003
Zur Zeit, wo nicht imstand die Tagesgluten,
─ Weil Erde, oft Saturn, sie überwindet ─
Zu lindern mehr des Mondes kalte Fluten,
Ne l'ora che non può 'l calor dïurno
intepidar più 'l freddo de la luna,
vinto da terra, e talor da Saturno
006
Und wo der Geomant im Osten findet
Sein »großes Glück«, noch vor der Dämmrung blinkend
Auf Bahnen, wo alsbald das Dunkel schwindet:
quando i geomanti lor Maggior Fortuna
veggiono in orïente, innanzi a l'alba,
surger per via che poco le sta bruna -,
009
Erschien im Traum ein Weib, scheeläugig zwinkend
Und stotternd; Krüppelhände hingen nieder;
Bleich sah sie aus, auf krummen Beinen hinkend.
mi venne in sogno una femmina balba,
ne li occhi guercia, e sovra i piè distorta,
con le man monche, e di colore scialba.
012
Ich sah sie an ─ und wie die kalten Glieder
Die Sonne neu belebt, die nachts erstarrten,
So löste ihr mein Blick die Zunge wieder
Io la mirava; e come 'l sol conforta
le fredde membra che la notte aggrava,
così lo sguardo mio le facea scorta
015
Und richtet' bald sie völlig auf, die harten
Verstörten Wangen mit dem Hauche färbend,
Wie ihn die Liebe gerne mag erwarten.
la lingua, e poscia tutta la drizzava
in poco d'ora, e lo smarrito volto,
com'amor vuol, così le colorava.
018
Der Stimme Macht auf diese Weis erwerbend,
Begann sie so zu singen, daß ich jene
Bezaubrung kaum verwand, so mächtig werbend.
Poi ch'ell'avea 'l parlar così disciolto,
cominciava a cantar sì, che con pena
da lei avrei mio intento rivolto.
021
Sie sang: »Ich bin die liebliche Sirene;
Auf hoher See die Schiffsgesellen bann ich,
So sehr sind sie entzückt vom Phänomene.
"Io son", cantava, "io son dolce serena,
che ' marinari in mezzo mar dismago;
tanto son di piacere a sentir piena!
024
Ulysses auf der Wanderfahrt gewann ich
Durch meinen Sang; wer sich von mir läßt zähmen,
Kehrt kaum noch heim, denn ganz beglücken kann ich.«
Io volsi Ulisse del suo cammin vago
al canto mio; e qual meco s'ausa,
rado sen parte; sì tutto l'appago!".
027
Bevor sich ihre Zunge noch ließ lähmen,
Stand eine Fraue, heilig und geschäftig,
Dicht neben mir, die andre zu beschämen.
Ancor non era sua bocca richiusa,
quand'una donna apparve santa e presta
lunghesso me per far colei confusa.
030
»Vergil, Vergil, wer ist das?" rief sie heftig,
Und dieser kam, die Augen zum Aspekte
Der Frommen einzig richtend. Die griff kräftig
"O Virgilio, Virgilio, chi è questa?",
fieramente dicea; ed el venìa
con li occhi fitti pur in quella onesta.
033
Die andre an, riß ihr Gewand, und deckte
Sie vorne auf, um mir den Leib zu zeigen,
Der durch den Stank, der ihr entstieg, mich weckte.
L'altra prendea, e dinanzi l'apria
fendendo i drappi, e mostravami 'l ventre;
quel mi svegliò col puzzo che n'uscia.
036
Ich wandt mich ab; da brach Vergil das Schweigen:
»Schon mehr als dreimal rief ich; auf! komm schnelle,
Den Spalt zu suchen, wo wir höher steigen!«
Io mossi li occhi, e 'l buon maestro: "Almen tre
voci t' ho messe!", dicea, "Surgi e vieni;
troviam l'aperta per la qual tu entre".
039
Da stand ich auf; schon hingen alle Wälle
Des heiligen Bergs vom hohen Tag umzogen;
Und fort ging's, hinter uns die junge Helle.
Sù mi levai, e tutti eran già pieni
de l'alto dì i giron del sacro monte,
e andavam col sol novo a le reni.
042
Ihm folgend, trug ich meine Stirn gebogen,
Wie wer bedrückt ist von Gedankenschwere
Und selbst sich macht zum halben Brückenbogen.
Seguendo lui, portava la mia fronte
come colui che l' ha di pensier carca,
che fa di sé un mezzo arco di ponte;
045
»Kommt her! Hier ist der Durchgang.« Diese Märe
Ertönte, wie sie nie so süß und sittig
In sterblicher Gemarkung hörbar wäre.
quand'io udi' "Venite; qui si varca"
parlare in modo soave e benigno,
qual non si sente in questa mortal marca.
048
Der's sprach, wies mit gespanntem Schwanenfittich
Uns dann hinauf, und zwischen, harten Wänden
Des Felsens sah die Spalte in der Mitt ich.
Con l'ali aperte, che parean di cigno,
volseci in sù colui che sì parlonne
tra due pareti del duro macigno.
