André-Ernest-Modeste Grétry
Zemire und Azor
Singspiel in vier Aufzügen
Personen
Azor, Persischer Prinz, König von Kamir, anfangs unter einer gräßlichen Gestalt
Sander, ein Persianer, Handelsmann in Ormus
Ali, Sklave des Sander
Zemire,
Fatme,
Lisbe, Töchter des Sander
Eine Fee
Schutzgeister und Feen
Der Schauplatz ist in Persien, wechselsweise in einem Feenpallaste, und in einem sehr geringen Landhause an dem Meerbusen bey Ormus.
Erster Aufzug.
Erster Auftritt.
Sander, Ali.
SANDER. Welche seltsame Begebenheit! ein hell erleuchteter, mit dem kostbarsten Geräthe verschener, reich ausgezierter Pallast, in welchem ich niemand antreffe!
ALI voller Schrecken. Herr! wir wollen vorsichtig seyn und hurtig ausziehen. Hier ist nicht gut seyn. Ich vermuthe –
SANDER. Was denn?
ALI. Daß dieß alles nur ein Zauberwerk ist.
SANDER. Ein Zauberwerk? Je nu! wenn es auch wäre. Mitten in einem Sturmwetter, in der Nacht, in einem finstern Walde, sind wir nur noch allzuglücklich, diesen Schutzort zu finden.
ALI. Hätten Sie wohl das Herz, diese Nacht hier zu bleiben?
SANDER. Warum nicht?
ALI. Herr! nehmen Sie sich in Acht.
SANDER. Gut! Warum fürchtest du dich? Wenn jemand in diesem Pallaste wohnet, so nimmt er uns ziemlich wohl auf.
ALI. Wenn es aber ein Geist wäre?
SANDER. Je nu?
ALI. Glauben Sie mir, lassen Sie uns eilig absegeln.
Arie.
Ja, glauben Sie es auf mein Wort,
Das Wetter wird gelinde,
Schon legen sich die Winde,
Kommen Sie fort, fort, eilends fort;
Es ist vorbey, die Wolken fliehen,
Die das Licht überziehen,
Schon eilt ihr schneller Lauf,
Sehen Sie, der Himmel klärt sich auf.
Die Töchter kränken sich,
Die sich mit bangen Thränen
Nach dem Vater itzt sehnen,
Warum verweilen Sie sich?
Sie lieben sie, die holden Schönen,
Warum, warum verweilen Sie sich?
Ja, glauben Sie auf mein Wort etc.
SANDER. Was sagst du? der Sturm wird heftiger.
ALI bey Seite. Er hat Recht.
SANDER. Wie soll ich meinen Weg wieder finden?
ALI mit Eifer. Ich will Sie an der Hand führen.
SANDER. Wir sind wohl, wir wollen hier die Nacht unbesorgt zubringen.
ALI voller Schrecken. Unbesorgt!
SANDER. Morgen wollen wir mit dem Anbruche des Tages fortreisen.
Arie.
Es macht mich kein Unglück verzagen,
Und alle Furcht verlieret sich;
Ach! ich habe nichts mehr zu wagen,
Leben ist ja kein Glück für mich.
Ich bin gestürzt. Was ich besitze,
Was mir der Himmel einst geschenkt,
Meiner Hoffnung einzige Stütze,
Ist im Schlunde des Meeres versenkt.
Es macht mich kein Unglück verzagen etc.
ALI. Ey! ich, der ich niemals ein anders Gut besaß, als mein Leben, ich setze es nicht gern in Gefahr.
SANDER. Sey nur zufrieden, laß mich ausruhen, und schlafe, wenn du kannst.
ALI. Ich habe gar keine Lust dazu. Bey Geistern zu schlafen! und dabey noch ohne zu Nacht gegessen zu haben! – Ein Tisch, worauf eine vollkommene Mahlzeit aufgedeckt ist, erscheint mitten im Saale. O Himmel!
SANDER. Was giebt es?
ALI. Herr! ein gedeckter Tisch!
SANDER. Du siehst, es ist jemand für unsere Bedürfnisse besorgt.
ALI zitternd. Ja, jemand!
SANDER. Setze dich hieher.
ALI. Werden Sie wohl essen?
SANDER. Freylich. Unser Wirth läßt es recht prächtig zugehen; er sparet nichts.
ALI indem er die Stimme erhebt. Diesem Herrn ist nichts zu kostbar. Leiser. Ich muß Gutes von ihm reden, denn er steht gewiß da, und höret uns zu.
SANDER. Dieß sind sehr köstliche Speisen.
ALI. Ach! wenn ich das Herz hätte – was für eine Mahlzeit!
SANDER. Herzhaft zugegriffen, glaube mir.
ALI. Nu! laßt einmal sehen. Er ißt.
SANDER. Wie! auch Wein!
ALI voller Freude. Wein!
SANDER. Koste ihn.
ALI. Ja; was diesen betrifft, dem kann ich nicht widerstehen.
SANDER. Deine Hand zittert?
ALI. Ach! Herr! dieser goldene Saft ist vielleicht nur ein langsames Gift. Aber, meintwegen. Er trinkt. Er ist vortreflich; und sollte ich mir auch den Tod hineinsaufen, so will ich meine Flasche leeren.
SANDER. Nu? wie befindest du dich?
ALI. Die heilsame Kraft dieses stärkenden Balsams lindert nach und nach meinen Schmerz. Vor Müdigkeit und Schrecken sank ich fast nieder; aber ich fühle, daß ich wieder Kräften und Muth bekomme. Er trinkt. Noch ein klein Schlückchen! Ach! der al lerliebste Trank!
Arie.
Jene Geister, womit man schreckt,
Sind doch die allerbesten Leute;
Da herrschet immer Pracht und Freude,
Ach! welch ein Wein! welch ein Confect!
Ach! welch ein Wein! welch ein Confect!
Jene Geister, womit man schreckt,
Sind doch die allerbesten Leute.
Nur der Neid will sie unterdrücken,
Laßt die albernen Träumer schreyn;
Sie reizen mich bis zum Entzücken,
Ich könnte stets bey Ihnen seyn,
Hätt ich nur oft mich zu erquicken,
Von ihren goldnen Götterwein.
Jene Geister, womit man schreckt etc.
SANDER. Nun, itzt ist Ali doch einmal ein Mann; er fürchtet nichts.
ALI. O! nicht das mindeste. Nun will ich mir erst etwas schönes träumen lassen. Er wirft sich auf einen Stul.
SANDER. Ich muß doch einmal sehen, was es für Wetter giebt.
ALI indem er einschläft. Ich hätte aufrecht einschlafen können.
Arie.
Duo.
SANDER.
Die Sonne scheint.
ALI.
Je nu! meintwegen.
SANDER.
Ali!
ALI.
Still, still!
SANDER.
Fort müssen wir.
ALI.
Ey! was ist mir daran gelegen?
Ich schlafe hier.
SANDER.
Fort müssen wir.
Zu Hause wird der Schlaf dir schmecken,
Da ruhst du viel bequemer aus.
ALI.
Ich schlaf auf Stülen, wie auf Decken,
Wir sind ja hier, so wie zu Haus.
SANDER.
Der Tag geht auf;
ALI.
Er mag sich legen.
SANDER.
Ali! ich gehe ohne dich.
ALI.
Gehn Sie nur fort und warten Sie nicht auf mich.
SANDER.
Wenn ein wildes Thier auf den Wegen
Dich überfällt?
ALI.
Ha! Ali lacht.
SANDER.
Der Wein hat dich beherzt gemacht.
ALI.
Der Wein hat mich beherzt gemacht.
SANDER. Fort, meine Kinder warten auf mich. Steh auf, ich befehle es dir, wir wollen auf der Stelle abreisen.
ALI. Ach! lassen Sie mich zum wenigsten noch einen Schluck thun. Er trinkt.
