Giacomo Meyerbeer
Der Prophet
Große Oper in fünf Aufzügen
Personen
Johann von Leyden (Tenor)
Fides, dessen Mutter (Mezzosopran)
Bertha, dessen Braut (Sopran)
Jonas (Tenor),
Mathisen (Baß),
Zacharias (Baß), Wiedertäufer
Graf Oberthal (Baß)
Ein Kriegshauptmann (Bariton)
Erster Bauer (Tenor)
Zweiter Bauer (Baß)
Ein Soldat (Bariton)
Erster Bürger (Tenor)
Zweiter Bürger (Baß)
Erster Sängerknabe (Sopran)
Zweiter Sängerknabe (Alt)
Kurfürsten. Großwürdenträger. Edelherren und Damen. Ritter. Offiziere. Hellebardiere. Hartschiere. Trabanten. Soldaten. Wachtposten. Trompeter. Wappenherolde. Diakonen. Mönche. Meßknaben. Chorsängerknaben. Bürgermeister. Ratsherren. Ratsdiener. Pagen. Verschworene. Wiedertäufer. Schlittschuhläufer. Tänzer und Tänzerinnen. Blumenmädchen. Mühlknappen. Wirtin. Aufwärter und Aufwärterinnen. Hirten. Volk. Landleute. Bauern. Bäuerinnen. Frauen. Kinder
Ort der Handlung: Die Umgebung von Dortrecht an der Maaß, in Leyden, dann in und bei Münster in Westfalen.
Im Ersten Aufzug flache ländliche Gegend in Holland an der Maaß, in der Umgebung von Dortrecht. Im zweiten Aufzug Schenke in einer Vorstadt von Leyden. Im dritten Aufzug Lager der Wiedertäufer in einem Walde bei Münster. Dann das Innere eines Kriegszeltes. Dann wieder im Lager. Im vierten Aufzug ein öffentlicher Platz in der Stadt Münster. Dann im Dom zu Münster. Im fünften Aufzug Gewölbe im Schlosse zu Münster. Dann große Bogenhalle im Schlosse zu Münster.
Zeit: 1534 bis 1536.
Rechts und links vom Darsteller.
Spielzeit: Zwei Stunden und fünfzig Minuten.
Erste Aufführung: Paris, Théâtre de l’Opéra, den 16. April 1849.
Erster Aufzug.
Nr. 1. Einleitung und Bauernchor.
Der Vorhang hebt sich im achtzehnten Takte.
Flache ländliche Gegend in Holland, an der Maaß, in der Umgebung von Dortrecht, mit einigen Windmühlen. Im Hintergrund in ganzer Breite eine praktikable Erhöhung, zu der vier Stufen hinauf, nach links zum Haupteingang des Schlosses Oberthals führen. Rechts hinten eine große Windmühle, rechts vorn und auf der linken Seite Meiereien und Wirtschaftsgebäude, zum Schlosse gehörig. Tische. Bänke. Stühle. Mehlsäcke.
Es ist Morgenröte und wird langsam Tag.
Rechts und links vom Darsteller.
Erster Auftritt.
Der Wachtposten. Der Hirt. Die Wirtin. Mühlknappen. Aufwärterinnen. Landleute. Männer. Frauen. Knaben. Mädchen.
Mühlknappen liegen schlafend rechts von den Mittelstufen auf Mehlsäcken.
Der Wachtposten des Schlosses lehnt am Eingang und schläft gleichfalls.
Ein Hirt sitzt auf der obersten Treppenstufe und bläst die Schalmei.
Ein anderer Hirt antwortet ihm von rechts außerhalb Echo.
Die beiden Hirten wiederholen mehrmals.
Die Mühlknappen wachen beim zweiten Echo allmählich auf und reiben sich die Augen; einer weckt den andern.
Der Hirt steht beim dritten Echo auf und blickt nach rechts.
Aufwärterinnen kommen nach dem dritten Echo aus dem Hause rechts, gehen zu den Tischen, bringen sie in Ordnung, wischen und stellen die Bänke und Stühle.
Andere Aufwärterinnen kommen bald mit Blechkannen und Bechern, die sie auf die Tische rechts und hinten, dann links stellen.
Die Wirtin folgt und beobachtet von der Thür aus.
Die ersten Aufwärterinnen gehen inzwischen nach hinten auf die Stufen und sehen den Ankommenden, sie begrüßend, entgegen.
Landleute: Männer, Frauen, Knaben, Mädchen kommen beim Pastorale mit ländlichem Gerät, Äxten, Beilen, Sicheln, Körben u.s.w. von allen Seiten herbei.
Es ist inzwischen hell geworden.
Der Hirt kommt herunter und setzt sich an einen Tisch links.
Allgemeine Begrüßung.
Die Mühlknappen tragen langsam die Mehlsäcke nach links hinten ins Schloß.
Die Kinder setzen sich auf den Mittelstufen.
Die Landleute setzen sich teils an die Tische, teils gehen sie nach rechts ins Haus, teils lagern sie umher.
Chor.
CHOR DER LANDLEUTE.
Der Lüfte Hauch, er schweiget,
Doch wacht der Wiederhall! – –
Die Wirtin bringt, wenn sich alles gesetzt hat, eine große Milchschüssel mit Löffeln und schneidet für die Kinder Brot in die Schüssel. Die Kinder waren ihr entgegengelaufen und setzen sich vor den Mittelstufen im Kreise auf die Erde.
CHOR DER LANDLEUTE.
Er trägt durch blaue Räume
Der Herdenglocken Schall. – –
Ach, oftmals wehen Stürme
So düster und so schwer!
Drum laben sonnige Tage
Die Brust uns desto mehr;
Ja, drum laben Sonnentage,
Drum laben sie uns desto mehr! – –
Der Lüfte Hauch, er schweiget,
Doch wacht der Wiederhall!
Es labt so süß der sonnige Tag!
CHOR DER MÜHLKNAPPEN.
Doch schweigen alle Lüftchen still,
So stehet auch die Mühle still,
Gewährt uns freie Muße hier
Und so sind wir beim Frühstück hier.
Die Aufwärterinnen. sind nach rechts ins Haus gegangen und kommen gegen den Schluß des Chores mit Bierkrügen, Bechern, Tellern, Löffeln, Milchschüsseln, Brot etc., die sie auf die Tische stellen, zurück.
Die Landleute essen und trinken während des Folgenden.
Bertha kommt von links ganz vorn mit einem Briefe in der Hand, den sie freudig zu lesen scheint und dann zu sich steckt.
Fides erscheint, angegriffen vom Wege, mühsam gehend, von rechts oben auf der Erhöhung.
Zweiter Auftritt.
Die Vorigen. Fides, Bertha zu ihrer Linken.
Nr. 2. Scene.
Bertha eilt Fides in beiderseitiger Freude des Wiedersehens entgegen, führt die Ermüdete langsam herab und nach vorn.
Einige von den Bäuerinnen stehen bei Fides Ankunft auf und begrüßen sie.
Fides erwiedert und dankt freundlich.
Bertha sieht sie erwartungsvoll an.
Fides umarmt Bertha und steckt ihr einen von Johann geschickten Verlobungsring an den Finger.
BERTHA giebt ihrer Freude Ausdruck.
Dank dir, o meine Mutter,
Endlich bist du denn hier!
FIDES.
Du harrtest mein?
BERTHA.
Seit früh’stem Morgen.
FIDES.
Und Johann, mein Sohn,
Er harrt mit heißer Sehnsucht noch
Auf die Verlobte. »O geh, o geh doch,
Gute Mutter, o geh, o geh doch und führ‘ sie her!«
So sprach er, und ich ging.
BERTHA.
Und das arme Mädchen.
Die verlassne Waise hat er sich gewählt!
FIDES gutmütig plaudernd.
Von allen Mädchen hier
Die hübscheste ist Bertha;
Ist fromm und sittsam,
Drum wählt‘ auch ich dich mir.
Lebhafter.
Und morgen sollst du gleich
Mir in der Wirtschaft folgen;
Als junge Wirtin schalten
In deinem eignen Reich,
In Küche, Hof und Haus.
Gewiß, sie sind die schönsten in ganz Leyden.
Doch komm und eile dich, eile dich, eile dich,
Denn mein Sohn, er erwartet uns schon,
Er erwartet heut Abend uns schon! O komm!
Sie wendet sich nach hinten, der Treppe zu.
BERTHA führt sie wieder vor.
Ach, Mutter, nein! Ich darf als Unterthanin
Nicht mich vermählen, noch von hier
Ohn‘ Erlaubnis des Herrn mich entfernen,
Sie zeigt nach links hinten.
Des Grafen Oberthal, der hier im Schlosse wohnt,
Von dessen Zinnen stolz sein Banner dort weht.
FIDES.
So komm zu ihm sogleich!
Beide wenden sich über die Mittelstufen nach links zum Schloßeingang, als sie rechts die drei Wiedertäufer erblicken, die noch nicht auftreten.
Die Mittelstufen werden allmählich freigegeben.
Die Kinder gehen ab nach rechts ins Haus.
FIDES leise zu Bertha.
Die schwarzen Gestalten sieh,
Die den Blick auf uns gewendet.
BERTHA leise, noch oben.
Sie sind, so sagen sie,
Vom Himmel selbst gesendet.
Seit Wochen bereits ziehn sie von Ort zu Ort,
Und es horchet das Volk auf ihr beredtes Wort.
Beide kommen wieder herab und gehen ab nach links vorn.
Die drei schwarzgekleideten Wiedertäufer Zacharias, Mathisen und Jonas erscheinen mit dem Wesen Inspirierter von rechts oben auf der Erhöhung, die Hände wie segnend über das Volk ausstreckend.
Dritter Auftritt.
Zacharias rechts, Mathisen in der Mitte, Jonas links. Die Landleute. Der Wachtposten. Unheimliche Männer. Dann ein Ritter.
Alle stehen beim Anblick der Wiedertäufer auf, gehen nach hinten und wenden dem Publikum fast den Rücken zu, neugierig auf die drei Anabaptisten sehend.
JONAS mit dem Ausdruck von Verzückung.
Ad nos!
ZACHARIAS ebenso.
Ad nos!
Nr. 3. Die Predigt der Wiedertäufer.
Ensemble.
ZACHARIAS, MATHISEN UND JONAS zum Volk.
Ad nos, ad salutarem undam
Iterum venite miseri!
Ad nos, ad nos, venite populi!
Sie gehen herunter.
CHOR DER LANDLEUTE besetzt, sowie die Wiedertäufer vorn angelangt sind, die ganze Breite des Raumes; die Frauen meist vorn; viele steigen auf die Bänke rechts und links.
Auf, vernehmt des Himmels Ruf,
Der sie erfüllt mit seinem Wort!
ZACHARIAS ist rechts auf einen Stein gestiegen, eine Gruppe um sich versammelnd, predigend.
Die ihr düngt diese Felder
Mit eurem Schweiß,
Wollt ihr denn künftig nicht auch den Lohn
Für euren Fleiß?
Bewegung unter den Landleuten.
Einige unheimliche Männer haben sich finsteren Blickes aufwiegelnd eingeschlichen.
Die Landleute durch die Hinzugekommenen aufgeregt, scheinen sich zu sagen: »Sie haben recht! keine Abgaben mehr!«
Jonas ist links auf einen Stein gestiegen, eine Gruppe um sich versammelnd.
Zacharias, Mathisen, Jonas wenden sich abwechselnd an die Gruppen rechts, in der Mitte und links.
MATHISEN UND JONAS.
Hört!
ALLE DREI.
Ad nos, ad salutarem undam
Iterum venite miseri!
Die Frauen knieen bei dem »Ad nos« nieder.
Die Männer verbeugen sich bis zur Erde.
Tische, Bänke, Stühle werden unauffällig nach rechts und links entfernt.
JONAS nach links hinten aufs Schloß zeigend, predigend.
Wollt ihr dies stolze Schloß,
Von dem die Banner wehen,
In Zukunft demutvoll
Gleich euren Hütten sehn?
Wollt ihr das? Wollt ihr das? Wollt ihr das?
ZACHARIAS UND MATHISEN.
Hört!
ALLE DREI.
Ad nos, ad salutarem undam
Iterum venite miseri!
Frauen und Männer wie oben.
MATHISEN.
Es muß die Tyrannei vor eurem Zorn erbeben,
Was erniedrigt war, sich erheben.
ALLE DREI.
Erhebet euch! Erhebet euch! Erhebet euch! Erhebet euch!
Alle stehen auf.
Die Landleute beginnen sich erregt untereinander in verschiedenen Gruppen leise zu beraten; sie wählen einen unter sich, um mit den Wiedertäufern zu sprechen; dieser will anfangs nicht, aber die Gefährten drängen ihn vorwärts.
DER ERSTE BAUER schüchtern.
So soll dies prächtige Schloß –
JONAS mit Feuer.
Es soll euer jetzt sein!
MATHISEN ebenso.
Es soll euer jetzt sein!
DER ZWEITE BAUER schüchtern.
Der Zoll, die schwere Fron –
JONAS.
Wir woll’n ganz euch befrein.
ZACHARIAS UND MATHISEN.
Wollen ganz euch befrein.
DER ERSTE BAUER.
Und wir, Vasallen jetzt –
JONAS.
Seid den Herrn künftig gleich!
ZACHARIAS UND MATHISEN.
Seid den Herrn künftig gleich!
DER ZWEITE BAUER.
Und unsre Herrn bisher?
JONAS.
Gehorchen, dienen euch.
ALLE DREI.
Gehorchen, dienen euch!
SECHS BAUERN gesteigerter.
Und dies herrliche Schloß?
JONAS ebenso.
Es soll euer jetzt sein!
SECHS BAUERN.
Und der Zoll und die Fron?
JONAS.
Wir woll’n ganz euch befrein!
SECHS BAUERN.
Wir, Vasallen noch jetzt?
ZACHARIAS UND MATHISEN.
Seid den Herrn künftig gleich!
SECHS BAUERN.
Und die jetzt unsre Herrn?
ZACHARIAS UND MATHISEN.
Künftig dienen sie euch!
Zacharias, Jonas treten von ihrem Stein herunter.
Die drei Wiedertäufer mischen sich unter die Gruppen, um sie noch mehr aufzureizen.
Der Wachtposten hinten am Schloßeingang ist längst auf das Treiben vorn aufmerksam geworden.
CHOR DER LANDLEUTE unter sich.
Folgt ihrem Wort! O hört auf sie!
CHOR DER FRAUEN.
Ja!
CHOR DER LANDLEUTE.
Sie sprechen wahr, Gott will es so.
CHOR DER FRAUEN.
Ja!
CHOR DER LANDLEUTE.
Folgt ihrem Wort, folgt ihrem Wort!
Und zögert nicht, nein, zögert nicht!
Die Gruppen beleben sich immer mehr.
Die Frauen wenden sich an die Männer.
Die Männer erhitzen sich zusehends, nehmen zurückgehend und den Vordergrund freilassend, immer drohendere Bewegungen an.
CHOR DER FRAUEN zu den Männern.
Ihr habt die Macht!
CHOR DER LANDLEUTE.
Wohlan!
CHOR DER FRAUEN.
Ihr habt die Kraft!
CHOR DER LANDLEUTE.
Wohlan!
CHOR DER FRAUEN.
Ihr habt die Macht!
CHOR DER LANDLEUTE.
Wohlan!
CHOR DER FRAUEN.
Ihr habt die Kraft!
CHOR DER LANDLEUTE.
Wohlan!
DIE DREI WIEDERTÄUFER.
Ad nos! Ad nos! Ad nos! Ad nos!
CHOR DER LANDLEUTE UND FRAUEN.
Ha, schnöde Unterdrücker!
Tyrannen ihr, voll Grausamkeit!
Voll Grausamkeit! Weh euch!
Zur Rache seht ihr uns bereit!
Weh über euch! Zur Rache! Verderben!
Auf, Brüder, auf zum Streit!
Auf, Brüder, alle zum Streit!
Der Wachtposten geht in drohender Haltung ab ins Schloß.
Alle treten im höchsten Grade der Erregung einige Schritte vor, wobei die Männer die Mitte nehmen.
DIE DREI WIEDERTÄUFER.
Ad nos, ad salutarem undam –
Iterum venite.
CHOR DER LANDLEUTE UND FRAUEN.
Weh dem, der uns entgegentritt!
Weh dem, weh dem, weh dem!
Er erwählet sein Verderben,
Ihn straft Gottes Hand!
Die Männer eilen während der acht Takte Allegro moderato ab nach rechts und links hinten, um sich mit Heugabeln, Sensen, Äxten, Stöcken u.s.w. zu bewaffnen, verschwinden aber nicht gänzlich.
Die rechts stehenden Frauen sind etwas weiter vorgegangen.
Die links stehenden Frauen sind in demselben Augenblick zu denen rechts hinüber getreten.
Ein Ritter erscheint prüfend von links aus dem Schloßeingang und geht wieder zurück.
Die drei Wiedertäufer stehen begeistert in der Mitte.
ZACHARIAS UND MATHISEN.
Dein, o Herr, sind Ruhm und Ehren,
Du gehst im Kampfe uns voran!
ALLE DREI.
Voran!
ZACHARIAS UND MATHISEN.
Dich soll der Völker Preis verklären,
Dein heilig Wort führ uns fortan!
ALLE DREI.
Fortan!
ZACHARIAS UND MATHISEN.
Auf zum heil’gen Streite!
So will’s Gott! So will’s Gott!
Flammender Tag glüht an den Höhn,
Wo der Freiheit Banner wehn,
Rings durch die Welt, durch der Erden Weite!
So will’s Gott! So will’s Gott!
Auf denn zum Kampf!
ALLE DREI.
So will’s Gott! So will’s Gott!
Auf zum Kampf! Auf in den Streit!
Die Männer kehren bewaffnet zurück; leidenschaftlich bewegt.
CHOR alle.
Dein, o Herr, sind Ruhm und Ehren,
Du gehst im Kampfe uns voran, voran!
Dich soll der Völker Preis verklären,
Dein heilig Wort führ uns fortan, fortan!
Auf zum heil’gen Streite!
So will’s Gott! So will’s Gott!
Flammender Tag glühet an den Höhn,
Wo der Freiheit Banner wehn,
Rings durch die Welt, durch der Erden Weite!
So will’s Gott! So will’s Gott!
Auf denn zum Kampf! So will’s Gott! So will’s Gott!
So will’s Gott! Zum Kampfe! Zum Kampfe!
Zum Kampfe! Zum Kampfe!
DIE DREI WIEDERTÄUFER.
Ad nos, ad nos venite populi,
Venite ad nos, ad nos, ad nos,
Venite populi! ad nos! –
Folget uns, auf! folget uns, auf!
Den Tyrannen Tod! Tod!
Tod! Tod! Tod! Ja, Tod! – Ja!
CHOR DER LANDLEUTE UND FRAUEN.
Freiheit, dich wollen wir erwerben!
Oder sterben! Ja, freudig alle sterben!
Zum Kampfe! – Zum Kampfe!
Freiheit oder Tod, ja!
Alle stürzen sehr lebhaft bei den letzten zwei Takten hart nach vorn, eilen mit dem letzten gehaltenen Tone in höchster Erregung nach hinten, als ob das Schloß angegriffen werden solle.
Zehn Hellebardiere kommen von links hinten aus dem Schlosse und nehmen auf der Erhöhung Aufstellung.
Graf Oberthal hinter ihm fünf junge Ritter folgen.
Bertha und Fides kommen gleichzeitig von links vorn zurück.
Vierter Auftritt.
Die Vorigen. Oberthal. Die fünf Ritter. Bertha und Fides links.
Die Landleute erschrecken und verbergen die Waffen so gut sie können.
Die Frauen nehmen sie ihnen ab und schaffen sie nach rechts hinein fort.
Alle Landleute treten nach rechts und nehmen ehrerbietig die Kopfbedeckungen ab.
Die drei Wiedertäufer kehren mißmutig nach links ganz vorn zurück.
BERTHA bebend.
Der Graf Oberthal, der Herr dieser Burg!
OBERTHAL mit den fünf Rittern noch auf der Erhöhung.
Welch ein drohender Ruf dieser finstern Gestalten
Dringet selbst bis ins Schloß, stört die Lust unsers Fests!
Er tritt mit den Rittern, die bei ihm Aufstellung nehmen, herunter, sich besinnend, als er die Wiedertäufer erblickt.
Ah! – Gehören die dort nicht zu den Anabaptisten,
Die durch das ganze Land langweilig pred’gend ziehn,
Und überall die Saat der falschen Lehren streun?
ZACHARIAS, MATHISEN, JONAS nähern sich einen Schritt, feierlich.
Weh dem, o edler Herr, dessen Auge sich
Nur dem Irrtum öffnen will!
OBERTHAL.
Allein täusch‘ ich mich nicht? Ja, wahrlich,
Ich erkenn‘ ihn! Der Meister Jonas ist’s,
Er war mein Schaffner einst, stahl meinen besten Wein
Und suchte dann das Weite!
Nach hinten zu den Hellebardieren.
Auf, mit der flachen Klinge zahlt seinen Lohn ihm aus –
Und dann jagt ihn fort, daß ich nie wieder
Hier ihn erblicke!
Zwei Hellebardiere steigen herab.
Die drei Wiedertäufer empört über diese Demütigung, entfernen sich mit rachedrohenden Mienen über die Stufen nach rechts.
Die beiden Hellebardiere eskortieren sie und kehren nach einiger Zeit zurück.
Fünfter Auftritt.
Die Landleute auf der rechten Seite. Graf Oberthal und die fünf Ritter in der Mitte. Bertha und Fides links vom Grafen Oberthal.
Die Hellebardiere hinten auf der Erhöhung.
Drei Ritter treten Oberthal zur Rechten.
Zwei Ritter ebenso zur Linken.
Fides drängt die verschüchterte Bertha.
Bertha verneigt sich tief vor Oberthal.
OBERTHAL der sie jetzt erst bemerkt.
Ei, seht dies schöne Kind!
Was hast du mich zu bitten? Tritt her
Und rede ohne Scheu!
BERTHA leise zu Fides.
Ach, Mutter, ich zittre vor Furcht –
FIDES sie beruhigend.
