003
»Deus venerunt gentes,« also fingen
Die Frauenchöre, wechselnd vier und drei,
Den süßen Psalm mit Tränen an zu singen.
'Deus, venerunt gentes', alternando
or tre or quattro dolce salmodia,
le donne incominciaro, e lagrimando;
006
Die Herrin lieh gerührt der Litanei
Ihr Ohr voll Mitleid und so grambezwungen,
Als ob sie unterm Kreuz Maria sei.
e Bëatrice, sospirosa e pia,
quelle ascoltava sì fatta, che poco
più a la croce si cambiò Maria.
009
Doch als des Psalmes letzter Ton verklungen,
Sah ich stolz aufrecht Beatricen stehen -
Sie sprach verklärt, begeisterungsglutdurchdrungen:
Ma poi che l'altre vergini dier loco
a lei di dir, levata dritta in pè,
rispuose, colorata come foco:
012
»In kurzem - und ich muss von hinnen gehen,
Und wiederum, ihr Schwestern, meine Lieben,
In kurzem - und ihr sollt mich wiedersehen.«
'Modicum, et non videbitis me;
et iterum, sorelle mie dilette,
modicum, et vos videbitis me'.
015
Voranzugehn befahl sie dann den Sieben;
Es schritt die Blumenleserin und ich
Mit Statius nach, von ihrem Wink getrieben.
Poi le si mise innanzi tutte e sette,
e dopo sé, solo accennando, mosse
me e la donna e 'l savio che ristette.
018
So ging sie - doch sie hatte sicherlich
Noch nicht zurückgelegt der Schritte zehen,
Da flammte ihres Auges Glanz auf mich,
Così sen giva; e non credo che fosse
lo decimo suo passo in terra posto,
quando con li occhi li occhi mi percosse;
021
Und milde sprach sie: »«Schneller musst du gehen;
Mich drängt mein Herz, so vieles dir zu sagen,
Drum tritt heran, um deutlich zu verstehen. -
e con tranquillo aspetto "Vien più tosto",
mi disse, "tanto che, s'io parlo teco,
ad ascoltarmi tu sie ben disposto".
024
Doch, Bruder, warum seh ich dich so zagen,«
Sprach sie, als ich ihr nah wie sie befohlen,
»Hemmt meine Nähe dir so ganz das Fragen?«
Sì com'io fui, com'io dovëa, seco,
dissemi: "Frate, perché non t'attenti
a domandarmi omai venendo meco?".
027
Wie einer gleichsam steht auf glühnden Kohlen
Vor Ehrfurcht, redet ihn ein Großer an,
Und sich kein Wort getraut hervorzuholen,
Come a color che troppo reverenti
dinanzi a suo maggior parlando sono,
che non traggon la voce viva ai denti,
030
So ich, tonlos, stockend nun begann:
»O Herrin, fremd blieb nie Euch mein Verlangen,
Ihr wisst, was mir zum Heile dienen kann.«
avvenne a me, che sanza intero suono
incominciai: "Madonna, mia bisogna
voi conoscete, e ciò ch'ad essa è buono".
033
Und sie zu mir: »Ich will von Scham und Bangen
Befreit dich sehen, darum auf! erwache,
Und sprich nicht, wie man redet schlafbefangen.
Ed ella a me: "Da tema e da vergogna
voglio che tu omai ti disviluppe,
sì che non parli più com'om che sogna.
036
Vernimm: der Wagen, den zerstört der Drache,
Er w a r und i s t nicht! Doch der Schuldge glaube:
Ein Totenschmaus hemmt niemals Gottes Rache!
Sappi che 'l vaso che 'l serpente ruppe,
fu e non è; ma chi n' ha colpa, creda
che vendetta di Dio non teme suppe.
039
Ein Erbe wird erstehen aus dem Staube
Dem Adler, der sein Federkleid zerstreute,
Drob er als Untier andern ward zum Raube.
Non sarà tutto tempo sanza reda
l'aguglia che lasciò le penne al carro,
per che divenne mostro e poscia preda;
042
Ich prophezei - denn klar schon seh ich’ s heute:
Die Sterne lassen eine Zeit erstehen,
Die keinem Hindernisse fällt zur Beute,
ch'io veggio certamente, e però il narro,
a darne tempo già stelle propinque,
secure d'ogn'intoppo e d'ogne sbarro,
045
Wo Gott uns die Fünfhundert, Fünf und Zehen
Herschickt, durch die das Weib voll Trug und Arg
Samt ihrem Buhlen wird zugrunde gehen!
nel quale un cinquecento diece e cinque,
messo di Dio, anciderà la fuia
con quel gigante che con lei delinque.
048
Und gab ich dir jetzt Worte, knapp und karg,
Wie Sphinx und Themis, dunkelheitbeladen,
Dass noch der Sinn sich dir zweideutig barg -
E forse che la mia narrazion buia,
qual Temi e Sfinge, men ti persuade,
perch'a lor modo lo 'ntelletto attuia;
051
So werden bald Ereignisse Najaden
Und diesen Rätseln dir die Lösung werben,
Doch nicht den Saaten, noch den Herden schaden.
ma tosto fier li fatti le Naiade,
che solveranno questo enigma forte
sanza danno di pecore o di biade.