SANDER. Da ich diesen schönen Ort verlasse, so will ich einen Zeugen haben, der dieses Wunderwerk bestätigen könne. Als meine kleine Zemire Abschied von mir nahm, begehrte sie nur eine Rose von mir; ich will eine von diesem Rosenstocke abbrechen. Er nähert sich einem Rosenstocke, der auf einem Tischchen sicht und bricht eine Rose davon ab.
Zweyter Auftritt.
Azor, Sander, Ali.
AZOR unter einer gräßlichen Gestalt. Holla!
ALI zitternd. Himmel!
SANDER. Was sehe ich?
AZOR. Was thust du hier? und warum nimmst du mir meine Rosen?
SANDER. Ich bitte um Vergebung. Ich sah nichts böses dabey. Da du so freygebig in allen Sachen bist, glaubte ich nicht, daß du so misgünstig mit diesen Blumen seyn würdest.
AZOR. Verwegener, Undankbarer, ich gebe dir hier einen Schutzort, ein herrliches Nachtessen, den besten Wein, den ich habe; und du willst noch, ich soll dir vergeben, daß du mir meine Blumen stielst? Nein, ich will mich rächen, du sollst sterben.
SANDER. Du kannst über mein Leben gebieten, ich beklage den Verlust desselbigen nicht, und warum sollte ich wohl Tage vertheidigen, die des Neides so wenig würdig sind? Nur meine Kinder bedaure ich.
AZOR. Das Schicksal hat dich, wie man sagt, Vater von drey Töchtern werden lassen.
SANDER. Ach! dieß ist eben die Ursache meiner Verzweiflung, daß ich sie ohne Stütze verlassen muß.
ALI. Ach! Sie würden Mitleiden mit ihm haben, wenn Sie wüßten, wie schön seine drey Töchter sind.
SANDER. Ich komme von Ormus. Ich suchte daselbst Nachrichten von einem Schiffe zu erfahren, welches meine letzte Hoffnung war. Meine Töchter glaubten, sie würden mich bey meiner Rückkunft in dem Besitze der größten Schätze sehen; bey meiner Abreise begehrte die eine Bänder, die andere Spitzen von mir, aber die jüngste ließ ihnen alle diese kostbare Kleinigkeiten, und mit einer zärtlichen und liebkosenden Mine sagte sie zu mir, indem sie mir um den Hals fiel: »Ich will nur eine Rose, sie wird mir werther seyn, als das prächtigste Geschenk, und dann werde ich sagen, mich würdigte mein Vater seines Andenkens, indem er sie pflückte.«
Arie.
Ach! armes Kind! du wußtest nicht,
Daß mir itzt dein Wunsch das Urtheil spricht.
O! Freund, ach! halt es ihr verborgen,
Daß mir die Rose den Tod verliehn!
Ihre zärtlich treuen Sorgen
Rufen mich itzt zu ihr hin;
Ich versprach es diesen Morgen.
Ach! armes Kind, du wußtest nicht,
Daß mir itzt dein Wunsch das Urtheil spricht.
AZOR. Ich habe eine sehr mitleidige Seele, ich lasse mich leicht rühren. Aber, statt deiner muß eine deiner Töchter ihre Einwilligung dazu geben, sich mir zu überlassen.
SANDER. Ich! dir meine Tochter in die Hände liefern!
AZOR. Du mußt es mir versprechen, oder diesen Augenblick –
ALI. Die stärkste Macht ist auf seiner Seite. Wir können nichts anders thun, als uns ihm unterwerfen.
SANDER. Grausamer! einer Blume wegen!
AZOR. Weißt du denn, ob nicht mein Schicksal von diesen Blumen abhängt, die durch ein Zauberwerk aufblühten?
SANDER bey Seite. Nein, ich will lieber sterben, als ihr Leben in Gefahr setzen. Aber, ich will sie zuvor wieder sehen, sie noch einmal umarmen.
AZOR. Nu?
ALI leise zum Sander. Versprechen Sie immerhin.
SANDER. Unerachtet des Schicksals, welches uns droht, so gebe ich dir mein Wort, und ich werde es dir halten: Eine derselben wird an meine Stelle treten, oder ich werde selbst wieder zurückkommen.
AZOR. Das versöhnt uns wieder mit einander. Nimm diese Blume zurück.
SANDER. Ich!
AZOR. Nimm sie zurück; ich will es so haben. Sie sey für alle beyde der gegenseitige Bürge des Verspruchs, der uns verpflichtet.
Arie.
Ja, halte nur dein Wort,
Denn du kömmst mir nicht fort.
Zu Wasser und zu Lande
Kennt man schon meine Macht,
Zu allem bin ich im Stande,
Werd ich zur Rache gebracht.
Doch, zähl auf meine Güte,
Wird nur mein Wunsch gestillt,
Glaub, daß, wenn du erfüllt,
Was ich dir itzt gebiete,
Einst mein dankbar Gemüthe
Dir deinen Dienst vergilt.
Doch, halte nur dein Wort etc.
Wähle, entweder meinen Zorn, oder meinen Dank.
SANDER. Ich fürchte deine Macht nicht so sehr, als ich mein gegebenes Wort verehre.
AZOR. Nimm dich wohl in Acht. Komm, folge mir; ich will dir die Reise verkürzen, und in diesem Augenblicke soll dich eine Wolke von hier nach deiner Wohnung tragen.
ALI zitternd. Eine Wolke! Ach! erlauben Sie –
AZOR. Was?
ALI. Daß ich zu Fuß fortgehen darf.
AZOR. Warum denn?
ALI. Ich bin nicht gewohnt, auf einer Wolke zu reisen.
AZOR. Willst du vielleicht lieber einen Drachen haben?
ALI mit einem heftigern Schrecken. O! nein. Um so zu reisen, ist mir mein Kopf zu schwindelicht.
AZOR. Nun, du kannst deinen Herrn hier erwarten.
ALI. Nein! Anfangs habe ich mich vor der Wolke gefürchtet; aber es hat nichts zu sagen. Weil mein Herr darauf reiset, so kann ich wohl auch mit.
AZOR. So komm denn.
ALI. Unterdessen wenn –
AZOR. Kein Wenn!
ALI. Nu dann, so mag mich der Teufel holen, wenn es nur weit von hier weg ist.
Symphonie, welche den Flug der Wolken ausdrückt.
Die Schaubühne verändert sich und stellet das Innere in dem Hause des Sander vor.
Ende des ersten Aufzuges.
Zweyter Aufzug.
Erster Auftritt.
Zemire, Fatme, Lisbe, bey dem Scheine einer Lampe arbeitend.
Arie.
Trio.
ALLE DREY.
Laßt, Schwestern, laßt uns ferner wachen,
Seht schon die Morgenröthe lachen,
Die uns das Licht des Tages giebt.
Tag voll Glücke,
Bring zurücke
Einen Vater, der uns liebt.
FATME.
Er bringt mir mit schöne Spitzen,
LISBE.
Mir ein schönes neues Band,
FATME.
O! bald werd ich sie besitzen,
LISBE.
Bald knüpft es meine Hand.
ZEMIRE.
Mir bringt er mit eine Rose,
Dieß Geschenk hab ich begehrt.
FATME UND LISBE.
Sonst nichts weiter? nur eine Rose?
ZEMIRE.
Seine Hand macht mir sie werth.
ALLE DREY.
Laßt, Schwestern, laßt uns ferner wachen etc.
Zweyter Auftritt.
Sander, Ali, die drey Töchter.
ZEMIRE, FATME UND LISBE. Ach! mein Vater!
SANDER. Guten Tag, meine Kinder.
ZEMIRE. Welche Freude verursachet uns Ihre glückliche Zurückkunft!
FATME. Der Himmel giebt Sie unserer Liebe wieder.
SANDER. Er erlaubt, daß ich euch wieder sehe.
ALI bey Seite. Hier bin ich nun. Ich bin noch ganz betäubt. Die Winde sind doch ein prächtiges Fuhrwerk! da laß man mir den verwegensten Waghals kommen, ob er sich nicht davor fürchten wird.
ZEMIRE zum Sander. Ist Ihre Reise glücklich gewesen?