Sei nur ruhig, sei ganz ruhig,
Ich bin ja, bin ja bei dir!
Fürchte nichts, ich bin bei dir!
Nr. 4. Zweistimmige Romanze.
BERTHA tritt näher.
Einst in tiefen Stromeswellen
Sank ich hinab, sank ich hinab! Johann rettete mich!
FIDES ebenso, sich vor dem Grafen verneigend.
Er rettete sie!
BERTHA.
Eine Waise, arm und hilflos
Seit jenem Tag, seit jenem Tag, er, er schützte mich!
FIDES ebenso.
Ja, er schützte sie!
BERTHA.
Lieber Herr! Guter Herr!
Ihr habt über mich zu schalten.
BEIDE.
Doch / Ja, er liebt mich / sie treu und wahr!
Ach, guter Herr, ach, guter Herr!
Seht uns die Hände falten!
FIDES.
Ach, lasset sie ihm folgen zum Altar!
BEIDE.
Ach, lasset mich / sie ihm folgen zum Altar!
Ach, guter Herr!
Laßt mich / sie ihm folgen zum Altar!
Ja, zum Altar, ja, zum Altar!
Ach, guter Herr, erlaubt es, ja!
O lieber wackrer Herr!
Oberthal lächelt, zieht sich ein wenig zurück, um die ihn begleitenden Ritter zu befragen, nimmt dann zwischen beiden Frauen die Mitte und betrachtet während des Folgenden Bertha mit zärtlicher Aufmerksamkeit.
BERTHA.
Eurer Macht, Herr, unterthänig
Ist all mein Gut ein frommer Sinn, frommer Sinn!
FIDES wie oben.
Ja, frommer Sinn.
BERTHA.
Doch Johann wählt mich aus Liebe,
Er freit um mich, so arm ich bin, ja, arm wie ich bin!
FIDES wie oben.
Ja, arm wie sie ist!
BERTHA.
Seht seine Mutter vor Euch stehen,
Ihrem Sohn mich zu erflehen.
BEIDE.
Sie fleht um mich / Die Mutter fleht Euch an für den Sohn!
Ich lieb ihn / Er liebt so treu, ich lieb ihn / er liebt so wahr!
Ach, guter, ach, guter Herr!
Sehet uns die Hände falten!
FIDES.
Ach, lasset sie ihm folgen zum Altar!
BEIDE.
Ach, lasset mich / sie ihm folgen zum Altar!
Ach, guter Herr!
Laßt mich / sie ihm folgen zum Altar!
Ach, guter Herr, erlaubt es ja!
Ach, guter Herr!
Sie verneigen sich tief.
Oberthal wendet sich nochmals zu seinen Rittern, die ihn zu ermuntern scheinen, er solle die Bitte Berthas nicht gewähren.
Fides tritt Bertha zur Seite nach rechts.
Die Landleute erwarten Oberthals Antwort mit Bangen.
Nr. 5. Recitativ und Finale.
OBERTHAL.
Doch wie? Soll diese Jugend, so viel Reiz
Der holden Unschuld verloren sein für uns?
Verlassen diesen Ort?
Er wendet sich zu seinen Rittern.
Große Erwartung.
OBERTHAL lächelnd, mit lüsternen Blicken.
Nein, nein, nein, nein, nein, nein!
Du darfst nicht ziehen!
BERTHA, FIDES, DIE RITTER, ALLE LANDLEUTE.
Ah!
BERTHA UND FIDES.
Schreckliches Wort!
Allgemeine Bewegung.
Fides eilt unter die Landleute und wirft ihnen ihre Feigheit vor, sie bestürmend, Bertha zu verteidigen.
Die Landleute bitten mit flehenden Gebärden nach Oberthal hin.
Oberthal spricht, sie nicht beachtend, abgewandt mit seinen Rittern.
BERTHA, FIDES, CHOR DER LANDLEUTE aufs Höchste empört.
Welche neue That der Willkür!
Darf er’s wagen! O Schande, o Jammer!
Soll’n wir länger noch es tragen,
Und uns beugen ins eherne Joch?
Bertha wendet sich vergebens hilfesuchend an die Zunächststehenden, zuletzt an die Ritter.
Die Ritter anstatt sich ihrer Not zu erbarmen, ziehen sie nach den Mittelstufen und zum Schlosse hin.
Fides eilt zu Bertha hin und wird ebenfalls mit ins Schloß fortgeschleppt.
OBERTHAL zu den Landleuten.
Ausgesprochen ist mein Wort,
Und ich will, ihr sollt euch beugen eurem Herrn!
Füget euch, gehorchet mir sofort,
Beugt euch dem Willen eures Herrn!
Auf, gehorcht meinem Wort!
Ja, gehorcht aufs Wort! –
Zögert ihr?
Die Landleute die entschlossen näher getreten waren, bleiben stehen und treten verlegen zitternd vor Oberthal zurück.
OBERTHAL seinen Hellebardieren winkend.
Heran!
CHOR DER LANDLEUTE.
Entflieht!
Bertha und Fides verschwinden in diesem Augenblick im Schlosse.
Oberthal folgt ihnen nach seinem »Heran!«, ohne sich um weiteres zu kümmern.
Die Hellebardiere dringen auf die Landleute ein; dann eilen sie Oberthal ins Schloß nach.
Die Landleute sind ganz nach rechts zurückgewichen, stehen stumm und gesenkten Hauptes.
Nach sieben Takten Einleitung hört man von rechts aus der Ferne den Sang der drei Wiedertäufer.
Zacharias, Mathisen, Jonas erscheinen von rechts auf der Erhöhung.
Sechster Auftritt.
Die drei Wiedertäufer. Die Landleute.
Die Wiedertäufer drohen mit Blicken und Gebärden nach dem Schlosse, während sie die Hände über das Volk ausbreiten.
Die Landleute eilen von rechts her vor die Mittelstufen und knieen, dem Zuschauer abgewendet.
DIE WIEDERTÄUFER.
Ad nos, ad salutarem undam
Iterum venite miseri! venite!
Es ist ein kurzer Zwischenakt zu machen.
Zweiter Aufzug.
Nr. 6. Bauerntanz. Ensemble.
Der Vorhang hebt sich im achten Takte.
Die Schenke Johanns in einer Vorstadt von Leyden. Ein offener breiter Mitteleingang führt auf eine Galerie, in deren Mitte sich ein Fenster mit Ausblick ins Freie befindet. Rechts und links vom Mitteleingang und rechts und links vorn Tische und Stühle; die Tische sind mit Trinkgefäßen besetzt. Zur Linken vom Mitteleingang ein durch einen Vorhang geschlossenes Versteck. Auf der rechten Seite vorn Thür zu Fides Kammer; auf der rechten Seite hinten Thür in eine Vorratskammer. Auf der linken Seite Thür nach außen.
Es ist gegen Abend und noch hell.
Erster Auftritt.
Soldaten. Volk. Bauern. Tänzer. Musikanten. Aufwärter. Die drei Wiedertäufer Zacharias, Mathisen und Jonas.
Vier Soldaten sitzen rechts vorn, gehen bald quer über die Schenke nach links vorn zu den dort Sitzenden.
Sechs Soldaten sitzen und stehen links vorn in einer Gruppe und begrüßen sie.
Allerlei Volk befindet sich am Tisch links vom Mitteleingang und steht umher.
Acht Tänzerpaare walzen von links durch die Mitte herein und füllen tanzend den Mittelraum.
Vier Musikanten kommen mit den Tänzern und spielen am Tisch rechts vom Mitteleingang auf.
Ein Aufwärter kommt mit gefüllten Krügen durch die Seitenthür rechts hinten und setzt sie den Gästen links vorn vor, die leeren Gefäße mit sich nehmend.
Zacharias, Mathisen und Jonas erscheinen von rechts durch die Mitte inmitten des Gewühls und setzen sich rechts vorn.
Aufwärter eilen hin und her und bedienen.
Alle sind vergnügt, trinken und unterhalten sich.
CHOR DES VOLKS UND DER SOLDATEN.
Tanzet, tanzet! Walzer ist der Lieblingstanz!
Tanzet, singet! Tanzet froh!
Tanzet, tanzet! Walzer ist der Lieblingstanz!
Tanzet, singet! Auf, Johann lebe!
Lebe, lebe, lebe hoch!
Der Tanz endet.
Aufwärter bringen den Tänzern und Tänzerinnen zu trinken. Man trinkt ihnen zu; der ganze Raum ist mit scherzenden und trinkenden Gruppen gefüllt.
Johann in jeder Hand eine Kanne, tritt fröhlich aus der Seitenthür links.
Zweiter Auftritt.
Die Vorigen. Johann.
EIN SOLDAT am Tisch links vorn.
Heda, her Bier und Wein!
Heran mit Bier und Wein!
Johann, schenke frisch uns ein!
Johann bedient zunächst links vorn, dann rechts vorn.
Die Wiedertäufer werden aufmerksam auf Johann.
JONAS seine Genossen beruhigend.
Seid ruhig!
SOLDAT ohne Pause fortfahrend.
Hier herrscht ein fröhlich Leben,
Hell tönt und laut Becherklang
Und froher Sang! Lalalala!
Auf, schenke Wein ein, Freund Johann!
CHOR rufend.
Hier, Johann, schenke Wein ein!
Vergiß die Gäste nicht,
Gedenke deiner Pflicht! Hier!
JOHANN war inzwischen an den Mitteleingang getreten, hat nach außen geblickt und tritt nun vor; für sich.
Der Tag beginnt zu sinken,
Bald kehrt die Mutter zurück!
Ja, noch vor Sternenblinken
Ist Bertha mein, o Glück!
EIN BAUER nach Bedienung rufend.
Hier!
JOHANN.
Ja, Bertha, sie mein Glück!
DER BAUER wie vorher.
Schenk uns Wein ein!
JOHANN für sich.
Ja, Bertha, sie mein höchstes Glück!
Er bedient aufs neue auf der linken Seite.
JONAS aufstehend und Johann scharf fixierend, leise.
Bei Gott!
ZACHARIAS leise.
Was sagst du?
JONAS ebenso.
Sieh diesen jungen Mann!
ZACHARIAS steht auf.
Ha, bei Gott!
MATHISEN ebenso.
Jeder Zug – jeder Blick –
ZACHARIAS leise.
Die Ähnlichkeit – ist unerhört!
JONAS mit den Andern vortretend; leise.
Es ist als ob lebendig das Bild vor mir steht,
Das Bild des Königs David, zu Münster hoch verehrt!
MATHISEN leise.
Ja, das herrliche Bild, das im Westfalenlande
Allverehrt, so herrliche Wunder thut!
JONAS sich mit den Andern wieder setzend; leise.
Doch schweiget jetzt!
Der Tanz beginnt wieder.
CHOR während des Tanzes zu Johann.
He, schenk Wein ein! Hier komm her!
EIN SOLDAT.
Komm!
EIN BAUER.
Komm!
Ein Aufwärter kommt aus der Seitenthür rechts hinten, stellt einen Krug mit drei Bechern auf den Tisch rechts vorn.
JONAS steht auf, wendet sich an ihn und zieht ihn nach vorn; stets halblaut.
Sprich, Freund, wer ist der Mann?
AUFWÄRTER ebenso.
Johann, der Herr des Hauses hier!
Von dem trefflichsten Herzen und stark wie ein Löwe!
JONAS.
Leicht in Eifer?
AUFWÄRTER.
Ja, gewiß!
JONAS.
Er ist tapfer?
AUFWÄRTER.
Ja, und fromm!
Die ganze Bibel hat er im Kopfe!
Er geht ab woher er kam.
Jonas setzt sich wieder wie vorher, ohne Johann aus den Augen zu lassen.
Es wird allmählich dunkel.
Aufwärter kommen mit brennenden Öllampen aus der Seitenthür rechts hinten und setzen sie auf die Tische links.
ZACHARIAS leise zu den beiden Andern.
Freunde, sprecht, das ist unser Mann!
Der gottgesandte Mann!
MATHISEN leise.
Er ist’s, den uns zur Hilfe
Der Himmel selber schickt!
JOHANN tritt inzwischen einen Augenblick in den Mitteleingang, sieht hinaus, tritt dann vor und fordert die Tänzer und Gäste auf, sich zu entfernen.
Der Tag beginnt zu sinken,
Nun bald ist Bertha mein!
Er zeigt nach dem Fenster im Hintergrund.
Seht schon die Sterne blinken,
Geht, laßt mich jetzt allein, laßt mich allein.
Die Musikanten und Bauern gehen sofort ab durch die Mitte nach links.
Die Tänzerpaare walzen bei Beginn des Chores nach ebendorthin ab.
CHOR sich gegenseitig zuwinkend.
Freunde, kommt jetzt, lasset uns nun gehen.
Laßt allein ihn, die Nacht bricht an. Leb wohl!
Die Frauen folgen zunächst.
Die Männer zuletzt.
Die Wiedertäufer stehen auf.
Die Aufwärter räumen Krüge und Becher fort und entfernen sich nach rechts und links.
Die Stimmen verhallen.
Dritter Auftritt.
Mathisen und Jonas rechts, Johann in der Mitte, Zacharias zu seiner Linken.
Zacharias ist einen Augenblick nach hinten gegangen.
Johann hat sich von Einzelnen mit Händeschütteln verabschiedet, geht träumerisch nach rechts vorn zum Tisch, um sich zu setzen; als er Mathisen und Jonas erblickt, bleibt er stehen.
Zacharias kommt nun zu seiner Linken vor.
Nr. 7. Der Traum.
ZACHARIAS zu Johann.
O Freund, welche Wolke verdunkelt deine Stirn?
JOHANN.
Auf meine Braut und meine Mutter harr ich,
Ihr Verspäten macht mich besorgt!
Schon hat diese Nacht ein entsetzlicher Traum
Mich mit Grauen erfüllt!
MATHISEN.
Wie, ein Traum? Erzähl ihn uns!
JOHANN.
Durch eure Wissenschaft erklärt
Aus Mitleid mir, was ich im Geist nicht fasse,
Was in verworrnen Bildern ich geschaut,
Die zweimal mich in dieser Nacht umschwebt.
Während des zwölf Takte langen Vorspiels sucht er sich zu sammeln.
Die Wiedertäufer treten nach hinten, verständigen sich, kein Wort der Erzählung zu verlieren und kommen wieder in ihre frühere Stellung vor, wobei Jonas beinahe hinter Johann steht; während der Erzählung drücken sie ein immer lebhafteres Staunen aus, geben sich Zeichen des Einverständnisses und treten, ohne Johann aus den Augen zu lassen und seine geringste Bewegung beobachtend, etwas von ihm fort.
JOHANN geheimnisvoll.
In eines Doms Wunderbau,
Von Säulen getragen, sah ich mich stehn.
Das Volk kniete rings um mich her,
Es schmückte meine Stirn ein Königsdiadem.
Und von des Volkes Lippen tönt’s
Im heiligen Gesange: »Sehet da, Gottes Sohn,
Den Erwählten des Herrn!« Da erscheint
Am Gewölb eine glüh’nde Flammenschrift:
»Weh dir und Fluch! Weh dir und Fluch!«
Zum Schwert greift eben meine Hand,
Doch ein blutiger Strom wogt heran, schwillt empor.
Ihm zu entfliehn, schwing ich mich
Auf einen goldnen Thron; doch die Flut
Stürzt auch ihn, reißt mich selbst mit hinweg!
Rings umher sprühen Blitze, aus dem Boden
Schlagen Flammen, des Höllenfürsten Faust
Schleift mich vor Gottes Thron, es erdröhnt
Aus der Erde der Ruf: »Er sei verflucht,
Verflucht, verflucht!«
Er tritt wie erschreckt nach hinten zurück.
Die Wiedertäufer folgen der Bewegung, ohne etwas zu thun, was die sie außerordentlich interessierende Erzählung unterbrechen könnte.
JOHANN langsam vorkommend.
Doch zu dem Herrn
Erhebt sich aus der Tiefe eine Stimme
Voll Schmerz und fleht mit bangem Laut:
»Erbarmen! Erbarmen! Erbarmen!«
Da erwach ich aus dem Schlaf, und Nacht
War um mich her, und voll Gram meine Brust!
Er steht wie in Gedanken versunken vorn allein.
Mathisen, Jonas, Zacharias sind hinten geblieben.
MATHISEN, ZACHARIAS geheimnisvoll.
Ja, in dieses Traumes –
ALLE DREI.
In des Traumes Wunderbildern –
MATHISEN, ZACHARIAS.
Sehn wir deine Zukunft schildern.
ALLE DREI.
Du, erwählt als Gottes Sohn –
ZACHARIAS.
Du besteigst den Thron!
ALLE DREI nur einen Schritt vortretend.
Du besteigst den Thron!
JOHANN.
Ich, ich versteh eures Spottes Hohn!
Er macht einige Schritte nach links.
Die Wiedertäufer gehen nach hinten.
Zacharias blickt hinaus, um zu sehen, ob sie nicht beobachtet oder überrascht werden.
Nr. 8. Pastorale.
JOHANN.
Keins von allen Erdenreichen
Sehne ich mich zu erreichen;
Herrsch ich nur in Berthas Herzen,
Will ich leicht den Thron verschmerzen,
Lassen alle Königskronen, ja, alle Kronen,
Will in dieser Hütte wohnen,
Wo der Friede glücklich weilt,
Liebe, Lust und Schmerzen teilt;
Ja, der Liebe selig Band, ihr selig Band
Für mich sich knüpft an Berthas Hand!
Er geht einige Schritte nach rechts.
Wo mir sich knüpft dies Band –
DIE WIEDERTÄUFER.
Folg unserm Rate ganz!
O folge, folge unserm Rate ganz!
JOHANN.
Ja, der Liebe Band!
DIE WIEDERTÄUFER wieder näher tretend.
Wahnsinn müssen wir es nennen,
Willst du so dein Glück verkennen!
O folge uns, folg unserm Rat,
Er führt dich, führt dich bald,
Er führt dich zu des Thrones Glanz!
JOHANN.
Mich?
DIE WIEDERTÄUFER.
Zu Thrones Glanz!
JOHANN.
Mich?
DIE WIEDERTÄUFER.
O folg uns ganz!
JOHANN.
Nein!
DIE WIEDERTÄUFER.
Ja!
JOHANN.
Nein!
DIE WIEDERTÄUFER.
Ja!
JOHANN.
Nein! – Nein, nein, nein, nein! –
Nicht begehr ich fürstlich Prangen,
Hier will ich mein Glück empfangen;
Will mit Rosen hold es grüßen,
Lege sie zu ihren Füßen!
Eh‘ die Sonne noch versinket,
Ja, eh‘ sie versinket,
Der Geliebten Gruß mir winkt,
Ja, hier, wo Freude glücklich weilt,
Liebe, Lust und Schmerzen teilt,
Ja, wo heut der Liebe Band, der Liebe Band
Mir heut sich knüpft durch Berthas Hand.
Ja, heut knüpft sich dies Band –
DIE WIEDERTÄUFER.
Folg unserm Rate ganz!
O folge, folge unserm Rate ganz!
JOHANN.
Ja, der Liebe Band!
DIE WIEDERTÄUFER.
Ja, Wahnsinn nur ist’s zu nennen,
Willst du so dein Glück verkennen!
JOHANN.
Fort mit eures Thrones Glanz!
DIE WIEDERTÄUFER.
Und dir winkt des Thrones Glanz!
Mit den letzten sechs Takten ziehen sie sich nach hinten zum Mitteleingang zurück, so daß sie mit der letzten Note sofort nach links verschwinden.
Vierter Auftritt.
Johann allein.
Nr. 9. Scene und Ensemble.
JOHANN mit einigen Schritten nach links.
Sie gehen! Gott sei Dank! Ihre Nähe
Bedrückt mich, hemmt mich, glücklich zu sein.
Morgen, ja, wenn ich’s denke, schon morgen
Bin ich vermählet, welch ein seliges Glück!
Man hört Hufschlag.
Welch Geräusch noch in nächtlicher Stunde?
Täusch ich mich nicht, Reiter sprengen heran.
Das ist Waffengeräusch!
Er eilt nach hinten.
Bertha stürzt bleich, erschöpft und zitternd von rechts durch den Mitteleingang herein.
Fünfter Auftritt.
Bertha, Johann zu ihrer Linken.
Bertha wirft sich hilfesuchend Johann in die Arme.
JOHANN.
Ha, Bertha! Du, o Geliebte! Was setzt dich so in Schrecken?
BERTHA außer Atem.
Vor der Wut des Tyrannen rette mich!
Wo berg ich mich seinem Blick?
Großer Gott!
JOHANN auf das mit einem Vorhang geschlossene Versteck links vom Mitteleingang zeigend.
Dort! Dort!
Er giebt sie an sich vorüber nach links.
Bertha verschwindet in dem Versteck.
Johann eilt nach hinten, um nach rechts hinaus nach dem Grafen Oberthal zu spähen; als er ihn nahen sieht, setzt er sich fassungslos an den Tisch rechts vorn, die Hände aufgestützt.
BERTHA öffnet den Vorhang des Verstecks; schmerzlich, mit zum Himmel gehobenen Händen.
Gott, o Gott, du siehst mich beben!
Was drohet mir? Welch ein Geschick?
Laß zu dir die Hand mich heben,
Ach, verbirg mich seinem Blick!
Gott, verbirg mich, verbirg mich seinem Blick!
Sie verschwindet wieder hinter dem Vorhang.
Graf Oberthal kommt mit vier Hellebardieren von rechts durch den Mitteleingang.
Sechster Auftritt.
Johann am Tisch rechts vorn sitzend. Graf Oberthal in der Mitte. Bertha in ihrem Versteck. Die vier Hellebardiere zurückstehend. Bertha hört von ihrem Versteck aus angstvoll zu.
OBERTHAL.
Zwei Frauen führte ich gefangen mit mir,
Sie nach Harlem zu bringen auf mein Schloß;
Doch unfern dieser Hütte, im dunklen Waldgebüsch,
Das sie leicht mir verbarg, ist die eine entflohn,
Und umsonst verfolgt ich sie! Wo hat sie sich verborgen?