054
Du merke, was ich sprach! und mach zu Erben
All dieser Worte die lebendgen Seelen
Des Lebens, das ein Wettlauf ist zum Sterben.
Tu nota; e sì come da me son porte,
così queste parole segna a' vivi
del viver ch'è un correre a la morte.
057
Doch soll auch deine Feder nicht verhehlen,
Wie du den Baum, der nicht für Menschen ward,
Zum zweiten Male heute sahst bestehlen.
E aggi a mente, quando tu le scrivi,
di non celar qual hai vista la pianta
ch'è or due volte dirubata quivi.
060
Wer ihn beraubt und schädigt frevler Art,
Beleidigt tätlich Gott; er will ihn wissen
Für sich als unantastbar aufgespart.
Qualunque ruba quella o quella schianta,
con bestemmia di fatto offende a Dio,
che solo a l'uso suo la creò santa.
063
Der erste, der in diese Frucht gebissen,
Hat heiß fünftausend Jahr nach d e m begehrt,
Der ihn durch seinen Tod der Schuld entrissen.
Per morder quella, in pena e in disio
cinquemilia anni e più l'anima prima
bramò colui che 'l morso in sé punio.
066
Du träumst, wenn dich die Einsicht nicht belehrt,
Dass dieser Wunderbaum aus guten Gründen
So hoch an Wuchs ist, doch auch so verkehrt.
Dorme lo 'ngegno tuo, se non estima
per singular cagione essere eccelsa
lei tanto e sì travolta ne la cima.
069
Und wär nicht wie durch Elsas Flut mit Sünden
Dein Geist umkrustet, sähst du lustbefleckt
Nicht immer noch sich Pyrams Beeren ründen,
E se stati non fossero acqua d'Elsa
li pensier vani intorno a la tua mente,
e 'l piacer loro un Piramo a la gelsa,
072
So hättest du am Baume längst entdeckt,
Nach all den Zeichen, was des Herrn Verbot
In seiner Allgerechtigkeit bezweckt!
per tante circostanze solamente
la giustizia di Dio, ne l'interdetto,
conosceresti a l'arbor moralmente.
075
Doch weil dein Geist versteint in Sündennot,
Und ich dein Herz in buntem Tand seh schwanken,
Dass dich mein Lichtwort nur zu blenden droht,
Ma perch'io veggio te ne lo 'ntelletto
fatto di pietra e, impetrato, tinto,
sì che t'abbaglia il lume del mio detto,
078
So nimm, wenn auch als Bild nur, in Gedanken
Mein Wort mit, wie man von der Pilgerfahrt
Den Stab heimbringt, dran Palmenblätter ranken.«
voglio anco, e se non scritto, almen dipinto,
che 'l te ne porti dentro a te per quello
che si reca il bordon di palma cinto".
081
Und ich: »Wie Wachs des Siegels Form bewahrt,
Die ihm des Petschafts Druck vermag zu geben,
So stempelt Ihr mein Herz auf gleiche Art.
E io: "Sì come cera da suggello,
che la figura impressa non trasmuta,
segnato è or da voi lo mio cervello.
084
Doch warum lasset Ihr so hoch sich heben
Das teure Wort? - Je weniger kann ich’ s sehen,
Je mehr mein Blick sich müht, ihm nachzustreben.«
Ma perché tanto sovra mia veduta
vostra parola disïata vola,
che più la perde quanto più s'aiuta?".
087
Und sie: »Dass du die Schule kannst verstehen ,
Der du gefolgt bist, merken kannst, wie weit
Sie Kraft hat, meinem Worte nachzugehen,
"Perché conoschi", disse, "quella scuola
c' hai seguitata, e veggi sua dottrina
come può seguitar la mia parola;
090
S e h n , wie ihr fern auf euerm Irrweg seid,
Der fern von Gottes Weg, wie von der Erden
Des höchsten Himmels ewige Herrlichkeit.« -
e veggi vostra via da la divina
distar cotanto, quanto si discorda
da terra il ciel che più alto festina".
093
»Wie?« sprach ich, »hätt ich je, Euch fremd zu werden
Versucht? Und wär ich wirklich Euch entronnen,
Empfände mein Gewissen nicht Beschwerden?«
Ond'io rispuosi lei: "Non mi ricorda
ch'i' stranïasse me già mai da voi,
né honne coscïenza che rimorda".
096
»Und wenn du dich trotzdem noch nicht besonnen,«
Sprach lächelnd sie, »gedenke, dass soeben
Dein Herz sich erst erquickt an Lethes Bronnen.