FATME. Kommen Sie recht reich zurück?
SANDER. Ach! alles ist zu Grunde gegangen.
LISBE UND FATME. Alles ist zu Grunde gegangen!
SANDER. Nun sind wir wieder in das Elend zurück gefallen.
ZEMIRE. Mein Vater, Sie werden deswegen nur desto mehr geliebt werden.
SANDER zur Fatme und Lisbe. Meine Kinder, ihr weinet! Zur Zemire. und du, du tröstest mich!
ZEMIRE. Sie selbst, Sie zähleten so wenig auf nichtige Hoffnungen! Wir haben noch genug, Sie geste hen es ja selbst. Man braucht so wenig, um glücklich zu seyn. Der Vogel in dem Walde hat auch keine Güter, so wie wir; an dem Tage singt er und in der Nacht ruhet er. Er hat nur ein Nest. Was fehlet ihm? nichts. Ich habe oft in dem Felde den armen und lustigen Schnitter gesehen, wie er mit seiner Gefehrtinn tändelte und sein Glück vergnügt besang. Lustig, mein Vater, lustig, munter! ihr Beyspiel ist eine schöne Lehre für uns. Ali kann den Feldbau wohl allein versehen, und ihr, meine Schwestern, und ich, wir wollen die Erndte besorgen. Nicht wahr, meine Schwestern, ein Vater, der uns liebt, dient uns statt aller Reichthümer, und ist für unsere Wünsche hinreichend?
LISBE. Ja, meine Schwester.
FATME. Ach! ja.
ZEMIRE. Wir denken alle eben so; seyen Sie also nicht mehr unglücklich.
SANDER. Das arme Kind! wie rührend ist sie! Ihre Vernunft, ihre Schönheit, ihre Zärtlichkeit entzücken mich. Ich habe an dich gedacht. Zur Fatme und Lisbe. Was euch beide betrifft, so konnte ich nicht – ihr wißt die Ursache.
FATME UND LISBE. Sie sind allzugütig.
SANDER zu den Nemlichen. Bedauret mich. Du, Zemire, du hast nur eine Rose begehret; hier ist sie.
ZEMIRE. O! Sie machen mir die entzückendste Freu de.
SANDER. Ja, sie soll dir werth seyn. Leise. Sie kömmt mich theuer genug zu stehen.
ZEMIRE.
Arie.
Schönste der Rosen,
Du, meine Lust;
Auf meiner Brust
Dich liebzukosen,
Ist meine Lust;
Schönste der Rosen,
Du, meine Lust,
Komm und stirb einst an meiner Brust.
SANDER. Meine Kinder! ihr habt die ganze Nacht gewacht; ich habe selbst Ruhe nöthig. Kommt, umarmet mich. Bey Seite. Himmel! wozu hast du mich gebracht!
Fatme und Lisbe gehen ab, Zemire bleibt und betrachtet ihren Vater, der sich, vom Schmerze niedergeschlagen, auf einen Stul wirft.
Dritter Auftritt.
Sander, Ali, Zemire.
ZEMIRE bey Seite. Wie betrübt er ist!
SANDER wird sie gewahr. Geh fort.
ZEMIRE. Nein, ich liebe Sie mehr, als mein Leben, und ich kann nicht –
SANDER. Geh fort. In dem Zustande, in welchem ich bin – Laß mich allein.
ZEMIRE. Woher kömmt Ihnen dieser äusserste Schmerz?
SANDER bey Seite. Was soll ich ihr sagen? Laut. Geh nur, es ist nichts.
ZEMIRE. Es ist nichts! Nein, Ihr Herz kann sich nicht vor dem meinigen verbergen. Ehe Sie die Hoffnung hatten, dieses Schiff wieder zu erhalten, waren Sie über den vermutheten Verlust desselbigen getröstet; und itzt, welch ein Unterschied! Traurig, niedergeschlagen, muthlos – Mein Vater! in welchem Zustande sind Sie! Sagen Sie mir Ihren geheimen Kummer und Sie werden Linderung fühlen. Vor Ihrer armen Kleinen, die Sie so zärtlich liebt, sollte wohl vor dieser Ihr Herz einen Augenblick den Kummer verheelen, der es beunruhiget?
SANDER. Laß mich allein – Sie entfernet sich ein wenig. Bey Seite. Ich betrübe sie; ich muß sie trö sten. Laut zur Zemire. Komm, umarme deinen Vater, ehe du fortgehst.
ZEMIRE. Mein Vater!
SANDER. Nun, geh fort. Geh, ruhe aus, sage ich dir. Er geht ab.
ZEMIRE bey Seite. Nein, ich gehe ihm nach. Ich will wissen, was ihn betrübet. Sein Stillschweigen macht mich zittern.
Vierter Auftritt.
ALI allein. Ich glaube, ich träume; es dünkt mich, ich bin nicht ganz richtig in dem Kopfe. Ich habe mich nicht von meinem Schrecken erholet. Mein armer Herr! er hat versprochen; und wo soll er wohl Mittel finden, sein Wort zu brechen? Da sieht man doch, was man, ohne daran zu denken, mit dem Reisen gewinnt.
Arie.
Ich mag nicht mehr nach fremden Reichen,
Denn ich stürb gern alt, wenn ich kann;
Ich will den jungen Pflanzen gleichen,
Wo ich bin, faß ich Wurzel an.
Will man noch auf dem Lande reisen,
Bey schönem Wetter mag es seyn,
Auch zu Wasser bey Sonnenschein,
Will ich noch lustge Fahrten heissen;
Allein gar auf den Wolken fahren,
Die Erde sehen so tief, so tief, so tief,
Da steht es mit dem Reisen schief,
Davor soll mich der Himmel bewahren,
Mir schwindelt der Kopf bey jedem Schritt,
So reise ich nicht mehr wieder mit.
Fünfter Auftritt.
Ali, Zemire.
ZEMIRE. Ali, mein lieber Ali, sage mir, was meinem Vater fehlt. Sein Stillschweigen bringt mich zur Verzweiflung. Seine Umarmungen sind mit Klagen, mit Seufzern untermischt, die mein Herz mit der heftigsten Unruhe erfüllen.
ALI bey Seite. Ich will nur fortgehen.
ZEMIRE. Wie! du fliehst mich!
ALI. O! ich, ich kann den Thränen nicht widerstehen.
ZEMIRE. Lieber Ali, habe Mitleiden mit dem Zustande, in welchem ich bin. Würdige mich, mir den Kummer deines Herrn anzuvertrauen. Vielleicht kann ich ihn lindern; ich will ihn beruhigen, wenn ich kann.
ALI bey Seite. Das liebenswürdige Kind! wie schade, daß sie in ihrem Alter gefressen werden soll! Er würde nur eine einzige Mahlzeit aus ihr machen.
ZEMIRE. Was sagst du da?
ALI bey Seite. Nein; ich wette, er würde sie nicht fressen. Hören Sie. Es ist ganz gewiß, ohne Ihren Beystand ist Ihr Vater ein verlorener Mann.
ZEMIRE. Mein Vater?
ALI. Er hat mir sehr scharf verboten, Ihnen dieses anzuvertrauen; aber hier helfen alle Ausflüchte nichts, ich darf Ihnen nichts verheelen. Diese Nacht, in einem Walde –
SANDER ohne sich zu zeigen. Ali!
ALI. Ich glaube, ich höre ihn. Ja, er ist es selbst. Gehen Sie, warten Sie auf mich.
ZEMIRE. Ach! du hast mir schon zu viel davon gesagt, als daß du nicht weiter fortreden solltest.
ALI. Gehen Sie. Ich werde bald wieder zu Ihnen kommen.
Sechster Auftritt.
Sander, Ali.
SANDER bey Seite. Es ist keine Ruhe mehr für mich. Die Angst, die mich quälet – Zum Ali. Du schläfst nicht?
ALI traurig. Ich? nein.
SANDER. Und meine armen Kinder?
ALI. Sie ruhen.