Du weißt’s, du weißt’s! Du lieferst sie mir aus!
Deine Mutter, alsogleich hier vor dir
Töt ich sie, entdeckest du mir nicht!
JOHANN mit einem Schreckensschrei aufspringend.
Meine Mutter! O Gnade!
OBERTHAL lächelnd.
Das Mittel hat gewirkt! Wähle nun!
JOHANN knieend, mit von Schluchzen unterbrochener Stimme.
Ach, nehmt hin mein Blut und Leben,
Flehend sink ich in die Knie!
Doch verschont die teure Mutter,
Übet Gnade gegen sie!
Ach, gegen sie! Gnade! Gnade! Gnade!
Gott, o Gott, du siehst mich beben!
Was drohet mir? Welch ein Geschick?
Schenke mir der Mutter Leben,
Gieb dem Sohne sie zurück!
Gieb dem Sohn, o gieb sie ihm zurück!
OBERTHAL zu Johann.
Jetzt seh ich dich knieend beben,
Doch du selbst lenkst ihr Geschick!
Eins nur rettet ihr das Leben,
Gieb du selbst sie dir zurück!
Gieb du selbst sie dir zurück! Du selbst!
BERTHA unbemerkt und für sich.
Gott, o Gott, du siehst mich beben.
Was drohet mir? Welch ein Geschick?
Laß zu dir die Hand mich heben,
Ach, verbirg mich seinem Blick!
Gott, verbirg mich, verbirg mich seinem Blick!
OBERTHAL.
Nun, wird’s?
Er geht zum Mitteleingang zurück und winkt nach rechts hinaus.
JOHANN folgt ihm und steht zu seiner Linken, zwischen Oberthal und Bertha; empört.
So möge denn Gott zwischen uns.
Entscheiden! Er schleudre auf dein Haupt
Den Blitzstrahl seines Fluches!
Er tritt nach links vor.
Zwei Hellebardiere Streitäxte in den Händen, schleppen auf Oberthals Wink von rechts durch den Mitteleingang Fides herbei.
Siebenter Auftritt.
Fides Oberthal zur Rechten, zwischen den beiden Hellebardieren. Oberthal in der Mitte. Johann zu seiner Linken. Bertha in ihrem Versteck. Vier Hellebardiere zurückstehend.
Die beiden Hellebardiere zwingen Fides niederzufallen und heben mit drohendem Ausdruck die Streitaxt über ihrem Haupte.
Fides sinkt auf die Knie, die Hände nach ihrem Sohne ausstreckend.
JOHANN kehrt sich um, stößt einen Schrei aus, stürzt nach dem Versteck, wo Bertha eben sichtbar ist und schleudert sie in dem Augenblick dem Grafen Oberthal zu, wo derselbe wieder nach vorn tritt; halb sinnlos zu Bertha.
Fort! Hinweg! Du siehst, es muß sein!
Es muß sein! Hinweg!
Die beiden Hellebardiere schleppen Bertha durch den Mitteleingang nach rechts hinaus.
Oberthal eilt ihnen nach.
Die vier Hellebardiere im Hintergrunde folgen.
Achter Auftritt.
Johann rechts vorn sitzend, Fides zu seiner Linken.
Fides hat sich erhoben, folgt Bertha mit den Augen.
Johann schleppt sich außer sich, ohne Fides anzusehen, das Gesicht mit den Händen bedeckend, an seiner Mutter vorüber nach rechts und sinkt auf einem Stuhl dort zusammen.
Fides nähert sich ihrem Sohne und blickt ihn gerührt an.
Nr. 10. Arioso.
Johann sitzt während des Arioso wie geistesabwesend und rührt sich nicht; erst gegen das Ende kommt er allmählich zu sich.
FIDES zaghaft und weinend.
Ach, mein Sohn! Segen dir! –
Denn deine Mutter, sie war dir teurer
Als deine Braut, als deine Braut,
Dein höchstes Glück! Ach, mein Sohn! Ach, mein Sohn!
Mein Blick ist naß, denn du gabst für die Mutter,
Du gabst für mich, gabest mehr als das Leben,
Gabst dein Glück! Ach, mein Sohn! Ach, mein Sohn!
Johann steht auf.
FIDES segnet ihn; mit Begeisterung.
Zum Himmel auf denn steige mein Gebet,
Das des Vaters Segen dir erfleht,
Das dir des Vaters Segen erflehet;
Mein Sohn, das den Segen des Vaters,
Des Vaters, des Vaters erfleht!
Segen dir! Mein Sohn, mein Sohn!
Ja, der Himmel segne dich! Mein Sohn!
Mein teurer Sohn! Segen auf dein Haupt!
Sie umarmt Johann mit Heftigkeit.
Johann giebt Fides zu verstehen, daß er beruhigt sei und fordert sie mit einem Zeichen nach rechts auf, sich zu ihrer Erholung zur Ruhe zu begeben.
Fides geht nach einigem Zögern hinter ihm weg nach ihrer Kammerthür rechts vorn; an der Thür wendet sie sich noch einmal um, wirft einen zärtlichen Blick auf ihn und geht ab nach rechts vorn.
Die Kammerthür bleibt offen.
Neunter Auftritt.
Johann allein. Dann der Gesang der Wiedertäufer links außerhalb.
Nr. 11. Scene und Quartett.
JOHANN hat sich kaum vom Verschwinden seiner Mutter überzeugt, so bricht er mit einigen Schritten nach links in wildestem Schmerz aus.
Grauenvoll! O Gott, trifft denn dein Blitz
Nicht das Haupt dieser Frevler?
Man hört plötzlich von links außerhalb den Gesang der Wiedertäufer.
DIE WIEDERTÄUFER.
Ad nos, ad salutarem undam!
JOHANN leise.
Gott! Du hörtest mein Flehn!
Du sendest diese mir!
Er eilt nach der Seitenthür links und öffnet sie.
Die drei Wiedertäufer treten von dort ein.
Zehnter Auftritt.
Zacharias und Mathisen rechts, Johann und Jonas links.
JOHANN in Erregung.
O kommt! O kommt!
Wir sind allein! Habt ihr jüngst meinen Traum
Nicht wunderbar gedeutet? Habt ihr mir nicht gesagt:
»Folg uns, dir winkt ein Thron?«
DIE WIEDERTÄUFER.
Ja, heut noch, folgst du uns,
Winkt dir ein Thron! Auf denn, folg uns!
JOHANN.
Trifft meine Rache dann der Feinde Haupt?
ALLE DREI.
Das Gebot deiner Macht vernichte ihre Schar!
JOHANN.
Und auch ihn, der sie mir geraubt?
ZACHARIAS.
Er muß fallen!
ZACHARIAS, MATHISEN.
Er muß fallen!
ALLE DREI.
Fallen heut noch!
JOHANN.
Doch sprecht, was soll ich thun?
Ein Wort! Ihr seht, ich bin bereit!
Er eilt nach hinten, um sich zu überzeugen, daß sie nicht gestört werden.
Die Wiedertäufer beraten sich im Vordergrunde.
Johann kommt vor in seine frühere Stellung.
Zacharias tritt zwischen Mathisen und Johann.
Quartett.
ZACHARIAS.
Unterm Joch, schwer gebeugt
Flehn unsre deutschen Brüder.
Daß der Messias naht,
Den Gottes Wort verkündet,
Der ihre Ketten bricht.
Zum Schwerte greifen sie,
Wenn der Name ertönet,
Des, der verheißen ist, den schon
Mein Aug‘ erblickt.
Er geht ebenfalls nach hinten, um zu beobachten, daß sie nicht belauscht werden und tritt dann Mathisen zur Rechten wieder vor.
JOHANN.
Was redest du?
JONAS mit Beziehung auf Johann.
Der Herr,
Des Gebot er verkündet, hat durch
Geheime Zeichen uns ihn kenntlich gemacht.
Der Erwählte des Herrn
Ist unserm Aug‘ enthüllt.
ZACHARIAS.
Dich ruft der Herr!
ALLE DREI.
Dich, Johann, ruft sein Wille!
JONAS.
Auf! Auf! Komm, geh‘ mit uns, mein Bruder!
ALLE DREI.
Ja, der Herr hat’s verheißen,
Er hat dich gewählt auf Erden!
Durch sein Wort sollst du mächtig,
Durch sein Licht erleuchtet werden!
Seine Fahne, du sollst sie tragen
Im Streit unsern Reihen voran!
Johann zeigt seine Bereitwilligkeit.
Die Wiedertäufer triumphieren.
Johann stürzt begeistert nach links vor.
Die Wiedertäufer auf der rechten Seite; große Zwischenräume.
JOHANN.
Ja, ich will eure Fahne im Streit tragen,
Ja, ich will die Stolzen stürzen und schlagen,
Denn der Herr hat mich erwählt auf dieser Erden,
Ja, ich soll, ja, ich soll sein Streiter werden!
Er tritt nach und nach wieder zurück.
Ja, ich will eure Fahne tragen,
Will die Stolzen stürzen und schlagen,
Denn der Herr hat mich erwählt auf Erden,
Sie zu schmettern in Fluch und Bann!
ALLE DREI sehr lebhaft.
Ja, du sollst unsre Fahne im Streite tragen,
Und du sollst die Stolzen stürzen und schlagen,
Denn der Herr hat dich erwählt auf dieser Erden,
Ja, du sollst, ja, du sollst sein Streiter werden!
Sie treten nach und nach wieder zurück.
Ja, du sollst unsre Fahne tragen,
Du sollst die Stolzen stürzen und schlagen,
Denn der Herr hat dich erwählt auf Erden,
Sie zu schmettern in Fluch und Bann!
ZACHARIAS, JONAS.
Gott hat dich erwählt auf Erden!
JOHANN stürzt begeistert nochmals nach links vor, entflammt.
Ja, ich geh euren Reihen voran,
Denn mich ruft Gottes Wort!
Ich zerschmettere den Feind,
Ja, ich schleudere ihn in Fluch und Bann!
DIE WIEDERTÄUFER.
Ja, du gehst uns voran,
Denn dich ruft Gottes Wort!
Du zerschmetterst den Feind,
Du zerschmetterst den Feind,
Ja, du schleuderst ihn in Fluch und Bann!
ZACHARIAS tritt zwischen Mathisen und Johann.
Und weißt du nicht, daß in Frankreich
Eine keusche Heldin, die gleich dir
Gott sich selbst zur Streiterin erkor,
Johanna d’Arc, ihres Volkes Retter ward?
JOHANN.
Auf denn, fort!
Er eilt nach hinten.
Die Wiedertäufer folgen und ziehen ihn fort.
ZACHARIAS stehen bleibend.
Doch als Prophet des Herrn,
Merk es wohl, daß von jetzt
Jedwedem ird’schen Band
Du entsagst für immerdar!
Du siehst dein Vaterland,
Deine Mutter nicht wieder!
JOHANN.
Weh mir, nicht meine Mutter!
ZACHARIAS ihn fortziehend.
Es muß sein, so will’s Gott!
Johann reißt sich los, stürzt an den Wiedertäufern vorüber nach rechts vorn zur Kammer seiner Mutter.
Zacharias tritt an Mathisen vorüber zu ihm vor.
Mathisen und Jonas gehen ebenfalls einige Schritte vor.
JOHANN an Fides offener Thür horchend.
O schweig, denn sie schläft! Es flüstern
Im Schlaf ihre Lippen ein Gebet!
Ach, für mich flehet sie!
»Gott, behüte meinen Sohn!«
Ganz nach rechts vortretend, verzweifelt.
Weh, dieser Sohn entflieht
Und lässet sie zurück!
Mit Feuer zu den Wiedertäufern.
Nein, nein, nein, nein! Geht ohne mich! Ich bleibe
Zur Stütze ihres Alters! Meine Mutter
Ist das einzige Gut, das mir bleibt!
Er setzt sich an den Tisch rechts, das Gesicht mit den Händen bedeckend.
ZACHARIAS tritt geheimnisvoll Johann zur Rechten.
Dir bleibt auch die Rache!
MATHISEN ebenso Johann zur Linken.
Dir bleibt auch die Hoffnung!
JONAS ebenso.
Den Sturz, den Tod unsrer Feinde zu sehn!
ALLE DREI treten dicht an Johann, der sitzen bleibt, heran.
Dir bleibt zum Lohne des Himmels Krone,
Die er den Auserwählten beut.
Heiliges Glühen lass‘ dich durchsprühen,
Auf, führe uns freudig zum Streit.
ZACHARIAS.
Auf, führ uns zum Streit!
MATHISEN, JONAS.
Du bist berufen zu Thrones Stufen,
Dir tönt des Herrn allmächtig Wort.
Dir tönt sein Wort, führ uns zum Streit! Folg‘ uns!
Zu seiner Ehre führst du die Heere,
Irdischer Lieb‘ entsag‘ hinfort!
Du bist berufen zu Thrones Stufen,
Auf! führe uns freudig zum Streit!
ZACHARIAS.
Dich ruft der Herr! Hör auf sein Wort!
Hör auf sein Wort! Führ uns zum Streit!
Dir tönt des Herrn allmächtig Wort.
Dir tönt sein Wort, führ uns zum Streit! Folg‘ uns!
Zu seiner Ehre führst du die Heere,
Irdischer Lieb‘ entsag‘ hinfort!
Du bist berufen zu Thrones Stufen,
Führ uns zum Streit! Komm!
Johann kämpft mit sich; zum Ehrgeiz aufgestachelt erhebt er sich entschlossen und eilt nach links vor. Die Wiedertäufer gehen rechts ganz vor.
JOHANN.
O laßt mich noch!
DIE WIEDERTÄUFER.
Nein!
JOHANN.
Ein Augenblick!
DIE WIEDERTÄUFER.
Komm!
JOHANN.
O laßt mich noch! Ach!
DIE WIEDERTÄUFER.
Komm!
JOHANN.
Leb‘ wohl, o Mutter! Und du, o Hütte!
Ich soll euch nimmer wiedersehn, euch nimmer wiedersehn!
O teures Heimatland, wo ich geboren,
Du wärest ewig mir verloren, ewig ich verbannt!
ZACHARIAS leise zu den andern.
O habet acht! – Seht, er wankt!
ZACHARIAS UND MATHISEN ebenso.
Gott! – Gott!
Laut.
O hör auf Gott!
JOHANN.
O meine Mutter!
ZACHARIAS, MATHISEN.
Dich ruft sein Wort!
JOHANN.
Du arme Mutter!
ZACHARIAS, MATHISEN.
Folg‘ uns zum Kampf!
JOHANN.
O lebe wohl!
Die Wiedertäufer ziehen Johann sanft und unmerklich zum Mitteleingang.
JOHANN folgt maschinenmäßig, den Blick immer auf die Kammer seiner Mutter gerichtet.
Leb wohl! Leb wohl! Weh! Weh!
Leb wohl! Leb wohl! Leb wohl! Leb wohl!
DIE WIEDERTÄUFER.
Heiliges Glühen laß dich durchsprühen!
Auf, führe freudig uns zum Streit!
Du bist berufen zu Thrones Stufen,
Auf, führe uns freudig zum Streit!
Du mußt scheiden! Du mußt scheiden!
Jetzo scheiden!
ZACHARIAS, MATHISEN.
Auf, folg‘ uns!
JOHANN.
Ach, habt, ach, habt Erbarmen!
Noch einmal laßt sie mich umarmen!
Ach, habt, ach, habt Erbarmen!
Ein Augenblick, ein Augenblick, ein Augenblick!
Ach, laßt nur einmal noch sie mich umarmen!
DIE WIEDERTÄUFER.
Dir winkt Rache, dir winkt Hoffnung!
Den Sturz, den Tod der Feinde wirst du sehn!
Ein heilig Glühen muß dich durchsprühen,
Dann folgst du uns in den Streit!
Du bist berufen zu Thrones Stufen,
Es ruft dich Gott, komm und folge uns!
JOHANN reißt sich los, stürzt bis zur Thür seiner Mutter, dann steht er plötzlich still.
Nein, nein, nein, nein! Umarm ich sie,
Nie reiß ich mich los! Wohlan! –
Wohlan! – Hinweg!
Er wendet sich nach hinten.
DIE WIEDERTÄUFER.
Wohlan! Wohlan! Hinweg!
Sie waren gleichfalls vorgekommen, fassen ihn und ziehen ihn triumphierend mit sich fort.
Dritter Aufzug.
Nr. 12. Zwischenakt und Chor der Wiedertäufer.
Der Vorhang hebt sich im elften Takte.
Lager der Wiedertäufer in einem Walde Westfalens; Winterlandschaft, entlaubte und mit Schnee bedeckte Bäume. Im Hintergrunde ein zugefrorner See, der sich gegen den Horizont in Nebelgewölk verliert; der See große Segelleinwand, stark mit Ölfarbe gestrichen erstreckt sich von hinten bis ganz nach vorn. Ganz in der Ferne sieht man die Türme von Münster. Rechts, mehr nach hinten, eine praktikable, ungefähr vier Fuß hohe Anhöhe, breit genug, um vier Personen in der Fronte Raum zu gewähren. Links hinten, nach oben zu, der Eingang zum dichten Wald. Links vorn zum Lager der Wiedertäufer; es sind dort Zelte sichtbar.
Es ist gegen Abend, der Tag geht zur Neige, Abendröte.
Erster Auftritt.
Bauern. Bäuerinnen. Kinder. Soldaten. Edelleute, Burgfrauen und Jungfrauen als Gefangene. Mönche. Ein Almosenier.
Der Platz ist beim Erheben des Vorhangs leer. Im fünfzehnten Takte von links entfernter Trommelwirbel.
Bäuerinnen und Kinder kommen von rechts hinten über die Anhöhe und beobachten in die Ferne nach links zu.
Andere Bäuerinnen eilen von rechts vorn herbei.
Man hört links entfernt rasch näher kommendes Kampfgetöse, Trompetensignale, Trommelwirbel.
Wiedertäuferische Soldaten meist mit Streitäxten und Dolchen bewaffnet, einige noch in Bauernkleidung, stürmen in verworrenem Getümmel von links herbei, Gefangene mit sich führend: reichgekleidete Barone, Burgfrauen, ein greiser Edelmann, dessen Tochter, ein Junker, dessen Mutter, zwei Schwestern und ein jüngerer Bruder, zwei Patricierknaben, ein Edelfräulein, zwei Mönche.
Die Gefangenen sind meist angstvoll in die Kniee gesunken; die Männer, ein Mönch und mehrere von den Frauen sind gefaßt und reden den andern, sie beschützend, zu; einige Edeldamen liegen in Ohnmacht am Boden.
Die wiedertäuferischen Soldaten bedrohen die Gefangenen mit ihren Äxten und machen Miene, sie niederzuschlagen.
Neun aufrührerische Bauern folgen sofort von links mit erbeuteten kostbaren Stoffen, Gefäßen, Schmuck, erbrochenen Truhen mit Kleidern u.s.w.; die Beutestücke werden anfänglich auf die Anhöhe rechts hinten geschleppt und von den Bäuerinnen betrachtet.
CHOR DER WIEDERTÄUFER.
Ha, Blut! – Ha, Blut! – Ha, Blut!
Judas muß erbleichen.
Auf, tanzet, auf, tanzt um die Leichen!
Ja, Blut will der Himmel,
Solche Opfer verlanget der Himmel,
Verlanget der Herr! solche Opfer fordert Gott der Herr!
Mähet der Saat keimende Fülle,
Fället den Baum in blüh’nder Hülle,
Brauchet das Schwert, das ist sein Wille,
Gottes Gebot will ihren Tod!
Preis, Ruhm und Ehr‘ dem Herrn der Frommen.
Auf die Kniee fallend.
Te Deum laudamus!
Bedrohend sich wieder erhebend.
Auf, tanzet, tanzt um ihre Leichen!
Auf, tanzt! – Ha, Blut! – Ha, Blut! –
Ha, Blut! Ha, Blut! Ha, Blut! Ha, Blut! Ha, Blut!
Die wiedertäuferischen Soldaten erheben die Waffen, um die Gefangenen niederzuschlagen.
Mathisen eine Axt in der Hand, kommt mit sechs aufrührerischen Bauern von links hinten.
Zweiter Auftritt.
Die Vorigen. Mathisen und die sechs Bauern.
MATHISEN nimmt, Einhalt gebietend, die Mitte.
Haltet ein!
EIN WIEDERTÄUFER.
Wie, dein Herz ist von Mitleid bewegt?
MATHISEN.
Nein, nein! Doch die edlen Herrn hier,
Sie zahlen Lösung uns!
Er giebt ein gebieterisches Zeichen.
Die Gefangenen erheben sich.
Die wiedertäuferischen Soldaten führen die Gefangenen vor der Anhöhe ab nach rechts.
Die Bauern tragen die Beutestücke von der Anhöhe rechts hinten nach rechts hinein weg.
Die sechs Bauern Mathisens ziehen ab nach rechts über die Anhöhe.
Eine wiedertäuferische Patrouille: Ein Offizier und fünf Mann kommen von rechts hinter der Anhöhe nach links und stellen sich dort bereit.
Bauern und Bäuerinnen lagern hie und da in Gruppen auf der rechten Seite und an der Anhöhe rechts hinten.
Zwei Schildwachen werden links vorn, am Eingang zum Lager der Wiedertäufer aufgestellt.
Zacharias kommt von links hinten mit einigen bewaffneten Soldaten und Bauern, triumphierend die Streitaxt schwingend aus dem Kampfe zurück.
Dritter Auftritt.
Mathisen. Zacharias. Wiedertäuferische Soldaten. Bauern und Bäuerinnen. Schildwachen.
Nr. 13. Lied mit Chor.
ZACHARIAS.
Unzählbar, gleich dem Sternenheere
Und gleich des Meers ergrimmter Wogenflut,
Dem Jäger gleich, der mit dem Speer
Die Beute jagt in wilder Wut:
So drangen sie auf unsre Scharen,
Wir schlugen sie mit Gottes Schwert.
Ironisch.
Wo sind sie nun, die so furchtbar waren?
Wo jetzt? Wo jetzt?
Verweht wie Spreu, verjagt, verheert!
Alle verjagt, alle zerstreut, ja, verweht,
Und zerstreut und verjagt und verheert!
