wir sind recht früh ausgegangen, aber meine Schwester ist das Marschieren nicht so gewohnt und da haben wir uns manchmal unterwegs ausgeruht.
ROSETTE zu Antonio. Was hast du mir für Angst gemacht! Wie viel Unruhe! Du böser lieber Antonio! Aber nun hab ich dich wieder und alles ist vergessen.
Der italienische Hauptmann kommt mit dem ersten und zweiten Soldaten, letztere mit Waffen und Tornister, von links hinter dem Hause.
Fünfter Auftritt.
Die Vorigen. Der italienische Hauptmann Semos zur Linken. Die beiden Soldaten links zurückstehend.
CONSTANZE erschrocken, für sich. Gott, der Kapitän!
HAUPTMANN. Wohnt hier der Pächter Semos?
SEMOS. Ich bin es selbst. Was steht zu Diensten?
HAUPTMANN. Ihr müßt mir und diesen zwei Mann Quartier geben.
ZWEITER SOLDAT leise zum Ersten, auf Constanze weisend. Du, da ist die hübsche Kleine.
ERSTER SOLDAT leise. St! Still!
SEMOS. Sein Sie mir schön willkommen!
HAUPTMANN erblickt Constanze. Sieh da! Ist das nicht die Tochter des Wasserträgers Micheli?
SEMOS. Ja. Auf Antonio weisend. Die Schwester von meinem künftigen Schwiegersohn dort.
HAUPTMANN. Du mußt recht gelaufen sein, daß du schon hier bist, liebes Mädchen!
CONSTANZE mit einem Knix. Zu dienen, Herr Offizier!
SEMOS. Sie bleiben wohl einige Zeit bei uns, Herr Kapitän? Oder wie Sie sonst tituliert werden.
HAUPTMANN. Richtig – ich muß hier eine wichtige Haussuchung anstellen.
Constanze blickt ängstlich nach dem Baume.
SEMOS. Gewiß wegen des Parlaments-Präsidenten?
HAUPTMANN. Still!
SEMOS. Sie haben recht; in dergleichen Geschäften kann man nicht behutsam genug zu Werke gehen. Aber Sie werden einige Erfrischungen nötig haben. Er weist nach dem Hause links. Kommen Sie herein, wir können darinnen mehr nach Bequemlichkeit miteinander plaudern.
ANTONIO. Kommt mit herein, ihr Herren! Hier außen ist’s so heiß. Er geht nach dem Hause und öffnet mit bedeutungsvollem Blick auf Constanze die Thür.
Der Hauptmann und die beiden Soldaten gehen voran.
Semos, Rosette, Antonio und die Hochzeitsgäste folgen ihnen.
CONSTANZE. Gott, rette, rette uns! Sie folgt als die letzte.
Graf Armand steckt nach einer kleinen Pause, vorsichtig sich umschauend, den Kopf aus dem Baume hervor und fühlt sich mit seinem Taschentuche die Wangen.
Sechster Auftritt.
Graf Armand im Baume allein.
Nr. 12. Melodram.
ARMAND. In dem hohlen Baum ist eine schreckliche Hitze! Ach, ich muß einen Augenblick Luft schöpfen! – – O meine Constanze! Wie zittre ich für dein Geschick! Wer wird dich in den Gefahren schützen, die dich umgeben? – – O gütige Vorsehung, wache du über sie, nimm du sie in deinen Schutz! – Man hört im Hause links sprechen. Doch es kommen Leute, ich will mich zurückziehen! Er verschwindet wieder in dem Baume.
Die beiden Soldaten ohne Waffen und Tornister, jeder eine Flasche Wein und Kuchen in den Händen, kommen von links aus dem Hause.
Siebenter Auftritt.
Graf Armand in dem Baume verborgen. Die beiden Soldaten.
ERSTER SOLDAT. Man weiß nicht, wohin man sich drinnen wenden soll, vor all dem Hochzeitsvolke!
ZWEITER SOLDAT. Komm, wir wollen uns unter den alten Baum setzen! Sie setzen sich dort auf die Bank und trinken.
ERSTER SOLDAT. Der Wein ist excellent, den unser Wirt hergegeben hat.