SANDER. Ihre Zärtlichkeit geht mir so nahe! – Ich verbiete dir noch einmal, ihnen zu sagen, wohin ich gehe; noch welches das Unglück ist, so mich erwartet.
ALI. Wie! Sie gehen –
SANDER. Diesen Abend.
ALI. Hat es denn solche Eile?
SANDER. Einen Tisch her, ich will schreiben. Laß mich allein.
Siebenter Auftritt.
SANDER allein. Ich bin so unruhig! – Ich fühle, wie mich die Last meines Schmerzens niederschlägt. Er schreibt.
Arie.
Recitativ.
Ich muß noch einmal von euch scheiden,
Vielleicht auf lange! – Ach! euch laß ich itzt hier zurück,
Die Gefahr sucht zu meiden,
Die euch die Jugend droht! – und genießet das Glück,
Eines ruhigen Lebens Glück und sanfte Freuden –
Liebet euch, liebet mich. Nehmt meinen Segen. Lebt wohl.
Itzt bin ich ruhiger. Diesen Brief muß ich sichern Händen anvertrauen. Ali! – aber, er ruhet. Es ist genug, daß ich ihn diesen Abend, ehe ich fortgehe, hier lasse. Ich bin vor Schwachheit ganz niedergeschlagen, und ich fühle, daß sich meine matten Augen wider meinen Willen schliessen wollen. Er geht ab.
Achter Auftritt.
Zemire, Ali.
Arie.
Duo.
ZEMIRE.
Ich will ihn sehn, ich will ihm sagen,
Daß ich vor ihm in den Tod gehen will.
ALI.
Ach! Zemire, ach! schweigen Sie still.
Ich hätte es Ihnen nicht sollen sagen;
Seht, seht doch meinen Fehler an,
Daß ich mein Maul nicht halten kann.
ZEMIRE.
Für mich will er sein Leben wagen,
Nein, das wird niemals geschehn;
Ich will ihn sehn, ich will ihm sagen,
Daß ich für ihn in den Tod gehen will.
ALI.
Ach! Zemire, ach! schweigen Sie still,
Er höret Sie, ach! schweigen Sie still;
Ohne Ihnen es zu sagen,
Will er fortgehn.
Ohne mir es zu sagen,
Will er fortgehn!
Nein, nein, das wird niemals geschehn.
Ich muß ihn sehn, dieß will die Pflicht.
ALI.
Da sehen Sie, wie sein Herz ihm bricht.
ZEMIRE.
Wohlan, führe mich hin, wo ihr bliebet,
In den Pallast, der ihm gedroht.
ALI.
Wer? ich! Sie führt ich in den Tod!
Den Vater täuscht ich, der Sie liebet,
Nein, nein.
ZEMIRE.
Ach! laß mich doch fliehn.
Sieh, dem Tod entreiß ich ihn.
Willst du ihn selber sterben sehen?
ALI.
Nein, nein, nein, nein, ich gehe nicht.
Bey Seite.
Mir selbst kann etwas Leids geschehen.
ZEMIRE.
Ach! Ali! laß dich doch erbitten,
Itzt ist es Zeit, mein Vater ruht.
ALI.
Nein, nein, ich lasse mich nicht erbitten.
ZEMIRE.
Für mich allein hat er gelitten,
Ihn retten heißt mich meine Pflicht.
ALI.
Nein, nein, nein, nein, ich gehe nicht.
ZEMIRE.
Nie war dein Herz deinem Herrn zu eigen.
ALI.
Er weiß es, er kennt mich, ich bin fromm.
ZEMIRE.
Liebst du ihn, so mußt du es zeigen,
Die Zeit hat Eile, komm,
ALI.
nein,
ZEMIRE.
komm.
Nichts, nichts, nichts, nichts.
ZEMIRE.
Ich bitte dich hier zu Füssen –
ALI.
Thränen fliessen,
Stehn Sie nur auf.
Bey Seite.
Meine Schwachheit wird mich verführen.
ZEMIRE.
Laß dich meine Thränen rühren,
Komm, rette, was sein Schwur versprach.
ALI bey Seite.
Ich weine schon, ich gebe nach.
Die Schaubühne verändert sich und stellet den Saal in dem Pallaste des Azor vor.
Ende des zweyten Aufzuges.
Dritter Aufzug.
Erster Auftritt.
AZOR allein. Grausame Fee, endige mein Leben, oder meinen Kummer. Du hattest mir die Schönheit gegeben, dieses Geschenk schmeichelte mir zu sehr; aber, ach! ist denn dieß ein so grosses Verbrechen, daß es deinen Haß verdienet? Was fodert deine Strenge von mir? du willst, daß man mich unter diesen Zügen liebe, alsdann soll die Bezauberung aufhören, wenn ich, unerachtet meiner Häßlichkeit, ein junges Herz rühren kann. Du selbst, kannst du es wohl hoffen? Du hast mir zwar deine Macht gegeben, den Elementen zu befehlen, aber die Herzen stehen nicht unter deinem Gehorsam, die Liebe ist über deine Zaubermacht erhaben.
Arie.
Ach! welche Quaal! ach! welche Schmerzen,
Wenn in dem Herz der Liebe Sehnsucht wohnt,
Ohne daß dieser Trieb dem Herzen
Jemals Gegenliebe belohnt.
Mein Anblick macht jedes erschüttern,
Nur Angst und Schrecken flöß ich ein,
Jede Schöne muß vor mir zittern,
Sie flieht und sucht sich von mir zu befreyn.
Ach! welche Quaal! ach! welche Schmerzen etc.
Dieser gute Vater, dem ich befehle, mir seine Tochter zu überliefern, wird er wohl die Strenge besitzen, mir zu gehorchen? Wenn er dasjenige thut, was‘ ich von ihm begehre, so ist dieß ein neues Unglück für mich. Ich werde lieben, aber kann ich mir wohl durch Zwang Gegenliebe verschaffen? Der Haß gehorcht der Furcht, die Liebe gehorcht nur der Liebe. Was sehe ich? eine junge Person, welche sich diesem Pallaste nähert. Lebhaft. Ich erkenne ihren Wegweiser. Ja, er ist es. Wenn ich ihr entgegen gienge? – Nein – Hitze und Schauer überfällt mich. Ich will mich verstecken. Ich muß zu erfahren suchen, welche Freuden sie zu rühren fähig sind und, wenn es möglich ist, so soll ihr Herz ruhig werden, ehe sie mich sieht. Er geht ab.
Zweyter Auftritt.
Ali, Zemire.
ALI. Hier sind Sie nun; ich schleiche fort. Leben Sie wohl.
ZEMIRE. Wie!
ALI findet die Thüren verschlossen. Ach! ich Elender! Es ist um mich geschehen, alles ist verschlossen.
ZEMIRE. Ali, du bist in einer ängstlichen Unruhe, wie ich sehe!
ALI mit lauter Stimme. Kommen Sie, wir wollen uns den reizenden Wirth, welcher uns hier aufnimmt, günstig zu machen suchen. Ohne Zweifel sieht er mich wieder mit Vergnügen in seinem Pallaste, weil er so gütig war und haben wollte, daß ich bey ihm bleiben sollte. Leise. Warum bin ich doch gekommen? o! leidige Gefälligkeit!
ZEMIRE. Er ist also sehr garstig? sehr gräßlich?
ALI mit lauter Stimme. Nein!
ZEMIRE. Du hast es mir gesagt.
