003
So trägt uns fort des Ufers fester Rand,
Und drüber wölbt des Wassers Dunst den Bogen,
Der Damm und Flut beschützt vor Feuersbrand.
Ora cen porta l'un de' duri margini;
e 'l fummo del ruscel di sopra aduggia,
sì che dal foco salva l'acqua e li argini.
006
Ganz wie in Flandern Deiche sind gezogen
Vor Brügge und Kadsant, dass bei der Flut
Das Bollwerk brechen soll die Kraft der Wogen;
Quali Fiamminghi tra Guizzante e Bruggia,
temendo 'l fiotto che 'nver' lor s'avventa,
fanno lo schermo perché 'l mar si fuggia;
009
Und wie des Paduaner Vorsicht tut:
Eh Lenzglut drückt auf Kärntens Gletscherkämme,
Nimmt Stadt und Burgen er in sichre Hut
e quali Padoan lungo la Brenta,
per difender lor ville e lor castelli,
anzi che Carentana il caldo senta:
012
Und schützt die Brenta durch Gestein und Stämme_
In gleicher Art, nur nicht so hoch, erbaute
Hier unbekannten Meisters Kunst die Dämme.
a tale imagine eran fatti quelli,
tutto che né sì alti né sì grossi,
qual che si fosse, lo maestro félli.
015
Bald waren wir vom Wald, der uns umgraute,
Soweit entfernt, dass, wo er nur gelegen,
Der rückgewandte Blick nicht mehr erschaute.
Già eravam da la selva rimossi
tanto, ch'i' non avrei visto dov'era,
perch'io in dietro rivolto mi fossi,
018
Da liefen Seelen uns am Damm entgegen,
Und jede sah, indem sie näher rückte,
Uns prüfend an, wie wir im Neumond pflegen.
quando incontrammo d'anime una schiera
che venian lungo l'argine, e ciascuna
ci riguardava come suol da sera
021
Blinzelnd das Augenlid zusammendrückte
Die ganze Schar; so tut ein greiser Schneider,
Bis ihm ins Nadelöhr zu treffen glückte.
guardare uno altro sotto nuova luna;
e sì ver' noi aguzzavan le ciglia
come 'l vecchio sartor fa ne la cruna.
024
So sah der Schwarm das Nahen unser beider,
Und wie sie alle gafften, da entdeckte
Mich einer, griff beim Saum mich meiner Kleider
Così adocchiato da cotal famiglia,
fui conosciuto da un, che mi prese
per lo lembo e gridò: "Qual maraviglia!".
027
Und rief: »Welch Wunder!« – Da sein Arm sich reckte
Nach mir, sah ich ihm ins Gesicht, das schier
Verbrannt war; doch das bald-erkannte weckte
E io, quando 'l suo braccio a me distese,
ficcaï li occhi per lo cotto aspetto,
sì che 'l viso abbrusciato non difese
030
Vergangner Zeit Erinnerung in mir.
Da bog ich seinem Antlitz meins entgegen
Und rief: »Wie, Herr Brunetto, seid Ihr h i e r ?«
la conoscenza süa al mio 'ntelletto;
e chinando la mano a la sua faccia,
rispuosi: "Siete voi qui, ser Brunetto?".
033
Und er: »Mein Sohn, nicht sei dir’s ungelegen,
Wenn dein Latini umkehrt ein paar Schritte
Und nicht die andern kreuzt auf ihren Wegen.«
E quelli: "O figliuol mio, non ti dispiaccia
se Brunetto Latino un poco teco
ritorna 'n dietro e lascia andar la traccia".
036
Und ich: »Das ist’s, warum ich herzlich bitte!
Auch rast’ ich gern mit Euch zu kurzem Sitze,
Wenn Ihr es wünscht und dies mein Führer litte.« –
I' dissi lui: "Quanto posso, ven preco;
e se volete che con voi m'asseggia,
faròl, se piace a costui che vo seco".
039
»Mein Sohn, wer sitzend ruht, muss in der Hitze,«
Sprach er, »zur Strafe hundert Jahre liegen,
Wehrlos, wie auch das Feuer ihn bespritze!
"O figliuol", disse, "qual di questa greggia
s'arresta punto, giace poi cent'anni
sanz'arrostarsi quando 'l foco il feggia.
042
Drum geh, ich will an dein Gewand mich schmiegen
Und dann zurück zur Wandersippschaft eilen,
Die über Qualen weint, die nie versiegen.«
Però va oltre: i' ti verrò a' panni;
e poi rigiugnerò la mia masnada,
che va piangendo i suoi etterni danni".