ZWEITER SOLDAT. Und was das beste ist, er sagte: wir sollten ihn nicht schonen. Er lacht. Sapperment, so etwas laß ich mir nicht zweimal sagen!
Beide essen und trinken.
ERSTER SOLDAT. Mein Seel‘, ich auch nicht! Er trinkt. Es war die höchste Zeit, daß wir einmal Halt machten. Vier ganze Stunden in der Hitze marschiert und zuvor der verdammte Wasserträger, der uns diesen Morgen durch ganz Paris marschieren ließ. Man hätte glauben sollen, er habe Lust, uns bei der Nase herumzuführen!
ZWEITER SOLDAT. Er schien nicht daran zu denken, daß wir den Grafen erwischen sollten.
ERSTER SOLDAT. Ich weiß nicht, ich habe so eine Ahnung – wie wär’s, wenn wir zwei – du und ich nämlich – er trinkt fortwährend ihn irgendwo fest kriegten – Millionen-Bomben-Sapperment, er sollte uns gewiß nicht entwischen!
ZWEITER SOLDAT. Ja, die Belohnung ist unser, ob wir ihn tot oder lebendig bekommen. Topp, wir sind also einig! Überall und wo wir ihn finden.
ERSTER SOLDAT. Topp, es gilt, wo wir ihn finden! Sie schlagen ein. Aber finden müssen wir ihn erst, Brüderchen, das bedinge ich mir aus!
ZWEITER SOLDAT. Richtig!
ERSTER SOLDAT. Und wir teilen danach ehrlich miteinander.
ZWEITER SOLDAT. Jeder die Hälfte.
ERSTER SOLDAT. Wenn wir ihn haben.
ZWEITER SOLDAT. Richtig! Er lacht.
ERSTER SOLDAT. Worüber lachst du?
ZWEITER SOLDAT. Ach, ich denke an das hübsche Mädchen da drinnen!
ERSTER SOLDAT. An die Blitz-Savoyardin?
ZWEITER SOLDAT. Sie kommt mir nicht aus dem Kopfe. Ich denke, wenn wir das Geld haben, da könnte unsereins ihr wohl ein wenig näher kommen.
ERSTER SOLDAT. Ja, wenn wir sie bereden könnten, einen kleinen Spaziergang mit uns zu machen.
ZWEITER SOLDAT. Das Ding ist noch zu wild, und unser Hauptmann, wenn er uns erwischte – du weißt, er ist ein Brummbär!
ERSTER SOLDAT. Pah, pah! Das muß man nur pfiffig anfangen.
Constanze tritt in Gedanken, ein Körbchen am Arm, ohne die beiden Soldaten zu bemerken, aus dem Hause links.
Achter Auftritt
Die beiden Soldaten. Constanze. Der Graf Armand im Baum versteckt.
ZWEITER SOLDAT leise. Mein Seel‘, da ist sie!
Beide stehen geschwind auf, jeder seine Flasche in der Hand.
ERSTER SOLDAT leise. Verstecken wir uns hinter dem Baum, damit sie uns nicht gleich bemerkt. Wenn sie auf meine Seite kommt, so ist sie mein!
Beide verbergen sich hinter den Baum.
CONSTANZE im Vordergrund links. Wie traurig seine Lage sein muß! Ich kann nicht länger warten, ich muß ihm einige Erfrischungen bringen. Sie setzt den Korb links vorn auf den Boden und sieht sich überall um.
Nr. 13. Melodram und Ensemble.
Melodram.
CONSTANZE spricht. Nur behutsam, daß mich ja niemand sieht! – Sie tritt vor, sieht sich noch einmal um und nimmt dann den Korb auf. Der Augenblick ist günstig, ich will ihm das verabredete Zeichen geben! – – Sie klatscht dreimal in die Hände.
Armand antwortet nicht.
CONSTANZE nach einer langen Pause. Nun, hört er mich denn nicht? Sie wiederholt das Zeichen und es erfolgt abermals keine Antwort. Pause.
Quartett und Chor.
CONSTANZE.
Dies Schweigen ist so fürchterlich! –
Ach, konnte er zu weit sich wagen?
Ganz leise nur nah ich mich hin!