"E se tu ricordar non te ne puoi",
sorridendo rispuose, "or ti rammenta
come bevesti di Letè ancoi;
099
Wie Rauch vermag ein Feuer anzugeben,
So zeigt dein Nichtbesinnen mir: es war
Nicht fleckenlos, nein, schuldvermischt dein Streben!
e se dal fummo foco s'argomenta,
cotesta oblivïon chiaro conchiude
colpa ne la tua voglia altrove attenta.
102
Fortan soll jedes Redeschmuckes bar
Mein Wort dir klingen, dass sich deutlich weise,
Was deinem stumpfen Menschenblick nicht klar!« -
Veramente oramai saranno nude
le mie parole, quanto converrassi
quelle scovrire a la tua vista rude".
105
Noch glühender, doch träger schon im Kreise
Nahte der Sonnenball dem Meridiane,
Der sich dem Blick verschiebt, als ihre Reise
E più corusco e con più lenti passi
teneva il sole il cerchio di merigge,
che qua e là, come li aspetti, fassi,
108
Die sieben Fraun gehemmt - wie bei der Fahne,
Wenn sich Verdächtges scheint am Weg zu zeigen,
Der Führer halten lässt die Karawane.
quando s'affisser, sì come s'affigge
chi va dinanzi a gente per iscorta
se trova novitate o sue vestigge,
111
Beleuchtet war der Ort so blass und eigen,
Wie sich auf Berggewässer Schatten legen,
Wenn sie der Hochwald deckt mit dunkeln Zweigen.
le sette donne al fin d'un'ombra smorta,
qual sotto foglie verdi e rami nigri
sovra suoi freddi rivi l'alpe porta.
114
Euphrat und Tigris schienen mir entgegen
Zu strömen: schnell erst aus vereinter Quelle,
Dann träg, wie Freunde sich zu trennen pflegen.
Dinanzi ad esse Ëufratès e Tigri
veder mi parve uscir d'una fontana,
e, quasi amici, dipartirsi pigri.
117
»O du, der Menschheit Ruhm und Sonnenhelle,
Was für ein Strom bricht hier vereint zutage
So stark, und spaltet plötzlich seine Welle?«
"O luce, o gloria de la gente umana,
che acqua è questa che qui si dispiega
da un principio e sé da sé lontana?".
120
Bescheid ward mir auf diese Bitte: »Frage
Matelda um Bescheid.« Und darauf sagte
Wie in der Abwehr vorwurfsvoller Klage
Per cotal priego detto mi fu: "Priega
Matelda che 'l ti dica". E qui rispuose,
come fa chi da colpa si dislega,
123
Die Schöne: »Dies und was er sonst noch fragte,
Hab ich ihm schon erklärt und bin gewiss,
Dass er mit Unrecht Lethe drob verklagte.«
la bella donna: "Questo e altre cose
dette li son per me; e son sicura
che l'acqua di Letè non gliel nascose".
126
Und Beatrice: »Leicht mag Finsternis
Verschleiernd sich auf sein Gedächtnis legen,
Wenn größre Sorge dessen Band zerriss.
E Bëatrice: "Forse maggior cura,
che spesse volte la memoria priva,
fatt' ha la mente sua ne li occhi oscura.
129
Doch sieh: Eunos rieselt uns entgegen!
Um die erstorbnen Kräfte neu zu wecken,
Führ ihn zur Flut, gewohnten Amts zu pflegen.«
Ma vedi Eünoè che là diriva:
menalo ad esso, e come tu se' usa,
la tramortita sua virtù ravviva".
132
Und wie ein edles Herz zu fremden Zwecken
Den eignen Willen rückhaltlos lässt leiten,
Mag sie ihm nur ein leiser Wink entdecken,
Come anima gentil, che non fa scusa,
ma fa sua voglia de la voglia altrui
tosto che è per segno fuor dischiusa;
135
So fasste meine Hand beim Weiterschreiten
Die Schöne; und nach edler Frauen Art
Sprach sie zu Statius: »Komm! uns zu begleiten.« -
così, poi che da essa preso fui,
la bella donna mossesi, e a Stazio
donnescamente disse: "Vien con lui".
138
Hätt ich mir, Leser, größern Raum gespart,
Dir würd ich einen Teil der Wonnen singen
Des Tranks, von dem ich nie ersättigt ward.
S'io avessi, lettor, più lungo spazio
da scrivere, i' pur cantere' in parte
lo dolce ber che mai non m'avria sazio;
141
Doch weil die Blätter mir zu Ende gingen,
Die ich bestimmte für den zweiten Sang,
So hemmt der Zaum der Kunst mein Weiterdringen.
ma perché piene son tutte le carte
ordite a questa cantica seconda,
non mi lascia più ir lo fren de l'arte.
144
Verjüngt ich aus der heiligen Flut mich schwang
Gleich einer Pflanze, die im tiefsten Kerne
Der Lenz mit neuer Lebenskraft durchdrang,
Io ritornai da la santissima onda
rifatto sì come piante novelle
rinovellate di novella fronda,
147
Rein und bereit zum Fluge durch die Sterne.
puro e disposto a salire a le stelle.

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