Peter Cornelius

Der Barbier von Bagdad

Komische Oper in zwei Aufzügen

Libretto von Peter Cornelius

Uraufführung: 15.12.1858, Großherzogliches Hofheater, Weimar

Personen

Der Kalif (Bariton)
Baba Mustapha, ein Kadi (Lyrischer Tenor)
Margiana, dessen Tochter (Hoher Sopran)
Bostana, eine Verwandte des Kadi (Mezzosopran)
Nureddin (Heldentenor)
Abul Hassan Ali Ebn Bekar, Barbier (Baß)
Drei Muezzin (1 Baß, 2 Tenöre)
Vier Bewaffnete des Kalifen (2 Ten., 2 Bässe)
Stimme eines Sklaven (Tenor)
Diener Nureddins. Freunde des Kadi. Bewohner von Bagdad. Klagefrauen. Gefolge des Kalifen

Ort der Handlung: Bagdad, der erste Aufzug im Hause Nureddins, der zweite Aufzug im Hause des Kadi.

Erster Aufzug

Ein Zimmer in Nureddins Hause

Rechts und links Seitentüren. Rechts ein Ruhebett, zu dessen Seiten ein Tisch mit Medizinflaschen. Links ein zweiter Tisch nebst Stuhl. Es ist Morgendämmerung und wird während der ersten Szene allmählich Tag. Nureddin ruht auf dem Bett, seine Diener umgeben ihn mit Mienen voll Niedergeschlagenheit als einen Sterbenden.

Erster Auftritt

Nureddin. Diener Nureddins.

DIENER NUREDDINS.
Sanfter Schlummer
Wiegt ihn ein,
Lindert milde
Jede Pein.
Leise drum!
Still und stumm!
Weinet nicht!
Weckt ihn nicht!
Bald, ach bald verglimmt sein Lebenslicht.
Weinet nicht!
Weckt ihn nicht!
NUREDDIN träumend.
Margiana!
CHOR DER DIENER.
Horch, er spricht!
NUREDDIN zart gesteigert.
Margiana!
CHOR DER DIENER.
Weckt ihn nicht!
NUREDDIN.
Margiana!
CHOR DER DIENER.
Ihn umschwebt ein Traumgesicht.
NUREDDIN.
Komm, deine Blumen zu begießen, o Margiana!
Laß deines Blickes mich genießen, o Margiana!
Bleib‘ ewig mir verschlossen Edens Tor,
Will sich dein Herz nur mir erschließen, o Margiana!
CHOR DER DIENER.
O hört ihn reden
Vom Garten Eden!
Ach! bald, ach!
Bald hat er ausgelitten,
Bald hat sein Fuß beschritten
Die Brücke des Gerichts.
In Strömen ew'gen Lichts,
In Paradieses Mitten
Ruht er beglückt.
Granaten pflückt
Und Datteln seine Hand
Im wonnigen Land;
An der Glückseligen Baum,
Am moschusduftenden Saum
Von Edenflüssen
Wiegt ihn mit Küssen
Der Huri Mund
In ewigen Liebestraum.
Dort ahnt er kaum,
Versenkt in Entzücken und Freuen,
Die Tränen seiner Getreuen.
NUREDDIN.
Komm‘, deine Blumen zu begießen, o Margiana!
Laß deines Blickes mich genießen, o Margiana!
Margiana! Margiana! Margiana!
CHOR.
In Strahlen ew'gen Lichts,
In Paradieses Mitten
Ruht er beglückt.
Granaten pflückt
Und Datteln seine Hand
Im wonnigen Land.
An der Glücksel'gen Baum,
Am moschusduftenden Saum
Von Edenflüssen
Wiegt ihn mit Küssen
Der Huri Mund
In seligen Traum.
Weckt ihn nicht, still!
Weckt ihn nicht!
Bald verglimmt sein Lebenslicht.

Der Chor zieht sich während der letzten Worte leise zurück.

Zweiter Auftritt

Nureddin allein.

NUREDDIN fährt vom Lager empor, erhebt sich und tritt in den Vordergrund.
So leb‘ ich noch?
So hat noch nicht
Der Liebe Feuer mich zerstört?
Margiana, der mein Herz gehört,
Margiana, meiner Seele Licht,
Muß ich vergehn in meiner Pein?
Kein Arzt kann Hilfe mir verleihn,
Umsonst erprobt ward alle Kunst;
Mich rettet einzig Liebesgunst.

Bostana kennet meinen Schmerz;
Sie sprach: »Noch blüht vielleicht dein Glück!
Erforschen will ich bald ihr Herz,
Und Kunde bring‘ ich dir zurück.«

Erscheinen will sie heute hier.
Tod oder Leben bringt sie mir.

Vor deinem Fenster die Blumen
Versengte der Sonne Strahl,
Du tränktest aus goldener Schale
Die Schmachtenden allzumal.
Doch als du die Blumen tränktest,
Ergriff mich heißglühende Pein,
Für die keinen Tau du mir schenktest
Der tauenden Lippen dein.
Nun prangen die Blumen und blühen,
Doch hoffnungslos muß ich erglühen,
Verwelken stumm und allein.

Und ist denn mein Herz keine Blume,
Und schmachtet es nicht nach dir?

O hege die Blume am Herzen,
Sie sei deine schönste Zier.
Von deinen Blicken getroffen
Im Innersten liebeswund –
Genesung kann es nur hoffen
Durch Labe von deinem Mund.
O laß es nicht welkend verderben,
O laß es nicht sinken und sterben,
O mache mein Herz gesund!

Er geht zum Tisch, setzt sich nieder und stützt den Kopf in die Hand, bis Bostana ihn anredet.

Bostana tritt durch die Seitentür links ein, alt aussehend und in etwas groteskem Kostüm.

Dritter Auftritt

Bostana. Nureddin.

BOSTANA im Ausdruck bald salbungsvoll, bald geschwätzig.
Sei Allahs Frieden über dir, mein Sohn.
Sei Allahs Frieden, Allahs Frieden
Über dir, mein Sohn! –
Und denke an ein gut Geschenk für mich,
Ich komme eben von Margiana her.
NUREDDIN.
Kommst du, ein Dämon, von dem Berge Kâf
Und führst du mich zum Garten des Entzückens?
Wie, oder harret mein der Qualen Abgrund,
Wo mir daß Hirn von ew'gem Feuer siedet?
BOSTANA.
Beruh'ge dich, daß Wonne dich nicht töte,
Und denke an ein gut Geschenk für mich.
Ich bringe gute Botschaft.
NUREDDIN.
Gute Botschaft!
So bist die Taube du, die nach der Sturmflut
Herniederfliegt zur Arche meines Herzens,
In dem des Grames Riesenschlange zischt,
Darin Verzweiflung wie ein Schakal wimmert
Und wilde Eifersucht, ein Tiger, heult
Und, ach, die Nachtigall der Sehnsucht flötet.
BOSTANA.
So höre denn: Margiana will dich heilen,
Dich laben, ihren Lieblingsblumen gleich.
NUREDDIN.
O sprich! Darf ich sie sehn?
BOSTANA.
Heute noch!
Nun merke wohl auf alles, was ich sage,
Daß richtig du zum Stelldichein erscheinst.
BOSTANA UND NUREDDIN letzterer Bostanas Worte wiederholend.
Wenn zum Gebet
Vom Minaret
Um Mittag ladet der Muezzin Rufen,
Der Kadi dann,
Ein frommer Mann,
Herniedersteiget seines Hauses Stufen,
Daß zur Moschee
Er eilig geh‘,
Erfüllend streng die Lehre des Propheten,
Dann sei bereit,
Ich bin bereit,
Das ist die Zeit,
Margianens Zimmer sicher zu betreten.
Harre auf mich,
Ich harr‘ auf dich,
Ich leite dich,
Du leitest mich,
An ihren Blicken darfst du dann dich / darf ich dann mich sonnen
Von aller Pein
Dich / Mich zu befrein,
Wird süße Liebe dir gewähren / spenden hohe Wonnen!
NUREDDIN.
O fort! Zu ihren Füßen mich zu stürzen.
Bostana, komm, es muß schon Mittag sein.
BOSTANA.
Wo denkst du hin, es ist noch früh am Tag,
Und du kannst doch nicht so vor ihr erscheinen,
Die schwere Krankheit hat dich ganz entstellt,
Du hast noch Zeit, ein stärkend Bad zu nehmen.
NUREDDIN.
Nein! Versäumen könnt‘ ich sonst die Stunde …
Weißt du vielleicht, wo ein Barbier zu finden?
BOSTANA.
O ja, ich habe einen alten Freund,
Ein Heros jeder Wissenschaft und Kunst
Und im Barbieren auch ein Virtuos,
Den Abul Hassan Ali Ebn Bekar.
NUREDDIN.
Wie? Abul Hassan Ali Ebn Bekar? …
So sende eilig ihn hierher zu mir
Und harre pünktlich um die rechte Stunde.
BOSTANA.
So hast du alles richtig auch verstanden?
NUREDDIN.
O, jedes Wort ist mir ins Herz geprägt!
NUREDDIN UND BOSTANA die jetzt wiederholt.
Wenn zum Gebet
Vom Minaret
Um Mittag ladet der Muezzin Rufen,
Der Kadi dann,
Ein frommer Mann,
Herniedersteiget seines Hauses Stufen,
Daß zur Moschee
Er eilig geh‘,
Erfüllend streng die Lehre des Propheten.
Ich bin bereit,
Du bist bereit,
Das ist die Zeit,
Margianens Zimmer sicher zu betreten.
Ich harr‘ auf dich,
Harre auf mich,
Ich leite dich.
Du leitest mich.
BOSTANA.
Tönet Muezzinruf, halte dich nah,
Denn die Stunde der Wonn‘ ist da.
NUREDDIN.
Tönet Muezzinruf, bin ich schon da,
Wenn die Stunde der Wonne nah!