Sie geht zum Baum.
Lieber Freund!
Stärker.
Lieber Freund! –
Nichts hör ich ihn mir sagen!
Sie ist dem Baume ganz nahe gekommen.
Die Soldaten treten zu beiden Seiten des Baumes vor und ergreifen Constanze.
CONSTANZE.
Ach, zu Hilfe, weh mir!
DIE SOLDATEN suchen Constanze hinter den Felsen rechts zu schleppen.
Ha, schweig, du verlierst sonst dein Leben!
Constanze sträubt sich mit aller Anstrengung gegen die Soldaten.
Armand steigt aus dem Baum, seiner Gemahlin zu Hilfe.
CONSTANZE.
Ach, zu Hilfe, weh mir!
DIE SOLDATEN.
So schweig, denn um dich ist’s geschehn!
CONSTANZE.
Wie? Was wollt ihr mit meinem Leben?
DIE SOLDATEN.
Schweig stille, du sollst uns sicher
Nicht entgehn! Nein, nein!
Armand stürzt sich, seine beiden Pistolen in den Händen, zwischen die Soldaten.
Antonio eilt zu gleicher Zeit aus dem Hause links herbei und schlägt die Soldaten zurück.
Constanze sinkt ohnmächtig zu Boden.
ARMAND.
Ha, Verwegne, haltet ein!
Er drückt seine beiden Pistolen ab.
Der Hauptmann, Semos, Rosette, die Hochzeitsgäste eilen durch die Schüsse erschreckt von links aus dem Hause herbei.
Soldaten und Landleute kommen aufgeregt von links hinter dem Hause.
Neunter Auftritt.
Die Vorigen. Der Hauptmann. Semos. Rosette. Soldaten. Landleute. Hochzeitsgäste.
Antonio, Rosette und Semos stützen Constanze.
HAU zeigt auf die beiden Soldaten.
Was, mein Herr, haben die gethan?
Semos tritt hinter Armand weg, Constanze zur Linken.
ARMAND.
Ha, sie vergriffen sich mit Frechheit
Hier an ihr, an dem armen Weibe!
SOLDATEN, LANDLEUTE UND ROSETTE unter sich.
Ha, wer muß dieser Fremdling sein?
HAUPTMANN.
Nun denn, Ihr müßt jetzt gleich Euren Namen mir nennen!
ANTONIO für sich.
Ach Gott, er büßt das Leben ein!
ARMAND.
Und was hilft’s Euch, mich jetzt zu kennen?
HAUPTMANN.
Der Blick – mir ahnet etwas hier!
Er zieht das Signalement aus der Tasche.
Nun, Ihr heißt?
ARMAND.
Ich, ich heiße –
HAUPTMANN.
Nun sprecht!
ARMAND.
Ich bin – ich bin – Armand.
ALLE.
Armand! Armand! Armand!
ARMAND.
Ja, Armand, ja, Armand bin ich!
Allgemeine Bewegung, die von seiten der Soldaten große Freude, von seiten der übrigen schmerzliche Teilnahme ausdrückt.
CONSTANZE sinkt Rosette in die Arme.
ARMAND.
Ich dringe selbst zum Opfer mich!
ANTONIO.
Er liefert selbst dem Tode sich!
CHOR DER LANDLEUTE schmerzlich bewegt.
Welch Mißgeschick! Er selbst stürzt sich -!
CONSTANZE sich erhebend, mit Ausdruck.
Entsetzen! Wehe mir! Was that ich!
Ich selbst verriet, mein Armand, dich!
CHOR DER SOLDATEN freudig erregt.
So haben wir endlich in Händen dich!
CHOR DER LANDLEUTE erstaunt, voll Teilnahme.
Wie, Armand? Hier verweilt er sich?
ANTONIO.
Ach Gott! Er naht selbst dem Tode sich,
Ha, welch Geschick, er selbst stürzt sich -!
CONSTANZE.
Ich selbst verriet, mein Armand, dich!
ARMAND.
In eure Hände selbst lief’r ich mich! Ich selbst, Armand!
CHOR DER SOLDATEN.
So haben wir endlich in Händen dich!
Ha, schön, der Preis fällt auch auf mich!