ALI fährt mit lauter Stimme fort. Ich? davor bewahre mich der Himmel! Anfangs sollte man es glauben; aber je mehr man ihn ansieht – Er hat eine edle Mine; er ist in seiner Art wohl gemacht. Sein Gesicht habe ich nicht vollkommen recht gesehen; aber er ist jung, er ist artig. In seinem Alter besitzet man immer Mittel genug, zu gefallen. Uebrigens ist er reich, er besitzet sehr grosse Schätze; er liebt den guten Wein; dieß ist eine glückliche Vorbedeutung, denn ein Trinker hat immer ein vortreffliches Herz. Lustig, kommen Sie, schöne Zemire, Sie werden ihn schon zahm machen; Sie sind jung und schön. Halten Sie den Kopf gerade, wenn Sie ihn sehen, verneigen Sie sich hübsch vor ihm, und hüten Sie sich ja, daß Sie sichs nicht merken lassen, als fänden Sie ihn fürchterlich. Das wäre nicht höflich. Er wird zu Ihnen sagen – Was weiß ich? was ihm belieben wird. Antworten Sie ihm mit einer Mine – so – mit einem Tone, der ihn rühre. Leise. Denn er ist so ein klein wenig wild. Aber vor allen Dingen seyen Sie meine Stütze, und wenn er ungefehr Lust bekäme, mich zu fressen, so sagen Sie ihm, daß ich das Leben gern habe, und streichen Sie recht heraus, was ich für ihn gethan habe.
ZEMIRE. Wird er noch lang unsichtbar seyn?
ALI. O! nein.
ZEMIRE. Alles scheint mir in seinem Pallaste ruhig zu seyn. Sieh hier diese Bücher, diesen Flügel.
ALI. Ja, er ist stolz darauf, höfliche Lebensart gegen Sie zu zeigen.
ZEMIRE. Man sollte sagen, er hätte es gewußt, daß ich die Musik liebe und allem Ansehen nach will er mir die Zeit auf eine angenehme Art verkürzen.
ALI. Wahrhaftig! dieß ist seine Absicht.
ZEMIRE. Was sehe ich? Ali, sieh hier, du kannst lesen; sieh hier: Wohnung der Zemire. Diese Worte stehen über einer Thüre geschrieben. Hier will er mich also wohnen lassen? Mache auf.
ALI voll Schrecken. Ich! es sind ja Ihre Zimmer; machen Sie selbst auf.
ZEMIRE macht auf. Welche Pracht, lieber Ali! welche ungemein reiche Auszierungen!
ALI. Er will Sie wohl nicht umbringen.
Arie.
Duo.
ZEMIRE.
Den Vater zu trösten,
Bring ihm den Bericht,
Man tödtet mich hier nicht.
ALI.
Haben Sie mich zum Besten?
Ey, Sie sehen es ja,
Man hält mich veste da.
ZEMIRE.
O! sag ihm vor allen,
Ich hoffe das Glück,
Bald sieht er mich zurück.
ALI.
Ihnen zu gefallen,
Fiel ich in diesen Strick.
ZEMIRE.
Hat er in unsern Hütten
Nicht um mich gelitten,
Dann bin ich erfreut.
ALI.
Ach! in unsern Hütten
Folgte meinen Schritten
Die Sicherheit.
Beide.
ZEMIRE.
Mit zärtlichen Trieben
Wird er mich stets lieben,
Dieß ist genug für mich.
ALI.
Ey, ey, kann er sie nicht lieben,
Auch ohne mich?
Ey, ey, ey, wozu braucht er
mich?
ZEMIRE.
Er vergesse mich, ich will ohne Klagen
Das Urtheil ertragen,
Das mein Schicksal spricht.
ALI.
Gehts nur nicht an Kragen,
Dann gilts gleich, was geschicht.
Beide.
ZEMIRE.
Den Vater zu trösten,
Bring ihm den Bericht,
Man tödtet mich hier nicht.
ALI.
Haben Sie mich zum besten?
Ey, Sie sehen es ja,
Man hält mich veste da.
AZOR ohne sich zu zeigen. Sklave! entferne dich. Laß sie hier allein. Die Thüren öfnen sich.
ALI läuft eilends fort. Das ist mir eben recht.
Dritter Auftritt.
ZEMIRE allein. Hier bin ich nun allein – herzhaft. Er wird bald kommen. Er komme – das Herz klopft mir – Je nu? Warum fürchte ich mich? Mein Vater ist nicht mehr in Gefahr; ich habe wegen niemand mehr etwas zu befürchten, als wegen mir selbst. Der Himmel wird die Unschuld beschützen, die er liebet. Ich habe meine Pflicht erfüllet, und mein Schicksal kann sich ändern.
Vierter Auftritt.
Zemire, Chor der Schutzgeister.
Tanz der Schutzgeister, welche der Zemire die Aufwartung machen.
ZEMIRE. Aber welch prächtiger Hofstaat dringt sich um mich herum? Sollte dieses wohl mich angehen? Sollte man mich wohl auf diesen beblümten Thron erheben wollen? Wahrhaftig, ich glaube, ich träume.
Die Schutzgeister der Künste warten der Zemire auf.
Fünfter Auftritt.
Zemire, Azor.
ZEMIRE fällt ohnmächtig in die Arme der Feen. O Himmel!
AZOR. Unvermeidliche Wirkung meiner Häßlichkeit! Zemire! ach! erholen Sie sich von diesem tödtlichen Schrecken. Ich erscheine vor Ihren Augen als ein fürchterliches Ungeheuer; dieß ist das ungerechte Gesätz einer feindlichen Macht; aber, ach! wenn es Ihnen möglich wäre, unter diesen Zügen bis in mein Herz zu sehen! es ist zärtlich und fühlbar. Sehen Sie mich nicht an, Zemire, hören Sie mir nur zu. Er winkt den Schutzgeistern und den Feen, sich zu entfernen.
ZEMIRE. Alle meine Sinne sind erstarrt, kaum kann ich Luft schöpfen.
AZOR zu ihren Füssen. Welche Furcht erregt in Ihnen der beklagenswürdige Azor, welcher zitternd zu Ihren Füssen liegt?
ZEMIRE sieht ihn an. Ach! – ich sterbe. Wenn Sie meinen Tod nicht wollen, so entfernen Sie sich.
AZOR steht wieder auf. Leben Sie. Ich muß sterben, wenn Sie mich nicht anhören wollen.
ZEMIRE bey Seite. Wie furchtsam ist sein Betragen! wie sanft und wie zärtlich seine Stimme! Mit einer furchtsamen Mine. Werden Sie mich denn nicht fressen?
AZOR. Wer? ich? ich will mein Leben damit zubringen, Ihnen zu gefallen, Sie zu verehren. Ich habe niemals im Sinne gehabt, Ihnen das mindeste Leid zuzufügen.
ZEMIRE sieht auf. Ich fange an, wieder ruhig zu werden.
AZOR.
Arie.
Das Gefühl der Liebe
Macht die Herzen mild,
Und von diesem Triebe
Bin ich selbst erfüllt.
Ach! fürchten Sie sich nicht,
Sie haben zu befehlen,
Der, so mit Ihnen spricht.
Gehorchet Ihnen gern,
Der Trieb, Sie zu quälen,
Ist von mir sehr fern.
Das Gefühl der Liebe etc.
ZEMIRE bey Seite. Ich kann mich nicht von meiner Bestürzung erholen. Welche schreckliche Gestalt! und welche reizende Sprache! Nein, diese Stimme kündiget gewiß kein wildes Herz an und ohne Zweifel ist seine Häßlichkeit ein Zauberwerk.
AZOR. Ich sehe also wohl recht fürchterlich aus!
ZEMIRE. Aber – schön sind Sie nicht.
AZOR. Sie hassen mich?
ZEMIRE. Nein. Wenn man nicht boshaft ist, so ist man auch nicht hassenswürdig.
AZOR. Und wenn ich unter diesen Zügen ein fühlbares und gutes Herz habe?
ZEMIRE. Da werde ich Sie bedauren.
AZOR. Zemire, es ist nur allzuwahr. Bedauren Sie mich, man kann unter häßlichern Zügen kein zärtlichers Herz besitzen.
ZEMIRE. Ach! indem ich Ihnen zuhöre, vergesse ich die die Furcht, die ich hatte, Sie zu sehen.