Begleitet Bostana bis zur Tür und verabschiedet sie; lebhaftes Gebärdenspiel von beiden Seiten.

BOSTANA steckt den Kopf nochmals zur Tür herein.
Und denk‘ auch an ein gut Geschenk für mich!
NUREDDIN macht mit enthusiastisch abfertigender Bewegung der Tür hinter ihr wieder zu, reißt sie aber sogleich wieder auf und ruft ihr nach.
Vergiß den Barbier nicht!

Vierter Auftritt

Nureddin allein.

NUREDDIN in leidenschaftlicher Bewegung mit entzückten Gebärden auf und ab schreitend.
Ach, das Leid hab‘ ich getragen,
Wie ertrag‘ ich nun sein Glück?
Liebe, nimm dein Wort zurück,
Sieh mich beben, sieh mich zagen!
Laß mir all die sel'ge Trauer,
All den tödlich süßen Schmerz:
Der Erfüllung Wonneschauer
Überwältigt mir das Herz!

Doch dies ist ja nur ein Träumen,
Schon der Welt bin ich entflohn,
Pflücke ird'schen Leides Lohn
Dort in Paradieses Räumen.
Tragen muß ich Himmelswonnen
Wie der Erde Leid und Schmerz:
Leuchtet hell ihr Glückessonnen,
Überwältigt mir das Herz!

Er bleibt zu Ende des Gesanges in verzückter Stellung im Vordergrunde stehen.

Abul tritt ein; in orientalischer Barbiertracht, ein buntes Damasttuch hängt ihm vom Gürtel hernieder, auf der ändern Seite ein metallnes Becken und ein kleiner Handspiegel, sowie ein Astrolabium. Er trägt einen kleinen Kasten mit Utensilien unter dem Arm. Aussehen: steinalt, sehr bleich, fast gelb, langer, weißer Bart.

Fünfter Auftritt

Nureddin. Abul Hassan Ali Ebn Bekar.

ABUL verbeugt sich.
NUREDDIN kehrt ihm noch den Rücken.
ABUL verbeugt sich wieder und räuspert sich laut.
NUREDDIN bemerkt ihn immer noch nicht.
ABUL nähert sich Nureddin und klopft ihn auf die Schulter; als dieser sich umwendet und ihn bemerkt, macht Abul nochmals eine tiefe Verbeugung.

Nureddin erwidert mit Kopfnicken seinen Gruß und gibt ihm einen Wink, sein Werk zu beginnen.

ABUL.
Mein Sohn, sei Allahs Frieden hier
Auf Erden stets beschieden dir.
Heil dir, du Krankgewesener,
Du glücklich Neugenesener,
Du Übelüberwindender,
Dich wieder Wohlbefindender,
Dem Tode froh Entschlüpfender,
Durchs Leben rüstig Hüpfender,
Du jüngst noch Heiltrank Schlürfender,
Nun meiner Kunst Bedürfender,
Schwer unter Haarlast Ächzender,
Nach meinem Messer Lechzender!

Setzt sich nieder.

Ich komm‘ in aller Eiligkeit
Und wünsche dir Gedeihlichkeit,
Gesundheit, Glück und Überfluß
Und langer Jahre Hochgenuß,
Dir blühe stets –
NUREDDIN.
Ich danke dir! Nur sei recht eilig!
Mich ruft ein dringendes Geschäft. Mach‘ schnell!
ABUL.
Ich habe dir dein Horoskop gestellt;
Vernimm durch mich den Spruch der Sternenwelt:
Du hast gewählt die beste Zeit auf Erden,
Die man nur wählen kann, rasiert zu werden.

Er zeigt Nureddin das Horoskop.

Nureddin macht eine abwehrende Handbewegung.

Dies Spiel wiederholt sich noch zweimal.

Abul verfolgt Nureddin damit.

Nureddin wird ungeduldig und weist ihn gebieterisch ab.

ABUL zuckt die Achseln.
Mars und Merkur
Schauen auf dich,
Wag‘ es drum nur,
Baue auf mich;
Doch droht Gefahr
Von goldner Schar!
Sei auf der Hut
Vor Sonnenglut!
Wenn Venus lacht,
Nimm dich in acht!
Geh‘ nicht hinaus!
Bleib‘ fein zu Haus!
NUREDDIN.
Was kümmern die Sterne dich nur?
Mach schnell!
Danach frage ich nicht,
Beginne sogleich deine Schur, Gesell!
Eilig tu‘ deine Pflicht.
Fasle nicht weiter von der Sterne Schar,
Was du da schwatzest, ist ja doch nicht wahr.
Lasse das! Dämme deiner Worte hohe Flut,
Zu vieles Reden ist nicht gut.
Nicht so lang bedacht,
Schnell voran gemacht,
Eilig packe aus,
Sonst werf‘ ich dich zur Tür hinaus!
Sogleich ans Werk, sonst geh hinaus!
ABUL.
Im Hause alles magst du heute wagen,
Doch bleib‘ zu Haus, sonst geht dir's an den Kragen.
NUREDDIN.
Nicht will ich Rat von dir und Prophezeiung
Dein Werk vollende schnell und weiter nichts.
Drum kein Geschwätz – sonst ruf‘ ich einen andern.

Für sich.

Margiana, o Margiana, du mein Alles!
ABUL.
O wüßtest du, Verehrter,
Was ich für ein Gelehrter,
Du wärst erstaunt darob
Und sprächest nicht so grob.
So höre denn, du Tröpfchen,
Du ungeschornes Köpfchen,
Was ich für ein Barbier,
Und freue dich mit mir.

Bin Akademiker
Doktor und Chemiker,
Bin Mathematiker
Und Arithmetiker,
Bin auch Grammatiker,
Sowie Ästhetiker,
Ferner Rhetoriker,
Großer Historiker,
Astrolog, Philolog,
Physiker, Geolog,
Geograph, Korograph,
Topograph, Kosmograph,
Linguist und Jurist
Und Tourist und Purist.