051
Er schwenkte nun die beiden Flügelenden
Und fächelt' uns, "qui lugent" seligpreisend,
Da man den Seelen einmal Trost wird spenden.
Mosse le penne poi e ventilonne,
'Qui lugent'affermando esser beati,
ch'avran di consolar l'anime donne.
054
»Was hast du?« sprach mein Meister leis verweisend,
»Daß wieder du den Kopf nicht hoch kannst tragen?«
Mit mir vom Engel an schon weiterreisend.
"Che hai che pur inver' la terra guati?",
la guida mia incominciò a dirmi,
poco amendue da l'angel sormontati.
057
Und ich: »Es läßt mich gehn mit solchem Zagen
Die neue Vision, die so mich bindet,
Daß ich sie mir nicht aus dem Sinn kann schlagen.«
E io: "Con tanta sospeccion fa irmi
novella visïon ch'a sé mi piega,
sì ch'io non posso dal pensar partirmi".
060
─ »Du sahst die alte Hexe, die uns schindet,
Daß sie allein bewirkt die obre Buße?
Und sahst du auch, wie man sich ihr entwindet?
"Vedesti", disse, "quell'antica strega
che sola sovr'a noi omai si piagne;
vedesti come l'uom da lei si slega.
063
Das sei genug! Tritt auf mit rüstigem Fuße;
Blick auf das Lockspiel, das in Sphärengängen
Der ewige König umschwingt dir zum Gruße!«
Bastiti, e batti a terra le calcagne;
li occhi rivolgi al logoro che gira
lo rege etterno con le rote magne".
066
Und wie der Falk, erst blickend nach den Fängen,
Zum Ruf sich kehrt, und, gierig nach dem Fraße,
Die Schwingen streckt um darauf loszusprengen,
Quale 'l falcon, che prima a' piè si mira,
indi si volge al grido e si protende
per lo disio del pasto che là il tira,
069
So tat auch ich, bemüht in gleichem Maße:
Soweit zum Pfad die Felsen seitwärts biegen,
Klomm ich, bis wo beginnt die Gürtelstraße.
tal mi fec'io; e tal, quanto si fende
la roccia per dar via a chi va suso,
n'andai infin dove 'l cerchiar si prende.
072
Als wir zum fünften Kreis ins Freie stiegen,
Sah ich umher ein weinend Volk allda,
Die Stirne abgekehrt, am Boden liegen.
Com'io nel quinto giro fui dischiuso,
vidi gente per esso che piangea,
giacendo a terra tutta volta in giuso.
075
»Adhaesit pavimento anima mea,«
Hört ich sie unter schweren Seufzern klagen;
Die Worte drangen kaum dem Ohre nah.
'Adhaesit pavimento anima mea'
sentia dir lor con sì alti sospiri,
che la parola a pena s'intendea.
078
»O Auserkorne Gottes, deren Plagen
Gerechtigkeit und Hoffnung euch versüßen,
Zeigt uns, wo die erhabnen Stufen ragen!«
"O eletti di Dio, li cui soffriri
e giustizia e speranza fa men duri,
drizzate noi verso li alti saliri".
081
─ »Kommt ihr nicht her, durch Liegen hier zu büßen,
So müßt die Rechte ihr nach außen halten,
Soll euch der Weg am ehesten begrüßen.«
"Se voi venite dal giacer sicuri,
e volete trovar la via più tosto,
le vostre destre sien sempre di fori".
084
So bat Vergil; die Gegenworte schallten
Dicht vor uns, daß ich durch dies Sprechen Kenntnis
Von dem, was noch verborgen war, erhalten.
Così pregò 'l poeta, e sì risposto
poco dinanzi a noi ne fu; per ch'io
nel parlare avvisai l'altro nascosto,
087
Mein Blick erbat des Meisters Einverständnis;
Da gab sein froher Wink, auf das Gebaren
Der Sehnsucht, mir gewährendes Erkenntnis.
e volsi li occhi a li occhi al segnor mio:
ond'elli m'assentì con lieto cenno
ciò che chiedea la vista del disio.
090
Als ich nun, nach Belieben konnt verfahren,
Trat ich heran zum Wesen, dem abseitigen,
Das durch sein Wort sich wollte offenbaren,
Poi ch'io potei di me fare a mio senno,
trassimi sovra quella creatura
le cui parole pria notar mi fenno,
093
Und sprach: »O Geist du, dessen Tränen zeitigen,
Was unerläßlich um zu Gott zu kommen,
Woll größre Sorge mir zulieb beseitigen!
dicendo: "Spirto in cui pianger matura
quel sanza 'l quale a Dio tornar non pòssi,
sosta un poco per me tua maggior cura.
096
Wer warst du, sag mir! Und was soll es frommen,
Euch umzudrehn? Soll ich dir was geloben
Zu tun dort, wo ich lebend hergeklommen?«
Chi fosti e perché vòlti avete i dossi
al sù, mi dì, e se vuo' ch'io t'impetri
cosa di là ond'io vivendo mossi".