AZOR. Ja, Zemire, Sie sind die Königinn dieses Pallastes und meines Herzens. Reden Sie, befehlen Sie als ein Ueberwinder. Alles erkennet hier Ihr unumschränktes Gesätz. Hier werden tausend unschuldige Freuden Sie in Ihrer Einsamkeit reizen. Sie besitzen vorzügliche Gaben und lieben die Bücher und das Nachdenken. Hier werden Sie unaufhörliche Gegenstände finden, sich in Ihren müssigen Stunden zu beschäftigen. Die schönen Künste, die reiche Natur, die mit den lebhaftesten Farben buntgezierten Gärten, die Vögel, die Blumen –
ZEMIRE. Ha! die Blumen.
AZOR. Sie werden dieselben mit Vergnügen pflanzen. Wenn Sie zuweilen mich der Gnade würdigen und erlauben wollen, daß die Freundschaft an Ihren Belustigungen Theil nehme, so werden Sie dem Freunde recht glückliche Augenblicke gewähren. Wenn Sie wollen, daß er sich entferne, so werde ich mir selbst den Genuß dieser zärtlichen Triebe versagen.
ZEMIRE. Aber mein Vater, meine Schwestern?
AZOR lebhaft. Ich bin reich und hoffe, Ihren Vater durch häufige Wohlthaten zu trösten; er wähle sich Wünsche und ich werde sie erfüllen. Ich will Ihre Schwestern aussteuren, ich will sie versorgen. Sie haben ihr Vermögen verloren, ich will sie dafür schadlos halten, und die Güter, mit welchen ich sie überhäufen will, werden nur noch ein schwaches und derjenigen sehr wenig würdiges Opfer seyn, der ich es bringe.
ZEMIRE. Aber – Man kann nicht heftiger gerühret werden, als Sie mich rühren.
AZOR. Ach! Zemire!
ZEMIRE. Meine Augen gewöhnen sich daran, Sie zu sehen.
AZOR. Nun so fangen Sie denn auch an, sich diesen Ort gefallen zu lassen. Sie singen, ich weiß es, Sie singen vortrefflich. Wenn Sie reden, so werden alle meine Sinnen von Ihrer Stimme gerührt und bewegt. Ach! welch ein Reiz für mein Ohr, Ihre Töne erschallen zu hören.
ZEMIRE. Wenn Sie es verlangen, daß ich singen soll, so will ich singen.
AZOR. Wie rührend! wie gütig!
ZEMIRE.
Arie.
Munter sieht man den Vogel im Wald
Das Futter zu den Jungen tragen,
Kaum blickt der Tag, fängt er an zu schlagen,
So daß das Echo wiederschallt.
Seine hüpfenden Jungen
Zwitschern, was er gesungen,
Im Neste halb versteckt,
Da die Liebe der Alten,
Die Thierchen zu erhalten,
Sie mit den Flügeln deckt.
Doch, sie wird verscheucht,
Der Vogler schleicht,
Ihr ihre Hoffnung wegzutragen,
Die arme Mutter fängt an zu klagen,
Ihr klopft das Herz,
Alles ertönt von ihrem Schmerz.
AZOR. Ihr Gesang ist für mich eine Klage. Ach! ich kann das Glück nicht haben, den Kummer zu stillen, der Ihre Seele kränket; kann ich ihn nicht zum wenigsten lindern?
ZEMIRE. Das können Sie.
AZOR. Wie? reden Sie; was soll ich thun?
ZEMIRE. Mich meinen Vater und meine Schwestern noch einmal sehen lassen.
AZOR. Ich will Ihnen sogleich gehorchen, so viel in meinem Vermögen steht, und vielleicht werden Sie mich dafür strafen. Sie werden hier diesen Augenblick in einem bezauberten Gemälde erscheinen, aber wenn Sie sich nähern, so wird alles auf der Stelle verschwinden.
Sechster Auftritt.
Azor, Zemire, auf der Bühne, Sander, Fatme, Lisbe in dem Gemälde.
ZEMIRE. Ach! mein Vater! ach! meine Schwestern! – ach! wie er so traurig ist! Er weinet. Sein Schmerz widersteht der Sorgfalt, womit ihre Liebe ihn zu trösten suchet. Er suchet mich mit den Augen. Er scheint mit mir zu reden. Seine Arme scheinen sich gegen mich auszustrecken. Ach! wenn ich hinfliegen könnte! wenn er mich nur zum wenigsten hören könnte!
AZOR. Dieß ist nicht möglich.
ZEMIRE. Und ich, kann ich ihn nicht selbst hören?
AZOR. Ach! Zemire, was verlangen Sie von mir?
ZEMIRE. Sie schlagen mir alles ab, was ich verlange.
AZOR. Nein. Aber, ach! ich bin versichert, daß ich mir selbst schade, wenn ich Ihnen gehorche. Ihre Klagen werden mich nun verhaßt machen, ich sehe es schon zum voraus. Aber Sie wollen es, ich liebe Sie, Sie sollen sogleich ihre Stimme hören.
Arie.
Trio.
SANDER.
Nichts kann mich von meinem Kummer befreyn.
FATME UND LISBE.
Vater! hören Sie auf um die Tochter zu schreyn.
SANDER.
Wer wird mich nun so zärtlich lieben?
LISBE.
Ich, Vater, ich.
FATME.
Ich, Vater, ich.
SANDER.
Wer sorgt für mich aus frommen Trieben?
LISBE.
Ich, Vater, ich.
FATME.
Ich, Vater, ich.
Sehn Sie sie in uns.
SANDER.
Ja, ich seh sie;
Ihr Ton erschallt in meinen Ohren.
FATME UND LISBE.
Wir lieben Sie.
SANDER.
Dieß ist mein Glück.
Hab ich, Zemire, dich denn verloren?
Komm zurück.
FATME UND LISBE.
Komm zurück.
ALLE DREY.
Komm zurück.
ZEMIRE eilt nach dem Gemälde zu.
Ach! mein Vater!
Alles verschwindet.
Siebenter Auftritt.
Zemire, Azor.
ZEMIRE zu dem Azor. Ach! Grausamer!
AZOR. Ich hatte es Ihnen vorhergesagt. Sie waren selbst schuld daran, daß das bezauberte Gemälde verschwand.
ZEMIRE. Der Zustand meines Vaters macht mich unruhig. Lassen Sie mich zu ihm gehen.
AZOR. Was habe ich gethan!
ZEMIRE. Er sehnt sich nach mir, er ist betrübt, er ist voller Verzweiflung. Ach! lassen Sie sich durch die Thränen eines Vaters rühren.
AZOR. Nein, hören Sie auf, Zemire, hören Sie auf. Ich liebe Sie, und ich sterbe, wenn Sie mir geraubt werden.
ZEMIRE. Um meinen Vater zu beruhigen und ihm das Leben wieder zu geben, ist eine Stunde, ein Augenblick schon genug.
AZOR. Ach! wie groß ist deine Macht über mich! Gehen Sie, gehen Sie zu ihm, zu diesem so geliebten Vater. Beruhigen Sie sein gekränktes Herz. Sagen Sie ihm, daß ich nur durch Sie, nur für Sie lebe; daß ich Ihnen unterthan bin, daß Sie mich entzückt haben. Aber, Zemire, ich bitte Sie inständig, kommen Sie wieder zurück.
ZEMIRE. Ich schwöre es Ihnen.
AZOR. Sehen Sie die Sonne an, bald wird sie untergehen. Geht sie nieder, ehe Sie wieder zurückkommen, so wird von diesem Augenblicke an die Verzweiflung mich überwinden und ich werde mein unglückliches Schicksal endigen. Alsdann können Sie zu Ihrem Vater sagen: »er ist nicht mehr, ich bin schuld an seinem Tode.«
ZEMIRE. Ich! schuld an Ihrem Tode seyn! das wäre mir sehr leid! Nein, Sie sind so gütig, und meine Seele ist so sehr davon gerühret, daß, um Sie – bey Seite. Ach! das Schicksal war ihm die Schönheit schuldig.