Maler und Plastiker,
Fechter, Gymnastiker.
NUREDDIN.
Margiana, o Margiana, du mein Alles!
ABUL.
Tänzer und Mimiker,
Dichter und Musiker,
Großer Dramatiker,
Epigrammatiker,
Scharfer Satiriker,
Epiker, Lyriker,
Dabei ein Sokrates
Und Aristoteles.
Bin Dialektiker,
Sophist, Eklektiker,
Zyniker, Ethiker,
Peripathetiker.
Bin ein athletisches,
Tief theoretisches,
Musterhaft praktisches,
Autodidaktisches
Gesamtgenie,
Ja, ein Gesamtgenie!
NUREDDIN mit Humor.
Nun sag‘ einmal, du unverschämter Schwätzer,
Wann endest du? Und wann beginnest du?
ABUL.
O wie du mich verkennest,
Daß du mich Schwätzer nennest!
Ja, meine Brüder selig,
Die schwatzten unausstehlich.
Unausstehlich!
Bakbak, der Einäugige,
Bakbarah, der Dickbäuchige,
Alkuz, der Vielbräuchige,
Alnaschar, der Weinschläuchige,
Bukbuk, der Spatzenscheuchige,
Schakkabak, der Hustenkeuchige;
Doch ich, der jüngste der Familie,
Bin still und unschuldvoll wie eine Lilie.
NUREDDIN geht außer sich vor Ungeduld erst einige Schritte durch das Zimmer, dann faßt er einen Entschluß, geht zur Tür, reißt sie auf und ruft seinen Dienern.
He! Ali, Sadi, Abbas, Achmet,
Zofar, Omar, Dschafar, Jezid,
Salem, Hussein, Mustein, Kajem,
Riza, Jusuff, Motawackel!
Werft ihn hinaus!

Die Diener treten schon auf den ersten Ruf einzeln nacheinander ein, sind also bei den Worten »Werft ihn hinaus« schon alle auf der Szene. Es ist wünschenswert, daß der zuletzt erscheinende Motawackel eine besonders auffällige Figur sei. Entweder sehr kolossal und dick, einen guten halben Kopf höher als die übrigen, oder, im Fall eine solche Persönlichkeit fehlt, ein sehr kleiner Knabe, der als Zwerg ausstaffiert wird, eine Art Ausläufer, Lakai.

Sechster Auftritt

Nureddin. Abul. Nureddins Diener.

CHOR DER DIENER.
Hinaus! Hinaus! Hinaus!
Aus Hof und Haus!
Du Schelm, du Wicht,
Du Galgengesicht!
Du Narr, du Schwätzer,
Du Messerwetzer,
Du Beckenträger,
Du Haarabsäger!
Hinaus! Hinaus! Hinaus!
Aus Hof und Haus.
Du Hungerleider!
Du Pflasterschneider!
Du Pulverreiber!
Du Giftverschreiber!
Hinaus! Hinaus! Hinaus!
Aus Hof und Haus!
Du Haarseilwinder,
Du Leuteschinder,
Du Gurgelschwenker,
Du Armverrenker!
Hinaus! Hinaus!
Du Salbenwischer,
Du Pillenmischer,
Du Wundenstecher,
Du Beinzerbrecher!
Hinaus! Hinaus! Hinaus!
Du Pulsbefasser,
Du Aderlasser,
Lanzettenritter
Und Leichenbitter!
Hinaus! Hinaus! Hinaus!
Du Zähneauszwacker,
Du Placker, du Racker,
Du Sternbegucker,
Du Schlucker, du Mucker!
Hinaus! Hinaus!
Aus Hof und Haus!
Hinaus! Hinaus!

Während des Nachspiels drängen die Diener den Barbier in den Hintergrund bis an die Tür, dort macht er sich aber los, eilt in den Vordergrund, zieht ein Barbiermesser hervor und schwingt es drohend.

ABUL.
Wehe! Wehe! Wehe!
Wie bin ich empört,
Zertreten, zerstört,
Beschimpft unerhört!
CHOR DER DIENER.
Hast du nicht gehört?!
ABUL.
Verwünscht! Verrucht!
Verdammt! Verflucht!
Hab‘ ich dich gesucht?
CHOR DER DIENER.
Ergreife die Flucht!
ABUL.
Du wolltest mich schier,
Du sandtest nach mir,
So bin ich nun hier!
CHOR DER DIENER.
Was willst du noch hier?
ABUL.
Du aber vernimm
Des Gütigen Stimm‘.
Nicht reize den Grimm
Des Abul Hassan Ali Ebn Bekar!
CHOR DER DIENER.
Nun geht es dir schlimm!
ABUL.
Auf Muselmanns Wort.
Nicht wehren den Ort
Die Elenden dort!
CHOR DER DIENER.
Nun packe dich fort!
ABUL.
Und zittert die Welt
Und wankt und fällt
Und bricht und zerschellt –
CHOR DER DIENER.
Nun räume das Feld!
ABUL.
Du hast keine Wahl,
Es glättet mein Stahl
Den Kopf dir kahl!
CHOR DER DIENER.
Hinaus aus dem Saal!
ABUL.
Drum Ali, Sadi, Abbas, Achmet,
Zofar, Omar, Dschafar, Jezid,
Salem, Hussein, Mustein, Kajem,
Riza, Jusuff, Motawackel!
Packt euch hinaus!

Nureddin gibt den Dienern einen Wink, sich zu entfernen Sobald Abul sieht, daß er gewonnenes Spiel hat, behandelt er die Diener als Sieger und trägt mehreres zu ihrer Hinausbeförderung bei. Besonders läßt er Motawackel seinen Zorn fühlen.

Siebenter Auftritt

Nureddin. Abul.

NUREDDIN beiseite.
Ich seh‘, durch Strenge werd‘ ich ihn nicht los,
Versuch‘ ich denn, durch Schmeicheln ihn zu kirren.

Zu Abul.

Erhabner Freund, du Krone der Barbiere,
Du Bruder Bakbaks, Bukbuks, Bakbarahs
Und Alkuz‘, Alnaschars und Schakkabaks,
Du Alleswisser und du Alleskönner,
Mich ruft ein dringendes Geschäft von hinnen;
Du würdest ganz unendlich mich verbinden,
Wenn du nun endlich so geneigt sein wolltest –
ABUL.
O wie die Rede süß vom Mund dir träuft!
Nun sitze nieder; sanft wie Zephirhauch
Soll meine Klinge übers Haupt dir streifen.

Er wendet sich schon während der letzten Worte zum Tisch, breitet seine Utensilien aus, nimmt sein Becken vom Gürtel und schlägt Schaum.

NUREDDIN setzt sich während der folgenden Worte auf einen Stuhl in die Mitte der Bühne.
Heil mir, so wird er endlich nun beginnen;
Das wird ein Stelldichein mit Abenteuern!
Margiana, o Margiana, du mein Alles!
ABUL nimmt das Damasttuch von seinem Gürtel, hängt es Nureddin um und singt dabei halblaut in den Bart brummend.
Margiana, o Margiana, du mein Alles?
Haha! Ich merk‘, er ist verliebt. Nun wart‘!
Noch eh‘ du glatt geschoren, weiß ich alles.
»Laß dir zu Füßen wonnesam mich liegen, o Margiana!«
NUREDDIN emporspringend.
Margiana!?
ABUL.
Was willst du denn? Ich sing‘ ein Liebeslied,
Das ich dereinst in meinen jungen Jahren
Gedichtet und auch in Musik gesetzt.
NUREDDIN setzt sich wieder.
So singe nur, doch mache, daß du endest!
ABUL Nureddins Kopf einseifend.
»Laß dir zu Füßen wonnesam mich liegen, O Margiana!«
NUREDDIN jedesmal wiederholend.
O Margiana!
ABUL im Rasieren.
»An deine Hand die Lippe trunken schmiegen,
O Margiana!
Auf deinem Munde lachet holde Fülle süßer Labe,
Laß nur den Hauch mich nippen still verschwiegen,
O Margiana!
Wonnen der Liebe gleichen bunten flücht'gen Sommerfaltern,
Lasse sie kosend um die Stirn uns fliegen,
O Margiana!
Die Welt versinkt, es leuchten helle goldnen Äthers Wogen,
Wir sind empor zum Eden schon gestiegen,
O Margiana! O Margiana!«
NUREDDIN einstimmend.
O Margiana!
Wonnen der Liebe – o Margiana!
Die Welt versinkt – o Margiana!