CHOR DER WIEDERTÄUFER.
Verweht wie Spreu, verjagt, verheert!
Alle verjagt, alle zerstreut, ja, verweht,
Und zerstreut und verjagt und verheert!
ZACHARIAS.
Die zahllos wie der Sterne Heer,
Und wie der Meereswogen Flut,
Und wie der Wüste heißer Staub,
Wo sind sie hin?
Dem Jäger gleich, der mit dem Speer
Die Beute jagt in wilder Wut:
So drangen sie auf unsre heil’gen Scharen ein!
Sie sind zerstreut, sind verjagt, alle verjagt!
Sagt, wo sind sie jetzt? Sagt, wo sind sie jetzt?
Alle verjagt! ja! Alle verjagt, ja!
CHOR DER WIEDERTÄUFER.
Wo sind sie? Wo sind sie? Wo sind sie?
Sie sind zerstreut, sind verjagt! Fort, fort!
Weit, weit verjagt! – Ja!
ZACHARIAS.
Sie rückten an, mit uns zu fechten,
Mit Roß und Mann und langen Wagenreihn,
Den Nacken neu ins Joch zu knechten,
Der Kette und der Peitsche uns zu weihn.
So kamen sie, ergrimmt wie Tiger,
Mit hocherhobnem Racheschwert!
Wo sind sie jetzt, diese stolzen Sieger?
Wo jetzt? Wo jetzt?
Verweht wie Spreu, verjagt, verheert!
Alle verjagt, alle zerstreut, ja, verweht,
Und zerstreut und verjagt und verheert!
CHOR DER WIEDERTÄUFER.
Verweht wie Spreu, verjagt, verheert!
Alle verjagt, alle zerstreut, ja, verweht!
Und zerstreut und verjagt und verheert!
ZACHARIAS.
Die zahllos wie der Sterne Heer,
Und wie der Meereswogen Flut,
Und wie der Wüste heißer Staub,
Wo sind sie hin?
Dem Jäger gleich, der mit dem Speer
Die Beute jagt in wilder Wut:
So drangen sie auf unsre heil’gen Scharen ein!
Sie sind zerstreut, sind verjagt, alle verjagt!
Sagt, wo sind sie jetzt? Sagt, wo sind sie jetzt?
Alle verjagt, ja! Alle verjagt, ja!
CHOR DER WIEDERTÄUFER.
Wo sind sie? Wo sind sie? Wo sind sie?
Sie sind zerstreut, sind verjagt! Fort, fort!
Weit, weit verjagt! – Ja!
Scene.
MATHISEN heimlich zu Zacharias.
Jetzt ist der Abend da. Unsre mutige Schar,
Seit frühstem Tag war sie schon im Kampf.
ZACHARIAS.
Für die Ehre!
MATHISEN.
Doch bleibt der Magen leer,
Reicht sie allein nicht aus.
ZACHARIAS.
Es reifen jetzt für sie die Früchte ihrer Siege!
Auf dieses Teiches Eis, von allen Seiten her
Eilt eine Schar herbei, schlanken Leibs, leichten Fußes,
Und bringt uns Speis‘ und Trank.
MATHISEN lustig lachend und sich die Hände reibend.
Das ist das himmlische Manna!
ZACHARIAS ebenso.
Das ist das himmlische Manna!
BEIDE.
Daran erquickt sich neu die ganze fromme Schar!
Sie entfernen sich in Zacharias Zelt links vorn.
Nr. 14. Die Ankunft der Schlittschuhläufer.
Bauernknaben und Mädchen kommen mit Körben, Milchkrügen und anderm auf dem Kopfe von rechts hinter der Anhöhe und verteilen die Speisen und Getränke; hinter ihnen sieht man Schlitten mit Lebensmitteln kommen: vorn sitzt die Pächterin auf dem Bock, ein Mann oder Knabe schiebt schlittschuhlaufend.
Schlittschuhläufer und Läuferinnen welche auf dem Kopfe Körbe, Krüge und andere Lasten tragen, eilen hinten von allen Seiten herbei und durchkreuzen den See nach allen Richtungen.
Allgemeines, lebendig buntes Volkstreiben.
Vierter Auftritt.
Soldaten. Volk. Bauern. Bäuerinnen. Mädchen. Schlittschuhläufer und Läuferinnen.
ALLGEMEINER CHOR.
Wie tragen die Mädchen, die zierlichen schlanken,
So leicht auf dem Haupte die Lasten, so schwer!
Sie gleiten, sie fliegen rasch, gleich den Gedanken,
Auf spiegelnder Fläche des Eises daher.
Zehn junge Bauernmädchen kommen mit Krügen, Bechern, Lebensmitteln in Körbchen von rechts hinten über die Anhöhe, teilen sich in der Mittelscene und verteilen ihre mitgebrachten Eßwaren nach rechts und links an die Lagernden.
Man beginnt zu essen und zu zechen.
Bauern befördern auf Wagen und auf Schlitten Säcke, Gemüsekörbe, Milchkannen, Feuerungsmaterial und sonstige Gebrauchsgegenstände von rechts nach links hinten vorüber.
ERSTE UND ZWEITE BÄUERIN.
Kaufet hier! Kaufet hier! Kaufet hier! Kaufet hier!
Zu eurem Besten sind wir hergezogen.
Kaufet von uns! Denn wir sind euch gewogen.
Streitern des Herrn nur verkaufen wir!
Kaufet hier! Kaufet hier! Kaufet hier! Kaufet hier!
Kaufet hier! Kaufet hier! Kaufet hier! Kaufet hier!
ALLGEMEINER CHOR.
Wie tragen die Mädchen, die zierlichen schlanken,
So leicht auf dem Haupte die Lasten, so schwer!
Sie gleiten, sie fliegen rasch, gleich den Gedanken,
Auf spiegelnder Fläche des Eises daher.
ERSTE UND ZWEITE BÄUERIN.
Kaufet hier! Kaufet hier! Kaufet hier! Kaufet hier!
ALLGEMEINER CHOR.
Seht die schlanken Mädchen, seht sie gleiten, fliegen!
Leicht auf ihrem Haupte tragen sie die Last!
Seht wie sie gleiten, fliegen, rasch wie die Gedanken,
Auf der Spiegelfläche gleiten sie daher!
Seht sie, seht sie gleiten, gleiten,
Auf der Spiegelfläche gleiten sie daher!
Seht sie, seht sie gleiten, gleiten,
Auf der Spiegelflucht gleiten sie, fliegen sie
Rasch daher!
Tänzer und Tänzerinnen kommen von links hinten aus dem Eingang zum Wald.
Fünfter Auftritt.
Die Vorigen. Tänzer und Tänzerinnen.
Nr. 15. Ballett.
Walzer. Redowa und Schlittschuhquadrille.
Es wird langsam dunkel.
Galopp.
Es schneit.
Alle versehen sich mit Fackeln.
Die leeren Wagen und Schlitten kehren von links nach rechts zurück, eine Laterne vorn auf, oder der Bauer nebenher mit einer Fackel.
Belebtes Bild.
Die Schlittschuhläufer kehren rechts und links hinten nach Hause zurück; jeder Mann hat eine brennende Fackel in der Hand; gegen Ende des Galopps fährt fast niemand mehr.
Die Tänzer und Tänzerinnen entfernen sich nach links hinten durch den Eingang zum Wald.
Die Schildwachen links vorn werden abgelöst.
Zacharias kommt von links vorn aus seinem Zelt zurück.
Sechster Auftritt.
Zacharias. Bauern. Bäuerinnen.
ZACHARIAS.
Lasset jetzo uns ruhn, Brüder,
Die Nacht ist da.
Die letzten Bauern und Bäuerinnen verlieren sich nach rechts und links.
Zacharias geht nach links vorn in sein Zelt zurück.
Verwandlung.
Der Vorhang hebt sich im vierzehnten Takte des Allegretto.
Das Innere von Zacharias‘ Zelt. Mitteleingang mit einem offenen Vorhang. Eingänge rechts und links. Rechts vorn ein Holztisch mit drei Feldstühlen; rechts vom Mitteleingang ein Holztisch, worauf eine große Bibel, ein Krug mit drei Bechern, ein Schlagfeuerzeug, eine Lampe. Es ist Nacht.
Siebenter Auftritt.
Zacharias, Mathisen zu seiner Linken. Soldaten.
Zwei Schildwachen gehen draußen am Mitteleingang auf und ab.
Zacharias und Mathisen kommen im Gespräch von links durch die Mitte.
Ein Soldat mit einer Fackel leuchtet ihnen voran und geht dann ab durch die Mitte nach links.
ZACHARIAS.
Du kommst aus Münster zurück?
MATHISEN.
Uns die Stadt zu übergeben
Verlangte ich vom alten Oberthal.
ZACHARIAS.
Was sprach er?
MATHISEN.
Daß das Schloß seines Sohns
In Asche wir gelegt, hat mit Wut ihn erfüllt.
Er will zu nichts sich verstehen, der Frevler!
ZACHARIAS.
Hab nur Geduld, bald weicht er unsrer Macht!
MATHISEN.
Gut! Doch wenn länger noch uns die Stadt widersteht,
Ist’s vorbei morgen schon mit unsrer neuen Lehre,
Da sich der Kaiser naht!
ZACHARIAS.
So eilen wir zum Sturm!
Wähl dreihundert Tapfre aus!
Nützen wir noch die Gunst der nächsten Nacht!
MATHISEN.
Aber wenn –
ZACHARIAS.
Eilen wir, uns drängt die Not!
Es ruft uns der Prophet! Entflamme ihren Mut,
Versprich in seinem Namen ihnen Ruhm und reiche Beute!
Ich weiß nicht, was ihm fehlt, ob die Reue ihn foltert,
Allein seit gestern weilt Johann in seinem Zelte
Und niemand darf ihm nahen.
Mathisen geht ab nach rechts.
Jonas kommt von links durch die Mitte.
Ein Offizier, zwei Soldaten mit Fackeln folgen mit dem gefangenen, in einen weiten braunen Mantel gehüllten Grafen Oberthal bis zum Eingang, lassen den Grafen eintreten.
Achter Auftritt.
Zacharias rechts. Jonas in der Mitte. Oberthal links zurückstehend. Der Offizier und die Soldaten draußen am Mitteleingang.
MATHISEN.
Horch, wer da kommt? Wer ist da?
JONAS.
Ein verirrter Wandersmann, den im Dunkel
Der Nacht bei unserm Lager ich fand.
OBERTHAL verlegen.
Ja, verirrt in der Nacht,
Hier in dem tiefen Walde.
JONAS.
Und er schließt, wie er sagt, an uns sich an.
ZACHARIAS zu Oberthal.
Tritt näher!
Zu Jonas.
Und du sagst,
Daß er sich unserm Banner vereint?
OBERTHAL für sich.
Diesen Wahn laß ich ihm! Nur durch List ist’s möglich,
Daß ich die Mauern Münsters erreiche,
Zum Vater dringe.
Der Vorhang am Mitteleingang fällt zu.
Neunter Auftritt.
Zacharias. Jonas. Oberthal.
Nr. 16. Terzett.
OBERTHAL.
Unter euren Fahnen,
Was muß man vollbringen?
Das, o saget mir!
JONAS.
Sagen will ich’s dir.
ZACHARIAS.
Der Anabaptisten
Streng gebotne Pflichten –
BEIDE.
Lehren wir dich hier!
Jonas holt vom Tisch rechts vom Mitteleingang einen Bierkrug, drei Becher, eine Lampe, Schlagfeuerzeug, setzt alles auf den Vordertisch und kommt dann auf die linke Ecke vor.
ZACHARIAS im Predigerton.
Du beschirmst des Bauern Hütte
Überall im ganzen Land.
OBERTHAL.
Das beschwör ich! Das beschwör ich!
ZACHARIAS.
Doch in heuchlerische Klöster
Schleuderst du den Feuerbrand.
OBERTHAL.
Das beschwör ich! Das beschwör ich!
JONAS.
Die Barone, Grafen, Fürsten
Hängst du sämtlich auf, sofort!
OBERTHAL.
Das beschwör ich! Das beschwör ich!
ZACHARIAS.
Doch ihre blanken schönen Thaler
Von Silber und Gold nimmst du fort.
Er tritt hinter den Vordertisch und schenkt ein.
OBERTHAL.
Das beschwör ich! Das beschwör ich!
Er folgt Zacharias und stellt sich vor den Stuhl rechts vom Vordertisch.
JONAS tritt näher, heuchlerisch.
Und endlich noch notwendig ist,
Du lebest stets als guter Christ,
Immer heilig! Immer heilig! Immer heilig!
ALLE DREI mit den Bechern in der Hand vorgehend, anstoßend und trinkend.
Schenket ein, ihr Herzensbrüder!
Becherklang und Klang der Lieder
Tönt im Herzen freudig wieder,
Weckt der Freundschaft echte Glut,
Der Freundschaft Glut! Ja!
ZACHARIAS UND JONAS leise unter sich.
Späh mit scharfem Blicke, daß mit Trug und Tücke
Er uns nicht berücke, stürze durch Verrat!
Laß auf der Hut uns sein gegen Verrat! Ja!
Laut.
Schenket ein! Schenket ein! Schenket ein!
OBERTHAL für sich.
Welche Späherblicke! Schurken voller Tücke!
Strafender Geschicke Fluch auf eure That!
Treffe des Himmels Gericht eure That! Ja! Ja! Ja!
ALLE DREI wie oben.
Schenket ein, ihr Herzensbrüder!
Becherklang und Klang der Lieder
Tönt im Herzen freudig wieder,
Weckt der Freundschaft echte Glut.
Sie treten zurück und setzen sich auf ihre vorherigen Plätze an den Vordertisch.
ZACHARIAS UND JONAS leise unter sich.
Behutsam, Verstellung, behutsam, mein Bruder,
Daß uns nicht Verrat umstrickt!
OBERTHAL für sich.
Die Schurken, die Heuchler, die Arglist, die Tücke
Treffe Gottes Strafgericht.
ALLE DREI wie oben.
Heller Klang der Becher tönt im Herzen wieder,
Schenkt ein, schenkt ein, schenkt ein, Herzensbrüder!
JONAS zu Oberthal.
Das feste Münster einzunehmen,
Ziehst du morgen mit uns in den Kampf.
OBERTHAL.
Ja, gewiß!
JONAS.
Der Kommandant, der Hochverräter
Oberthal –
OBERTHAL für sich.
Ha, mein Vater!
JONAS.
Wird gespießt!
OBERTHAL der sich kaum noch halten kann, steht auf und ist im Begriff, sich zu verraten; beiseite.
Großer Gott!
Laut zu Jonas.
Wird erstochen, wird erstochen!
Für sich.
O Gott! O Gott! Was nun? O Gott!
ZACHARIAS UND JONAS.
Wird gespießt, wird gespießt!
Welche Lust! Tralala, tralala, tralala!
Welche Lust, welche Lust, wird gespießt!
JONAS.
Und sein Sohn, kann ich ihn erwischen,
Er, er wird auf der Mauer gehängt!
OBERTHAL.
Wie, ihr denkt?
JONAS.
Ja, gehängt!
ZACHARIAS.
Wird gehängt!
OBERTHAL.
Er soll hängen, er soll hängen!
Für sich.
O Gott! – O Gott! – Was soll ich thun?
ZACHARIAS UND JONAS.
Ja, er wird auf der Mauer gehängt!
Welche Lust, tralala, tralala!
Welche Lust, ja, er wird aufgehängt!
ZACHARIAS zu Oberthal.
Das beschwörst du?
OBERTHAL stockend.
Wer? Ich?
ZACHARIAS aufstehend.
Auf die Bibel mußt du uns schwören
Mit uns ihn zu hängen!
Er holt vom Tisch rechts vom Mitteleingang die Bibel.
OBERTHAL stockend.
Wie? Ich?
ZACHARIAS zornig.
Nun wird’s!
OBERTHAL entschlossen, die Finger auf der Bibel.
Das beschwör ich!
Er will trinken.
JONAS steht in dem Augenblick auf, wo Oberthal den Becher an die Lippen setzen will; heuchlerisch, nimmt ihn beim Arm.
Gleichwohl es streng notwendig ist,
Du lebest stets als guter Christ,
Immer heilig! Immer heilig! Immer heilig!
Er schenkt ein.
Zacharias hat inzwischen die Bibel auf ihren früheren Platz gelegt.
ALLE DREI wie oben.
Schenket ein, ihr Herzensbrüder!
Becherklang und Klang der Lieder
Tönt im Herzen freudig wieder,
Weckt der Freundschaft echte Glut!
ZACHARIAS UND JONAS leise unter sich.
Behutsam, Verstellung, behutsam, mein Bruder,
Daß uns nicht Verrat umstrickt!
OBERTHAL für sich.
Die Schurken, die Heuchler, die Arglist, die Tücke
Treffe Gottes Strafgericht!
ALLE DREI wie oben.
Heller Klang der Becher tönt im Herzen wieder,
Schenkt ein, schenkt ein, schenkt ein, Herzensbrüder!
Jonas tritt zurück und setzt sich hinter den Vordertisch.
Oberthal nimmt ebenso seinen alten Platz wieder ein.
Zacharias setzt sich links vom Vordertisch.
JONAS.
Doch weshalb sind vom Dunkel wir also bedeckt?
Die Nacht sei vertrieben, die hier uns versteckt.
Er schlägt Feuer mit dem Stein nach dem Takt auf die Noten des Triangels.
Ich fordre den Funken mit blinkendem Stahl,
Ich fordre, ich fordre den Funken!
Es zuckt aus dem Steine der leuchtende Strahl!
ALLE DREI.
Es ist uns die Freude vielleicht jetzt vergönnt,
Daß einer im andern den Freund hier erkennt!
OBERTHAL.
Es fordert den Funken, den Funken –
Der scharfe Stahl!
JONAS UND ZACHARIAS.
Einen Freund!
OBERTHAL.
Es zuckt aus dem Steine, es zuckt aus dem –
Stein der Strahl!
Zacharias steht auf, vor seinem Stuhle stehen bleibend, und fixiert Oberthal.
Oberthal wendet den Kopf weg.
JONAS UND ZACHARIAS.
Einen Freund!
ZACHARIAS.
Hier erkennt!
OBERTHAL.
O wohl dem, der den Freund, ja,
Den treuen Freund hier erkennt!
JONAS UND ZACHARIAS.
Einen Freund, ja, einen Freund hier erkennt!
Jonas ist es in diesem Augenblick gelungen, die Lampe anzuzünden.
Es wird heller.
Die Drei erkennen sich beim Schein der Lampe, stoßen sich erhebend einen Schrei der Überraschung aus und treten vor.
ZACHARIAS Oberthal erkennend.
Ha!
JONAS ebenso.
Bei Gott!
ZACHARIAS.
Er ist’s!
OBERTHAL Jonas erkennend.
Er ist’s!
ZACHARIAS.
Oberthal!
JONAS.
Der Verbrecher!
OBERTHAL.
Mein Schaffner ist’s, der Höllenbrand!
JONAS.
Mein Herr von vormals! Er ist erkannt!
OBERTHAL.
Ihr Zwei, auf die die Hölle zählt!
Ihr Zwei, auf die die Hölle zählt! –
Gott, o schmettre sie darnieder,
Dieser Höllenbande Brüder!
Meine Freiheit gieb mir wieder,
Ihr Verderben laß mich schaun!
Ihr Schurken, ihr Heuchler, der Hölle verfallen,
Ihr Heuchler, ich werde noch euer Verderben schaun!
JONAS UND ZACHARIAS.
Du bist’s, der aufs Blut uns gequält! –
Kennst du jetzt die Herzensbrüder?
Ja, so findet man sich wieder!
Bald vom Galgenholz hernieder,
Wirst du, hoff ich, auf uns schaun,
Ja, wahrlich, das hoff ich! Ja, wahrlich, das hoff ich!
Vom Galgen hernieder wirst du auf uns schaun!
Zacharias tritt nach hinten und giebt durch den Mittelvorhang einen Wink.
Der Vorhang öffnet sich.
Der Offizier mit den zwei Soldaten wird sichtbar.
Zehnter Auftritt.
Die Vorigen. Der Offizier und die Soldaten.
Scene.
ZACHARIAS zu Jonas.
Führt hinweg ihn zum Tode!
Überlegend.
Doch ein Mönch soll ihn begleiten.
Oberthal wird von den Soldaten durch die Mitte nach rechts abgeführt.
JONAS.
Und du fragst nicht den Propheten?
ZACHARIAS.
Das bedarf’s nicht!
Er wendet sich nach links.
Er kommt!
Mit einigen Schritten nach rechts.
Du geh!
Jonas geht ab durch die Mitte nach rechts.
Der Vorhang bleibt offen.
Johann kommt, in einen weißen Mantel gehüllt, die Arme verschränkt, gesenkten Hauptes von links.
Elfter Auftritt.
Zacharias. Johann.
Johann schreitet langsam vor, ohne Zacharias zu sehen.
ZACHARIAS sich dem Propheten nahend.
Welch düstrer Blick, welch düstre Stirn?
So zeigt sich der Prophet, den der Himmel begeistert,
Der im Glanz seines Ruhms
Vor Deutschlands Völkern strahlet,
Gleich jener Rächerin, welche Frankreich verehret!
JOHANN.
Johanna d’Arc; ihrem Banner
Folgt eine Heldenschar!
Doch mir schließen sich, blutbespritzt,
Nur Henker an! Nein, weiter geh ich nicht!
ZACHARIAS.
Das wagst du zu sagen?
JOHANN bewegt.
Ja, ich will meine Mutter, die Teure, sehen!
ZACHARIAS.
Du sähest ihren Tod!
Düster.
Erinnerst du dich nicht,
Wenn du sie wieder siehst, daß nach des Herrn Geheiß
Dann ihr
Gezogen.
Ende naht?
JOHANN.
Tötet dann mich zuerst!
Er öffnet seinen Mantel, als wolle er sein Schwert zurückgeben und läßt sich kriegerisch gewappnet sehen.
Nehmt dieses Schwert zurück! Ich schleud’r es fort!
Fahrt wohl! In Deutschland zerbrach
Mein Arm die Sklaverei!