AZOR. Es wird von Ihnen abhängen, mich für die Ungerechtigkeit des Schicksals schadlos zu halten. Ihren Händen übergebe ich mein Leben und mein Glück. Gehen Sie. Wenn Sie treulos sind, so werde ich Sie doch nicht für Ihre Untreue strafen. Dieser Ring macht Sie frey. Indem Sie ihn tragen, Zemire, sind Sie nicht mehr in meiner Gewalt, und ich vertraue Ihnen denselbigen an.
ZEMIRE. O! wie sehr bewundere ich Ihre Güte!
AZOR. Wenn Sie mich aber wieder sehen wollen, so verlassen Sie denselbigen, und in dem nemlichen Augenblicke werden Sie mir zurückgegeben seyn.
ZEMIRE. Dieses Vertrauen sind Sie mir schuldig und ich werde dieses Pfand verdienen, indem ich es ver lasse.
AZOR. Leben Sie wohl. Vergessen Sie denjenigen nicht, der Sie erwartet.
Die Schaubühne verändert sich und stellet das Haus des Sander vor.
Ende des dritten Aufzuges.
Vierter Aufzug.
Erster Auftritt.
Sander, Ali.
SANDER sitzend und traurig auf einen Tisch gelehnt.
Wie unglücklich bin ich!
ALI bestürzt.
Ach! Herr!
SANDER.
Was giebt es denn noch?
ALI.
In der Luft –
SANDER.
Nu, in der Luft? –
ALI.
Habe ich gesehen –
SANDER.
Was?
ALI.
Das weiß ich nicht.
Arie.
Ach! ich zittre noch,
Ein Wagen war es doch,
Von Wolken hoch getragen,
Nein, ein Wagen war es doch,
Von Wolken hoch getragen;
Ich sah es wohl, ich fürchte sehr,
Der Teufel führt ihn gar noch her.
Es sind am Wagen, der fortgerannt,
Zwo Schlangen angespannt.
Wie sie die Zähne spitzten!
Ihr Rachen schloß sich nie,
Und ihre Augen blitzten,
Wie Feuer brannten sie.
Ach! ach! ich zittre noch,
Ein Wagen war es doch,
Von Wolken hoch getragen,
Nein, ein Wagen war es doch,
Von Wolken hoch getragen.
Vielleicht ist wohl gar nichts daran,
Da in der Furcht man nicht gut sehen kann.
SANDER. Und was gehen mich dieser Wagen, oder diese Wolken an?
ALI. O! nichts. Aber gewiß ist es wieder einer von den Herren, der eine Luftreise thut.
Zweyter Auftritt.
Zemire, Fatme, Lisbe, Sander, Ali.
FATME UND LISBE. Hier ist meine Schwester.
ZEMIRE. Mein Vater!
SANDER. Ha! meine Tochter, bist du es? Bist du es denn? Sehe ich dich wieder?
ZEMIRE. Azor ist es, er ist es, der mich schicket. Er erlaubt mir, Sie wieder zu sehen, er konnte mir es nicht abschlagen. Ich habe nur einen Augenblick; ich wende ihn dazu an, mein lieber Vater, Ihnen Ihren Irrthum zu benehmen. Hören Sie auf zu seufzen und fürchten Sie sich nicht mehr. Bey ihm bin ich weniger, ja, viel weniger zu bedauren, als Sie es glauben. Sie sehen es, er bezeigt mir die rührendste Sorgfalt, die zärtlichste Freundschaft. Er beraubet sich meiner, dieß ist eine harte Ueberwindung, und ich fühle alle die Qualen, die er leidet, indem er auf mich wartet.
SANDER. Wie!
ZEMIRE. Wenn ich länger verweilte, würde ich schuld an seinem Tode seyn. Betrüben Sie sich nicht mehr, mein Vater, in Ansehung meines Schicksals. Ich bin glücklich. Leben Sie wohl.
SANDER lebhaft. Himmel! Was habe ich gehöret? Meine Tochter! du willst mich verlassen!
ZEMIRE. Ich habe es versprochen, er erwartet mich, ich muß mein Wort halten.
SANDER. Grausames Kind! du willst deinen Vater verlassen! du weißt nicht alle die Qualen, die ich wegen dir gelitten habe.
ZEMIRE. Um Sie zu retten, habe ich mich selbst darbieten müssen. Aber statt eines strengen Gebieters fand ich einen großmüthigen Freund. Nein, er ist nicht boshaft; er ist nur unglücklich.
SANDER. Du bedaurst ihn!
ZEMIRE. Ach! er scheint mir nicht so geboren zu seyn, wie er ist. Sehen Sie, wenn wir beysammen sind, so sollte man sagen, daß er zittert, und sich für verloren hält, wenn er mir misfiele.
SANDER. Er ist nur dem Scheine nach gelind und blöde, er will dich in die Falle locken und du siehst die Gefahr nicht ein.
ZEMIRE. Nein, mein Vater; ich bin gewiß versichert, daß er mich aufrichtig liebt.
SANDER. Meine Tochter, ich weiß besser als du, worinn seine strafbare Hoffnung besteht.
ZEMIRE. Er will uns mit Wohlthaten überhäufen.
SANDER. Er behalte seine Güter, die ich hasse, und er erwarte nichts von meiner Dankbarkeit. Meine Güter sind meine Kinder und nichts kann mir den Werth ihrer Unschuld ersetzen.
ZEMIRE. Sie beleidigen ihn, mein Vater.
SANDER. Und du, du vertheidigest ihn! Welche Empfindung steigt in deiner Seele für ihn auf?
ZEMIRE. Das Mitleiden.
SANDER. Unglückliche! rede weiter. Er hat dich durch seine Zauberkünste zu rühren gewußt. Du nimmst dich seiner an!
ZEMIRE. Ja, mein Vater, ich nehme mich seiner an.
SANDER. Er hat deine Zärtlichkeit listig erschlichen.
ZEMIRE. Ja, sein Schicksal bewegt mich zum Mitleiden; ich kann es nicht läugnen.
SANDER. Wie! dieses Ungeheuer?
ZEMIRE. Seyen Sie so gütig und hören Sie mich an, alsdann seyen Sie Richter. Allein, ohne Hülfe, ohne Zuflucht, hielt er mich in seiner Gewalt. Ich wünschte sehnlich, Sie wieder zu sehen; er erlaubte es. Dieß ist noch das wenigste. Sie werden bald sehen, ob er mich liebt. Er läßt mich frey los und will sogar, daß sein Schicksal von mir allein abhängen soll. Er wird sterben, wenn ich ihn verlasse, ich habe die Macht dazu, er selbst hat sie mir gegeben, und hier ist das sichere Pfand davon. Sie zeiget ihm den Ring.
SANDER. Dieser Ring?
ZEMIRE. Dieser Ring macht mich unabhängig.
SANDER. Von seiner Zaubermacht?
ZEMIRE. Und sogar von seinem Willen.
SANDER. Nun lebe ich wieder auf. Ach! meine Tochter!
ZEMIRE. Ist dieß ein genug überzeugender Beweis von seiner Güte?
SANDER. Also will sein Zorn inskünftige nur mir drohen? Hüte dich davor, diesen Ring zu verlassen.
ZEMIRE. Wie! mein Vater, Sie wollen –
SANDER. Hüte dich davor, ihn jemals zu verlassen.
ZEMIRE. Und denjenigen, der mich erwartet, diesen Unglücklichen, der mich liebet, ihn soll ich also verrathen haben? an seinem Unglücke soll ich schuld seyn? Ach! lassen Sie mich lieber ihm selbst alles verdanken. Wenn er aufrichtig und gütig ist, so läßt mich sein Herz alles erwarten. Ist er aber boshaft, hat er sich zu verstellen gewußt, hat er mich nur auf die Probe setzen wollen, was habe ich alsdann nicht für Sie zu befürchten, wenn ich ihn beleidige? Ach! mein Vater, wenn er käme, mich aus Ihren Armen zu reissen!
SANDER. Er komme.
ZEMIRE. Lassen Sie mich, lassen Sie mich Sie retten.
Arie.
Quatuor.
ZEMIRE.
Ach! ich zittre. Welche Waffen
Widersetz ich seiner Macht?
SANDER.