Abul vertieft sich in die Kadenz des Liedes; er hat bis darin Nureddins Kopf halb rasiert, während der Kadenz aber vergißt er das Geschäft vollständig. Er tritt mit Messer und Becken in den Vordergrund und vertieft sich ganz in die Erfindung der Rouladen, freut sich mit sichtbarem Wohlgefallen seiner Stimme. Zuletzt als Nureddin ihn beim Arm packt, ist er ganz wie aus den Wolken gefallen, schrickt sichtbar zusammen.

NUREDDIN begleitet die Kadenz mit den Gebärden der bittersten Verzweiflung; ihn unterbrechend, in der höchsten fieberhaften Aufregung.
Mein teurer Abul! Deiner Stimme Klang,
Voll bebenden Gedenkens einst'ger Zeit,
Verrät mir, daß auch du einmal geliebt!
So höre denn und laß dein Herz bewegen.
Ich liebe! Und Margiana heißt auch sie!
Zum Stelldichein ließ mich Margiana laden,
Wenn Mittag ist und die Muezzin rufen.
Die Stunde naht, und ich versäume sie.
Drum, wenn ein Funke menschlichen Gefühls,
Wenn je ein Hauch von Liebe dich durchdrungen,
Auf meinen Knieen hier beschwör‘ ich dich: Rasiere mich!!

Er sagt diese Worte in flehender ergebenster Stellung, als mache er Anstalten, wirklich niederzuknien. Bei den Worten »Rasiere mich« verliert er die Besinnung und fällt in Abuls Arme.

ABUL feierlich, gerührt, väterlich zärtlich.
Du liebst?! Du liebst!? O fühl‘ an diesem Herzen,
Dem neunzigjähr'gen, ob auch ich geliebt!?

Bei diesen Worten zieht Abul Nureddin ans Herz. Kurze Pause einer enthusiastischen Umarmung.

NUREDDIN UND ABUL mit jubelnder Begeisterung.
O Liebe! Liebe! Seligstes Gefühl!
»Laß dir zu Füßen wonnesam mich liegen,
O Margiana!
An deine Hand die Lippe trunken schmiegen,
O Margiana!
Von deinem Munde lachet holde Fülle süßer Labe,
Laß nur den Hauch mich nippen still verschwiegen,
O Margiana!
Wonnen der Liebe gleichen bunten flücht'gen Sommerfaltern,
Lasse sie kosend um die Stirn uns fliegen,
O Margiana!
Die Welt versinkt, es leuchten helle goldnen Äthers Wogen,
Wir sind empor zum Eden schon gestiegen,
O Margiana!«

Während des Nachspiels eilt Nureddin wieder zum Stuhl.

ABUL während er eifrig rasiert.
Und sprich, wo wohnet sie? Wer ist ihr Vater?
NUREDDIN.
Der Kadi Baba Mustapha.
ABUL.
Nicht möglich!
Der Schurk‘! Ich hass‘ ihn tödlich!
NUREDDIN.
Und warum?
ABUL.
Mög‘ Allah ihn verderben!
NUREDDIN.
Und weshalb?
ABUL.
Die Pest auf den Barbaren!
NUREDDIN.
Sprich, weswegen?
ABUL.
Ei denk‘ dir nur – der Kerl rasiert sich selber!
NUREDDIN.
Ha ha ha ha!
ABUL.
O lache nicht! Nimm dich in acht vor ihm.
NUREDDIN.
Was kümmert mich der Vater denn? Er geht
In die Moschee – ich zu Margiana.
ABUL.
Herrlich.
Doch denke an die drohende Gefahr!
Ich werde dich geleiten, dich beschützen.
NUREDDIN.
Mein teurer Abul, nein, ich geh‘ allein!
ABUL.
O Nureddin, mißtraue deinem Stern.
NUREDDIN.
Mein Stern ist Liebe, sie wird mich beschützen.
ABUL ist fertig; er verbeugt sich, nimmt den Spiegel von seinem Gürtel und hält ihn Nureddin vor.
Nun bist du fertig. Schone dieses Haupts,
Das neu verherrlicht ist durch meine Kunst.
NUREDDIN.
Nimm meinen Dank. Ich gehe, mich zu kleiden,
Du aber geh‘ zu deinen andern Kunden.
Wenn ihrer viele auf dich warten,
Wird auch der Tage längster, fürcht‘ ich, dir zu kurz.

Er eilt in das Nebengemach.

Achter Auftritt

Abul allein.

ABUL.
So schwärmet Jugend, achtet nicht Gefahr,
Ja nicht den Tod, wenn nur die Liebe winkt.
Ach meine Brüder! Eurer denk‘ ich weinend,
Auch euch hat Liebe in den Tod geführt.
Was hat euch, Brüder, in den Tod getrieben?
Lieben!
Was ist der Grund, daß keiner mir geblieben?
Lieben!
Daß Bakbaks Busen mußt‘ in Staub zerstieben?
Lieben!
Daß Bakbarah erlag so vielen Hieben?
Lieben!
Daß Alnaschar sich Rattengift verschrieben?
Lieben!
Daß Alkuz ward gehängt mit andern Dieben?
Lieben!
Daß Schakkabak der Husten aufgerieben?
Lieben!
Was half dich, Bukbuk, in die Grube schieben?
Lieben!
Was quält auch mich, den jüngsten von den Sieben?
Lieben! – O!

Nureddin tritt in prächtigem Anzuge auf, geht mit raschen Schritten quer über die Szene in den Vordergrund, dann erst wendet er sich nach rechts und erblickt Abul.

Neunter Auftritt

Nureddin. Abul.

NUREDDIN.
So hat der Satan dich noch immer hier?
ABUL.
Ich bin dein Engel, Freund, ich folge dir!
NUREDDIN.
Wirst du nun gehn? Soll ich zum Ärgsten schreiten?
ABUL.
Wirst du nun gehn? Ich will dich treu begleiten!
NUREDDIN.
Ich rate dir, nicht hemme meinen Schritt!
ABUL.
Ich rate dir, o Jüngling, nimm mich mit.
NUREDDIN.
Der Alte ist toll,
Ich rase, ich wüte!
Er weicht keinen Zoll,
Wie sehr ich mich mühte.

Voll liebender Glut
Versprach ich mir Wonnen,
Die teuflische Brut
Nun hält mich umsponnen!

Wie wend‘ ich die Not?
Wie halt‘ ich ihn ferne?
O, lag‘ er doch tot
In tiefer Zisterne!

Nicht weiß ich fürwahr
Vor Wut mich zu fassen:
O Narr, der ich war,
Mich scheren zu lassen!
ABUL.
Ich bin ja so voll
Von Liebe und Güte,
Ich hege nicht Groll
In meinem Gemüte.

Ich bin dir so gut,
So freundlich gesonnen,
Da hast du mit Wut
Und Ärger begonnen.

Dich haben bedroht
Die tückischen Sterne;
Mein Freundesgebot,
Erfüll es doch gerne!

Doch lohnst du sogar
Mein Lieben mit Hassen,
Ich darf in Gefahr
Dich nimmer verlassen!
NUREDDIN.
Doch halt! Mich zu befrein,
Fällt mir ein Mittel ein:
Diener, herbei, herein!

Er hat die letzten Worte zur Mitteltür hinausgerufen.

DIE DIENER erscheinen, Motawackel beschließt den Zug.
ABUL.
Aha, nun lenkst du ein,
Du willst vernünftig sein?
Was aber soll das Schrein?
Was willst du denn?

Zehnter Auftritt

Nureddin. Abul. Nureddins Diener.