CHOR DER LANDLEUTE.
Wie, Armand, hier verweilt er sich?
Ach, welch Geschick, er selbst stürzt sich -!
CONSTANZE mit Ausdruck.
Entsetzen! Weh mir! Was that ich?
Ich selbst verriet, mein Armand, dich!
CHOR DER SOLDATEN.
So haben wir endlich in Händen dich!
CHOR DER LANDLEUTE.
Wie, Armand? Hier verweilt er sich?
ANTONIO.
Ach, er naht selbst dem Tode sich!
Welch Mißgeschick! Er selbst stürzt sich,
Er selbst liefert sich, ach, dem Tode sich!
CONSTANZE.
Ich selbst verriet, mein Armand, dich!
ARMAND.
Ja, Armand, ja, Armand bin ich!
Ja, ich, Armand, Armand bin ich!
CHOR DER SOLDATEN.
So haben wir endlich in Händen nun dich!
Ha, schön, der Preis fällt auch auf mich!
CHOR DER LANDLEUTE.
Wie, Armand, hier verweilt er sich?
Ach, welch Geschick, er selbst stürzt sich -!
HAUPTMANN spricht zu den Soldaten. Soldaten, trennt sie und führt ihn fort!
Die Soldaten treten einen Schritt gegen Armand vor.
CONSTANZE eilt an Semos vorüber, umschlingt Armand mit der Linken und wehrt mit der rechten Hand die Andringenden ab. Barbaren! Haltet ein! Ach, und ich selbst mußte ihn seinen Verfolgern überliefern!
ARMAND. Sei ruhig, Constanze, nicht du, mein unglückliches Schicksal! Zum Hauptmann. Alles, um was ich Sie, mein Herr, zu bitten wage, ist, daß Sie mich allein zum Kardinal führen lassen Constanze umarmend und hier meine edle Gattin vor Mißhandlungen schützen.
HAUPTMANN. Was höre ich! Sie wäre Ihre Gemahlin? Er sieht Constanze mit Staunen und Achtung an.
CONSTANZE mit vollem Feuer. Ja, ich bin mit seinem Unglück verbunden, und ich werde es mit ihm teilen bis zum letzten Hauch meines Lebens. Keine Gefahr, keine Verbannung, selbst der Tod wird mich nicht von ihm trennen. Sie geht an Armand vorüber und sinkt vor dem Hauptmann aufs Knie nieder. Ach, ich sehe es, Sie werden dem Flehen einer Gattin nicht widerstehen, sie nicht unerhört lassen!
HAUPTMANN sie mit Rührung aufhebend. Stehen Sie auf, Madame!
Constanze erhebt sich und sinkt wiederholt Armand in die Arme.
HAUPTMANN. Nein, niemals, ich schwöre es Ihnen, hat es mir so viele Mühe gekostet, meiner Pflicht getreu zu bleiben – ich darf nicht – ich muß meine Ordre befolgen. Mit abgewandtem Gesicht. Soldaten, trennt sie voneinander!
Zwei Soldaten ergreifen Armand und trennen ihn von Constanze.
ARMAND reißt sich los. Leb wohl, Constanze, auf ewig!
CONSTANZE stürzt nochmals in Armands Arme. Nein, nein – keine Gewalt soll uns trennen!
Die Soldaten wollen sie nochmals trennen.
Der Wasserträger Micheli erscheint in diesem Augenblick von links her auf der Brücke hinten, ein großes Papier in die Höhe haltend, gefolgt von Marzellina und einem französischen Gardeoffizier mit vier Mann französischen Gardesoldaten.
Zehnter Auftritt.
Die Vorigen. Der Wasserträger Micheli. Marzellina. Der französische Gardeoffizier. Vier Mann französische Gardesoldaten.
MICHELI sieht von der Brücke aus, was vorgeht und schreit auf. Halt! Halt!
Alle wenden sich nach ihm um.
Antonio, Rosette und Semos eilen Micheli entgegen.
Die Soldaten lassen Constanze und Armand los und ziehen sich zurück.
ANTONIO. Unser Vater!
MICHELI. Er ist frei!
CONSTANZE freudig. Micheli? Zu Armand. Du bist gerettet!