Der Thränen Strom, diese Waffen
Widersetz ich seiner Macht.
ZEMIRE.
O! ja, die Hoffnung erwacht,
Mein Schmerz wird uns Trost verschaffen.
SANDER.
Ich bin itzt dazu gebracht,
Mir selber Hülfe zu schaffen.
ZEMIRE.
Ach! ich zittre. Welche Waffen
Widersetz ich seiner Macht?
SANDER.
Der Thränen Strom, diese Waffen
Widersetz ich seiner Macht.
ZEMIRE.
Ach! mein Vater!
SANDER.
Ich bin Vater.
ZEMIRE.
Haben Sie jemals mich geliebet,
So lassen Sie mich von hier zurück.
FATME UND LISBE.
An uns sey sein Zorn verübet,
Nur uns allein wähle sein Blick.
SANDER.
Niemals hast du mich betrübet,
Du, meine Liebe, mein Glück!
ZEMIRE.
Bald wird er sich selber zeigen,
Lassen Sie mich fliehen. Ach! welch ein
Schmerz!
SANDER.
Laß ihn kommen, meine Zärtlichkeit soll zeigen,
Keine Furcht beklemmt mein Herz.
ZEMIRE.
Wenn Gehorsam mich vertheidigt,
O! so stillt er meinen Schmerz;
Hat die Unschuld jemals beleidigt?
O! sie gewinnet jedes Herz.
FATME UND LISBE.
Wenn Gehorsam sie vertheidigt,
O! so stillt sie unsern Schmerz;
Hat die Unschuld jemals beleidigt?
O! sie gewinnet jedes Herz.
SANDER.
Standhaft sey mein Kind vertheidigt,
Und er schenkt es meinem Schmerz,
Und, wenn ihn mein Schmerz beleidigt,
O! so zerreiß er dieses Herz.
ZEMIRE.
Ach! ich zittre, welche Waffen
Widersetz ich seiner Macht?
FATME UND LISBE.
Ach! ich zittre, welche Waffen
Widersetz ich seiner Macht?
SANDER.
Der Thränen Strom, diese Waffen
Widersetz ich seiner Macht.
ZEMIRE wirst den Ring weg.
O! meine Schwestern, tröstet unsern Vater.
SANDER.
Meine Tochter! sie entflieht meinen Augen!
FATME UND LISBE.
Mein Vater!
SANDER. Lasset mich. Des Tages Licht ist mir verhaßt. Ich will den Zorn des Ungeheuers auf mich ziehen.
Die Schaubühne verändert sich und stellet einen Theil der Gärten des Azor vor. Man sieht einen wilden Ort, an welchem eine Grotte ist.
Dritter Auftritt.
AZOR allein.
Recitativ.
Ach! Zemire kömmt nicht zurücke,
Und schon dämmert das Abendroth.
Was leb ich noch? Mich flieht das Glücke,
Zemire muß mich hassen, ach! sie will meinen Tod.
Arie.
Ach! Zemire, die ich liebe,
Ach! warum verstellst du dich!
Komm, ersticke diese Triebe,
Lauter Schrecken zeiget sich,
Leben ist nur Quaal für mich.
Wär ich in den stärksten Schmerzen
Nur auf die Rache bedacht! –
Doch – wider sie – die im Herzen
Meine Sehnsucht reger macht.
Mein Schicksal wird erfüllt. Ich erliege. Diese Grotte wird mein Grab seyn. Dieß heißt zu viel leiden; ich muß sterben. Er sinkt in die Grotte.
Vierter Auftritt.
ZEMIRE allein.
Arie.
Azor! ach! wo bist du geblieben?
Der Wiederhall
Ruft meiner Stimme Schall,
Sieh hier Zemire, sie will dich lieben,
Ihr zärtlich Herz folgt dir itzt überall.
Azor! ach! wo bist du geblieben? etc.
Ich liebte dich recht zärtlich, noch heftiger als mich,
Und diese sanften Triebe
Versichern dich,
Azor, daß ich dich liebe –
Die Schaubühne verändert sich und stellet einen bezauberten Pallast vor. Azor erscheint daselbst auf einem Throne in dem völligen Glanze seiner Schönheit.
Fünfter Auftritt.
Zemire, Azor.
AZOR. Zemire!
ZEMIRE. Azor! – – o Himmel! wo bin ich?
AZOR. Der Himmel giebt Sie den Wünschen des Azor noch schöner zurück.
ZEMIRE. Wer? Sie, Azor! Kann ich es glauben?
AZOR. Ja, ich bin dieses schreckliche Ungeheuer, welches Sie unerachtet seiner Häßlichkeit nicht gehaßt haben. Aber Sie zerreissen das Zauberwerk, es ist verschwunden. Sie geben mich meinem Volke, mir selbst zurück. Der Tron, welchen ich wieder besteige, ist eine ihrer Wohlthaten. Kommen Sie, Ihren Platz auf demselbigen zu nehmen und die Krone sey eines der geringsten Geschenke, die ich Ihnen gebe.
ZEMIRE. Welch Glück! welch Wunder! und ich wirke es!
AZOR. Durch Sie hat die erzürnte Fee sich endlich besänftigen lassen.
ZEMIRE. Ach! wie sehr habe ich Sie bedauert!
AZOR. Ihre allzuharte Strenge hatte mir, o Zemire, doch noch ein Herz gelassen, Sie zu lieben.
ZEMIRE. Und dieß war genug, mir zu gefallen. Vollenden Sie mein Glück. Geben Sie mir meinen Vater wieder.
AZOR. Sie werden ihn sogleich sehen.
ZEMIRE. Ich werde ihn sogleich sehen?
AZOR. Sogleich werden Sie in seiner Gewalt seyn.
Sechster Auftritt.
Zemire, Azor, die Fee, Sander, Fatme, Lisbe, welche drey die Fee zurückführet, und Ali.
DIE FEE ohne sich zu zeigen. Tugendhafter und empfindungsvoller Vater, sieh deine Tochter wieder.
ZEMIRE wirft sich in die Arme ihres Vaters. Ach!
AZOR zum Sander. Du siehst mich, so wie sie, deinen Gesätzen unterworfen.
ZEMIRE zu ihrem Vater. Es ist Azor.
SANDER. Ich weiß alles.
ZEMIRE. Werden Sie wohl unerbittlich seyn?
AZOR. Ach! vergieb, sey großmüthig und, wenn es möglich ist, glücklicher, als du unglücklich gewesen bist.
ZEMIRE inständig bittend. Mein Vater!
AZOR. Ja, von dir selbst muß ich sie erhalten. Deine Tochter ist dir wieder gegeben; und von deinem Willen wird mein Glück abhängen; ich darf noch nicht sagen, das ihrige.
SANDER. Ach! machen Sie sie glücklich; und, glauben Sie wohl, daß ich noch daran denke, wie vielen Kummer es mich gekostet habe?
Siebenter und letzter Auftritt.
Die Fee, ihr Hofftaat und die Vorigen.
DIE FEE. Azor, du siehst, daß die Güte des Herzens alle Rechte der Schönheit besitzt. Erweitere ihr Reich über die Herzen, und unter meinem Gesätze soll alles, was lebt, die Zemire mit dir verehren.
Der Hofstaat der Fee feyert das Vermählungsfest des Azor und der Zemire. Das Ballet fängt an.
Arie.
Chor.
ZEMIRE UND AZOR.
O! Liebe! wenn je deine Macht
Ein junges Herz an sich gebracht,
Ach! welchen Kummer muß es leiden!
CHOR.
O! Liebe! wenn je deine Macht
Ein junges Herz an sich gebracht,
Ach! welchen Kummer muß es leiden!
ZEMIRE UND AZOR.
Wem ist es mehr, als mir bewußt?
Die Quaal mischt sich in ihre Freuden,
Doch auf die Quaal folgt wahre Lust.
CHOR.
Wem ist es mehr, als euch, bewußt?
Die Quaal mischt sich in ihre Freuden,
Doch auf die Quaal folgt wahre Lust.