NUREDDIN zu den Dienern, auf Abul deutend.
O sehet den Armen,
Wie bleich zum Erbarmen!
Sein Leben vergehet,
Sein Atem verwehet,

Das Fieber ihn schüttelt
Und ziehet und rüttelt;
O sehet ihn wanken
Und beben und schwanken.

O eilt, ihn zu retten,
Ihn wohlig zu betten,

Die Diener umringen den Barbier, der während des Folgenden vergebliche Anstrengungen macht, sich von ihnen loszumachen.

Ihn nieder zu strecken,
Mit Kissen zu decken.

Ihn müssen Arzneien
Vom Übel befreien.
O gebt von den Flaschen
Dem Armen zu naschen,

Mit Tränken und Pillen
Das Übel zu stillen,
Mit Salben und Säften
Zu helfen nach Kräften.

Und mag er nicht nehmen,
Er muß sich bequemen,
Man kann zum Verschlingen
Mit Schlägen ihn zwingen.

Man rufe Doktoren,
Noch eh‘ er verloren,
Herbei mit dem Bader,
Er laß ihm zur Ader;
Ertränkt den Patienten
In Medikamenten!

Er eilt ab.

Abul reißt sich los, will ihm nach.

CHOR DER DIENER Abul zurückhaltend und umringend.
So lasset uns eilen,
Den Kranken zu heilen,
Die starrenden Glieder,
O strecket sie nieder!

Abul will entfliehen, eine entgegenstehende Gruppe fängt ihn auf.

CHOR DER DIENER.
Wir brauen die besten
Arzneien aus Resten
Und wollen dazwischen
Die Pillen dir mischen.

Nimm ein ohne Schrecken,
Es möge dir schmecken;
Nicht mucken und zucken!
Nur ducken und schlucken!
ABUL sucht aufs neue zu entfliehen, wird aufgehalten.
CHOR DER DIENER.
Wir wehen dir Kühle,
Zu lindern die Schwüle;
Doch Frost wir vertreiben
Durch heftiges Reiben.

Abul sucht wieder nach einer andern Seite zu entrinnen, wird aufgehalten.

CHOR DER DIENER.
Laßt spanische Fliegen
Am Halse ihm liegen
Und Pflaster ihm prangen
Auf Stirne und Wangen.

Neuer Fluchtversuch.

Abul wird festgehalten und in den Vordergrund gezogen.

CHOR DER DIENER.
Bringt Wasser in Menge,
Daß man ihn besprenge,
Und Opium Pfunde,
Damit er gesunde.

Dein Bart ist im Wege,
Wir holen die Säge.

Motawackel eilt ab.

Hier deine Lanzetten,
Sie müssen dich retten.

Wir lassen, o Bader,
Dir selber zu Ader!

Eine Gruppe von Dienern hat Abul zum Ruhebett hingezogen. Er wird ausgestreckt und so in Kissen gehüllt, daß man nur noch Mütze und Bart sieht. Einige Diener halten Abul fest, andere bewaffnen sich mit Lanzetten und Rasiermessern; einer bürstet ihm die Füße mit einer großen Bürste; einer weht Kühle mit einem großen Tuche; einer schüttet den Rest der Medizinflaschen in ein großes Glas und macht Miene, ihm einen Löffel voll einzuzwängen. Bei den Worten »Zofar, Dschafar« bekommt er ein großes schwarzes Pflaster auf Stirn und Nase gesetzt, und bei dem Rufe »Motawackel« ist dieser schon mit einer Handsäge wiedergekehrt, faßt den Bart beim Ende an und will ihn in der Nähe des Kinnes durchsägen.

ABUL spricht dumpf stöhnend aus der dichten Hülle von Kissen und Decken hervor.
Ali, Sadi, habt Erbarmen!
Abbas, Achmet, laßt mich Armen!
Mustein! Hussein!
Muß Verdruß sein?
Zofar, Dschafar,
Motawackel,
Ihr tötet mich!
CHOR DER DIENER.
Abul Hassan Ali Ebn Bekar,
Wir retten dich!

Während sich alle an ihre verschiedenen Funktionen begeben, fällt der Vorhang.

Zweiter Aufzug

Ein reiches, geräumiges Frauengemach im Hause des Kadi Baba Mustapha

Im Hintergrunde eine große Mitteltür. Rechts eine Tapetentür, links eine mit Gardinen verhängte Nische. Rechts Ottomane und Kniebank neben einem mit prächtigen Blumen verzierten Tisch. Links in der ersten Kulisse ein Fenster. Dem Fenster schräg gegenüber, in der zweiten Kulisse rechts, eine Seitentür.

Erster Auftritt

Margiana. Dann Bostana. Dann der Kadi. Dann vier Diener. Zuletzt drei Muezzin hinter der Szene.

MARGIANA aus der Tür rechts auftretend.
Er kommt! Er kommt! O Wonne meiner Brust!
Wie werd‘ ich jubeln, ihn zu sehen!
Bezähm‘, o Herz, das Wallen deiner Lust,
O laß mich vor Entzücken nicht vergehen!
Den nie im Leben ich geschaut,
Geahnt allein in holden Träumen:
Gleich ist er hier in diesen Räumen,
So schön, so hold, so süß und traut.
Er kommt! Er kommt! O Wonnelaut!
BOSTANA durch die Mitteltür eintretend, zu Margiana.
Er kommt! Er kommt! O wonnigliche Lust!
Wie wird er staunen, dich zu sehen;
Wie wird entzückt das Herz in seiner Brust
Vor eitel Glück und Wonne schier vergehen,
Der, seit er einmal dich geschaut,
Nur dich gesehn in wachen Träumen:
Gleich ist er hier in diesen Räumen
Und nennt dich seine holde Braut.
Er kommt! Er kommt! O Wonnelaut!
KADI durch die Mitteltür hereineilend, einen Brief und einen Schlüssel in der Hand.
Er kommt! Er kommt! O wonnigliche Lust!
Wie wirst du staunen, ihn zu sehen!
Wie wird entzückt das Herz in deiner Brust
Vor lauter Glück und Wonne schier vergehen!
Ein Schatz, wie du ihn nie geschaut,
Ja kaum geahnt in allen Träumen:
Gleich ist er hier in diesen Räumen,
Freund Selim schenkt ihn seiner Braut.
Er kommt! Er kommt! O Wonnelaut!

Vier Diener des Kadi tragen eine große, stattliche Kiste herein, setzen sie auf die Seite des Fensters dem Blumentisch gegenüber, nieder und entfernen sich wieder.

KADI.
Ja, frohe Kunde bring‘ ich, meine Tochter!
Mein alter Jugendfreund und Spielgenoß,
Der würd'ge Selim, fordert dich zum Weib,
Kommt von Damaskus bald, um dich zu holen.
Sieh, diese Kiste, sie ist voll von Gaben,
Die er zur Morgengabe dir gesandt.
MARGIANA zum Kadi.
Dein Wille, Herr und Vater, ist der meine;
Gehorsam danket deine Tochter dir.

Zu Bostana.

So hast du meinen Willen ihm verkündet,
Daß nach der Liebe Leid ihm Wonne winkt?
BOSTANA.
Ich sagt‘ ihm alles, er vergeht vor Liebe
Und stirbt vor Sehnsucht, bis die Stunde naht.
KADI hat indessen die Kiste aufgeschlossen und mehrere Stoffe herausgenommen und entfaltet, die er dann über den Rand der Kiste herniederhängen läßt.
Sieh, diese Stoffe – Seide, Sammet, Atlas –
Den Purpurschal mit Goldbrokat verbrämt!
MARGIANA zum Kadi.
Welch eine Pracht, mein Vater, ich erstaune!

Zu Bostana.

Und wird die rechte Zeit er nicht versäumen?
BOSTANA.
Wenn von den Türmen die Muezzin rufen
Und wenn der Kadi ging, lass‘ ich ihn ein.
KADI.
Sieh diese reichen Kaftans und Dualmas!
Nicht Gleiches tragen des Kalifen Fraun.
MARGIANA zum Kadi.
Wie wird mich die Agraffe herrlich kleiden.

Zu Bostana.