Vollbracht ist, was ich sollte!
Ich gehe weiter nicht! Nein, nein!
ZACHARIAS für sich.
Höll‘ und Tod! Solch ein Schwur!
Jonas und zwei fackeltragende Soldaten erscheinen von rechts draußen im Gange am Mitteleingang.
Ein Mönch mit dem Grafen Oberthal und vier Soldaten folgen.
Zwölfter Auftritt.
Die Vorigen. Jonas. Oberthal. Der Mönch. Soldaten.
JOHANN zu den Personen des Zugs.
Wo führt ihr diesen hin?
Der Zug steht still.
Oberthal erkennend.
Oberthal?
Oberthal und Jonas treten ein.
JOHANN.
Hinweg! Laßt uns allein!
Der Zug geht ohne Jonas und Oberthal nach links weiter.
Der Vorhang fällt zu.
Dreizehnter Auftritt.
Zacharias und Jonas zurückstehend. Oberthal und Johann kommen vor.
JOHANN für sich, erregt.
Ha, er ist in meiner Hand!
Er, der all mein Glück auf dieser Welt zerstört!
Laut.
Dich gab Gott in meine Hand!
OBERTHAL.
Er ist gerecht! Mein Verbrechen verdient den Tod.
Von den Zinnen meiner Burg, Bertha,
Rein und keusch, todesmutig, ihre Ehre zu retten,
Stürzt sie sich in den Strom.
JOHANN.
Bertha! – Tot!
OBERTHAL.
Nein! Gottes Gnade erbarmt meiner Qualen sich,
Sie sparte mir Frevler dies neue Verbrechen.
Er rettete ihr Leben.
JOHANN.
Doch wie? Sprich!
OBERTHAL.
Sichre Kunde ward gestern mir,
Daß in Münster sie weilt.
JOHANN.
In Münster!
OBERTHAL.
Dorthin wollte ich, sie um Vergebung zu flehn!
Jetzt bin ich in deiner Hand! Räche dich!
Seine Brust darbietend.
Töte mich!
Zacharias und Jonas wollen mit gezückten Dolchen auf Oberthal zustürzen.
JOHANN abwehrend zu beiden.
Rühret nicht an sein Haupt!
Bertha allein, sie richte ihn.
Zacharias und Jonas führen Oberthal ab durch den Mittelvorhang.
Vierzehnter Auftritt.
Johann allein.
JOHANN.
Du Stadt, die mein Erbarmen
Noch nicht in Trümmer stürzte,
Die die Geliebte birgt,
Du mußt mir zurück sie geben!
Du treue Kämpferschar, du folgest mir!
Mathisen kommt bleich und entstellt eilig von rechts.
Fünfzehnter Auftritt.
Mathisen, Johann zu seiner Linken.
MATHISEN.
Schreckensbotschaft! Nur du, nur du allein
Kannst den Aufruhr stillen.
Es brach aus Münsters Thore
Eine Kriegerschar hervor
Und die Unsern schlug sie in die Flucht.
JOHANN.
Fort denn! Zum Kampf!
Beide eilen ab nach rechts.
Verwandlung.
Nr. 17. Chor der Empörer.
Der Vorhang hebt sich im zweiten Takt.
Das Lager der Wiedertäufer wie zu Beginn dieses Aufzugs.
Morgengrauen, später Morgenröte und Sonnenaufgang.
Sechszehnter Auftritt.
Bewaffnete wiedertäuferische Soldaten und Bauern.
SOLDATEN UND BAUERN von allen Seiten in Verwirrung hereinstürzend, immer steigernd.
Du gabst dein Wort zum Unterpfand,
Gedämpft.
Münster, es fällt in unsre Hand!
Du gabst dein Wort, du gabst dein Wort!
Tobend.
Du hast gesagt: der Lohn ist euer,
Für euer Blut kein Preis zu teuer!
Du hast gesagt: der Lohn ist euer!
Du gabst dein Wort: der Lohn ist euer!
Leise.
Verraten sind wir treulos jetzt.
Steigernd.
Ist das der Lohn für unsre Thaten?
Ha, das ist unser Lohn! Ha, das ist unser Lohn!
Wir sind verraten!
Dumpf.
Tod, Betrüger, dir!
Stark.
Tod, Betrüger, dir! Du mußt sterben!
Sterben mußt du, falscher Prophet!
Ja! Tod dir, Tod dir, Betrüger!
Sie stürmen nach hinten.
Johann kommt mit Mathisen von rechts über die Anhöhe.
Jonas und Zacharias kommen von rechts vorn.
Siebzehnter Auftritt.
Die Vorigen. Johann, Mathisen zu seiner Linken auf der Anhöhe. Jonas und Zacharias rechts vorn.
Die Soldaten und Bauern halten, als sie den Propheten erblicken, betroffen inne, trennen sich in zwei Gruppen rechts vorn, links zurück; sie zittern, bestürzt und in demütiger Haltung, vor dem Blicke Johanns.
Nr. 18. Scene und Chor.
JOHANN streng und mit voller Energie.
Wer hat, eh‘ ich’s befahl, in den Kampf euch geführt?
Alle erschrecken.
ZWEI WIEDERTÄUFER auf Mathisen zeigend.
Er war’s!
MATHISEN erschrocken auf Zacharias zeigend.
Er war’s! Er war’s!
JOHANN zu Zacharias.
Verräter! Treffen sollte dich der Tod!
Zum Volke.
Und ihr, hat euch Wahnsinn ergriffen?
Vortretend.
Wann jemals weiht im Kampf ich euer Haupt
Dem Tode, wo ich nicht selbst euch geführt?
Ihr ruft den Zorn des Herrn,
Des Palme schon euch winkte,
Durch dieses Aufruhrs Frevel
Auf euer schuldig Haupt, euer schuldig Haupt!
Mathisen tritt zu Zacharias hinüber.
CHOR.
Es füllt dies Wort –
JOHANN mit erstickter Stimme.
Und ihr sagt, Gottes Hand –
CHOR.
Mit Schrecken uns!
JOHANN.
Hab euch dem Feind überliefert?
CHOR.
Des Herren Zorn –
JOHANN.
Nein, ihr seid noch umhüllt –
CHOR.
Droht unserm Haupt!
JOHANN.
Von des Unglaubens Nacht!
Die Menge belebt sich wieder.
JOHANN immer erregter.
Euch entflammt nicht die Glut,
Die des Herren Dienst erheischt!
Ihr gleicht der trägen Schar,
Die sein Wort von sich wies:
Drum fürchtet, so wie sie, seine strafende Hand!
Sühnet seinen Zorn! Sühnet seinen Zorn!
CHOR.
Denn Gott ist noch mit ihm! Gott ist noch mit ihm!
Mit ihm! Ha! – Schreckenswort!
Alle heben mit einer Bewegung nach vorn gegen Johann hin die Waffen.
Es zeigt sich die Morgenröte.
JOHANN.
Ihr Verlornen, sinkt auf die Knie!
Alle stehen in widerstrebender verneinender Haltung.
JOHANN gesteigert.
Auf die Knie!
Alle beugen sich unwillkürlich vor Johanns Energie.
JOHANN noch energischer.
Auf die Knie!
Alle sinken völlig in die Knie und senken das Haupt.
JOHANN.
Vor seinem Rächerarm sinkt nieder in den Staub!
Er steht herrschend in der Mitte.
Nr. 19. Gebet.
JOHANN.
Ewiger Gott! Schützender Gott!
Auf dich steht unser frommer Glaube, Herr!
Verlaß, o Herr, verlaß uns nicht!
CHOR.
Miserere nobis!
JOHANN.
Ewiger Gott! Schützender Gott!
Mit durch Seufzer unterbrochener Stimme.
Wir flehn dich knieend an im Staube, Herr!
O wende nicht dein Angesicht!
CHOR.
Miserere nobis!
JOHANN.
Deinen Schutz –
CHOR.
Laß uns, Herr!
JOHANN.
Deinen Schutz laß uns, deine Gnade laß wieder walten!
CHOR.
Ach, vergieb!
JOHANN.
Deine Gnade, deine Gnade walten!
CHOR.
Vergieb!
JOHANN.
Vergieb deinem Volk, das reuig fleht!
Vergieb dem Volk, laß deine Gnade walten, Herr!
CHOR.
Allgütiger, dich, dich flehn wir an!
JOHANN.
O vergieb dem Volk, laß deine Gnade walten, Herr!
CHOR.
O schenk uns Gnade, o Herr!
JOHANN.
O vergieb! – Vergieb!
CHOR.
Vergieb, vergieb, Herr, deinem Volk, ach, vergieb!
Trompeten rechts entfernt von den Wällen Münsters.
Alle stehen auf und eilen nach hinten, dort drei Gruppen bildend. Jonas, Zacharias und Mathisen entfernen sich nach rechts vorn.
Achtzehnter Auftritt.
Die Vorigen ohne die drei Wiedertäufer.
JOHANN steht ganz allein vorn.
Horchet auf! – Horchet auf!
Alle stehen still und blicken auf den Propheten.
JOHANN.
Es schallen Kriegestöne!
Feindes Ruf stürmt auf uns ein!
Trompeten links außerhalb im Lager der Wiedertäufer.
JOHANN.
Unser Ruf schallt zurück!
Inspiriert.
Gott durchflammt mich! Auf, herbei!
Alle kommen vor.
JOHANN.
Morgen strahlt eure Stirn
Von des heil’gen Sieges Ruhmeskronen!
So wird Gottes Gnade euch lohnen,
Ja, seine Gnade, ja, seine Gnade,
So wird euch seine Gnade, seine Gnade lohnen!
Alle beugen sich vor dem Propheten, ihn umdrängend.
Mathisen kommt in Hast von rechts vorn.
Jonas und Zacharias mit zwölf Bauern folgen Mathisen.
Neunzehnter Auftritt.
Die Vorigen. Mathisen, Jonas, Zacharias zur Rechten Johanns. Die zwölf Bauern zurückstehend. Dann Wiedertäufer, Offiziere, Soldaten, Frauen, Kinder.
MATHISEN.
O Prophet, dein Volk erhebet sich und du herrschest!
Rings strömet die Schar der Landbewohner
Auch mit Waffen herbei, deinen Fahnen zu folgen!
Einige Wiedertäufer kommen von links und nehmen zur Linken Johanns Aufstellung.
EIN WIEDERTÄUFER.
Herr! Alles ruft zum Sturm, zum
Sturm auf die Stadt!
ZWEI WIEDERTÄUFER.
Zum Sturm auf die Stadt!
JOHANN wie von einer Vision ergriffen.
Was seh ich! Der Himmel öffnet sich!
Zu den Harfen ertönt der Chor der heil’gen Engel!
Nach Münster! Auf!
Nach Münster! Auf!
ALLE die Waffen schwingend und die Schwerter ziehend.
Nach Münster! Auf!
Ein Offizier kommt mit zwölf Soldaten von rechts über die Anhöhe und nimmt im Hintergrunde Aufstellung.
Volk drängt von rechts und links herbei.
Nr. 20. Triumphgesang.
JOHANN begeistert.
Herr, dich, in den Sternenkreisen
Will ich singen, will ich preisen,
Wie dir Davids Harfe klang.
CHOR.
Herr, dich, in den Sternenkreisen,
Will ich singen, will ich preisen!
JOHANN.
Wie dir Davids Harfe klang!
CHOR.
Dir, o Herr, Preis und Sang!
JOHANN.
Gott sprach zu mir: mit heil’ger Binde
Umgürte dich, führ sie zum Ziel!
Die Harfe rausche linde,
Es töne goldner Laute Spiel.
Herr, dich, in den Sternenkreisen
Will ich singen, will ich preisen,
Wie dir Davids Harfe klang!
CHOR.
Lobet – rühmet – preiset – singet!
Es beginnt der Aufmarsch des Heeres.
Ein Offizier kommt mit sechzehn Soldaten von links hinten; sie nehmen rechts Aufstellung.
Ein Offizier kommt mit zwölf Soldaten von links vorn; sie nehmen links Aufstellung.
Ein Offizier kommt mit zwölf Soldaten von rechts über die Anhöhe; sie nehmen rechts vor der Anhöhe Aufstellung.
Fünf Offiziere folgen mit einem Fahnenträger, der die Prophetenfahne trägt, von eben daher; sie nehmen links vor der Anhöhe Aufstellung.
JOHANN.
Sieg sendet Gott aus Himmelshöhen,
Drum laßt des Herren Banner wehen!
CHOR.
Sieg sendet Gott aus Himmelshöhen,
Drum lasset seine Banner wehen!
JOHANN.
Durch Berge und Thale ertöne Jubels lauter Schall!
CHOR.
Durch Berge und Thale ertöne Jubels lauter Schall!
JOHANN.
Zum Ruhme des Herrn überall!
CHOR.
Zum Ruhme des Herrn überall!
JOHANN.
Denn der Herr ist König auf Erden,
König im Himmel! Herr! Herr! Ja!
Begeistert.
Herr, dich, in den Sternenkreisen,
Will ich singen, will ich preisen,
Wie dir Davids Harfe klang.
CHOR.
Herr der Himmel! Singet, preist den Herrn!
Auf, auf, zum Kampf! Auf, auf, zum Kampf!
JOHANN.
Auf, auf, zur heil’gen Stadt, zum Siege!
CHOR.
Auf, auf, nach Münster! Auf, zum Siege!
JOHANN.
Auf, auf, zum heil’gen Kampf und Siege!
Denn Gott führt uns, es lenkt sein Blick die Schlacht!
CHOR.
Gott führet uns, er lenkt die Schlacht!
Alle Männer treten einige Schritte vor.
Es beginnt der Abmarsch der Offiziere und Soldaten nach rechts hinter der Anhöhe.
CHOR.
Drommeten tönt, ertönt mit lautem Klang!
Tönet laut! tönet stolz! tönet laut! tönet laut!
Ja, töne laut und stolz, Triumphgesang!
Tönet stolz! tönet laut! tönet stolz! tönet laut!
Nach Münster auf! Brechet auf! Brechet auf! Gott führt uns!
JOHANN.
Ertöne laut und stolz, Triumphgesang!
Auf, auf! Nach Münster auf! Auf! Auf! Zum Kampfe!
Gott führt uns!
Er ersteigt die Anhöhe rechts, das gezogene Schwert in der Rechten.
Die Sonne geht langsam auf und erstrahlt allmählich in voller Klarheit.
Die fünf Offiziere stehen neben Johann am Fuß der Anhöhe.
Der Fahnenträger steht Johann zur Linken.
Alle jubeln dem Propheten mit erhobenen Waffen zu.
Jonas, Zacharias und Mathisen folgen seitwärts, um Johann nicht zu decken.
Der Fahnenträger neigt die Fahne vor dem Propheten.
Johann ergreift sie mit der Linken und hebt sie hoch, nach Münster weisend.
Die Bauern wenden sich begeistert jubelnd nach hinten, die Waffen hebend, Hüte und Mützen schwenkend.
Die Männer rechts schließen sich dem Abmarsch an.
Die Männer links bleiben dem Propheten zugewendet stehen.
Die Frauen welche rechts und links zur Seite getreten waren, knieen nieder und beten, den Blick nach Münster gerichtet.
Vierter Aufzug.
Nr. 21. Zwischenakt und Chor der Bürger.
Der Vorhang hebt sich im zweiundzwanzigsten Takt.
Ein öffentlicher Platz in der Stadt Münster. In der Mitte von links nach rechts eine gangbare Brücke mit einer Brustwehr auf beiden Seiten, die sich vorn nach rechts und links seitlich fortsetzt; am Fuß der Brustwehr rechts ein Steinsitz; am Eingang zur Brücke eine Heiligenbildsäule. Zur Rechten eine alte verfallene Kirche. Zur Linken der Eingang in das Rathaus.
Es ist Tag.
Erster Auftritt.
Bürger von Münster. Dann Anführer mit Soldaten.
Zwölf Bürger fünf mit Geldsäcken, von scheuem Wesen, sich ängstlich umsehend, sprechen rechts vorn leise zusammen.
Vier andere Bürger kommen betrübt mit leeren Händen von links aus dem Rathaus und treten hinzu.
Zwei Bürger treten von rechts mit Geldsäcken hinzu.
CHOR DER BÜRGER heimlich und ängstlich.
Wir müssen uns beugen
Vor des Propheten Macht!
Bürger zu zweien und dreien mit Geldsäcken, Schatullen und prächtigen Gefäßen kommen von rechts und gehen nach links ins Rathaus, aus dem sie später mit leeren Händen und traurig wieder herauskommen.
Die fünf Bürger rechts vorn thun mit ihren Geldsäcken dasselbe.
CHOR DER BÜRGER wie oben.
Wir müssen uns neigen
Vor seiner stolzen Pracht!
Zwei Bürger kommen eilig von rechts vorn und geben zu verstehen, daß eine Wache nahe.
Ein Anführer und sechs Mann Wache marschieren von rechts vorn nach links hinten über den Platz.
DIE BÜRGER ziehen sich rechts und links auf die Seite; sehr laut.
Hoch laßt den Propheten leben
Und sein tapferes Heer!
Nach dem Abgang der Wache kommen sie wieder in der Mitte zusammen.
Heimlich.
O möcht er verderben
Wie Pharao tief im Meer!
Eine andere Wache marschiert hinten von links nach rechts vorüber.
DIE BÜRGER wie oben.
Hoch laßt ihn leben und sein Heer!
EIN BÜRGER.
Er herrscht als Herr in unsern Mauern;
Zu seiner wilden Scharen Sold
Verlangt er, daß wir willig bringen
All unser Silber, unser Gold,
Mit unterdrückter Stimme.
Sonst trifft uns Tod!
CHOR DER BÜRGER ebenso.
Sonst trifft uns Tod!
EIN ANDERER BÜRGER heimlich.
He, Nachbar, habt Ihr nichts Neues?
ERSTER BÜRGER ebenso.
Leider Schlimmes genug!
Der Prophet oder Teufel,
Der uns verderben will, weh uns!
Läßt noch heut, so sagen sie,
Sich hier in Münster krönen
Zum König der Wiedertäufer.
CHOR DER BÜRGER erstaunt.
Zum König der Wiedertäufer?
Eine dritte Wache marschiert von links vorn über den Platz und über die Brücke in der Mitte.
CHOR DER BÜRGER wie oben.
Hoch laßt den Propheten leben
Und sein tapferes Heer!
Laßt den Propheten leben!
Sie schreien überlaut und zurückgehend der Wache nach.
Hoch! Hoch!
Fides kommt schon etwas früher unauffällig, langsam, ganz erschöpft von rechts hinter der Kirche und setzt sich auf den Steinsitz am Fuß der Brustwehr.
Zweiter Auftritt.
Die Bürger. Fides.
Die Bürger bleiben, wie sie Fides sitzen sehen, stehen.
EIN DRITTER BÜRGER.
O Weib auf diesem Steine,
Sprich, was thust du hier?
Die Bürger helfen Fides sich erheben und führen sie nach vorn.
Nr. 22. Die Bettlerin. Romanze.
FIDES klagend.
O gebt, o gebt! Errettet einen Armen,
Eröffnet ihm, eröffnet ihm des Himmels Schoß!
O gebt, o gebt! Mit einer Mutter habt Erbarmen,
Sie flehet euch für ihres Sohnes Los!
O gebt, o gebt, o edler Herr, o edler Herr!
O gebt aus eurer reichen Habe,
O edler Herr, für meinen Sohn,
Daß eine Messe ihn erlabe,
Ihn führe zu des Himmels Thron!
O gebt für meinen Sohn, o gebt!
Habt Erbarmen, ach, mit meinem armen Sohn!
Schluchzend.
Ach! ach! habt Erbarmen! ach! ach! habt Erbarmen mit ihm!
Einige Bürger geben Fides Almosen und gehen ab nach links ins Rathaus.
Andere Bürger kommen mit Geldsäcken und Wertsachen von rechts vorn und umstehen Fides.
FIDES in Verzweiflung, halb für sich.
Mich friert! Mich friert! Was thut’s?
Das Grab ist kälter doch!
Wer fleht für ihn! Wer fleht für ihn! Wer fleht für ihn!
Zu den Bürgern, gesteigert.
O gebt aus eurer reichen Habe,
O edler Herr, für meinen Sohn,
Daß eine Messe ihn erlabe,
Ihn führe zu des Himmels Thron!
O gebt für meinen Sohn!
O gebt, habt Erbarmen, ach, mit meinem armen Sohn!
Schluchzend.
Ach! ach! habt Erbarmen! ach! ach! habt Erbarmen mit ihm!
Man hört aus dem Innern des Rathauses den Klang einer Klapper.
Die Bürger horchen erschreckt auf.
EIN VIERTER BÜRGER.
Jetzt kommt!
CHOR DER BÜRGER.
Wir müssen gehn! Denn zögern wir zu lang,
Ist der Kopf in Gefahr.
VERSCHIEDENE BÜRGER Fides Geld reichend.
Hier! – Nimm! – Nimm!
FIDES.
Habt Dank!
CHOR DER BÜRGER.
Jetzo eilt!
Die Einen eilen mit ihren Geldsäcken und Wertsachen ab nach links ins Rathaus.
Die Andern zerstreuen sich über die Brücke hinten und nach rechts und links.
Fides geht gebeugt und traurig zurück.
Bertha kommt im Pilgergewande von rechts ganz vorn.
Dritter Auftritt.
Fides, Bertha zu ihrer Linken.
Bertha scheint ermüdet und bleibt stehen.
Nr. 23. Scene und Duett.
FIDES.
Ein armer Pilger naht.
Sie nähert sich Bertha, Hilfe zu leisten.
Frommer Bruder,
Die Wandrung, so scheint’s, hat Euch erschöpft.
Sie führt Bertha der Mitte zu.
BERTHA.
Gott! Der Ton dieser Stimme!
Sie läßt den Pilgerhut fallen.
FIDES.
Bertha! Bertha, sie ist’s!
BERTHA.
Bist du’s, o meine Mutter?
Sie erkennen und umarmen sich.
FIDES.
Trotz dieser Tracht, mein Kind,
Erkannt ich dich!
Sie scheinen sich während des Ritornells zu befragen.