045
Ich wagte nicht, zu ihm hinab der steilen
Abhang zu treten, doch ich hielt gesenkt
Das Haupt: in Ehrfurcht neben Ihm zu weilen.
Io non osava scender de la strada
per andar par di lui; ma 'l capo chino
tenea com'uom che reverente vada.
048
Und er: »Welch Schicksal oder Zufall lenkt
Dich vor dem Tode schon in diese Tale,
Wer hat zum Weg die Führung dir geschenkt?« –
El cominciò: "Qual fortuna o destino
anzi l'ultimo dì qua giù ti mena?
e chi è questi che mostra 'l cammino?".
051
»Dort oben, über uns, im heitern Strahle
Des Lichts, verirrt ich mich im Tal der Schrecken,
Eh sich gefüllt noch meines Lebens Schale.
"Là sù di sopra, in la vita serena",
rispuos'io lui, "mi smarri' in una valle,
avanti che l'età mia fosse piena.
054
Erst gestern früh ließ ich die öden Strecken
Und wandte mich zur Flucht, bis mein Begleiter
Erschien und mir den Herweg half entdecken!«
Pur ier mattina le volsi le spalle:
questi m'apparve, tornand'ïo in quella,
e reducemi a ca per questo calle".
057
Brunetto drauf: »Folg deinem Sterne weiter!
Nicht wirst du irregehn zum Port der Ehre,
Falls mich nicht trog das Leben hell und heiter.
Ed elli a me: "Se tu segui tua stella,
non puoi fallire a glorïoso porto,
se ben m'accorsi ne la vita bella;
060
Dein Tun hätt ich gestärkt durch Rat und Lehre,
Dir, dem die Sterne sich so günstig scharen, -
Zu früh kam ich zu diesem Jammerheere.
e s'io non fossi sì per tempo morto,
veggendo il cielo a te così benigno,
dato t'avrei a l'opera conforto.
063
Doch jenes Volk von Schändlich-Undankbaren,
Das ehemals von Fiesole gestiegen
Und noch des Felssteins Härte scheint zu wahren,
Ma quello ingrato popolo maligno
che discese di Fiesole ab antico,
e tiene ancor del monte e del macigno,
066
Dich wird’s ob deiner Tugend schwer bekriegen,
Und muss auch wohl: denn süßer Feigen Frucht
Wird nie am bittern Dornenstrauch sich wiegen.
ti si farà, per tuo ben far, nimico;
ed è ragion, ché tra li lazzi sorbi
si disconvien fruttare al dolce fico.
069
Es strotzt von Hochmut, Habgier, Eifersucht,
Ein altes Sprichwort nennt sie schon die Blinden –
Sei stets vor ihrem Beispiel auf der Flucht!
Vecchia fama nel mondo li chiama orbi;
gent'è avara, invidiosa e superba:
dai lor costumi fa che tu ti forbi.
072
Dein harrt der Ruhm! Gelüst nach dir empfinden
Wird jede der Partein in heißem Ringen –
Dies Kraut soll keins der beiden Mäuler finden!
La tua fortuna tanto onor ti serba,
che l'una parte e l'altra avranno fame
di te; ma lungi fia dal becco l'erba.
075
Einander soll das Viehzeug sich verschlingen
Von Fiesole, jedoch kein Kraut benagen,
Wenn noch ihr Mist ein Kraut hervor kann bringen,
Faccian le bestie fiesolane strame
di lor medesme, e non tocchin la pianta,
s'alcuna surge ancora in lor letame,
078
Woraus der heilge Same neu soll schlagen
Der Römer, die geblieben an der Stätte,
Die solch ein schädlich Bosheitsnest getragen!« –
in cui riviva la sementa santa
di que' Roman che vi rimaser quando
fu fatto il nido di malizia tanta".
081
»Wenn Gott mein Hoffen ganz erfüllet hätte,«
Sprach ich, »gelöst hätt seine Hand noch nicht
Euch teures Glied aus der Naturen Kette.
"Se fosse tutto pieno il mio dimando",
rispuos'io lui, "voi non sareste ancora
de l'umana natura posto in bando;
084
Doch euer gütig Vaterangesicht
Bleibt ewig vorm betrübten Geist mir schweben,
Der nie vergisst, wie Ihr im Erdenlicht
ché 'n la mente m'è fitta, e or m'accora,
la cara e buona imagine paterna
di voi quando nel mondo ad ora ad ora
087
Mich lehrtet, ewgem Ruhme nachzustreben.