Sag‘ an, er ist wohl bleich von Liebessehnen?
BOSTANA.
Ja, er ist bleich, doch hört er deines Namens Klang,
Wird wie von Purpur die Wang‘ ihm rot.
KADI.
Die Ringe, sieh, für Finger, Ohr und Arme!
Sind alles Diamanten und Smaragden.
MARGIANA zum Kadi.
Und die Rubinen! ach! rot wie die Liebe!

Für sich.

Bald ist er hier und heilen soll ihn Liebe!
BOSTANA.
Dem alten Selim lasse du die Schätze,
Ein junger Liebster ist der beste Schatz.
MARGIANA für sich.
Für alle Leiden spendet
Die süße Lieb‘ Ersatz.
Komm, daß dein Weh sie endet,
Mein holder Schatz.
BOSTANA zu Margiana.
Schon lauschet er und wendet
Nicht einen Fluß vom Platz,
Bis du mich hingesendet;
Der liebe Schatz!
KADI.
Sieh, welche Strahlen spendet
Der Diamantbesatz!
Wie das die Augen blendet!
O welch ein Schatz!
MUEZZIN hinter der Szene von verschiedenen Türmen. Der erste (Baß) in der Nähe der Rückwand, also wie einer dem Hause nahegelegenen Moschee; der zweite (Tenor) entfernter; der dritte (Tenor) in großer Ferne, so weit wie möglich im Hintergrund.
Allah ist groß, und Mahomet sein Prophet.
Versammelt euch, ihr Gläub'gen, zum Gebet.
DER KADI, MARGIANA UND BOSTANA geben das ausfüllende Spiel, das sie noch während des Muezzinrufs eingehalten, auf und nehmen eine andächtige Stellung an.
Allah ist groß, und Mahomet sein Prophet.
Die Gläubigen all, sie eilen zum Gebet.
MARGIANA.
Nun komm‘, mein Schatz. Der fromme Kadi geht.
BOSTANA.
Ich hol‘ den Schatz – der fromme Kadi geht.
DER KADI.
Du schöner Schatz! – Ich eile zum Gebet!
DRITTER MUEZZIN.
Versammelt euch, ihr Gläubigen!

Der Kadi wirft noch einen entzückten Blick auf die Kiste, winkt seiner sich ehrfürchtig verneigenden Tochter einen Gruß zu und geht ab.

Bostana verschwindet, sobald er fort ist, durch die Tapetentür.

Margiana bleibt allein auf der Bühne, sieht einen Augenblick durch das Fenster, wendet sich dann zu der Seite des Blumentisches.

Bostana führt Nureddin herein und zieht sich zurück.

Zweiter Auftritt

Margiana. Nureddin. Abul vor dem Fenster.

NUREDDIN.
O holdes Bild in Engelschöne,
Oft, wenn in Träumen ich dich angeschaut,
Da fand ich Worte, fand ich Töne,
Da hab‘ ich innig dir mein Herz vertraut.
Nun fühl‘ ich alles mir entschwinden,
Was ich geträumt, gedacht – entwich;
Vor deinem Anblick wonniglich
Ist alles nur ein seliges Empfinden;
Ein Wort nur kann ich wiederfinden,
Das eine Wort: »Ich liebe dich!«
MARGIANA.
Wohl hab‘ ich Grüße dir ersonnen,
Blumen zum Strauße dir gereiht,
Wie holde Lieb‘ in Weh und Wonnen
Gern sie zu ihrem Boten weiht.
Doch du erscheinst, und ach, es neigen
Die Blumen demutvoll und zagend sich.

Sie nimmt eine blühende Rose vom Zweig.

Kühn nimmt die Rose nur das Wort für mich,
Den hohen Sinn zu künden, der ihr eigen;
Ob auch die Schwestern alle schweigen,
Die Rose sagt: »Ich liebe dich!«

Sie gibt ihm die Rose.

NUREDDIN UND MARGIANA.
So mag kein andres Wort erklingen,
Als das die blüh'nde Rose sprach;
Kein Lied in unsre Seele dringen,
Als das aus Träumen tönte nach;
Und wenn des Lebens Traum entschwunden
Und wenn der Rose Glut verblich,
Dann tön in Eden ewiglich,
Wo Rosenketten uns umwunden,
Wo ew'ger Traum uns hält verbunden,
Das eine Wort: »Ich liebe dich!«
ABUL vor dem Fenster.
O Nureddin, genieße froh dein Glück!
Sei ohne Furcht, es wacht vor diesem Fenster
Dein Abul Hassan Ali Ebn Bekar.
BOSTANA eilt herein.

Dritter Auftritt

Die Vorigen. Bostana.

BOSTANA.
Der Abul Hassan Ali Ebn Bekar.
NUREDDIN schreckt auf, noch halb weltentrückt.
Wie? Abul Hassan Ali Ebn Bekar?
BOSTANA.
Der tolle Kauz singt drüben vor dem Haus
Von Liebesglück und nennet deinen Namen.
NUREDDIN.
Verwünschter Kerl! Erdrosseln möcht‘ ich dich!
BOSTANA.
Ich geh, zu lauschen, ob der Kadi kommt.
Seid unbesorgt; noch kehrt er nicht zurück.

Sie zieht sich wieder zurück.

Vierter Auftritt

Nureddin. Margiana. Abul vor dem Fenster.

Nureddin und Margiana lauschen noch einige Zeit, ob kein neuer Lärm entsteht. Es bleibt alles still, Nureddin geleitet Margiana zu dem Sitze am Blumentisch und kniet auf den Schemel zu ihren Füßen.

NUREDDIN.
Daß nicht die laute Welt uns störe,
Schweige der Liebe leises Wort!
ABUL vor dem Fenster.
Laß dir zu Füßen wonnesam mich liegen,
O Margiana!
MARGIANA.
Daß keines Lauschers Ohr es höre,
Tief in der Brust nur kling‘ es fort!
ABUL.
Wonnen der Liebe gleichen bunten flücht'gen Sommerfaltern,
Lasse sie kosend um die Stirn‘ uns fliegen,
O Margiana!
NUREDDIN.
Laß deiner Blicke Strahl es sagen,
Du wunderdunkles Auge, sprich!
ABUL.
Die Welt versinkt, es leuchten helle goldnen Äthers Wogen!
MARGIANA.
Sagt es mein Herz dir nicht für mich
Mit seinem süßberedten Schlagen?
NUREDDIN.
Zum Himmel mich empor zu tragen,
Sag‘ es ein Kuß –
MARGIANA.
Ich liebe dich!
ABUL.
Wir sind empor zum Eden schon gestiegen!
NUREDDIN.
Zum Himmel mich empor zu tragen,
Sag‘ es ein Kuß.

Sie umarmen sich.

ABUL.
O Margiana!
STIMME EINES SKLAVEN hinter der Szene, im Innern des Hauses.
Weh! Weh! Weh! Weh! Weh! Weh!

Bostana tritt eilig auf.

Fünfter Auftritt

Die Vorigen. Bostana.

BOSTANA.
Erschrecket nicht, der Kadi kam zurück,
Und einem Sklaven, der ihm ungeschickt
Die schöne Blumenvase brach in Scherben,
Gibt er mit eigner Hans die Bastonade.
STIMME DES SKLAVEN.
Weh! Weh! Weh! Weh!
ABUL vor dem Fenster.
Weh mir, o weh, man mordet meinen Freund!
Kadi, verruchter Mörder!
Heda! Helft ihr Leute!
MARGIANA.
Weh uns, es sammeln Leute sich ums Haus!
BOSTANA.
Was macht der alte Tollkopf auch für Streiche!
NUREDDIN.
Dreimal verwünschter, teuflischer Barbier!
STIMMEN vor dem Fenster.
Kadi, verruchter Mörder! Weh dir! Wehe!
ABUL.
Wehe!
STIMME DES SKLAVEN.
Weh!
BOSTANA.
Nun kannst du nicht mehr unbemerkt entfliehn!
MARGIANA.
Bostana, wenn der Vater ihn hier findet!
NUREDDIN.
Ist kein Versteck da, daß ich mich verberge?
BOSTANA.
Hier an der Kiste steckt der Schlüssel noch!
Margiana! Eilig! Fort mit all den Schätzen,

Sie beginnt sogleich die Kiste auszuräumen.