Duett.
BERTHA.
Deinem Sohn meinen Schwur
Ew’ger Treue zu bewahren,
Sucht umsonst meinen Tod
Ich in reißender Flut.
Mich entriß, halbentseelt,
Fischers Hand den Gefahren,
Treue Pflege verbarg
Mutig mich ihrer Wut!
Endlich dann konnt ich entfliehn
Und ich flog zu Eurer Hütte!
Bewegt.
Wo sind sie? Wo sind sie?
Klagend.
Fort, auf immer entflohn!
Weit von hier, sagt man mir,
Beide, Mutter und Sohn,
Sind nach Münster entflohn.
Ihnen nach! rief ich aus,
Und ich bin Euch gefolgt.
Münster war jetzt meine Hoffnung!
Auch mein Ohm lebte dort,
War im Schloß Wächter einst.
Ja, dort, ja, dort, dort eilt ich hin
Und fand, und fand dich, Mutter, wieder!
Führe, o welch ein Glück,
In seinen Arm mich zurück!
FIDES für sich.
Arme Tochter, bald wird’s tagen,
Und die Mutter soll es selbst dir sagen,
Soll es selbst dir sagen,
Was ihr das Herz, ach, zerbricht!
BERTHA.
Welch ein Glück, ich seh ihn wieder!
Welch ein Glück! O führe mich
In seinen Arm zurück!
Komm, komm, ach, komm!
Komm und führe mich in seinen Arm zurück!
O welch ein Glück, in seinen Arm, ja, führst du mich zurück!
FIDES verlegen und mühsam die Thränen zurückhaltend.
Mein Sohn –
BERTHA freudig.
O komm!
FIDES.
Mein Sohn –
BERTHA.
Sprich, wo finden wir ihn?
FIDES.
Er ist tot!
BERTHA verzweifelt.
Er ist tot! Er ist tot!
FIDES.
Wehe uns! –
Nein! Keiner Hoffnung letzte bleiche Blüten!
Es sank auf ewig hin mein Glück.
BERTHA.
So sank der Hoffnung letzte Blüte
Mit ihr dahin, mit ihr auf ewig hin mein Glück.
Gezogen.
Was soll die Erde –
FIDES ebenso.
Was soll die Erde –
BERTHA.
Mir jetzt noch bieten?
FIDES.
Mir jetzt noch bieten?
BERTHA.
Was ich verlor, bringt nichts zurück!
FIDES.
Was ich verlor, bringt nichts zurück!
BERTHA.
Es ist dahin –
FIDES.
Es ist dahin –
BERTHA.
Mein ganzes Glück – ach!
FIDES.
Mein ganzes Glück!
BEIDE.
Es ist dahin mein ganzes Glück!
Was soll, was soll die Erde noch
Mir jetzt noch bieten?
Was ich verlor, bringt nichts, bringt nichts zurück!
Ach! Mein ganzes Glück, es sank dahin,
Ach, es sank dahin!
Es sank mein ganzes Glück dahin! –
FIDES.
Eines Morgens sahe ich an meiner Lagerstatt
Die Kleidung Johanns, von Blute gefärbt.
Eine Stimme erschallt: »Es wollte Gott sein Haupt,
Du siehst ihn nimmer wieder! So gebot es der Prophet!«
BERTHA.
Wie? Er! der Tyrann!
Er, der Deutschland mit Blut überschwemmt!
FIDES.
Auch meinen Sohn schlug er!
BERTHA.
Ha, ich räche diese That!
FIDES.
Ach, was vermöchtest du?
BERTHA.
Vielleicht doch! – Wenn es möglich mir ist,
In den Palast zu dringen!
FIDES.
Was willst du dort?
BERTHA.
Was dort ich will?
Dem Tod, dem Tod – ihn weihen!
Sie geht mit einigen Schritten an Fides vorüber nach rechts. Begeistert.
Gott – rufet mich auf!
Gott – stählt meinen Mut!
Sein Wort entflammt, entflammt mein Blut!
Auf! zur gerechten heiligen Rache!
Du, mein Geliebter, erwache
Aus deiner Gruft! Auf!
Geh mir zur Seite,
Treu in diesem Streite;
Ach, geh du mir zur Seite!
Auf! Ja, komm! Ja, ja, komm!
FIDES ganz vorn knieend und betend, die Augen und Hände gen Himmel gerichtet.
Mein Auge hat nur Zähren,
Drum fleht mein Mund zu dir,
Du, heil’ge Jungfrau, du wirst mir den heißen Wunsch,
Der Mutter Wunsch wirst du gewähren.
Nur deine Gnade –
BERTHA geht erregt auf und ab.
Nein! – Nein! – Keine Gnade!
Nachdrücklich.
Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein!
Begeistert.
Nein – nichts hält mich auf!
Gott – selbst ruft mich auf!
Sein Wort, sein Wort entflammt mein Blut!
Auf, zur gerechten heiligen Rache!
Du, o Geliebter, erwache
Aus deiner Gruft! Auf!
Geh mir zur Seite,
Treu in diesem Streite;
Ach, geh du mir zur Seite!
Auf! Ja, komm! Ja – ja – komm!
O sei mit mir, o sei mit mir! Ja, ja, mit mir!
FIDES.
Ist mein Hoffen!
O mein Sohn, ruf mich zu dir! –
Ja, dich fleh ich an, du, du hörst mich an!
Heil’ge Jungfrau, ja, du hörst mich!
Ja, du weckest mir neu den Mut!
Nur deine Gnade ist mein Hoffen,
Ja, ist mein Hoffen, o Sohn!
Ruf mich zu dir! Ja!
Ruf mich zu dir, ja, ruf mich zu dir, mein Sohn!
Ruf mich zu dir, ruf mich zu dir. Ja, ja, zu dir!
Bertha zieht Fides gegen das Ende des Duetts auf und mit sich fort nach rechts, unmittelbar nach der letzten Note mit ihr verschwindend.
Verwandlung.
Nr. 24. Krönungsmarsch.
Der Vorhang hebt sich im ersten Takte.
Vierter Auftritt.
Acht Trabanten mit Hellebarden. Zwölf Trompeter. Männer. Frauen. Kinder. Volk. Die Personen des Krönungszuges.
Männer, Frauen, Kinder letztere mehr zurückbleibend, kommen von rechts über die Estrade, die untere Treppe herunter und breiten sich in Gruppen über den ganzen Vorderraum aus, während anderes Volk schon in Gruppen unten steht.
Acht Trabanten folgen dem herabsteigenden Volke; vier von ihnen drängen das Volk nach rechts und links zur Seite; die andern vier stellen sich, unten zwei und oben zwei, rechts und links an den Stufen der unteren Treppe auf.
Zwölf Trompeter auf der Empore für die Musik.
Trompetenrufe.
Der Krönungszug kommt in nachfolgender Ordnung auf der Estrade von rechts, geht nach links über die obere Treppe und verschwindet nach dem nicht sichtbaren Hochaltar hin:
Ein Offizier und acht Hartschiere zu Vieren. – Ein Offizier und zwölf Hartschiere in breitem Spalier. – Ein Offizier und zwölf Hellebardiere zu Vieren. – Ein Sängerknabe, sechs Sängerknaben mit Lichtern zu Dreien. – Acht Mädchen, vier rosa, vier blau; vier tragen den Heiligenschrein, vier halten die Guirlanden. Ein Sängerknabe, sechs Sängerknaben mit Lichtern zu Dreien. – Acht Diakonen zu Vieren, die Hände über der Brust gefaltet. – Ein Offizier und zwölf Hellebardiere in breitem Spalier. – Zwei Ratsdiener mit Stäben. – Der Bürgermeister mit einem Kissen, worauf die Schlüssel der Stadt. Sechs Ratsherrn, paarweise. – Ein Offizier mit acht Hartschieren zu Vieren. – Ein Waffenherold mit Stab. Drei Waffenherolde mit Trompeten. – Zwei Bannerpagen. Ein Kurfürst mit Kissen, worauf goldene Kette. Ein Schleppenpage. Zwei Ritter. – Zwei Bannerpagen. Ein Kurfürst mit Kissen, worauf Sporen und Handschuh. Ein Schleppenpage. Zwei Ritter. – Zwei Bannerpagen. Ein Kurfürst mit Kissen, worauf Staatssiegel und Ampulle Salböl in goldenem bauchigem Gefäß. Ein Schleppenpage. Zwei Ritter. Bei der Rückkehr werden die Kissen von den Schleppenpagen getragen. – Acht Meßknaben mit Weihrauchkesseln, paarweise; sie stellen sich auf der Estrade zu beiden Seiten auf und lassen den Zug passieren. – Acht Blumenmädchen mit goldenen Körbchen, worin Streublumen, in breitem Spalier. – Acht Lichterpagen mit Lichtern in goldenen Haltern, in mäßig breitem Spalier.
Das Volk drängt hier, in Erwartung des Propheten, nach hinten, der unteren Treppe zu und kniet nieder; die Kinder auf den Stufen, untermischt mit Frauen; alle wenden das Gesicht nach rechts, dem Propheten zu, den Rücken gegen das Publikum.
Drei Herolde mit der Prophetenfahne. – Die drei Wiedertäufer, Zacharias, das Evangelium tragend, in der Mitte. – Der Prophet, weiß gekleidet, ohne Mantel, unbedeckten Hauptes, unter einem prachtvollen, von vier Wappenherolden getragenen Baldachin. Vier Mädchen, zwei rosa, zwei blau, halten seitwärtsgehend die Quastenbänder.
Der Zug hält kurze Zeit inne, während die Spalier bildenden acht Meßknaben die Weihrauchskessel schwingen. Die acht Meßknaben reihen sich vor dem Baldachin ein, sowie sich der Zug wieder in Bewegung setzt.
Das Volk springt auf, sowie der Prophet vorüber ist und drängt der rechten Seite und der Mitte zu, um dem Zuge nachzuschauen, so daß die linke Seite fast leer ist.
Ein Großwürdenträger mit Kissen, darauf Krönungsmantel. Zwei Großwürdenträger mit Kissen, worauf Krone und Schwert. Sechs geharnischte Ritter zu Dreien. – Ein Offizier und zwölf Hartschiere. – Ein Offizier und zwölf Hellebardiere zu Vieren.
Nach dem Krönungsmarsch dreimaliger Trommelwirbel links hinten.
Erster Trommelwirbel.
Das Volk sinkt beim ersten Trommelwirbel in die Knie.
Zweiter Trommelwirbel.
Die Trabanten fallen beim zweiten Trommelwirbel in die Knie.
Dritter Trommelwirbel.
Meßglöckchen ertönen links hinten.
Fides kommt gegen Ende des Krönungsmarsches von rechts, kniet im Vordergrunde rechts, allein mit dem Gesicht nach vorn.
Fünfter Auftritt.
Fides. Trompeter. Trabanten. Volk. Stimmen links hinten.
Nr. 25. Finale.
Gebet und Fluch.
DIE DREI WIEDERTÄUFER UND DREI ANDERE WIEDERTÄUFER links hinten.
Domine, salvum fac regem nostrum –
CHOR ebenso.
Domine, salvum fac regem nostrum, fac!
DIE DREI WIEDERTÄUFER ebenso.
Et exaudi nos in die qua invocaverimus te!
CHOR ebenso.
Domine, salvum fac regem nostrum!
FIDES richtet den Kopf auf.
Daß Gott schütze den Herrn, den Propheten, flehen sie!
Mit Kraft.
Großer Gott, o erhöre mein Flehen:
Laß ihn irren, verachtet, verbannt,
Belebter.
Auf Erden von Land zu Land,
Und in deinem Himmel sei er verflucht!
In deinem Himmel verflucht, verflucht, sei er verflucht!
Sie springt auf und wendet sich nach links vorn.
CHOR wie vorher links hinten.
Domine, domine, salvum fac regem!
FIDES in Begeisterung.
Dich, o Tochter, gleich Judith beseelet –
CHOR wie vorher.
Domine –
FIDES.
Schütze des Himmels, ja, schütze des Himmels gnädige Huld!
CHOR wie vorher.
Salvum fac –
FIDES.
Auf! daß dein Schwert sein Haupt nicht verfehlet,
Mit fester Hand strafe du des Frevlers Schuld,
Strafe du des Frevlers Schuld!
Mit fester Hand triff sein Haupt
Und strafe seine Schuld!
Gott der Rächer weiht ihn dem Untergang!
Ja, Gott weiht ihn selbst dem Untergang!
CHOR wie vorher.
Domine, salvum, salvum fac regem, salvum fac!
Das Volk steht auf.
Die Trabanten drängen es nach rechts und links auf die Seite und stehen davor.
Fides vom Volke bedrängt, ist bis zur äußersten Linken vorgekommen, wo sie wieder niederkniet und betet.
Die vierzehn Sängerknaben kommen mit Palmzweigen paarweise zurück und stellen sich rechts und links vorn auf.
Drei Meßknaben mit Handglocken folgen und nehmen auf der unteren Treppe Aufstellung.
Sechster Auftritt.
Die Vorigen. Die vierzehn Sängerknaben. Die drei Meßknaben.Das Volk sinkt in die Knie, sobald die Glocken klingen.
Chor der Kinder und allgemeiner Chor.
SÄNGERKNABENCHOR.
Seht den König, den Propheten,
Ihn, des Herren eignen Sohn!
Beugt eure Knie und laßt uns beten,
Beugt eure Knie, beugt eure Knie,
Beugt die Knie, laßt uns beten
Vor seinem goldnen Thron! –
Vor seinem goldnen Thron! – Vor seinem goldnen Thron,
Vor seinem goldnen Thron!
Beugt euch vor seinem goldnen Thron!
FRAUENCHOR.
Heil dem König, dem Herrn!
Heil dem König, dem Propheten!
Beugt euch vor seinem goldnen Thron!
Die drei Meßknaben gehen ab nach links ganz vorn.
Die acht Blumenmädchen mit ihren Streublumen in goldenen Körbchen kommen paarweise zurück, abwechselnd zwei rosa, zwei blau, schreiten in breitem Spalier nach vorn, biegen dann nach der Mitte zu ein, schreiten nach hinten, wo sie rechts und links abschwenken und sich an die Sängerknaben anschließend aufstellen.
Rückkehr des Krönungszuges beim Einsatz des ersten Chorknaben.
Die vier Waffenherolde jetzt mit Stäben, steigen zuerst die obere, dann die untere Treppe herab und stellen sich rechts und links neben der unteren Treppe auf.
Ein Offizier mit zwölf Hartschieren nimmt auf der Estrade rechts Aufstellung.
Die acht Lichterpagen schwenken hinter den Waffenherolden ein und nehmen auf den Stufen der unteren Treppe Aufstellung.
Die sechs Bannerpagen der Kurfürsten welche nun die Kissen tragen, schwenken nach hinten ein und nehmen dort Aufstellung.
Die sechs Ritter der Kurfürsten ebenso, treten vor die Bannerpagen.
Die drei Schleppenpagen ebenso, treten vor die sechs Ritter.
Die drei Kurfürste ebenso, treten vor die Schleppenpagen.
Die drei Großwürdenträger mit Kissen, worauf Krönungsmantel, Krone und Schwert, treten bis auf die Seitenstufen der oberen Treppe herab.
Vier Meßknaben mit Weihrauchkesseln, die sie rückwärtsgehend dem Propheten zuschwenken, steigen herab auf die Stufen der unteren Treppe, und treten vor die Lichterpagen.
Der Prophet kommt bis zum Fuß der oberen Treppe, das Antlitz während der Krönungscermonie nach links, dem nicht sichtbaren Altar zugewendet.
Zacharias steht auf der zweiten Stufe vor dem Propheten.
Jonas, Mathisen letzterer mit dem Evangelium, oben, das Gesicht dem Propheten zugewendet.
Der Bürgermeister, zwei Ratsdiener, sechs Ratsherren, ein Offizier, zwölf Hellebardiere hinter ihnen.
Siebenter Auftritt.
Die Vorigen ohne die drei Meßknaben. Die Personen des Krönungszuges.
ERSTER SÄNGERKNABE.
Nicht vom Weib ist er geboren,
Denn ihn schuf Gottes Flammenhauch!
ZWEITER SÄNGERKNABE.
Uns zum Könige erkoren,
Verehret ihn mit frommem Brauch!
ERSTER SÄNGERKNABE.
Beugt die Knie!
ZWEITER SÄNGERKNABE.
Beugt die Knie!
ERSTER SÄNGERKNABE.
Beugt das Haupt!
ZWEITER SÄNGERKNABE.
Beugt das Haupt!
Das Volk erhebt sich, steht in gebeugter Haltung.
Zacharias nimmt den Krönungsmantel vom Kissen des nahestehenden Großwürdenträgers und bekleidet den Propheten damit, wobei zwei nahestehende Page Hilfe leisten.
Johann ergreift vom Kissen des zweiten Großwürdenträgers die Krone und setzt sie sich mit großer Gebärde aufs Haupt.
Zacharias reicht dem Propheten vom Kissen des dritten Großwürdenträgers das blanke Schwert, dann nimmt er aus der Hand Mathisens das Evangelium, schlägt es auf und hält es Johann entgegen.
Johann zückt über demselben als Zeichen seines Schwurs das Schwert, dann legt er die Waffe an.
Die acht Blumenmädchen treten vor, stellen sich im Halbkreis den unteren Treppenstufen zugewendet und streuen Blumen.
Die Meßknaben schwingen die Weihrauchkessel.
CHOR.
Seht den König, den Propheten,
Ihn, des Herren eignen Sohn!
Beugt eure Knie und laßt uns beten,
Vor seinem goldnen Thron!
Er ist der König und Herr!
Beugt euch vor seinem goldnen Thron!
Beugt euch vor seinem goldnen Thron!
Das Volk sinkt unmittelbar nach dem Chor, welcher Moment mit dem Schwur zusammenfällt, in die Knie.
Johann schreitet einige Schritte bis oberhalb der unteren Treppe vor und hebt die Hände segnend über das Volk.
Alle außer Johann knieen.
Zacharias ihm zur Rechten.
Jonas und Mathisen zu seiner Linken.
Die drei Großwürdenträger hinter ihm.
JOHANN sich an die Vorhersagung im zweiten Aufzug erinnernd, legt nachdenklich die Rechte an seine Krone.
Du besteigst den Thron! Ha, es ist wahr!
Fides erhebt sich und wendet sich langsam um; als sie Johann erblickt, steht sie vor Schrecken starr, ihren Augen nicht trauend.
JOHANN faßt sich wie besinnend an die Stirn.
Ja, ich bin Prophet, ich bin der Sohn des Herrn!
FIDES die sich überzeugt hat, daß der Prophet ihr Sohn ist, drängt sich, einen Schrei ausstoßend, durch die Menge zu Johann hin.
Mein Sohn!
Allgemeine große Bewegung.
ALLE springen auf.
Ihr Sohn! Ihr Sohn! Ihr Sohn!
Die Blumenmädchen treten etwas zur Seite nach hinten zu.
Die Sängerknaben treten etwas zur Seite nach hinten zu.
Johann will auf seine Mutter zueilen.
MATHISEN hält ihn zurück, leise.
Wenn du sprichst – ihr Tod!
Johann steigt herab.
Die Lichterpagen geleiten ihn und treten rechts und links zur Seite.
Zacharias, Jonas, Mathisen, die Würdenträger und Kurfürsten folgen ihm.
Das übrige Gefolge drängt oben bleibend nach.
Alle erwarten den Ausgang mit sichtbarer Angst.
JOHANN mäßigt seine Aufregung und tritt seiner Mutter einige Schritte näher; dann sich an seine Umgebung wendend, kalt.
Wer ist jene Frau dort? Wer ist jene Frau dort?
Pause.
FIDES ringt außer sich die Hände, will sprechen, Staunen hemmt ihr die Sprache; endlich mit ge waltigster Anstrengung, mit zitternder Stimme und mit dem Ausdruck einer schmerzlichen, mit innerer Empörung gemischten Zärtlichkeit.
Wer ich bin?
Sie tritt ihrem Sohne näher.
Johann tritt wie gegen seinen Willen mehr nach rechts vor, so daß Fides etwas weiter zurücksteht; er wagt es nicht, seine Mutter anzublicken; nur seine Augen drücken aus, was in ihm vorgeht und was er gern verbergen will.
FIDES.
Ich! Wer ich bin? – Ich! Wer ich bin? –
Lied und Ensemble.
FIDES weinend und mit tiefem Gefühl, die Stimme von Thränen erstickt.
Ich bin, weh mir! die tief Beklagenswerte,
Die dich gebar, die am Herzen dich trug,
Die im Schmerz weinend rief:
»O daß er wiederkehrte!«
Die nichts geliebt, die nichts geliebt auf Erden
Als dich, als dich ja allein, ja, allein als dich!
Sie tritt einen Schritt zu Johann hin.
Und du! Weh dir!
Sie entfernt sich von Johann, indem sie sich nach links vorn wendet.
Und du, und du, Unsel’ger,
Verleugnest, und du, Unsel’ger, verleugnest mich!
Ha! Weh dir! Weh dir! Du verleugnest mich!
Du erkennst die eigne Mutter nicht!
Nein, kennst sie nicht! nein, kennst sie nicht!
Nein! Ha! Du kennst sie nicht!
Nein, nein, nein, nein, nein, nein!
Mein eigner Sohn verleugnet mich! Weh ihm!
CHOR DER WIEDERTÄUFER.
Was hör ich, Gott! Welch‘ ein Betrug!
Ha, der Prophet bestrafet dich!
CHOR DES VOLKS.
Was hör ich, Gott! Welch ein Geheimnis!
Darf man es glauben, was sie enthüllt!
JOHANN sucht sich zu beruhigen, tritt wieder in die Mitte zurück und wendet sich unruhig an seine Umgebung.
Welch ein Wahn beherrscht ihre Seele?
Nicht weiß ich, gleich wie ihr selbst,
Was sie will, diese Arme!
FIDES wendet sich unwillig, von ihrer Bewegung überwältigt, an Johann vorüber nach rechts.
Was ich will? Was ich will?
Gesteigert.
Was ich will?