099
Und er: »Warum den Rücken wir nach oben
Gewendet, hörst du noch; vernimm einstweilen,
Daß ich zum Stuhle Petri ward erhoben.
Ed elli a me: "Perché i nostri diretri
rivolga il cielo a sé, saprai; ma prima
scias quod ego fui successor Petri.
102
Dort zwischen Chiavari und Sestri eilen
Die Wellen eines Flüßchens, das die Würde
Des Titels meinem Blute mußt erteilen.
Intra Sïestri e Chiaveri s'adima
una fiumana bella, e del suo nome
lo titol del mio sangue fa sua cima.
105
Fünf Wochen spürte ich, wie schwer mir's würde,
Den großen Mantel aus dem Schmutz zu heben,
Daß Flaum dagegen jede andre Bürde.
Un mese e poco più prova' io come
pesa il gran manto a chi dal fango il guarda,
che piuma sembran tutte l'altre some.
108
Erst spät, weh mir, begann mein beßres Streben,
Doch als ich Hirt von Rom dann ward am Ende,
Erkannt ich, wie verlogen ist das Leben.
La mia conversïone, omè!, fu tarda;
ma, come fatto fui roman pastore,
così scopersi la vita bugiarda.
111
Ich sah, daß dort das Herz nicht Ruhe fände;
In jener Welt ging's nicht zu höherm Throne,
Drum nahm zu dieser meine Lieb die Wende.
Vidi che lì non s'acquetava il core,
né più salir potiesi in quella vita;
per che di questa in me s'accese amore.
114
Es war bis dahin elend zweifelsohne
Die Seele, gottfremd, ganz dem Geiz verfallen;
Nun, siehst du, kam ich zum verdienten Lohne.
Fino a quel punto misera e partita
da Dio anima fui, del tutto avara;
or, come vedi, qui ne son punita.
117
Was Geiz bewirkt in dem, den er befallen,
Zeigt dir der Abgekehrten Büßerleben.
's ist auf dem Berg das bitterste von allen.
Quel ch'avarizia fa, qui si dichiara
in purgazion de l'anime converse;
e nulla pena il monte ha più amara.
120
Wie unser Auge sich nicht wollte heben
Zum Himmel und auf Irdisches nur blickte,
So läßt's Gerechtigkeit am Staube kleben.
Sì come l'occhio nostro non s'aderse
in alto, fisso a le cose terrene,
così giustizia qui a terra il merse.
123
Und wie der Geiz in uns die Lieb erstickte
Zu allem Guten, jede Tat zu sperren,
So ist's, daß uns Gerechtigkeit verstrickte
Come avarizia spense a ciascun bene
lo nostro amore, onde operar perdési,
così giustizia qui stretti ne tene,
126
An Hand und Fuß, zur Erde uns zu zerren.
So bleiben wir gestreckt, und starr die Glieder,
Solang's gefällig dem gerechten Herren.«
ne' piedi e ne le man legati e presi;
e quanto fia piacer del giusto Sire,
tanto staremo immobili e distesi".
129
Ich war zum Wort bereit und kniete nieder,
Doch als die ehrerbietige Gebärde
Er hörend wahrnahm, sträubt' er sich dawider:
Io m'era inginocchiato e volea dire;
ma com'io cominciai ed el s'accorse,
solo ascoltando, del mio reverire,
132
»Aus welchem Grunde zieht es dich zur Erde?«
Ich sagte: »Eurer Würde zu Gefallen,
Macht stehend mein Gewissen mir Beschwerde.«
"Qual cagion", disse, "in giù così ti torse?".
E io a lui: "Per vostra dignitate
mia coscïenza dritto mi rimorse".
135
─ »Auf, Bruder,« sprach er, »heb dich und laß fallen
Den Irrtum! Mitknecht unter einer Großmacht
Bin ich mit dir und mit den andern allen.
"Drizza le gambe, lèvati sù, frate!",
rispuose; "non errar: conservo sono
teco e con li altri ad una podestate.
138
Hast du das Wort, das uns von allem losmacht,
Das 'neque nubent' aus der Schrift behalten,
So siehst du wohl, warum mich nichts mehr groß macht.
Se mai quel santo evangelico suono
che dice 'Neque nubent'intendesti,
ben puoi veder perch'io così ragiono.
141
Nun geh: ich möchte dich nicht länger halten;
Dein Weilen macht das Weinen mir zunichte,
Wodurch sich was du sagtest muß entfalten.
Vattene omai: non vo' che più t'arresti;
ché la tua stanza mio pianger disagia,
col qual maturo ciò che tu dicesti.
144
Alagia hab ich drüben, eine Nichte,
Von Herzen gut, bringt sie nur ihrer Lieben
Schlecht Beispiel niemals aus dem Gleichgewichte.
Nepote ho io di là c' ha nome Alagia,
buona da sé, pur che la nostra casa
non faccia lei per essempro malvagia;
147
Sie ist die Einzige, die mir dort verblieben.«
e questa sola di là m'è rimasa".

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