Die Kiste birgt ihn, bis der Sturm vorüber!

Sie zerren eilig den Inhalt der Kiste heraus und schleifen die Stoffe in die verdeckte Nische des Hintergrundes. Während des Folgenden wird Nureddin von den beiden Frauen in die Kiste versteckt.

Bostana zieht den Schlüssel ab, steckt ihn zu sich und schiebt Margiana in die Seitentür.

Verworrener, anwachsender Lärm hinter der Szene.

Abul von vier Dienern Nureddins begleitet, die mit Stöcken bewaffnet sind, stürzt herein.

Sechster Auftritt

Bostana. Abul und vier Diener Nureddins.

ABUL auf Bostana losstürzend.
Wo ist er hin? Unsel'ge, sprich, wo habt ihr
Den Leichnam des Ermordeten verborgen?
BOSTANA.
Wahnsinniger, was faselst du von Mord?
Willst du dies ganze Haus ins Unglück stürzen?
Hier in der Kiste hab‘ ich ihn versteckt;
Schnell, schafft sie fort, eh‘ es der Kadi merkt!

Sie geht eilig ins Nebengemach rechts.

Siebenter Auftritt

Abul. Diener Nureddins. Später der Kadi.

ABUL stürzt sich wehklagend über die Kiste.
Unsel'ger Freund! Und mußtest so du enden,
Eh‘ dich des Retters Hand befreien konnte?
Dreifach verwünscht, du Mars und du Merkur!
Sternschnuppen mögt ihr werden und verderben!

Sich erhebend, zu den Dienern.

Legt eilig Hand an, traget fort die Kiste!

Die vier Diener wollen die Kiste aufnehmen.

KADI hereineilend.
Wo wollt ihr mit der Kiste hin, ihr Frechen?
So ist mein Haus den Dieben preisgegeben?
ABUL.
Verruchter Kadi! Mörder meines Freundes!
Vor dem Kalifen sehen wir uns wieder!
KADI.
Du glaubst mich närrisch, Narr, und willst mich narren,
Brandschatzen um den unschätzbaren Schatz,
ABUL.
Ruchloser Richter, der sich ungerecht rächt,
Doch höh're Richter richten, Richter, dich!
KADI.
Laß los die Kiste.
ABUL.
Tragt die Kiste fort!
KADI.
Der Tochter Schatz ist's!
ABUL.
Ihr geraubt von dir!
KADI.
Zu Hilfe! Diebe!
ABUL.
Mörder! Hilfe! He!
KADI.
Ich laß euch hängen!
ABUL.
Ja, wenn du gespießt!

Freunde des Kadi, Klagefrauen und Bewohner Bagdads treten nacheinander ein.

Achter Auftritt

Die Vorigen. Freunde des Kadi. Klagefrauen. Bewohner Bagdads.

KADI.
Verruchte Diebe, die ihr offen
Am hellen Tag beraubt mein Haus,
Nicht Gnade darf ein einz'ger hoffen.
Mit euch ist's aus!
ABUL UND NUREDDINS DIENER.
Verruchter Kadi, der du offen
Den Freund erschlugst in deinem Haus,
Nicht Gnade darfst du, Mörder, hoffen.
Mit dir ist's aus!
FREUNDE DES KADI herbeieilend, zum Kadi.
Welch arges Unheil hat betroffen,
Freund Mustapha, dein armes Haus?
Das Volk strömt ein, die Tür ist offen.
Was wird daraus?
KLAGEFRAUEN hereinstürzend, in langen weißen Kleidern mit fliegenden schwarzen Trauerschals.
Bekleidet euch mit Trauerstoffen,
Ein Mord geschah in diesem Haus.
Der Tränen Schleusen stehen offen:

Sie brechen aus!
Weh, o weh, o weh, o weh.
BEWOHNER BAGDADS hereineilend.
Wo ist er, den der Stahl getroffen?
Nicht Gnade darf der Mörder hoffen!
Vermaledeit sei dieses Haus!
Schleppt ihn hinaus!
KADI.
So sprecht, ist denn ein Tollhaus offen,
Und schleudert seine Narren aus?
Des Himmels Blitz hat mich getroffen,

Mit mir ist's aus!
ABUL.
Bringt Eisen, brecht die Kiste offen,
Und zieht den Toten nur heraus!
Des Kadis Stahl hat ihn getroffen,

Mit ihm ist's aus!
KADI UND SEINE FREUNDE.
Verruchte Diebe, die ihr offen
Am hellen Tag bestehlt dies Haus,
Nicht Gnade darf ein einz'ger hoffen.

Mit euch ist's aus!
ABUL, NUREDDINS DIENER UND ALLE ÜBRIGEN.
Verruchter Kadi, der du offen
Den Gast erschlägst in deinem Haus,
Nicht Gnade darfst du hoffen,

Mit dir ist's aus.
KLAGEFRAUEN.
Weh, o weh, o weh, o weh!

Während des Nachspiels entsteht ein allgemeiner Tumult um die Kiste. Nureddins Diener wollen sie aufladen, werden aber wiederholt daran gehindert und werfen sie um. Der Kadi und seine Freunde wollen sie in den Hintergrund schleppen und stellen sie wieder um, so daß sie nun, den Deckel nach unten gekehrt, während des nächsten Chors stehen bleibt.

Vier glänzend uniformierte Bewaffnete machen sich Platz durch das Gedränge und schieben die Streitenden nach rechts aus dem Mittelpunkt der Bühne von der Kiste fort. Die übrigen Anwesenden sind zu beiden Seiten der Bühne zurückgewichen.

Neunter Auftritt

Die Vorigen. Der Kalif mit Gefolge.

VIER BEWAFFNETE nehmen einen Augenblick die Mitte ein und singen.
Platz dem Kalifen!
DER KALIF tritt ein, von Gefolge umgeben. Er sieht jugendlich aus und tritt in die Mitte des Vordergrunds. Sein Gefolge und die vier Bewaffneten füllen den Hintergrund. Auf der Fensterseite steht Abul mit Nureddins Dienern, auf der Seite des Blumentisches der Kadi und seine Freunde. Die Klagefrauen und Männer von Bagdad zu beiden Seiten verteilt.
Sprich, Kadi, du bist Herr in deinem Hause.
Ich kenne dich als ehrenwerten Mann:
Wie brach der Sturm an, der so laut getobt,
Daß bis zu meinem Ohr der Lärm gedrungen?
KADI.
Herr, dieser Unhold nennt mich einen Mörder!
Mit einer Horde Vagabunden drang
Er in mein Haus, der Tochter Schatz am hellen Tag zu stehlen.
Ganz Bagdad dringt herein mit tollem Lärm,
Bis wie die Sonne du, o Herr, erschienen
Und Licht gestrahlt in dieses tolle Chaos!
KALIF zu Abul.
Ergreister Böswicht! Sprich! Verteid'ge dich!
ABUL.
Sonne des Weltalls! Nein, ich bin kein Böswicht;
Die Brüder waren's – Ja! und zwar aus Liebe:
Der ältste, Bakbak, und dann Bakbarah,
Der dritte: Bukbuk und der vierte: Alkuz,
Dann Alnaschar, der sechste: Schakkabak;
Doch ich, o Herr, der jüngste von den Sieben,
Bin tadellos und rein – sogar im Lieben!
O!
KALIF.
Sag‘ deinen Namen, deinen Stand –
ABUL.
Mein Name
Ist Abul Hassan Ali Ebn Bekar.
Ich bin – Barbier, doch was für ein Barbier!
Freistatt der Welt, es läßt sich nicht beschreiben.
Ich bin Total-Universalgenie,
Verkannt im Leben, doch berühmt in Zukunft,
Ich bin Gesamtmensch, bin Barbier der Nachwelt.
KALIF.
Du toller Kauz! Und du bestiehlst die Mitwelt?
ABUL.
O Perle des Kalifentums! Nicht also:
In dieser Kiste liegt mein Freund ermordet.
Des Kadis Tochter, ach! hat ihn geliebt –
Der Vater aber, o! hat – ihn – entleibt!
CHOR.
Weh! Mustapha!
KALIF.
Die Wahrheit kann nicht lang verborgen bleiben,
Schließ auf die Kiste, Kadi, zeig‘ den Inhalt.
KADI wendet sich zum Nebengemach und ruft hinein.
Wo hab‘ ich doch den Schlüssel? He! Margiana!
Bostana! Eilig, schließet auf die Kiste! Eilig!