Weh mir! Was ich will? Die tief Beklagenswerte? –
Johann tritt wie gegen seinen Willen etwas weiter vor.
FIDES.
Sie will vergeben, was Undank verbrach.
Sie will, daß er, den ihre Brust ernährte,
Daß er zurück, daß er zurück zum Mutterherzen kehrte.
Ach, nur einen einz’gen Augenblick.
Ach! weh!
FIDES, DIE ZWEI ERSTEN SÄNGERKNABEN, ZACHARIAS, JONAS, MATHISEN UND VIER AUS DEM VOLKE.
Ach! – Weh!
FIDES.
O Undank! weh mir! er kennt mich nicht!
DIE ZWEI SÄNGERKNABEN.
Gott, welch ein Wort!
JONAS.
Ha! Lästerung!
ZACHARIAS UND MATHISEN zu Johann.
Du trägst es zu lange, erhabener Gebieter!
FIDES.
O Undank! Weh mir! Er kennt mich nicht!
DIE ZWEI SÄNGERKNABEN.
Welch bittrer Schmerz!
JONAS.
Ha! Lästerung!
ZACHARIAS, MATHISEN.
Ha, welch ein Wort! Ha, welch ein Wort!
FIDES.
Weh mir! Weh mir!
Alle treten einige Schritte vor.
Zacharias, Jonas, Mathisen nehmen zwischen Fides und Johann die Mitte.
Die Großwürdenträger und Kurfürsten nehmen rechts vor dem Volke Aufstellung.
Das Volk tritt hierbei etwas zurück.
Alle bedrohen Fides und Johann mit Blicken und Gesten.
Fides wendet sich abwechselnd bald an das Volk, bald an ihren Sohn.
Johann steht unbeweglich im Vordergrunde links.
DIE ZWEI SÄNGERKNABEN steigernd.
Trug- und Luggebilde! Bestrafen wird’s der Gottessohn!
Hinweg, hinweg vom heil’gen Ort! Geh! –
Fürchte unsern Zorn, unsre Wut!
Ha, ihr schuldig Haupt treffe unsre Wut!
Gieb sie uns preis! Du trägst es zu lang.
Gieb sie preis, gieb sie uns preis!
CHOR DES VOLKS immer mehr steigernd.
Wie, er sollte lügen? Er sollte uns betrügen?
Dann wehe ihm! Dann wehe ihm!
Der Erwählte des Herrn, er ein Betrüger?
Er, der Prophet, er ein Betrüger?
Immer drängender.
Ha, wehe ihm!
Trifft endlich die Rache sein Haupt!
Ihn treffe unsre Wut, ja, unsre Wut treffe ihn!
Ja, auf sein schuldig Haupt treffe unsre ganze Wut!
Er, er, Gottes Sohn! Er, er, Gottes Sohn!
Weh ihm! Weh! Weh!
ZACHARIAS, JONAS, MATHISEN mehr und mehr steigernd.
Laß uns die Rache, wir wollen sie strafen!
Ihr Los, gieb es in unsre Hand.
Du trägst’s zu lang, erhabner Gebieter,
Ha, diese Lästrung, dieser Wahn
Entladet sich auf seinem Haupt.
Ha, gieb sie uns preis, gieb sie preis!
Ja, ihr schuldig Haupt treffe schwer unsre Wut
Du trägst es zu lange, erhabner Gebieter!
Ha, wehe der Lästrung, gieb sie uns preis!
Auf ihr schuldig Haupt treffe unsre Wut!
Gieb sie uns preis! Gieb sie uns preis!
CHOR DER WIEDERTÄUFER mehr und mehr steigernd.
Ach! das ist zuviel! Ha! Göttlicher Prophet!
Diese Lästrung, dieser Wahn! Gieb sie uns preis!
Ihr schuldig Haupt treffe unsre Wut!
Gieb sie uns preis, gieb sie preis!
Ja, auf ihr schuldig Haupt treffe unsre ganze Wut!
Gieb sie uns preis! Gieb sie uns preis!
ZWEI AUS DEM VOLKE steigernd.
Er, der Erwählte, vom Himmel Gesandte!
Er sollte ein Betrüger sein? Er ein Betrüger!
Großer Gott, entladet sich’s! Trifft endlich
Die Rache sein Haupt! Weh ihm! Weh ihm!
Trifft endlich die Rache sein Haupt?
Ihn treffe unsre Wut, ja, unsre Wut treffe ihn!
Ja, auf sein schuldig Haupt treffe unsre ganze Wut!
Und wie, er wäre des Himmels Erwählter,
Der Sohn des Herrn, ha, wehe ihm!
Ha, wehe ihm! Weh ihm! Weh ihm!
FIDES.
Ich? Wer ich bin? – Ich? Wer ich bin?
Ich bin die tief Beklagenswerte,
Die ihn gebar, am Herzen nährte!
Ich? Wer ich bin? Ich? Wer ich bin?
Ich, die auf Erden nichts geliebt als dich!
Und du, ach, und du verleugnest mich! –
Mein Sohn, er ist für mich verloren!
O Schreckenslos! O Schreckenslos!
Weh, ach, er verleugnet mich!
Weh, der Unglücksel’ge verleugnet mich! Ha, weh!
Die Bewegung hat den Höhepunkt erreicht.
Zacharias, Jonas und Mathisen greifen nach ihren Dolchen und zücken sie über Fides‘ Haupt.
JOHANN stürzt sich zwischen Fides und die drei Wiedertäufer.
Haltet ein!
Allgemeines Staunen.
FIDES freudig für sich.
Er will mich beschützen.
Sie eilt auf Johann zu.
JOHANN.
Rühret nicht an ihr Haupt!
Erkennet ihr denn nicht,
Daß Wahnsinn –
Fides stutzt.
JOHANN.
Ihr das Haupt umdüstert?
Fides entfernt sich mit einigen Schritten nach rechts unwillig von Johann.
JOHANN.
Nur ein Wunder giebt Geisteshelle ihr zurück.
CHOR ironisch.
Alles vermag er, der Auserwählte!
Alles vollbringt er, er, Gottes Sohn!
JOHANN in der Verzückung eines Begeisterten, mit erhobenem Blick, die Hände auf die Brust gefaltet.
O Gott, begeistre mich!
Er tritt etwas zurück, hinter Fides, dann langsam, mit erhobenen Händen einen Schritt auf sie zu.
Allgemeine Spannung und Erwartung.
Fides Mienen zeigen Staunen und Schmerz.
JOHANN feierlich.
Seines Lichtes heil’ger Strahl, er berühre deine Stirn,
Arme Bethörte, und erleuchte dich! –
Allgemeine ängstliche Spannung.
JOHANN.
Weib, auf die Knie!
Fides von Unwillen durchbebt, wendet sich hastig nach ihrem Sohne hin, indem sie ihn hocherhobenen Hauptes und zürnenden Auges fixiert.
Johann tritt während der folgenden elf Takte langsam auf Fides zu und hebt die Hände wie segnend über ihrem Haupt; seine Augen, fest auf die Mutter gerichtet, scheinen ihr zu sagen: »Verzeihe deinem Sohne, aus Liebe zu dir will er dich nicht anerkennen; sein Herz leidet, aber er verehrt und liebt dich stets!«
Fides die Augen starr in diejenigen Johanns geheftet, sinkt durch den Erbarmen flehenden Blick ihres Sohnes gerührt, nach und nach wie wider Willen auf das rechte Knie und neigt ihr Haupt.
Die Beschwörung.
JOHANN.
Liebtest du diesen Sohn,
Dessen Bild in mir du siehst?
FIDES bewegt.
Ob ich ihn liebte!
JOHANN.
Nun wohl, so richte denn
Auf mich dein Auge jetzt!
FIDES gehorcht zitternd und blickt ihm ins Auge.
O Gott! Mein Gott!
JOHANN tritt, sich zum Volke wendend, in die Mitte.
Und ihr, die ihr mich hört,
Ihr Scharen, zieht eure Schwerter!
Alle Bewaffneten ziehen ihre Dolche und Schwerter.
FIDES.
Mein Herz erbebt!
JOHANN.
Wohlan! Wohlan! Wenn ihr Sohn ich bin,
Wenn ich euch getäuscht,
So bestraft den Betrüger, bestraft ihn sogleich!
Er bietet in edler Haltung seine Brust, schreitet nach links zu, dann im Bogen an den Anwesenden vorüber wieder nach rechts.
Alle Bewaffneten erheben wie zum Stoß die Dolche und Schwerter.
JOHANN ohne Pause fortfahrend.
Stoßt zu, hier meine Brust!
Große Spannung.
Alle blicken erwartungsvoll auf Fides. Fides zeigt wie betäubt den heftigsten Seelenkampf und wagt stieren Blickes kaum zu atmen.
JOHANN zu Fides.
Bin ich dein Sohn?
ALLE mit vor Erwartung gedämpfter Stimme.
So sprich! So sprich! So sprich!
JOHANN gesteigert.
Bin ich dein Sohn?
ALLE wie oben.
Ha, sprich! Ha, sprich! Ha, sprich!
Die drei Wiedertäufer setzen bei dem Forte-Accord ihre Dolche wie zum Stoße Johann auf die Brust.
Die Großwürdenträger bewegen sich mit erhobenen Waffen auf den Propheten zu.
Das Volk steht starr vor Erwartung.
FIDES fühlt bei dieser ganz plötzlichen Bewegung ihre Mutterliebe erwachen; sie erhebt sich rasch und stürzt mit einem Aufschrei der Mitte zu; abgebrochen.
Ach! – Hört mich! – Ich täuschte mich! –
Große Spannung.
FIDES.
Nein, er ist nicht mein Sohn!
Außerordentlich große Bewegung mit leisem Ausruf.
FIDES.
Nein! – Nein! – Nein! Nein! Nein! Nein, nein, nein, nein!
Sie eilt an Johann vorüber nach links; mit Verzweiflung.
Nein, nein! Ach, so hab ich Arme keinen Sohn!
Keinen Sohn, ach, hab ich Arme mehr!
Die Spannung löst sich.
Die Bewaffneten senken die Schwerter und Dolche und geben sie in die Scheiden zurück.
Der Zug setzt sich feierlich und langsam über die untere Treppe nach rechts in Bewegung.
Der Offizier und die zwölf Hartschiere rechts oben gehen voran.
Die vier Herolde, die drei Großwürdenträger, die drei Kurfürsten mit ihren drei Schleppenpagen und sechs Rittern, der Bürgermeister und sein Ratsgefolge folgen.
Die acht Lichterpagen besetzen die untere Treppe spalierartig, sowie sie frei geworden ist.
Die sechs Bannerpagen bleiben oben und neigen die Banner.
Das Volk tritt nach vorn zur Seite.
Die acht Blumenmädchen treten etwas vor und streuen Blumen.
Die vier Meßknaben schwingen die Weihrauchkessel.
Johann wendet sich durch dieses Spalier zum Gehen.
CHOR.
O Wunder, o Wunder des göttlichen Propheten!
O Wunder, o Wunder, o Wunder!
FIDES links vorn, beiseite.
O welch ein Schmerz!
Ach, so geb ich denn, um ihn zu retten,
Auf ewig ihn dahin!
Mein Gott, du schütze ihn!
CHOR.
Wir staunen, wir staunen, o Wunder des Propheten!
O Wunder, o Wunder, o Wunder!
DIE DREI WIEDERTÄUFER UND CHOR.
Domine, salvum fac regem!
CHOR.
Wir schauen, wir staunen! Neu erhellet ist ihr Blick!
DIE DREI WIEDERTÄUFER UND CHOR.
Domine –
CHOR.
Das Licht kehrt ihrem Geist zurück!
DIE DREI WIEDERTÄUFER UND CHOR.
Salvum fac –
Die drei Wiedertäufer folgen Johann.
Die vierzehn Sängerknaben treten rechts und links vor.
CHOR.
Ja, neu erhellet ist ihr Blick!
Fides stürzt außer sich nach links vor.
Die drei Wiedertäufer beobachten aufmerksam alle ihre Bewegungen.
FIDES für sich.
Doch Bertha, o Gott!
Ermorden will sie ihn! Ich eile!
Johann hat die oberste Stufe der unteren Treppe erreicht.
Fides will ihm nachstürzen. Bewegung im Volke. Die drei Wiedertäufer eilen herab, und halten Fides mit ihren Dolchen bedrohend im Vordringen auf.
Fides wankt einen Schritt zurück und bricht ohnmächtig in den Armen herbeieilender Sängerknaben zusammen.
Das Volk wendet sich in allgemeiner Freude im Halbkreis der Mitte zu und kniet mit dem Rücken gegen das Publikum.
Johann wendet sich in dem Augenblick, als seine Mutter zusammenbricht, um das Volk zu segnen.
VOLK.
Ha, welch Wunder des Propheten, Gottes Sohn!
O Wunder, o Wunder, o Wunder, o Wunder, o Wunder!
DIE DREI WIEDERTÄUFER UND CHOR.
Salvum fac prophetam nostrum, nostrum!
Fünfter Aufzug.
Nr. 26. Zwischenakt und Scene.
Der Vorhang hebt sich nach dem achten Takte.
Ganz kurzes unterirdisches Gewölbe im Schlosse zu Münster. Rechts Mitte eine Steintreppe mit einer hölzernen Brustwehr, die von oben aus dem Schlosse in das Gewölbe führt. Links eine eiserne Thür zu anderen Gewölben und nach außen; nahe bei dieser Thür eine steinerne Bank mit einem Fackelhalter darüber.
Es ist halbdunkel.
Erster Auftritt.
Zacharias. Mathisen. Jonas.
MATHISEN zu Jonas.
Und du bezeugst es auch?
ZACHARIAS.
Ja, mit verstärkter Macht
Gegen Münster rückt der Kaiser gerüstet heran;
Er will die Stadt erstürmen.
MATHISEN.
Doch wie entgehn wir dem Schicksal?
ZACHARIAS geheimnisvoll, ein Pergament hervorziehend.
Er sichert uns das Leben, ja selbst unsre Beute,
Wenn wir den Propheten überliefern!
Was meinet ihr?
DIE DREI WIEDERTÄUFER sehen sich einen Augenblick an, kreuzen dann die Arme über die Brust und neigen den Kopf.
Des Himmels Willen müssen wir erfüllen.
Sie gehen gesenkten Hauptes ab durch die eiserne Thür links.
Ein Fackelträger kommt mit einer brennenden Fackel über die Steintreppe rechts Mitte.
Fides geführt von zwei Soldaten folgt ihm.
Zweiter Auftritt.
Fides. Der Fackelträger. Die zwei Soldaten.
Die beiden Soldaten zeigen auf die steinerne Bank links und bedeuten Fides, sich dort niederzulassen.
Der Fackelträger wendet sich dann zum Abgang über die Steintreppe rechts Mitte.
Die beiden Soldaten folgen ihm.
Dritter Auftritt.
Fides allein.
Nr. 27. Scene, Kavatine und Arie.
FIDES ohne sich zu setzen.
Ihr Baalspriester, ihr! Wohin habt ihr mich geführet?
Welche düstre Kerkergruft!
Weh! Hier begräbt man mich,
Indessen Bertha Tod dem Sohne droht!
Meinem Sohn! Er ist’s nicht mehr!
Weh, er verleugnet die Mutter!
So falle auf sein Haupt des Himmels Rachestrahl!
Schlag ihn! schlag ihn, du, der an Kindes Haupt den Undank straft! –
Nein, nein, nein! Gnade, Gnade für ihn!
Kavatine.
O du, der mich verlassen,
Mein Herz, mein Herz, entwaffnet ist’s, entwaffnet ist’s!
Die Mutter kann nicht hassen,
Leb wohl, leb wohl, leb wohl, leb wohl, mein Kind!
Die Mutter hat
Vergebung nur, Vergebung nur für dich und Schmerz!
Ich habe alles dir, ja, alles hingegeben,
So geb ich jetzt, jetzt auch willig dir mein Leben!
Nur glücklich sollst du sein, nur glücklich sein!
Nimm mein Leben hin, ich harre deiner dort, ja!
Dort, jenseits harr‘ ich dein!
Der du mich verlassen,
Mein Herz, mein Herz, entwaffnet ist’s, entwaffnet ist’s!
Die Mutter kann nicht hassen,
Leb wohl, leb wohl, leb wohl, leb wohl, mein Kind!
Die Mutter hat
Vergebung nur für dich und Schmerz!
Ein Kriegshauptmann kommt über die Steintreppe rechts Mitte herab.
Vierter Auftritt.
Der Kriegshauptmann, Fides zu seiner Linken.
KRIEGSHAUPTMANN.
Weib! Sink in die Knie!
Es nahet dir der göttliche Gebieter,
In seiner Macht wird er dir hier erscheinen!
Er geht ab, woher er kam.
Fünfter Auftritt.
Fides allein. Dann Johann außerhalb.
FIDES mit erstickter Stimme.
Er nahet mir! – Ich soll ihn sehn!
Doch ach! ach, von Schuld schwer beladen!
Sie sinkt, überwältigt von ihren Gefühlen, in die Knie.
Gott! – Gott!
Sie springt auf.
Gott!
Arie.
Ihre Züge beleben sich; mit erhobenen Händen und Blicken.
Wirf deines Lichts blitzenden Strahl in seine Seele,
Der Wahrheit Glanz läutre sein Herz von Schuld und Fehle!
Wirf deines Lichts blitzenden Stahl in seine Seele,
Ja, läutre ihn, gleich edlem Erz durch Flammenkraft!
Ja, wirf deines Lichts blitzenden Strahl in seine Seele,
Der Wahrheit Glanz läutre sein Herz von Schuld und Fehle!
Ja, läutre ihn gleich edlem Erz durch Flammenkraft!
Ja – durch Flammenkraft, ja, durch Flammenkraft läutre sein Herz!
Heilige Scharen, wollt ihn bewahren!
O steigt herab, beschirmt ihn mit eurer Huld und Gnade!
Von des Verbrechens grauendem Schlund
Lenket abwärts seinen Pfad, seinen Pfad!
Wirf deines Lichts blitzenden Strahl in seine Seele,
Der Wahrheit Glanz läutre sein Herz von Schuld und Fehle,
Ja, läutre ihn gleich edlem Erz durch Flammenkraft!
Ja, o Gott, führe ihn in deinen Schoß zurück!
Ihr heiligen Scharen, beschirmt ihn mit eurer Huld und Gnade!
O steigt hernieder, führt ihn in Gottes Schoß zurück!
O steigt herab, o steigt herab, schützt ihn!
Mit einigen Schritten ganz nach links vorn, sehr belebt.
Ja, so führe ich mein Kind in Gottes Retterhand,
In seine Hand, seine Hand zurück!
JOHANN rechts außerhalb.
O Mutter!
Er eilt mit der Krone auf dem Haupte, in weißem Gewand und braunem Mantel über die Steintreppe rechts Mitte herbei.
Sechster Auftritt.
Johann, Fides zu seiner Linken.
Nr. 28. Scene und Duett.
JOHANN wirft seinen Mantel ab und will sich in die Arme der Mutter stürzen.
O Mutter, meine Mutter!
FIDES sehr ernst und feierlich, ihn mit einer Bewegung zurückhaltend.
Zurück! Prophet! und Gottes Sohn!
Hier ist nicht der Tempel mehr,
Wo du mich zu verleugnen gewagt!
Jetzt, ja jetzt, wo nur Gott uns erblickt:
Auf die Knie, auf die Knie!
JOHANN sinkt auf die Knie vor seiner Mutter.
Ach, vergieb dem verirrten Sohn!
FIDES.
Einen Sohn hab ich nicht mehr!
Mein Sohn, den ich so beweint
JOHANN für sich.
Es tötet mich die Scham!
FIDES.
Er war rein, er war rein vor Gott, doch du, doch du -!
Duett.
FIDES.
Du, der Prophet, den die Erde verfluchet,
Du, der die Allmacht höhnend versuchet,
Du, dessen Hand mit Blut sich befleckt,
Hinweg! Hinweg! Nicht kenn ich ferner dich!
Johann steht langsam auf und tritt, durch die zornigen Blicke seiner Mutter erschreckt, zurück, indem er sie vergebens mit lebhaften Bewegungen anfleht.
FIDES tritt mehr und mehr auf ihn zu.
Hinweg! hinweg! nicht kenn ich ferner dich!
Fern meinem Blick, fern meiner Brust!
Mit Blut befleckt! Ha, zurück!
Mit Blut befleckt! Ha! Weh dir!
Weh dir! Hinweg! Ha! –
Sie entfernt sich mit Schauder an Johann vorüber nach rechts.
Hinweg, hinweg, dich kenn ich ferner nicht!
Nein! nein! nein! nein! dich kenn ich ferner nicht!
JOHANN faßt sich nach und nach, halb für sich.
O Mutter, fluchst du dem eignen Sohne,
Wenn er liebend und schmerzvoll dir naht?
Er nähert sich Fides wieder flehend.
Fides sucht ihn, ohne ihn anzusehen, mit der Linken abwehrend zu entfernen.
JOHANN.
Weh, dieser Strahl zückt von Himmels Throne!
Weh mir! befreit von diesen Blutgestalten mich!
Hinweg! Ihr Schreckensbilder fürchterlich!
Hinweg! hinweg! ihr Blutgestalten!
FIDES.
Hinweg, Tyrann, hinweg! dich kenn ich ferner nicht!
JOHANN.
Weicht! hinweg! hinweg! ihr Schreckensbilder, weicht!
Er sinkt wieder reuevoll und in Verzweiflung vor ihr nieder.
Fides hört ihn an, ohne ihn ein einziges Mal anzublicken.
JOHANN in erstickten Tönen.
Ach, meine Liebe nur, sie trieb mich zum Verbrechen;
Nur Bertha wollte ich, ihr düstres Schicksal rächen!
Ich sühnte ihre Schmach,
Das ist’s, was ich verbrach!
Immer belebter.
Und das vergoss’ne Blut,
Macht das dich unerbittlich?
Er steht auf.
Ich schlug Tyrannenwut,
Denn erschöpft war die Geduld –
Fides entfernt sich einige Schritte von ihm, den Blick starr auf ihn gerichtet.
JOHANN.
Durch der Frevel höchstes Maß!