Wie hoch ich’s schätze, will ich lebenslange
Mit Worten dankbar zu erkennen geben,
m'insegnavate come l'uom s'etterna:
e quant'io l'abbia in grado, mentr'io vivo
convien che ne la mia lingua si scerna.
090
Und was Ihr spracht von meinem Zukunftsgange
Will ich beherzgen, bis ich d i e darf schauen,
Die alle Rätsel löst dem Zweifeldrange.
Ciò che narrate di mio corso scrivo,
e serbolo a chiosar con altro testo
a donna che saprà, s'a lei arrivo.
093
Doch sei’s gesagt! Und fest sollt Ihr drauf bauen:
Gibt das Gewissen mir kein mahnend Zeichen,
Dann bringt kein Schicksalsschlag mir feiges Grauen!
Tanto vogl'io che vi sia manifesto,
pur che mia coscïenza non mi garra,
ch'a la Fortuna, come vuol, son presto.
096
Ich weiß es wohl, solch Angeld muss ich reichen;
Mag seine Hacke drum der Bauer schwingen,
Mag drehn Fortuna ihres Rades Speichen!« –
Non è nuova a li orecchi miei tal arra:
però giri Fortuna la sua rota
come le piace, e 'l villan la sua marra".
099
Auf mich zurück, indem wir weitergingen,
Wandte Virgil sein Aug und sprach dies Wort:
»Gut hörten, die Gehörtes gut vollbringen!«
Lo mio maestro allora in su la gota
destra si volse in dietro e riguardommi;
poi disse: "Bene ascolta chi la nota".
102
Doch ungestört fuhr ich im Gehen fort,
Zu bitten Herrn Brunett, mir d i e zu nennen,
Die am berühmtesten an diesem Ort.
Né per tanto di men parlando vommi
con ser Brunetto, e dimando chi sono
li suoi compagni più noti e più sommi.
105
»Ist’s lehrreich,« sprach er, »einige zu kennen,
Andre zu übergehn wird löblich scheinen;
Kurz ist die Zeit – bald müssen wir uns trennen.
Ed elli a me: "Saper d'alcuno è buono;
de li altri fia laudabile tacerci,
ché 'l tempo saria corto a tanto suono.
108
Von Ruf und Ruhm sind alle, und es einen
Gelehrte hier sich Gestlichen Zum Bunde
Ob jenes Fehls, den wir alle beweinen.
In somma sappi che tutti fur cherci
e litterati grandi e di gran fama,
d'un peccato medesmo al mondo lerci.
111
Franz von Accorso läuft hier in der Runde,
Priscian auch; und – falls dir’s nicht Ekel brächte,
Zu überschaun den Auswurf hier im Grunde –
Priscian sen va con quella turba grama,
e Francesco d'Accorso anche; e vedervi,
s'avessi avuto di tal tigna brama,
114
Ich wies dir d e n auch, den der Knecht der Knechte
Vom Arno schickte zum Vizenzer Lande,
Wo Missbrauch toller Brunft sein Sterben rächte.
colui potei che dal servo de' servi
fu trasmutato d'Arno in Bacchiglione,
dove lasciò li mal protesi nervi.
117
Gern spräch ich mehr, doch mitgehn hier am Rande
Darf ich nicht länger, denn schon ballt sich dicht
Ein Qualmgewölk empor vom heißen Sande,
Di più direi; ma 'l venire e 'l sermone
più lungo esser non può, però ch'i' veggio
là surger nuovo fummo del sabbione.
120
Auch nahen andre, die zu fliehn mir Pflicht!
Nur mein ‚Tesoro’ sei dir noch empfohlen,
Der mich verewgen soll – mehr wünsch ich nicht!« –
Gente vien con la quale esser non deggio.
Sieti raccomandato il mio Tesoro,
nel qual io vivo ancora, e più non cheggio".
123
Fort lief er, die Genossen einzuholen,
Als ob er zu Veronas Volk gehöre,
Dem Wettlauf spornt uns grüne Tuch die Sohlen,
Poi si rivolse, e parve di coloro
che corrono a Verona il drappo verde
per la campagna; e parve di costoro
126
Als ob er hier gewönne, statt verlöre!
quelli che vince, non colui che perde.

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