ARMAND. Gerettet? Wie? Durch welches Mittel?
MICHELI mit Feuer, fast außer Atem. Kaum waren Sie zwei Stunden aus der Stadt, als wir uns von allen Seiten versammelten. Wir waren bald an die zwanzigtausend Menschen beisammen. Gebt uns Armand wieder zurück! rief alles wie mit einer Stimme. Er ist unschuldig, er ist unser Vater! Das Geschrei drang bis zur Königin. Diese überrascht und erschrocken, läßt uns sagen, daß sie bereit sei, eine Deputation von uns zu empfangen. Ich drängte mich an die Spitze, sagte ihr, daß Sie noch lebten, daß ich so glücklich gewesen sei, Ihr Leben zu retten und daß ich den Ort Ihres Aufenthalts wisse. Sogleich läßt sie vom Kanzler eine Schrift aufsetzen, unterschreibt sie und giebt sie mir. Er überreicht dem Gardeoffizier das Papier. Hier ist die Ordre, welche dieser Brave dem Herrn Kapitän zu überreichen hat. Hier meine Belohnung für alles, was ich an Ihnen gethan habe – Ihre Freiheit – Ihr Leben!
Gardeoffizier tritt zum Hauptmann und überreicht ihm das Papier, wobei sich beide militärisch begrüßen.
Hauptmann öffnet und liest.
Gardeoffizier tritt zurück.
Micheli tritt an Constanze vorüber zu Armand.
Armand umarmt ihn feurig.
Micheli wendet sich dann zu Constanze, um ihr die Hand zu küssen.
CONSTANZE fällt ihm an die Brust. Unser Retter, unser Wohlthäter!
Hauptmann hat mit sichtlicher Freude gelesen und übergiebt Armand das Papier unter stummer Beglückwünschung.
MARZELLINA umarmt Antonio und Rosette. Mein guter Bruder!
Constanze tritt an Micheli vorüber zu Armand und umarmt ihn freudestrahlend.
SEMOS kommt gleichzeitig zu Micheli und drückt ihm die Hand. Guter Vater Micheli! Ihr habt eine schöne That gethan!
ARMAND. Großer Gott! Welch ein Tag!
HAUPTMANN. Seien Sie überzeugt, Herr Graf, daß ich aufrichtig Ihre Freude mit Ihnen teile und daß es mir Überwindung gekostet hat, meiner Pflicht getreu zu bleiben.
ARMAND drückt ihm die Hand. Ich las in Ihrer Seele, Herr Kapitän! Er tritt an Constanze vorüber zu Micheli.
Constanze tritt zum Hauptmann, der ist beglückwünscht.
ARMAND. Und du, braver Mann, dem ich das Leben verdanke, laß dich noch einmal an mein Herz drücken, du wirst mir erlauben, für deinen alten Vater zu sorgen.
MICHELI. Gott behüte! Daraus wird nichts! Meinen Vater ernähre ich selbst, das muß sich ein braver Sohn nicht nehmen lassen.
SEMOS. Und Antonio wird von uns ausgestattet.
MARZELLINA zu Antonio. Höre, Bruder, nun wird uns doch nichts mehr hindern, recht tüchtig zu tanzen?
Antonio tritt erfreut an Marzellina vorüber zu Rosette.
ARMAND. Wir alle feiern das Hochzeitsfest mit. Er reicht Micheli und Constanze die Hand. Ihr treuen Gefährten in meinem Unglück, nie werden wir diese beiden gefahrvollen Tage vergessen!
Nr. 14. Finale.
ALLE.
Laßt nun dem Jubel ganz uns weihn,
Froher Mut, laute Freude laden jetzt uns ein!
MICHELI.
Ja, laßt uns, Freunde, fröhlich sein,
Doch denkt dabei der großen Lehre,
Daß unser Leben elend wäre,
Wenn wir uns nicht der Menschheit weihn!
ALLE.
Auf, laßt dem Jubel ganz uns weihn,
Froher Mut, laute Freude laden jetzt uns ein!
Doch laßt der Menschheit auch zur Ehre
Ganz ihrem Dienste froh uns weihn!
Ende.