FIDES feierlich.
Du übertrafst ihre Schuld!
Keiner hätte gewagt des Wahnsinns Frevelspott,
Daß blinde Raserei sich gleichstellt unserm Gott! Weh!
Sie geht von neuem auf Johann zu.
Weh dir, Prophet, den die Erde verfluchet,
Weh dir, der die Allmacht höhnend versuchet!
Fern meinem Blick, fern meiner Brust!
Mit Blut befleckt! Ha! zu viel!
Mit Blut befleckt! Ha! weh dir!
Weh dir, hinweg! Ja, hinweg, hinweg!
Dich kenn ich ferner nicht!
Hinweg, hinweg, dich kenn ich ferner nicht!
Nein! nein! nein! nein! nein! dich kenn ich ferner nicht!
JOHANN.
Weh mir! Weh mir! Ach, dieses Herz zerreißt der Schmerz!
Ach, vergieb! – Ach, vergieb! – Ach, vergieb!
Hinweg, hinweg! ihr Blutgestalten weicht!
Hinweg, hinweg, ihr Schreckensbilder, weicht!
Erbarme dich! erbarme dich! erbarme meiner dich!
Fides stößt ihren Sohn abermals zurück und geht schnell bis an die Steintreppe rechts Mitte, wo sie stehen bleibt und sich auf die hölzerne Brustwehr stützt.
Johann wankt niedergeschmettert nach der steinernen Bank links, sich dort stützend.
Große Pause.
FIDES erhebt nach der Pause das Haupt wieder und blickt den Sohn mitleidsvoll und mit Liebe an.
Nun wohl! Kehrst du zurück,
Faßt Reue deine Seele –
Johann richtet sich, von Hoffnung erfüllt, wieder auf.
FIDES.
Und willst in Zukunft du
Meiner würdig wieder sein,
Entsage deiner Macht,
Der Schar, die Fürst dich nennt!
JOHANN tritt näher, ohne zu wagen, seine Mutter anzusehen; mit erstickter Stimme, fast gesprochen.
Meine Krieger verlassen!
FIDES nähert sich ihm.
Gott selbst, er fordert dich zurück!
JOHANN.
Durch sie hab ich gesiegt!
FIDES.
Sie führten dich zur Schmach!
JOHANN.
Feiger Flucht zeiht man mich!
FIDES.
Heim zu Gott und zur Pflicht!
Sie führt Johann nach vorn und zeigt nach dem Himmel.
Wenn ein Mutterherz ihn fleht,
Kann sich neu der Himmel öffnen.
Johann beugt unwillkürlich die Knie vor Fides.
Fides segnet ihn.
Johann richtet sich dann langsam auf, legt seine Linke an die Krone, nimmt dieselbe langsam ab und legt sie auf die steinerne Bank links, ohne in Liebe und Ehrfurcht die Augen von seiner Mutter abzuwenden.
FIDES.
Gottes Zorn schmilzt in Liebe
Vor des Reuigen Gebet, des Reuigen Gebet!
JOHANN unwillkürlich wiederholend.
Des Reuigen Gebet!
FIDES tritt einige Schritte vor.
Ja, beim Himmel, ich will dir’s schwören –
JOHANN.
Ihre Stimme, Gott wird sie hören –
FIDES.
Jeder Frevel wird dir vergeben,
Des Himmels Gnade wird dich neu erheben!
JOHANN.
Ja, ja, des Himmels Gnade wird mich neu erheben!
FIDES.
Ja, deiner Mutter Flehn
Öffnet neu den Himmel für dich,
Öffnet neu den Himmel dir!
Mit Begeisterung.
Ja, es führt dir mein Flehen
Die Tage der Unschuld zurück,
Daß dich des Himmels Gnade neu erhebt!
JOHANN.
O Kampf in meiner Brust!
FIDES Johann die Arme entgegenstreckend.
Komm, mein Sohn!
JOHANN zögert lange.
Wär es möglich doch!
FIDES.
Ja, mein Sohn!
JOHANN.
Diesen Namen –
FIDES.
Den süßen Namen –
JOHANN.
Giebst du mir?
FIDES.
Das Mutterherz –
JOHANN.
Giebst du mir wieder?
FIDES.
Giebt ihn dir wieder!
JOHANN.
Und für ewig –
FIDES.
Ja, für ewig!
JOHANN.
Meine Frevel?
FIDES.
Sie sind gesühnt!
JOHANN.
Die Vergebung?
FIDES.
Sendet Gott!
Er wird barmherzig sein!
JOHANN.
So kann der Himmel mir verzeihn?
FIDES.
Mein Sohn!
Sie streckt ihm aufs neue die Arme entgegen.
JOHANN wirft sich stürmisch an ihre Brust.
O Mutter!
FIDES.
Mein Sohn!
JOHANN.
O Mutter!
FIDES begeistert.
Ha! Noch ist es Zeit, o hör der Mutter Flehen,
Gott selber ruft aus seinen Höhn:
Der Reue wird vergeben,
Ja, seine Hand wird dich vom Staub erheben!
Ja, noch ist’s Zeit, ja, noch ist’s Zeit!
Du wirst dich neu erheben!
Der Reue wird vergeben!
Auf, fasse Mut, auf, fasse Mut!
Vom Staub erhebt dich neu des Himmels Hand!
Fasse Mut, fasse Mut! Gottes Hand,
Sie erhebt dich vom Staub,
Neu erhebt, ja, neu erhebt dich seine Hand!
JOHANN.
Ja, noch ist’s Zeit, ja, noch ist’s Zeit!
Ich will mich neu erheben!
Der Reue wird vergeben!
Ich fasse Mut, ich fasse Mut!
Vom Staub erhebt mich neu des Himmels Hand!
Mich durchflammt neuer Mut! Gottes Hand,
Sie erhebt mich vom Staub,
Neu erhebt, ja, neu erhebt mich seine Hand!
Beide sinken sich wiederholt in die Arme und halten sich zärtlich umfaßt; dann gehen sie unter innigen Liebkosungen bis zur Steintreppe rechts Mitte, wobei sie die Stellung wechseln.
Johann gelangt dabei auf die rechte Seite.
Bertha weißgekleidet, eine Fackel in der Hand, öffnet langsam die eiserne Thür links und tritt ein.
Es wird ein wenig heller.
Siebenter Auftritt.
Johann und Fides rechts hinten. Bertha links vorn. Bertha steckt ihre Fackel in den Fackelhalter über der Steinbank links; dann tastet sie hinten der Mauer entlang nach rechts zu.
Johann nimmt, sowie er Bertha erblickt, schnell seinen braunen Mantel, den er beim Eintritt abwarf, wieder um, hüllt sich hinein und tritt einige Schritte nach rechts vor.
Nr. 29. Scene und Terzett.
BERTHA.
Hier ist’s, dies ist der Ort.
Weiter tastend.
Dieser Stein deckt die Pforte.
JOHANN.
O Gott!
FIDES auf sie zugehend.
Bertha!
BERTHA.
Ha, du!
FIDES.
Was führet dich hierher?
Sie tritt mit Bertha vor.
BERTHA.
Durch meinen Ohm, der Wächter
In diesem Schlosse war,
Weiß ich, daß verborgen in diesen Gewölben
In Massen Pulver liegt!
Auf ihre Fackel zeigend.
Ein einziger Funke in die Gruft hier hinab,
Und das Schloß steht in Flammen,
Begeistert.
Dieser Prophet, seine Schar
Und ich selbst, ja, ich selbst vor ihnen noch!
FIDES.
Welch ein Wort!
Auf Johann zueilend.
Großer Gott! Mein Sohn!
BERTHA stößt einen Freudenschrei aus, nähert sich, die Mitte nehmend, Johann, der noch betroffen dasteht.
Gott, ist es wahr? Du, Geliebter, bist’s?
Du bist’s! bist wieder mein?
FIDES.
O sprich leise – leise sprich!
Terzett.
BERTHA.
Welche Thränen hab ich vergossen!
O mein Geliebter, sie sind nur dir geflossen!
Sie tritt zwei Schritte vor.
Johann tritt mehr nach hinten, um Bertha seine Unruhe zu verbergen.
BERTHA.
Denn deinen Tod hab ich geglaubt
Von des Propheten blut’gen Händen,
Dem Fluch Himmel und Erde senden,
Auf sein der –
FIDES bedeutet Bertha, leise zu sprechen, da sie belauscht werden könnten.
O Bertha!
BERTHA.
Hölle verfallenes Haupt!
Sie geht zur Steintreppe rechts Mitte, um sich zu vergewissern, daß niemand horcht.
FIDES für sich.
Weh, welch ein Wort!
JOHANN benutzt diesen Augenblick, um zu seiner Mutter zu eilen; leise, mit bittender Stimme.
Mutter, o Mutter, hörst du, was sie spricht?
Erbarmen! Erbarmen, Mutter, verrate mich nicht!
Er geht an ihr vorüber nach links.
Bertha tritt vor, Fides zur Rechten.
FIDES zu Bertha.
Jetzt mußt du Milde üben.
Auf Johann zeigend.
Mein Sohn ist wieder mein,
Nichts kann ich mehr als lieben.
Sie erfaßt Berthas Hand und eilt mit ihr zur eisernen Thür links.
O komm, hinweg!
BERTHA.
Ja, hinweg!
ALLE DREI.
Fern zu dem Frieden ländlicher Fluren lasset uns ziehn!
Dort kann allein hinieden einzig uns Seligkeit blühn!
Auf, dorthin laßt uns fliehn, dort wird uns Frieden blühn!
Dort wird uns Frieden blühn, ja, dahin laßt uns fliehn!
Johann will sich schnell mit den Frauen entfernen.
Ein Kriegshauptmann, ein Soldat mit einer Fackel, zwei Soldaten als Begleiter kommen über die Steintreppe rechts Mitte.
Achter Auftritt.
Der Kriegshauptmann mit den Soldaten an der Steintreppe rechts Mitte. Bertha, Fides und Johann an der eisernen Thür links.
Johann tritt zwischen den Kriegshauptmann und die Frauen.
KRIEGSHAUPTMANN eilend.
Dir droht Verrat!
Es drang der Feinde Macht
Durch List in das Schloß!
JOHANN.
Wie? Der Feind!
KRIEGSHAUPTMANN.
Ermorden will man dich
Heut am Fest deiner Krönung.
Zerschmettre sie, o Herr,
Mit dem Blitz des Propheten!
Johann wirft, als er sich erkannt sieht, den Mantel ab.
Ein Soldat nimmt ihn auf.
Der Kriegshauptmann eilt ab, woher er kam.
Neunter Auftritt.
Johann rechts. Bertha in der Mitte. Fides links. Die drei Soldaten zurückstehend.
BERTHA bei der plötzlichen Entdeckung entsetzt aufschreiend.
Prophet? Du!
Johann bedeckt bei Berthas Schrecken sein Gesicht mit den Händen.
BERTHA.
Prophet? Du!
Pause.
JOHANN tritt, eine Beute seines Schmerzes, demütig und mit flehender Stimme Bertha näher.
Gnade!
BERTHA mit erstickter Stimme.
Nein!
FIDES flehend.
Gnade!
BERTHA gesteigert.
Nein!
JOHANN knieend flehend.
Gnade!
BERTHA stößt ihn mit Abscheu zurück.
Nein! fort! fort! –
Ha, Gestalt voll Graun und Entsetzen,
Der Abgrund verschlinge dich!
Mit deinen Frevlerhänden
Niemals berühre mich!
Fort! Hinweg! Fort! Hinweg! Fort!
Sie geht mit einer abwehrenden Gebärde an Johann vorüber nach rechts.
Ein Schwert nur war dein Scepter,
Ein Frevel jegliche That,
Und das Blut, das du vergossen,
Scheidet ewig unsern Pfad!
Ja, es trennt, trennt auf ewig!
Ja, dies Blut, es scheidet ewig uns!
FIDES.
O mein Sohn, laß jetzt uns fliehn!
JOHANN.
Nein, jetzt flieh ich nicht!
Der Tod, ja, der Tod ist mir Pflicht!
Bertha kennt mein Verbrechen,
Was soll ich länger leben?
Klagend.
Ihr Mund sprach meinen Fluch!
Gott! Gott muß sie hören, rächen!
O Qualen, o Qualen, voll Entsetzen!
BERTHA.
Hinweg!
FIDES.
O Qual!
JOHANN.
Des Abgrunds Nacht verschlinge mich!
BERTHA.
Hinweg!
FIDES.
O Qual!
JOHANN.
Vor meinen Frevlerhänden
Entsetzt sie grauend sich.
Gott, welche Qual! Weh mir!
BERTHA.
Nicht berühre mich! Hinweg! Weh dir!
FIDES.
Erbarme dich! O Gott! Weh uns!
BERTHA.
Ein Schwert nur war dein Scepter,
Ein Frevel jegliche That!
ALLE DREI.
Und das Blut, das du / ich / er vergossen,
Trennt auf ewig unsern / ihren Pfad!
Ja, es scheidet unsern / ihren Pfad!
Ja, es trennt ewig uns!
Ja, dies Blut, es scheidet ewig uns!
Johann eilt flehend auf Bertha zu.
BERTHA nimmt, Johann zurückweisend, die Mitte.
Ich liebte dich – dich, dem ich fluche!
Vielleicht lieb ich dich heute noch.
Sie eilt nach der eisernen Thür links, die sie aufstößt.
Fides sucht sie auf deren Schwelle zurückzuhalten.
Johann will Bertha folgen.
BERTHA befiehlt Johann mit energischer Gebärde, stehen zu bleiben.
Dafür – straf ich mich!
Sie zieht einen Dolch, ersticht sich dicht an der eisernen Thür und sinkt Fides leblos in die Arme.
JOHANN UND FIDES entsetzt.
Weh!
JOHANN eilt bewegt hinzu.
Bertha! Bertha!
Plötzlich wie von einer Idee erfaßt, kalt und entschlossen zu den im Hintergrund stehenden Soldaten.
Beschirmt meine Mutter! Ich, ich bleibe hier,
Um die Schuldigen zu strafen!
Die Soldaten gehorchen und entfernen die beiden Frauen durch die eiserne Thür links.
Man hört die Thür schließen.
FIDES schon außerhalb.
Mein Sohn! Mein Sohn! Mein Sohn! Mein Sohn!
Zehnter Auftritt.
Johann allein.
JOHANN überzeugt sich, ob die Abgehenden weit genug entfernt sind, dann ergreift er mit der Rechten von der steinernen Bank links seine Krone; entschlossen.
Und jetzt, ihr Frevler!
Ihr, die ihr mich verderbt,
Jetzt ereilet die Rache euch!
Er steigt die Stufen der Steintreppe rechts Mitte hinauf und verschwindet.
Verwandlung.
Nr. 30. Finale.
Bacchanale.
Der Vorhang hebt sich nach dem ersten Takte.
Große Bogenhalle im Schlosse zu Münster.
Elfter Auftritt.
Johann. Die drei Kurfürsten. Die drei Großwürdenträger. Ritter. Edelherren und Frauen. Gäste aus dem Krönungszug und aus dem Volke. Tänzerinnen. Junge Mädchen. Offiziere. Kriegshauptleute. Hellebardiere. Soldaten. Pagen. Diener.
Johann sitzt bleich und düster auf dem goldenen Sessel hinter der Hauptfesttafel. – Die übrigen Gäste schwelgen an den sonstigen Festtafeln. – Soldaten stehen in einer langen Doppelreihe hinter den offenen Gittereingängen. – Hellebardiere ebenso, rechts und links von der Estrade nach hinten. – Junge schöne Mädchen umgeben den Propheten; liegen und sitzen anmutig auf den Stufen der Estrade. – Tänzerinnen tanzen mit dem Eintritt des Chors im Vordergrunde und umtanzen die Estrade. – Pagen kommen und gehen, bringen Speisen in goldenen Schüsseln, Weinkrüge etc. – Pagen und Diener bedienen an den Tischen etc.
CHOR.
Frisch auf! – Preiset! – Preiset!
Preist den Propheten! Preist ihn! Preist ihn!
Preist ihn, preist ihn aus voller Brust!
Und ihr, ihr Auserwählten, schwelget in Lust!
Ja, schwelgt, ja, schwelget, ja, schwelget in Lust!
Preiset ihn! auf, preist ihn! auf, preist ihn! auf, preist ihn!
Ihr, seine Auserwählten, schwelgt in voller Lust!
Zwei Kriegshauptleute nähern sich von rechts hinten bedeutsam und unauffällig der Estrade. – Johann bemerkt sie und tritt herunter. – Die Nächststehenden fallen vor Johann in die Knie.
CHOR.
Preist ihn! preist ihn! preist den Propheten!
Der Tanz hört auf.
JOHANN leise zu den zwei Kriegshauptleuten zu seiner Rechten.
Wenn die Verräter hier versammelt sind,
Schließt die Eisengitter fest, die jeden Rückweg sperren
Aus diesem Schloß, dessen Grund der Vulkan unterhöhlt!
Er reicht ihnen die Hand.
Ihr fliehet dann in Eil aus diesem Ort des Fluchs,
Ihr, ihr letzten, meine einz’gen Freunde!
Die zwei Kriegshauptleute drücken Johanns Hand und entfernen sich nach rechts hinten.
Zwölfter Auftritt.
Die Vorigen ohne die beiden Kriegshauptleute.
Johann wendet sich mit lächelndem Gesicht zur Gesellschaft zurück. – Die Knieenden erheben sich. – Johann winkt den jungen Mädchen, ihm die gefüllte Trinkschale zu reichen. – Ein junges Mädchen reicht sie knieend. – Eine Andere beeilt sich, sie zu füllen. – Die Pagen füllen überall die Trinkgefäße.
Tanz und Pantomime beginnen. – Einundzwanzig Takte. – Tanz und Pantomime enden.
Trinklied.
JOHANN kräftig, mit wilder Freude.
Auf, seht, der Becher winket!
Schenkt froh euch ein und trinket,
Bis ihr in Taumel sinket
Durch Weines goldne Glut!
Freude herrsche hier beim Feste,
Es verherrlicht meinen Thron,
Ihr, Gefährten mir und Gäste,
Es harret eurer voller Lohn!
Herbei! schenkt ein! Herbei! schenkt ein! schenkt ein!
Auf, seht, der Becher winket!
Schenkt froh euch ein und trinket,
Bis ihr hin in süßen Taumel sinket
Durch goldnen Weines Glut!
Er steigt die Stufen zur Estrade hinauf und steht während des Chores und Tanzes links oben. – Tanz und Pantomime beginnen wieder.
CHOR.
Laßt die Becher klingen dem Propheten!
Der Prophet, er lebe! lebe!
Johann läßt sich die Trinkschale füllen zur zweiten Strophe. – Mathisen, Jonas und Zacharias die den Propheten verraten haben, sind von rechts hinten dem Propheten zur Rechten herangetreten und lassen sich von den jungen Mädchen gefüllte Becher reichen. – Acht Offiziere kommen gleichzeitig von links hinten und schließen die linke Seite ab. – Junge Mädchen bieten ihnen Wein aus goldenen Pokalen. – Graf Oberthal dringt an der Spitze kaiserlicher Soldaten durch die noch offenen Gitter in die Halle.
Dreizehnter Auftritt.
Die Vorigen. Mathisen. Jonas. Zacharias. Oberthal. Kaiserliche Soldaten. Dann Fides.
JOHANN hebt die Trinkschale.
Auf, seht! der Becher winket!
Schenkt froh euch ein und trinket,
Bis ihr in Taumel sinket –
Oberthal dringt mit seinen Soldaten bis rechts von der Estrade vor. Allgemeiner Aufschrei, Verwirrung und Durcheinander. Die Tanzgruppierungen hören auf. Alle springen auf. Die Verschworenen stürzen mit erhobenen Schwertern auf Johann zu.
CHOR.
Ermordet, ermordet den falschen Propheten!
JOHANN fest und herrisch.
Mit den eisernen Pforten schließt unerbittlich
Sich über euch das Grab.
Alle Übrigen wollen nach hinten entfliehen. – Die Soldaten hinten schließen mit Geräusch die Gitter im Hintergrunde, so daß niemand entfliehen kann. – Die jungen Mädchen flüchten sich in die äußersten Ecken und stehen dicht gedrängt beisammen; Angst und Schrecken auf den Gesichtern, in Ohnmachten und Verzweiflung.
JONAS zu Johann.
Dich ereilt jetzt der Tod!
JOHANN.
Gott allein fügt mein Los!
OBERTHAL.
Du bist in meiner Macht!
JOHANN.
In meiner Hand seid ihr!
Unterirdischer Lärm, Rauch dringt durch den Boden. Große Explosion, das Gebäude bricht zusammen – Sturmgeläute.
JOHANN zu Jonas.
Verräter!
Zu Oberthal.
Ihr Tyrannen,
Ihr fallt jetzt mit mir!
Gott fällte euren Spruch,
Und ich vollziehe ihn! Alle schuldig, sind alle bestraft!
Fides bricht sich mit aufgelöstem Haar und blutendem Körper Bahn durch die Trümmer und wirft sich in Johanns Arme.
JOHANN schreit laut auf und umschlingt sie leidenschaftlich.
Meine Mutter!
FIDES.
Ich, ich habe dir verziehn,
Laß mich sterben mit dir!
FIDES UND JOHANN.
Heil uns! Nun fliehn zusammen,
Verklärt in diesen Flammen,
Zum Licht, dem sie entstammen,
Unsere Seelen hinan!
CHOR in Verwirrung.
Schon stürzt das Haus zusammen,
Der Wirbelsturm der Flammen
Reißt uns in den Höllenschlund!
FIDES UND JOHANN.
Heil uns! Nun fliehn zusammen,
Verklärt in diesen Flammen,
Zum Licht die Seelen himmelan! Zum Licht!
CHOR.
Ha, es stürzt das Haus zusammen,
Uns verschlingt der Hölle Schlund!
Die Estrade, auf der Fides und Johann, sich umfaßt haltend stehen, bricht in Flammen zusammen; alles geht in Feuer auf; die Stadt Münster erscheint grell erleuchtet im Hintergrunde, durch Rauch und Glut sichtbar.
Ende