Margiana und Bostana kommen aus dem Nebengemach. Auf Abuls Wink bringen die Diener Nureddins die Kiste auf ihren Platz zurück.

Zehnter Auftritt

Die Vorigen. Margiana. Bostana.

KADI zu Margiana.
Zeig‘ deinen Schatz, mein Kind, daß glänzend er
Die Wahrheit allen Augen offenbare.
MARGIANA zögernd.
Mein Herr und Vater –
KADI.
Augenblicks gehorche!

Margiana gibt Bostana einen Wink; diese geht zur Kiste, um aufzuschließen.

CHOR leise.
Wie wird sich's wenden? Wer hat recht von beiden?
KADI.
Nun überzeugt euch – seht der Tochter Schatz!
ABUL zieht den ohnmächtig gewordenen Nureddin aus der Kiste in die Höhe und lehnt ihn an den Rand so daß er sichtbar bleibt.
Ja, sieh der Tochter Schatz,
Den ihr dein Stahl stahl!
ALLE.
Ha!!
KADI bleibt in der Stellung, die er eingenommen, als er Nureddin erblickte, wie vor Schrecken versteinert stehen. Er spielt die ganze nächste Szene wie ein Träumender, der sich von einem Alpdruck zu befreien sucht; für sich, Nureddin anstarrend.
He, Mustapha! Freund Mustapha, wach auf!
Was schläfst du auch, was machst du auch für Streiche?
Hoch schön am Himmel geht der Sonne Lauf.
Aus Träumen raffe dich, der Alpdruck weiche!
O Mustapha! Freund Mustapha, wach auf!
KALIF.
O Mustapha! Ein Licht geht mir nun auf,
Es spielte hier die Liebe ihre Streiche!
Sie, die allmächtig lenkend ihren Lauf,
Mich selber Sklaven nennt in ihrem Reiche.
O Mustapha! Nun geht ein Licht mir auf!
ABUL.
O Nureddin! Kein Ruf mehr weckt dich auf.
Beschlossen war's im hohen Sternenreiche;
Kein ird'scher Mund beschwört der Sterne Lauf,
Morgens rasiert – und abends eine Leiche!
O Nureddin, dich weckt kein Ruf mehr auf!
MARGIANA UND BOSTANA eilen zur Kiste und singen zu beiden Seiten derselben zu Nureddin.
O Nureddin, geliebter / verliebter Nureddin wach auf!
Daß von dem Vater der Verdacht entweiche;
Du schlummerst nur, dich wecket süße Liebe auf
Und macht zum Herrscher dich in ihrem Reiche.
O Nureddin, geliebter / verliebter Freund wach auf!
CHOR.
Weh Mustapha!
Die Rache steigt herauf!
Nicht wähne zu entrinnen ihrem Streiche,
Recht und Gerechtigkeit gehn ihren Lauf
Allüberall in des Kalifen Reiche.
Weh Mustapha, die Rache steigt herauf!
ABUL der klagend über Nureddin gebeugt lag, erhebt sich plötzlich; zum Kalifen gewendet.
Er lebt, er lebt! Beherrscher aller Gläub'gen!
Noch glimmt ein Funke Lebens hier, ich fühl‘ es.
KALIF.
So zeig einmal, du Prahler, deine Künste,
Ob du, ein Arzt, ihm Leben wiedergibst.
FRAUEN.
Ach, kein Barbier weckt Tote wieder auf!
MÄNNER.
Weh Mustapha, die Rache steigt herauf!
KADI.
He, Mustapha, o Mustapha, wach auf!
ABUL entfernt alle Umstehenden von der Kiste, umschreitet dieselbe feierlich und beugt sich über Nureddin, ihm ins Ohr singend, indem er ihm auf die Schulter klopft.
»Laß dir zu Füßen wonnesam mich liegen,
O Margiana!«
NUREDDIN bleibt regungslos.
ABUL zupft ihn an Nase und Ohr.
»An deine Hand die Lippe trunken schmiegen,
O Margiana!

Er nimmt ein Riechfläschchen und hält es ihm unter die Nase.

Auf deinem Munde lachet holde Fülle süßer Labe.

Er nimmt die Rose, die Nureddin von Margiana bekommen und noch immer fest in Händen hält, und läßt ihn daran riechen.

Laß seinen Hauch mich atmen still verschwiegen,
O Margiana!«
NUREDDIN regt sich und erwacht.
Wonnen der Liebe –

Er wird von Abul emporgerichtet, sein erster Blick fällt auf Margiana.

ABUL.
Bunte Sommerfalter,
Lasse sie kosend um die Stirn‘ uns fliegen.
NUREDDIN.
O Margiana!
FRAUEN.
Habt ihr gehört, er sprach!
MÄNNER.
Ja, er sprach!
ALLE.
Seht, er erhebt sich. Er lebt!

Während der folgenden Worte führt Abul Nureddin zu Margiana, zu deren Füßen er niederkniet.

ABUL UND NUREDDIN.
»Die Welt versinkt, es leuchten helle goldnen Äthers Wogen,
Wir sind empor zum Eden schon gestiegen,
O Margiana!«
KADI mit wachsendem Erstaunen die Liebenden erblickend.
He, Mustapha! He, Mustapha, wach auf!
KALIF zum Kadi, auf die Liebenden zeigend.
Du sagtest es ja selbst und schwurst darauf:
Es ist ihr Schatz! Laß ihn ihr eigen sein!
KADI die Hände der Liebenden zusammenfügend.
So nimm ihn hin – er sei auf ewig dein!
CHOR.
Heil sei der Schönen,
Die den Schatz verborgen
In Liebessorgen,
Ihn bis zum Feste
Verschloß aufs beste.
Mag er schön sie nun schmücken,
Wonniglich beglücken!
KALIF zu den Bewaffneten, auf Abul deutend.
Ergreift den Alten – und verwahrt ihn wohl!
ABUL.
Herr, übe Gnade; gnädig sind die Sterne!
KALIF.
Sei ohne Furcht, sie bringen dich zu mir,
Daß deine Künste du vor mir erprobest
Und deines Lebens Märchen mir erzählest.

Zu den übrigen.

Ihr aber, friedlich geht nun eures Wegs,
Bis ich zur Hochzeit dieses Paars euch lade,
Weil ihr ja doch einmal so freundlich wart,
Uneingeladen heut‘ euch einzufinden.
ABUL zu dem Kalifen gewendet.
Heil diesem Hause, denn du tratst ein:

Sich verneigend.

Salamaleikum!
SOLI UND CHOR wiederholen jedesmal, und jedesmal wird der Gruß mit tiefer Verbeugung begleitet.
Salamaleikum!
ABUL.
Heil deiner Gegenwart leuchtendem Schein.
Salamaleikum!
Sieh deine Sklaven, die dir sich weihn,
Salamaleikum!
Laß unser Angesicht weiß vor dir sein,
Salamaleikum!
Möge dein Wohl stets blühend gedeihn,
Salamaleikum!
Stets möge Allah dir Sieg verleihn,
Salamaleikum!
Nie sei geringer der Schatten dein,
Salamaleikum!
Leb‘ in dein tausendstes Jahr hinein,
Salamaleikum!
ALLE.
Salamaleikum!

Während der Kalif sich zum Abgehen wendet, fällt der Vorhang.